Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 5 Mai 2021 zum Inhaltsverzeichnis T I T E LT H E M A : Digitalisierung
GEW HLZ 5/2021 2 Zeitschrift der GEW Hessen Nach der Wahl: Steuererklärung: für Erziehung, Bildung, Forschung Ergebnisse der Personalratswahl Wie hoch war der GEW-Beitrag? ISSN 0935-0489 Bei Erscheinen dieser HLZ ist die Per- Auch wenn es inzwischen nicht mehr I M P R E S S U M sonalratswahl an Schulen und Hoch- erforderlich ist, die Belege zur Einkom- schulen und in der Bildungsverwaltung mensteuererklärung vorzulegen, haben Herausgeber: abgeschlossen. Über die Ergebnisse in- wir in den letzten Monaten wieder- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen formiert die HLZ in der Juni-Ausgabe. holt auch in der HLZ darüber infor- Zimmerweg 12 • Aktuelle Informationen finden Sie miert, wo man die Informationen über 60325 Frankfurt/Main schon jetzt unter www.gew-hessen.de. die Höhe des im Jahr 2020 entrichte- Telefon (0 69) 971 2930 Fax (0 69) 97 12 93 93 ten Beitrags finden kann. Dazu gibt es E-Mail: info@gew-hessen.de 20. Mai: GEW meets UCU folgende Wege: Homepage: www.gew-hessen.de Die englische University and College • Der Quittungsbetrag für das Vor- Verantwortlicher Redakteur: Union (UCU) ist mit 140.000 Mitglie- jahr erscheint automatisch auf dem Harald Freiling Kontoauszug für die erste Beitragsab- Klingenberger Str. 13 dern eine der stärksten Hochschul- 60599 Frankfurt am Main gewerkschaften Europas. 2019 orga- buchung ab FEBRUAR 2021. Der Text Telefon (0 69) 636269 nisierte sie eine lange, erfolgreiche zur Höhe des bezahlten Beitrags steht E-Mail: freiling.hlz@t-online.de Streikbewegung gegen die Kürzung der am Ende. Mitarbeit: Renten. Bei einem Online-Meeting von • Grundsätzlich gelten bei der Steu- Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch- er auch alle Kontoauszüge. In der Re- schule), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestim- GEW und UCU im Rahmen der Partner- mung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette schaft der Universitäten Birmingham gel bucht die GEW den Beitrag alle drei Loycke (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), und Frankfurt geht es um aktuelle Ge- Monate ab. Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik werkschaftsthemen und die internatio- • Die Beitragsquittungen für 2018, und Gewerkschaften), Simone Claar (Hochschule) nale Solidarität in Zeiten der Pandemie. 2019 und 2020 kann man nach der Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † Die Veranstaltung in englischer Spra- unkomplizierten Einrichtung eines Be- Titelthema: Harald Freiling, AG Digitalisierung che findet am 20. Mai um 18 Uhr statt. nutzeraccounts auch online im Mitglie- Illustrationen: • Anmeldungen bis zum 11. Mai 2021: derbereich der GEW unter www.gew.de/ Dieter Tonn (Titel, S. 11, 17), Thomas Plaßmann (S. 7, geschaeftsfuehrung@gew-hessen.de beitragsbescheinigung abrufen. 25, 32), Träger & Träger (S. 15), Ruth Ullenboom (S. 4) Fotos, soweit nicht angegeben: GEW Ihr Kontakt zur GEW Hessen Verlag: Die Landesgeschäftsstelle der GEW • Die Landesrechtsstelle ist telefo- Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Hessen ist wie andere Bereiche von nisch unter der Nummer 069-971293- Niederstedter Weg 5 61348 Bad Homburg den Bestimmungen zur Bekämpfung 23 zu erreichen. Die Sprechzeiten sind der Corona-Pandemie weiterhin betrof- montags, dienstags und donnerstags Anzeigenverwaltung: Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH fen. Deshalb bitten wir darum, An- von 13.30 bis 15.30 Uhr und mitt- Peter Vollrath-Kühne fragen möglichst per E-Mail an uns wochs und freitags von 10 bis 12 Uhr. Postfach 19 44 zu richten. Vorabinformationen per Email erleich- 61289 Bad Homburg Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 • Die Landesgeschäftsstelle errei- tern die Beratung: rechtsstelle@gew- E-Mail: mlverlag@wsth.de chen Sie mit einer E-Mail an info@ hessen.de Erfüllungsort und Gerichtsstand: gew-hessen.de und unter der Telefon- • Alle weiteren Kontaktdaten unse- Bad Homburg nummer 069-9712930. Die Sprechzei- rer hauptamtlichen Referentinnen und Bezugspreis: ten sind montags bis donnerstags von Referenten und unserer Mitgliederver- Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- 10 bis 11.45 Uhr und von 12.45 bis waltung finden Sie auf unserer Home- schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten 15.30 Uhr sowie freitags von 10 bis page unter www.gew-hessen.de > Kon- sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. 11.45 Uhr und von 12.45 bis 13.30 Uhr. takte > Landesgeschäftsstelle Zuschriften: Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder Rubriken 30 Hans-Jürgen Irmers Wetzlar-Kurier Aus dem Inhalt wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- 31 Ein neues Corona-Semester öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen 4 Spot(t)light vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen 5 Meldungen 32 Vergabe- und Tariftreuegesetz nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen. 34 Recht: Krankenversicherung Titelthema: Digitalisierung 36 Briefe 8 Videokonferenzen im Unterricht 37 Nachrufe Redaktionsschluss: 10 Digitale Grundrechte im Kreuzfeuer 38 Jubilarinnen und Jubilare Jeweils am 5. des Vormonats 12 Corona-Computer für den Unter- Einzelbeiträge richt oder dienstliches Endgerät? 6 Corona-Blog: Was sagt die GEW? 14 Datenschutz: Erfahrungen eines Nachdruck: Schülers aus Hessen Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 21 Referendariat in der Pandemie gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 22 Lehrerarbeit in Hessen 16 Das Schulportal Hessen genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher 24 Mehr Zeit für soziales Lernen 18 Medienerziehung & Medienbildung Genehmigung der Redaktion und des Verlages. 26 Kinder und Jugendliche in der Krise 20 Mythos Open Source Druck: Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH 28 LSV: Bildung und Gerechtigkeit 40 lea-Fortbildungsprogramm Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 5/2021 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Sand im digitalen Getriebe Neben zunehmenden Problemen im Bereich Medien ren. Einzig kommerzielle Plattformen wie Microsoft erziehung und Jugendmedienschutz (HLZ S.16) hat Teams oder Zoom funktionierten zuverlässig, sind die Coronakrise unerbittlich aufgedeckt, dass es der aber aus Gründen des Datenschutzes heftig umstrit- deutschen Schullandschaft an allen Ecken und En- ten. Dass sich die Situation inzwischen nicht mehr den an leistungsfähiger Infrastruktur und Hardware, ganz so desaströs darstellt wie noch im März 2020, IT-Support und Medienkompetenz mangelt. ist vor allem der Eigeninitiative vieler Lehrkräfte ge- Der IT-Support für Schulen ist Lichtjahre vom schuldet, die auf eigene Kosten ihre private Hard- professionellen Standard entfernt, wie er in Fir- ware aufrüsteten und in Sachen Digitalkompetenz men und Behörden selbstverständlich ist. Dort wird deutlich zugelegt haben, was insbesondere dem gro- eine volle IT-Stelle pro rund 100 Endgeräten ange- ßen Engagement der IT-Fachgruppen an den Schu- setzt, während an vielen Schulen eine einzige Lehr- len zu verdanken ist. kraft mit einer Wochenstunde Unterrichtsentlastung Auf der technischen Seite stehen schnelle Inter- in Do-it-yourself-Manier über 100 Endgeräte admi- netanbindungen, WLAN in den Klassenräumen, pro- nistrieren soll… fessioneller Support und leistungsfähige, zuverläs- Von daher war das digitale Lockdown-Debakel für sig funktionierende Lernplattformen auf der Agenda. Schulinsider keine Überraschung, denn Deutschlands Schülerinnen und Schüler sind mit Endgeräten aus- Schulen rangieren seit zwei Jahrzehnten in sämtli- zustatten, denn der digitale Schulerfolg darf nicht chen internationalen Studien zur Digitalisierung un- vom Bankkonto ihrer Eltern abhängen. Und Lehrkräf- ter „ferner liefen…“. Im November 2019 landete das te brauchen schon aus Gründen des Datenschutzes deutsche Bildungswesen in der CEPS-Vergleichsstu- Dienstgeräte für den digitalen Unterricht. Schließlich die unter den EU-Mitgliedsländern im Bereich E- muss auch der Chirurg sein OP-Besteck nicht selbst Learning auf dem letzten Platz. Dass unter diesen beim Discounter kaufen! Voraussetzungen Onlineunterricht nicht erfolgreich Im pädagogischen Bereich gilt es, ein Aus- und laufen konnte, war vorprogrammiert. Aber auch ein Fortbildungskonzept zur Digitalkompetenz aufzuset- Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist noch immer zen, das in den Universitäten und Studiensemina- jede Menge Sand im Getriebe – was zu allerletzt den ren beginnen und mit kontinuierlicher, fachspezifi- Schulen anzukreiden ist. scher Fortbildung der Lehrkräfte fortgesetzt werden Als die Schulen Mitte März 2020 bundesweit zum muss. Hier sind die Bereiche Medienbildung, Medien Distanzunterricht wechseln mussten, wurde schlag- erziehung und Jugendmedienschutz gleichermaßen artig offensichtlich, was IT-Lehrkräfte seit 20 Jah- abzudecken, denn Medienbildung kann nur auf der ren erfolglos angemahnt hatten. Der digitale Nicht- Grundlage einer intensiven digitalen Präventionsar- Unterricht wurde zum Offenbarungseid und zwang beit gelingen. Eltern zu Hause in die Lehrerrolle. Noch schlim- mer: Zu Beginn des zweiten Lockdowns im Dezem- ber wiederholte sich die Katastrophe. Überall brachen die Lernplattformen der Länder oder der örtlichen Schulträger unter dem Schüleransturm zusammen, weil sie nicht für solche Nutzerzahlen ausgelegt wa- Günter Steppich ist Lehrer an der Gutenbergschule Wies- baden und vielen Eltern und Lehrkräften in Hessen von El- ternabenden und Pädagogischen Tagen als Experte für Ju- gendmedienschutz bekannt. Vielfältige Veröffentlichungen, Materialien und weiterführende Links findet man in seinem Internet-Portal www.medien-sicher. de. In dieser HLZ be- fasst er sich mit den neuen Herausforderungen des Jugend- medienschutzes in Corona-Zeiten (S.16). Günter Steppich
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 5/2021 4 Die Protokolle des Herrn K. würdigen zu können. Bis heute kenne ich die Spottgedichte (Epigramme) von Lessing, die wir besprachen. Haben wir es ihm jemals gesagt? Eher tribute. Einen Bildhauer, der mit uns „Denkt, wie gesund die Luft, wie rein, nicht. Wir waren zu jung. Er war zu di- Marionetten bastelte und Theaterstü- sie um dies Jungfernstift muss sein. stanziert und unnahbar. Und doch den- cke schrieb. Einen Kafka-Liebhaber, mit Seit Menschen sich besinnen, ken wir alle mit Bewunderung an ihn. dessen scharfsinnigen Zynismus man starb keine Jungfer drinnen.“ Einige haben nach den vielen Jahren erst mal klarkommen musste. Und in „Die gute Galathee, noch seine Unterlagen im Schrank. Im der Oberstufe kam ER mit dem Aller- man sagt, sie schwärz‘ ihr Haar. Internet hat er keine Spuren hinterlas- weltsnamen. Er sah aus wie ein Lehrer Da doch ihr Haar schon schwarz, sen. Unter seinem Allerweltsnamen fin- aus der „Feuerzangenbowle“. In unse- als sie es kaufte, war.“ den sich ein Schlosser in Radolfzell und ren Augen uralt, eine Glatze mit Haar- Zu den einzelnen Epochen präsentierte ein Steuerberater in Reutlingen. kranz drum herum, stets – wie alle sei- er uns nicht nur Literatur, philosophi- Er, unser alter Deutschlehrer, ist be- ne Kollegen – im Anzug. Allerdings sche und theoretische Texte, sondern reits zu einer Zeit gestorben, als „goo- waren seine Anzüge immer sehr gut auch typische Gemälde und typische geln“ noch kein Verb war. Ich weiß geschnitten. Nie hätte er Hochwasser- Musik. Wir hatten keinen Deutsch-, wir nicht, ob er Kinder hatte, denen man hosen getragen. Und er lief nicht ein- hatten „Kulturunterricht“. Wir waren schreiben könnte, wie genial ihr Va- fach durch die Schule, er schritt. Ker- mit unserem Lehrer in Filmen, die da- ter war, wie einzigartig sein Unterricht. zengerade. Wir hatten drei Jahre lang mals zur Avantgarde zählten. Wir ha- Es war zu einer Zeit, als „Bildung“ Geschichte und Deutsch bei ihm. In ei- ben wahnsinnig viel gelesen. noch im Zentrum der Schule stand. nem systematischen Durchgang vom Es war uns zwar ausgesprochen läs- Nicht Kompetenzen, nicht Windschnit- Simplicissimus bis zum Noveau Ro- tig, aber wir schrieben brav Protokolle. tigkeit, nicht Funktionalität, nicht Ver- man, zu Comics, zu Wallraffs „Indus In jeder Stunde kam einer von uns dran. wertbarkeit. Aber das wussten wir da- triereportagen“ und zu Hermann Kants Nachdem das Protokoll von allen abge- mals nicht. Auch wir wollten möglichst „Aula“. Und wann immer es ging, fä- segnet war, wurde es auf Matrizen ge- schnell aus der Schule raus und nerv- cherübergreifend. Obwohl er von mei- tippt und vervielfältigt. Dadurch hatten ten unsere Eltern mit der Frage, wozu nen mündlichen Leistungen in Deutsch wir alle einen vollständigen Ritt durch wir den Schulstoff eigentlich brauchen. nicht eben viel hielt, habe ich später die deutsche Literaturgeschichte mit ge- Quälten uns mit alten Sprachen und Germanistik studiert und an der Uni schickt ausgewählten Gedichten, Tex- alten Philosophen herum und wollten nicht halb so viel mitbekommen wie ten und Theorien. Nur einmal habe ich viel lieber in die Disco oder auf die in seinem Unterricht. Wir haben in Ge- Herrn K. emotional erlebt. Da schleu- Demo. schichte die Lehren Hegels, Feuerbachs derte er mit geballten Fäusten heraus, Wir hatten einige Deutschlehrer und Marx‘ behandelt. Es war 1969. Wir ein Text, ein Aufsatz müsse „dicht“ sein erlebt. Einen dicken, kurzen, skurri- waren fasziniert. In Deutsch hat er uns – und kein Gelaber. len, der sich beim Korrigieren unserer am Beispiel von Goethes Faust alle li- Als junge Deutschlehrerin wollte ich Aufsätze angeblich pausenlos überge- terarischen Interpretationsansätze bei- seinem Vorbild folgen, aber es war un- ben musste. Ein „Fräulein“ im blau- gebracht: textimmanent, biografisch, möglich. Allein das Besprechen und en Reichsbahnkostüm, eine der weni- soziologisch, historisch und psycho- inhaltliche Korrigieren der Protokol- gen Frauen an diesem humanistischen analytisch. Wir haben Freuds Lehren le nahm fast die Hälfte einer Deutsch- Gymnasium. Durch sie kenne ich bis vom Ich, Über-Ich und vom Es durch- stunde in Anspruch. Der Rest der Zeit heute sämtliche Satzteile, Suffixe, Prä- genommen, um die „triebhafte“ Sze- verging mit der Kontrolle, wer alles kei- fixe, Morpheme, Adverbien und At- ne auf dem Hexentanzplatz gebührend ne Hausaufgaben gemacht hatte. Unser Lehrer schaffte es (zusammen mit uns, die wir willig und „hungrig“ waren), die Protokolle zu besprechen, die Hausauf- gaben durchzugehen und so viel neu- en Stoff zu behandeln, dass der nächste Protokollant ins Schwitzen kam. Mehr als eine Seite durften wir nicht schrei- ben, aber das war bei dieser Stofffülle wirklich schwer. Derzeit ist es modern, in den Zeitun- gen über die ehemaligen Deutschleh- rer herzuziehen, die einem den Zugang zur klassischen Literatur so gründlich vermasselt haben. Dies ist ein kleines Denkmal für einen Mann, der wirklich viel vermittelt hat. Ich habe in meinem Leben niemanden getroffen, den ich mit ihm auf eine Stufe stellen würde. Scha- de, dass ich ihm das nie gesagt habe. Gabriele Frydrych
5 HLZ 5/2021 zum Inhaltsverzeichnis MELDUNGEN GEW sieht Forschungsstelle Corona: Die Lage an Kitas, GEW gegen Abschiebung für NS-Pädagogik bedroht Schulen und Hochschulen von Katia und Mervan „Mit großer Bestürzung“ berichtete der Informationen zu den Auswirkungen Die GEW Hessen und der GEW-Kreis- AStA der Goethe-Universität über die der Pandemie auf Kitas, Schulen und verband Kassel-Land kritisieren die Ab- Tatsache, dass die Zeitverträge der bei- Hochschulen finden Sie in unserem Co- schiebung von Katia Kheder (16) und den Leiterinnen der Forschungsstel- rona-Blog auf den Seiten 6 und 7. Im ihrer Familie, die 2017 über Bulgari- le NS-Pädagogik Dr. Katharina Rhein Mittelpunkt stehen Impfungen, Selbst- en nach Deutschland gekommen wa- und Dr. Z. Ece Kaya weder in Dauer- tests in Schulen und die aktuelle Si- ren, und fordern, der Familie die Rück- stellen umgewandelt noch über den 31. tuation. Weitere Beiträge von Maike kehr zu gestatten. Katia Kheder stand März 2021 hinaus verlängert wurden. Wiedwald (Seite 24) und Jochem Schirp kurz vor dem Realschulabschluss an der Die Forschungsstelle war 2012 von den (Seite 26) befassen sich mit der Frage, Walter-Lübcke-Schule in Wolfhagen. Professoren Dr. Micha Brumlik und Dr. was Kinder und Jugendliche in und Sie und ihr Bruder Mervan (17) hatten Benjamin Ortmeyer gegründet worden. nach der Pandemie brauchen. Simone sichere Zusagen für Ausbildungsverträ- Die Goethe-Universität verliere dadurch Claar beleuchtet das dritte digitale Se- ge in der Altenpflege und im Baugewer- „zwei hervorragende Wissenschaftle- mester an den Hochschulen (Seite 30). be: „Geflüchtete Menschen aus Syrien, rinnen im Bereich der historischen Bil- Wir bitten die Leserinnen und Leser zu die sich innerhalb kurzer Zeit bestens dungsforschung und zwei anerkannte beachten, dass diese Ausgabe der HLZ integriert haben, mitten in Pandemie- und beliebte Lehrende, die in ihren Se- Mitte April fertig gestellt wurde. Für zeiten abzuschieben, ist für die GEW minaren über NS-Pädagogik aufklär- aktuelle Informationen und Einschät- Hessen inhuman und hat wenig mit den ten“. Die AStA-Vorsitzende Kyra Be- zungen schauen Sie deshalb auch auf ‚westlichen Werten‘ zu tun.“ ninga betonte die Notwendigkeit, „die unsere Homepage www.gew-hessen.de! Immer wieder, auch im aktuellen Nachwirkungen der NS-Pädagogik bis Fall von Katia Kheder, berichten Lehr- in die heutige Zeit zu erforschen und Bewerbungen für den kräfte und Mitschülerinnen und Mit- zugleich an die Rassismuserfahrungen Personalrätepreis bis 31.5. schüler, wie lernwillig, leistungsorien- vieler Studierender anzuknüpfen“. tiert, leistungsstark und beliebt gerade Die Sorge um den Fortbestand der Bis zum 31. Mai 2021 läuft die Be- diese Kinder und Jugendlichen sind. Forschungsstelle NS-Pädagogik als ei- werbungsfrist für den Deutschen Per- 2009 wurde die Meldepflicht für ner bundesweit einmaligen Einrichtung sonalrätepreis. Der Preis wird von der Kinder und Jugendliche mit einem un- werde durch den Umstand verstärkt, Fachzeitschrift „Der Personalrat“ ver- sicheren Aufenthaltsstatus abgeschafft, „dass der geplante Umzug der For- geben. An Themen dürfte es in den um jungen Menschen einen angstfrei- schungsstelle aus dem Bockenheimer Dienststellen nicht mangeln. Gesucht en Schulbesuch unter anderem auch in Juridicum in einen Neubau kurzfris- werden Beispiele erfolgreicher Gremi- Intensiv- und InteA-Klassen zu ermög- tig mit der Begründung abgesagt wur- enarbeit, etwa zum Umgang mit den lichen. Es ist die erklärte Position der de, die Bücher seien zu schwer“. Nach Folgen der Corona-Krise, zu Heraus- GEW Hessen, dass Schulen hierfür ei- der Zuordnung der Forschungsstelle zu forderungen durch E-Government und nen geschützten Raum bieten, in dem einer neuen Professur drohe sie zu ei- Digitalisierung, zur Verbesserung von Schülerinnen und Schüler untereinan- ner „Briefkastenfirma“ zu werden. Die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, der und zu den Lehrkräften Vertrauen GEW Hessen hat sich der Forderung an- zur Lösung von Arbeitszeitkonflikten aufbauen können. Die GEW bittet ihre geschlossen, „die Forschungsstelle NS- sowie zur Förderung und Unterstützung Mitglieder, die Petition der Schulge- Pädagogik als ein Zentrum historischer von Inklusion und Teilhabe. meinde zu unterzeichnen. Bildungsforschung zu erhalten“. • Alle Informationen: www.dprp.de • https://walter-luebcke-schule.de Unter 18 nie! Widerspruch Veranstaltungsreihe „Bildung und Migration" gegen Datenweitergabe Der Landesausschuss der Studentin- • Dienstag, 8. Juni,18 Uhr: Wie geht Auch 2020 wurden wieder über 1.000 nen und Studenten in der GEW (LASS) es weiter mit dem Religionsunterricht Rekrutinnen und Rekruten für die Bun- lädt im Rahmen seiner Reihe „Migrati- an hessischen Schulen? Auf dem Podi- deswehr angeworben, die noch nicht on und Bildung“ zu folgenden Veran- um diskutieren unter anderen Thorsten volljährig waren. Die Daten, um Ju- staltungen ein: Klug (Amt für katholische Religionspä- gendliche direkt anzuschreiben, erhält • Dienstag, 25. Mai, 18 Uhr: Bildung dagogik), Birgit Koch (GEW-Vorsitzen- die Bundeswehr von den Einwohner- als Menschenrecht - Über die Zustän- de) und Prof. Dr. Yaşar Sarıkaya (Pro- meldeämtern. Jugendliche ab 16 ha- de, Perspektiven und Diskriminie- fessur für islamische Theologie und ben das Recht, der Weitergabe ihrer rungsrisiken für neu Zugewanderte im ihre Didaktik, angefragt). Daten nicht nur an die Bundeswehr zu deutschen Bildungssystem; Referentin • Dienstag, 22. Juni, 18 Uhr: Men- widersprechen, bei Jüngeren können ist Elina Stock (Bundesausschuss Mig- schenrechte auf dem Mittelmeer – Ein dies die Erziehungsberechtigten tun. ration, Diversity und Antidiskriminie- Praxisbeispiel für antirassistische Bil- Das Bündnis Unter18nie!, in dem die rung der GEW). dungsarbeit GEW Hessen mitarbeitet, stellt auf sei- • Dienstag, 1. Juni, 18 Uhr: Anti- Die Veranstaltungen finden digital statt. ner Homepage www.unter18nie.de ein rassistische Arbeit an Hochschule und Nach einer formlosen Anmeldung an entsprechendes Online-Tool zur Ver- Universität; Referentin ist Aygün Habi- hochschule@gew-suedhessen.de wird fügung. bova (DGB-Jugend Mittelhessen). der Zugangslink mitgeteilt.
CORONA-PANDEMIE zum Inhaltsverzeichnis HLZ 5/2021 6 Corona-Blog: Was sagt die GEW? Dieser Blog informiert über Aktivitäten Dienstag, 23. März beit und ihr verantwortungsbewusstes der GEW Hessen in der Zeit zwischen Verhalten einen Beitrag zur Bekämp- Mitte März bis zur Fertigstellung dieser Die GEW Hessen sieht die Landesregie- fung der aktuellen Pandemie leisten“. HLZ Mitte April unmittelbar am Ende der rung in der Pflicht, die Beschlüsse des Osterferien. Aktivitäten der Kreis- und Bund-Länder-Gipfels schnellstens um- Bezirksverbände, der Personalräte und an- zusetzen, so dass nach den Osterferien Dienstag, 30. März derer Gremien der GEW sind hier nicht tatsächlich in Schulen und Kitas zwei Drei Tage vor den Osterferien erreicht erfasst. Alle Statements im Wortlaut un- Mal pro Woche getestet werden kann. die Schulen ein umfangreiches Materi- ter www.gew-hessen.de. Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hes- alpaket zu den angekündigten Selbst- sen, hält zusätzliche Testmöglichkeiten tests. Die Durchführungshinweise wur- Donnerstag, 18. März für eine Chance, „die Sicherheit für alle den einmal mehr am grünen Tisch der Beteiligten zu erhöhen“. Eine „flächen- Schulverwaltung aus juristischer Pers- Die Impfung der Beschäftigten in Kitas deckende“ Testung zwei Mal pro Wo- und an Grund- und Förderschulen ge- pektive verfasst, während die Stimmen che erfordere allein in Hessen zehn Mil- aus der Praxis ungehört blieben. rät durch den vorübergehenden Stopp lionen Tests pro Monat. Schnelltests, der Impfungen mit dem Impfstoff As- Selbsttests durch Kinder, die sechs die durch medizinisches Fachpersonal oder sieben Jahre alt sind, lassen sich trazeneca und die folgende Entschei- durchgeführt werden, hält die GEW für dung, diesen nur noch für Menschen vielleicht zu Hause unter der Aufsicht die beste Lösung. Falls man auf Selbst- von Eltern durchführen, in der Schule über 65 Jahre einzusetzen, ins Stocken. tests setze, dürften diese nur „zu Hau- Die GEW hatte die Ende Februar ge- werden sie nur eine falsche Sicherheit se durchgeführt werden, bei jüngeren suggerieren. änderte Impfreihenfolge begrüßt, aber Kindern mit Unterstützung der Eltern“. stets die Ausweitung auf alle Beschäf- Die GEW erhält in den nächsten Ta- tigten an Schulen gefordert. gen zahlreiche Proteste insbesondere Außerdem dürfe die Impfung kein Wochenende, 26. und 27. März aus den Grundschulen. Selbst das HKM Grund sein, die anderen Maßnahmen muss eingestehen, dass der Antigen- zum Infektionsschutz durch kleine Auch bei der – digitalen – Klausurta- Selbsttest des Unternehmens Roche „ur- Lerngruppen, kostenlose medizinische gung des GEW-Landesvorstands steht sprünglich, wie auch alle anderen son- Masken, anlassfreie Testungen, Luftrei- Corona eindeutig im Zentrum der De- derzugelassenen Antigen-Selbsttests, nigungsgeräte und einen „inzidenzge- batten. Die GEW lehnt ein zusätzliches nur für die Anwendung durch medizi- stützten Stufenplan“ schleifen zu las- „Corona-Jahr“ für alle Schülerinnen nisches Fachpersonal vorgesehen“ war. sen. und Schüler ab und spricht sich für Die Anleitungen sind zum Teil fehler- eine Konzentration der Lehrpläne auf haft und widersprüchlich: So weist das Wesentliche und die Möglichkeit das HKM auf die Möglichkeit hin, dass Freitag, 19. März zu einer freiwilligen Wiederholung ei- Testungen auch am geöffneten Fenster nes Schuljahres aus. Im Rahmen der durchgeführt werden können, nach der Die Landesregierung nimmt die Ankün- Klausurtagung berichten Kolleginnen versandten „Checkliste“ sind die Fens- digung zurück, dass ab dem 22. März und Kollegen aus Nordhessen von ih- ter während der Testung zu schließen, 2021 endlich auch die Jahrgangsstufen ren Eindrücken bei der nicht genehmig- „um das Ergebnis nicht zu verfälschen“. ab Klasse 7 im Wechselunterricht wie- ten Demonstration der selbsternannten Frustriert werden auch die Schul- der in die Schulen kommen können. Querdenker in der Kasseler Innenstadt leitungen, die umgehend die örtli- Da der Inzidenzwert landesweit wieder am 20. März 2021. In einer Erklärung chen Kreisverbände des Deutschen Ro- über 100 betrug, wurde eine Rückkehr kritisiert die GEW „alle Versuche, die ten Kreuzes (DRK) kontaktierten, die noch vor den Osterferien gestoppt. An- Pandemie zu nutzen, um die Demo- nach Angaben des HKM als „Patin- gesichts der „rasanten Beschleunigung kratie zu unterminieren und die sozia- nen und Paten“ zu Verfügung stehen. des Infektionsgeschehens“ sieht auch le Ungleichheit weiter zu vergrößern“. Auch Frank Wester, Leiter der Aus- die GEW „keine Alternative“. Die Lan- Gleichzeitig distanziere man sich aber und Fortbildung beim DRK Gelnhau- desregierung mache jedoch immer wie- von denen, „die die Pandemie leugnen sen-Schlüchtern, erfuhr erst am Tag der denselben Fehler, ausschließlich auf und unterstellen, sie sei erfunden wor- des Ministerschreibens von dem Vorha- eine Entspannung der Lage zu hoffen, den, um diese Ziele durchzusetzen“. ben. Bereits am nächsten Tag hatte er statt energische Maßnahmen zu ergrei- Der kurzfristig wieder zurückge- die Anfragen von 32 Schulen auf dem fen, die auch im gegenteiligen Fall noch nommene Aufruf für eine Demonstra- Tisch, obwohl das DRK in der Region Optionen bieten, die Schulen durch zu- tion in Hanau-Kesselstadt am Ort der mit den drei neu eröffneten Schnelltest- sätzliche Schutzvorkehrungen für alle Morde von Hanau zeige, „wie weit die zentren in Gelnhausen, Wächtersbach Kinder offen zu halten. heterogenen Proteste der ‚Querdenker‘ und Schlüchtern „an der Kapazitäts- Die GEW fordert, auch für die Kin- inzwischen von Neonazis und Rechts- grenze“ arbeitet. Er ermutigte deshalb dertagesstätten die Notbremse zu zie- extremisten gesteuert werden“. Die Vor- die Schulen zu einer Rückmeldung an hen, da die auch bei Kindern anstecken- gänge in Kassel seien auch „ein Schlag die Schulbehörde „über die überaus dere Virusmutation „zu zahlreichen ins Gesicht all jener, die seit mehr als mangelhafte Kommunikation seitens Ausbrüchen“ geführt hat. zwölf Monaten durch ihre tägliche Ar- des Landes“.
7 HLZ 5/2021 zum Inhaltsverzeichnis Mittwoch, 31. März Zufällig entdecken einige Kollegin- nen und Kollegen der weiterführen- den Schulen, dass auch sie sich jetzt im Impfportal registrieren lassen können. Schulleitungen, die sie um eine Arbeit- geberbescheinigung bitten, wissen von nichts. Erst am 31.3. erklärt das HKM in einem Schreiben an alle Schulen, „dass sich ab sofort neben dem bereits impf- berechtigten Personal von Grund- und Förderschulen auch das Personal aller anderen Schulformen in Hessen für ei- nen Impftermin registrieren kann“. Donnerstag, 1. April Die GEW richtet den Blick auf den wei- teren Schulbetrieb nach den Ferien. Für die Grundschulen empfiehlt sie die Fortsetzung des Wechselmodells, das Montag, 5. April Dienstag, 13. April eine regelmäßige Präsenz in der Schu- Am Ostermontag machen Berichte die Die GEW begrüßt es, dass die Landes- le und die Einhaltung des Abstandsge- Runde, die GEW fordere die Absage regierung die Pläne zur Rückkehr zum bots gewährleiste. Den Schülerinnen der Abiturprüfungen. Die GEW Hessen Regelbetrieb an Grundschulen aufge- und Schülern ab der Klasse 7 müsse stellt umgehend klar, dass dies nicht der geben hat. Sie wiederholt die Kritik an mindestens „eine tageweise Rückkehr in Fall ist: Eine Absage der Abiturprüfun- der Durchführung von Selbsttests in den Präsenzunterricht ermöglicht wer- gen würde „die Arbeit von Schülerin- Verantwortung der Schulen und infor- den. „Um die weiterführenden Schulen nen, Schülern und Lehrkräften in Fra- miert ihre Mitglieder über rechtliche an anderer Stelle zu entlasten, sollten ge stellen“. Allerdings fordert die GEW, und politische Möglichkeiten des Wi- nun aber auch die Abschlussklassen in dass die Hygienemaßnahmen für die derspruchs. Sehr viel sinnvoller sei die das Wechselmodell übergehen“, sagt Abiturprüfungen konsequent eingehal- in Niedersachsen erfolgreich praktizier- der stellvertretende GEW-Vorsitzende ten werden, „was man durchaus durch te Testung zu Hause mit Unterstützung Tony C. Schwarz. Die GEW begrüßt die Schnelltests noch abrunden könnte“. der Eltern und ohne die drohende Stig- regelmäßige und flächendeckende Tes- Vermutlich sei aber das schriftliche Ab- matisierung. Mit einer neuen Teststra- tung an den Schulen. Sicher und zuver- itur „viel sicherer als vieles, was derzeit tegie müsse es möglich sein, dass auch lässig könnten Schnelltests jedoch „nur den Schulen zugemutet wird“. Hinter- die höheren Klassen „wenigstens tage- von medizinischem Fachpersonal oder grund der Falschmeldungen war ein In- weise“ wieder in den Unterricht kom- zuhause mit Unterstützung der Eltern“ terview der GEW-Bundesvorsitzenden men. Zur Entlastung könne man in den durchgeführt werden. Marlis Tepe: Dort hatte sie einen „Plan Abschlussklassen in den Wechselunter- B“ gefordert, wenn die Kultusministe- richt gehen. Auch ein schnelles Impfan- rien das Abitur aufgrund der Entwick- gebot für alle Beschäftigten an Schulen Petition für kleinere Klassen lung der Pandemie absagen müssen. könne dies beschleunigen. Auch den Eltern von Kita-Kindern Elternbeiräte des Gustav-Stresemann- Montag, 12. April sollten geeignete Selbsttests zur Ver- Gymnasiums in Bad Wildungen brach- fügung gestellt werden. Ohne das re- ten Mitte April eine Petition an das Die Landesregierung gibt bekannt, dass gelmäßige Testen der Kinder fehle „ein Hessische Kultusministerium auf den der Unterricht nach den Osterferien in wichtiges Instrument, um konkrete In- Weg, die bestehende Verordnung über der vor den Ferien geltenden Form fort- fektionen unverzüglich zu erkennen die Klassengrößen ab dem kommenden gesetzt werden soll: Wechselunterricht und entsprechend zu handeln“, sagt Schuljahr zu verändern. Die „Folgen und Angebote zur Notbetreuung in den die GEW-Vorsitzende Birgit Koch. der langen Lockdown-Zeiten“ seien Klasssen 1 bis 6, Distanzunterricht für noch auf lange Zeit spürbar. Der Klas- alle anderen Klassen mit Ausnahme senteiler für die weiterführenden Schu- Freitag, 16. April der Abschlussklassen, die in geteilten len müsse deshalb auf 25 bzw. maxi- Gruppen in Präsenz unterrichtet wer- Am letzten Ferientag ist erkennbar, dass mal 27 Schülerinnen gesenkt werden: den sollen. Die Selbsttests im Präsenz- auch viele Grundschulen, die bisher im „Unterrichtet eine Lehrkraft 30 Kinder unterricht werden verpflichtend. Damit Wechselunterricht gearbeitet haben, zeitgleich, ist es kaum möglich, die verlieren die noch vor den Osterferien wieder ganz in den Distanzunterricht Schüler*innen zu fördern, den fehlen- versandten Einverständniserklärungen gehen müssen, da die Inzidenz von 200 den Lernstoff nachzuarbeiten und sie für freiwillige Selbsttests ihre Gültig- überschritten wird. individuell zu unterstützen und Prob- keit. Lehrkräfte können die Tests auch leme sensibel zu erspüren.“ Alle aktuellen Informationen: zuhause durchführen und haben eine • https://www.openpetition.de/!bgfxz dienstliche Erklärung vorzulegen. www.gew-hessen. de
DIGITALISIERUNG zum Inhaltsverzeichnis HLZ 5/2021 8 Big Blue Button und Co. Ein Streitgespräch über Videokonferenzsysteme für den Unterricht Die Mitglieder der AG Digitalisierung im GEW-Landesvorstand ohne Zwischenfragen mit zeitverzögertem und unterbro- pflegen eine lebhafte Debattenkultur: bei den früher selbstver- chenem Ton, Videokonferenzen, bei denen alle (!) Teilneh- ständlichen Präsenztreffen in der GEW-Geschäftsstelle oder im merinnen und Teilnehmer ihr Bild abschalten oder dieses DGB-Haus, bei digitalen und hybriden Video-Treffen und in lan- vom Dozenten zentral abgeschaltet wird, technische Proble- gen E-Mails. Die Ergebnisse der Diskussionen fließen in Stel- me beim Versenden von begleitenden Materialien, Kurse, bei lungnahmen und Empfehlungen der GEW ein, die unter ande- denen man einzelne Teilnehmerbeiträge akustisch nur zu 30 rem auf der Seite Digitale Schule unter www.gew-hessen.de > Prozent versteht und die deshalb vom Dozenten rigoros ab- Themen dargestellt werden. Und manchmal wird es auch rich- gebrochen werden, Diskussionen im Walkie-Talkie-Stil, die tig emotional, wie in dem folgenden Mailwechsel zwischen ei- nem Hochschuldozenten und der Lehrerin an einem Oberstufen- nicht vorankommen, weil der Moderator oder die Moderato- gymnasium, den wir mit ihrer Zustimmung in gekürzter Fassung rin nicht damit klarkommt, die Diskutanten aufzurufen oder veröffentlichen. Wortmeldungen zu bemerken und zu verwalten oder Leute zu bitten, sich kürzer zu fassen, technische Besprechungen, um gemeinsam eine Liste durchzugehen, wer alles seinen Ar- Der Kollege: „Videokonferenzsysteme im Unterricht sind päda- beitsbeitrag noch nicht fristgemäß eingereicht hat, und ähn- gogisch grenzwertig. Das weiß ich auch aus der Hochschule.“ licher Schwachsinn. Wir sollten als Gewerkschaft das deutliche Signal formulie- Angesichts solcher Erfahrungen halte ich es auch für ren, dass wir für eine Digitalisierung der Schulen sind, aber falsch, beim Thema VK die ganze diskursive Belastung auf nicht erzwungen gegenüber den Lehrkräften. Wir sollten aber den deutschen Datenschutz zu lenken. Der steht internatio- vor allem betonen, dass Unterricht mit Hilfe von Videokon- nal auch so schon unter starkem Beschuss und die entspre- ferenzsystemen (VK) pädagogisch wenig sinnvoll ist: chende Lobby unternimmt große Anstrengungen, ihn via • Die VK-Systeme sind technisch noch lange nicht ausge- Brüssel zu kippen oder auszuhöhlen. Es gibt genug Stimmen, reift und sie befördern antiquierte Unterrichtsmodelle und dass man den „Scheiß-Datenschutz, der alles behindert und Kommunikationsformen. verhindert“, endlich weg haben will. So hat der CDU-Frak- • Die Übertragung von Unterricht per Video ist der unvoll- tionsvorsitzende Ralph Brinkhaus kürzlich gefordert, die 16 kommene Versuch der Überführung des Nichtdigitalen ins Landesdatenschutzbeauftragten abzuschaffen und ihre Auf- Digitale. Was zeitversetzt viel effizienter zu erledigen wäre, gaben in einer zentralen Behörde zu bündeln. Selbst wenn wird stattdessen in eine synchrone Sitzung gepackt, in der die VK-Systeme datenschutzkonform wären, sind sie päda- alle gemeinsam ihre Zeit absitzen müssen. Es entsteht viel gogisch immer noch einfallslos und höchst grenzwertig und Leerlauf, wenn man darauf wartet, dass man endlich ange- man benötigt dringend vernünftige digitale, gerne auch ana- sprochen wird oder dass etwas Wichtiges gesagt wird. loge Alternativen! Der kreative Input dafür muss aber von • Die Nutzung von VK-Systemen für Einzelgespräche zwi- Lehrerseite kommen. schen Lehrenden und Lernenden und für Kleingruppen kann manchmal Sinn machen. Für andere Formen des Fernunter- Eine Kollegin: „Ich erlebe es selbst: Videokonferenzsysteme er- richts sind bessere Methoden und Strukturen zu entwickeln möglichen Unterricht mit Sinn, Verstand und Spaß. “ und zu erproben. Wer hat das denn gedanklich in Stein gemeißelt, dass Unter- • Videokonferenzen sind einfallslos und oft nur deshalb das richt per VK antiquiert ist? Das gilt nach meinen Erfahrungen erste Mittel der Wahl, weil sie sich leicht anberaumen las- nur dann, wenn die Voraussetzungen für interessierte Kolle- sen. Gedanken über bessere Alternativen für eine bestimm- ginnen und Kollegen nicht stimmen oder der Wille fehlt. Hier te Aufgabe finden dann nicht mehr statt. mal ein paar Eindrücke aus meinem Englischunterricht, aber Meine Vorbehalte speisen sich auch aus den aktuellen ich könnte dir viele Beispiele meiner Kolleginnen und Kol- Erfahrungen an der Universität: 90-minütige Vorlesungen legen geben, die VK-Systeme im Unterricht auch in anderen Fächern ähnlich – vielleicht auch noch besser – einsetzen: Die Schülerinnen und Schüler finden im Schulportal einen HLZ-Titelthema: Digitale Schule Hessen Text, ein Video, ein Gedicht, eine Grafik, eine Matheaufga- Im Titelthema dieser HLZ finden Sie folgende Beiträge: be oder einen Link vor, mit denen sie sich in his or her own • Videokonferenzen: Ein Streitgespräch (S. 8 f.) time, spätestens aber bis zum Beginn der VK beschäftigen • Datenschutz: Hemmschuh oder Heiligtum? (S.10 f.) sollen. Schwächeren Schülerinnen und Schülern empfehle • Digitale Endgeräte für Unterricht und Dienstgeschäfte (S.12 f.) ich, dies zur Vorbereitung auf Englisch gerne mal via Telefon, • Datenschutz: Erfahrungen eines Schülers (S.14 f.) Threema-Sprachnachricht oder sonst wie mit einem Partner • Befristete Duldung von Microsoft Teams läuft aus (S.14) oder einer Partnerin zu üben. Machen sie auch! Dann tref- • Das Schulportal Hessen: Erfahrungen aus der Praxis (S.16 f.) fen wir uns in der VK. Nicht immer die vollen 90 Minuten, • Medienerziehung und Medienbildung (S.18 f.) sondern oft nur 30 oder 40 Minuten. Ich bin von Anfang an • Open Source: Nur ein Mythos? (S.20 f.) da und ansprechbar. Ich rede kurz möglichst mit allen, fra- Weitere Informationen und Diskussionsbeträge findet man un- ge, wer Schwierigkeiten mit der Aufgabe hat, und wir erklä- ter www.gew-hessen.de > Themen > Digitale Schule Hessen ren es uns gegenseitig. Dann kommt eine Erarbeitungspha-
9 HLZ 5/2021 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA se. Dazu arbeiten sie nach Wunsch allein oder ich teile die Lerngruppe in der VK in Breakout Rooms, denen ich beitre- ten, die ich belauschen oder einfach in Ruhe arbeiten lassen kann. Die Schülerinnen und Schüler wissen das, sie finden es witzig, zu spekulieren, ob ich kurz reingehört habe, und reden - jedenfalls die meisten - konsequent Englisch. Sie können aber auch im Chat um Hilfe schreien, dann komme ich um die Ecke und helfe! So können sie Englisch auch sprechen und nicht nur le- sen. Sie schreiben gemeinsam Texte, schauen oder hören sich Trump (zum Glück nicht mehr!), Biden, Harris oder die Shakespeare Company an. Sie können Videos oder Grafiken teilen, diskutieren, eigene Materialien hochladen, also das, was sie in der Klasse auch tun würden. Nach 20 oder 30 Mi- nuten sind sie – so wie es zeitlich passt - wieder im Plenum. Wir vergleichen Ergebnisse, diskutieren erneut, halten Ergeb- nisse fest. Die Screenshots sind tausendmal besser als mein früheres Gekrakel auf der zu kleinen Tafel! Ja, ab und zu fliegt bei BBB einer raus, aber selten. Alle haben Geräte, zum Teil über die Schule. Für die, deren WLAN mies läuft, sind die Aufgaben immer so gestellt, dass sie nach drei Einlogg-Versuchen auch alleine weiter machen können: Jeder Diskussionsauftrag ist auch ein potentieller Schreib- Ich kann nur sagen: Für mich sind BBB, Moodle und an- Foto:123rf.com | auftrag, alle Aufträge gehen auch allein, ich muss keine ex- dere nützliche digitale Tools und Systeme unverzichtbar. Denys Kurbatov tra erstellen. Das Gesamtpaket ist schon erstmal Mehrarbeit, Dazu gibt es gute Materialien, schön in Abiturvorbereitungs- genauer, mehr Arbeit, keine Frage, denn ich musste mich ordnern sortiert, auch für die Ordnungssystemschwachen. Ar- erst reintüfteln. beitszeit im Vergleich zum März 2020 um ein Drittel redu- Aber es ist letztlich viel sinnvoller als das endlose Hin- ziert, Spaß um 90 Prozent hoch! und Herschicken von Aufgaben, mit denen die Schülerinnen Wo wir das alles gelernt haben? Auf jeden Fall nicht in und Schüler nicht wirklich klarkommen und die man dann einer Fortbildung. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in noch wie blöd korrigieren muss. Hab ich im März 2020 ver- der wir uns stützen. Und es gibt an der Schule selbst initi- sucht. War Kacke! Es war ein irrer Aufwand, die Aufgaben, ierte und nicht verordnete Netzwerke von Kolleginnen und die die Schülerinnen und Schüler irgendwie erledigt haben, Kollegen für Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß, ich bin dann mit einem aussagekräftigen Feedback zu versehen. Es in einer komfortablen Situation: Meine Schule ist gut aus- gibt Kolleginnen und Kollegen, die 150 oder 200 Schülerin- gestattet und meine Schülerinnen und Schüler haben den nen im Distanzunterricht fördern sollen: Da ist schon das schlimmsten Teil der Pubertät hinter sich. Es gibt Proble- regelmäßige Rückmelden eine unmögliche Aufgabe, wie die me. Viele. Aber nicht nur. Vielleicht sollte die GEW mal ei- folgende Rechnung zeigt: Aufgabe herunterladen und lesen nen Leitfaden für richtig guten Digitalunterricht entwerfen? und kurzes Feedback schreiben macht zusammen mindes- tens 20 Minuten mal 150 Schülerinnen und Schüler = 3.000 Der Kollege: „Letztlich liegt es nicht an der Technik, sondern Minuten oder 50 Arbeitsstunden nur für das Feedback. Und an der pädagogischen Professionalität.“ da reden wir noch nicht von ausführlichen Korrekturen oder Ich finde es klasse, wie du damit umgehst, und es freut mich individueller Beratung, auch noch nicht von der Unterrichts- zu hören, dass du in deinem Kollegium damit nicht allei- vor- und -nachbereitung und der Erstellung von Materialien! ne bist. Aber mir bleibt wichtig zu betonen, dass das Gan- Und dann ist da die soziale Komponente des VK-Unter- ze nicht am Videokonferenzsystem per se liegt, sondern richts: Wir lachen viel. Ich begrüße oft mit einem Cartoon vor allem an der pädagogischen Professionalität, mit der oder einem netten Bild. Während jemand redet, können ande- jemand mit diesem Instrument umgeht und mit der er oder re im Chat Anmerkungen machen und Fragen stellen: „Could sie selbstverständlich auch immer einen anderen Weg fin- you repeat that, didn‘t get it!“ „Super idea!“ „Disagree! I‘ve den würde, wenn es dieses Gerät nicht gäbe. Lehrer haben read the text differently!“ Das ist effizienter als manches Un- diese kreative Professionalität eher als andere lehrende Be- terrichtsgespräch, weil sich oft alle beteiligen und ein „Chat- rufsgruppen und sie fällt auch nicht vom Himmel. Das in gewitter“ entsteht. Der Chat oder das im Mehrbenutzermodus der Öffentlichkeit zu betonen, halte ich für immens wichtig. verwendete Whiteboard kann als Stundenprotokoll dienen. Deine Rechnung mit dem Feedback halte ich allerdings für Am Ende gibt’s allgemeine Fragen, gegenseitigen „Wir pa- falsch: Im Präsenzunterricht gibst du auch nicht jeder Schü- cken-das!-Corona-Support“, auch mal Blödeleien oder die lerin und jedem Schüler regelmäßig zehn Minuten ausführ- Lehrerin spielt ein Muppetvideo ein. liches Feedback… BBB kann für mich alles, was ein Klassenraum auch kann. Und mit der erneuten Antwort der Kollegin, dass sie für das, Nein, manches fehlt: Cookies und Vanillekuchen, die jemand was sie in einer Minute sagt, zehn Minuten tippen muss, geht mitbringt, weil sein Handy in der Stunde klingelte, das phy- die Diskussion munter in die nächste Runde. Alles getippt, ver- sische „Feeling“ für den Kurs und das „Zusammensein“, wie steht sich, denn die Zeit in der Videokonferenz der AG Digita- man es kennt. Und die Gesichtsausdrücke, wenn ein Witz gut lisierung reicht für einen solchen Meinungs- und Erfahrungs- war, denn die Schülerinnen und Schüler können die Web- austausch natürlich auch nicht aus... cam an- oder auslassen, wie sie wollen. Bearbeitung: HLZ-Redaktion
DIGITALISIERUNG zum Inhaltsverzeichnis HLZ 5/2021 10 Digitale Grundrechte Der Datenschutz zwischen „Ayatollahs“ und „Desperados“ Im Brennglas der Pandemie weiß nun jede:r, dass die Schu- len Jahren von der Lehrkräfteakademie mit seiner Philosophie len den digitalen Standards in der Gesellschaft meilenweit der Datensparsamkeit by design entwickelt wird und erst vor hinterherhinken. Seitdem wird vor allem bei den politisch drei Jahren den ministeriellen Ritterschlag erhielt, bis heute Verantwortlichen rhetorisch der Turbo der nachholenden allein von abgeordneten Lehrkräften ohne eine einzige IT- Entwicklung gezündet. Mangels einer zeitgemäßen IT-In Fachkraft gestemmt werden. frastruktur und einheitlicher Vorgaben aus Wiesbaden ste- • Gleichzeitig verbaut die Ayatollah-Perspektive hinnehm- hen die Schulen seit letztem Frühjahr vor riesigen Heraus- bare Kompromisse zwischen dem Datenschutz und dem Recht forderungen, um Distanzunterricht als „das neue Normal“ auf Bildung, da der Weg zu der noch fehlenden öffentlichen gestemmt zu bekommen. Im gesellschaftlichen Diskurs über IT-Infrastruktur und der damit herzustellenden Datensouve- das Wie und Wann der nachholenden Digitalisierung und ränität der Schulen mit Sicherheit noch ein weiter sein wird. die digitalen Grundrechte scheiden sich die Geister vor al- Der Jurist Buermeyer setzte auch bei der Corona-Warn- lem beim Thema Datenschutz (1). App auf die Güterabwägung zwischen dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Wahrung von Privatsphäre und in- formationeller Selbstbestimmung der App-Nutzer:innen. In Von Datenschutz-Ayatollahs... diesem Spannungsverhältnis galt es konkret zu bestimmen, Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheits- wie die via Bluetooth getrackten personenbezogenen Daten rechte, prägte in der Diskussion um die Corona-Warn-App verarbeitet werden und welche Behörde zu welchem Zweck der Bundesregierung den Begriff des „Datenschutz-Ayatol- welche Daten auswerten kann. Ganz wesentlich zur Wahrung lahs“ (2). Auf die Datenschutzdebatten in den Schulen über- der Rechte der Bürger:innen ist, dass die App-Macher:innen tragen passt er auf den ersten Blick in das Framing der- ihre Entscheidungen gegenüber den App-Nutzer:innen trans- jenigen, die sich selbst als pragmatische Enthusiast:innen parent machen, die die App dann freiwillig herunterladen der Digitalisierung begreifen. Die „Ayatollahs“ sind in die- können. Was heißt das für die Schule? ser Perspektive diejenigen, die mit dem Datenschutz in der Pandemie die Nutzung digitaler Medien für den Distanzun- Abwägung von Grundrechten terricht blockieren und sich mit größter Emphase und dog- matischer Strenge auf die Suche nach jeder noch so kleinen Buermeyer und andere zeigen auch für die Schule Wege für Möglichkeit eines Datenlecks in der Corona-Warn-App und einen Umgang mit dem Datenschutz auf, der nicht hand- anderswo machen – und selbstredend auch fündig werden. lungsunfähig macht. Sicher, der Vergleich mit der Coro- Im Schulkontext lassen sie sich dann gut erkennen, wenn na-Warn-App hinkt, weil sich Schülerinnen, Schüler und vor Ort bereits vergleichsweise hohe Datenschutzstandards Lehrkräfte unter Pandemiebedingungen nur sehr bedingt frei- erreicht worden sind. Der „Datenschutz-Ayatollah“, es sind in willig in die „Schule am Draht“ begeben. Doch um die Abwä- der Empirie wirklich überwiegend Männer, sucht und findet gung des Grundrechts auf Bildung und des Grundrechts auf immer weitere Gründe, die eine Nutzung digitaler Plattfor- informationelle Selbstbestimmung kommen auch sie nicht men und digitaler Tools bis auf Weiteres unmöglich machen. herum! Die Abwägung muss an jeder Schule erfolgen, den konkreten Stand der Digitalisierung der Schulgemeinde be- trachten und kurz- und langfristige Schritte hin zu einer da- … und Datenschutz-Desperados tensouveränen IT-Infrastruktur aufzeigen. Kolleginnen und Kollegen, denen der Datenschutz erkennbar So gab es während der ersten Schulschließung im Früh- am Herzen liegt, fühlen sich durch die Begrifflichkeit kari- jahr 2020 durchaus nachvollziehbare Gründe, auch digitale kiert und sehen zugleich in den anderen die „Datenschutz- Tools und Plattformen für unterrichtliche Zwecke möglichst Desperados“, die die Möglichkeit der Datensouveränität in datensparsam zum Einsatz zu bringen, die in Sachen Daten- digitalen Netzwerken in der Schule als weltfremde Vorstel- sicherheit und Datenschutz zumindest bedenklich sind. Der lung hinstellen und den Plattform-Kapitalismus mit seiner Ansturm der Schulen auf das SPH war immens, und die Auf- Tendenz, digitale Infrastruktur in die Verfügungsgewalt we- nahme konnte mit den begrenzten Ressourcen nur mit War- niger Tech-Giganten zu legen, zum Naturgesetz erheben. tezeit realisiert werden. Das rechtfertigt es jedoch nicht, die Statt sich mit müßigen Datenschutzfragen zu quälen, prei- damals gefundenen Lösungen auf Dauer beizubehalten und sen sie die Chancen der vielfältigen Tools und kommerziel- die digitalen Grundrechte der Beteiligten weiter dem Despera- len Lern- oder Büroplattformen und verklären den Service do-Opportunismus zu opfern. Genauso wenig ist es gerecht- der leistungsstarken Giganten zur Lösung der sozialen Frage fertigt, die Einsatzmöglichkeiten sehr stark einzuschränken. im Distanzunterricht. In diesen holzschnittartigen Framings Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informa- haben beide Seiten große blinde Flecken: tionsfreiheit (HBDI) hat den Weg zwischen Skylla und Cha- • Die Desperado-Perspektive verstellt die Sicht auf die po- rybdis gesucht, für alle „gängigen Videoplattformen“ eine litische Verantwortung des Hessischen Kultusministeriums „befristete Duldung“ ausgesprochen (allerdings ohne Aufla- (HKM) für die Wahrung der Datensouveränität der Schulen. gen zur Datensparsamkeit) und jetzt eine Nutzung über den Schließlich muss das Schulportal Hessen (SPH), das seit vie- 1.8.2021 hinaus untersagt (HLZ S.14).
11 HLZ 5/2021 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA Schulen, die zu Beginn der Schulschließungen eine kom- merzielle Lern- oder Büroplattform gewählt haben, haben bewusst oder unbewusst in Kauf genommen, dass sie dafür mit den Meta-Daten von Schülerinnen, Schülern und Lehr- kräften bezahlen. Diese Daten fließen in die Entwicklung al- gorithmischer Entscheidungsverfahren ein, die künftig das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler messen und Bil- dungschancen gewähren oder versperren könnten (3). Viele Schulleitungen kennen ihre Pflichten nicht, die sie als daten- verarbeitende Stelle nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben, oder sie werden vernachlässigt oder gar ge- leugnet (4). Von einer Aufklärung der Betroffenen über die aufkommende Ungleichbehandlung ganzer gesellschaftlicher Gruppen via Datenanalyse sind wir weit entfernt. Das HKM hat sich seinerseits erst spät und mit der übli- chen Geheimniskrämerei daran gemacht, die Datenschutz- konformität des Schulportals auf den Weg zu bringen. Das ist ärgerlich und behindert die Mitbestimmungsrechte des Hauptpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) bei essenziellen Dingen wie dem Verfahrensverzeichnis, den Rol- lenkonzepten oder der Risikofolgenabschätzung. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich eine Perspektive auf eine nach- HLZ-Autor Dirk Kretschmer sieht „durchaus nachvollziehbare Grün- holende Datensouveränität der Schulen nur im Rahmen des de“, warum mangels öffentlicher Alternativen beim ersten Lockdown SPH realisieren lässt (HLZ S.13). im Frühjahr 2020 „auch digitale Tools und Plattformen der Tech- Giganten zum Einsatz kamen, die in Sachen Datensicherheit und Datenschutz zumindest bedenklich sind“. Das rechtfertige jedoch Das Schulportal unterstützen und hinterfragen nicht, „die damals gefundenen desperaten Lösungen auf Dauer bei- Würde sich das HKM aus dem Paradoxon herausbegeben, Da- zubehalten und die digitalen Grundrechte der Beteiligten weiter aus tenschutz hinter verschlossenen Türen vorantreiben zu wol- Opportunitätsgründen zu opfern“. (Bild: Dieter Tonn) len, würde sich die großartige Chance eröffnen, das Schul- portal zu einem virtuellen Lernort für digitale Grundrechte renzen und für die Vertretungen der Schülerinnen, Schüler in den Schulgemeinden zu machen: und Eltern - einzeln und gemeinsam? • Das Schulportal könnte ein Lernort für die Fortbildung der • Welche Restrisiken gibt es für die Einzelnen und für die Kollegien werden und Lehrkräfte in die Lage versetzen, den Gesellschaft und lassen sie sich beseitigen oder sind sie in Schüler:innen einen mündigen Umgang mit den kleinen und Kauf zu nehmen? großen Computern vorzuleben, die unser aller Leben prägen. Die Chancen für ein umfassendes Demokratie-Lernen in • Das Schulportal würde so auch zu einer Werkstatt zur Ver- einer kollektiven Praxis und für eine progressive Digital- und änderung des Unterricht. Der vielgestaltige Einfluss, den die Bildungspolitik liegen auf der Hand. Und die GEW wäre nicht digitale Vernetzung in immer mehr Bereichen unserer Gesell- meine GEW, wenn sie nicht zum Motor eines solchen Pro- schaft ausübt, gehört in den Unterricht, in Fächer wie Ethik zesses würde! Personalräteschulungen zu den Datenschutz- und PoWi und in fächerübergreifende Vorhaben, nicht nur konzepten des Schulportals sowie übersichtliche Informati- an Projekttagen. Digitale Mündigkeit ist mehr als die Ver- onsmaterialien könnten ein Anfang sein. mittlung der technischen Seite der digitalen Medaille im In- Lasst uns die Digitalisierung unserer Schulen als Kampf- formatikunterricht. ansage für unsere digitalen Grundrechte anpacken, anstatt Grundlage all dessen ist ein anderes Verständnis von Di- sie bewusstlos der destruktiven Dialektik von Datenschutz- gitalpolitik, das einer fortschrittlichen Gesellschafts- und Bil- Desperados und Datenschutz-Ayatollahs zu überlassen. dungspolitik verpflichtet ist, wie es unter anderem von der Dirk Kretschmer Initiative „Chaos macht Schule“ vertreten wird (5). Unterstüt- Dirk Kretschmer ist Lehrer an der Max-Beckmann-Schule, einem zen und hinterfragen wir also das Schulportal: Oberstufengymnasium in Frankfurt, und Mitglied der GEW-Fraktion • Wie stärkt das Schulportal die Datensouveränität der im Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Staatlichen Schule gegenüber der Nutzung kommerzieller Lösungen der Schulamt Frankfurt. Tech-Giganten? (1) vgl. Rainer Mühlhoff: Warum wir gerade jetzt eine Debatte über • Wie unterscheiden sich Datensicherheit und Datenschutz Datenschutz brauchen. In: netzpolitik.org; Kurz-URL: https://ogy. auf meinem privaten Smartphone, in der SPH-App „Mein de/5s64 Unterricht“ oder bei der Gestaltung einer Präsentation mit (2) Buermeyer beteiligt sich an der Debatte vor allem über den dem SchulMahara? Politik-Podcast „Lage der Nation“, den er mit dem Journalisten • Welchen Grad an Transparenz wird das Datenschutz- Philip Banse betreibt. URL: https://lagedernation.org (3) vgl. Sigrid Hartong: Learning Analytics und Big Data in der konzept des HKM für das SPH bieten? Wie steht es um die Bildung. GEW-Schriftenreihe Bildung in der digitalen Welt (11/19). mögliche und notwendige Transparenz? Welche politischen, (4) vgl. HLZ S.13 und Dirk Kretschmer: Lernplattformen nachhaltig ökonomischen und juristischen Motive verfolgt die Landes- gestalten. In: HLZ 12/2020. S. 24f. regierung? (5) Chaos macht Schule: Forderungen für eine zeitgemäße digitale • Welche gestaltenden Handlungsmöglichkeiten bieten sich Bildung an unseren Schulen. Download auf der Homepage des für Personalräte und Schulleitungen, für die Gesamtkonfe- ChaosComputerClubs, Kurz-URL: https://ogy.de/yf9j
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