Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
Zeitschrift der          Hessen
 für Erziehung, Bildung, Forschung

74. Jahr       Heft 5             Mai 2021
                          zum Inhaltsverzeichnis

   T I T E LT H E M A :
        Digitalisierung
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
GEW                                                                                                                                                  HLZ 5/2021          2

                                                                                                                                Zeitschrift der GEW Hessen
                               Nach der Wahl:                              Steuererklärung:                                     für Erziehung, Bildung, Forschung
                        Ergebnisse der Personalratswahl             Wie hoch war der GEW-Beitrag?                               ISSN 0935-0489

                       Bei Erscheinen dieser HLZ ist die Per-       Auch wenn es inzwischen nicht mehr         I     M      P      R     E      S     S     U       M
                       sonalratswahl an Schulen und Hoch-           erforderlich ist, die Belege zur Einkom-
                       schulen und in der Bildungsverwaltung        mensteuererklärung vorzulegen, haben       Herausgeber:
                       abgeschlossen. Über die Ergebnisse in-       wir in den letzten Monaten wieder-         Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                                               Landesverband Hessen
                       formiert die HLZ in der Juni-Ausgabe.        holt auch in der HLZ darüber infor-        Zimmerweg 12
                       • Aktuelle Informationen finden Sie          miert, wo man die Informationen über       60325 Frankfurt/Main
                       schon jetzt unter www.gew-hessen.de.         die Höhe des im Jahr 2020 entrichte-       Telefon (0 69) 971 2930
                                                                                                               Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                                    ten Beitrags finden kann. Dazu gibt es     E-Mail: info@gew-hessen.de
                            20. Mai: GEW meets UCU                  folgende Wege:                             Homepage: www.gew-hessen.de

                       Die englische University and College         • Der Quittungsbetrag für das Vor-         Verantwortlicher Redakteur:
                       Union (UCU) ist mit 140.000 Mitglie-         jahr erscheint automatisch auf dem         Harald Freiling
                                                                    Kontoauszug für die erste Beitragsab-      Klingenberger Str. 13
                       dern eine der stärksten Hochschul-                                                      60599 Frankfurt am Main
                       gewerkschaften Europas. 2019 orga-           buchung ab FEBRUAR 2021. Der Text          Telefon (0 69) 636269
                       nisierte sie eine lange, erfolgreiche        zur Höhe des bezahlten Beitrags steht      E-Mail: freiling.hlz@t-online.de

                       Streikbewegung gegen die Kürzung der         am Ende.                                   Mitarbeit:
                       Renten. Bei einem Online-Meeting von         • Grundsätzlich gelten bei der Steu-       Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch-
                                                                    er auch alle Kontoauszüge. In der Re-      schule), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestim-
                       GEW und UCU im Rahmen der Partner-                                                      mung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette
                       schaft der Universitäten Birmingham          gel bucht die GEW den Beitrag alle drei    Loycke (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung),
                       und Frankfurt geht es um aktuelle Ge-        Monate ab.                                 Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik

                       werkschaftsthemen und die internatio-        • Die Beitragsquittungen für 2018,         und Gewerkschaften), Simone Claar (Hochschule)

                       nale Solidarität in Zeiten der Pandemie.     2019 und 2020 kann man nach der            Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                       Die Veranstaltung in englischer Spra-        unkomplizierten Einrichtung eines Be-      Titelthema: Harald Freiling, AG Digitalisierung
                       che findet am 20. Mai um 18 Uhr statt.       nutzeraccounts auch online im Mitglie-
                                                                                                               Illustrationen:
                       • Anmeldungen bis zum 11. Mai 2021:          derbereich der GEW unter www.gew.de/       Dieter Tonn (Titel, S. 11, 17), Thomas Plaßmann (S. 7,
                       geschaeftsfuehrung@gew-hessen.de             beitragsbescheinigung abrufen.             25, 32), Träger & Träger (S. 15), Ruth Ullenboom (S. 4)
                                                                                                               Fotos, soweit nicht angegeben:
                                                                                                               GEW
                                                 Ihr Kontakt zur GEW Hessen
                                                                                                               Verlag:
                       Die Landesgeschäftsstelle der GEW            • Die Landesrechtsstelle ist telefo-       Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                       Hessen ist wie andere Bereiche von           nisch unter der Nummer 069-971293-         Niederstedter Weg 5
                                                                                                               61348 Bad Homburg
                       den Bestimmungen zur Bekämpfung              23 zu erreichen. Die Sprechzeiten sind
                       der Corona-Pandemie weiterhin betrof-        montags, dienstags und donnerstags         Anzeigenverwaltung:
                                                                                                               Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                       fen. Deshalb bitten wir darum, An-           von 13.30 bis 15.30 Uhr und mitt-          Peter Vollrath-Kühne
                       fragen möglichst per E-Mail an uns           wochs und freitags von 10 bis 12 Uhr.      Postfach 19 44
                       zu richten.                                  Vorabinformationen per Email erleich-      61289 Bad Homburg
                                                                                                               Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                       • Die Landesgeschäftsstelle errei-           tern die Beratung: rechtsstelle@gew-       E-Mail: mlverlag@wsth.de
                       chen Sie mit einer E-Mail an info@           hessen.de
                                                                                                               Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                       gew-hessen.de und unter der Telefon-         • Alle weiteren Kontaktdaten unse-         Bad Homburg
                       nummer 069-9712930. Die Sprechzei-           rer hauptamtlichen Referentinnen und
                                                                                                               Bezugspreis:
                       ten sind montags bis donnerstags von         Referenten und unserer Mitgliederver-      Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                       10 bis 11.45 Uhr und von 12.45 bis           waltung finden Sie auf unserer Home-       schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                       15.30 Uhr sowie freitags von 10 bis          page unter www.gew-hessen.de > Kon-        sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                                                                                                               enthalten.
                       11.45 Uhr und von 12.45 bis 13.30 Uhr.       takte > Landesgeschäftsstelle
                                                                                                               Zuschriften:
                                                                                                               Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                        Rubriken                                     30 Hans-Jürgen Irmers Wetzlar-Kurier
      Aus dem Inhalt

                                                                                                               wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                                                                     31 Ein neues Corona-Semester              öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                        4   Spot(t)light                                                                       vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                        5   Meldungen                                32 Vergabe- und Tariftreuegesetz          nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                                                                                                               übereinstimmen.
                       34   Recht: Krankenversicherung               Titelthema: Digitalisierung
                       36   Briefe
                                                                      8 Videokonferenzen im Unterricht
                       37   Nachrufe                                                                           Redaktionsschluss:
                                                                     10 Digitale Grundrechte im Kreuzfeuer
                       38   Jubilarinnen und Jubilare                                                          Jeweils am 5. des Vormonats
                                                                     12 Corona-Computer für den Unter-
                        Einzelbeiträge                                  richt oder dienstliches Endgerät?
                        6   Corona-Blog: Was sagt die GEW?           14 Datenschutz: Erfahrungen eines         Nachdruck:
                                                                        Schülers aus Hessen                    Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                       21   Referendariat in der Pandemie                                                      gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                       22   Lehrerarbeit in Hessen                   16 Das Schulportal Hessen                 genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                       24   Mehr Zeit für soziales Lernen            18 Medienerziehung & Medienbildung        Genehmigung der Redaktion und des Verlages.

                       26   Kinder  und  Jugendliche in der Krise    20 Mythos Open Source                     Druck:
                                                                                                               Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH
                       28   LSV: Bildung und Gerechtigkeit           40 lea-Fortbildungsprogramm               Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
3     HLZ 5/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                    KOMMENTAR

    Sand im digitalen Getriebe
    Neben zunehmenden Problemen im Bereich Medien­              ren. Einzig kommerzielle Plattformen wie Microsoft
    erziehung und Jugendmedienschutz (HLZ S.16) hat             Teams oder Zoom funktionierten zuverlässig, sind
    die Coronakrise unerbittlich aufgedeckt, dass es der        aber aus Gründen des Datenschutzes heftig umstrit-
    deutschen Schullandschaft an allen Ecken und En-            ten. Dass sich die Situation inzwischen nicht mehr
    den an leistungsfähiger Infrastruktur und Hardware,         ganz so desaströs darstellt wie noch im März 2020,
    IT-Support und Medienkompetenz mangelt.                     ist vor allem der Eigeninitiative vieler Lehrkräfte ge-
       Der IT-Support für Schulen ist Lichtjahre vom            schuldet, die auf eigene Kosten ihre private Hard-
    professionellen Standard entfernt, wie er in Fir-           ware aufrüsteten und in Sachen Digitalkompetenz
    men und Behörden selbstverständlich ist. Dort wird          deutlich zugelegt haben, was insbesondere dem gro-
    eine volle IT-Stelle pro rund 100 Endgeräten ange-          ßen Engagement der IT-Fachgruppen an den Schu-
    setzt, während an vielen Schulen eine einzige Lehr-         len zu verdanken ist.
    kraft mit einer Wochenstunde Unterrichtsentlastung              Auf der technischen Seite stehen schnelle Inter-
    in Do-it-yourself-Manier über 100 Endgeräte admi-           netanbindungen, WLAN in den Klassenräumen, pro-
    nistrieren soll…                                            fessioneller Support und leistungsfähige, zuverläs-
       Von daher war das digitale Lockdown-Debakel für          sig funktionierende Lernplattformen auf der Agenda.
    Schulinsider keine Überraschung, denn Deutschlands          Schülerinnen und Schüler sind mit Endgeräten aus-
    Schulen rangieren seit zwei Jahrzehnten in sämtli-          zustatten, denn der digitale Schulerfolg darf nicht
    chen internationalen Studien zur Digitalisierung un-        vom Bankkonto ihrer Eltern abhängen. Und Lehrkräf-
    ter „ferner liefen…“. Im November 2019 landete das          te brauchen schon aus Gründen des Datenschutzes
    deutsche Bildungswesen in der CEPS-Vergleichsstu-           Dienstgeräte für den digitalen Unterricht. Schließlich
    die unter den EU-Mitgliedsländern im Bereich E-             muss auch der Chirurg sein OP-Besteck nicht selbst
    Learning auf dem letzten Platz. Dass unter diesen           beim Discounter kaufen!
    Voraussetzungen Onlineunterricht nicht erfolgreich              Im pädagogischen Bereich gilt es, ein Aus- und
    laufen konnte, war vorprogrammiert. Aber auch ein           Fortbildungskonzept zur Digitalkompetenz aufzuset-
    Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist noch immer              zen, das in den Universitäten und Studiensemina-
    jede Menge Sand im Getriebe – was zu allerletzt den         ren beginnen und mit kontinuierlicher, fachspezifi-
    Schulen anzukreiden ist.                                    scher Fortbildung der Lehrkräfte fortgesetzt werden
       Als die Schulen Mitte März 2020 bundesweit zum           muss. Hier sind die Bereiche Medienbildung, Medien­
    Distanzunterricht wechseln mussten, wurde schlag-           erziehung und Jugendmedienschutz gleichermaßen
    artig offensichtlich, was IT-Lehrkräfte seit 20 Jah-        abzudecken, denn Medienbildung kann nur auf der
    ren erfolglos angemahnt hatten. Der digitale Nicht-         Grundlage einer intensiven digitalen Präventionsar-
    Unterricht wurde zum Offenbarungseid und zwang              beit gelingen.
    Eltern zu Hause in die Lehrerrolle. Noch schlim-
    mer: Zu Beginn des zweiten Lockdowns im Dezem-
    ber wiederholte sich die Katastrophe. Überall brachen
    die Lernplattformen der Länder oder der örtlichen
    Schulträger unter dem Schüleransturm zusammen,
    weil sie nicht für solche Nutzerzahlen ausgelegt wa-

    Günter Steppich ist Lehrer an der Gutenbergschule Wies-
    baden und vielen Eltern und Lehrkräften in Hessen von El-
    ternabenden und Pädagogischen Tagen als Experte für Ju-
    gendmedienschutz bekannt. Vielfältige Veröffentlichungen,
    Materialien und weiterführende Links findet man in seinem
    Internet-Portal www.medien-sicher. de. In dieser HLZ be-
    fasst er sich mit den neuen Herausforderungen des Jugend-
    medienschutzes in Corona-Zeiten (S.16).                                                    Günter Steppich
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT                                                                                 zum Inhaltsverzeichnis      HLZ 5/2021      4

Die Protokolle des Herrn K.                                                                  würdigen zu können. Bis heute kenne
                                                                                             ich die Spottgedichte (Epigramme) von
                                                                                             Lessing, die wir besprachen.
      Haben wir es ihm jemals gesagt? Eher         tribute. Einen Bildhauer, der mit uns     „Denkt, wie gesund die Luft, wie rein,
      nicht. Wir waren zu jung. Er war zu di-      Marionetten bastelte und Theaterstü-      sie um dies Jungfernstift muss sein.
      stanziert und unnahbar. Und doch den-        cke schrieb. Einen Kafka-Liebhaber, mit   Seit Menschen sich besinnen,
      ken wir alle mit Bewunderung an ihn.         dessen scharfsinnigen Zynismus man        starb keine Jungfer drinnen.“
      Einige haben nach den vielen Jahren          erst mal klarkommen musste. Und in        „Die gute Galathee,
      noch seine Unterlagen im Schrank. Im         der Oberstufe kam ER mit dem Aller-       man sagt, sie schwärz‘ ihr Haar.
      Internet hat er keine Spuren hinterlas-      weltsnamen. Er sah aus wie ein Lehrer     Da doch ihr Haar schon schwarz,
      sen. Unter seinem Allerweltsnamen fin-       aus der „Feuerzangenbowle“. In unse-      als sie es kaufte, war.“
      den sich ein Schlosser in Radolfzell und     ren Augen uralt, eine Glatze mit Haar-    Zu den einzelnen Epochen präsentierte
      ein Steuerberater in Reutlingen.             kranz drum herum, stets – wie alle sei-   er uns nicht nur Literatur, philosophi-
          Er, unser alter Deutschlehrer, ist be-   ne Kollegen – im Anzug. Allerdings        sche und theoretische Texte, sondern
      reits zu einer Zeit gestorben, als „goo-     waren seine Anzüge immer sehr gut         auch typische Gemälde und typische
      geln“ noch kein Verb war. Ich weiß           geschnitten. Nie hätte er Hochwasser-     Musik. Wir hatten keinen Deutsch-, wir
      nicht, ob er Kinder hatte, denen man         hosen getragen. Und er lief nicht ein-    hatten „Kulturunterricht“. Wir waren
      schreiben könnte, wie genial ihr Va-         fach durch die Schule, er schritt. Ker-   mit unserem Lehrer in Filmen, die da-
      ter war, wie einzigartig sein Unterricht.    zengerade. Wir hatten drei Jahre lang     mals zur Avantgarde zählten. Wir ha-
          Es war zu einer Zeit, als „Bildung“      Geschichte und Deutsch bei ihm. In ei-    ben wahnsinnig viel gelesen.
      noch im Zentrum der Schule stand.            nem systematischen Durchgang vom              Es war uns zwar ausgesprochen läs-
      Nicht Kompetenzen, nicht Windschnit-         Simplicissimus bis zum Noveau Ro-         tig, aber wir schrieben brav Protokolle.
      tigkeit, nicht Funktionalität, nicht Ver-    man, zu Comics, zu Wallraffs „Indus­      In jeder Stunde kam einer von uns dran.
      wertbarkeit. Aber das wussten wir da-        triereportagen“ und zu Hermann Kants      Nachdem das Protokoll von allen abge-
      mals nicht. Auch wir wollten möglichst       „Aula“. Und wann immer es ging, fä-       segnet war, wurde es auf Matrizen ge-
      schnell aus der Schule raus und nerv-        cherübergreifend. Obwohl er von mei-      tippt und vervielfältigt. Dadurch hatten
      ten unsere Eltern mit der Frage, wozu        nen mündlichen Leistungen in Deutsch      wir alle einen vollständigen Ritt durch
      wir den Schulstoff eigentlich brauchen.      nicht eben viel hielt, habe ich später    die deutsche Literaturgeschichte mit ge-
      Quälten uns mit alten Sprachen und           Germanistik studiert und an der Uni       schickt ausgewählten Gedichten, Tex-
      alten Philosophen herum und wollten          nicht halb so viel mitbekommen wie        ten und Theorien. Nur einmal habe ich
      viel lieber in die Disco oder auf die        in seinem Unterricht. Wir haben in Ge-    Herrn K. emotional erlebt. Da schleu-
      Demo.                                        schichte die Lehren Hegels, Feuerbachs    derte er mit geballten Fäusten heraus,
          Wir hatten einige Deutschlehrer          und Marx‘ behandelt. Es war 1969. Wir     ein Text, ein Aufsatz müsse „dicht“ sein
      erlebt. Einen dicken, kurzen, skurri-        waren fasziniert. In Deutsch hat er uns   – und kein Gelaber.
      len, der sich beim Korrigieren unserer       am Beispiel von Goethes Faust alle li-        Als junge Deutschlehrerin wollte ich
      Aufsätze angeblich pausenlos überge-         terarischen Interpretationsansätze bei-   seinem Vorbild folgen, aber es war un-
      ben musste. Ein „Fräulein“ im blau-          gebracht: textimmanent, biografisch,      möglich. Allein das Besprechen und
      en Reichsbahnkostüm, eine der weni-          soziologisch, historisch und psycho-      inhaltliche Korrigieren der Protokol-
      gen Frauen an diesem humanistischen          analytisch. Wir haben Freuds Lehren       le nahm fast die Hälfte einer Deutsch-
      Gymnasium. Durch sie kenne ich bis           vom Ich, Über-Ich und vom Es durch-       stunde in Anspruch. Der Rest der Zeit
      heute sämtliche Satzteile, Suffixe, Prä-     genommen, um die „triebhafte“ Sze-        verging mit der Kontrolle, wer alles kei-
      fixe, Morpheme, Adverbien und At-            ne auf dem Hexentanzplatz gebührend       ne Hausaufgaben gemacht hatte. Unser
                                                                                             Lehrer schaffte es (zusammen mit uns,
                                                                                             die wir willig und „hungrig“ waren), die
                                                                                             Protokolle zu besprechen, die Hausauf-
                                                                                             gaben durchzugehen und so viel neu-
                                                                                             en Stoff zu behandeln, dass der nächste
                                                                                             Protokollant ins Schwitzen kam. Mehr
                                                                                             als eine Seite durften wir nicht schrei-
                                                                                             ben, aber das war bei dieser Stofffülle
                                                                                             wirklich schwer.
                                                                                                 Derzeit ist es modern, in den Zeitun-
                                                                                             gen über die ehemaligen Deutschleh-
                                                                                             rer herzuziehen, die einem den Zugang
                                                                                             zur klassischen Literatur so gründlich
                                                                                             vermasselt haben. Dies ist ein kleines
                                                                                             Denkmal für einen Mann, der wirklich
                                                                                             viel vermittelt hat. Ich habe in meinem
                                                                                             Leben niemanden getroffen, den ich mit
                                                                                             ihm auf eine Stufe stellen würde. Scha-
                                                                                             de, dass ich ihm das nie gesagt habe.
                                                                                                                  Gabriele Frydrych
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
5     HLZ 5/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                                 MELDUNGEN

          GEW sieht Forschungsstelle                 Corona: Die Lage an Kitas,                 GEW gegen Abschiebung
          für NS-Pädagogik bedroht                   Schulen und Hochschulen                    von Katia und Mervan
    „Mit großer Bestürzung“ berichtete der     Informationen zu den Auswirkungen          Die GEW Hessen und der GEW-Kreis-
    AStA der Goethe-Universität über die       der Pandemie auf Kitas, Schulen und        verband Kassel-Land kritisieren die Ab-
    Tatsache, dass die Zeitverträge der bei-   Hochschulen finden Sie in unserem Co-      schiebung von Katia Kheder (16) und
    den Leiterinnen der Forschungsstel-        rona-Blog auf den Seiten 6 und 7. Im       ihrer Familie, die 2017 über Bulgari-
    le NS-Pädagogik Dr. Katharina Rhein        Mittelpunkt stehen Impfungen, Selbst-      en nach Deutschland gekommen wa-
    und Dr. Z. Ece Kaya weder in Dauer-        tests in Schulen und die aktuelle Si-      ren, und fordern, der Familie die Rück-
    stellen umgewandelt noch über den 31.      tuation. Weitere Beiträge von Maike        kehr zu gestatten. Katia Kheder stand
    März 2021 hinaus verlängert wurden.        Wiedwald (Seite 24) und Jochem Schirp      kurz vor dem Realschulabschluss an der
    Die Forschungsstelle war 2012 von den      (Seite 26) befassen sich mit der Frage,    Walter-Lübcke-Schule in Wolfhagen.
    Professoren Dr. Micha Brumlik und Dr.      was Kinder und Jugendliche in und          Sie und ihr Bruder Mervan (17) hatten
    Benjamin Ortmeyer gegründet worden.        nach der Pandemie brauchen. Simone         sichere Zusagen für Ausbildungsverträ-
    Die Goethe-Universität verliere dadurch    Claar beleuchtet das dritte digitale Se-   ge in der Altenpflege und im Baugewer-
    „zwei hervorragende Wissenschaftle-        mester an den Hochschulen (Seite 30).      be: „Geflüchtete Menschen aus Syrien,
    rinnen im Bereich der historischen Bil-    Wir bitten die Leserinnen und Leser zu     die sich innerhalb kurzer Zeit bestens
    dungsforschung und zwei anerkannte         beachten, dass diese Ausgabe der HLZ       integriert haben, mitten in Pandemie-
    und beliebte Lehrende, die in ihren Se-    Mitte April fertig gestellt wurde. Für     zeiten abzuschieben, ist für die GEW
    minaren über NS-Pädagogik aufklär-         aktuelle Informationen und Einschät-       Hessen inhuman und hat wenig mit den
    ten“. Die AStA-Vorsitzende Kyra Be-        zungen schauen Sie deshalb auch auf        ‚westlichen Werten‘ zu tun.“
    ninga betonte die Notwendigkeit, „die      unsere Homepage www.gew-hessen.de!             Immer wieder, auch im aktuellen
    Nachwirkungen der NS-Pädagogik bis                                                    Fall von Katia Kheder, berichten Lehr-
    in die heutige Zeit zu erforschen und            Bewerbungen für den                  kräfte und Mitschülerinnen und Mit-
    zugleich an die Rassismuserfahrungen             Personalrätepreis bis 31.5.          schüler, wie lernwillig, leistungsorien-
    vieler Studierender anzuknüpfen“.                                                     tiert, leistungsstark und beliebt gerade
        Die Sorge um den Fortbestand der       Bis zum 31. Mai 2021 läuft die Be-         diese Kinder und Jugendlichen sind.
    Forschungsstelle NS-Pädagogik als ei-      werbungsfrist für den Deutschen Per-           2009 wurde die Meldepflicht für
    ner bundesweit einmaligen Einrichtung      sonalrätepreis. Der Preis wird von der     Kinder und Jugendliche mit einem un-
    werde durch den Umstand verstärkt,         Fachzeitschrift „Der Personalrat“ ver-     sicheren Aufenthaltsstatus abgeschafft,
    „dass der geplante Umzug der For-          geben. An Themen dürfte es in den          um jungen Menschen einen angstfrei-
    schungsstelle aus dem Bockenheimer         Dienststellen nicht mangeln. Gesucht       en Schulbesuch unter anderem auch in
    Juridicum in einen Neubau kurzfris-        werden Beispiele erfolgreicher Gremi-      Intensiv- und InteA-Klassen zu ermög-
    tig mit der Begründung abgesagt wur-       enarbeit, etwa zum Umgang mit den          lichen. Es ist die erklärte Position der
    de, die Bücher seien zu schwer“. Nach      Folgen der Corona-Krise, zu Heraus-        GEW Hessen, dass Schulen hierfür ei-
    der Zuordnung der Forschungsstelle zu      forderungen durch E-Government und         nen geschützten Raum bieten, in dem
    einer neuen Professur drohe sie zu ei-     Digitalisierung, zur Verbesserung von      Schülerinnen und Schüler untereinan-
    ner „Briefkastenfirma“ zu werden. Die      Arbeits- und Ausbildungsbedingungen,       der und zu den Lehrkräften Vertrauen
    GEW Hessen hat sich der Forderung an-      zur Lösung von Arbeitszeitkonflikten       aufbauen können. Die GEW bittet ihre
    geschlossen, „die Forschungsstelle NS-     sowie zur Förderung und Unterstützung      Mitglieder, die Petition der Schulge-
    Pädagogik als ein Zentrum historischer     von Inklusion und Teilhabe.                meinde zu unterzeichnen.
    Bildungsforschung zu erhalten“.            • Alle Informationen: www.dprp.de          • https://walter-luebcke-schule.de

          Unter 18 nie! Widerspruch                          Veranstaltungsreihe „Bildung und Migration"
          gegen Datenweitergabe                Der Landesausschuss der Studentin-         • Dienstag, 8. Juni,18 Uhr: Wie geht
    Auch 2020 wurden wieder über 1.000         nen und Studenten in der GEW (LASS)        es weiter mit dem Religionsunterricht
    Rekrutinnen und Rekruten für die Bun-      lädt im Rahmen seiner Reihe „Migrati-      an hessischen Schulen? Auf dem Podi-
    deswehr angeworben, die noch nicht         on und Bildung“ zu folgenden Veran-        um diskutieren unter anderen Thorsten
    volljährig waren. Die Daten, um Ju-        staltungen ein:                            Klug (Amt für katholische Religionspä-
    gendliche direkt anzuschreiben, erhält     • Dienstag, 25. Mai, 18 Uhr: Bildung       dagogik), Birgit Koch (GEW-Vorsitzen-
    die Bundeswehr von den Einwohner-          als Menschenrecht - Über die Zustän-       de) und Prof. Dr. Yaşar  Sarıkaya (Pro-
    meldeämtern. Jugendliche ab 16 ha-         de, Perspektiven und Diskriminie-          fessur für islamische Theologie und
    ben das Recht, der Weitergabe ihrer        rungsrisiken für neu Zugewanderte im       ihre Didaktik, angefragt).
    Daten nicht nur an die Bundeswehr zu       deutschen Bildungssystem; Referentin       • Dienstag, 22. Juni, 18 Uhr: Men-
    widersprechen, bei Jüngeren können         ist Elina Stock (Bundesausschuss Mig-      schenrechte auf dem Mittelmeer – Ein
    dies die Erziehungsberechtigten tun.       ration, Diversity und Antidiskriminie-     Praxisbeispiel für antirassistische Bil-
    Das Bündnis Unter18nie!, in dem die        rung der GEW).                             dungsarbeit
    GEW Hessen mitarbeitet, stellt auf sei-    • Dienstag, 1. Juni, 18 Uhr: Anti-         Die Veranstaltungen finden digital statt.
    ner Homepage www.unter18nie.de ein         rassistische Arbeit an Hochschule und      Nach einer formlosen Anmeldung an
    entsprechendes Online-Tool zur Ver-        Universität; Referentin ist Aygün Habi-    hochschule@gew-suedhessen.de wird
    fügung.                                    bova (DGB-Jugend Mittelhessen).            der Zugangslink mitgeteilt.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
CORONA-PANDEMIE                                                                              zum Inhaltsverzeichnis     HLZ 5/2021      6

                 Corona-Blog: Was sagt die GEW?
     Dieser Blog informiert über Aktivitäten     Dienstag, 23. März                          beit und ihr verantwortungsbewusstes
     der GEW Hessen in der Zeit zwischen                                                     Verhalten einen Beitrag zur Bekämp-
     Mitte März bis zur Fertigstellung dieser    Die GEW Hessen sieht die Landesregie-       fung der aktuellen Pandemie leisten“.
     HLZ Mitte April unmittelbar am Ende der     rung in der Pflicht, die Beschlüsse des
     Osterferien. Aktivitäten der Kreis- und     Bund-Länder-Gipfels schnellstens um-
     Bezirksverbände, der Personalräte und an-   zusetzen, so dass nach den Osterferien      Dienstag, 30. März
     derer Gremien der GEW sind hier nicht       tatsächlich in Schulen und Kitas zwei       Drei Tage vor den Osterferien erreicht
     erfasst. Alle Statements im Wortlaut un-    Mal pro Woche getestet werden kann.         die Schulen ein umfangreiches Materi-
     ter www.gew-hessen.de.                      Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hes-       alpaket zu den angekündigten Selbst-
                                                 sen, hält zusätzliche Testmöglichkeiten     tests. Die Durchführungshinweise wur-
     Donnerstag, 18. März                        für eine Chance, „die Sicherheit für alle   den einmal mehr am grünen Tisch der
                                                 Beteiligten zu erhöhen“. Eine „flächen-     Schulverwaltung aus juristischer Pers-
     Die Impfung der Beschäftigten in Kitas      deckende“ Testung zwei Mal pro Wo-
     und an Grund- und Förderschulen ge-                                                     pektive verfasst, während die Stimmen
                                                 che erfordere allein in Hessen zehn Mil-    aus der Praxis ungehört blieben.
     rät durch den vorübergehenden Stopp         lionen Tests pro Monat. Schnelltests,
     der Impfungen mit dem Impfstoff As-                                                         Selbsttests durch Kinder, die sechs
                                                 die durch medizinisches Fachpersonal        oder sieben Jahre alt sind, lassen sich
     trazeneca und die folgende Entschei-        durchgeführt werden, hält die GEW für
     dung, diesen nur noch für Menschen                                                      vielleicht zu Hause unter der Aufsicht
                                                 die beste Lösung. Falls man auf Selbst-     von Eltern durchführen, in der Schule
     über 65 Jahre einzusetzen, ins Stocken.     tests setze, dürften diese nur „zu Hau-
     Die GEW hatte die Ende Februar ge-                                                      werden sie nur eine falsche Sicherheit
                                                 se durchgeführt werden, bei jüngeren        suggerieren.
     änderte Impfreihenfolge begrüßt, aber       Kindern mit Unterstützung der Eltern“.
     stets die Ausweitung auf alle Beschäf-                                                      Die GEW erhält in den nächsten Ta-
     tigten an Schulen gefordert.                                                            gen zahlreiche Proteste insbesondere
         Außerdem dürfe die Impfung kein         Wochenende, 26. und 27. März                aus den Grundschulen. Selbst das HKM
     Grund sein, die anderen Maßnahmen                                                       muss eingestehen, dass der Antigen-
     zum Infektionsschutz durch kleine           Auch bei der – digitalen – Klausurta-       Selbsttest des Unternehmens Roche „ur-
     Lerngruppen, kostenlose medizinische        gung des GEW-Landesvorstands steht          sprünglich, wie auch alle anderen son-
     Masken, anlassfreie Testungen, Luftrei-     Corona eindeutig im Zentrum der De-         derzugelassenen Antigen-Selbsttests,
     nigungsgeräte und einen „inzidenzge-        batten. Die GEW lehnt ein zusätzliches      nur für die Anwendung durch medizi-
     stützten Stufenplan“ schleifen zu las-      „Corona-Jahr“ für alle Schülerinnen         nisches Fachpersonal vorgesehen“ war.
     sen.                                        und Schüler ab und spricht sich für         Die Anleitungen sind zum Teil fehler-
                                                 eine Konzentration der Lehrpläne auf        haft und widersprüchlich: So weist
                                                 das Wesentliche und die Möglichkeit         das HKM auf die Möglichkeit hin, dass
     Freitag, 19. März                           zu einer freiwilligen Wiederholung ei-      Testungen auch am geöffneten Fenster
                                                 nes Schuljahres aus. Im Rahmen der          durchgeführt werden können, nach der
     Die Landesregierung nimmt die Ankün-        Klausurtagung berichten Kolleginnen         versandten „Checkliste“ sind die Fens-
     digung zurück, dass ab dem 22. März         und Kollegen aus Nordhessen von ih-         ter während der Testung zu schließen,
     2021 endlich auch die Jahrgangsstufen       ren Eindrücken bei der nicht genehmig-      „um das Ergebnis nicht zu verfälschen“.
     ab Klasse 7 im Wechselunterricht wie-       ten Demonstration der selbsternannten           Frustriert werden auch die Schul-
     der in die Schulen kommen können.           Querdenker in der Kasseler Innenstadt       leitungen, die umgehend die örtli-
     Da der Inzidenzwert landesweit wieder       am 20. März 2021. In einer Erklärung        chen Kreisverbände des Deutschen Ro-
     über 100 betrug, wurde eine Rückkehr        kritisiert die GEW „alle Versuche, die      ten Kreuzes (DRK) kontaktierten, die
     noch vor den Osterferien gestoppt. An-      Pandemie zu nutzen, um die Demo-            nach Angaben des HKM als „Patin-
     gesichts der „rasanten Beschleunigung       kratie zu unterminieren und die sozia-      nen und Paten“ zu Verfügung stehen.
     des Infektionsgeschehens“ sieht auch        le Ungleichheit weiter zu vergrößern“.      Auch Frank Wester, Leiter der Aus-
     die GEW „keine Alternative“. Die Lan-       Gleichzeitig distanziere man sich aber      und Fortbildung beim DRK Gelnhau-
     desregierung mache jedoch immer wie-        von denen, „die die Pandemie leugnen        sen-Schlüchtern, erfuhr erst am Tag
     der denselben Fehler, ausschließlich auf    und unterstellen, sie sei erfunden wor-     des Ministerschreibens von dem Vorha-
     eine Entspannung der Lage zu hoffen,        den, um diese Ziele durchzusetzen“.         ben. Bereits am nächsten Tag hatte er
     statt energische Maßnahmen zu ergrei-           Der kurzfristig wieder zurückge-        die Anfragen von 32 Schulen auf dem
     fen, die auch im gegenteiligen Fall noch    nommene Aufruf für eine Demonstra-          Tisch, obwohl das DRK in der Region
     Optionen bieten, die Schulen durch zu-      tion in Hanau-Kesselstadt am Ort der        mit den drei neu eröffneten Schnelltest-
     sätzliche Schutzvorkehrungen für alle       Morde von Hanau zeige, „wie weit die        zentren in Gelnhausen, Wächtersbach
     Kinder offen zu halten.                     heterogenen Proteste der ‚Querdenker‘       und Schlüchtern „an der Kapazitäts-
         Die GEW fordert, auch für die Kin-      inzwischen von Neonazis und Rechts-         grenze“ arbeitet. Er ermutigte deshalb
     dertagesstätten die Notbremse zu zie-       extremisten gesteuert werden“. Die Vor-     die Schulen zu einer Rückmeldung an
     hen, da die auch bei Kindern anstecken-     gänge in Kassel seien auch „ein Schlag      die Schulbehörde „über die überaus
     dere Virusmutation „zu zahlreichen          ins Gesicht all jener, die seit mehr als    mangelhafte Kommunikation seitens
     Ausbrüchen“ geführt hat.                    zwölf Monaten durch ihre tägliche Ar-       des Landes“.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
7     HLZ 5/2021   zum Inhaltsverzeichnis

    Mittwoch, 31. März
    Zufällig entdecken einige Kollegin-
    nen und Kollegen der weiterführen-
    den Schulen, dass auch sie sich jetzt im
    Impfportal registrieren lassen können.
    Schulleitungen, die sie um eine Arbeit-
    geberbescheinigung bitten, wissen von
    nichts. Erst am 31.3. erklärt das HKM in
    einem Schreiben an alle Schulen, „dass
    sich ab sofort neben dem bereits impf-
    berechtigten Personal von Grund- und
    Förderschulen auch das Personal aller
    anderen Schulformen in Hessen für ei-
    nen Impftermin registrieren kann“.

    Donnerstag, 1. April
    Die GEW richtet den Blick auf den wei-
    teren Schulbetrieb nach den Ferien.
    Für die Grundschulen empfiehlt sie die
    Fortsetzung des Wechselmodells, das        Montag, 5. April                              Dienstag, 13. April
    eine regelmäßige Präsenz in der Schu-      Am Ostermontag machen Berichte die            Die GEW begrüßt es, dass die Landes-
    le und die Einhaltung des Abstandsge-      Runde, die GEW fordere die Absage             regierung die Pläne zur Rückkehr zum
    bots gewährleiste. Den Schülerinnen        der Abiturprüfungen. Die GEW Hessen           Regelbetrieb an Grundschulen aufge-
    und Schülern ab der Klasse 7 müsse         stellt umgehend klar, dass dies nicht der     geben hat. Sie wiederholt die Kritik an
    mindestens „eine tageweise Rückkehr in     Fall ist: Eine Absage der Abiturprüfun-       der Durchführung von Selbsttests in
    den Präsenzunterricht ermöglicht wer-      gen würde „die Arbeit von Schülerin-          Verantwortung der Schulen und infor-
    den. „Um die weiterführenden Schulen       nen, Schülern und Lehrkräften in Fra-         miert ihre Mitglieder über rechtliche
    an anderer Stelle zu entlasten, sollten    ge stellen“. Allerdings fordert die GEW,      und politische Möglichkeiten des Wi-
    nun aber auch die Abschlussklassen in      dass die Hygienemaßnahmen für die             derspruchs. Sehr viel sinnvoller sei die
    das Wechselmodell übergehen“, sagt         Abiturprüfungen konsequent eingehal-          in Niedersachsen erfolgreich praktizier-
    der stellvertretende GEW-Vorsitzende       ten werden, „was man durchaus durch           te Testung zu Hause mit Unterstützung
    Tony C. Schwarz. Die GEW begrüßt die       Schnelltests noch abrunden könnte“.           der Eltern und ohne die drohende Stig-
    regelmäßige und flächendeckende Tes-       Vermutlich sei aber das schriftliche Ab-      matisierung. Mit einer neuen Teststra-
    tung an den Schulen. Sicher und zuver-     itur „viel sicherer als vieles, was derzeit   tegie müsse es möglich sein, dass auch
    lässig könnten Schnelltests jedoch „nur    den Schulen zugemutet wird“. Hinter-          die höheren Klassen „wenigstens tage-
    von medizinischem Fachpersonal oder        grund der Falschmeldungen war ein In-         weise“ wieder in den Unterricht kom-
    zuhause mit Unterstützung der Eltern“      terview der GEW-Bundesvorsitzenden            men. Zur Entlastung könne man in den
    durchgeführt werden.                       Marlis Tepe: Dort hatte sie einen „Plan       Abschlussklassen in den Wechselunter-
                                               B“ gefordert, wenn die Kultusministe-         richt gehen. Auch ein schnelles Impfan-
                                               rien das Abitur aufgrund der Entwick-         gebot für alle Beschäftigten an Schulen
      Petition für kleinere Klassen            lung der Pandemie absagen müssen.             könne dies beschleunigen.
                                                                                                 Auch den Eltern von Kita-Kindern
    Elternbeiräte des Gustav-Stresemann-
                                               Montag, 12. April                             sollten geeignete Selbsttests zur Ver-
    Gymnasiums in Bad Wildungen brach-
                                                                                             fügung gestellt werden. Ohne das re-
    ten Mitte April eine Petition an das       Die Landesregierung gibt bekannt, dass        gelmäßige Testen der Kinder fehle „ein
    Hessische Kultusministerium auf den        der Unterricht nach den Osterferien in        wichtiges Instrument, um konkrete In-
    Weg, die bestehende Verordnung über        der vor den Ferien geltenden Form fort-       fektionen unverzüglich zu erkennen
    die Klassengrößen ab dem kommenden         gesetzt werden soll: Wechselunterricht        und entsprechend zu handeln“, sagt
    Schuljahr zu verändern. Die „Folgen        und Angebote zur Notbetreuung in den          die GEW-Vorsitzende Birgit Koch.
    der langen Lockdown-Zeiten“ seien          Klasssen 1 bis 6, Distanzunterricht für
    noch auf lange Zeit spürbar. Der Klas-     alle anderen Klassen mit Ausnahme
    senteiler für die weiterführenden Schu-                                                  Freitag, 16. April
                                               der Abschlussklassen, die in geteilten
    len müsse deshalb auf 25 bzw. maxi-        Gruppen in Präsenz unterrichtet wer-          Am letzten Ferientag ist erkennbar, dass
    mal 27 Schülerinnen gesenkt werden:        den sollen. Die Selbsttests im Präsenz-       auch viele Grundschulen, die bisher im
    „Unterrichtet eine Lehrkraft 30 Kinder     unterricht werden verpflichtend. Damit        Wechselunterricht gearbeitet haben,
    zeitgleich, ist es kaum möglich, die       verlieren die noch vor den Osterferien        wieder ganz in den Distanzunterricht
    Schüler*innen zu fördern, den fehlen-      versandten Einverständniserklärungen          gehen müssen, da die Inzidenz von 200
    den Lernstoff nachzuarbeiten und sie       für freiwillige Selbsttests ihre Gültig-      überschritten wird.
    individuell zu unterstützen und Prob-      keit. Lehrkräfte können die Tests auch
    leme sensibel zu erspüren.“                                                                Alle aktuellen Informationen:
                                               zuhause durchführen und haben eine
    • https://www.openpetition.de/!bgfxz
                                               dienstliche Erklärung vorzulegen.                    www.gew-hessen. de
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
DIGITALISIERUNG                                                                             zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 5/2021      8

                                Big Blue Button und Co.
          Ein Streitgespräch über Videokonferenzsysteme für den Unterricht
     Die Mitglieder der AG Digitalisierung im GEW-Landesvorstand       ohne Zwischenfragen mit zeitverzögertem und unterbro-
     pflegen eine lebhafte Debattenkultur: bei den früher selbstver-   chenem Ton, Videokonferenzen, bei denen alle (!) Teilneh-
     ständlichen Präsenztreffen in der GEW-Geschäftsstelle oder im     merinnen und Teilnehmer ihr Bild abschalten oder dieses
     DGB-Haus, bei digitalen und hybriden Video-Treffen und in lan-    vom Dozenten zentral abgeschaltet wird, technische Proble-
     gen E-Mails. Die Ergebnisse der Diskussionen fließen in Stel-     me beim Versenden von begleitenden Materialien, Kurse, bei
     lungnahmen und Empfehlungen der GEW ein, die unter ande-          denen man einzelne Teilnehmerbeiträge akustisch nur zu 30
     rem auf der Seite Digitale Schule unter www.gew-hessen.de >       Prozent versteht und die deshalb vom Dozenten rigoros ab-
     Themen dargestellt werden. Und manchmal wird es auch rich-
                                                                       gebrochen werden, Diskussionen im Walkie-Talkie-Stil, die
     tig emotional, wie in dem folgenden Mailwechsel zwischen ei-
     nem Hochschuldozenten und der Lehrerin an einem Oberstufen-
                                                                       nicht vorankommen, weil der Moderator oder die Moderato-
     gymnasium, den wir mit ihrer Zustimmung in gekürzter Fassung      rin nicht damit klarkommt, die Diskutanten aufzurufen oder
     veröffentlichen.                                                  Wortmeldungen zu bemerken und zu verwalten oder Leute
                                                                       zu bitten, sich kürzer zu fassen, technische Besprechungen,
                                                                       um gemeinsam eine Liste durchzugehen, wer alles seinen Ar-
    Der Kollege: „Videokonferenzsysteme im Unterricht sind päda-       beitsbeitrag noch nicht fristgemäß eingereicht hat, und ähn-
     gogisch grenzwertig. Das weiß ich auch aus der Hochschule.“       licher Schwachsinn.
     Wir sollten als Gewerkschaft das deutliche Signal formulie-           Angesichts solcher Erfahrungen halte ich es auch für
     ren, dass wir für eine Digitalisierung der Schulen sind, aber     falsch, beim Thema VK die ganze diskursive Belastung auf
     nicht erzwungen gegenüber den Lehrkräften. Wir sollten aber       den deutschen Datenschutz zu lenken. Der steht internatio-
     vor allem betonen, dass Unterricht mit Hilfe von Videokon-        nal auch so schon unter starkem Beschuss und die entspre-
     ferenzsystemen (VK) pädagogisch wenig sinnvoll ist:               chende Lobby unternimmt große Anstrengungen, ihn via
     • Die VK-Systeme sind technisch noch lange nicht ausge-           Brüssel zu kippen oder auszuhöhlen. Es gibt genug Stimmen,
     reift und sie befördern antiquierte Unterrichtsmodelle und        dass man den „Scheiß-Datenschutz, der alles behindert und
     Kommunikationsformen.                                             verhindert“, endlich weg haben will. So hat der CDU-Frak-
     • Die Übertragung von Unterricht per Video ist der unvoll-        tionsvorsitzende Ralph Brinkhaus kürzlich gefordert, die 16
     kommene Versuch der Überführung des Nichtdigitalen ins            Landesdatenschutzbeauftragten abzuschaffen und ihre Auf-
     Digitale. Was zeitversetzt viel effizienter zu erledigen wäre,    gaben in einer zentralen Behörde zu bündeln. Selbst wenn
     wird stattdessen in eine synchrone Sitzung gepackt, in der        die VK-Systeme datenschutzkonform wären, sind sie päda-
     alle gemeinsam ihre Zeit absitzen müssen. Es entsteht viel        gogisch immer noch einfallslos und höchst grenzwertig und
     Leerlauf, wenn man darauf wartet, dass man endlich ange-          man benötigt dringend vernünftige digitale, gerne auch ana-
     sprochen wird oder dass etwas Wichtiges gesagt wird.              loge Alternativen! Der kreative Input dafür muss aber von
     • Die Nutzung von VK-Systemen für Einzelgespräche zwi-            Lehrerseite kommen.
     schen Lehrenden und Lernenden und für Kleingruppen kann
     manchmal Sinn machen. Für andere Formen des Fernunter- Eine Kollegin: „Ich erlebe es selbst: Videokonferenzsysteme er-
     richts sind bessere Methoden und Strukturen zu entwickeln          möglichen Unterricht mit Sinn, Verstand und Spaß. “
     und zu erproben.                                                   Wer hat das denn gedanklich in Stein gemeißelt, dass Unter-
     • Videokonferenzen sind einfallslos und oft nur deshalb das        richt per VK antiquiert ist? Das gilt nach meinen Erfahrungen
     erste Mittel der Wahl, weil sie sich leicht anberaumen las-        nur dann, wenn die Voraussetzungen für interessierte Kolle-
     sen. Gedanken über bessere Alternativen für eine bestimm-          ginnen und Kollegen nicht stimmen oder der Wille fehlt. Hier
     te Aufgabe finden dann nicht mehr statt.                           mal ein paar Eindrücke aus meinem Englischunterricht, aber
         Meine Vorbehalte speisen sich auch aus den aktuellen           ich könnte dir viele Beispiele meiner Kolleginnen und Kol-
     Erfahrungen an der Universität: 90-minütige Vorlesungen            legen geben, die VK-Systeme im Unterricht auch in anderen
                                                                        Fächern ähnlich – vielleicht auch noch besser – einsetzen:
                                                                            Die Schülerinnen und Schüler finden im Schulportal einen
             HLZ-Titelthema: Digitale Schule Hessen                     Text, ein Video, ein Gedicht, eine Grafik, eine Matheaufga-
      Im Titelthema dieser HLZ finden Sie folgende Beiträge:            be oder einen Link vor, mit denen sie sich in his or her own
      • Videokonferenzen: Ein Streitgespräch (S. 8 f.)                  time, spätestens aber bis zum Beginn der VK beschäftigen
      • Datenschutz: Hemmschuh oder Heiligtum? (S.10 f.)                sollen. Schwächeren Schülerinnen und Schülern empfehle
      • Digitale Endgeräte für Unterricht und Dienstgeschäfte (S.12 f.) ich, dies zur Vorbereitung auf Englisch gerne mal via Telefon,
      • Datenschutz: Erfahrungen eines Schülers (S.14 f.)               Threema-Sprachnachricht oder sonst wie mit einem Partner
      • Befristete Duldung von Microsoft Teams läuft aus (S.14)         oder einer Partnerin zu üben. Machen sie auch! Dann tref-
      • Das Schulportal Hessen: Erfahrungen aus der Praxis (S.16 f.)    fen wir uns in der VK. Nicht immer die vollen 90 Minuten,
      • Medienerziehung und Medienbildung (S.18 f.)                     sondern oft nur 30 oder 40 Minuten. Ich bin von Anfang an
      • Open Source: Nur ein Mythos? (S.20 f.)                          da und ansprechbar. Ich rede kurz möglichst mit allen, fra-
      Weitere Informationen und Diskussionsbeträge findet man un-       ge, wer Schwierigkeiten mit der Aufgabe hat, und wir erklä-
      ter www.gew-hessen.de > Themen > Digitale Schule Hessen           ren es uns gegenseitig. Dann kommt eine Erarbeitungspha-
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
9     HLZ 5/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                           TITELTHEMA

    se. Dazu arbeiten sie nach Wunsch allein oder ich teile die
    Lerngruppe in der VK in Breakout Rooms, denen ich beitre-
    ten, die ich belauschen oder einfach in Ruhe arbeiten lassen
    kann. Die Schülerinnen und Schüler wissen das, sie finden
    es witzig, zu spekulieren, ob ich kurz reingehört habe, und
    reden - jedenfalls die meisten - konsequent Englisch. Sie
    können aber auch im Chat um Hilfe schreien, dann komme
    ich um die Ecke und helfe!
        So können sie Englisch auch sprechen und nicht nur le-
    sen. Sie schreiben gemeinsam Texte, schauen oder hören
    sich Trump (zum Glück nicht mehr!), Biden, Harris oder die
    Shakespeare Company an. Sie können Videos oder Grafiken
    teilen, diskutieren, eigene Materialien hochladen, also das,
    was sie in der Klasse auch tun würden. Nach 20 oder 30 Mi-
    nuten sind sie – so wie es zeitlich passt - wieder im Plenum.
    Wir vergleichen Ergebnisse, diskutieren erneut, halten Ergeb-
    nisse fest. Die Screenshots sind tausendmal besser als mein
    früheres Gekrakel auf der zu kleinen Tafel!
        Ja, ab und zu fliegt bei BBB einer raus, aber selten. Alle
    haben Geräte, zum Teil über die Schule. Für die, deren WLAN
    mies läuft, sind die Aufgaben immer so gestellt, dass sie nach
    drei Einlogg-Versuchen auch alleine weiter machen können:
    Jeder Diskussionsauftrag ist auch ein potentieller Schreib-         Ich kann nur sagen: Für mich sind BBB, Moodle und an- Foto:123rf.com |
    auftrag, alle Aufträge gehen auch allein, ich muss keine ex-    dere  nützliche digitale Tools und Systeme unverzichtbar. Denys Kurbatov
    tra erstellen. Das Gesamtpaket ist schon erstmal Mehrarbeit,    Dazu  gibt es gute Materialien, schön in Abiturvorbereitungs-
    genauer, mehr Arbeit, keine Frage, denn ich musste mich ordnern sortiert, auch für die Ordnungssystemschwachen. Ar-
    erst reintüfteln.                                               beitszeit im Vergleich zum März 2020 um ein Drittel redu-
        Aber es ist letztlich viel sinnvoller als das endlose Hin- ziert, Spaß um 90 Prozent hoch!
    und Herschicken von Aufgaben, mit denen die Schülerinnen            Wo wir das alles gelernt haben? Auf jeden Fall nicht in
    und Schüler nicht wirklich klarkommen und die man dann          einer  Fortbildung. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in
    noch wie blöd korrigieren muss. Hab ich im März 2020 ver-       der  wir uns stützen. Und es gibt an der Schule selbst initi-
    sucht. War Kacke! Es war ein irrer Aufwand, die Aufgaben, ierte und nicht verordnete Netzwerke von Kolleginnen und
    die die Schülerinnen und Schüler irgendwie erledigt haben, Kollegen für Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß, ich bin
    dann mit einem aussagekräftigen Feedback zu versehen. Es in einer komfortablen Situation: Meine Schule ist gut aus-
    gibt Kolleginnen und Kollegen, die 150 oder 200 Schülerin- gestattet und meine Schülerinnen und Schüler haben den
    nen im Distanzunterricht fördern sollen: Da ist schon das schlimmsten Teil der Pubertät hinter sich. Es gibt Proble-
    regelmäßige Rückmelden eine unmögliche Aufgabe, wie die me. Viele. Aber nicht nur. Vielleicht sollte die GEW mal ei-
    folgende Rechnung zeigt: Aufgabe herunterladen und lesen nen Leitfaden für richtig guten Digitalunterricht entwerfen?
    und kurzes Feedback schreiben macht zusammen mindes-
    tens 20 Minuten mal 150 Schülerinnen und Schüler = 3.000 Der Kollege: „Letztlich liegt es nicht an der Technik, sondern
    Minuten oder 50 Arbeitsstunden nur für das Feedback. Und an der pädagogischen Professionalität.“
    da reden wir noch nicht von ausführlichen Korrekturen oder Ich finde es klasse, wie du damit umgehst, und es freut mich
    individueller Beratung, auch noch nicht von der Unterrichts- zu hören, dass du in deinem Kollegium damit nicht allei-
    vor- und -nachbereitung und der Erstellung von Materialien! ne bist. Aber mir bleibt wichtig zu betonen, dass das Gan-
        Und dann ist da die soziale Komponente des VK-Unter- ze nicht am Videokonferenzsystem per se liegt, sondern
    richts: Wir lachen viel. Ich begrüße oft mit einem Cartoon vor allem an der pädagogischen Professionalität, mit der
    oder einem netten Bild. Während jemand redet, können ande- jemand mit diesem Instrument umgeht und mit der er oder
    re im Chat Anmerkungen machen und Fragen stellen: „Could sie selbstverständlich auch immer einen anderen Weg fin-
    you repeat that, didn‘t get it!“ „Super idea!“ „Disagree! I‘ve den würde, wenn es dieses Gerät nicht gäbe. Lehrer haben
    read the text differently!“ Das ist effizienter als manches Un- diese kreative Professionalität eher als andere lehrende Be-
    terrichtsgespräch, weil sich oft alle beteiligen und ein „Chat- rufsgruppen und sie fällt auch nicht vom Himmel. Das in
    gewitter“ entsteht. Der Chat oder das im Mehrbenutzermodus der Öffentlichkeit zu betonen, halte ich für immens wichtig.
    verwendete Whiteboard kann als Stundenprotokoll dienen. Deine Rechnung mit dem Feedback halte ich allerdings für
    Am Ende gibt’s allgemeine Fragen, gegenseitigen „Wir pa- falsch: Im Präsenzunterricht gibst du auch nicht jeder Schü-
    cken-das!-Corona-Support“, auch mal Blödeleien oder die lerin und jedem Schüler regelmäßig zehn Minuten ausführ-
    Lehrerin spielt ein Muppetvideo ein.                            liches Feedback…
        BBB kann für mich alles, was ein Klassenraum auch kann.     Und mit der erneuten Antwort der Kollegin, dass sie für das,
    Nein, manches fehlt: Cookies und Vanillekuchen, die jemand      was sie in einer Minute sagt, zehn Minuten tippen muss, geht
    mitbringt, weil sein Handy in der Stunde klingelte, das phy- die Diskussion munter in die nächste Runde. Alles getippt, ver-
    sische „Feeling“ für den Kurs und das „Zusammensein“, wie steht sich, denn die Zeit in der Videokonferenz der AG Digita-
    man es kennt. Und die Gesichtsausdrücke, wenn ein Witz gut lisierung reicht für einen solchen Meinungs- und Erfahrungs-
    war, denn die Schülerinnen und Schüler können die Web- austausch natürlich auch nicht aus...
    cam an- oder auslassen, wie sie wollen.                                                             Bearbeitung: HLZ-Redaktion
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr - GEW Hessen
DIGITALISIERUNG                                                                           zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 5/2021      10

                                                                     Digitale Grundrechte
                    Der Datenschutz zwischen „Ayatollahs“ und „Desperados“
     Im Brennglas der Pandemie weiß nun jede:r, dass die Schu-       len Jahren von der Lehrkräfteakademie mit seiner Philosophie
     len den digitalen Standards in der Gesellschaft meilenweit      der Datensparsamkeit by design entwickelt wird und erst vor
     hinterherhinken. Seitdem wird vor allem bei den politisch       drei Jahren den ministeriellen Ritterschlag erhielt, bis heute
     Verantwortlichen rhetorisch der Turbo der nachholenden          allein von abgeordneten Lehrkräften ohne eine einzige IT-
     Entwicklung gezündet. Mangels einer zeitgemäßen IT-In­          Fachkraft gestemmt werden.
     frastruktur und einheitlicher Vorgaben aus Wiesbaden ste-       • Gleichzeitig verbaut die Ayatollah-Perspektive hinnehm-
     hen die Schulen seit letztem Frühjahr vor riesigen Heraus-      bare Kompromisse zwischen dem Datenschutz und dem Recht
     forderungen, um Distanzunterricht als „das neue Normal“         auf Bildung, da der Weg zu der noch fehlenden öffentlichen
     gestemmt zu bekommen. Im gesellschaftlichen Diskurs über        IT-Infrastruktur und der damit herzustellenden Datensouve-
     das Wie und Wann der nachholenden Digitalisierung und           ränität der Schulen mit Sicherheit noch ein weiter sein wird.
     die digitalen Grundrechte scheiden sich die Geister vor al-         Der Jurist Buermeyer setzte auch bei der Corona-Warn-
     lem beim Thema Datenschutz (1).                                 App auf die Güterabwägung zwischen dem Gesundheitsschutz
                                                                     der Bevölkerung und der Wahrung von Privatsphäre und in-
                                                                     formationeller Selbstbestimmung der App-Nutzer:innen. In
                 Von Datenschutz-Ayatollahs...
                                                                     diesem Spannungsverhältnis galt es konkret zu bestimmen,
     Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheits-     wie die via Bluetooth getrackten personenbezogenen Daten
     rechte, prägte in der Diskussion um die Corona-Warn-App         verarbeitet werden und welche Behörde zu welchem Zweck
     der Bundesregierung den Begriff des „Datenschutz-Ayatol-        welche Daten auswerten kann. Ganz wesentlich zur Wahrung
     lahs“ (2). Auf die Datenschutzdebatten in den Schulen über-     der Rechte der Bürger:innen ist, dass die App-Macher:innen
     tragen passt er auf den ersten Blick in das Framing der-        ihre Entscheidungen gegenüber den App-Nutzer:innen trans-
     jenigen, die sich selbst als pragmatische Enthusiast:innen      parent machen, die die App dann freiwillig herunterladen
     der Digitalisierung begreifen. Die „Ayatollahs“ sind in die-    können. Was heißt das für die Schule?
     ser Perspektive diejenigen, die mit dem Datenschutz in der
     Pandemie die Nutzung digitaler Medien für den Distanzun-
                                                                                  Abwägung von Grundrechten
     terricht blockieren und sich mit größter Emphase und dog-
     matischer Strenge auf die Suche nach jeder noch so kleinen      Buermeyer und andere zeigen auch für die Schule Wege für
     Möglichkeit eines Datenlecks in der Corona-Warn-App und         einen Umgang mit dem Datenschutz auf, der nicht hand-
     anderswo machen – und selbstredend auch fündig werden.          lungsunfähig macht. Sicher, der Vergleich mit der Coro-
     Im Schulkontext lassen sie sich dann gut erkennen, wenn         na-Warn-App hinkt, weil sich Schülerinnen, Schüler und
     vor Ort bereits vergleichsweise hohe Datenschutzstandards       Lehrkräfte unter Pandemiebedingungen nur sehr bedingt frei-
     erreicht worden sind. Der „Datenschutz-Ayatollah“, es sind in   willig in die „Schule am Draht“ begeben. Doch um die Abwä-
     der Empirie wirklich überwiegend Männer, sucht und findet       gung des Grundrechts auf Bildung und des Grundrechts auf
     immer weitere Gründe, die eine Nutzung digitaler Plattfor-      informationelle Selbstbestimmung kommen auch sie nicht
     men und digitaler Tools bis auf Weiteres unmöglich machen.      herum! Die Abwägung muss an jeder Schule erfolgen, den
                                                                     konkreten Stand der Digitalisierung der Schulgemeinde be-
                                                                     trachten und kurz- und langfristige Schritte hin zu einer da-
                … und Datenschutz-Desperados
                                                                     tensouveränen IT-Infrastruktur aufzeigen.
     Kolleginnen und Kollegen, denen der Datenschutz erkennbar           So gab es während der ersten Schulschließung im Früh-
     am Herzen liegt, fühlen sich durch die Begrifflichkeit kari-    jahr 2020 durchaus nachvollziehbare Gründe, auch digitale
     kiert und sehen zugleich in den anderen die „Datenschutz-       Tools und Plattformen für unterrichtliche Zwecke möglichst
     Desperados“, die die Möglichkeit der Datensouveränität in       datensparsam zum Einsatz zu bringen, die in Sachen Daten-
     digitalen Netzwerken in der Schule als weltfremde Vorstel-      sicherheit und Datenschutz zumindest bedenklich sind. Der
     lung hinstellen und den Plattform-Kapitalismus mit seiner       Ansturm der Schulen auf das SPH war immens, und die Auf-
     Tendenz, digitale Infrastruktur in die Verfügungsgewalt we-     nahme konnte mit den begrenzten Ressourcen nur mit War-
     niger Tech-Giganten zu legen, zum Naturgesetz erheben.          tezeit realisiert werden. Das rechtfertigt es jedoch nicht, die
     Statt sich mit müßigen Datenschutzfragen zu quälen, prei-       damals gefundenen Lösungen auf Dauer beizubehalten und
     sen sie die Chancen der vielfältigen Tools und kommerziel-      die digitalen Grundrechte der Beteiligten weiter dem Despera-
     len Lern- oder Büroplattformen und verklären den Service        do-Opportunismus zu opfern. Genauso wenig ist es gerecht-
     der leistungsstarken Giganten zur Lösung der sozialen Frage     fertigt, die Einsatzmöglichkeiten sehr stark einzuschränken.
     im Distanzunterricht. In diesen holzschnittartigen Framings         Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informa-
     haben beide Seiten große blinde Flecken:                        tionsfreiheit (HBDI) hat den Weg zwischen Skylla und Cha-
     • Die Desperado-Perspektive verstellt die Sicht auf die po-     rybdis gesucht, für alle „gängigen Videoplattformen“ eine
     litische Verantwortung des Hessischen Kultusministeriums        „befristete Duldung“ ausgesprochen (allerdings ohne Aufla-
     (HKM) für die Wahrung der Datensouveränität der Schulen.        gen zur Datensparsamkeit) und jetzt eine Nutzung über den
     Schließlich muss das Schulportal Hessen (SPH), das seit vie-    1.8.2021 hinaus untersagt (HLZ S.14).
11      HLZ 5/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                                      TITELTHEMA

         Schulen, die zu Beginn der Schulschließungen eine kom-
     merzielle Lern- oder Büroplattform gewählt haben, haben
     bewusst oder unbewusst in Kauf genommen, dass sie dafür
     mit den Meta-Daten von Schülerinnen, Schülern und Lehr-
     kräften bezahlen. Diese Daten fließen in die Entwicklung al-
     gorithmischer Entscheidungsverfahren ein, die künftig das
     Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler messen und Bil-
     dungschancen gewähren oder versperren könnten (3). Viele
     Schulleitungen kennen ihre Pflichten nicht, die sie als daten-
     verarbeitende Stelle nach der Datenschutzgrundverordnung
     (DSGVO) haben, oder sie werden vernachlässigt oder gar ge-
     leugnet (4). Von einer Aufklärung der Betroffenen über die
     aufkommende Ungleichbehandlung ganzer gesellschaftlicher
     Gruppen via Datenanalyse sind wir weit entfernt.
         Das HKM hat sich seinerseits erst spät und mit der übli-
     chen Geheimniskrämerei daran gemacht, die Datenschutz-
     konformität des Schulportals auf den Weg zu bringen. Das
     ist ärgerlich und behindert die Mitbestimmungsrechte des
     Hauptpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) bei
     essenziellen Dingen wie dem Verfahrensverzeichnis, den Rol-
     lenkonzepten oder der Risikofolgenabschätzung. Das ändert
     jedoch nichts daran, dass sich eine Perspektive auf eine nach-      HLZ-Autor Dirk Kretschmer sieht „durchaus nachvollziehbare Grün-
     holende Datensouveränität der Schulen nur im Rahmen des             de“, warum mangels öffentlicher Alternativen beim ersten Lockdown
     SPH realisieren lässt (HLZ S.13).                                   im Frühjahr 2020 „auch digitale Tools und Plattformen der Tech-
                                                                         Giganten zum Einsatz kamen, die in Sachen Datensicherheit und
                                                                         Datenschutz zumindest bedenklich sind“. Das rechtfertige jedoch
       Das Schulportal unterstützen und hinterfragen                     nicht, „die damals gefundenen desperaten Lösungen auf Dauer bei-
     Würde sich das HKM aus dem Paradoxon herausbegeben, Da-             zubehalten und die digitalen Grundrechte der Beteiligten weiter aus
     tenschutz hinter verschlossenen Türen vorantreiben zu wol-          Opportunitätsgründen zu opfern“. (Bild: Dieter Tonn)
     len, würde sich die großartige Chance eröffnen, das Schul-
     portal zu einem virtuellen Lernort für digitale Grundrechte         renzen und für die Vertretungen der Schülerinnen, Schüler
     in den Schulgemeinden zu machen:                                    und Eltern - einzeln und gemeinsam?
     • Das Schulportal könnte ein Lernort für die Fortbildung der        • Welche Restrisiken gibt es für die Einzelnen und für die
     Kollegien werden und Lehrkräfte in die Lage versetzen, den          Gesellschaft und lassen sie sich beseitigen oder sind sie in
     Schüler:innen einen mündigen Umgang mit den kleinen und             Kauf zu nehmen?
     großen Computern vorzuleben, die unser aller Leben prägen.              Die Chancen für ein umfassendes Demokratie-Lernen in
     • Das Schulportal würde so auch zu einer Werkstatt zur Ver-         einer kollektiven Praxis und für eine progressive Digital- und
     änderung des Unterricht. Der vielgestaltige Einfluss, den die       Bildungspolitik liegen auf der Hand. Und die GEW wäre nicht
     digitale Vernetzung in immer mehr Bereichen unserer Gesell-         meine GEW, wenn sie nicht zum Motor eines solchen Pro-
     schaft ausübt, gehört in den Unterricht, in Fächer wie Ethik        zesses würde! Personalräteschulungen zu den Datenschutz-
     und PoWi und in fächerübergreifende Vorhaben, nicht nur             konzepten des Schulportals sowie übersichtliche Informati-
     an Projekttagen. Digitale Mündigkeit ist mehr als die Ver-          onsmaterialien könnten ein Anfang sein.
     mittlung der technischen Seite der digitalen Medaille im In-            Lasst uns die Digitalisierung unserer Schulen als Kampf-
     formatikunterricht.                                                 ansage für unsere digitalen Grundrechte anpacken, anstatt
         Grundlage all dessen ist ein anderes Verständnis von Di-        sie bewusstlos der destruktiven Dialektik von Datenschutz-
     gitalpolitik, das einer fortschrittlichen Gesellschafts- und Bil-   Desperados und Datenschutz-Ayatollahs zu überlassen.
     dungspolitik verpflichtet ist, wie es unter anderem von der                                                     Dirk Kretschmer
     Initiative „Chaos macht Schule“ vertreten wird (5). Unterstüt-      Dirk Kretschmer ist Lehrer an der Max-Beckmann-Schule, einem
     zen und hinterfragen wir also das Schulportal:                      Oberstufengymnasium in Frankfurt, und Mitglied der GEW-Fraktion
     • Wie stärkt das Schulportal die Datensouveränität der              im Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Staatlichen
     Schule gegenüber der Nutzung kommerzieller Lösungen der             Schulamt Frankfurt.
     Tech-Giganten?                                                      (1) vgl. Rainer Mühlhoff: Warum wir gerade jetzt eine Debatte über
     • Wie unterscheiden sich Datensicherheit und Datenschutz            Datenschutz brauchen. In: netzpolitik.org; Kurz-URL: https://ogy.
     auf meinem privaten Smartphone, in der SPH-App „Mein                de/5s64
     Unterricht“ oder bei der Gestaltung einer Präsentation mit          (2) Buermeyer beteiligt sich an der Debatte vor allem über den
     dem SchulMahara?                                                    ­Politik-Podcast „Lage der Nation“, den er mit dem Journalisten
     • Welchen Grad an Transparenz wird das Datenschutz-                  Philip Banse betreibt. URL: https://lagedernation.org
                                                                          (3) vgl. Sigrid Hartong: Learning Analytics und Big Data in der
     konzept des HKM für das SPH bieten? Wie steht es um die
                                                                          Bildung. GEW-Schriftenreihe Bildung in der digitalen Welt (11/19).
     mögliche und notwendige Transparenz? Welche politischen,             (4) vgl. HLZ S.13 und Dirk Kretschmer: Lernplattformen nachhaltig
     ökonomischen und juristischen Motive verfolgt die Landes-            gestalten. In: HLZ 12/2020. S. 24f.
     regierung?                                                           (5) Chaos macht Schule: Forderungen für eine zeitgemäße digitale
     • Welche gestaltenden Handlungsmöglichkeiten bieten sich             Bildung an unseren Schulen. Download auf der Homepage des
     für Personalräte und Schulleitungen, für die Gesamtkonfe-            ChaosComputerClubs, Kurz-URL: https://ogy.de/yf9j
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