Herz & Gefäße - doctors.today
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www.doctors.today ZKZ 32577 Praxis-Impulse für Hausärzt:innen 2/2023 Herz & Gefäße Plötzlicher Herztod Mehr Bürokratie ... Social Recruiting Asthma oder COPD? Hochrisiko-Kandi- ... durch digitale So funktioniert es So stellen Sie die daten identifizieren Anwendungen für die Arztpraxis korrekte Diagnose
doctors today ● jung geblieben ● dynamisch ● sucht �i�it�� 12.0015 Foto: Group4 Studio - iStockphoto doctors|today unterstützt Sie mit umfassenden, hilfreichen Informa- tionen und Tipps für Ihre Fortbildung und Ihren Praxis-Alltag – via Online-Fortbildung (CME) unter Zeitschrift, digital im Online-Portal oder ganz regelmäßig via News- 2 letter in Ihrdoctors | today 2/2023 persönliches E-Mail-Postfach. Ihre Wahl! www.kirchheim-forum-cme.de www.doctors.today
Foto: Science Photo Library / EYE OF SCIENCE www.doctors.today doctors today doctors | today 2/2023 3 Urinstein: kristalline Ablagerungen aus Mikrokosmos Bestandteilen des Urins und Mineralien aus Spülwasser sowie Unmengen von Bakterien
Wie leben, denken und fühlen „Halbgötter in Weiß“ wirklich? Dr. Fritz Me yer „Herr Sie Doktor, sind A rz t ! doch der “ Schmunzelg eschichten aus drei Jah und Reflexio rzehnten H nen ausarztprax is … Das weiß Dr. Fritz Meyer und setzt mit diesem Büchlein dem aufregenden Alltag der Hausärzt:innen ein Denkmal. 124.0001 - Foto: Roman Valiev - iStockphoto 1. Auflage 2020, 72 Seiten, Überall im Buchhandel oder gleich hier bestellen: Kirchheim-Verlag, Mainz 9,90 €, ISBN 978-3-87409-712-3 per Internet per Telefon www.kirchheim-shop.de 07 11/ 66 72-14 83
doctors editorial PROTEST MUSS WEHTUN, WENN ER WIRKEN SOLL A rztpraxen arbeiten Tag für Tag unter großer dann, wenn es für die Bevölkerung am schmerzhaf- Belastung – besonders Hausärztinnen und testen ist: in den Ferien. Das tun wir bislang nicht, Hausärzte. Explodierende Kosten, die durch und die Politik weiß das. Die Kassen nutzen das begrenzte und ungenügende Gegenfinanzierung, aus. In einem budgetierten System werden Leis- überbordende Bürokratie, Fachkräftemangel noch tungswille und Selbstaufopferung nicht belohnt. verschärft werden: Wir tragen die Folgen akuter Pflichtgefühl darf uns nicht abhalten: Wir müs- und jahrzehntelanger politischer Fehlsteuerung. sen alles daransetzen, die Versorgung unserer Pa- Gesundheitsminister Lauterbach ignoriert uns Nie- tienten und unseren Berufsstand dergelassene bei den meisten Entscheidungen. Es auch langfristig zu sichern. ist Zeit, uns selbst zu helfen! Daher ist Protest notwendig. Und Deshalb plädiert der Virchowbund für eine 4-Tage- Protest muss wehtun, wenn er Woche in den Praxen. Ein Tag ohne Sprechstun- wirken soll. Damit er wehtut, Virchowbund-Lopata den – beispielsweise an einem Mittwoch, da an müssen wir Ärzte zeigen, dass wir diesem Tag viele Praxen ohnehin nur vormittags untereinander solidarisch sind. Sprechstunden anbieten. Der Organisationsauf- Für Akutpatienten gibt es den wand ist damit gering, die symbolische Wirkung ärztlichen Bereitschaftsdienst, Dr. med. Dirk Heinrich jedoch groß: Unter einem Etikett wie „Bürokratie- den die KVen entsprechend aus- Mittwoch“ ist der Schließtag ein eindrückliches richten können. Natürlich werden einige Patienten Symbol, wie viel ärztliche Arbeitszeit durch Do- auch in die Notaufnahmen der Kliniken auswei- kumentationspflichten, Prüfanfragen und andere chen. Gerade das wird den Druck auf den Gesund- Zeitfresser verloren geht. heitsminister noch weiter erhöhen. Viele Kolleginnen und Kollegen sorgen sich ver- Ab Februar protestieren Hausärzte und Fachärz- ständlicherweise um die Betreuung ihrer Pati- te gemeinsam mit Praxisschließungen unter dem enten, wenn die Praxis an einem Tag pro Woche Motto „Praxis in Not“ – vorzugsweise mittwochs, schließt. Doch mit der 4-Tage-Woche kämpfen wir aber auch an anderen Tagen. genau dafür: eine gute Patientenversorgung. Wenn bald immer mehr Praxen wegen akuten Fachkräf- Und zwar für unsere Patienten, nicht gegen sie. temangels oder auch Unwirtschaftlichkeit schlie- ßen müssen – wer versorgt die Patienten dann? Der Dr. med. Dirk Heinrich Hausärztemangel führt jetzt schon zu immensem Facharzt für Allgemeinmedizin Druck auf die verbliebenen Praxen. Und wie sol- Facharzt für HNO len Hausärzte die Patienten im Gesundheitswe- Bundesvorsitzender des Virchowbundes sen steuern, wenn es kaum noch niedergelassene 10115 Berlin Fachärzte gibt? Die meisten von uns, und ganz besonders die Haus- ärztinnen und -ärzte, eint ein starkes Pflichtge- fühl gegenüber unseren Patienten. Piloten streiken www.doctors.today doctors | today 2/2023 5
doctors contents Plötzlichen Herztod vermeiden 14 Fast ein Drittel aller Menschen mit einer kardio- vaskulären Todesursache verstirbt am plötzlichen Herztod. Gefährdet sind vor allem Patient:innen Cozine - stock.adobe.com nach überstandenem Herzinfarkt, mit Herzinsuf- fizienz oder einer Rhythmusstörung. Wie genau Hochrisikopatient:innen identifiziert werden können und wie man einem plötzlichen Herztod vorbeugen kann, lesen Sie ab Seite 14. 22 So werden Sie in den Sozialen Medien fündig Die Veränderung des Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt verlangt auch ein neues Denken hinsichtlich der Mitarbeiter- gewinnung. Die erste Kontaktaufnahme mattjeacock - iStockphoto mit der Praxis sollte für Bewerber:innen zum Beispiel so barrierearm wie möglich sein. Ein wichtiges Motto für die Präsenz Ihrer Praxis auf Facebook & Co lautet übrigens „authentisch statt perfekt“. Mehr Bürokratie durch digitale Anwendungen 26 Den bürokratischen Aufwand in den Praxen einzu- dämmen, hat sich die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) schon seit Langem zum Ziel gesetzt. Sashkin - stock.adobe.com Bisher hielt sich der Erfolg aber in engen Grenzen, wie die Körperschaft in ihren jährlichen Bürokratieindices (BIX) selbst beklagte. Von der fortschreitenden Digita- lisierung des Gesundheitswesens erhoffte man sich da Fortschritte. Aber die sind erst einmal nicht in Sicht. doctors|news doctors|digital 9 Nachruf: Ein großer Diabetologe ist gegangen 22 Social Recruiting in der Arztpraxis 10 Mehr Geld für Terminvermittlung 10 TI-Pauschale kommt doctors|politics 11 Vier-Tage-Woche für Praxen 24 Klimagerechte Hausarztpraxis ist möglich 12 Hausärzt:innen im Kampf gegen Klimawandel 26 Mehr Bürokratie durch digitale Anwendungen 13 Körperliche Aktivität verringert 29 Forschung in der Allgemeinmedizin: Diabeteskomplikationen Schlag unter die Gürtellinie doctors|focus doctors|medicine 14 Plötzlichen Herztod vermeiden: 30 Asthma oder COPD: Risikopatient:innen erkennen und schützen So stellen Sie die richtige Diagnose 18 Koronare Herzkrankheit: 34 Proktologie: Es gibt viel mehr als Hämorrhoiden Wann ist Ergometrie noch sinnvoll? 38 Krebspatient:innen in der Hausarztpraxis: Mit Sport und Bewegung Lebensqualität steigern 6 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
CH BA FÄ 23 LI R NG ER UM X® EF L A LI OL OV V M ER EU SORRY. D PN IE BEI PNEUMOKOKKEN W MUSS MAN HART BLEIBEN. � PNEUMOVAX® 23 enthält 23 Pneu- mokokken-Serotypen1, die für etwa 74% der IPD-Fälle bei Erwachsenen 60+ in Deutschland (2017/18)2 ver- antwortlich sind. • Derzeit ist PNEUMOVAX® 23 der einzige Impfstoff in Deutschland, der die Voraussetzungen der STIKO- Empfehlung für die Pneumokokken- Standardimpfung 60+ erfüllt.3 IMPFEN SIE JETZT IHRE PATIENTEN 60+! PNEUMOVAX® 23. PNEUMOVAX® 23 1 x 1 Fertigspritze mit 2 Kanülen PZN 10311304 Polysaccharid-Impfstoff, der 23 PNEUMOVAX® 23 10 x 1 Fertigspritze mit 2 Kanülen PZN 10311310 Pneumokokken-Serotypen enthält 1 Fachinformation PNEUMOVAX® 23, Stand Oktober 2021. 2 van der Linden M et al. Limited indirect effects of an infant pneumococcal vaccination program in an aging population. PLoS One. 2019;14(8):e0220453. 3 Ständige Impfkommission: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut 2022. Epid Bull 2022;4:3- 67 PNEUMOVAX® 23 Wirkstoff: Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff Zus.: Arzneil. wirks. Bestandt.: 1 Impfdosis (0,5 ml) enth. jeweils 25 Mikrogramm der folg. 23 Pneumokokken-Polysaccharid-Serotypen: 1, 2, 3, 4, 5, 6B, 7F, 8, 9N, 9V, 10A, 11A, 12F, 14, 15B, 17F, 18C, 19F, 19A, 20, 22F, 23F, 33F. Sonst. Bestandt.: Phenol, Natriumchlorid, Wasser für Injekt.-zwecke Anw.: Empf. f. Kdr. ab 2 J., Jugendl. und Erw. zur aktiven Immunisierung gg. Krankh., die durch Pneumokokken hervorgerufen werden. Gegenanz.: Überempf.-keit gg. die Wirkstoffe od. e. d. sonst. Bestandt. Vorsicht bei: Elektiver Splenektomie. Geplanter od. abgeschloss. Chemo- od. Strahlenther., od. and. immunsuppr. Behandl. Pat. m. krankheits- od. the- rapiebedingter Immunsuppression. Ältere Pat. ≥ 65 J. Bes. gefährdeten Pat. (z. B. bei Asplenie od. nach immunsuppressiver Therapie). Pers. m. Schädelbasisbruch od. off. Verletz. d. Liquorraumes. Nicht empf.: Impf. während Chemo- od. Strahlenther. Wiederholungsimpf. nach weniger als 3 J. od. v. gesund. Erw. od. Kdrn. Vorliegen e. schweren, mit Fieber einhergeh. od. e. and. akuten Erkrankung od. wenn eine systemische Reaktion ein signifikantes Risiko darstellen würde. Schwangerschaft. Stillzeit. Nebenw.: Sehr häufig: Fieber (≤ 38,8 °C); Lokalreaktionen an der Injekt.-stelle (Erythem, Verhärtung, Schmerz, Schmerzhaftigkeit, Schwellung, Überwärmung). Selten: Zellulitis an der Injekt.-stelle (in kurzem zeitl. Abstand zur Impf.). Nicht bekannt: Hämolytische Anämie (bei Pat., die früher hämatologische Erkrank. hatten); Leukozytose; Lymphadenitis; Lymphadenopathie; Thrombozytopenie (bei Pat. mit stabilisiert. idiopathischer thrombozytopenischer Purpura). Anaphylaktoide Reakt.; Angioödem; Serumkrankheit. Fieberkrämpfe; Guillain-Barré-Syndrom; Kopfschmerzen; Parästhesie; Radikuloneuropathie. Übelkeit; Erbrechen. Ausschlag; Urtikaria. Arthralgie; Ar- thritis; Myalgie. Abgeschlagenheit; Schüttelfrost; Fieber; Bewegungseinschränkung (in der Extremität, in die der Impfstoff verabreicht wurde); Unwohlsein; Peripheres Ödem (in der Extremität, in die der Impfstoff verabreicht wurde). Erhöhtes C-reaktives Protein. Zusätzlich: Müdigkeit. Warnhinw.: Nicht intravasal verabreichen. Intradermale Inj. vermeiden. Für den Fall e. akuten anaphylaktischen Reakt. geeignete medizin. Behandlungsmaßn. (inkl. Adrenalin) bereit- DE-PNX-00139 stell. Frühest. 3 Monate nach Abschluss einer Chemo- u./od. Strahlentherapie verabr. Bei hoch dosierter od. längerer immunsuppressiver Behandlung evtl. noch größerer Abstand angemessen. Hinw.: Notwendige Antibiotika-Prophylaxe gg. Pneumokokken-Infekt. sollte nach Impf. fortgeführt werden. Impfschemata sind den offiziellen Impfempf. zu entnehmen. Der Impfstoff schützt nicht gg. akute Otitis media, Sinusitis od. and. weit verbreitete Infekt. d. oberen Atemwege. Verschreibungspflichtig. Bitte lesen Sie vor Verordnung von PNEUMOVAX ® 23 die Fachinformation! Pharmazeutischer Unternehmer: MSD Sharp & Dohme GmbH, Levelingstr. 4a, 81673 München MSD Infocenter: Tel. 0800 673 673 673, Fax 0800 673 673 329, E-Mail: infocenter@msd.de Stand: 10/2021 (RCN: 000021632-DE)
doctors contents „Ich glaube, ich habe Hämorrhoiden.“ 34 Diesen Satz hört man oft von Patient:innen, die mit Blutungen, Juckreiz oder Schmerzen in der Analregion die Praxis aufsuchen. Dabei ist die Atlas - stock.adobe.com Palette möglicher Ursachen für diese Symptome recht breit. Durch gezielte Fragen, Inspektion des Perianalbereichs und rektale Untersuchung kommt man möglichen Diagnosen wie Ekzem, Fissur, Fistel, Abszess oder Prolaps oft schon auf die Spur. 46 Die optimale Raumplanung einer Hausarztpraxis Ob Neubau, Umbau oder Renovierung: Bei der Planung einer Hausarztpraxis ist der Grundriss entscheidend, damit das Praxiskonzept im Optimalfall Naphat_Jorjee - iStockphoto Jahrzehnte reibungslos funktioniert. Worauf Sie achten müssen, welche Kosten auf Sie zukommen und wo Sie sparen können, erklärt unsere Praxisbau-Expertin. Intuitives Bogenschießen für die Hausarztpraxis 63 Die moderne Arbeitswelt kann krank machen und michelangeloop - stock.adobe.com zu Symptomen führen wie Unruhe oder Schlaf- störungen. Diese müssen von Hausärzt:innen als Gesundheitsgefährdungen wahrgenommen und patientengerechte Behandlungsoptionen entwi- ckelt werden. Das intuitive Bogenschießen kann hier als wirksame Maßnahme in der psychosoma- tischen hausärztlichen Grundversorgung dienen. doctors|science doctors|drugs 42 Krebs bei Kindern durch CT? 56 Penicillin-Allergie: ja oder nein? 42 Erkältung: Besser die Nase warm halten 56 Colitis ulcerosa: Zielgerichtet behandeln 43 Doch Hoffnung bei Alzheimer? 57 COPD: Rechtzeitig handeln! 57 Allgemeine Schlafstörungen: doctors|management Was können die Betroffenen selbst tun? 44 Wunschpatient:innen in der Hausarztpraxis 58 Muskuloskelettale Verletzungen: 46 Gestaltung einer Hausarztpraxis: Die Rolle von Entzündungsprozessen optimale Raumplanung – wie, wo, was? 58 „Grün, gelb, rot für intuitive Lernprozesse“ 49 Wenn es nicht „nur“ in den Wohnstuben kälter wird doctors|lounge 50 New Work in der Medizin: 62 Je oller, desto doller Raus aus der Legebatterie! 63 Intuitives Bogenschießen für die Hausarztpraxis 54 Toolbox: Produkte für die Praxis 59 Impressum 8 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors today Nachruf Ein großer Diabetologe ist gegangen P rofessor Dr. Hellmut Mehnert ist am traordinarius an der Universität München. Von 27. Januar, wenige Wochen vor seinem 95. 1964 bis 1990 war er ständiger Vertreter der Bun- Geburtstag am 22. Februar, gestorben. desrepublik im Diabetes-Experten-Komitee der WHO. 1973 übernahm er die Präsidentschaft der Hellmut Mehnert, geb. 1928 in Leipzig, kam in sei- Deutschen Diabetes Gesellschaft und 1975 war er ner Familie bereits früh mit Diabetes in Berührung: Präsident des Kongresses der Europäischen Dia- Beide Eltern und ein Großvater hatten Typ-2-Diabe- betes-Gesellschaft. Weitere Positionen waren u. a. tes. Sein Vater war Arzt, seine Mutter Arzthelferin, die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft die Praxisräume waren im selben Stockwerk wie für Innere Medizin, die Präsidentschaft der Deut- die Wohnung der fünfköpfigen Familie. schen Diabetes-Union (DDU) und der Vorsitz des Deutschen Dachverbandes Endokrinologie/Dia- Seine berufliche Laufbahn begann er nach dem betologie. 1998 stiftete er den Hellmut-Mehnert- Krieg und seiner Internierung in den Jahren da- Preis für die Erforschung des Diabetes und seiner nach im Jahr 1949 in München. Das Medizinstu- Komplikationen unter der Schirmherrschaft der dium beendete er 1954 mit der Promotion und UNESCO und der DDU. Er publizierte zahllose Ar- kam – durch Zufall und eher gegen seinen Willen tikel, Kapitel und Bücher. Im Jahr 2003 erhielt er – während seiner Weiterbildung zum Internisten die Paracelsus-Medaille. in die Diabetikerambulanz in München. Diabetes ließ ihn danach nie wieder los. Viel tat sich in die- Hellmut Mehnert war ein hoch engagierter, viel- ser Zeit: Der junge Mehnert wirkte an ersten Stu- fach ausgezeichneter Diabetologe, der auch dem dien mit, in denen die allerersten oralen Antidia- Kirchheim-Verlag eng verbunden war. Früh wurde betika erprobt wurden. Ein Aufenthalt als Gastarzt er Mitglied der Chefredaktion des „Diabetes-Jour- in der Joslin-Klinik in Boston (USA) vertiefte sein nals“ und blieb der Zeitschrift für Menschen mit Interesse an Diabetologie. Die Joslin-Klinik war Diabetes über Jahrzehnte treu. Er half dabei, Wis- „die damals mit Abstand führende Diabeteskli- sen über Diabetes in die Breite zu tragen. In den nik in der Welt“, wie er in seiner Autobiographie jährlich stattfindenden Redaktionskonferenzen für schreibt. Nach weiteren Stationen wurde der In- das „Diabetes-Journal“, die er immer sehr engagiert ternist 1966 Chefarzt der III. Medizinischen Ab- leitete und moderierte, zeigte sich dieses Hinwen- teilung im Krankenhaus München-Schwabing. Im den zu den Patient:innen deutlich. Auch im Ex- gleichen Jahr heiratete er. Bis zum Jahr 1972 wuchs pertenbereich arbeitete der Kirchheim-Verlag mit die Familie, vier Töchter kamen auf die Welt. Sei- dem renommierten Diabetologen über Jahrzehnte ne Frau und die Kinder spielten in seinem priva- intensiv und freundschaftlich zusammen. In unse- ten wie auch in seinem beruflichen Leben immer rem Titel für Allgemeinärzt:innen „doctors|today“ eine wichtige Rolle. hat er die Serie „Mehnerts Diabetes-Tipps“ betreut und damit diese 2010 im Vorgängermedium begon- Ein Meilenstein der Diabetologie war das welt- nene Kolumne fortgesetzt. Professor Mehnert lag weit größte Diabetes-Screening 1967, das er auf viel daran, Forschung so zu vermitteln, dass sie den Weg brachte. Alle Münchner erhielten einen auch für niedergelassene Allgemeinärzt:innen um- Harnzuckerteststreifen zum Messen der Zucker- setzbar ist. Der Kirchheim-Verlag hat ihm – nicht ausscheidung im Urin. 72 % der Münchner Bevöl- nur in dieser Hinsicht – viel zu verdanken. Mehnert kerung schickten den benutzten Teststreifen und war auch ein sehr humorvoller Mensch – obwohl einen Fragebogen zurück – und es zeigte sich, dass er an einem Aschermittwoch geboren worden war, deutlich mehr Menschen einen Diabetes hatten, an dem die humorvollen Tage erst einmal vorüber als bekannt war. Der „Diabetologe mit Herzblut“ sind. Gern nahm er in verschiedensten Verkleidun- hatte zahlreiche Positionen inne: 1966 wurde er gen z. B. als „Kalif in München“ sich selbst und die Vorstand der Forschergruppe Diabetes im Institut Mitarbeitenden in seiner Klinik auf die Schippe. für Diabetesforschung in München-Schwabing. So werden wir alle ihn in guter und freundschaft- 1968 erfolgte die Ernennung zum außerplanmä- licher Erinnerung behalten. ßigen Professor und 1974 zum persönlichen Ex- Dr. Katrin Kraatz/Dr. Vera Seifert | www.doctors.today doctors | today 2/2023 9
doctors news 16.000 Arztpraxen … MQ-Illustrations - stock.adobe.com … bangen um ihre Existenz wegen der hohen Ener- giekosten. Das will die Stiftung Gesundheit aus ei- ner Umfrage ermittelt haben. Demnach klagen fast 40 % der Praxisinhaber:innen darüber, dass sie in erheblichem oder sogar existenzbedrohendem Maß von hohen Energiepreisen betroffen seien. Um die steigenden Kosten bewältigen zu können, sen- ken 70,4 % der Ärzt:innen die Raumtemperatur in TI-Pauschale kommt ihren Praxen. 65,2 % überwachen vermehrt den Strom- und Gasverbrauch und 53,4 % sparen Ener- Vertragsärzt:innen sollen künftig eine monatliche gie, indem sie TI-Pauschale zur Finanzierung der Ausstattungs- vorhandene und Betriebskosten erhalten, die für die Telematik- Geräte nicht infrastruktur (TI) anfallen. Die konkrete Höhe der nutzen. Um die TI-Pauschale und welche Komponenten und Diens- Energiekosten te zur erforderlichen Ausstattung der Praxen gehö- bezahlen zu ren, soll die KBV mit dem GKV-Spitzenverband für können, ver- jeweils zwei Jahre festlegen. Dies soll erstmalig bis Negro Elkha - stock.adobe.com schiebt zudem zum 30. April 2023 erfolgen. Die TI-Pauschale soll ein Drittel der erstmals zum 1. Juli 2023 an die Vertragsärzt:innen betroffenen ausgezahlt werden. Sie kann gekürzt werden, wenn Praxen geplante die vereinbarten Nachweise der erforderlichen Aus- Anschaffungen, stattung nicht vorliegen. Für Praxen hat die neue so die Umfrage. Regelung zur Folge, dass sie insbesondere bei Neu- anschaffungen in Vorleistungen gehen müssen. Quelle: KBV Mehr Geld für Terminvermittlung eRezept oder Papier? Die Zuschläge für die Terminvermittlung werden zum 1. Januar 2023 deutlich angehoben. Die Haus- Eigentlich ist es schon da, das eRezept, aber so ärzt:in, die für eine Patient:in einen dringenden richtig dann doch noch nicht. Nun heißt es, dass Termin bei einer Fachärzt:in oder Psychothera- das Einlösen von elektronischen Rezepten ab Mit- peut:in vereinbart, erhält nach GOP 03008 15 € (131 te 2023 tatsächlich möglich sein soll. Es wird auf Punkte, zuvor 93). Der vermittelte Termin muss jeden Fall aber nicht so sein, dass alle Arztpraxen spätestens 4 Kalendertage nach Feststellung der gleichzeitig ab einem bestimmten Stichtag nur Behandlungsnotwendigkeit liegen. Auch bei einem noch eRezepte ausstellen dürfen, sagt die Kassen- späteren Termin werden die 15 € gezahlt, wenn ärztliche Bundesvereinigung (KBV). Ärzt:innen eine Terminvermittlung durch die Terminservice- stellen der Kassenärztlichen Vereinigung oder ei- ne eigenständige Terminvereinbarung durch die MQ-Illustrations - stock.adobe.com Patient:in (oder eine Bezugsperson) aufgrund der medizinischen Besonderheit des Einzelfalls nicht angemessen oder nicht zu- mutbar ist. In welchen Fällen das zutrifft, entscheidet die Ärzt:in. Sie muss den Grund dafür dokumentieren. Liegt der Termin erst am 24. Tag oder später (max. bis zum 35. könnten ihren Patient:innen bis auf Weiteres Arz- Tag) ist in der Abrechnung ei- neimittel immer noch auf dem rosafarbenen Pa- Janina Dierks - Fotolia ne medizinische Begründung pierrezept (Muster 16) verordnen. Vertragsärzt:in- erforderlich, so die Kassen- nen, die technisch und organisatorisch dazu in der ärztliche Bundesvereinigung Lage sind, können aber schon jetzt eRezepte aus- (KBV). stellen, so die KBV. 10 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors news Diabetes-Dialog zur Ernährung Mehr als 70.000 Menschen haben letztes Jahr live eingeschaltet, um am #DiabetesDialog teil- zunehmen. Und auch in diesem Jahr ist die De- Benjamin Gutzler - stock.adobe.com vise: Menschen mit Diabetes zuhören, antwor- ten und unter- stützen. Im Jahr 2023 wird es im Rahmen der In- itiative mehrere #DiabetesDialo- ge geben. Am 16. März 2023 findet 4-Tage-Woche für Praxen BillionPhotos.com - stock.adobe.com ab 16.30 Uhr der erste virtuelle Der Ärzteverband Virchowbund plädiert dafür, #DiabetesDialog Patient:innen nur noch an 4 Tagen in der Woche statt. Schwer- zu behandeln. Mittwochs sollten alle Arztpraxen punkt der Ver- auf eine ambulante Versorgung von Patient:innen anstaltung, bei verzichten und den Tag stattdessen „zur Bewäl- der es Informa- tigung der Bürokratie und zur Fortbildung“ nut- tionen von Ex- zen. Begründet wird der Aufruf damit, dass die pert:innen gibt und Zuschauende ihre Fragen Arztpraxen überlastet seien und sich der Betrieb stellen können, wird das Thema Ernährung einer Praxis immer weniger lohne. Außerdem ma- sein. Nach dem #DiabetesDialog folgt dann di- che eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich rekt der Sofatalk der Dia- die Tätigkeit in Praxen für medizinische Fachange- betes-Community Blood stellte attraktiver. Gleiches gelte aus Gründen der Sugar Lounge. Zuschau- Familienfreundlichkeit auch für junge Ärzt:innen. en und mitmachen kann man über einen Live- stream, mehr unter: http://bit.ly/3vs1PM8 Wie steht´s mit Apps auf Die Initiative „Wissen, was bei Diabetes zählt: Gesün- Rezept? der unter 7 PLUS“ des Un- Für die digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz ternehmens Sanofi vernetzt über 20 Akteure – dar- DiGA, gab es viel Vorschusslorbeeren, als sie in die unter u. a. das Diabetes-Journal und die Blood Su- medizinische Versorgung aufgenommen wurden. gar Lounge aus dem Kirchheim-Verlag. Doch wirklich angekommen scheinen sie dort noch nicht zu sein, sagen die Krankenkassen. Seit An- fang 2022 bewege sich die monatliche Menge der eingelösten Freischaltcodes auf einem nahezu un- Die Haut im Fokus veränderten Niveau zwischen 10.000 und 12.000 DiGA. Insgesamt seien bis Ende September rund Die meisten Patient:innen mit Hauterkrankun- 164.000 DiGA gen landen in einem ersten Schritt in der Haus- in Anspruch ge- arztpraxis. Eine gute Möglichkeit auch für Haus- nommen worden. ärzt:innen, sich kompakt über aktuelle Entwick- Ein Problem sei, lungen und Behandlungsmöglichkeiten zu infor- dass bei der Auf- mieren, bietet der DERM-Kongress vom 23. bis nahme ins DiGA- tadamichi - stock.adobe.com 26. März 2023 in Frankenthal. Auf der bundes- Verzeichnis häu- weit größten Fachtagung für Dermatologie wer- fig der Nachweis den sich etwa 2.000 Teilnehmende zum wissen- über den medizi- schaftlichen Austausch treffen. Mehr zum Ta- nischen Nutzen gungsprogramm findet man unter https://www. fehle. Deshalb kongress-derm.de/ werden zwei Drit- www.doctors.today doctors | today 2/2023 11
doctors news tel der DiGA nur vorläufig, zur Probe, aufgenom- men. Woran sich die Kassen aber besonders stoßen: Herstellende Unternehmen können im ersten Jahr ra2 studio - stock.adobe.com der Aufnahme einen beliebig hohen Preis festlegen, der von der gesetzlichen Krankenversicherung für diesen Zeitraum erstattet werden muss, unabhän- gig davon, ob ein Nutzen nachgewiesen wurde oder nicht. Im Durchschnitt lägen die Herstellerpreise für eine DiGA bei 500 €/Quartal. Damit DiGA in der Versorgung ankommen, sollten nur noch DiGA mit einem klaren medizinischen Nutzen für die Pati- Diagnose, Behandlung oder Erkrankung einzuho- ent:innen in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen len (68 %). 62 % suchten nach einer Zweitmeinung werden, fordern die Krankenkassen. und 51 % recherchierten Alternativen zu Medika- menten. 23 % geben an, sich nicht mehr an alle Details aus dem Arztgespräch erinnern zu können. 15 % haben die Erläuterungen der Ärzt:in nicht ver- Mehr Hitzetote standen und recherchieren deshalb im Anschluss an den Termin. Insgesamt steht im Vordergrund, 1,06 Millionen Sterbefälle im Jahr den Arztbesuch zu ergänzen: Lediglich 1 von 10 hat 2022 meldet das Statistische Bun- kein Vertrauen in die Diagnose gehabt und deshalb Corri Seizinger - stock.adobe.com desamt. Die Zahl der Sterbefälle ist im Netz recherchiert. damit im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 % oder mehr als 35.000 Fälle ge- stiegen. Im Dezember 2022 lagen die Sterbefallzahlen um 19 % über Hausärzt:innen im Kampf dem Vergleichswert der 4 Vorjahre. In den von Hitzerekorden geprägten gegen Klimawandel Sommermonaten Juni bis August Der Klimawandel sei die größte Bedrohung für lagen die Sterbefallzahlen noch deutlicher über die Gesundheit, fürchtet der Hausärzteverband den mittleren Werten der Vorjahre (+9 bis +13 %) Nordrhein. Die gesundheitlichen Folgen bei allen als in den Vormonaten. Besonders erhöht waren Organsystemen nähmen zu. Die Hauptursache für die Sterbefallzahlen dabei in Kalenderwoche 29 wetterbedingte Todesfälle sei Hitzestress. So sei- (18. bis zum 24. Juli) mit +25 %. In dieser Woche en im Jahr 2022 mindestens 4.500 Menschen in war es außergewöhnlich heiß. Deutschland explizit an der Hitze dieses Jahres gestorben. Klima- und gesundheitswirksame Prä- ventionsmaßnah- men müssen in Viele googeln vor und nach allen medizini- schen Versor- Arztbesuch gungseinrichtun- Wenn es darum geht, eigene Beschwerden und gen und in der Pa- Krankheitssymptome zu recherchieren, informie- tientenbetreuung Dmitry Vereshchagin - stock.adobe.com ren sich die Deutschen zunehmend im Netz. 62 % schnellstmöglich holen in Vorbereitung auf einen Arztbesuch Infor- und aufeinander mationen zu ihren Symptomen im Internet ein, abgestimmt ein- 13 % tun dies regelmäßig, 19 % manchmal und 30 % geführt werden. selten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Die Kenntnisse Befragung unter 1.144 Menschen in Deutschland zur thermischen ab 16 Jahren im Auftrag des Digitalverbands Bit- Belastbarkeit des kom. Insgesamt ist die Zahl im Vergleich zu den Menschen bei letzten Jahren gestiegen: 2020 gaben noch 53 % Hitze sowie zu an, ihre Symptome vor dem Arztbesuch im Netz den Expositions- zu recherchieren, 2021 waren es 56 %. und Vulnerabilitätsrisiken, der Einblick in die lokal- 63 % recherchieren auch im Anschluss an einen regionalen Klimawandelprognosen und Klima- Praxistermin Informationen zu ihren Symptomen, wandelfolgen seien für Hausärzt:innen die Basis, der Diagnose oder verschriebenen Medikamenten um Praxisstrukturen und Praxisorganisationen an online, z. B. um zusätzliche Informationen etwa zu die neue Realität anzupassen. Die Gesundheits- 12 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors news versorgung der Bevölkerung in der Gesamtheit Körperliche Aktivität müsse flächendeckend vorbereitet werden und könne sich nicht nur auf Krankenhäuser konzen- verringert Diabetes- trieren, fordert der HÄV Nordrhein. Es müssten wohnortnahe und krankenhausentlastende Be- Komplikationen handlungskonzepte für die Akutbehandlung, für Dass es einen Zusammenhang zwischen körperli- die Betreuung von Risikogruppen sowie präventi- cher Aktivität und der Prävention eines Typ-2-Dia- ve Maßnahmen erstellt werden. Dies alles müsse betes gibt, ist wissenschaftlich gut belegt. Weniger im Einklang mit den Schutzkonzepten und kom- klar ist, ob man durch ausreichende Bewegung auch munalen Maßnahmen vor Ort in den Städten und diabetesbedingte Komplikationen wie Herz-Kreis- Gemeinden geschehen. Hier gelte es Ressourcen zu bündeln und Hausärzt:innen in die kreisweiten Konzepte einzubinden. Späte Hilfe bei Depression Es vergehen im Schnitt 20 Monate, bis sich Men- schen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe su- chen. Zu diesem Ergebnis kommt das aktuelle 6. Kzenon - stock.adobe.com Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Wenn sich die Betroffenen Hilfe suchen, wenden sie sich mehrheitlich zunächst an die Hausärzt:in (51 %). Jede vierte Patient:in (25 %) geht direkt zur Fachärzt:in und 19 % als Erstes zur Psychothera- peut:in. In der Befragung berichten die Betroffe- lauf-Erkrankungen, zerebrovaskuläre Ereignisse und nen rückblickend von wochenlangen Wartezeiten, Herzinsuffizienz sowie andere Begleiterkrankungen ehe eine Behandlung beginnen konnte. So gaben wie Retinopathie, Nephropathie und Neuropathie die Betroffenen an, im Schnitt 10 Wochen auf ein vermindern oder vermeiden kann. Forschende des Erstgespräch beim Psychotherapeuten gewartet zu Deutschen Diabetes-Zentrums wollten es genauer haben, bei Fachärzt:innen im Schnitt 8 Wochen. wissen und analysierten dazu mehr als 21 Studien Durchschnittlich fünf Therapeut:innen mussten aus den Jahren 1995 bis 2021. Die Ergebnisse zei- die Betroffenen nach eigener Erinnerung kontak- gen, dass körperliche Aktivität mit einem verringer- tieren, ehe sie einen Termin bekamen. Bei einer so ten relativen Risiko für die Inzidenz und Mortalität leidvollen Erkrankung wie der Depression seien so von kardiovaskulären Erkrankungen sowie mikro- lange Wartezeiten nicht akzeptabel, so die Stiftung vaskulären Gesamtkomplikationen, insbesondere Deutsche Depressionshilfe. Retinopathie, verbunden war. Die Auswertungen zeigen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, d. h. mit steigender körperlicher Aktivität sank das Risiko für Folgeerkrankungen des Diabetes. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass bereits ein körperliches Ak- tivitätsniveau, das unterhalb der WHO-Empfehlung von 150 bis 300 Minuten pro Woche mit moderater aerober körperlicher Aktivität liegt, das relative Ri- siko für diabetesbedingte Komplikationen verrin- gert. Für viele Menschen mit Diabetes, z. B. solche mit Adipositas, könne es belastend sein, wenn sie nicht erfolgreich die vorgegebene körperliche Ak- Stiftung Deutsche Depressionshilfe tivität umsetzen können. Hier könnten die neuen Daten hilfreich sein, um auch diese Menschen mit Diabetes dazu zu ermutigen, körperlich aktiv zu sein, da selbst ein geringes Maß an körperlicher Aktivität zur Vorbeugung von diabetesbedingten Komplika- tionen wirksam ist, so die Forschenden. Quelle: Rietz M et al. (2022) Diabetes Care. DOI: 10.2337/dc22-088 www.doctors.today doctors | today 2/2023 13
doctors focus Plötzlichen Herztod vermeiden Risikopatient:innen erkennen und schützen! Cozine - stock.adobe.com Um einen plötzlichen Herztod (PHT) verhindern zu können, stehen eine Reihe primärprophylak- tischer Therapieverfahren zur Verfügung. Je nach Risikokonstellation sind dies medikamentöse Optionen wie Antiarrhythmika oder Herzinsuffizienzmedikamente, eine Defibrillatortherapie oder eine Katheterablation. Im Folgenden sollen einige Aspekte dieser Therapien sowie die Aussage- kraft verschiedener Screeningmethoden beleuchtet werden. Sekundärprävention des plötzlichen Herztodes D er plötzliche Herztod (PHT) ist ursächlich für ca. 30 % der kardiovaskulären Todesur- Da dieser Artikel sich hauptsächlich mit der Prä- sachen in Deutschland; im Jahr 2014 verstar- diktion und (Primär-)Prävention des PHT befasst, ben 65.000 Menschen am plötzlichen Herztod [1]. soll dieser Aspekt nur kurz beleuchtet werden. Zur EKG-Untersuchungen aus den 90er-Jahren in den Sekundärprophylaxe des PHT steht die Defibrilla- Niederlanden zeigen, dass bei 58 % der Patient:in- tortherapie, auch bekräftigt in der neuen Leitli- nen bei prähospitalen Reanimationen eine Kam- nienempfehlung der Europäischen Gesellschaft für mertachykardie oder Kammerflimmern vorlag und Kardiologie (ESC), mit einer Klasse- zu 42 % eine Bradykardie/Asystolie [2]. Die meisten IA-Empfehlung zur Verfügung [4]. Ein definitiver ICD ventrikulären Tachyarrhythmieepisoden spielen Eine definitive Defibrillatorthera- kann transvenös oder sich auf dem Boden einer strukturellen Herzer- pie kann mit implantiertem trans- subkutan implantiert krankung ab, meist einer ischämischen Herzerkran- venösem Defibrillator (ICD) erfol- werden. kung/koronaren Herzerkrankung (KHK) [3]. Zudem gen oder mit subkutanem Defibril- gibt es einen Altersgipfel von median 70 Jahren und lator (S-ICD). Dieser kann für junge LINK männliche Patienten scheinen mit 70 – 80 % stär- Patienten, die potenziell einen Großteil ihres Le- ker betroffen zu sein [1]. Ein kleiner Teil der Über- bens mit Defibrillator verbringen werden, im Hin- Artikel zum lebenden eines Ereignisses des plötzlichen Herz- blick auf Revisionsoperationen, Batteriewechsel Thema unter: https://bit. tods (PHT), ca. 10 %, weist ein strukturell unauffäl- und mögliche Infektionsrisiken sinnvoll sein. Al- ly/3iMzCMt liges Herz auf und hat eine hereditäre Arrhythmie. lerdings weist der extrakardiale S-ICD eine reine 14 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors focus #CNF - stock.adobe.com Schockfunktion auf, die Möglichkeit zur antibrady- KASUISTIK karden oder antitachykarden Stimulation besteht Ventrikuläre Tachykardie mit Synkopen nicht. Dementsprechend gilt für dieses Gerät eine Klasse-IIa-B-Empfehlung [4] für ein ausgewähltes Frau Weber, 37 Jahre, stellt sich in Ihrer Sprechstunde mit Patientenkollektiv. Platzwunde an der Schläfe vor und berichtet von einem Sturz in der Wohnung am vergangenen Abend. Sie kann Merke: Patient:innen mit Z. n. überlebtem PHT sich daran erinnern, zum klingelnden Telefon geeilt zu sein, sollten mit ICD versorgt werden. und fand sich dann am Boden liegend und am Kopf blutend wieder. Sie ist alleinerziehend, ihre Tochter schlief zu diesem Zeitpunkt schon. Auf Nachfrage berichtet sie, schon mehr- Primärprävention des plötzlichen Herztodes mals synkopiert zu sein, einmal beim Sport vor 2 Jahren und Patient:innen nach akutem Myokardinfarkt oder während der Schwangerschaft. Eine angeordnete kardio- mit ischämischer Kardiomyopathie, die 6 – 12 Wo- logische Untersuchung zeigt echokardiographisch eine gute chen nach Therapie- bzw. Diagnosestellung und linksventrikuläre Pumpfunktion ohne Klappenvitien, das Initiierung einer medikamentösen Herzinsuffizi- Oberflächen-EKG ist, ebenso wie die Ergometrie und mehrere enztherapie eine hochgradig eingeschränkte links- Langzeit-EKG-Untersuchungen unauffällig. Der Patientin ventrikuläre Pumpfunktion (LVEF) ≤ 35 % aufwei- wird daher ein Eventrecorder implantiert. Drei Monate nach sen, haben ein erhöhtes Risiko für ventrikuläre Implantation stellt sie sich notfallmäßig beim Kardiologen Tachyarrhythmien. In den frühen Postinfarktstu- vor, da sie Palpitationen erlitten habe. Im EKG-Speicher zeigt dien der 90er-Jahre (u. a. MADIT-II Studie) konn- sich eine monomorphe ventrikuläre Tachykardie mit einer te ein signifikanter Überlebensvorteil der mit ICD HF von 195 Schlägen/min. Im Herz-MRT stellt sich plötzlich geschützten Patienten verzeichnet der Verdacht auf eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Dys- werden mit einer relativen Risiko- plasie/Kardiomyopathie (ARVC). Eine elektrophysiologische Nach Myokardinfarkt reduktion (RRR) von 33 % im Ver- Untersuchung lehnt die Patientin ab. Sie stimmt allerdings und LVEF ≤ 35 % gleich zur konventionell medika- der Implantation eines sekundärprophylaktischen Defibril- besteht ein erhöhtes mentösen Therapie [5]. Daher be- lators (ICD) zu. Eine genetische Untersuchung bestätigt die PHT-Risiko. steht eine Klasse-I-Indikation zur ARVC, erstgradig Verwandte werden ebenfalls untersucht. Defibrillatortherapie, wenn die Pa- Die Tochter, die Schwester und der Neffe der Patientin sind tienten zusätzlich Herzinsuffizienzsymptome ent- ebenfalls erkrankt. sprechend NYHA-Klasse II–III aufweisen [4]. Für Patient:innen ohne Herzinsuffizienzsymptome be- steht eine Klasse-IIa-Empfehlung [4]. in 12 Herzinsuffizienzstudien in einem Zeitraum von 19 Jahren eingeschlossen worden waren, er- Merke: Patient:innen mit ischämischer Kardio- gab eine Abnahme des Risikos des PHT (unter myopathie und LVEF ≤ 35 % sowie NYHA II/III- optimaler Therapie) von 44 % [6]. Insbesondere Symptomatik haben ein erhöhtes PHT-Risiko und der kardioprotektive Effekt in Verbindung mit eine Klasse-I-Empfehlung zur ICD-Implantation Anti-Remodeling durch die Inhibition des Re- nin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) ist hier von großer Bedeutung. Die RALES-Studie Medikamentöse Herzinsuffizienztherapie/ konnte eine Abnahme des kardial-arrhythmoge- nicht-antiarrhythmische Therapie nen Todes unter Spironolactontherapie von 29 % Blickt man auf die letzten fast 30 Jahre Herzinsuf- verzeichnen [7], eine Subgruppenanalyse der PA- fizienztherapie zurück, so zeigt sich ein deutlich RADIGM-HF-Studie bezifferte diesen Effekt für regredientes Mortalitätsrisiko durch die mittler- ARNI auf 20 % RRR [8]. Für SGLT-2-Inhibitoren weile optimierten Therapieverfahren sowohl in besteht zumindest bei Patienten mit Typ-2-Dia- der Devicetherapie (Defibrillator, kardiale Re- betes ein antiarrhythmischer Effekt im Hinblick synchronisationstherapie), aber auch in der me- auf die Reduktion von atrialen und ventrikulären dikamentösen Therapie [6]. Eine 2017 publizierte Arrhythmien [9]. Die Betablockertherapie ist in Studie, die 40.195 Patient:innen evaluierte, die der Primär- und Sekundärprävention des PHT mit www.doctors.today doctors | today 2/2023 15
doctors focus Bildgebung: Lokalisation? Infarktgröße? T-Wellen-Alternans, ->Katheterablation!? Hochrisikopatient:in Herzfrequenzvaria- bilität, QT-Intervall- Dispersion, fragmen- Koronarrevaskularisation/PCI Vulnerables tierte QRS-Komplexe Myokard Hochrisiko/hochgradig Vulnerables Vulnerable reduzierte LVEF Interstitium Plaque LVEF Genetische Prädisposition Komor- biditäten KLF, LMNA±PLN oder Umwelt- FLNC (DCM), SNPs faktoren Uliana - stock.adobe.com Abb. 1: Identifika- tion des Hochrisiko- Rasse/Ethnie patienten [modifi- PAVK, Diabetes mellitus, ziert nach Chugh S, Nierenversagen Int J Cardiol 2017; 237:2-5] einer RRR von > 40 % elementar und nach wie vor lerdings scheint ein altersabhängiger Unterschied die effektivste medikamentöse Therapie [10, 11]. zu bestehen, da jüngere Patient:innen (< 65 Jahre) durch die Defibrillatorfunktion einen signifikan- Die Meilensteinstudien der ICD-Therapie wurden ten Überlebensvorteil aufwiesen [12]. Dennoch zog hauptsächlich in den 90er-Jahren/Anfang 2000er diese Studie in die aktuelle Leitlinienempfehlung publiziert und in den letzten Jahren wissenschaft- ein und die Empfehlung zur primärprophylakti- lich diskutiert. Es gibt Hinweise darauf, dass Pati- schen ICD-Implantation bei NICM-Patient:innen enten mit primärprophylaktischer ICD-Indikation, mit NYHA-II–III-Herzinsuffizienzsymptomatik wur- bei denen ausschließlich eine niedrige LVEF ≤ 35 % de auf eine Klasse-IIa-Empfehlung als Implantationskriterium herangezogen wurde herabgesetzt [4]. Vielmehr wurde Eine eingeschränkte (auf dem Boden der zuletzt gültigen ESC-Leitlinie betont, dass bei genau diesen Pa- LVEF scheint als allei- von 2015), selten lebensrettende ICD-Schocks er- tient:innen die Grunderkrankung niges Risikokriterium fahren haben [17]. Zudem sind diese Patient:innen und das potenziell arrhythmoge- inadäquat zu sein. potenziell letalen Komplikationen wie Materialver- ne Substrat genauer zu definieren sagen (Sondenbrüche, Batteriedefekte, Rückrufak- seien, beispielsweise durch Herz- tionen, Infektionen) ausgesetzt [18]. Daher scheint MRT-Untersuchungen, genetische Testung und eine hochgradig eingeschränkte LVEF als alleiniges elektrophysiologische Untersuchungen, und in der Risikostratifikationstool inadäquat zu sein. Zusammenschau der Risikofaktoren entsprechend entschieden werden sollte [4]. Merke: Eine optimale Herzinsuffizienztherapie mit RAAS-Blockade, Beta-Blockade und SGLT-2- Merke: Nach neuer ESC-Leitlinie besteht für Inhibition kann das PHT-Risiko senken. symptomatische Patient:innen mit NICM und LVEF ≤ 35 % eine Klasse-IIa-Empfehlung zur ICD-Implantation. Primärprävention des plötzlichen Herztodes bei Patient:innen mit nichtischämischer Herzerkrankung Wie kann der Hochrisikopatient für einen plötzlichen Herztod identifiziert werden? Die DANISH-Studie konnte als erste Studie bei 1.116 Patient:innen mit symptomatischer Herzinsuffizi- Eine Vielzahl von elektrophysiologischen Arbeits- enz auf dem Boden einer nichtischämischen Kar- gruppen befasst sich mit dieser Fragestellung, so diomyopathie (NICM) und LVEF ≤ 35 % zeigen, dass auch unsere Gruppe. Sicher ist, dass eine hoch- eine primärprophylaktische ICD-Implantation bei gradig eingeschränkte LVEF – obwohl sie allein Patienten mit optimaler Herzinsuffizienztherapie als Risikostratifikationstool schwach ist – einen (u. a. 60 % kardialer Resynchronisationstherapie, unabhängigen Risikomarker für das Erleiden ei- CRT) keinen Überlebensvorteil erbrachte [12]. Al- nes kardial-arrhythmogenen Herztodes darstellt. 16 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors focus Smartwatches können dazu beitragen, Risikokonstellationen früher zu erkennen. sitthiphong - stock.adobe.com Daher sollte der klinische Ansatz sein, eine hoch- mit Dialysepflicht oder Diabetes mellitus aufwei- gradig eingeschränkte LVEF mit Hochrisikopati- sen. Bei jungen Patient:innen können dies zusätz- ent:innen in Einklang zu bringen (vgl. Abb. 1). Als liche Risikofaktoren für den PHT darstellen [13]; Risikomarkerdient beispielsweise eine vulnerable bei hochbetagten Patient:innen sollte der Nutzen Plaque in den Koronararterien, die mit PCI kurativ einer ICD-Implantation in dieser Konstellation ggf. behandelt werden könnte. Weiterhin könnte vulne- kritisch erwogen werden. rables Myokard mit nichtinvasiven bildgebenden Verfahren wie der Herz-MRT-Untersuchung dar- Merke: Es gibt diverse Risikomarker, die das indi- gestellt werden. Die Präsenz von „late gadolinium viduelle PHT-Risiko in Zusammenschau mit einer enhancement“ (LGE), der späten Kontrastmittel- eingeschränkten LVEF genauer definieren können. aufnahme, kann Hinweis für inflammatorisch ver- ändertes Myokard sein oder für Myokardnarben, Zukunftsmusik: Könnte ein PHT kurzfristig die somit lokalisiert werden kön- vorhergesagt werden? nen und ggf. therapeutisch auch mit Nierenerkrankungen Katheterablation modifiziert und Risikomarker, die auf lange Sicht ein Ereignis des oder Diabetes können „elektrisch ausgeschaltet“ werden PHT ggf. vorhersagen können, wurden nun ausführ- zusätzliche Risikofak- können. Zudem kann das vulnerab- lich diskutiert. In der Oregon Unexpected Death toren darstellen. le Interstitium mittels EKG, Ergome- Study zeigte sich, dass 50 % der Middle-Agers trie und Langzeit-EKG-Diagnostik Warnsymptome vor dem letalen Ereignis hatten. relativ genau charakterisiert werden. Risikomarker Sinnigerweise wiesen jene ein sechsfach besseres im Langzeit-EKG wie T-Wellen-Alternans, Herz- Überleben auf, die aufgrund dieser frequenzvariabilität, QT-Intervall-Dispersion oder Symptome einen Notruf absetzten Sarah Kastner Fotografie die Präsenz eines fragmentierten QRS-Komplexes [14]. Auch zeigten Untersuchungen im Ruhe-EKG zeigten sich in Untersuchungen als aus unseren Arbeitsgruppen, dass prognostisch relevant. Zudem sollte bei familiä- in einer weiblichen Population von rer Prädisposition/positiver Familienanamnese Myokardinfarktüberlebenden, ge- für ein Ereignis des PHT unbedingt eine geneti- schützt mit tragbarem Defibrillator sche Untersuchung bei entsprechend strukturell (WCD), die Aktivität – gemessen in AUTOR:INNEN verändertem Herzen oder eindeutig auffälligen täglicher Schrittzahl – im Schnitt 16 Julia W. Erath (Foto), EKG-Befunden erwogen werden. In Zusammen- Tage vor Erleiden eines rettenden Felix Operhalski, Florian schau dieser Risikofaktoren UND in Gegenwart ei- WCD-Schocks signifikant abnahm Hecker und Reza Wakili ner eingeschränkten LVEF kann ein Hochrisikopa- [15]. Zudem konnten wir feststel- Universitätsklinikum tient mit ICD-Therapie, medikamentöser Therapie len, dass Patientinnen vor WCD- Frankfurt, Zentrum d. und/oder Katheterablation effektiv vor dem PHT Schockabgabe schon eine Woche Inneren Medizin III, geschützt werden. Allerdings kann es auch sein, zuvor deutlich höhere nächtliche Kardiologie/ dass Patient:innen mit Hochrisiko-LV-Funktion Herzfrequenzen hatten als Patien- Elektrophysiologie 60590 Frankfurt a. M. relevante Komorbiditäten wie periphere arterielle tinnen, die keinen WCD-Schock er- Verschlusskrankheit, terminale Nierenerkrankung leiden [16]. Interessenkonflikte: So erhoffen wir uns in Zukunft mit Julia W. Erath gibt an, Beraterhonorare von Zoll Hilfe der sogenannten „Wearables“ ESSENTIALS Medical zu empfangen (Smartwatches, Smartphone-Apps, sowie Reiseunterstützung Wichtig für die Sprechstunde WCD etc.) und unter Benutzung von von Abbott Medical. Sie „Big Data“ weitere Erkenntnisse zu ge- war Fellow des Herz- • Ein plötzlicher Herztod (PHT) entsteht in 58 % der Fälle winnen, um den PHT besser vorhersa- rhythmus Fellowships auf dem Boden einer ventrikulären Tachyarrhythmie. gen und verhindern zu können. | von Boston Scientific. • Bei einer LVEF ≤ 35 % nach Myokardinfarkt oder Kardiomyopathie ist das Risiko erhöht. Alle anderen Autoren Die vollständige Literaturliste finden Sie unter geben keinen Interes- • Als Primärprävention kommt u. a. ein ICD infrage. www.doctors.today senskonflikt an. www.doctors.today doctors | today 2/2023 17
doctors focus Koronare Herzkrankheit Wann ist Ergometrie noch sinnvoll? Rasi - stock.adobe.com Das „klassische“ Belastungs-EKG stellte seit jeher das basisdiagnostische Verfahren in der Kardiologie dar und wird auch zukünftig nicht aus dem diagnostischen Arsenal verschwinden. Denn Belastungsuntersuchungen sind unabdingbar für Diagnosestellung, Therapiekontrolle und Prognosebeurteilung kardiovaskulärer Erkrankungen. Doch die nichtinvasive Diagnostik und Risikostratifizierung hat durch Fortschritte der kardialen Bildgebung einen deutlichen Wandel erfahren. Dies macht eine Neubewertung des klini- schen Stellenwerts der Ergometrie hinsichtlich der Ischämiediagnostik notwendig. A ktualisierte epidemiologische Daten haben KASUISTIK dazu beigetragen, die Prognoseabschätzung der stabilen KHK zu präzisieren [1–3], was Thorakaler Druck unter Belastung sich auch in entsprechenden Leitlinienempfeh- In der kardiologischen Sprechstunde stellte sich der damals lungen niedergeschlagen hat [4–6]. 39 Jahre junge Patient N. I. vor mit seit 4 Monaten be- stehendem thorakalem Druck unter Belastung. In den letzten Wochen hätten sich die Symptome verstärkt. Der Patient ist KHK-Verdacht ? – Nichtraucher, der Vater habe vor einiger Zeit fast 70-jährig Ergometrie, ist doch klar – oder …? einen Myokardinfarkt erlitten. Bis auf die genetische Dis- Doch gerade bei ihrer „Paradeindikation“, nämlich position bei zu dem Zeitpunkt ansonsten eher unauffälligem der Ischämiediagnostik, hat die Ergometrie eine Risikoprofil (später wurde noch eine Hyperlipoproteinämie deutliche Herabstufung erfahren. Dies beginnt diagnostiziert) wurde eine Ergometrie durchgeführt. Wie in sich bereits in der praktischen Kardiologie nieder- den Ableitungen 1 a–c zu sehen ist, kam es bereits ab der zuschlagen. Hierfür sind zwei Gründe ausschlag- 75-Watt-Stufe zu ausgeprägten Endstrecken-Veränderungen, LINK gebend, nämlich 1. die Bereicherung der KHK- und und zwar im Sinne einer ST-Hebung (!) in den Vorderwand- Ischämiediagnostik durch enorme Fortschritte in Ableitungen (Abb. 1). Der Patient wurde daher umgehend Artikel zum Thema unter: der kardialen Bildgebung und 2. die präzisere Risi- einer Invasivdiagnostik zugeführt, bei der eine Plaqueruptur https://bit. kostratifikation durch aktualisierte epidemiologi- mit subtotaler Stenose der medialen LAD detektiert und un- ly/3l8K5CC sche Daten zur stabilen KHK, welche zwischenzeit- mittelbar erfolgreich interveniert werden konnte (Abb. 2 a–c). 18 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
doctors focus lich – wenn auch eigentlich medizinterminologisch nicht ganz korrekt – als ‚Chronisches Koronarsyn- drom‘ (CCS) bezeichnet wird [4,5]. In den 2019 neu formulierten ESC-Leitlinien zum CCS wird die Ergometrie zur KHK-Diagnostik nur Thomas Klingenheben noch empfohlen, wenn ein anatomisches oder funktionelles bildgebendes Verfahren nicht zur Hand ist. Der Umsetzung dieser eindeutigen Leit- linienempfehlung steht allerdings in Deutschland die aktuelle Vergütungssituation im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen entgegen, Abb. 1 a/b: Brustwand-Ableitungen V1–V6 in Ruhe (a) indem diese die Kostenübernahme sowohl für die und unter Belastung (b) (Kasuistik). Es sind deutliche ST-Hebungen in den Brustwand-Ableitungen erkennbar, koronare CT-Angiographie als auch die kardiale was zur umgehenden Invasivdiagnostik geführt hat. MRT-Diagnostik im ambulanten Facharztsetting weiterhin nicht gewähren. Während für die Ischämiediagnostik alternativ die matik und ihre Beurteilung im Rahmen des in- Stressechokardiographie und die SPECT-Myokard- dividuellen kardiovaskulären Risikoprofils im szintigraphie zur Verfügung stehen, scheint es bei Vordergrund. Bereits bei der hausärztlichen Vor- der Notwendigkeit einer anatomischen Diagnostik stellung kann anamnestisch versucht werden, im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine mögliche typische Angina pectoris von eher einfacher zu sein, entsprechende Patient:innen atypischen Symptomen oder gar einer invasiven Katheterdiagnostik zuzuführen. eindeutig nichtkardialen thora- Bereits die Hausärzt:in Es liegt somit auf der Hand, dass hier dringlicher kalen Symptomen abzugrenzen. kann versuchen, eine Handlungsbedarf angezeigt ist. Dies ist für die weitere Risikostrati- Angina pectoris von eher fizierung auch von enormer Bedeu- atypischen Symptomen tung, denn das spezifische sym- abzugrenzen. Herausforderung der ambulanten ptomatische Bild im Kontext von Ischämiediagnostik Alter und Geschlecht definiert die Bei der Diagnostik der Myokardischämie bei Pa- Vortest-Wahrscheinlichkeit (pretest probability, tient:innen mit thorakalen Symptomen steht na- PTP) (Tabelle 1) für das Vorliegen einer KHK und türlich zuallererst die Einordnung der Sympto- bestimmt die Diagnostik. TABELLE 1 Daten zur Vortest-Wahrscheinlichkeit einer KHK: Prävalenztabelle (Diamond-Forrester Classification) Typische AP Atypische AP Nicht-anginal Dyspnoe Alter Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen 30–39 3% 5% 4% 3% 1% 1% 0% 3% 40–49 22 % 10 % 10 % 6% 3% 2% 12 % 3% 50–59 32 % 13 % 17 % 6% 11 % 3% 20 % 9% 60–69 44 % 16 % 26 % 11 % 22 % 6% 27 % 14 % 70+ 52 % 27 % 34 % 19 % 24 % 10 % 32 % 12 % www.doctors.today doctors | today 2/2023 19
doctors focus Thomas Klingenheben a b c Abb. 2 a–c: (Kasuistik) Invasivdiagnostik mit Dokumentation einer subtotalen LAD-Stenose durch Plaqueruptur (a), PCI u. Stent-Implantation (b) sowie angiographisches Abschlussresultat (c). Es ist besonders zu erwähnen, dass die Dyspnoe EKGs limitiert ist, muss das Auftreten signifikanter als eigenständiges Symptom in die Bewertung der ST-Alterationen bei eher niedriger bis mittlerer Be- PTP aufgenommen worden ist. Unter der Berück- lastungsstufe in Kombination mit belastungsindu- sichtigung weiterer klinischer Faktoren und insbe- zierten Symptomen (AP oder Dyspnoe), niedriger sondere dem Resultat der dann durchzuführenden Belastungskapazität, komplexer ventrikulärer Ex- Diagnoseverfahren ergibt sich die klinische Wahr- trasystolie oder Arrhythmien und abnormaler Blut- scheinlichkeit (clinical likelihood) für das Vorlie- druckreaktion als Marker einer erhöhten kardialen gen einer relevanten KHK. Hier Mortalität“ angesehen werden [4]. hat auch die Ergometrie weiter- Eine Ergometrie für hin einen Stellenwert, wenn sie die Ischämiediagnostik Häufige klinische Befunde, die gegen eine denn je nach PTP indiziert ist bzw. sollte nur bei gut selek- Ergometrie sprechen durchgeführt wird. Beispiel: Bei tierten Patient:innen eher atypischer Symptomatik und In den Empfehlungen sind klare Szenarien defi- eingesetzt werden. unauffälliger Ergometrie ist die niert, bei denen von vornherein auf eine Ergome- likelihood niedrig; im Falle typi- trie zur Ischämiediagnostik verzichtet werden soll scher Symptome, älterer Patient:in und mehrerer KHK-Risikofaktoren ist sie hoch und steigt noch mit dem Nachweis pathologischer Befunde (sei es in der Bildgebung oder der Ergometrie). TABELLE 2 Evidenzbasierte Kriterien gegen eine Ergometrie Wann kann/soll also ergometriert werden? zur Ischämiediagnostik bei V.a. KHK. Prinzipiell sollte eine Ergometrie für die Ischämie- Patienten unter Digitalistherapie (Evidenz C) diagnostik – gemäß den aktualisierten Leitlinien – Patienten mit Präexzitationssyndrom nur bei gut selektierten Patient:innen eingesetzt werden. Bei sehr hoher und sehr niedriger PTP ist Permanente ventrikuläre Schrittmacherstimulation sie nicht hilfreich. Ist die PTP hingegen moderat, kann sie bei selektierten Patient:innen die likeli- ST-Senkung 0,1 mV im Ruhe-EKG hood beeinflussen und damit zur weiteren Risi- Kompletter LSB (>120ms) kostratifizierung und Diagnoseplanung beitragen. In der vorgestellten Kasuistik war die PTP niedrig, Akuter Myokardinfarkt aber die sehr typische Symptomatik und Familien- Schwere allgemeine Begleiterkrankungen (begrenzte Lebenserwartung) anamnese erhöhen die likelihood, sodass bei relativ neu/akut aufgetretenen Symptomen die Ergometrie Geplante Revaskularisationsmaßnahme bei Patienten mit bekannter KHK als schnell verfügbare Diagnostik sinnvollerweise Lokalisation der Ischämie zur Festlegung der Interventionsart eingesetzt wurde. Was die diagnostische Ausbeute der Ergometrie angeht, hält die Leitlinie fest: „Ob- Routineuntersuchung bei Patienten nach PCI oder ACVB ohne spezifische Indikation/Risikokonstellation wohl die diagnostische Wertigkeit des Belastungs- 20 doctors | today 2/2023 www.doctors.today
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