Hilfe für Medizin-studenten - Swiss Dental Journal SSO

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ZAHNMEDIZIN AKTUELL          717

                                                                 Das Medizinstudium kann angehende Ärzte
  Hilfe für Medizin-                                             stark belasten. In Frankreich trifft der Staat

  studenten                                                      nun Massnahmen, um die mentale Gesund-
                                                                 heit der Medizinstudenten zu fördern. Auch
                                                                 in der Schweiz hat eine Studentenorganisa­
                                                                 tion ein entsprechendes Projekt gestartet.

                                                                 Text: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ; Foto: Istock

Wie sollen Ärzte und Zahnärzte angemes­
sen für die Gesundheit der Bevölkerung
sorgen, wenn sie selber nicht gesund
sind? In Frankreich wollen deshalb die
Ministerinnen für Hochschulbildung,
Forschung und Innovation sowie für So­
ziales und Gesundheit die Gesundheit von
Medizinstudenten zu verbessern. Auslöser
der Aktion war ein Bericht über die Le­
bensqualität der Studenten von Gesund­
heitsberufen aus dem Jahr 2017. Er stützt
sich auf eine Literaturanalyse, auf inter­
nationale Vergleiche sowie auf Interviews
mit Krankenpflegern in Ausbildung, Me­
dizinstudenten und Assistenzärzten.
Der Bericht zeigt, dass die Studenten me­    Studenten medizinischer Fächer sind hohen psychosozialen Risiken ausgesetzt.
dizinischer Fächer hohen psychosozialen
Risiken ausgesetzt sind, darunter chroni­
schem Stress, Angststörungen, depressi­      te Aktion, die auf verschiedene Aspekte            terien durchgeführt wurde, erklärt Bruno
ven Störungen, Depressionen und Burn­        der Gesundheitsausbildung einwirke.                Mayor, Präsident von Medsics. Deshalb
out. Auch Mobbing in den Spitälern wird      Vertreter der Studentenorganisationen              hat die Gruppe beschlossen, im Rahmen
als Problem genannt. Die Autoren beto­       und Spitalangestellten bezeichneten die            einer Masterarbeit im Herbstsemester
nen, dass diese Probleme nicht nur fran­     Umsetzung der 15 Massnahmen als einen              2018 eine zweite Umfrage durchzuführen.
zösische Medizinstudenten betreffen;         ermutigenden Schritt in die richtige Rich­         Idealerweise soll die Erhebung jährlich
Untersuchungen in anderen Ländern            tung.                                              wiederholt werden.
ergaben ähnliche Resultate.                                                                     Um die Studentinnen und Studenten so­
                                             Med Sana in Corpore Sano                           wie den Lehrkörper über ihre Aktivitäten
Keine einfache und schnelle Lösung           Wie steht es um die mentale Gesundheit             zu informieren, präsentiert sich Medsics
Mehrere der im Bericht aufgeführten          der Schweizer Medizin­ und Zahnmedi­               an Veranstaltungen, insbesondere auch an
Empfehlungen werden nun durch                zinstudenten? Der Verband Swiss Medical            Anlässen für erstsemstrige Zahnmedizin­
15 Massnahmen eins zu eins umgesetzt.        Students’ Association (Swimsa) beschäf­            und Medizinstudenten. Mit Flyern, auf ih­
So sollen bis Ende 2018 an allen medizini­   tigt sich seit einiger Zeit mit diesem The­        rer Website und auf Facebook informiert
schen Fakultäten Stellen für psychologi­     ma, das laut Vizepräsident Cédric Fricker          Medsics zudem über bestehende Unter­
sche Abklärungen vorhanden sein. Um          vielerorts noch als Tabu behandelt wird.           stützungsangebote für Studenten. Es gibt
die Aktionen landesweit zu koordinieren,     In der Romandie hat die Swimsa im letzten          auch konkrete Angebote: Im Frühling
soll ein Servicezentrum gegründet wer­       Jahr das Projekt Medsics (Med Sana in Cor­         lernten angehende Mediziner und Zahn­
den mit Vertretern der Studenten, der        pore Sano) lanciert. Mit Aktivitäten und           mediziner an einem Workshop Entspan­
Dekanate und Fakultäten sowie der Be­        Information will es die psychische Ge­             nungs­ und Meditationstechniken. Die
rufsorganisationen. Das Zentrum soll         sundheit der Medizinstudenten fördern.             Veranstaltung war ein grosser Erfolg und
Weiterbildungen für Dozenten und Stu­        Um eine erste Datengrundlange zu erhal­            soll bald wiederholt werden. Ähnliche
denten organisieren, umgesetzte Mass­        ten, hat die AEML (Association des étu­            Tipps und Informationen werden in einem
nahmen auswerten und/oder Daten zur          diantes en médecine de Lausanne) im                «Überlebensguide» für Medizinstudenten
psychischen Gesundheit der Studenten         Frühling eine Umfrage über die mentale             zusammengeführt, der bis 2020 publiziert
erheben.                                     Gesundheit von Medizinstudenten durch­             werden soll.
Der Bericht betont, dass es keine einfache   geführt. Die Resultate seien zwar alarmie­
und schnelle Lösung gibt. Die vorhande­      rend, aber wenig aussagekräftig, weil die          facebook.com/MedSICS
nen Probleme verlangten eine koordinier­     Studie nicht nach wissenschaftlichen Kri­          medsics.wixsite.com/medsics

                                                                                                      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018
                                                                                                                                        P
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718     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                         Trägt Prävention zur Kostendämpfung bei?
        Der unbezifferte                                                 Diese Frage taucht regelmässig auf, wenn

        Gewinn der                                                       über staatliche Krankheitsprävention dis­
                                                                         kutiert wird. Man könnte sich aber auch
        Prävention                                                       fragen: Muss durch Prävention Geld gespart
                                                                         werden? Oder genügt es, wenn Krankheits-
                                                                         last vermieden wird?
                                                                         Text: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ; Foto: zvg

      Die Kariesprophylaxe bei Schweizer                heiten; dazu zählen unter anderem Dia­      tionsverluste durch Krankheit in der
      Schulkindern ist eine Erfolgsgeschichte:          betes, Herz­Kreislauf­Erkrankungen,         Schweiz nie wissenschaftlich erhoben.
      Seit der Einführung der Schulzahnpflege           Krebs, chronische Atemwegserkrankun­
      in den 1960er­Jahren ist Karies bei Kin­          gen und psychische Störungen.               Eine Masseinheit für Krankheitslast
      dern um 90 Prozent zurückgegangen.                Eine zweite Dimension der Krankheits­       Die dritte Kostendimension ist die Krank­
      Somit ist die Schulzahnpflege ein Parade­         kosten sind die Produktionsverluste:        heitslast. Dieser Begriff bezeichnet das
      beispiel für gelungene Prävention: Mit            Kranke Menschen sind vorübergehend          Leiden, das durch eine Krankheit ent­
      vergleichsweise geringem finanziellem             oder dauerhaft arbeitsunfähig. Dadurch      steht, sowie den Verlust an Lebensjahren.
      Aufwand konnten die sehr viel höheren             entstehen dem Arbeitgeber respektive        Um die Krankheitslast messen und dar­
      Kosten für Zahnbehandlungen vermieden             der Volkswirtschaft finanzielle Verluste.   stellen zu können, haben Gesundheits­
      werden, und die Gesundheit der Bevölke­           Allerdings wurde die Höhe der Produk­       ökonomen in den 1990er­Jahren die
      rung verbesserte sich.
      So sollte Prävention in der Gesundheits­
      versorgung funktionieren, denkt man
      sich. Doch leider ist es nicht immer so
      einfach. Ist eine Präventionsmassnahme
      gelungen, wenn sie gleich viel oder sogar
      mehr kostet, als letztlich eingespart wird?
      Oder – und das ist heute bei den meisten
      Präventionsmassnahmen der Fall – wenn
      durch die Prävention zwar Krankheiten
      oder Unfälle vermieden werden, dadurch
      aber die durchschnittliche Lebenserwar­
      tung steigt und so zusätzlich Kosten für
      die Alterspflege entstehen?

      Von welchen Kosten sprechen wir?
      Trägt Prävention zur Kostendämpfung
      bei? Muss sie das überhaupt? Um diese
      Fragen zu beantworten, ist zunächst zu
      entscheiden, von welchen Kosten wir
      sprechen. Im Zusammenhang mit Prä­
      vention ist meistens von den direkten
      medizinischen Kosten die Rede. Gemäss
      einer Studie der Zürcher Hochschule für
      Angewandte Wissenschaften entstehen
      in der Schweiz 80 Prozent dieser direkten
      Kosten durch nicht übertragbare Krank­

      Die Schulzahnpflege ist ein Paradebeispiel für
      gelungene Prävention: Mit geringem finanziellem
      Aufwand können höhere Kosten für Zahnbehand­
      lungen vermieden und die Gesundheit der Bevöl­
      kerung verbessert werden.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL             719

Masseinheit Daly (disability­adjusted        Lebensjahre durch Präventionsmass­            einzige Entscheidungsgrundlage sein.
life years) entwickelt. Kurz zusammen­       nahmen gewonnen werden könnten.               Schon heute wird das Kosten­Nutzen­
gefasst bezeichnen Daly die mit einer        Gemäss der Global Burden of Disease           Verhältnis von gesundheitlichen Mass­
Krankheit oder Behinderung gelebten          Study (healthdata.org/gbd) könnten            nahmen in die politischen Überlegungen
sowie die durch vorzeitigen Tod verlo­       wahrscheinlich rund 80 Prozent der            einbezogen, etwa bei der Verschreibung
renen Lebensjahre – gemessen an einer        Daly, die weltweit durch kardiovaskuläre      von Medikamenten. Massgebend sind
Standard­Lebenserwartung von 80 Jahren       Krankheiten entstehen, vermieden wer­         dabei die bewährten WZW­Kriterien:
für Männer und 82,5 Jahren für Frauen.       den. Bei Krebserkrankungen sind es fast       Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und
Anhand der statistischen Daten lässt sich    50 Prozent. Würde in der Schweiz die          Wirtschaftlichkeit. Werden Faktoren
für jede Krankheit ausrechnen, wie viele     Prävention perfekt funktionieren, wären       wie Krankheitslast und verlorene
Daly sie verursacht.                         rund 40 Prozent der Daly vermeidbar.          Lebensjahre beziffert, kann dasselbe
Die weltweite Krankheitslast nach dem        Die grössten Verursacher der vermeid­         Prinzip auf Massnahmen zur Prävention
Daly­Konzept beträgt 1,4 Milliarden Le­      baren Krankheitslast sind Tabak, unge­        in der Gesundheitsversorgung ange­
bensjahre. In der Schweiz sind es jährlich   sunde Ernährung und hoher Blutdruck.          wandt werden.
1,9 Millionen Lebensjahre. Davon sind
87 Prozent auf nicht übertragbare Krank­     Kosten-Nutzen-Verhältnis beachten             Dieser Artikel stützt sich in grossen Teilen auf
heiten zurückzuführen. Die grösste           Muss durch Prävention Geld gespart            einen Vortrag von Prof. Dr. oec. publ. Simon
Krankheitslast verursacht Krebs – vor        werden? Oder genügt es, wenn Krank­           Wieser, Leiter des Winterthurer Instituts für
allem, weil viele Krebspatienten an der      heitslast vermieden wird? Reine Betrof­       Gesundheitsökonomie WIG ZHAW Zürcher
Krankheit sterben, also viele Lebensjahre    fenheitspolitik würde das Gesundheits­        Hochschule für Angewandte Wissenschaften,
einbüssen.                                   budget ins Unermessliche steigen lassen.      anlässlich einer Veranstaltung der parla­
                                             Deshalb muss Gesundheitspolitik auf ra­       mentarischen Gruppe Gesundheitspolitik
Die Wirkung von Krankheitsprävention         tionalen Kriterien beruhen. Dazu gehö­        der Bundesversammlung am 13. Juni 2018 in
Mit dem Daly­Konzept lässt sich auch         ren die Kosten von Präventionsmassnah­        Bern. Er entstand im Rahmen einer Zusam­
abschätzen, wie viele Lebensjahre durch      men sowie deren Wirksamkeit. Dennoch          menarbeit zwischen SDJ und doc.be, dem
vermeidbare Risikofaktoren verloren          darf bei der Planung von Krankheitsprä­       Magazin der Ärztegesellschaft des Kantons
gehen; anders formuliert: wie viele          vention das finanzielle Potenzial nicht die   Bern.
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720     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                      Viele Menschen benutzen heute Gesund-
        An App a day                                                  heits-Apps. Das ist ein Fakt. Doch was

        keeps the doctor                                              bedeutet das? Von Chancen und Gefahren.

        away?
                                                                      Text: Benjamin Fröhlich, Presse­ und Informationsdienst SSO
                                                                      Foto: Istock

      Vor ungefähr zehn Jahren kam das erste        Regulierung besteht Handlungsbedarf.         digitalen Transformation des Gesund­
      Smartphone auf den Markt. Das Mobil­          Die Benutzerin muss wissen können, ob        heitswesens, sind für Patienten nieder­
      telefon und vor allem dessen Gebrauch         die App verlässlich ist. Die weit verbrei­   schwellig zugänglich und bieten hand­
      hat sich dadurch stark gewandelt. Eine        tete App­Bewertung mit Sternchen ist es      feste Vorteile vor allem in Hinblick auf
      der zahlreichen Änderungen ist die App.       jedenfalls nicht; diese Sternchen lassen     die Mobilität und zeitliche Verfügbar­
      Schätzungsweise gegen vier Millionen          sich nämlich kaufen.                         keit.
      Apps gibt es heute, Tendenz stark stei­       Es gibt zwar gewisse staatliche Regulie­
      gend. Von 2014 bis 2015 nahm die welt­        rungen, aber mit der schnelllebigen Welt     Fragen Sie Ihren Arzt …
      weite App­Nutzung um mehr als 60 Pro­         der Apps können diese kaum mithalten.        Gesundheitspersonal und nicht zuletzt
      zent zu. Viele dieser Apps drehen sich        Die Bundesrepublik Deutschland ver­          auch Ärzte und Zahnärzte verwenden
      um Gesundheit. Allein im App­Store von        suchte es mit der Vergabe von Siegeln.       also Apps oder sind mit dem Gebrauch
      Apple gibt es mehr als 100 000 Apps, die      Das hat aber nicht funktioniert; weder       von Apps bei den Patienten konfrontiert.
      sich mit Lebensqualität, Fitness und Ge­      die Nutzer noch die Hersteller kennen        Das bedeutet auch, dass Ärzte früher
      sundheit beschäftigen. Es gibt Diät­Apps,     diese Siegel. Zudem hat sich gezeigt,        oder später zumindest in die Situation
      Diabetes­Apps oder Herzrhythmus­Apps.         dass auch solche Siegel nicht wirklich       kommen, dass sie von einer App abraten
                                                    verlässlich sind.                            müssen. Möglicherweise kann eine
      Gefahren und Probleme                         Die klassischen Qualitätsprüfungen           Ärztin aber sogar eine App empfehlen.
      Solche Apps sind noch vergleichsweise         greifen also nicht. Eher bräuchte es eine    Hierbei ist allerdings Vorsicht geboten.
      einfach. Andere entsprechen mittlerweile      Struktur, die der Dynamik des Marktes        Es liegt in der Verantwortung des Arztes,
      komplexen Programmen der Diagnostik           angepasst ist. Möglich wäre etwa eine        korrekte Mittel anzuwenden. Wenn
      und Therapie. Das ist nicht unproblema­       Sensibilisierung der Nutzer durch Auf­       durch die Anwendung einer ungeeigne­
      tisch. Schnell stellt sich die Frage: Wie     klärung. Achten die Nutzer vermehrt          ten App Schäden entstehen, haftet er.
      verlässlich sind solche Apps?                 auf die Gefahren und Probleme solcher        Soll sich die Ärzteschaft also mit Apps
      Dies zu beantworten, ist gar nicht so ein­    Apps, liesse sich die Qualitätskritik und    beschäftigen und versuchen, die Spreu
      fach. Klar ist einzig, dass zahlreiche Ge­    ­sicherung intrinsisch realisieren. Die      vom Weizen zu trennen? Es ist zumin­
      fahren existieren. Es beginnt damit, dass     Sensibilisierung müsste aber auch bei        dest wahrscheinlich, dass die Stimme
      die App möglichweise nicht macht, was         den Herstellern und Stakeholdern grei­       der Ärzte gehört würde. Denn sie sind
      sie soll: Technische, inhaltliche oder pro­   fen.                                         für Patienten in Hinblick auf Gesund­
      grammiertechnische Schwächen können                                                        heit erste Anlaufstelle und Vertrauens­
      auftreten, aber auch falsche Handhabung       What’s App, doctor?                          person. Eine Ärztegesellschaft könnte
      durch den Benutzer. Es kann auch sein,        Spätestens an dem Punkt wird klar:           Leitkriterien für Apps festlegen, die
      dass eine App mehr macht, als sie soll;       Medizinische Fachpersonen können             Zweckmässigkeit, Rechtskonformität,
      zum Beispiel, dass sie Daten weitergibt       sich nicht aus der Debatte raushalten.       ethische Unbedenklichkeit, Trans­
      und damit gegen die Persönlichkeits­          Ein Arzt muss heute damit rechnen,           parenz usw. grob definieren. Ob dies
      rechte verstösst.                             dass seine Patienten Gesundheits­Apps        viel Licht in den Wildwuchs des App­
      Noch delikater wird es, wenn die Frage        verwenden.                                   Dschungels bringen würde, bleibt
      nach dem Finanzierungsmodell der App          Für die ärztliche Behandlung könnten         jedoch fraglich.
      gestellt wird. Viele Apps sind «gratis»;      Apps unter Umständen eine sinnvolle
      was bedeutet das für die Verlässlichkeit      Ergänzung darstellen – immer voraus­
      einer Anwendung? Diese Apps werden            gesetzt, der genutzte Dienst funktio­        Dieser Artikel stützt sich in grossen Teilen
      über Werbung bezahlt oder durch Firmen        niert korrekt und sinnvoll. Bereits heute    auf den Vortrag «Apps & Co: Patienten­
      gesponsert. Welche Interessen verbergen       verwenden laut Studien knapp 80 Pro­         nutzen, Kommerz, Kontrolle» von PD Dr.
      sich hinter einem scheinbar neutralen         zent der US­Ärzte regelmässig Apps für       med. Urs­Vito Albrecht, Medizinische Hoch­
      Programm?                                     den Berufsalltag. Ein Beispiel hierfür       schule Hannover, anlässlich des Swiss
                                                    ist die App zu Arzneimittelsicherheit        E­Health­Forums am 8. März 2018 in Bern.
      Regulierung muss sein                         in Schwangerschaft und Stillzeit. Apps       Er entstand im Rahmen einer Zusammen­
      Es sind Fragen, die sich nicht so einfach     können Vorteile für die ärztliche Be­        arbeit zwischen SDJ und doc.be, dem Maga­
      beantworten lassen. Klar ist, in Sachen       handlung bringen. Sie helfen bei der         zin der Ärztegesellschaft des Kantons Bern.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018
                                        P
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722     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                 KO N G R E S S E / FAC H TAG U N G E N

                                                                               Im digitalen Workflow spielt die Bildgebung
        Der virtuelle                                                          eine entscheidende Rolle. Mit diesem Thema

        Patient                                                                beschäftigten sich die Referenten an der
                                                                               Jahrestagung der SGDMFR, die gleichzeitig
                                                                               Vorkongress des 16. Europäischen Kongres­
                                                                               ses für dentomaxillofaziale Radiologie war.
                                                                               Text und Fotos: Dr. med. dent. Martina Schriber, Universität Bern
                                                                               und Privatpraxis Zürich

      Erstmals nach 30 Jahren fand der Europä­            University of Hong Kong, sprach über die        planten Implantationsstelle im Vergleich
      ische Kongress für dentomaxillofaziale              Genauigkeit des DVT. Gerade bei Implan­         zur klinischen Realität höher ausfallen,
      Radiologie (ECDMFR), in der 16. Ausgabe,            tatplanungen – im Besonderen im Rah­            dass also im DVT mehr Knochen gemes­
      wieder in der Schweiz statt. Als Vorkon­            men der Guided Implant Surgery – spielt die     sen wurde, als klinisch vorhanden war.
      gress fungierte die Jahrestagung der                Genauigkeit des DVT bei linearen Mes­
      Schweizerischen Gesellschaft für dento­             sungen eine grosse Rolle. Die anatomi­          Bukkaler Knochen im DVT
      maxillofaziale Radiologie (SGDMFR).                 sche Realität soll zuverlässig wiedergege­      In anderen Studien wurde die Dicke der
      Eröffnet wurde die Tagung von Prof. Dr.             ben werden. Allgemein werden DVT als            bukkalen Knochenwand in der anterio­
      Michael Bornstein, Präsident der SGDMFR,            sehr genaue bildgebende Verfahren ein­          ren Mandibula im DVT analysiert. Im
      Dr. Dorothea Dagassan­Berndt, Oberassis­            gestuft. Die Qualität der DVT­Aufnahme          Rahmen von kieferorthopädischen Be­
      tentin an den UZB Basel, und Dr. Bart Van­          wird beeinflusst durch Faktoren der ver­        handlungen ist die Dicke der bukkalen
      denberghe vom Center for Advanced Oral              wendeten Maschine, die Software, vom            Knochenwand relevant.
      Imaging in Brüssel.                                 Patienten verursachte Bewegungsarte­            Die Präzision der Daten wurde von der
                                                          fakte und die Grenzen des Klinikers in der      Dicke der Weichgewebe und von der
      Wie präzis ist DVT?                                 Interpretation der Bilder. Mehrere Stu­         Voxelgrösse beeinflusst. Je nach Frage­
      Prof. Dr. Michael Bornstein, Oral and Maxil­        dien zeigten, dass im DVT gemessene             stellung und verlangter Genauigkeit wur­
      lofacial Radiology, Faculty of Dentistry,           lineare Knochendimensionen an der ge­           de ein entsprechendes Auflösungsproto­
                                                                                                          koll gewählt. Trotzdem konnte nicht
                                                                                                          einmal das 0,125 mm­Voxel­Protokoll die
                                                                                                          dünne bukkale Knochenbedeckung in
                                                                                                          der anterioren Mandibula zuverlässig dar­
                                                                                                          stellen. Fenestrationen und Dehiszenzen
                                                                                                          wurden überbewertet. Bornstein schloss,
                                                                                                          dass der absolute Messfehler im DVT
                                                                                                          plus/minus 1 mm betragen kann.
                                                                                                          Scanparameter wie Voxelgrösse, Scanzeit,
                                                                                                          Fenstergrösse oder Scanradius können
                                                                                                          geändert werden, ohne dass die Genauig­
                                                                                                          keit der linearen Messungen tangiert ist.
                                                                                                          Werden die linearen Messungen vom sel­
                                                                                                          ben oder von einem anderen Untersucher
                                                                                                          wiederholt, sind hohe Übereinstimmun­
                                                                                                          gen zu erwarten. In Studien werden nicht
                                                                                                          selten DVT­Analysen an Kadavern ge­
                                                                                                          macht, was nicht der klinischen Realität
                                                                                                          entspricht. Patienten verursachen näm­
                                                                                                          lich oft Bewegungsartefakte, was die
                                                                                                          Bildqualität beeinflussen kann. So ist da­
                                                                                                          von auszugehen, dass die Resultate der
                                                                                                          Messungen der meisten Studien nicht
                                                                                                          eins zu eins auf die klinische Situation
      Dr. Bart Vandenberghe, Prof. Dr. Michael Bornstein und Dr. Dorothea Dagassan­Berndt (von links)     übertragen werden können.
      eröffneten die SGDMFR­Jahrestagung im Verkehrshaus in Luzern.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018P
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL           723

Die SGDMFR­Jahrestagung und der 16. ECDMFR fanden beide im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern statt.

Zum Schluss fasste Bornstein die klinische   Bezüglich Abdrucknahme konnte in einer                    Scan des ganzen Kiefers wird empfohlen,
Relevanz zusammen:                           Studie gezeigt werden, dass die digitale                  zuerst die Okklusal­, dann die Palatinal­
– Sicherheitsabstand im DVT von min­         Abformung effizienter ist und dass Pa­                    und schliesslich die Bukkalflächen zu
  destens 2 mm zu relevanten anatomi­        tienten diese gegenüber einer konventio­                  scannen, um maximale Präzision zu
  schen Strukturen bei der Implantat­        nellen Abformung bevorzugen. Eine an­                     erreichen.
  planung                                    dere Studie zeigt, dass intraorale Scanner
– Kleinere Voxelgrössen führen nicht zu      nutzbare Daten für kieferorthopädische                    Therapiere nie ein DVT
  genaueren linearen Messungen.              Modelle liefern, die mit konventionellen                  Prof. Dr. Anne Møystad, Institute of Clinical
– Bei präoperativen Implantatplanungen       Abdrücken vergleichbar sind. Werden                       Dentistry, University of Oslo, sprach über
  sind Voxelgrössen von 0,3 bis 0,4 mm³,     solche Scanner noch weiterentwickelt,                     mögliche Stolpersteine bei der Aufnahme
  minimale Fenstergrössen und wenn           schneller und genauer gemacht, könnten                    und der Befundung von DVT. Das DVT ist
  möglich nicht volle Scanradien anzu­       sie in Zukunft traditionelle Abdruckme­                   Teil eines komplexen diagnostischen Pro­
  streben, um die Strahlenbelastung zu       thoden verdrängen. Ist es nicht toll, einen               zesses im Workflow des Behandlers in Be­
  minimieren.                                blasenfreien Abdruck ohne Verzug und                      zug auf den Patienten. Wir alle wollen
                                             Ausreissen in minimaler Zeit produzieren                  letztlich die korrekte Diagnose für den
Scanreihenfolge bestimmt Präzision           zu können? Mehr Komfort für den Patien­                   Patienten und das bestmögliche Behand­
Dr. Bart Vandenberghe, Advimago, Center      ten und ein effizienter Arbeitsablauf sind                lungsresultat. Die häufigsten Fehler pas­
for Advanced Oral Imaging in Brüssel,        wünschenswert.                                            sieren durch nicht adäquate Vorinfor­
sprach über intra­ und extraorale Scanner Zurzeit sind noch Unterschiede zwischen                      mation und Kommunikation, durch
und deren richtige Anwendung für ein         den verschiedenen intraoralen Scansys­                    mangelnde Bildqualität infolge von Be­
optimales Resultat. Zuerst erklärte er den   temen bezüglich Präzision festzustellen.                  wegungs­ und Metallartefakten, bei der
digitalen Workflow: 1. Schaffung eines       Ziel ist es auch, die durch den Menschen                  Diagnosestellung und schliesslich beim
«digitalen» Patienten durch Bereitstellung produzierten Fehler zu eliminieren. Die                     Behandlungsentscheid. Gleich zu Beginn
der digitalen Daten; 2. Planung am «vir­     Art bzw. die Reihenfolge, in der die                      stellt sich die Frage: Ist das DVT über­
tuellen» Patienten; 3. Transfer der virtuel­ Zahnflächen oder die Kiefer gescannt                      haupt indiziert? Braucht es eine bessere
len Daten zurück zum realen Patienten.       werden, ist wichtig: Für den intraoralen                  Übersicht oder mehr Details? Welches

                                                                                                            SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018
                                                                                                                                               P
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724     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

      sind die Risiken und die Vorteile für den            zeigten sich komplexe endodontische                   Anne Møystad fasste folgende Punkte zu­
      Patienten? Was sagen die Richtlinien zu              Probleme. Etwas mehr als die Hälfte die­              sammen:
      diesem Thema? Welche Informationen                   ser 4 Prozent profitieren dann von einer              – Fokussiere auf das Hauptproblem des
      habe ich über den Patienten und sein                 Therapieänderung.                                       Patienten, und kommuniziere diese
      Problem?                                             Bei der Bildqualität stehen Bewegungs­                  Informationen dem Team.
                                                           und Metallartefakte im Vordergrund.                   – Identifiziere mögliche «DVT­Fallen» in
      Zur korrekten Diagnose ohne DVT                      Bei jungen Patienten mit Bewegungs­                     deiner Praxis: falsche Indikationsstel­
      DVT­Aufnahmen nehmen weltweit zu,                    artefakten lohnt es sich, den Axialschnitt              lung und Fensterwahl sowie vermeid­
      weil hauptsächlich bei jüngeren Patien­              zu studieren, da dieser, falls die Bewe­                bare Bewegungs­ und Metallartefakte.
      ten mehr 3­D­Abklärungen gemacht                     gung nur einmal, kurz und nicht multi­                – Optimiere in der Praxis deinen DVT­
      werden. Dies, obwohl bei 90 Prozent                  planar stattfand, qualitativ nicht immer                Workflow.
      aller Patienten die korrekte Diagnose mit            schlechter sein muss. In Schweden und                 – Definiere verantwortliche Personen für
      einer gründlichen Anamnese und einem                 Norwegen werden während der Aufnah­                     alle Teilschritte.
      klinischen Befund gestellt werden kann               me Kopffixatoren angewendet, um Be­                   – Bilde dein Team aus, und halte dein
      und ein DVT unnötig ist. Nur bei zehn                wegungsartefakte zu vermeiden. Regio­                   Team mit regelmässigen Trainings fit.
      Prozent aller Patienten sind eine kom­               nen, die für Metallartefakte verdächtig
      plexere Diagnostik und eine radiologi­               sind, können durch geeignete Fenster­                 Wie lernt die Zukunft?
      sche Bildgebung nötig, um therapierele­              wahl, Positionierung des Patienten und                Prof. Dr. Jan Alqvist vom Department of
      vante Mehrinformationen zu erreichen.                Trennung der Kiefer bei der Aufnahme                  Odontology, Faculty of Medicine, Umeå
      Das sind dann auch jene Patienten, die               vorbereitet werden. Beim Betrachten der               University, referierte über den virtuellen
      den Behandler am meisten herausfor­                  Bilder sollte der Behandler auf geeignetes            Patienten in der Studentenausbildung.
      dern.                                                Umgebungslicht (50 Lux) achten, sich                  Radiologische Bilder repräsentieren die
      In der Endodontologie zeigte eine Studie,            nur auf eine Fragestellung konzentrieren              Anatomie. Unser Gehirn kann radiologi­
      dass 96 Prozent aller Patienten kein DVT             und eine systematische Betrachtung vor­               sche Bilder jedoch nicht intuitiv interpre­
      brauchen. Bei den übrigen 4 Prozent                  nehmen.                                               tieren. Wir müssen das lernen. Basierend

      Mitglieder des Vorstandes der SGDMFR und des Organisationskomitees des ECDMFR 2018: (von links) Prof. Dr. Andreas Filippi, Prof. Dr. Michael Bornstein,
      Dr. Eva Levring Jäghagen (Präsidentin der EADMFR), Dr. Dorothea Dagassan­Berndt, Prof. Dr. Karl Dula, Monika Lang, Dr. Sandro Leoncini, Dr. Valerie Suter und
      Dr. Jie Yang (Präsident des Organisationskomitees IADMFR 2019 in Philadelphia)

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018P
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL           725

auf der konstruktivistischen Lerntheorie
wurde ein Radiologiesimulator entwi­
ckelt. Ziel ist es, ein besseres Verständnis
für die Röntgenbefundung und Diagnos­
tik zu bekommen. Die Simulation erlaubt
radiologische Trainings in strahlenfreier
Umgebung mit unmittelbarem Feedback.
So können unzählige zufällig generierte,
herausfordernde Aufgaben simuliert und
neue Untersuchungsmethoden getestet
werden.
Aber sind diese Methoden besser als kon­
ventionelle radiologische Trainings? Nach
Simulationstrainings scheinen die Fort­
schritte in der Interpretationsfähigkeit
nachhaltiger. Für Studenten mit geringem
räumlichem Vorstellungsvermögen schei­
nen Simulationstrainings geeigneter als
konventionelle radiologische Trainings.
Die Fähigkeit zur Bildinterpretation war
nach Simulationstrainings grösser als
nach konventionellen radiologischen            Internationale Referenten: Prof. Dr. Jan Alqvist, Schweden, und Prof. Dr. Anne Møystad, Norwegen
Trainings.
Zum Schluss fasste Jan Alqvist zusammen:
Der beste Weg, um Studenten zum Den­           tisierte Prozesse. Wichtig ist, das CAD­             ten. Als Nutzen erhofft man sich ein ge­
ken anzuregen, ist eine Umgebung mit           Team regelmässig zu trainieren. Wird eine            ringeres Risiko für Perforationen, weniger
anderen Studenten und ein sie umsor­           CAD­Software häufig gebraucht, dann ist              Hartsubstanzverlust und eine reduzierte
gender Lehrer sowie Motivation und Wil­        beim Nutzer eine steile Lernkurve zu er­             Stuhlzeit. Der Workflow ist vergleichbar
le für neue technische Möglichkeiten.          warten. CAD­Software­Programme sind                  mit jenem in der Guided Implant Surgery.
                                               noch nicht selbst lernend.                           Nach Anfertigung eines DVT erfolgt ein
Selbst lernende CAD-Software?                                                                       intraoraler Scan. DVT und intraoraler
Prof. Dr. Constantin von See, Leiter des       Trepanation für jedermann                            Scan werden fusioniert. Dann erfolgt die
Zentrums Digitale Technologien in der          Prof. Dr. Gabriel Krastl, Direktor Poliklinik        Planung der Zugangskavitäten und der
Zahnmedizin CAD/CAM, Danube Private            für Zahnerhaltung und Parodontologie,                eigentlichen Wurzelbehandlung. Das
University in Krems, thematisierte die         Universitätsklinikum Würzburg, zeigte                optimale Schienendesign für den Eingriff
Anwendungsbereiche der CAD/CAM­                die Möglichkeiten und Grenzen von CAD/               wird konzipiert. Zuletzt wird die entspre­
Technologie in der Oralchirurgie. Die          CAM in der Endodontologie auf. Wieso ist             chende Schiene gedruckt.
CAD­Software wurde für durchschnitt­           die CAD/CAM­Technologie in der Endo­                 Bedeutet Guided Endodontics nicht einfach
liche Produktionswege und Standard­            dontologie überhaupt ein Thema? Bei                  einen Mehraufwand inklusive erhöhter
situationen konzipiert und im Verlauf der      einem Frontzahntrauma mit Zahnluxa­                  Strahlenbelastung ohne wirklichen Vor­
Zeit angepasst. Sind das aber auch jene        tionen zeigen 15 Prozent aller Zähne eine            teil? In einer neueren Studie konnte
Wege, die wir als Kliniker für das ent­        Pulpaobliteration und können später eine             gezeigt werden, dass bei Wurzelkanal­
sprechende Produkt brauchen und be­            apikale Parodontitis mit Pulpanekrose                behandlung mit Guided Endodontics die
gehen wollen? Müssen wir für das ent­          ausbilden. Brauchen solche Zähne eine                durchschnittliche Behandlungszeit in­
sprechende Resultat/Produkt Grenzen            Wurzelkanalbehandlung, dann ist zu                   klusive Planung und Präparation ca. zehn
austesten oder allenfalls Limiten akzep­       20 Prozent mit technischen Komplika­                 Minuten pro Zahn beträgt, was für einen
tieren? Die Qualität der vom Kliniker ein­     tionen zu rechnen, was die Heilungsrate              sklerosierten Wurzelkanal ein sehr gutes
gegebenen, der Software zur Verfügung          reduziert.                                           Zeitmanagement ist. Und zwischen den
gestellten Daten und die Produktionsart        Guided Endodontics bedeutet, dass die                Operateuren gab es keine signifikanten
beeinflussen signifikant die Präzision und     Wurzelkanalbehandlung geführt erfolgt.               Unterschiede in der Behandlung, was für
die klinische Passfähigkeit des Produktes.     Das Ziel ist es, einen kalzifizierten Wur­           den klinischen Alltag – insbesondere
Die CAD­Software liefert halb automa­          zelkanal zu lokalisieren und aufzuberei­             auch für den Patienten – Vorteile hat.

                                                                                                          SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018 P
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726     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                                 Wie in jedem Jahr ist es der Schweizerischen
        Chirurgische                                                             Gesellschaft für Oralchirurgie und Stomato-

        Streitgespräche                                                          logie (SSOS) gelungen, für ihre Jahrestagung
                                                                                 ein interessantes und ambitioniertes Pro­
                                                                                 gramm zusammenzustellen. Unter dem
                                                                                 Motto «Mythen und Fakten» diskutierten
                                                                                 je zwei Referenten ein Thema.
                                                                                 Text und Fotos: med. dent. Daniel Nitschke, Bonstetten

      Prof. Dr. Daniel Buser eröffnete mit seinem           Implantate können gesetzt werden? Wie            chenstärke sollten SBE und Implantation
      Vortrag den Jahreskongress der SSOS und               stark wird die Belastung in Zukunft sein?        separat durchgeführt werden (Heilungs­
      den ersten Streitfall: Sinusbodenelevation            Werden die Suprakonstruktionen auf den           dauer fünf Monate). Bei grösseren Kno­
      (SBE) oder die Verwendung kurzer Im­                  kurzen Implantaten verblockt? Der Re­            chenstärken könne ein einzeitiges Vor­
      plantate. Obwohl Buser für die Rolle des              ferent gab zu bedenken, dass die Fünf­           gehen gewählt werden. Verwendet werde
      «Elevators» vorgesehen war, stellte er                Jahres­Verlustrate bei kurzen Implantaten        dabei ein Gemisch aus Bio­Oss und auto­
      gleich zu Beginn klar: «Die Welt ist nicht            (13,3%, Rossi et al. 2016) deutlich höher        logem Knochen aus der Empfängerregion.
      schwarz und weiss.» Er wolle daher kein               sei als bei längeren Implantaten (3,3%).         Dieser werde mithilfe eines Knochen­
      Plädoyer für die SBE halten. Vielmehr                 Daher solle niemals auf Implantatlänge           schabers von der fazialen Kieferwand
      hätten beide Methoden ihre Berechtigung               oder ­breite verzichtet werden, sofern es        gewonnen.
      und Indikationen. Die Versorgung des                  keine Notwendigkeit dafür gebe. Grund­           Sind Patienten primär wirklich an Über­
      Oberkiefer­Seitenzahnbereichs sei ein                 sätzlich seien kurze Implantate eine             lebensraten und Implantatlängen inte­
      allgegenwärtiges Thema. Es habe in den                Option. Es sollten aber mehrere solcher          ressiert? PD Dr. Daniel Thoma stellte die
      letzten Jahren massiv an Bedeutung ge­                Implantate nebeneinandergesetzt wer­             These in den Raum, dass Faktoren wie
      wonnen. Für die Versorgung eines Ober­                den. Ihre Suprakonstruktionen würden             Invasivität, Kosten, Komplikationsraten
      kiefer­Seitenzahns bei geringer vertikaler            schliesslich miteinander verblockt. Ein­         und Ästhetik für den Patienten oft rele­
      Restknochensubstanz kommen prinzipiell                zelne kurze Implantate sollten nur bei           vanter seien – eine Aussage, der Prof. Bu­
      drei Behandlungsmöglichkeiten infrage:                geriatrischen Patienten in Betracht gezo­        ser anschliessend deutlich widersprach.
      ein kurzes Implantat (wobei der Referent              gen werden. Bei diesen Patienten würden          Thoma erklärte: Die Überlebensraten ei­
      hierfür eine intraossäre Implantatlänge               beim Kauen deutlich geringere Kräfte             ner Lösung mit SBE und Implantat seien
      von 6 mm oder weniger definiert), SBE                 wirken.                                          sehr gut und absolut evidenzbasiert. Man
      mit Window­Technik und die transalveo­                Das Vorgehen bei der SBE, für welche es          dürfe jedoch die Nachteile für den Pa­
      läre Osteotomie. Für die Entscheidung                 deutlich mehr Indikationen gebe, orien­          tienten nicht ausser Acht lassen. So sei
      massgeblich sei letztlich die anatomische             tiere sich ebenfalls an der anatomischen         der Zeitaufwand deutlich höher als bei
      Situation im Operationsgebiet: Wie viele              Situation. Bei weniger als 4 mm Restkno­         der Verwendung kurzer Implantate.

      Prof. Dr. Daniel Buser (links) mit Dr. Jean­Louis Heinzmann (Mitte) und PD Dr. Daniel Thoma (rechts)

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ZAHNMEDIZIN AKTUELL           727

Ebenfalls sei der Patientenkomfort nach                stark an Lebensqualität. Der Prävention            chen wir bei den Patienten Nervenschä­
der Operation geringer und der gesamte                 einer Nervenverletzung sei daher aller­            digungen zu vermeiden, oder lassen wir
Eingriff teurer. Ausserdem stünden dia­                höchste Priorität einzuräumen.                     in Wahrheit kleine tickende Zeitbomben
gnostische Verfahren und die handwerk­                 Aus diesem Grund könne die Koronek­                zurück? Stadlinger gab zu bedenken: Die
lichen Fähigkeiten des Chirurgen nicht                 tomie mit Belassung von Wurzelteilen im            hohen Fallzahlen in den USA und in
so sehr im Vordergrund. Die Verwendung                 Alveolarknochen eine interessante, evi­            Grossbritannien könnten auch anders
kurzer Implantate sei daher bei einzelnen              denzbasierte Alternative bei Hochrisiko­           interpretiert werden. Zum einen sei die
Patienten eine gute Alternative mit ak­                zähnen sein. Während des Eingriffs sei             Koronektomie ein verhältnismässig
zeptabel geringerer Erfolgsrate. Die Pro­              darauf zu achten, dass keine Zahnschmelz­          günstiger Eingriff. Gerade in Grossbri­
gnose sei im Unterkiefer etwas besser als              anteile im Alveolarknochen zurückblei­             tannien stünden Ärzte im nationalen
im Oberkiefer.                                         ben. Ausserdem sollte die Wurzel nicht             Gesundheitssystem (NHS) unter einem
                                                       mobilisiert werden. Die Entscheidung für           wachsenden Kostendruck. Ausserdem
Koronektomie – Pro und Kontra                          die Durchführung einer Koronektomie                gebe es in beiden Ländern ein grösseres
In der Schweiz wird die Operationstech­                sollte darüber hinaus nicht aufgrund von           Klagerisiko. Dadurch könnten Chirurgen
nik der Koronektomie recht stiefmütter­                zweidimensionalen Aufnahmen getroffen              eher gewillt sein, im Zweifel den weniger
lich behandelt. Eine Mehrheit der ein­                 werden. Die Anfertigung eines DVT führe            riskanten Eingriff zu favorisieren.
heimischen oralchirurgisch tätigen                     in 90 Prozent der Fälle zu einer Entschei­
Zahnärzte hält die Methode nicht für                   dung weg von der Koronektomie und hin              Implantate bei antiresorptiver Therapie?
verlässlich und bietet sie ihren Patienten             zur Entfernung aller Zahnteile.                    Um das Thema «Implantation bei Patien­
demzufolge auch nicht an. In den USA                   Prof. Dr. Bernd Stadlinger betrachtete diese       ten unter antiresorptiver Therapie» ran­
und Grossbritannien sieht es etwas anders              Art der Behandlung etwas weniger eu­               ken sich viele Mythen. Doch wie gross ist
aus. Prof. Dr. Tara Renton aus London hat              phorisch. Er erklärte zu Beginn seines             das Risiko wirklich? Und soll dieser Ein­
weltweit am meisten Studien über diesen                Referates, dass bis zu 80 Prozent der jun­         griff einer so grossen Gruppe von Patien­
Eingriff verfasst. Bei ihrer positiveren Be­           gen Erwachsenen mindestens einen reti­             ten vorenthalten werden, weil ein Rest­
trachtung der Koronektomie spielt die                  nierten dritten Molar aufweisen würden.            risiko nicht ausgeschlossen werden kann?
Möglichkeit einer Nervenverletzung die                 15 bis 25 Prozent dieser Patienten würden          Prof. Dr. Sebastian Kühl sprach sich für eine
entscheidende Rolle. Viele Chirurgen hät­              in der Folge in irgendeine Art von Patho­          Implantation aus. Die aufmerksame Ver­
ten eine viel zu optimistische Vorstellung             logie geraten. Die prophylaktische Weis­           meidung von Komplikationen sei jedoch
von der Chance auf Heilung, wenn es zu                 heitszahnextraktion sei also in vielen Fäl­        zwingend. Es helfe allerdings nicht, ein­
einer neuralen Verletzung gekommen sei.                len eine wichtige Behandlung.                      zelne Behandlungsmöglichkeiten zu
Die Heilungsmöglichkeiten hingen von                   Komplikationen oder gar schwerwiegen­              verteufeln. Auch eine schlecht sitzende
mehreren Faktoren ab – beispielsweise                  de Nervenschädigungen seien bei erfah­             Prothese könne im schlimmsten Fall
dem Alter des Patienten. Grundsätzlich                 renen Behandlern sehr selten. Darüber              Nekrosen des Alveolarknochens verur­
sei die Prognose jedoch schlecht. Neuro­               hinaus entspreche das Zurücklassen von             sachen.
logische Verletzungen oralchirurgischer                Zahnteilen im Alveolarknochen nicht der            Grundsätzlich gebe es zwei bekannte Ri­
Genese seien meist permanent. Am pro­                  Lehrmeinung. Diese Zahnteile könnten               sikogruppen für Kiefernekrosen: Patien­
blematischsten sei dabei in der Regel                  unter Umständen in der Zukunft zum                 ten mit antiresorptiver Therapie zur pro­
nicht der Sensitivitätsverlust. Vielmehr               Problem werden. Ein hohes Risiko beste­            phylaktischen oder akuten Behandlung
verlören die Patienten, aufgrund von                   he vor allem bei chemotherapeutischen              einer Osteoporose und Patienten mit an­
chronischen Schmerzen und muskulären                   Behandlungen, Radiatio oder antiresorp­            tiresorptiver Therapie zur Behandlung
Beeinträchtigungen (Ticks, Lähmungen),                 tiven Therapien. Die Frage sei also: Versu­        einer Tumorerkrankung. Bei der ersten

Prof. Dr. Tara Renton (links), PD Dr. Vivienne Chappuis (Mitte) und Prof. Dr. Bernd Stadlinger (rechts)

                                                                                                               SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018
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728     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                                                                  lebensraten nach zehn Jahren unter jenen
                                                                                                                  der Implantate liegen. Die WSR habe je­
                                                                                                                  doch mehrere Vorteile für die Patienten:
                                                                                                                  Sie sei deutlich günstiger, die Behand­
                                                                                                                  lungsdauer sei viel kürzer (Tage statt Mo­
                                                                                                                  nate), es gebe weniger Komplikationen,
                                                                                                                  und es müssen keine Provisorien ange­
                                                                                                                  fertigt werden. Der Versuch einer WSR
                                                                                                                  schliesse eine spätere Implantation aus­
                                                                                                                  serdem nicht aus. Der Patient sollte aber
                                                                                                                  mit zahnerhaltenden Therapien behan­
                                                                                                                  delt werden, solange die Zeit­Kosten­
                                                                                                                  Nutzen­Analyse für ihn einen Sinn er­
                                                                                                                  gebe. Falls dieses Verhältnis nicht mehr
      Prof. Dr. Sebastian Kühl (links) und Dr. Carlos Madrid sprachen über die Implantation bei Patienten unter   stimme, sei die Behandlung mit Implan­
      antiresorptiver Therapie.                                                                                   taten eine vielversprechende konsekutive
                                                                                                                  Behandlungsoption.
                                                                                                                  Einige weitere Überlegungen würde
                                                                                                                  Dr. Claude Andreoni vor einer WSR anstel­
                                                                                                                  len. Wo befindet sich der betreffende
                                                                                                                  Zahn? Kann der Apex gut erreicht wer­
                                                                                                                  den? Wie ist der parodontale Zustand?
                                                                                                                  Und welchen strategischen Wert hat der
                                                                                                                  Zahn? Anhand dieser Fragen könne sys­
                                                                                                                  tematisch über den weiteren Behand­
                                                                                                                  lungsablauf entschieden werden. Dabei
                                                                                                                  könne eine WSR auch eine gute Zwi­
                                                                                                                  schenlösung sein. Diese müsse nicht
                                                                                                                  ewig halten, könne aber bessere ossäre
                                                                                                                  Bedingungen schaffen als eine Extrak­
                                                                                                                  tion. Falls der betroffene Zahn schliess­
      Wurzelspitzenresektion oder Implantat? Diese Frage diskutierten Dr. Claude Andreoni (rechts) und            lich doch extrahiert werden müsse,
      Prof. Dr. Thomas von Arx.                                                                                   könne in stabilere Knochenverhältnisse
                                                                                                                  implantiert werden. Andreoni erklärte,
                                                                                                                  dass eine Implantation für den Patienten
      Gruppe sei das Risiko überschaubar. Bei               Tagen eine parallele Abschirmung mit                  in der Regel mit einer langen Behand­
      der prophylaktischen Behandlung beste­                Antibiotika erfolgen.                                 lungsdauer verbunden sei. Daher solle die
      he lediglich ein Risiko von 0,1 Prozent,              Dr. Carlos Madrid mahnte in seinem Kon­               Implantation attraktiver gestaltet wer­
      dass sich eine Osteonekrose ausbilde, bei             terreferat zu erhöhter Vorsicht. Die Präva­           den. Dabei seien vor allem eine geringere
      der Bisphosphonat­assoziierten Behand­                lenz sei zwar gering. Bei über 300 000 Os­            Invasivität und ein kürzerer Heilungspro­
      lung einer akuten Osteoporose sei das Ri­             teoporosepatienten in der Schweiz sei das             zess anzustreben. Auch die Operations­
      siko mit einem Prozent immer noch recht               Risiko für hohe Fallzahlen von Osteonek­              techniken müssten vereinfacht werden –
      niedrig. Oft seien Bisphosphonate oder                rosen trotzdem nicht zu vernachlässigen.              jedoch ohne eine Verschlechterung der
      Denosumab nicht die eigentlichen Aus­                 Es sollte grundsätzlich beachtet werden,              Langzeitresultate.
      löser der Nekrosen. Vielmehr liege häufig             dass oralchirugische Eingriffe das Risiko             Zur Illustration zeigte der Referent einen
      ein anderer Trigger vor: Karies, Parodon­             für diese Patienten, eine Osteonekrose zu             Fall, bei welchem im Oberkiefer­Seiten­
      topathien oder Verletzungen der Mund­                 erleiden, vervielfachen würden.                       zahnbereich das Implantatbett in einem
      schleimhaut.                                                                                                bestehenden Wurzelsystem präpariert
      Bei der antiresorptiven Therapie zur Be­              Wurzelspitzenresektion oder Implantat?                wurde. Anschliessend wurden die ver­
      handlung von Tumorerkrankungen sehe                   Prof. Dr. Thomas von Arx war sichtlich stolz,         bliebenen Wurzelreste entfernt und das
      die Sachlage jedoch anders aus. Hier sei              den einzigen Vortrag zu halten, während               Implantat eingeschraubt. Die bestehen­
      die Prävalenz von Osteonekrosen mit über              dem die Zuhörer kein Implantat sehen                  den ossären Defekte wurden schliesslich
      20 Prozent alarmierend hoch. Grundsätz­               würden. Er sprach von der Wurzelspit­                 mit Knochenersatzmaterialien aufgefüllt.
      lich sollten folgende Punkte beachtet                 zenresektion (WSR) als einer Behandlung               Ähnlich funktioniert die sogenannte
      werden: Bei der Gabe oraler Antiresorp­               mit guter Erfolgsprognose. Laut einer                 Socket­Shield­Technik. Dabei wird bei
      tiva sei das Risiko gering. Wenn möglich              eigenen Studie konnte nach fünf Jahren                Implantationen im Frontzahnbereich die
      sollte ein «Drug­Holiday» eingehalten                 eine Überlebensrate von 91,4 Prozent er­              faziale Wand des Zahnes belassen. Da­
      werden (drei Monate, bei einer vorherigen             reicht werden. Nach zehn Jahren waren                 durch werde versucht, ohne aufwendige
      Behandlung von mehr als drei Jahren). Auf             es immerhin noch 81,5 Prozent. Die kriti­             und teure Transplantationen von Kno­
      Augmentationen sollte verzichten wer­                 sche Zeit liege also zwischen dem fünften             chen­ und Weichgewebe eine Reduktion
      den. Während der implantologischen Be­                und dem zehnten postoperativen Jahr.                  der empfindlichen fazialen Knochen­
      handlung sollte während sieben bis zehn               Von Arx ist sich bewusst, dass die Über­              lamelle zu verhindern.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018 P
730     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                                Bei welchen Auffälligkeiten der Mundhöhle
        Veränderungen                                                           der Zahnarzt aufhorchen sollte und welche

        der Mund-                                                               Therapieverfahren zur Regeneration von
                                                                                Mund­ und Kieferstrukturen der Spezialist
        schleimhaut                                                             anwendet, damit befasste sich das Sympo-
                                                                                sium für Mundschleimhautveränderungen
                                                                                am ZZM der Universität Zürich.
                                                                                Text: Dr. med. dent. Delia Irani; Fotos: Yara Jäkel, Fotografin

      Erfreut über die grosse Anzahl an Inte­                höhten Auftreten der oralen Leukoplakie         gend eine Gewebeprobe für die histopa­
      ressierten begrüsste der Klinikleiter der              als Hauptrisikofaktor, Alkohol könne als        thologische Untersuchung entnommen
      Mund­, Kiefer­ und Gesichtschirurgie –                 Co­Faktor die Prävalenz um ein Vielfa­          werden, so Dr. Giacomelli. Mittel der Wahl
      Klinik für Oralchirurgie, Prof. Dr. Dr. Martin         ches steigern. Das Risiko einer Entartung       für die Gewebeentnahme sei aufgrund der
      Rücker, das Publikum zu Beginn des dies­               zu einem invasiven Plattenepithelkarzi­         guten histopathologischen Beurteilbar­
      jährigen Symposiums.                                   nom erhöhen können Faktoren wie zu­             keit das Skalpell. PD Dr. Dr. Paul Schumann,
      Routinemässig auch der Mundschleim­                    sätzlicher Candidabefall, HPV, veränderte       Leitender Arzt der MKG, ergänzte, dass
      haut Beachtung zu schenken, diesen                     Serumvitaminspiegel und sonstige Be­            auf Bürstenbiopsien verzichtet werden
      Rat legte Dr. Barbara Giacomelli­Hiestand,             gleitfaktoren, wie beispielsweise eine          sollte. Ergibt die histopathologische Dia­
      Oberärztin der Klinik für Oralchirurgie,               schlechte Mundhygiene. Eine gründliche          gnose eine maligne Erkrankung, so kann
      den anwesenden Zuhörern ans Herz. Bei                  Anamnese ist unabdingbar, um bei einer          aufgrund der engen Zusammenarbeit der
      den gefürchteten Präkanzerosen tritt im                veränderten Schleimhaut eine mögliche           interdisziplinären Mundschleimhaut­
      Mund die orale Leukoplakie als häufigste               Ursache beheben zu können. Ist eine             sprechstunde und der klinikinternen
      prämaligne Läsion auf und die orale Ery­               Schleimhautveränderung zwei Wochen              Tumorsprechstunde ohne Zeitverzöge­
      throplakie als die prämaligne Läsion mit               nach Ausschaltung möglicher Habits oder         rung die nötige Therapie eingeleitet wer­
      dem höchsten Entartungsrisiko. Haupt­                  irritativer Faktoren wie beispielsweise         den. Liege keine Dysplasie vor, müsse
      risikoorte seien vor allem Zunge und                   scharfer Kanten oder überstehender Kro­         eine Veränderung je nach Homogenität
      Mundboden. Tabak gelte mit einem er­                   nenränder noch persistent, müsse zwin­          mindestens alle drei bis sechs Monate
                                                                                                             nachkontrolliert werden.

                                                                                                             «Eine neue Patientengruppe
                                                                                                             für oropharyngeale Karzinome»
                                                                                                             PD Dr. Jivko Kamarachev, Oberarzt an der
                                                                                                             Klinik für Dermatologie der Universität
                                                                                                             Zürich, thematisierte pathologische Ver­
                                                                                                             änderungen der Mundhöhle aufgrund
                                                                                                             oraler Übertragung von sexuell übertrag­
                                                                                                             baren Krankheiten. Neben den Herpes­
                                                                                                             Simplex­Viren I und II, den Epstein­Barr­
                                                                                                             Viren, Chlamydieninfektionen und der
                                                                                                             Gonorrhö berichtete er insbesondere über
                                                                                                             die Humanpathogenen Papillomavirus­
                                                                                                             infektionen. Über 200 Typen der HP­Vi­
                                                                                                             ren sind bekannt. Entscheidend seien vor
                                                                                                             allem die High­Risk­Typen (16 und 18),
                                                                                                             welche über 70 Prozent aller Cervixkarzi­
                                                                                                             nome, über 80 Prozent der Anuskarzino­
                                                                                                             me und 40 bis 70 Prozent der Mundhöh­
                                                                                                             len­ und oropharyngealen Karzinome
                                                                                                             verursachen. Auch die Typen 6 und 11
                                                                                                             stellen laut Dr. Kamarachev wegen ihrer
                                                                                                             ästhetisch störenden Spitzenkondylom­
                                                                                                             bildung einen Verlust an Lebensqualität
                                                                                                             dar und können Stress und Frustration in
      Prof. Dr. Dr. Martin Rücker, Klinikleiter der Mund­,   Dr. Barbara Giacomelli­Hiestand legte den Zu­
      Kiefer­ und Gesichtschirurgie – Klinik für Oralchi­    hörern ans Herz, routinemässig auch der Mund­   Beziehungen verursachen. Er betonte
      rurgie, am ZZM Zürich                                  schleimhaut Beachtung zu schenken.              stark die Wichtigkeit des HPV­Impfstoffs

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ZAHNMEDIZIN AKTUELL           731

PD Dr. Dr. Paul Schumann: «Bei Verdacht auf eine     PD Dr. Jivko Kamarachev thematisierte pathologi­   Dr. Georg Damerau fokussierte in seinem Referat
pathologische Veränderung muss der Zeitverlust       sche Veränderungen der Mundhöhle aufgrund von      auf die Speicheldrüsen.
von der Diagnose bis zur Therapie gering bleiben.»   sexuell übertragbaren Krankheiten.

Gardasil bei jungen Mädchen sowie Bu­                steine, welche im Falle organischer Her­
ben, welcher gegen diese vier Typen sehr             kunft im Röntgenbild nicht immer er­
zuverlässig schütze.                                 kennbar sind, die Speicheldrüsenzysten
PD Dr. Dr. Paul Schumann, Leitender Arzt             oder der seltene meist epitheliale Speich­
der MKG, ergänzte in seinem Vortrag zum              drüsentumor (2 Prozent aller Tumore).
Patientenmanagement, dass untypischer­               Befunde wie eine einseitige Schwellung,
weise oft «junge und gesunde» Patienten              eine veränderte Konsistenz der Drüse,
(unter 60 Jahren) an HPV­assoziiertem                Schmerzen bei der Palpation, nicht expri­
Krebs sterben. Diese Tumore hätten in                mierbarer Speichelfluss oder eine Rötung
den letzten Jahren sogar zugenommen.                 der Ausführgänge sind typisch.
Früh erkannt sprächen sie aber sehr gut              Alternativ zu einer Biopsie könne eine
auf die Therapie an. Die Drei­Jahres­Über­           Feinnadelpunktion für eine zytologische
lebensrate von HPV­positiven Mundhöh­                Untersuchung gemacht werden. Anhand
len­ und Oropharynxkarzinomen liege                  vieler klinischer Aufnahmen zeigte Dr. Da­
zurzeit bei 82,4 Prozent, im Vergleich               merau die chirurgische Therapie von Spei­
dazu liegen die HPV­negativen Karzino­               chelsteinen, Speicheldrüsenzysten und
me bei nur 57,1 Prozent. Gründe dafür                Differenzialdiagnosen auf.
könnten das durchschnittlich junge Alter             Dr. Urs Steiner, Oberarzt auf der Immuno­
und die gesündere Lebensweise der Pa­                logie des Universitätsspitals Zürich, er­
tienten sein. Ausgenommen seien dabei                gänzte die Worte seines Vorredners mit
Raucher und immunsupprimierte Patien­                einem Referat über die Problematik des
ten.                                                 verminderten Speichelflusses. Am Bei­
                                                     spiel des Sjögren­Syndroms, welches                Dr. Urs Steiner erläuterte in seinem Referat die
Wenn die Spucke wegbleibt                            vermehrt bei Frauen auftritt (90%), erläu­         Sicca­Symptomatik.
Dr. Georg Damerau, Oberarzt der Oralchi­             terte er die Sicca­Symptomatik: Mund­/
rurgie, fokussierte in seinem Referat auf            Augentrockenheit, Müdigkeit und Ar­
die Speicheldrüsen. Er betonte, dass ein             thralgien (Gelenkschmerzen). Histolo­              werden mit Speichelersatzmitteln, spei­
Seitenvergleich der Speicheldrüsen wich­             gisch können in den Speicheldrüsen                 chelstimulierenden Kaugummis oder
tig sei, um eine infektiöse oder autoim­             Lymphozyteninfiltrate festgestellt wer­            Bonbons, engmaschigen Dentalhygiene­
mune Erkrankung von einer einseitigen                den. Die Patienten leiden wegen der                recalls, topischen Fluoriden und Chlor­
Speicheldrüsenproblematik zu unter­                  Xerostomie an Kau­ und Schluckbe­                  hexidin­Mundspüllösungen. Zum
scheiden. Dazu zählen zum Beispiel die               schwerden, vermehrter Karies sowie Pro­            prophylaktischen Abschwächen einer
sehr schmerzhafte, bakteriell bedingte               thesenunverträglichkeiten. Dem könne               Radioxerostomie empfiehlt Dr. Damerau
Sialadenitis, die Sialolithiasis, Speichel­          nur symptomlindernd entgegengewirkt                eine Strahlenschutzschiene.

                                                                                                              SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 128 9 2018  P
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      Der orale Lichen planus und die orale lichenoide   Dr. Michèle Bachmann forderte die Zuhörer auf, Sys­   Dr. Kristian Ikenberg führte das Publikum auf
      Läsion waren Thema des Referats von Prof. Dr.      temerkrankungen stets im Hinterkopf zu behalten       einem virtuellen Rundgang durch das histopatho­
      Dr. Bernd Stadlinger.                              und allenfalls beim Kinderarzt abklären zu lassen.    logische Labor.

                                                         darstellt. Bei Verdacht auf Lichen pla­               Ursachen von infektiös verursachten
                                                         nus soll initial eine Biopsie erfolgen.               Mundschleimhautveränderungen bei
                                                         Der echte orale Lichen planus komme                   Kindern auf. Diverse bei Kindern typische
                                                         bei 0,1 bis 4 Prozent der Bevölkerung                 Erreger und damit auftretende systemi­
                                                         vor und müsse wegen seines malignen                   sche Erkrankungen wie Streptokok­
                                                         Transformationsrisikos von etwas über                 ken­A­Tonsillitis, Impetigo contagiosa,
                                                         einem Prozent im Drei­ bis Sechsmo­                   EBV­Infektionen oder Herpes­Simplex­
                                                         natsintervall visuell, palpatorisch und               und Entero­Viren­Infektionen können
                                                         gegebenenfalls bioptisch nachkontrol­                 reversible, aber zum Teil sehr schmerz­
                                                         liert werden. Unter den verschiedenen                 hafte Läsionen in und um die kindliche
                                                         Formen des OLP zeigten erosive For­                   Mundhöhle verursachen. Zur akuten
                                                         men höhere Dyplasiegrade, erklärte                    Schmerzlinderung werden im Spital sys­
                                                         Prof. Stadlinger. Therapiemöglichkeiten               temische sowie lokal wirkende Schmerz­
                                                         des Lichen planus bestünden in der to­                mittel verwendet. Eine seltene, aber
                                                         pischen bis systemischen Anwendung                    schwerwiegende Kindererkrankung sei
                                                         von verschiedenen Medikamenten wie                    das Kawasaki­Syndrom, eine System­
                                                         Kortikoiden, Vitamin­A­Säuren und                     erkrankung, die durch eine Gefässent­
                                                         Immunsuppressiva. Ein asymptomati­                    zündung entsteht und auch Symptome im
                                                         scher Lichen brauche hingegen keine                   Mund wie eine stark gerötete Zunge, ein
                                                         Therapie. Weiter zu beachten sei, bei                 Enanthem, rissige Lippen und Lymph­
                                                         einem normalen DH­Intervall auf den                   knotenschwellungen hervorrufen kann.
                                                         Gebrauch von Air­Flow zu verzichten                   Andere auch bei Kindern auftretende Ver­
                                                         und keine Implantatversorgungen bei                   änderungen seien Aphthen, akute Paroti­
      In seinem Vortrag zeigte Dr. Dr. Thomas Gander
      eindrücklich die Möglichkeiten der lokalen         entzündlichen Formen des OLP zu pla­                  tis, Mundsoor, Ranula und Blutungen,
      Lappenplastik.                                     nen. Prof. Stadlinger empfiehlt zudem                 so Dr. Bachmann. Wichtig sei es, System­
                                                         dringend einen Candida­Abstrich, da                   erkrankungen stets im Hinterkopf zu
                                                         eine zusätzliche Infektion des Pilzes                 behalten und allenfalls beim Kinderarzt
      Der orale Lichen planus                            die Transformationsrate um einiges                    abklären zu lassen.
      Prof. Dr. Dr. Bernd Stadlinger, Leitender          erhöhe.
      Arzt und Leiter der Forschung der Kli­                                                                   Herausforderungen der histopathologischen
      nik für Oralchirurgie, thematisierte den           Kinderkrankheiten und ihre Auswirkungen               Diagnostik
      oralen Lichen planus (OLP) und die                 in der Mundhöhle                                      Dr. Kristian Ikenberg, Oberarzt am Institut
      orale lichenoide Läsion, wobei Letztere            Dr. Michèle Bachmann, Oberärztin am Kin­              für Pathologie und Molekularpathologie
      eine irritativ bedingte Immunantwort               derspital Zürich, griff die verschiedenen             des Universitätsspitals Zürich, führte das

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