In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden

 
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In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
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D EZ 2021
SEP

            GEISTLICHES LEBEN      HOFFNUNG                      MUSIK
       Wie Weihnachten Hoffnung   Zeichen der Hoffnung in    Alles andere ist
             machen kann           einer Welt im Wandel     Konservativismus
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
INHALT
3 GEL EIT                                  M USIK                                        LIEBE GÄSTE UND FREUND*INNEN
                                              47 „Alles andere ist Konservatismus”       DER FRAUENKIRCHE,
LEITTHEMA – HOF F N U N G                     50 Hoffnung in dieser Zeit
   5 Zeichen der Hoffnung:                    52 Eine Gewissheit, die über das
      In einer Welt im Wandel
   10 Ja, wir haben Hoffnung
                                                 zeitliche hinausweist
                                              54 Geistliche Sonntagsmusik:
                                                                                         Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
   14 Was uns hoffen lässt                       Kirchenmusikalische Kostbarkeiten       durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
   16 Seit 35 Jahren ein offenes Ohr             am Sonntagnachmittag
   18 Die Hoffnung nicht aufgeben             55 Konzertjahr 2022                        Im Tale grünet Hoffnungsglück ...
   21 Die nötige Portion realistischer
      Idealismus                           E NGAGEMENT
   24 Von der Kraft des Ortes: Zwischen       59 Verbundenheit liegt uns am Herzen       Nanu, hat der Pfarrer sich in der Jahreszeit und im   Unser Taxi schaffte in jener Vorweihnachtszeit in 20
      Präsenz und virtuellem Raum             62 An die Unterstützer von morgen denken   Fest vertan? Könnte man meinen, ist aber nicht so.    Minuten zwei Häuserblocks. „Dieser Weihnachts-
                                              64 Eine neue Partnerschaft in der          Bewusst setze ich an den Anfang dieses Magazins       verkehr ist eine Katastrophe“, schimpfte Bob. „Er
GEIST LIC HES LEB EN                             Adventszeit                             den Beginn des berühmten „Osterspaziergang“           nimmt mir das ganz bisschen Weihnachtsstim-
  31 Aus Ende und Anfang:                                                                aus Goethes Faust. Dieses unvergängliche Gedicht      mung, das ich habe.“ – April war philosophischer.
     die Hoffnung                          B AUWER K                                     bietet starke Bilder für die Empfindungen, mit        „Es ist ganz und gar unglaublich“, sinnierte sie.
  34 Der Bäcker und das Marzipan:             67 Zur rechten Zeit                        denen wir nach eineinhalb Jahren Pandemie auf         „Denk doch bloß: Da ist vor zweitausend Jahren
     Wie Weihnachten Hoffnung                 70 Verfugarbeiten an der Frauenkirche      Weihnachten 2021 zugehen. Jedenfalls jetzt im         irgendwo in der palästinischen Wüste, mehr als
     machen kann                                                                         Juli, wo ich dies schreibe, sieht es doch sehr da-    achttausend Kilometer von hier, ein Kind zur Welt
  36 Gottesdienst zum Taufgedächtnis:      KI RCH ENFÜH R UNG                            nach aus, dass wir von vielen Vereisungen befreit     gekommen – und das verursacht ein Verkehrschaos
     Nun ist es für kurze Zeit wieder          73 Nische der Hoffnung                    werden, die die Maßnahmen zur Pandemiebe-             auf der Fifth Avenue in Manhattan.“
     still in der Frauenkirche                                                           kämpfung unserem sozialen und auch seelischen
  38 Traujubiläum                          FRI ED ENSB OTSCH A FT                        Leben not-wendig zugefügt haben. So wie das Eis       Ja, das ist wirklich unglaublich. Oder anders ge-
  39 Taufen und Trauungen                     77 Phoenix: Gedichte des Friedenspoeten    unter „des Frühlings holden, belebenden Blick“        sagt: Weihnachten ohne vorlaufenden Stress und
                                                 Antony Owen aus Coventry                taut und zu „Strom und Bächen“ zerfließt, so wird     Hektik, das geht gar nicht. Es wäre wie die Kirche
FOR U M                                       78 Erinnern und Versöhnen: 80 Jahre        auch unser Leben in diesen Wochen und Monaten         ohne Amen oder wie Dresden ohne Frauenkirche.
  41 Das Forum Frauenkirche                      Überfall auf die Sowjetunion            immer fluider, dynamischer. Gottseidank.              Und: „Im Tale grünet Hoffnungsglück“! Weihnach-
  42 Forum Frauenkirche: Verschwörungs-                                                                                                        ten ist das Fest der Hoffnung, des neuen Lebens,
      theorien in der Corona-Krise         L E S ER B R IEFE                             So kann ich mich gut in Goethes österlicher Dich-     weshalb das Grün von Adventskranz und Christ-
  43 Solidarität unter Spannung –                                                        tung wiederentdecken, wenn ich an Weihnach-           baum unbedingt zu Weihnachten gehört. Und
      Europas Originalität im              FÖ RDER GESEL LSCH A FT                       ten 2021 denke. Dass der große unendliche Gott        weshalb „Hoffnung“ das überwölbende Thema
      21. Jahrhundert?                        82 Frauenkirche-Lotterie mit langer        ein kleiner endlicher Mensch wurde, hilflos und       dieses Magazins ist.
  44 Ins innere Haus. Von den Engeln             Tradition: Mit Losen Hoffnung spenden   brüllend wie jedes Neugeborene: Das ist eine
      und Mächten                                                                        unglaubliche, wunderbare Umkehrung aller gän-         Eine vom Eise befreite, hoffnungsstarke Zeit
  45 Müssen wir die Nation wiederfinden?   I M G ED ENKEN A N                            gigen Werte und bringt die Verhältnisse zum Tan-      wünscht Ihnen
                                                                                         zen. Das empfinden die Menschen immer noch so,
                                           8 6 KA L END ER                               Jahr für Jahr. Eine weihnachtliche Geschichte aus     Ihr
                                                                                         New York endet so:
                                           1 2 2 S ERVICE · KONTA KT · IMPR ESSUM

                                           1 2 3 S ITZ PLA N                                                                                   Frauenkirchenpfarrer
                                                                                                                                               Markus Engelhardt
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HOFFNUNG                                                    5

                                  Zeichen der
                                   Hoffnung
                               IN EINER WELT
                                 IM WANDEL
HOFFNUNG

                                                    ALEIDA ASSMANN

           Es ist nicht leicht, über Hoffnung zu schreiben,    Mit dieser Beschreibung der gegenwärtigen Situ-
           während gerade Hiobsbotschaften das Land er-        ation ist ein Rahmen geöffnet, in dem ich meine
           schüttern. Wir haben uns daran gewöhnt, dass        Überlegungen zum Thema Hoffnung unterbringen
           das Wort Krise Teil unseres Alltagswortschat-       möchte. Ich werde diesen Rahmen zunächst noch
           zes geworden ist, jetzt aber reden wir von Ka-      ein wenig erweitern, um weitere Problem-Kon-
           tastrophe. Eingestürzte Häuser, über 150 Tote,      texte einzubeziehen. Dafür möchte ich zunächst
           zerstörte Existenzen, verwüstete Landschaf-         allgemeiner auf die Verschärfung des Wandels
           ten. Die Klimaveränderung ist geographisch          eingehen und anschließend nach möglichen Sig-
           nicht mehr auf Distanz zu halten, sie ist buch-     nalen der Hoffnung fragen.
           stäblich in die Wohnzimmer eingedrungen. In
           Kombination mit der Pandemie, so der Kata-          Ich habe in meinem Leben ja schon ziemlich viel
           strophenforscher Martin Voss, entwickle sich        Wandel erlebt. Einen historischen Wandel von
           eine Krise, die größer sei als alles, was man aus   ungekanntem Ausmaß gab es nach dem Zweiten
           der Vergangenheit kenne. Angesichts dieses          Weltkrieg. Ich bin in ein demokratisches Europa
           Warnschusses steige die Dringlichkeit, andere       und eine transatlantische Allianz hineingewach-
           Weichen zu stellen. Daher enthalte diese Krise      sen, dann habe ich 1989 nach dem Sturz der Mau-
           aber auch das Potenzial, als Gesellschaft eine      er und dem Ende des Kalten Krieges erleben dür-
           grundlegend andere Richtung einzuschlagen.          fen, wie tödliche Grenzen plötzlich überschreitbar
           Angesichts einer Dynamik, die uns zu entglei-       wurden und sich der Osten Europas öffnete. Der
           ten droht, sei die gesellschaftliche Bereitschaft   Wandel, den wir jetzt gerade erleben, hat jedoch
           dafür groß, denn es stelle sich jetzt die ganz      eine andere Qualität. 2015 gilt als das emblemati-
           grundsätzliche Frage: Wie wollen wir leben?         sche Jahr dieses Wandels, als eine Million Migran-
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    ten an den Grenzen Europas um Aufnahme baten.        Zwischen diesen Ereignissen im Juni und No-
    Diese Bilder haben sich tief eingegraben ins kol-    vember wurde im August 2016 das Zeitalter des
    lektive Gedächtnis, aber die medialen Bilder die-    Anthropozän ausgerufen, ein tiefer und irrever-
    ser Situation werden auch ständig erneuert, denn     sibler Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.
    das war kein einmaliges Geschehen, sondern ein       Der mit Brexit und Trump bezeichnete Wandel
    Wandel, der weiterhin anhält. Ein Jahr später,       in Gesellschaft und Politik findet damit im Kon-
    2016, kam weiterer Wandel dazu. Ich erinnere hier    text eines noch viel größeren Wandels statt, in
    nur an drei Ereignisse dieses Jahres, die unsere     dem die Menschheit als ganze betroffen und
    Welt tiefgreifend veränderten:                       gefragt ist. Von Carl Schmitt, dem Staatsrechtler
    Im Juni kam das Brexit-Referendum. Mit dem Aus-      in Nazi-Deutschland, stammt der Satz: „Wer
    tritt Großbritanniens endete die Erfolgsgeschich-    Menschheit sagt, will betrügen.” Dieses Wort
    te der EU. Im Brexit zeigte sich das Erstarken von   hielt er für eine sentimentale Floskel, um eigen-
    neuen Nationalismen und die Rückkehr der Nati-       nützige Zwecke zu kaschieren. Inzwischen ist die
    onalstaaten als Kollektivegoismen, die nicht mehr    Menschheit aber eine Überlebens-Notgemein-
    miteinander kooperieren, sondern gegeneinander       schaft geworden, von der zudem abhängt, ob es
    wetteifern.                                          für gefährdete Arten und nachwachsende Gene-
                                                         rationen weiterhin eine Zukunft auf diesem Pla-
    Im November ging – was niemand so erwartet           neten geben wird.
    hatte – Donald Trump aus der US-Wahl als Sieger
    hervor. Damit begann ein stark personalisierter      Wenn wir uns diese Entwicklung einmal klarma-
    Politikstil, bei dem die sozialen Medien in den      chen, wird zunächst eines deutlich: Wandel ist        vation und damit natürlich auf Wandel setzte. Vie-    Ja, wir leben in turbulenten Zeiten, in denen wir
    Vordergrund traten und Twitter zum wichtigsten       nicht mehr gleich Wandel. Lange Zeit waren die        les von diesem Wandel schlägt inzwischen negativ      nicht nur von einer Pandemie gebeutelt sind,
    Mittel der Diplomatie wurde. In Zeiten der allge-    Menschen stolz darauf, die Welt zu verwandeln.        zu Buche. Unsere Lebens- und Wirtschaftsform,         sondern in denen sehr viel unklar geworden und
    meinen Desorientierung sollte diese persönliche      ‚Die Verwandlung der Welt‘ – so heißt ja das be-      unser Konsum, unsere Produkte – allen voran das       umstritten ist. Der gesellschaftliche Konsens über
    Bindung an den Präsidenten Sicherheit und Ori-       rühmte Buch über die Geschichte der Globalisie-       Plastik – waren weder nachhaltig noch umwelt-         die kleinste gemeinsame Wirklichkeit schwindet,
    entierung verleihen, was jedoch mit systemati-       rung von Jürgen Osterhammel – begann mit Ent-         verträglich. Was für die Globalisierungskrise und     die politische Polarisierung nimmt zu, sowie der
    scher Desinformation und einer globalen Verbrei-     deckungen, neuen Reiserouten und weltweiten           die Migration gilt, gilt ebenso für die Umweltkri-    Verlust von Orientierung durch gezielte Desinfor-
    tung von fake news einherging.                       Handelsketten. Ich wuchs in einer Welt der Moder-     se: Wir haben es heute mit einem von Menschen         mation. Aber „wo Gefahr ist, wächst das Rettende
                                                         nisierung auf, die unentwegt auf Fortschritt, Inno-   forcierten, aber in seinem Ergebnis so nicht beab-    auch“ – heißt es bei Hölderlin. Gibt es überhaupt
                                                                                                               sichtigten Wandel zu tun. Was einst als heroisches    noch Grund zur Hoffnung? Und was könnte das
                                                                                                               Handeln einzelner begann, ist kumulativ zu einem      sein? Hier sind drei Gründe, die mich dennoch
                                                                                                               globalen und menschheitlichen Risiko angewach-        hoffnungsvoll stimmen.
                                                                                                               sen.
                                                                                                                                                                     Erstens: Ich setze auf Fortschritt durch neue

                                   Wir haben es heute                                                          Seit die Menschen im Zeitalter des Anthropozän
                                                                                                               angekommen sind, müssen sie nämlich selber
                                                                                                                                                                     rechtliche Rahmenbedingungen
                                                                                                                                                                     Der Ökonom Albert Hirschman hielt Streit und

                           mit einem von Menschen forcierten,                                                  darüber entscheiden, ob und wenn ja, wie viel
                                                                                                               Zukunft es überhaupt noch geben wird. Dafür
                                                                                                                                                                     Diskussion für das Elixier der Demokratie. Das war
                                                                                                                                                                     in den 1980er und 90er Jahren. Damals war er

                            aber in seinem Ergebnis so nicht                                                   brauchen wir jetzt einen Wandel, der bei uns
                                                                                                               selbst anfängt. Unter den Rahmenbedingungen
                                                                                                                                                                     überzeugt, dass aus Streit und Diskussion innova-
                                                                                                                                                                     tive Lösungen hervorgehen, die einen permanen-

                             beabsichtigten Wandel zu tun.
                                                                                                               des beschleunigten Klimawandels und der engen         ten Fortschritt in Gang setzen. Von permanentem
                                                                                                               Verflechtung von Mensch und Umwelt dürfen wir         Fortschritt reden wir schon lange nicht mehr, aber
                                                                                                               nämlich vor allem eines nicht: so weitermachen        auch beim Streit sind wir uns heute nicht mehr
                                                                                                               wie bisher. Das größte Risiko liegt heute im Unter-   so sicher. Streit und Diskussion, zumal wenn sie
                                                                                                               lassen.                                               immer heftiger, unversöhnlicher und hasserfüll-
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
8                                                 HOFFNUNG                                                                                                       HOFFNUNG                                                         9

    ter werden, können nämlich auch dazu führen,         Werten befragt, sowie Aktivistinnen und Künst-        ‚Dekonstruierens‘ mit ihrem Zerlegen von Tex-
    dass wir auf der Stelle treten und sich gar nichts   lerinnen, die sie als ‚Akteure des Wandels‘ be-       ten und Konzepten in nicht mehr brauchbare
    mehr bewegt. Viele Diskussionen dienen heute         zeichnet, weil sie sich für eine nachhaltigere und    Einzelteile. Hinter dem Reparieren steht eine
    der Veränderungsverhinderung. Die Bremse des         gerechtere Welt einsetzen und die Tür in Richtung     andere Grundhaltung. In einem Vortrag über die
    Status quo wird dabei immer fester angezogen.        auf einen neuen Gesellschaftsvertrag öffnen, der      „(Re-)Konstruktion der Welt“ im Februar 2021
    Aber, und das ist entscheidend: Es gibt auch den     nicht nur auf Leistung und Wettbewerb, sondern        ging Mbembe auf die Welt im Wandel ein und bi-
    plötzlichen Ruck, von dem einst Roman Herzog         verstärkt auch auf Empathie und Gemeinsinn            lanzierte eine lange Geschichte der Gewalt und
    sprach. Wir haben ihn 2020 erlebt in der solidari-   setzt. Die Soziologin kann zeigen, wie diese Ideen    Ungerechtigkeit, die der globale Süden mit dem
    schen Abstimmung der EU über den Wiederauf-          von der nachwachsenden Generation aufgenom-           globalen Norden erlebt hat. Als Antwort auf glo-
    baufonds und wir haben ihn im April 2021 erlebt      men, umgesetzt und in eine soziale Bewegung           bales Unrecht und die fortschreitende Zerstörung
    bei der Entscheidung des Verfassungsgerichts, als    eingebracht werden. Diese Ideen, so Michèle La-       des Planeten bringt er eine neue Ethik des Repa-                               ALEIDA ASSMANN
    die Forderung der Generationen-Gerechtigkeit         mont, „kommen nicht aus dem Nichts. Sie entste-       rierens ins Spiel. Mit Blick auf die zerstörerische                   ist (em.) Professorin für Literatur- und
    in die deutsche Rechtsordnung einging. Mit dem       hen in der Popkultur, in Interessengruppen und        Gewalt, die von der westlichen Zivilisation für alle            Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz.
                                                                                                                                                                                      Als Gastprofessorin lehrte sie u. a. an
    Ruck neuer Verordnungen und Gesetze wird eine        münden in soziale Bewegungen. Viele an der öf-        ausging, die nicht von ihr profitieren konnten,                       der Princeton University in New Jersey,
    ermüdende Dauerdiskussion des Pro und Contra         fentlichen Kultur Beteiligte machen es sich zu ih-    schlägt er vor: „Ich gehe davon aus, dass wir eine                 der Yale University in New Haven und an der
    beendet und innerhalb des neuen Rahmens kann         rer Aufgabe, diese Ideen bekannt zu machen und        gemeinsame Biographie haben, die wir zusam-                       Universität Wien. Sie publizierte vielfach zur
                                                                                                                                                                                    englischen Literatur und zur Archäologie
    die Gesellschaft dann auf einem neuen Niveau         weiterzugeben, die jetzt in die soziale Bewegung      men schreiben könnten.“                                             der literarischen Kommunikation. In ihren
    handeln. An die große Utopie des Fortschritts        einfließen. Ich bin überzeugt, dass wir hier gerade                                                                     kulturanthropologischen Forschungen prägte
    glauben wir zwar nicht mehr, aber diese kleinen      einen wichtigen Wandel erleben.“                      Knapp zwei Monate später trat die afroamerikani-                     sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem
                                                                                                                                                                                   Ägyptologen Jan Assmann, den Begriff des
    Fortschritte zählen umso mehr.                                                                             sche Dichterin Amanda Gorman in der Inaugura-                    kulturellen Gedächtnisses. 2018 wurden Aleida
                                                         Drittens: Reparieren – ein alter Begriff mit          tions-Zeremonie des neuen amerikanischen Prä-                     und Jan Assmann mit dem Friedenspreis des
    Zweitens: Ich vertraue auf die nachwachsende         einer neuen Perspektive                               sidenten Joe Biden auf. Sie hat zu diesem Anlass                     Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

    Generation und deren Gemeinsinn.                     Mit großem Interesse verfolge ich gerade, wie sich    ein eindrucksvolles Gedicht verfasst, in dem zwei
    Dabei kann ich mich auf die Forschungen der          im globalen Diskurs ein neuer Begriff durchsetzt,     Zeilen vorkommen, die inzwischen weltberühmt
    Harvarder Soziologin Michèle Lamont stützen.         der auf die zerstörerischen Energien der Kulturen     geworden sind.
    Sie schreibt gerade an einem Buch mit dem Titel:     und ihrer Geschichte reagiert und mit der Vision

                                                                                                               "Being American is more
    „Zukunft gewinnen. Wie Hoffnung in einer un-         einer friedlichen Zukunft verbunden ist. Ich den-                                                              einander anzunähern und damit eine wichtige
    sicheren Welt entsteht”. Ihr Thema ist die Gene-     ke zum Beispiel an die Texte des afrikanischen                                                                 Ursache für die Spaltung der Gesellschaft zu über-

                                                                                                               than a pride we inherit,
    ration Z (wie Zukunft!), die wie Greta Thunberg      Historikers und Philosophen Achille Mbembe, der                                                                winden.
    zwischen 1995 und 2005 geboren ist. Lamont hat       den Begriff ‚Repararieren‘ in seinen Büchern ein-
    diese Jugend nach ihrem Lebensgefühl und ihren       geführt hat. Bisher kannten wir die Operation des                                                              Globaler Wandel und planetarische Veränderun-
                                                                                                               it's the past we step into                               gen machen gemeinsame Anstrengungen immer
                                                                                                                                                                        dringlicher. Aber gespaltene Gesellschaften und

                                                                                                               and how we repair it."                                   globale Ungleichheit stehen dem im Wege. Tat-
                                                                                                                                                                        sächlich stellt sich jetzt die ganz grundsätzliche
                                                                                                                                                                        Frage: Wie wollen wir leben? Um nicht zu sagen:
                                                                                                               Und hier meine Übersetzung: „Amerikanisch zu             Wie wollen wir überleben? Dafür ist es wichtig,
                                                                                                               sein ist mehr als der Stolz, den wir erben. Es ist die   andere Perspektiven zu entdecken und auch die
                                                                                                               Vergangenheit, in die wir einsteigen, und was wir        Perspektiven anderer stärker einzubinden. Denn
                                                                                                               tun mit den Scherben.“                                   Zukunft haben wir nicht, wir müssen sie schaffen.
                                                                                                                                                                        Wenn wir Kollektivegoismen zurückstellen und
                                                                                                               Auch sie benützt den Begriff des Reparierens, um         mehr Gemeinsames im Verschiedenen entdecken,
                                                                                                               die unterschiedlichen Geschichtserfahrungen der          schaffen wir Zukunft – für den Planeten und für
                                                                                                               weißen und schwarzen Bevölkerung in den USA              nachwachsende Generationen.
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
10                                                                                                                                HOFFNUNG                                                     11

                                                                                                                                               Wir wollen
                                                                                 Zu den vielen Projekten, die der Verein stemmt, ge-
                                                                                 hören zahlreiche Kurse, eine Kleiderkammer und
                                                                                 eine staatlich anerkannte Schwangerschaftsbera-
                                                                                 tung. Auch eine interkulturelle Familienwerkstatt
                                                                                 gibt es.
                                                                                                                                          Familien unterstützen,
                                      Anja Arlt und Uta Jarsumbeck vom Kaleb
                                                                                 Zwei, die schon viele Jahre für den Verein tätig             gut mit ihren
                                                                                                                                            Kindern zu leben.
                                         Dresden e. V. unterstützen Frauen und   sind, sind Anja Arlt und Uta Jarsumbeck. Die bei-
                                    junge Familien in schwierigen Lebenslagen    den Sozialpädagoginnen sind seit 2003 und 2007
                                                                                 dabei. Sie sind selbst Mütter, wenngleich die eige-

     Ja,
                                                                                 nen Kinder inzwischen aus dem Haus sind. Doch
                                                                                 dem Thema Familie fühlen sie sich eng verbunden,        so nicht. Deshalb vermitteln wir Ehrenamtliche,
                                                                                 kennen und erleben sie ja weiterhin tagtäglich die      die Familien durch Kinderbetreuung unterstützen.
                                                                                 Herausforderungen, vor denen werdende Eltern            Was für eine Entlastung, einmal in der Woche ein
                                                                                 und junge Familien stehen. „Wir wollen Familien         bis zwei Stunden Zeit für sich zu haben, Termine
                                                                                 unterstützen, gut mit ihren Kindern zu leben“, er-      wahrzunehmen und die Kinder derweil in Obhut
                                                                                 klärt Anja Arlt. „Praktische Unterstützung von An-      zu wissen!“
                                                                                 fang an zu leisten und Mut zu machen, war und ist
                                                                                 unser Ziel.“                                            Nachfrage und Feedback zeigen, wie hoffnungs-

     WIR HABEN      Seit drei Jahrzehnten ist in der Dresdner
                    Neustadt der Kaleb Dresden e. V. zu finden.                  Orientierung und Begleitung
                                                                                                                                         stiftend das Projekt ist. Allein schon die Aussicht
                                                                                                                                         auf Unterstützung nehme eine große Last. „Die

     HOFFNUNG
                    Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht,                  Die Mehrzahl der Angebote richtet sich an Fami-         Familien ringen meist lange, bis sie sich melden.
                    Frauen und junge Familien in schwierigen                     lien, die sich für ihre Kinder entschieden haben.       Dann vereinbaren wir einen Termin, der auch mal
                    Lebenslagen zu unterstützen.                                 Eines ist das Ehrenamtsprojekt „Gemeinsam mit           erst in drei Wochen ist. Dennoch hören wir immer
                                                                                 Eltern“, das in Belastungssituationen helfen will.      wieder, dass es vielen von dem Moment an besser
     GRIT JANDURA   Vertrauend, zuversichtlich, gewiss: So kann man              „Viele Familien leben weit weg von den Großel-          ging, seitdem sie wussten, Hilfe wird kommen“, be-
                    die biblische Figur Kaleb beschreiben. Sie war na-           tern. Die Freunde sind dienstlich eingebunden.          richtet Anja Arlt.
                    mensgebend für ein christliches Netzwerk, das in             Hier fehlt dann Unterstützung. Das Jugendamt ist
                    den 1970ern in der DDR entstand. Hoffnungsvoll               erst bei erzieherischem Notstand zuständig, die         Wenn eine Geburt ein Abschied ist
                    und entschlossen sind auch die 16 Mitarbeiterin-             Krankenkasse, wenn Mutter oder Vater gesund-            Andere Angebote richten sich an Frauen, die Bera-
                    nen des Kaleb Dresden e. V., die gemeinsam mit 90            heitlich angegriffen sind. Hier setzt der Bereich der   tung in der Schwangerschaft brauchen oder den
                    Ehrenamtlichen Schwangere, Mütter und Familien               frühen Hilfen mit einem präventiven Ansatz an“,         Verlust eines Kindes verarbeiten müssen. Denn
                    in all ihrer Vielfalt informieren, beraten und beglei-       erklärt Uta Jarsumbeck. Das stärke und entlas-          einer Entscheidung pro Leben folgt nicht immer
                    ten. Sie spenden Hoffnung durch ihr Tun. Sie ma-             te. Ihre Kollegin bestätigt das. „Ein afrikanisches     ein Willkommen. Uta Jarsumbeck begleitet Frau-
                    chen Mut, das Leben mit Kindern anzugehen und                Sprichwort sagt: Um ein Kind zu erziehen, braucht       en und Männer, die durch Fehl- oder Totgeburt
                    auszukosten.                                                 es ein ganzes Dorf. Diesen Rückhalt gibt es bei uns     oder auch durch einen späten Schwangerschafts-
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
12                                                     HOFFNUNG                                                                                                                                                              13

     abbruch mit Trauer und Hoffnungslosigkeit kon-           durch die Begleitung zumindest gegen eine anony-
     frontiert sind. Manche Lebenswege, die in den            me Geburt, bei der ihre Identität geheim und da-
     Beratungen und Selbsthilfegruppen zur Sprache            mit dem Kind dauerhaft verschlossen bleibt, und
     kommen, sind auch für die erfahrene Sozialpäd-           für eine vertrauliche Geburt entschieden. Dann
     agogin schwer auszuhalten. Das wiederkehrende            werden wenige Angaben hinterlegt, sodass ein
     Miteinander von Hoffen, Bangen und Enttäu-               späterer Kontakt möglich werden kann. Die Ent-
     schung, wenn eine Schwangerschaft viel zu früh           scheidung für das Leben des Kindes wertschätzt
     endet, wenn Partnerschaften darüber zerbrechen           Uta Jarsumbeck sehr. Und sie gibt auch die Hoff-
     oder die Sorge durch das Erlebte die Freude auf          nung nicht auf, dass es sich die Mütter vielleicht
     das Werdende überlagert, geht Uta Jarsumbeck             doch noch anders überlegen; das Kind zu sich ho-
     nahe. Beeindruckt berichtet sie davon, wie die           len. Denn diese Möglichkeit besteht. Was das für
     Eltern in den Gruppen einander stärken und Kraft         die Adoptionsfamilien bedeutet, in die die Kinder
     geben. Auch, indem sie miteinander lachen. „Das
     Sprichwort, die Hoffnung stirbt zuletzt, trägt uns
                                                              vermittelt werden, mag sie nicht auch noch in ihrer
                                                              Emotionswaagschale haben. Sie versteht sich als                         Das soziale Umfeld muss wacher,
                                                                                                                                             empathischer sein.
     da schon“, sagt sie.                                     Begleiterin der Mütter. Das Wissen darum, dass die
                                                              dann enttäuschten Adoptionseltern ebenso unter-
     Besonders schmal ist der Grat zwischen Hoffnungs-        stützt werden, hilft ihr dabei.
     losigkeit und Hoffnung bei denjenigen Frauen, die
     sich für das Kind, aber gegen ein Leben mit ihm          Die Gesellschaft schaut weg
     entscheiden. Zwei bis drei Mal im Jahr legt eine         Traurig macht sie, dass es in unserer Gesellschaft
     Mutter ihr Neugeborenes in der Babyklappe des            überhaupt möglich ist, unbemerkt schwanger bzw.        die der Verein macht. Unnötigerweise müssen
     Vereins ab. Drei bis vier weitere Mütter gehen den       danach ohne Kind zu sein. „Es sind ganz normale        sich aber die Hauptamtlichen, die emotional so
     Weg der anonymen Geburt. Nur selten erhält Uta           Frauen, die diesen Weg gehen. Die Stereotype, die      sehr gefordert sind, auch immer wieder um die
     Jarsumbeck die Gelegenheit, die Mütter vorab zu          man vielleicht hat, treffen nicht zu. Es ist bitter,   Arbeitsfähigkeit des Vereins sorgen. Ein Hoffen         Kaleb Dresden e. V.
     sprechen. Doch die wenigen Begegnungen bleiben           dass sie das Gefühl haben, sich keine Unterstüt-       und Bangen ist es also auch da. Der Kaleb Dresden       Der Verein ist Anlaufstelle für Schwangere
     in Erinnerung. „Ich erlebe Frauen, die allein sind,      zung holen zu können“, so Uta Jarsumbeck. Das          e. V. lebt von Fördermitteln, die nur projektbezo-      und junge Familien. Das Motto des Vereins ist
     niemals bei einem Arzt waren. Auch wenn sie nach         soziale Umfeld müsse wacher, empathischer sein.        gen und auf Antrag fließen. Knapp ist das Geld          „Gemeinsam für Familie“. Mit Kursen, sozialer
     einem Beratungsgespräch Hoffnung aus einem               „Diese Frauen haben Nachbarn und Arbeitskolle-         immer. „Mit Ideen und viel ehrenamtlichem En-           Beratung und weiteren Angeboten möchte er
     Weg schöpfen, der für die allermeisten undenkbar                                                                                                                        dazu beitragen, dass Kinder auf dieser Welt
                                                              ginnen. Und niemand sieht, dass die Frau schwan-       gagement haben wir vieles gemeistert“, betont
                                                                                                                                                                             willkommen sind.
     ist: Für sie ist es die einzige Lösung. Wir lassen sie   ger ist? Dass sie nicht mehr schwanger ist und kein    Anja Arlt. „Aktuell steht jedoch ein interkulturelles
     nicht allein. Wir verurteilen nicht, sondern sagen:      Kind hat? Es wird von der Gesellschaft einfach         Familienprojekt auf der Kippe, das wir über vier
     Das ist eine verantwortungsvolle Entscheidung,           nicht gesehen. Wir fragen uns: Wie kann das sein?“     Jahre hinweg aufgebaut haben. Ohne Förderung            Kontakt
     die diese Frau selbst treffen darf.“                                                                            kann es nicht fortgeführt werden. Das wäre traurig,     Bautzner Straße 52, 01099 Dresden
                                                              Auch der Verein braucht Hoffnung                       denn es wurde wichtige Beziehungsarbeit geleis-         Telefon: 0351. 801 44 32
     Uta Jarsumbeck möchte Vertrauen stiften. Aus gu-         Umso wichtiger sind Anlaufstellen wie das Fin-         tet. Doch wir wollen daran glauben, dass es wei-        E-Mail: info@kaleb-dresden.de
     tem Grund: Mehr als einmal hat sich eine Mutter          delbaby-Projekt und die zahlreichen Angebote,          tergeht.“ Uta Jarsumbeck pflichtet ihr bei. „Ja, wir    www.kaleb-dresden.de
                                                                                                                     sind immer voller Hoffnung.“
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
14                                                  HOFFNUNG                                                                                                                                                                            15

                                    WAS UNS
                   hoffen
                                                    LÄSST
     UTA ZIMMER

     Uta Zimmer ist Diplomkunsttherapeutin und            ich im Einklang mit all jenen, die Vertrauen in die                                    Felix hatte eine blühende Fantasie.
     arbeitet auf der Kinderkrebsstation des Unikli-      moderne Medizin setzen und voller Hoffnung sind.
     nikums Dresden. Finanziert wird ihre Arbeit          Schwierig wird es, wenn die Erkrankung zurück-                                         Er erfindet Fälix, den schwarzen Drachen und gestaltet mit seiner Kunstthera-
     vom Sonnenstrahl e. V. Dresden, einem Verein,        kehrt, wenn sich Therapieoptionen erschöpfen                                           peutin ein kleines Stofftier. Felix lässt Fälix Dinge tun, die ihm sein Gesundheits-
                                                                                                                                                 zustand selbst nicht mehr erlaubt. Wenn sein Bruder einmal Kinder hat, soll
     der sich seit 1990 um krebskranke Kinder und         und die Chancen auf Heilung sinken. Dann richtet                                       Fälix an ihrem Bett sitzen. Nicht als Spielzeug, sondern als Beschützer. Felix
     Jugendliche sowie ihre Familien kümmert. Auf         sich die Hoffnung auf eine möglichst lange und                                         weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, doch er will in Erinnerung bleiben.
     Spendenbasis bietet er den Familien psychoso-        gute Zeit des Überlebens – und die Hoffnung auf                                                                                                      — FELIX, 11 JAHRE
     ziale und organisatorische Unterstützung an.         ein Wunder. Aber Wunder lassen sich nicht erzwin-
                                                          gen. Manchmal bleibt nur die Hoffnung auf ein
     Seit 2001, also nunmehr 20 Jahren, arbeite ich am    gutes Ende, auf einen erlösenden, friedvollen Tod.
     Uniklinikum Dresden als Kunsttherapeutin mit         Ich muss an den verstorbenen Felix denken, der
     krebskranken Kindern und Jugendlichen. Aus mei-      fragte: „Wann kann ich endlich gehen?“ Er hatte
     ner Erfahrung weiß ich, dass es mit der Hoffnung     einen Drachen entworfen, ein Stofftier, und wollte
     nicht so einfach ist. Solange alles dafür spricht,   dessen Fertigstellung noch erleben. Ich nähte Tag
     dass Heilung möglich und wahrscheinlich ist, bin     und Nacht in der Hoffnung, um ihm diesen Wunsch        der die Klinik nicht nur als einen Ort erleben, an         zung im Alltag der Familien ersetzen. Misstrauische
                                                          zu erfüllen. Gemeinsam brachten wir schließlich        dem allein der Erkrankung und der Behandlung               Blicke oder gar Ablehnung untergraben Hoffnung
                                                          die Augen an. Eine Woche später konnte er endlich      Aufmerksamkeit zukommen, sondern auch ihren                und jegliche Bemühungen. Jeder kann dem et-
                                                          gehen. In solchen Situationen wird deutlich, dass      Nöten, Ängsten und besonders ihren Fähigkeiten.            was entgegensetzen und Hoffnung stiften. Die al-
                                                          die Medizin vieles, aber nicht alles leisten kann.     Und davon gibt es eine ganze Menge, welche sie             lerwichtigste Quelle der Hoffnung ist für mich die
                                                          Woraus schöpfen Kinder und Eltern Kraft und Hoff-      offen oder verborgen mitbringen: Humor, Neugier,           Gewissheit, nicht allein zu sein. Ich denke dabei an
                                                          nung in jeglicher Situation? Darüber zu sprechen       Kreativität, die Fähigkeit, sich zu freuen und sich        meine Kolleg*innen, welche die freudvollen und
                                                          ist nicht leicht, weil Hoffnung etwas ist, was jeder   fremden Menschen und Situationen zu öffnen.                traurigen Momente unserer Arbeit mit mir teilen,
                                                          für sich erringen muss und gleichzeitig etwas ist,     Auch braucht es Mut, Trauer und Wut zu zeigen              an die unzähligen Unterstützer und Fürsprecher
                                                          wozu es vieler bedarf.                                 und Grenzen zu setzen. Sie in diesen Fähigkeiten           für meine und unsere Arbeit, an meine Familie und
                                                                                                                 zu ermutigen und zu stärken, sind wesentliche              Freunde. Ihre Gegenwart macht mir Hoffnung.
                                                          Als Kunsttherapeutin bin ich Teil des psychosozi-      Ziele meiner Arbeit, welche damit auch weit über
                         UTA ZIMMER                       alen Teams, zu dem auch Psychologen, der Sozi-         die Erkrankung hinausreichen. Die Medizin kann
                ist Diplomkunsttherapeutin und            aldienst, Musiktherapeutinnen, die Klinikschule        vieles bewirken. Psychosoziale Arbeit kann unter-
              arbeitet auf der Kinderkrebsstation         und eine Erzieherin gehören. Wesentlich kann ich       stützen, gut durch die schwere Zeit zu kommen.
                    des Uniklinikums Dresden
                                                          mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass die Kin-        Aber wir können keine Akzeptanz und Wertschät-
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
16                                                  HOFFNUNG                                                                                                   HOFFNUNG                                                       17

                                                                                        MICHAEL HEINISCH
                                                                                             Leiter der
                                                                                                                Eine Leitung ist immer 24 Stunden, sieben Tage        wurde, ist Einsamkeit – und das betrifft nicht nur
                                                                                         TelefonSeelsorge       die Woche besetzt. Die Ehrenamtlichen arbeiten        ältere Menschen. Außerdem hat die Zahl der An-
                                                                                              Dresden           rund um die Uhr. Wir bieten seit 2019 auch Chat-      rufer mit Psychiatrieerfahrung zugenommen. Ge-
                                                                                                                seelsorge an. Diesen Bereich würde ich perspek-       nerell kann man sagen, dass die Coronasituation
                                                                                                                tivisch gern ausbauen. In Sachsen gibt es sechs       bei vielen dazu geführt hat, sich mit existenziellen
                                                                                                                Telefonseelsorgestellen.                              Themen auseinander zu setzen. Probleme, die
                                                                                                                                                                      durch den Alltag erfolgreich verdrängt wurden,
                                                                                                                Was sind das für Menschen, die sich ehrenamt-         kamen wieder hoch. Die teilweise Isolation der

            SEIT 35 JAHREN EIN                                                                                  lich für die TelefonSeelsorge engagieren?
                                                                                                                Michael Heinisch: Es sind überwiegend Frauen.
                                                                                                                                                                      Menschen hat natürlich Auswirkungen auf das
                                                                                                                                                                      Seelenleben. Die TelefonSeelsorge ist im Prinzip

                            offenes Ohr
                                                                                                                Man kann sagen, dass das Verhältnis 60/40 ist – so    ein gesellschaftlicher Seismograph. Die Probleme,
                                                                                                                ungefähr spiegelt es sich übrigens auch bei den       die die Gesellschaft bewegen, spiegeln sich bei
                                                                                                                Anrufen wider. Überwiegend sind es Ruheständler       den Anrufen wider. Es geht in den Gesprächen oft
                                                                                                                aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern.             um das Gefühl, sich in einer ausweglosen Situati-
                                                                                                                                                                      on zu befinden.
                                                                                                                Wie viele Anrufe gehen bei Ihnen ein und gibt es
                                                                                                                so etwas wie „Stoßzeiten“?                            Mit welcher Erwartungshaltung rufen Menschen
     UTA DUTSCHKE                                                                                               Michael Heinisch: In ganz Deutschland werden pro      an und was kann TelefonSeelsorge tatsächlich
                                                                                                                Jahr circa 5 Millionen Anrufversuche registriert.     leisten?
     Die TelefonSeelsorge Dresden ist in einem             Mediziner. Man begann 1985 mit der Schulung der      Davon schaffen die rund 100 Telefonseelsorgestel-     Michael Heinisch: Die Anrufer suchen einfach ein
     großen Mietshaus in einem belebten Stadtteil          Ehrenamtlichen.                                      len in Deutschland ungefähr 700.000 Anrufe an-        offenes Ohr und Entlastung. Manche wollen auch
     Dresdens untergebracht. Auf dem Klingeltab-                                                                zunehmen. Die Anrufe häufen sich ab Mittag. Der       einen Rat. Ziel ist es aber, eine Reflexionsfläche zu
     leau deutet nichts darauf hin, dass in diesem         Das Telefon war damals nur stundenweise ab 17        Gipfel ist ungefähr in der ersten Nachthälfte. Ab 2   sein und dem Menschen zu ermöglichen, sein Pro-
     Haus rund um die Uhr Ehrenamtliche ein offe-          Uhr besetzt. Die Nachfrage war damals noch nicht     Uhr nachts wird es dann wieder ruhiger. Man kann      blem selbst zu bewegen. Seelsorge macht sich im-
     nes Ohr für Menschen mit unterschiedlichsten          so hoch wie heute. Ich glaube kaum, dass das         sagen, zwischen 15 und 23 Uhr ist die Hauptanruf-     mer auf den Weg, eine Aussicht auf Veränderung
     Nöten und Bedürfnissen haben. Der Standort            Grundprinzip der Anonymität damals gewähr-           zeit.                                                 zu finden.
     ist anonym. Der Leiter der TelefonSeelsorge,          leistet werden konnte. Viele Gespräche wurden
     Michael Heinisch, war 21 Jahre Abteilungslei-         vermutlich von Münztelefonen geführt, da nur         Welche Auswirkungen hatte Corona auf die Te-
     ter bei der Diakonie-Stadtmission Dresden. Seit       wenige Haushalte über einen eigenen Telefonan-       lefonSeelsorge und auf die Themen der Anrufe?
     Februar 2016 leitet er die TelefonSeelsorge.          schluss verfügten. Man musste davon ausgehen,        Michael Heinisch: Man kann klar sagen, dass Co-
                                                           dass das Ministerium für Staatssicherheit mithört.   rona zur Folge hatte, dass das Interesse, sich bei
     Uta Dutschke: Seit wann gibt es die Telefon-                                                               der TelefonSeelsorge zu engagieren, gestiegen ist.
     Seelsorge in Dresden und wie waren die Start-         Wie ist die TelefonSeelsorge heute aufgestellt       Wir haben aktuell eine gute Nachfrage. Ich neh-           Telefonseelsorge
     bedingungen?                                          und wie sind die Rahmenbedingungen?                  me wahr, dass Menschen sich mehr für derartige
     Michael Heinisch: Die TelefonSeelsorge gibt es seit   Michael Heinisch: Aktuell arbeiten in Dresden 80     Hilfsangebote interessieren und diese überhaupt           Gespräche mit der TelefonSeelsorge sind über
     2. Januar 1986. Dresden war tatsächlich die erste     ehrenamtliche und drei hauptamtliche Mitarbei-       wahrnehmen. Corona war tatsächlich ein Multip-            die bundesweit gültigen Servicenummern:
     Stadt in der damaligen DDR, die diesen pasto-         terinnen und Mitarbeiter. Wir verfügen über zwei     likator der Hilfsbereitschaft.                            (0800) 11 10 11 1 oder (0800) 11 10 22 2
     ralpsychologischen Dienst angeboten hat, noch         Telefon- bzw. Chat-Räume und zwei Büros für die                                                                sowie über die europäische Servicenummer
     vor Ost-Berlin. Initiiert wurde dieses Projekt von    Hauptamtlichen. Das Herzstück ist aber unsere        Ein Thema, was bei den Anrufen immer im Fokus             116 123 aus allen deutschen Festnetzen und
     einem Psychologen, einem Theologen und einem          Kaffeeküche.                                         steht, aber in den letzten Monaten noch verstärkt         allen Mobilfunknetzen gebührenfrei möglich.
In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
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                                                                                                              Uwe Fanselow: Zunächst geht es ums pure Über-          Uwe Fanselow: Ich glaubte ganz fest an meine Fa-
                                                                                                              leben: Die Zeit der Beatmung auf der Intensivsta-      milie und an alles, was wir gemeinsam schon ge-
                                                                                                              tion mit zahlreichen Schläuchen und Sensoren im        schafft, erlebt und auch durchlitten haben. Auch
                Mit kleinen Schritten                                                                         und am Körper war kräftezehrend. In den ersten         Freunde und Kollegen meldeten sich, machten
                wieder zurück ins Leben                                                                       3 Wochen in der Uniklinik verlor ich 12 kg an Ge-      mir Mut und entzündeten Kerzen – als Zeichen des
                                                                                                              wicht und manchmal erlebt man die Atemnot als          Glaubens und der Hoffnung, diese schwere Zeit zu
                                                                                                              bedrohlich. Ich bin sehr froh, dass mir sowohl Ärz-    überstehen, und jeder Schritt nach vorn gab mir
                                                                                                              te, Schwestern und Pfleger als auch Familie und        neuen Mut und neue Zuversicht.
                                                                                                              Freunde per Telefon zur Seite standen und ich die
                                                                                                              Komplikationen einigermaßen wegstecken konnte.         Gab es Momente, in denen Sie die Hoffnung auf-
                                                                                                              Was erst viel später an Wirkung gewinnt, sind Erin-    gegeben hatten? Was hat Ihnen Kraft gegeben?
                                                                                                              nerungen an durchwachte Nächte aus Angst, nicht        Uwe Fanselow: Ich glaube, dass Aufgeben keine

              DIE HOFFNUNG                                                                                    mehr aufzuwachen, die Rufe sterbender Patienten
                                                                                                              und der Blick in abgespannte Gesichter des seit
                                                                                                                                                                     gute Idee ist, vor allem wenn man als Patient nicht
                                                                                                                                                                     weiß, wie heftig die Krankheit in einem wirkt. In

                          nicht aufgeben
                                                                                                              über einem Jahr über dem Limit arbeitenden me-         den ganz schweren Stunden, als die Sepsis ge-
                                                                                                              dizinischen Personals. Meine Familie hat in dieser     meinsam mit einem Keim zu Organversagen führ-
                                                                                                              Zeit mit mir gekämpft, mich jeden Tag aufs Neue        te, sagte ich zu den Ärzten und Schwestern, dass
                                                                                                              bestärkt und ermutigt, den Kampf nie aufzugeben.       das nicht sein kann. Dieses Aufbäumen gegen jede
                                                                                                              Leider haben es viele Patienten in dieser Zeit nicht   Art schlechter Gedanken brauchte ich, um immer
                                                                                                              geschafft. Als Betroffener, der noch nie in einem      bei mir zu bleiben. Ich weiß jedoch auch, dass die
                                                                                                              Krankenhaus lag und keine Vorerkrankungen hat-         Aufgabe manchmal das Letzte ist, was Patienten
     LIANE ROHAYEM-FISCHER                                                                                    te, erlebt man diese neue Dimension der Pandemie       noch können. Dies habe ich dutzendfach auf Stati-
                                                                                                              ganz neu und sehr direkt.                              on miterlebt – und kaue noch heute daran.
     Wie Sie mir im Vorfeld unseres Gespräches be-       die Dresdner Uniklinik eingeliefert, nachdem mir                                                            Ich war froh, dass wegen des Besuchsverbots
     reits erzählten, waren Sie Anfang des Jahres        in einem lokalen Krankenhaus nicht mehr gehol-       Gab es Hoffnung in dieser Zeit?                        wenigstens per Telefon und Skype der Kontakt
     an Corona erkrankt. Die Erkrankung war so           fen werden konnte.                                   Uwe Fanselow: Die Hoffnung an das Gute und             zu den engsten Angehörigen möglich war – eine
     schwer, dass sie als lebensbedrohlich einge-        Auf der Intensivstation wurde ich sofort beatmet.    Starke in uns Menschen war meine engste inne-          der stärksten Hoffnungsquellen im Genesungs-
     schätzt wurde. Wie geht es Ihnen heute?             Parallel zur Lungenentzündung stellte sich eine      re Begleitung. Ich wurde, wie man in der Sprache       prozess.
     Uwe Fanselow: Rein medizinisch betrachtet war       Blutvergiftung mit einem Organversagen ein, so-      der Ärzte sagte, als committeter Patient behandelt
     ich durch die Infektion mit COVID-19 an einer       dass mein Leben tatsächlich am seidenen Faden        und verband Hoffnung mit jedem noch so kleinen         Sie waren einige Zeit in einer Rehabilitations-
     schweren viralen Lungenentzündung erkrankt,         hing. Nach insgesamt 7-wöchigem Klinik- und          Fortschritt: die ersten Bewegungen der Füße, das       maßnahme. Wie erlebt man sich selbst in dieser
     verbunden mit schwerster Atemnot. Ich wurde mit     Reha-Aufenthalt sowie einigen Wochen der Erho-       längere Sitzen auf der Bettkante und die wiederer-     Zeit?
     einer Blutsauerstoffsättigung von nur noch 50% in   lung zu Hause begann ich langsam, wieder in mein     lernten langsamen Schritte durchs Zimmer … Man         Uwe Fanselow: Anfangs war ich noch sehr ge-
                                                         normales Leben zurückzukehren. So absolvierte        geht in dieser Zeit mit sich und seinem Leben sehr     brechlich und schwach. Die Uniklinik habe ich im
                                                         ich in dieser Zeit meine berufliche Wiedereinglie-   demütig um. Dabei ist Hoffnung ein bejahendes          Rollstuhl verlassen. Die Reha begann für mich in
                                                         derung und verbrachte viel Zeit mit Gymnastik        Gefühl, es unbedingt schaffen zu wollen und der        kleinen Schritten, und das größte Übel waren für
                                                         und Waldläufen, um die stark angegriffene Lunge      unbedingte Wille, es zu können. Wenn ich an die        mich die erneuten Blutentnahmen aus lädierten
                        UWE FANSELOW                     sowie Körper und Geist zu trainieren.                schwere Zeit auf der ITS zurückdenke, dann half mir    Armen. Ich nenne diese Macke liebevoll „meine
                   53, arbeitet als Prokurist            Grundsätzlich fühle ich mich heute wesentlich        die Hoffnung, um trotz Platzangst und Panik unter      Weißkittelphobie“. Einen erneuten Rückschlag
                 in einer Wirtschaftsprüfungs-           besser als noch vor ein paar Wochen. Die Erfah-      der Maske gegen das immer wiederkehrende Fieber        stellte eine Thrombose im Bein dar. Damit ver-
                 gesellschaft. Er wohnt in der
                  Oberlausitz und erkrankte              rung mit COVID-19 lebt in mir weiter.                anzukämpfen.                                           bunden waren wiederkehrende morgendliche
                     Anfang des Jahres an                                                                                                                            und abendliche Spritzen zur Blutverdünnung. Ob-
                           COVID-19.                     Wenn man wie Sie mit schweren Komplikatio-           Sie mussten einige gesundheitliche Rückschläge         wohl diese gar nicht wehtun, fühlt man sich gleich
                                                         nen auf der Intensivstation liegt, was geht ei-      in dieser Zeit verkraften. Wie konnten Sie sich        wieder zurückversetzt in den erlebten Klinikalltag.
                                                         nem durch den Kopf?                                  trotzdem immer wieder aufrichten?
20                                                 HOFFNUNG                                                                                                   HOFFNUNG                                                     21

     Die psychologische Verarbeitung einer schweren
     COVID-19-Erkrankung ist mindestens genauso
     wichtig wie die Wiedererlangung der körperli-
                                                          nur einmal und dann später mehrmals am Tag.
                                                          Mir hat zudem eine erfahrene Physiotherapeutin
                                                          geholfen, die ersten kleinen Trainingserfolge zu
                                                                                                                DIE NÖTIGE PORTION
                                                                                                                           realistischer Idealismus
     chen Fitness. Schließlich geht es während der        Hause zu erzielen. Dafür bin ich sehr dankbar.
     Rehabilitation um das Training der Rückkehr ins
     normale Leben und den beruflichen und persön-        Was wünschen Sie sich heute für sich und Ihre
     lichen Alltag.                                       Familie?
                                                          Uwe Fanselow: Gefühlt und direkt aus dem Bauch
     Wie haben Sie es geschafft, sich ins Leben zu-       heraus wünsche ich mir drei Dinge: Gesundheit,
     rückzukämpfen?                                       Zeit für die Familie und mich selbst sowie Hoff-
     Uwe Fanselow: Ich habe in den vier Monaten mei-      nung auf vollständige Genesung. Diese Dinge mö-
     ner Krankheit viel daran gearbeitet, zu Kräften zu   gen einfach klingen. In der Einfachheit ist jedoch
     kommen. Gesunde und regelmäßige Ernährung,           auch die Hoffnung begründet. Weder Geld noch          Ein sonniger Vormittag im Juni: Die Inzidenzen
     der komplette Verzicht auf Alkohol und sehr viel     Luxus oder Groll auf Unbelehrbare helfen, mit         sinken, die Laune steigt. Eine junge Studentin
     Bewegung waren eine gute Voraussetzung. Wäh-         dem Erlebten abzuschließen. Das Glück lebt in         und ein pensionierter Physiklehrer treffen sich,
     rend der Reha bin ich 240 km um das Klinikgelän-     uns und es wird uns an jedem Morgen erneut ge-        um über Hoffnung zu sprechen.
     de gelaufen, ich habe mir für zu Hause ein Blut-     schenkt. Als Patient habe ich dies unmittelbar und
     druckmessgerät gekauft und einige Medikamente        direkt gespürt. Es gibt kein größeres Glück, als      Wenn Sie Ihre Stimmung in diesem Moment
     haben zusätzlich geholfen, wieder zu normalen        morgens aufzuwachen, sich und seine Umgebung          einschätzen, wie hoffnungsvoll sind Sie?
     Werten zurückzukehren. Mir halfen zudem Gesprä-      zu spüren, damals noch dem Flockenwirbel zuzu-        Charlotte Sprengel (CS): Ich bin momentan sehr
     che mit engen Freunden und Kollegen und natür-       schauen und dann den Tag behütet und in Frieden       hoffnungsvoll. Man merkt, dass nicht mehr der
     lich auch die ganz lang ersehnte Rückkehr nach       zu beginnen. Diese Dankbarkeit möchte ich ger-        ganze Alltag von der Pandemie bestimmt wird.
     Hause. Am Anfang war vieles ungewohnt und vor        ne erhalten. Ich wünsche allen von COVID-19 Be-       Klaus Augustin (KA): Ich bin langfristig optimis-
     allem das Treppensteigen fiel schwer, aber auch      troffenen, sei es als Patient oder als Angehöriger,   tisch, weil die Vergangenheit bewiesen hat, dass
     da habe ich mir kleinere Tagesziele gesetzt, wie     stetige Hoffnung an das Gute im Schlechten, Ge-       solche Pandemien doch ein Ende finden. Optimis-
     zum Beispiel das Schaffen der 13 Stufen zunächst     sundheit, Kraft und Zuversicht für alles Kommen-      mus ist einfach notwendig, um leben zu können.
                                                          de. Und ich wünsche, dass die Menschen wieder
                                                          lernen, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen,     Würden Sie sagen, Optimismus ist eine Strate-
                                                          sich Zeit für sich und ihre Liebsten zu nehmen und    gie, die Sie in der Pandemie genutzt haben?
                                                          das Leben als lebenswert zu begreifen. Die Pande-     KA: Sagen wir besser: Die Hoffnung. Die Hoffnung,                   CHARLOTTE SPRENGEL
                                                          mie hat zu großer Einsamkeit und unglaublichen        dass es einen selbst und die Familie verschont.                           Studentin
                                                          Belastungen vor allem bei Kindern und Betagten        Allerdings ist so eine Hoffnung eben kein Selbst-
                                                          geführt, hat Familien bis aufs Ärgste strapaziert     zweck, sondern Hoffnungen entstehen ja, wenn
                                                          und war für viele auch mit starken wirtschaftli-      man einen Wunsch hat, der sich verwirklichen         Aussagen von Fachleuten orientieren und musst
                                                          chen Einbußen verbunden. Die Hoffnung auf eine        möge – von allein tut er es allerdings nicht. Ich    dein Verhalten entsprechend einstellen. Und du
                                                          Rückkehr zu Gewohntem und bisher Geliebtem            sage immer: Zur Hoffnung gehört die Tat.             musst möglichst rasch die Impfung bekommen.
                                                          möge sich unter den Menschen breitmachen, sie
                                                          ermutigen, neue Kraft und Zuversicht zu schöpfen      Haben Sie im Umgang mit der Pandemie kon-            Frau Sprengel, Ihr Alltag als Studentin hat sich
                                                          – und vielleicht lernen wir auch aus dem letzten      krete Strategien entwickelt, die Sie auch darü-      in den vergangenen Monaten sicher sehr ver-
                                                          Jahr, unsere Zukunft einfach besser als je zuvor zu   ber hinaus nutzen werden?                            ändert. Gibt es etwas, was Sie in dieser Zeit
                                                          gestalten.                                            KA: Man muss die Situation für sich real einschät-   gelernt haben, was Sie auch in Zukunft beibe-
                                                                                                                zen und dann tun, was dem Virus den Eintritt         halten wollen?
                                                                                                                schwermacht. Ich habe mir gesagt: Du musst dis-      CS: Ja. Eine Erkenntnis, die ich vorher – weil ich
                                                                                                                zipliniert sein. Du musst dich an den vernünftigen   sehr privilegiert bin – nie brauchte, war: Manchmal
22                                                  HOFFNUNG                                                                                                    HOFFNUNG                                                       23

                                                           fen? Ich finde, mit einem Lächeln im Gesicht durch    Frau Sprengel, haben Sie Hoffnungen, die Sie          Freiheit und schon wird alles wieder in Anspruch
                                                           die Welt zu gehen ist viel besser für einen persön-   bereuen?                                              genommen.
                                                           lich, als die Mundwinkel hängen zu lassen.            CS: Nein. Natürlich kann man enttäuscht werden.       CS: Ich habe trotzdem die Hoffnung, dass bei vielen
                                                           CS: Ich bin auch der festen Überzeugung, dass         Ich habe einen Großteil meines Lebens bisher an       Menschen meiner Generation etwas angestoßen
                                                           man sich bewusst für Zuversicht, für Optimismus       Bildungseinrichtungen verbracht und oft erlebt,       wurde, auch politisch. Auch diese Hoffnung kann
                                                           entscheiden kann, das habe ich gerade in den letz-    dass das Feedback junger Menschen eingeholt           enttäuscht werden, aber so ein entscheidendes
                                                           ten Monaten gemerkt.                                  wurde und nach außen hin sehr viel Wert darauf-       Erlebnis gab es in meinen 23 Lebensjahren noch
                                                           Eine gewisse Portion realistischer Idealismus ist     gelegt wurde, aber am Ende nichts davon Frucht        nicht. Es war immer alles „gut“ und man musste
                                                           wahnsinnig wertvoll. Man muss sich bewusst sein,      getragen hat. Da gab es viele Situationen, in de-     sich nirgendwo einschränken. Es gab nichts, was
                                                           was theoretisch passieren kann, aber, wenn man        nen meine Hoffnung enttäuscht wurde. Trotzdem         einen so aufgerüttelt hat, wie diese anderthalb
                                                           von vornherein erstmal optimistisch an die Situa-     setze ich meine Hoffnung immer wieder darauf,         Jahre. Deswegen hoffe ich, dass es bei manchen,
                                                           tion herangeht, dann macht das viel mit dem eige-     dass man etwas bewirken kann – nicht nur, wenn        hoffentlich bei vielen, zum Umdenken im eigenen
                                                           nen Unterbewusstsein.                                 man schon in den Entscheidungsstrukturen drin         Handeln kommt; dass viele den eigenen Platz in
                                                           KA: Man motiviert sich.                               ist, sondern auch wenn man jünger ist, wenn man       der Welt und den Einfluss, den sie darauf nehmen
                                                                                                                 eine Frau ist, …                                      können, reflektieren.
                                                           Wenn man hofft, kann man natürlich auch               Gesellschaft wandelt sich, und am Ende wird man
                                                           enttäuscht werden. Haben Sie so eine Enttäu-          vielleicht doch was verändern, auch wenn es nicht     Werden in Sie bestimmte Hoffnungen gesetzt?
                                                           schung schon einmal erlebt, wo Sie vielleicht         gleich offensichtlich ist.                            KA: Ich habe meine Frau gefragt, und die meinte:
                                                           sogar bereut haben, dass Sie gehofft haben?                                                                 „Du bist der Anker der Familie.“ Da gibt es zwei
                                                           KA: Ich habe eine große Enttäuschung erlebt, wo       Gibt es bestimmte Menschen, in die Sie Hoff-          Töchter, da gibt es zwei Schwiegersöhne, da gibt es
                                                           die Hoffnung ad absurdum geführt wurde, das war       nung setzen?                                          zwei Enkel, da gibt es eine Frau. Da setzt man schon
                                                           nach 1989 die Umstellung des Schulsystems. Wir        CS: Mein erster Gedanke dazu war: Man sollte vor      Hoffnungen auf mich, dass alles so funktioniert.
                                                           hatten da an unserer Schule Wünsche: Die Ideo-        allem in sich selbst Hoffnung setzen. Das klingt      CS: Meine Tutorin während des Abiturs sagte zu
                      KLAUS AUGUSTIN                       logie muss raus aus der Schule, die Sprachausbil-     vielleicht erstmal merkwürdig, aber ich glaube,       mir: „Lass es dir nicht nehmen, kritische Fragen zu
                  pensionierter Physiklehrer               dung muss modernisiert werden. Aber die Struk-        solange man keine Hoffnung in sich selbst setzt,      stellen.“ Damals habe ich gespürt, dass sie Hoff-
                                                           tur der DDR-Schule war ja gut durchdacht. Sie war     kann man nichts verändern. Wir haben ja schon         nung in mich gesetzt hat und meinte: Mach so
                                                           nicht so frei wie heute, aber sie war zielstrebig.    festgehalten, dass zur Hoffnung auch Taten gehö-      weiter, wie du das bisher machst, das ist wichtig.
     muss man einfach durchhalten, an das Gute glau-       Wir wollten modernisieren, aber nach unserem          ren, und man kann nicht von anderen erwarten,         Wir sollten die Hoffnung nicht aufzugeben, son-
     ben, eben hoffnungsvoll sein. In der Gemeinschaft     Willen.                                               dass sie für einen tätig werden.                      dern immer weitermachen, auch wenn einem
     und über sich hinauswachsen, um das höhere Ziel,      Mit der Übernahme der Bildungsstrukturen eini-        KA: Im Grunde würde ich in jeden Menschen Hoff-       Steine in den Weg gelegt werden. Kritische Fragen
     dass wir alle gesund werden bzw. wieder ein nor-      ger Altbundesländer sind dann aber leider viele       nung setzen, dass er das Richtige tut. Im konkreten   zu stellen und zu reflektieren, welche Dinge gut
     males Leben führen können, zu erreichen. Und          unserer pädagogischen Erkenntnisse und viele          Fall würde ich doch meine Enkelkinder heranzie-       laufen und was man anders machen muss, dafür
     es ist wichtig, dass man würdigt, was man selbst      Vorstellungen unberücksichtigt geblieben. Die         hen: Ich hoffe, dass sie ihren Weg gehen. Und für     tragen wir als junge Generation auch die Verant-
     schafft – trotz widriger Rahmenbedingungen.           Lehrpläne wurden außer Kraft gesetzt, auch für        uns hoffe ich, dass wir gesund bleiben. Und dass so   wortung.
                                                           die Naturwissenschaften. Das ist für mich bis heu-    eine Situation nicht so bald wieder auftritt.         Gerade bei Diskussionen im Bereich Umwelt- und
     Würden Sie sagen, man kann sich für ein Gefühl        te eine große Enttäuschung.                           CS: Ich setze auch Hoffnung in die Gesellschaft,      Klimaschutz erlebe ich es oft, dass ich als klein und
     von Hoffnung oder Zuversicht bewusst ent-                                                                   dass aus diesem Achtsamkeitszeichen viel ent-         jung und unerfahren abgestempelt werde. Die Dis-
     scheiden?                                             Aber Sie haben weiter gelehrt? Das heißt, Sie         standen ist, viele Resilienzstrategien: Worauf müs-   kussion, weil sie persönliche Änderungen fordert,
     KA: Natürlich ist man mit seinem eigenen Willen       mussten mit dieser Enttäuschung auch umgehen.         sen wir in Zukunft achten in unserem Leben? Was       wird als unangenehm empfunden und man selbst
     nicht in der Lage, biologische oder andere Dinge,     KA: Freilich. Ich bin dann auch zum Schulleiter       müssen wir verändern, weil so etwas sonst immer       steht als Störer da. Man sollte nicht aufhören „zu
     die einen bedrängen, zu lösen. Ich sage immer:        gewählt worden und habe das zehn Jahre lang           wieder passieren wird?                                stören“, wenn man von etwas überzeugt ist, das
     Optimismus und Hoffnung sind ein Medikament.          gemacht. Trotzdem ist es eine Enttäuschung, die       KA: Da bin ich skeptisch. Sobald die Sache erledigt   einem wichtig ist. Und man sollte nicht nur kriti-
     Es kann helfen, es muss nicht helfen. Aber warum      wirkt nach. Wobei ich damit nicht unglücklich bin,    ist, werden wieder alle Annehmlichkeiten genutzt,     sche Fragen an andere stellen, sondern auch sich
     sollte ich sagen: Es wird mir garantiert nicht hel-   weil ich weiß, dass ich das nicht ändern konnte.      die man vor der Pandemie hatte. Ein bisschen          selbst immer wieder hinterfragen.
24                                             HOFFNUNG                                                                                                                                                                            25

                             HOFFNUNGSVOLLES HYBRID FRAUENKIRCHE

                                       VON DER
            Kraft des Ortes
             ZWISCHEN PRÄSENZ UND
               VIRTUELLEM RAUM
                                              MARIA NOTH

                                                                                                            v.l.: Co-founder & COO ada Learning GmbH Léa Steinacker und Miriam Meckel im Gespräch mit Josi Henning.

     Im Juni 2021 fand die Konferenz „Morals &        Am 9. Juni begrüßten wir „Morals & Machines“ in       und als sie bei Nacht von der Kuppel aus über                  unterscheiden ist oder die Fotografie den Ort in
     Machines“, die sozial-ethische Implikationen     der Frauenkirche. Als die Konferenz vor zwei Jah-     Dresden schauten. 2021 konnten wir nur symbo-                  Perfektion gar übersteigt?
     im Zusammenwirken von Mensch und Maschi-         ren zum ersten Mal hier stattfand, war der Raum       lisch einladen, in der Kirche Platz zu nehmen, sich
     ne in den Blick nimmt, zum zweiten Mal in        voller Menschen. Ich erinnere spannende Dialoge       umzuschauen und die Atmosphäre des besonde-                    Diese Frage ist für die Frauenkirche, ein internatio-
     der Frauenkirche Dresden statt. Pandemiebe-      und das ungewöhnliche, aber lebhafte Bild vieler      ren Ortes aufzunehmen.                                         nales Symbol für Frieden und Versöhnung, höchst
     dingt wurde sie als Livestream übertragen. Die   junger Menschen mit ihren Laptops und Mobil-                                                                         relevant. Denn zeitgemäße Fragen zu stellen, ist
     Bildungsinitiative ada lud Menschen unter-       telefonen in den Kirchenbänken. Vor allem aber        Das Thema „Hybride Evolution“ und das dies-                    ein Weg, Versöhnung nicht im Abstrakten zu belas-
     schiedlichster fachlicher und kultureller Hin-   erinnere ich die Begeisterung in den Augen der        jährige Format spiegelten sich gegenseitig. Wir                sen. Vielmehr müssen wir einen Weg finden, mu-
     tergründe ein, sich zum Thema „Hybride           Teilnehmenden beim Betreten des Kirchraumes           sprachen aus der Kirche, von diesem konkreten                  tige, kritische, respektvolle und konstruktive De-
     Evolution“ auszutauschen. Stiftungsgeschäfts-                                                          Ort aus, während die meisten Teilnehmenden vor                 batten zu den Themen unserer Zeit zu führen. Und
     führerin Maria Noth begrüßte die Veranstalten-                                                         ihren Bildschirmen zu Hause saßen. Also trafen                 uns dabei auch selbst zu hinterfragen. „Morals &
     den von ada in der Kirche sowie die Teilneh-                                                           wir uns irgendwo dazwischen, in einer Art „drit-               Machines“ nimmt wesentliche Veränderungspro-
     menden an den Bildschirmen im Rahmen eines                                                             ten Raum“. Aber konnten diejenigen, die online                 zesse in unserer Gesellschaft in den Blick, die für
     Auftaktinterviews, in dem sie die spezifische                                                          teilnahmen, sicher sein, dass wir hier in der Frau-            uns als Kirche ebenso wichtig sind: Ist die Kraft
     Kraft physischer Orte wie der Frauenkirche vor                                                         enkirche standen und nicht vor der Kulisse einiger             von Orten möglicherweise nicht mehr allein im
     dem Hintergrund zunehmend virtueller Reali-                                                            perfekter Fotografien der Kirche sprachen? Dass                Bereich des Haptischen, innerhalb konkret erleb-
     täten beleuchtete. Aus dem Interview entstand                                                          das, was am Bildschirm zu sehen war, der Blick in              barer Wände und Steine angesiedelt?
     der folgende Beitrag.                                                                                  den Altarraum und hoch in die Kuppel zum Bei-
                                                                                                            spiel, in echt existierte und nicht nur ein heraus-            Die Pandemie hat diesbezüglich zwei Dinge zum
                                                                                                            ragendes Simulacrum war? Was macht Orte, was                   Vorschein gebracht, die zunächst widersprüchlich
                                                                                                            macht unsere Kirche besonders? Welchen Einfluss                erscheinen mögen. Zum einen ist die Bedeutung
                                                                                                            haben virtuelle Räume und Prozesse auf die Kraft               der Frauenkirche als konkreter Raum, in dem
                                                      Co-founder & CEO ada Learning GmbH Miriam Meckel im   und Bedeutung solcher Orte wie der Frauenkir-                  Menschen Geborgenheit in der Präsenz Gottes
                                                      Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.           che, wenn das Bild vom Original kaum noch zu                   und anderer Menschen fühlen, wo sie eine tat-
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