In der - HOFFNUNG Zeichen der Hoffnung in einer Welt im Wandel - Frauenkirche Dresden
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in der D EZ 2021 SEP GEISTLICHES LEBEN HOFFNUNG MUSIK Wie Weihnachten Hoffnung Zeichen der Hoffnung in Alles andere ist machen kann einer Welt im Wandel Konservativismus
INHALT 3 GEL EIT M USIK LIEBE GÄSTE UND FREUND*INNEN 47 „Alles andere ist Konservatismus” DER FRAUENKIRCHE, LEITTHEMA – HOF F N U N G 50 Hoffnung in dieser Zeit 5 Zeichen der Hoffnung: 52 Eine Gewissheit, die über das In einer Welt im Wandel 10 Ja, wir haben Hoffnung zeitliche hinausweist 54 Geistliche Sonntagsmusik: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche 14 Was uns hoffen lässt Kirchenmusikalische Kostbarkeiten durch des Frühlings holden, belebenden Blick. 16 Seit 35 Jahren ein offenes Ohr am Sonntagnachmittag 18 Die Hoffnung nicht aufgeben 55 Konzertjahr 2022 Im Tale grünet Hoffnungsglück ... 21 Die nötige Portion realistischer Idealismus E NGAGEMENT 24 Von der Kraft des Ortes: Zwischen 59 Verbundenheit liegt uns am Herzen Nanu, hat der Pfarrer sich in der Jahreszeit und im Unser Taxi schaffte in jener Vorweihnachtszeit in 20 Präsenz und virtuellem Raum 62 An die Unterstützer von morgen denken Fest vertan? Könnte man meinen, ist aber nicht so. Minuten zwei Häuserblocks. „Dieser Weihnachts- 64 Eine neue Partnerschaft in der Bewusst setze ich an den Anfang dieses Magazins verkehr ist eine Katastrophe“, schimpfte Bob. „Er GEIST LIC HES LEB EN Adventszeit den Beginn des berühmten „Osterspaziergang“ nimmt mir das ganz bisschen Weihnachtsstim- 31 Aus Ende und Anfang: aus Goethes Faust. Dieses unvergängliche Gedicht mung, das ich habe.“ – April war philosophischer. die Hoffnung B AUWER K bietet starke Bilder für die Empfindungen, mit „Es ist ganz und gar unglaublich“, sinnierte sie. 34 Der Bäcker und das Marzipan: 67 Zur rechten Zeit denen wir nach eineinhalb Jahren Pandemie auf „Denk doch bloß: Da ist vor zweitausend Jahren Wie Weihnachten Hoffnung 70 Verfugarbeiten an der Frauenkirche Weihnachten 2021 zugehen. Jedenfalls jetzt im irgendwo in der palästinischen Wüste, mehr als machen kann Juli, wo ich dies schreibe, sieht es doch sehr da- achttausend Kilometer von hier, ein Kind zur Welt 36 Gottesdienst zum Taufgedächtnis: KI RCH ENFÜH R UNG nach aus, dass wir von vielen Vereisungen befreit gekommen – und das verursacht ein Verkehrschaos Nun ist es für kurze Zeit wieder 73 Nische der Hoffnung werden, die die Maßnahmen zur Pandemiebe- auf der Fifth Avenue in Manhattan.“ still in der Frauenkirche kämpfung unserem sozialen und auch seelischen 38 Traujubiläum FRI ED ENSB OTSCH A FT Leben not-wendig zugefügt haben. So wie das Eis Ja, das ist wirklich unglaublich. Oder anders ge- 39 Taufen und Trauungen 77 Phoenix: Gedichte des Friedenspoeten unter „des Frühlings holden, belebenden Blick“ sagt: Weihnachten ohne vorlaufenden Stress und Antony Owen aus Coventry taut und zu „Strom und Bächen“ zerfließt, so wird Hektik, das geht gar nicht. Es wäre wie die Kirche FOR U M 78 Erinnern und Versöhnen: 80 Jahre auch unser Leben in diesen Wochen und Monaten ohne Amen oder wie Dresden ohne Frauenkirche. 41 Das Forum Frauenkirche Überfall auf die Sowjetunion immer fluider, dynamischer. Gottseidank. Und: „Im Tale grünet Hoffnungsglück“! Weihnach- 42 Forum Frauenkirche: Verschwörungs- ten ist das Fest der Hoffnung, des neuen Lebens, theorien in der Corona-Krise L E S ER B R IEFE So kann ich mich gut in Goethes österlicher Dich- weshalb das Grün von Adventskranz und Christ- 43 Solidarität unter Spannung – tung wiederentdecken, wenn ich an Weihnach- baum unbedingt zu Weihnachten gehört. Und Europas Originalität im FÖ RDER GESEL LSCH A FT ten 2021 denke. Dass der große unendliche Gott weshalb „Hoffnung“ das überwölbende Thema 21. Jahrhundert? 82 Frauenkirche-Lotterie mit langer ein kleiner endlicher Mensch wurde, hilflos und dieses Magazins ist. 44 Ins innere Haus. Von den Engeln Tradition: Mit Losen Hoffnung spenden brüllend wie jedes Neugeborene: Das ist eine und Mächten unglaubliche, wunderbare Umkehrung aller gän- Eine vom Eise befreite, hoffnungsstarke Zeit 45 Müssen wir die Nation wiederfinden? I M G ED ENKEN A N gigen Werte und bringt die Verhältnisse zum Tan- wünscht Ihnen zen. Das empfinden die Menschen immer noch so, 8 6 KA L END ER Jahr für Jahr. Eine weihnachtliche Geschichte aus Ihr New York endet so: 1 2 2 S ERVICE · KONTA KT · IMPR ESSUM 1 2 3 S ITZ PLA N Frauenkirchenpfarrer Markus Engelhardt
HOFFNUNG 5 Zeichen der Hoffnung IN EINER WELT IM WANDEL HOFFNUNG ALEIDA ASSMANN Es ist nicht leicht, über Hoffnung zu schreiben, Mit dieser Beschreibung der gegenwärtigen Situ- während gerade Hiobsbotschaften das Land er- ation ist ein Rahmen geöffnet, in dem ich meine schüttern. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Überlegungen zum Thema Hoffnung unterbringen das Wort Krise Teil unseres Alltagswortschat- möchte. Ich werde diesen Rahmen zunächst noch zes geworden ist, jetzt aber reden wir von Ka- ein wenig erweitern, um weitere Problem-Kon- tastrophe. Eingestürzte Häuser, über 150 Tote, texte einzubeziehen. Dafür möchte ich zunächst zerstörte Existenzen, verwüstete Landschaf- allgemeiner auf die Verschärfung des Wandels ten. Die Klimaveränderung ist geographisch eingehen und anschließend nach möglichen Sig- nicht mehr auf Distanz zu halten, sie ist buch- nalen der Hoffnung fragen. stäblich in die Wohnzimmer eingedrungen. In Kombination mit der Pandemie, so der Kata- Ich habe in meinem Leben ja schon ziemlich viel strophenforscher Martin Voss, entwickle sich Wandel erlebt. Einen historischen Wandel von eine Krise, die größer sei als alles, was man aus ungekanntem Ausmaß gab es nach dem Zweiten der Vergangenheit kenne. Angesichts dieses Weltkrieg. Ich bin in ein demokratisches Europa Warnschusses steige die Dringlichkeit, andere und eine transatlantische Allianz hineingewach- Weichen zu stellen. Daher enthalte diese Krise sen, dann habe ich 1989 nach dem Sturz der Mau- aber auch das Potenzial, als Gesellschaft eine er und dem Ende des Kalten Krieges erleben dür- grundlegend andere Richtung einzuschlagen. fen, wie tödliche Grenzen plötzlich überschreitbar Angesichts einer Dynamik, die uns zu entglei- wurden und sich der Osten Europas öffnete. Der ten droht, sei die gesellschaftliche Bereitschaft Wandel, den wir jetzt gerade erleben, hat jedoch dafür groß, denn es stelle sich jetzt die ganz eine andere Qualität. 2015 gilt als das emblemati- grundsätzliche Frage: Wie wollen wir leben? sche Jahr dieses Wandels, als eine Million Migran-
6 HOFFNUNG ten an den Grenzen Europas um Aufnahme baten. Zwischen diesen Ereignissen im Juni und No- Diese Bilder haben sich tief eingegraben ins kol- vember wurde im August 2016 das Zeitalter des lektive Gedächtnis, aber die medialen Bilder die- Anthropozän ausgerufen, ein tiefer und irrever- ser Situation werden auch ständig erneuert, denn sibler Einschnitt in der Menschheitsgeschichte. das war kein einmaliges Geschehen, sondern ein Der mit Brexit und Trump bezeichnete Wandel Wandel, der weiterhin anhält. Ein Jahr später, in Gesellschaft und Politik findet damit im Kon- 2016, kam weiterer Wandel dazu. Ich erinnere hier text eines noch viel größeren Wandels statt, in nur an drei Ereignisse dieses Jahres, die unsere dem die Menschheit als ganze betroffen und Welt tiefgreifend veränderten: gefragt ist. Von Carl Schmitt, dem Staatsrechtler Im Juni kam das Brexit-Referendum. Mit dem Aus- in Nazi-Deutschland, stammt der Satz: „Wer tritt Großbritanniens endete die Erfolgsgeschich- Menschheit sagt, will betrügen.” Dieses Wort te der EU. Im Brexit zeigte sich das Erstarken von hielt er für eine sentimentale Floskel, um eigen- neuen Nationalismen und die Rückkehr der Nati- nützige Zwecke zu kaschieren. Inzwischen ist die onalstaaten als Kollektivegoismen, die nicht mehr Menschheit aber eine Überlebens-Notgemein- miteinander kooperieren, sondern gegeneinander schaft geworden, von der zudem abhängt, ob es wetteifern. für gefährdete Arten und nachwachsende Gene- rationen weiterhin eine Zukunft auf diesem Pla- Im November ging – was niemand so erwartet neten geben wird. hatte – Donald Trump aus der US-Wahl als Sieger hervor. Damit begann ein stark personalisierter Wenn wir uns diese Entwicklung einmal klarma- Politikstil, bei dem die sozialen Medien in den chen, wird zunächst eines deutlich: Wandel ist vation und damit natürlich auf Wandel setzte. Vie- Ja, wir leben in turbulenten Zeiten, in denen wir Vordergrund traten und Twitter zum wichtigsten nicht mehr gleich Wandel. Lange Zeit waren die les von diesem Wandel schlägt inzwischen negativ nicht nur von einer Pandemie gebeutelt sind, Mittel der Diplomatie wurde. In Zeiten der allge- Menschen stolz darauf, die Welt zu verwandeln. zu Buche. Unsere Lebens- und Wirtschaftsform, sondern in denen sehr viel unklar geworden und meinen Desorientierung sollte diese persönliche ‚Die Verwandlung der Welt‘ – so heißt ja das be- unser Konsum, unsere Produkte – allen voran das umstritten ist. Der gesellschaftliche Konsens über Bindung an den Präsidenten Sicherheit und Ori- rühmte Buch über die Geschichte der Globalisie- Plastik – waren weder nachhaltig noch umwelt- die kleinste gemeinsame Wirklichkeit schwindet, entierung verleihen, was jedoch mit systemati- rung von Jürgen Osterhammel – begann mit Ent- verträglich. Was für die Globalisierungskrise und die politische Polarisierung nimmt zu, sowie der scher Desinformation und einer globalen Verbrei- deckungen, neuen Reiserouten und weltweiten die Migration gilt, gilt ebenso für die Umweltkri- Verlust von Orientierung durch gezielte Desinfor- tung von fake news einherging. Handelsketten. Ich wuchs in einer Welt der Moder- se: Wir haben es heute mit einem von Menschen mation. Aber „wo Gefahr ist, wächst das Rettende nisierung auf, die unentwegt auf Fortschritt, Inno- forcierten, aber in seinem Ergebnis so nicht beab- auch“ – heißt es bei Hölderlin. Gibt es überhaupt sichtigten Wandel zu tun. Was einst als heroisches noch Grund zur Hoffnung? Und was könnte das Handeln einzelner begann, ist kumulativ zu einem sein? Hier sind drei Gründe, die mich dennoch globalen und menschheitlichen Risiko angewach- hoffnungsvoll stimmen. sen. Erstens: Ich setze auf Fortschritt durch neue Wir haben es heute Seit die Menschen im Zeitalter des Anthropozän angekommen sind, müssen sie nämlich selber rechtliche Rahmenbedingungen Der Ökonom Albert Hirschman hielt Streit und mit einem von Menschen forcierten, darüber entscheiden, ob und wenn ja, wie viel Zukunft es überhaupt noch geben wird. Dafür Diskussion für das Elixier der Demokratie. Das war in den 1980er und 90er Jahren. Damals war er aber in seinem Ergebnis so nicht brauchen wir jetzt einen Wandel, der bei uns selbst anfängt. Unter den Rahmenbedingungen überzeugt, dass aus Streit und Diskussion innova- tive Lösungen hervorgehen, die einen permanen- beabsichtigten Wandel zu tun. des beschleunigten Klimawandels und der engen ten Fortschritt in Gang setzen. Von permanentem Verflechtung von Mensch und Umwelt dürfen wir Fortschritt reden wir schon lange nicht mehr, aber nämlich vor allem eines nicht: so weitermachen auch beim Streit sind wir uns heute nicht mehr wie bisher. Das größte Risiko liegt heute im Unter- so sicher. Streit und Diskussion, zumal wenn sie lassen. immer heftiger, unversöhnlicher und hasserfüll-
8 HOFFNUNG HOFFNUNG 9 ter werden, können nämlich auch dazu führen, Werten befragt, sowie Aktivistinnen und Künst- ‚Dekonstruierens‘ mit ihrem Zerlegen von Tex- dass wir auf der Stelle treten und sich gar nichts lerinnen, die sie als ‚Akteure des Wandels‘ be- ten und Konzepten in nicht mehr brauchbare mehr bewegt. Viele Diskussionen dienen heute zeichnet, weil sie sich für eine nachhaltigere und Einzelteile. Hinter dem Reparieren steht eine der Veränderungsverhinderung. Die Bremse des gerechtere Welt einsetzen und die Tür in Richtung andere Grundhaltung. In einem Vortrag über die Status quo wird dabei immer fester angezogen. auf einen neuen Gesellschaftsvertrag öffnen, der „(Re-)Konstruktion der Welt“ im Februar 2021 Aber, und das ist entscheidend: Es gibt auch den nicht nur auf Leistung und Wettbewerb, sondern ging Mbembe auf die Welt im Wandel ein und bi- plötzlichen Ruck, von dem einst Roman Herzog verstärkt auch auf Empathie und Gemeinsinn lanzierte eine lange Geschichte der Gewalt und sprach. Wir haben ihn 2020 erlebt in der solidari- setzt. Die Soziologin kann zeigen, wie diese Ideen Ungerechtigkeit, die der globale Süden mit dem schen Abstimmung der EU über den Wiederauf- von der nachwachsenden Generation aufgenom- globalen Norden erlebt hat. Als Antwort auf glo- baufonds und wir haben ihn im April 2021 erlebt men, umgesetzt und in eine soziale Bewegung bales Unrecht und die fortschreitende Zerstörung bei der Entscheidung des Verfassungsgerichts, als eingebracht werden. Diese Ideen, so Michèle La- des Planeten bringt er eine neue Ethik des Repa- ALEIDA ASSMANN die Forderung der Generationen-Gerechtigkeit mont, „kommen nicht aus dem Nichts. Sie entste- rierens ins Spiel. Mit Blick auf die zerstörerische ist (em.) Professorin für Literatur- und in die deutsche Rechtsordnung einging. Mit dem hen in der Popkultur, in Interessengruppen und Gewalt, die von der westlichen Zivilisation für alle Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz. Als Gastprofessorin lehrte sie u. a. an Ruck neuer Verordnungen und Gesetze wird eine münden in soziale Bewegungen. Viele an der öf- ausging, die nicht von ihr profitieren konnten, der Princeton University in New Jersey, ermüdende Dauerdiskussion des Pro und Contra fentlichen Kultur Beteiligte machen es sich zu ih- schlägt er vor: „Ich gehe davon aus, dass wir eine der Yale University in New Haven und an der beendet und innerhalb des neuen Rahmens kann rer Aufgabe, diese Ideen bekannt zu machen und gemeinsame Biographie haben, die wir zusam- Universität Wien. Sie publizierte vielfach zur englischen Literatur und zur Archäologie die Gesellschaft dann auf einem neuen Niveau weiterzugeben, die jetzt in die soziale Bewegung men schreiben könnten.“ der literarischen Kommunikation. In ihren handeln. An die große Utopie des Fortschritts einfließen. Ich bin überzeugt, dass wir hier gerade kulturanthropologischen Forschungen prägte glauben wir zwar nicht mehr, aber diese kleinen einen wichtigen Wandel erleben.“ Knapp zwei Monate später trat die afroamerikani- sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Ägyptologen Jan Assmann, den Begriff des Fortschritte zählen umso mehr. sche Dichterin Amanda Gorman in der Inaugura- kulturellen Gedächtnisses. 2018 wurden Aleida Drittens: Reparieren – ein alter Begriff mit tions-Zeremonie des neuen amerikanischen Prä- und Jan Assmann mit dem Friedenspreis des Zweitens: Ich vertraue auf die nachwachsende einer neuen Perspektive sidenten Joe Biden auf. Sie hat zu diesem Anlass Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Generation und deren Gemeinsinn. Mit großem Interesse verfolge ich gerade, wie sich ein eindrucksvolles Gedicht verfasst, in dem zwei Dabei kann ich mich auf die Forschungen der im globalen Diskurs ein neuer Begriff durchsetzt, Zeilen vorkommen, die inzwischen weltberühmt Harvarder Soziologin Michèle Lamont stützen. der auf die zerstörerischen Energien der Kulturen geworden sind. Sie schreibt gerade an einem Buch mit dem Titel: und ihrer Geschichte reagiert und mit der Vision "Being American is more „Zukunft gewinnen. Wie Hoffnung in einer un- einer friedlichen Zukunft verbunden ist. Ich den- einander anzunähern und damit eine wichtige sicheren Welt entsteht”. Ihr Thema ist die Gene- ke zum Beispiel an die Texte des afrikanischen Ursache für die Spaltung der Gesellschaft zu über- than a pride we inherit, ration Z (wie Zukunft!), die wie Greta Thunberg Historikers und Philosophen Achille Mbembe, der winden. zwischen 1995 und 2005 geboren ist. Lamont hat den Begriff ‚Repararieren‘ in seinen Büchern ein- diese Jugend nach ihrem Lebensgefühl und ihren geführt hat. Bisher kannten wir die Operation des Globaler Wandel und planetarische Veränderun- it's the past we step into gen machen gemeinsame Anstrengungen immer dringlicher. Aber gespaltene Gesellschaften und and how we repair it." globale Ungleichheit stehen dem im Wege. Tat- sächlich stellt sich jetzt die ganz grundsätzliche Frage: Wie wollen wir leben? Um nicht zu sagen: Und hier meine Übersetzung: „Amerikanisch zu Wie wollen wir überleben? Dafür ist es wichtig, sein ist mehr als der Stolz, den wir erben. Es ist die andere Perspektiven zu entdecken und auch die Vergangenheit, in die wir einsteigen, und was wir Perspektiven anderer stärker einzubinden. Denn tun mit den Scherben.“ Zukunft haben wir nicht, wir müssen sie schaffen. Wenn wir Kollektivegoismen zurückstellen und Auch sie benützt den Begriff des Reparierens, um mehr Gemeinsames im Verschiedenen entdecken, die unterschiedlichen Geschichtserfahrungen der schaffen wir Zukunft – für den Planeten und für weißen und schwarzen Bevölkerung in den USA nachwachsende Generationen.
10 HOFFNUNG 11 Wir wollen Zu den vielen Projekten, die der Verein stemmt, ge- hören zahlreiche Kurse, eine Kleiderkammer und eine staatlich anerkannte Schwangerschaftsbera- tung. Auch eine interkulturelle Familienwerkstatt gibt es. Familien unterstützen, Anja Arlt und Uta Jarsumbeck vom Kaleb Zwei, die schon viele Jahre für den Verein tätig gut mit ihren Kindern zu leben. Dresden e. V. unterstützen Frauen und sind, sind Anja Arlt und Uta Jarsumbeck. Die bei- junge Familien in schwierigen Lebenslagen den Sozialpädagoginnen sind seit 2003 und 2007 dabei. Sie sind selbst Mütter, wenngleich die eige- Ja, nen Kinder inzwischen aus dem Haus sind. Doch dem Thema Familie fühlen sie sich eng verbunden, so nicht. Deshalb vermitteln wir Ehrenamtliche, kennen und erleben sie ja weiterhin tagtäglich die die Familien durch Kinderbetreuung unterstützen. Herausforderungen, vor denen werdende Eltern Was für eine Entlastung, einmal in der Woche ein und junge Familien stehen. „Wir wollen Familien bis zwei Stunden Zeit für sich zu haben, Termine unterstützen, gut mit ihren Kindern zu leben“, er- wahrzunehmen und die Kinder derweil in Obhut klärt Anja Arlt. „Praktische Unterstützung von An- zu wissen!“ fang an zu leisten und Mut zu machen, war und ist unser Ziel.“ Nachfrage und Feedback zeigen, wie hoffnungs- WIR HABEN Seit drei Jahrzehnten ist in der Dresdner Neustadt der Kaleb Dresden e. V. zu finden. Orientierung und Begleitung stiftend das Projekt ist. Allein schon die Aussicht auf Unterstützung nehme eine große Last. „Die HOFFNUNG Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Die Mehrzahl der Angebote richtet sich an Fami- Familien ringen meist lange, bis sie sich melden. Frauen und junge Familien in schwierigen lien, die sich für ihre Kinder entschieden haben. Dann vereinbaren wir einen Termin, der auch mal Lebenslagen zu unterstützen. Eines ist das Ehrenamtsprojekt „Gemeinsam mit erst in drei Wochen ist. Dennoch hören wir immer Eltern“, das in Belastungssituationen helfen will. wieder, dass es vielen von dem Moment an besser GRIT JANDURA Vertrauend, zuversichtlich, gewiss: So kann man „Viele Familien leben weit weg von den Großel- ging, seitdem sie wussten, Hilfe wird kommen“, be- die biblische Figur Kaleb beschreiben. Sie war na- tern. Die Freunde sind dienstlich eingebunden. richtet Anja Arlt. mensgebend für ein christliches Netzwerk, das in Hier fehlt dann Unterstützung. Das Jugendamt ist den 1970ern in der DDR entstand. Hoffnungsvoll erst bei erzieherischem Notstand zuständig, die Wenn eine Geburt ein Abschied ist und entschlossen sind auch die 16 Mitarbeiterin- Krankenkasse, wenn Mutter oder Vater gesund- Andere Angebote richten sich an Frauen, die Bera- nen des Kaleb Dresden e. V., die gemeinsam mit 90 heitlich angegriffen sind. Hier setzt der Bereich der tung in der Schwangerschaft brauchen oder den Ehrenamtlichen Schwangere, Mütter und Familien frühen Hilfen mit einem präventiven Ansatz an“, Verlust eines Kindes verarbeiten müssen. Denn in all ihrer Vielfalt informieren, beraten und beglei- erklärt Uta Jarsumbeck. Das stärke und entlas- einer Entscheidung pro Leben folgt nicht immer ten. Sie spenden Hoffnung durch ihr Tun. Sie ma- te. Ihre Kollegin bestätigt das. „Ein afrikanisches ein Willkommen. Uta Jarsumbeck begleitet Frau- chen Mut, das Leben mit Kindern anzugehen und Sprichwort sagt: Um ein Kind zu erziehen, braucht en und Männer, die durch Fehl- oder Totgeburt auszukosten. es ein ganzes Dorf. Diesen Rückhalt gibt es bei uns oder auch durch einen späten Schwangerschafts-
12 HOFFNUNG 13 abbruch mit Trauer und Hoffnungslosigkeit kon- durch die Begleitung zumindest gegen eine anony- frontiert sind. Manche Lebenswege, die in den me Geburt, bei der ihre Identität geheim und da- Beratungen und Selbsthilfegruppen zur Sprache mit dem Kind dauerhaft verschlossen bleibt, und kommen, sind auch für die erfahrene Sozialpäd- für eine vertrauliche Geburt entschieden. Dann agogin schwer auszuhalten. Das wiederkehrende werden wenige Angaben hinterlegt, sodass ein Miteinander von Hoffen, Bangen und Enttäu- späterer Kontakt möglich werden kann. Die Ent- schung, wenn eine Schwangerschaft viel zu früh scheidung für das Leben des Kindes wertschätzt endet, wenn Partnerschaften darüber zerbrechen Uta Jarsumbeck sehr. Und sie gibt auch die Hoff- oder die Sorge durch das Erlebte die Freude auf nung nicht auf, dass es sich die Mütter vielleicht das Werdende überlagert, geht Uta Jarsumbeck doch noch anders überlegen; das Kind zu sich ho- nahe. Beeindruckt berichtet sie davon, wie die len. Denn diese Möglichkeit besteht. Was das für Eltern in den Gruppen einander stärken und Kraft die Adoptionsfamilien bedeutet, in die die Kinder geben. Auch, indem sie miteinander lachen. „Das Sprichwort, die Hoffnung stirbt zuletzt, trägt uns vermittelt werden, mag sie nicht auch noch in ihrer Emotionswaagschale haben. Sie versteht sich als Das soziale Umfeld muss wacher, empathischer sein. da schon“, sagt sie. Begleiterin der Mütter. Das Wissen darum, dass die dann enttäuschten Adoptionseltern ebenso unter- Besonders schmal ist der Grat zwischen Hoffnungs- stützt werden, hilft ihr dabei. losigkeit und Hoffnung bei denjenigen Frauen, die sich für das Kind, aber gegen ein Leben mit ihm Die Gesellschaft schaut weg entscheiden. Zwei bis drei Mal im Jahr legt eine Traurig macht sie, dass es in unserer Gesellschaft Mutter ihr Neugeborenes in der Babyklappe des überhaupt möglich ist, unbemerkt schwanger bzw. die der Verein macht. Unnötigerweise müssen Vereins ab. Drei bis vier weitere Mütter gehen den danach ohne Kind zu sein. „Es sind ganz normale sich aber die Hauptamtlichen, die emotional so Weg der anonymen Geburt. Nur selten erhält Uta Frauen, die diesen Weg gehen. Die Stereotype, die sehr gefordert sind, auch immer wieder um die Jarsumbeck die Gelegenheit, die Mütter vorab zu man vielleicht hat, treffen nicht zu. Es ist bitter, Arbeitsfähigkeit des Vereins sorgen. Ein Hoffen Kaleb Dresden e. V. sprechen. Doch die wenigen Begegnungen bleiben dass sie das Gefühl haben, sich keine Unterstüt- und Bangen ist es also auch da. Der Kaleb Dresden Der Verein ist Anlaufstelle für Schwangere in Erinnerung. „Ich erlebe Frauen, die allein sind, zung holen zu können“, so Uta Jarsumbeck. Das e. V. lebt von Fördermitteln, die nur projektbezo- und junge Familien. Das Motto des Vereins ist niemals bei einem Arzt waren. Auch wenn sie nach soziale Umfeld müsse wacher, empathischer sein. gen und auf Antrag fließen. Knapp ist das Geld „Gemeinsam für Familie“. Mit Kursen, sozialer einem Beratungsgespräch Hoffnung aus einem „Diese Frauen haben Nachbarn und Arbeitskolle- immer. „Mit Ideen und viel ehrenamtlichem En- Beratung und weiteren Angeboten möchte er Weg schöpfen, der für die allermeisten undenkbar dazu beitragen, dass Kinder auf dieser Welt ginnen. Und niemand sieht, dass die Frau schwan- gagement haben wir vieles gemeistert“, betont willkommen sind. ist: Für sie ist es die einzige Lösung. Wir lassen sie ger ist? Dass sie nicht mehr schwanger ist und kein Anja Arlt. „Aktuell steht jedoch ein interkulturelles nicht allein. Wir verurteilen nicht, sondern sagen: Kind hat? Es wird von der Gesellschaft einfach Familienprojekt auf der Kippe, das wir über vier Das ist eine verantwortungsvolle Entscheidung, nicht gesehen. Wir fragen uns: Wie kann das sein?“ Jahre hinweg aufgebaut haben. Ohne Förderung Kontakt die diese Frau selbst treffen darf.“ kann es nicht fortgeführt werden. Das wäre traurig, Bautzner Straße 52, 01099 Dresden Auch der Verein braucht Hoffnung denn es wurde wichtige Beziehungsarbeit geleis- Telefon: 0351. 801 44 32 Uta Jarsumbeck möchte Vertrauen stiften. Aus gu- Umso wichtiger sind Anlaufstellen wie das Fin- tet. Doch wir wollen daran glauben, dass es wei- E-Mail: info@kaleb-dresden.de tem Grund: Mehr als einmal hat sich eine Mutter delbaby-Projekt und die zahlreichen Angebote, tergeht.“ Uta Jarsumbeck pflichtet ihr bei. „Ja, wir www.kaleb-dresden.de sind immer voller Hoffnung.“
14 HOFFNUNG 15 WAS UNS hoffen LÄSST UTA ZIMMER Uta Zimmer ist Diplomkunsttherapeutin und ich im Einklang mit all jenen, die Vertrauen in die Felix hatte eine blühende Fantasie. arbeitet auf der Kinderkrebsstation des Unikli- moderne Medizin setzen und voller Hoffnung sind. nikums Dresden. Finanziert wird ihre Arbeit Schwierig wird es, wenn die Erkrankung zurück- Er erfindet Fälix, den schwarzen Drachen und gestaltet mit seiner Kunstthera- vom Sonnenstrahl e. V. Dresden, einem Verein, kehrt, wenn sich Therapieoptionen erschöpfen peutin ein kleines Stofftier. Felix lässt Fälix Dinge tun, die ihm sein Gesundheits- zustand selbst nicht mehr erlaubt. Wenn sein Bruder einmal Kinder hat, soll der sich seit 1990 um krebskranke Kinder und und die Chancen auf Heilung sinken. Dann richtet Fälix an ihrem Bett sitzen. Nicht als Spielzeug, sondern als Beschützer. Felix Jugendliche sowie ihre Familien kümmert. Auf sich die Hoffnung auf eine möglichst lange und weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, doch er will in Erinnerung bleiben. Spendenbasis bietet er den Familien psychoso- gute Zeit des Überlebens – und die Hoffnung auf — FELIX, 11 JAHRE ziale und organisatorische Unterstützung an. ein Wunder. Aber Wunder lassen sich nicht erzwin- gen. Manchmal bleibt nur die Hoffnung auf ein Seit 2001, also nunmehr 20 Jahren, arbeite ich am gutes Ende, auf einen erlösenden, friedvollen Tod. Uniklinikum Dresden als Kunsttherapeutin mit Ich muss an den verstorbenen Felix denken, der krebskranken Kindern und Jugendlichen. Aus mei- fragte: „Wann kann ich endlich gehen?“ Er hatte ner Erfahrung weiß ich, dass es mit der Hoffnung einen Drachen entworfen, ein Stofftier, und wollte nicht so einfach ist. Solange alles dafür spricht, dessen Fertigstellung noch erleben. Ich nähte Tag dass Heilung möglich und wahrscheinlich ist, bin und Nacht in der Hoffnung, um ihm diesen Wunsch der die Klinik nicht nur als einen Ort erleben, an zung im Alltag der Familien ersetzen. Misstrauische zu erfüllen. Gemeinsam brachten wir schließlich dem allein der Erkrankung und der Behandlung Blicke oder gar Ablehnung untergraben Hoffnung die Augen an. Eine Woche später konnte er endlich Aufmerksamkeit zukommen, sondern auch ihren und jegliche Bemühungen. Jeder kann dem et- gehen. In solchen Situationen wird deutlich, dass Nöten, Ängsten und besonders ihren Fähigkeiten. was entgegensetzen und Hoffnung stiften. Die al- die Medizin vieles, aber nicht alles leisten kann. Und davon gibt es eine ganze Menge, welche sie lerwichtigste Quelle der Hoffnung ist für mich die Woraus schöpfen Kinder und Eltern Kraft und Hoff- offen oder verborgen mitbringen: Humor, Neugier, Gewissheit, nicht allein zu sein. Ich denke dabei an nung in jeglicher Situation? Darüber zu sprechen Kreativität, die Fähigkeit, sich zu freuen und sich meine Kolleg*innen, welche die freudvollen und ist nicht leicht, weil Hoffnung etwas ist, was jeder fremden Menschen und Situationen zu öffnen. traurigen Momente unserer Arbeit mit mir teilen, für sich erringen muss und gleichzeitig etwas ist, Auch braucht es Mut, Trauer und Wut zu zeigen an die unzähligen Unterstützer und Fürsprecher wozu es vieler bedarf. und Grenzen zu setzen. Sie in diesen Fähigkeiten für meine und unsere Arbeit, an meine Familie und zu ermutigen und zu stärken, sind wesentliche Freunde. Ihre Gegenwart macht mir Hoffnung. Als Kunsttherapeutin bin ich Teil des psychosozi- Ziele meiner Arbeit, welche damit auch weit über UTA ZIMMER alen Teams, zu dem auch Psychologen, der Sozi- die Erkrankung hinausreichen. Die Medizin kann ist Diplomkunsttherapeutin und aldienst, Musiktherapeutinnen, die Klinikschule vieles bewirken. Psychosoziale Arbeit kann unter- arbeitet auf der Kinderkrebsstation und eine Erzieherin gehören. Wesentlich kann ich stützen, gut durch die schwere Zeit zu kommen. des Uniklinikums Dresden mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass die Kin- Aber wir können keine Akzeptanz und Wertschät-
16 HOFFNUNG HOFFNUNG 17 MICHAEL HEINISCH Leiter der Eine Leitung ist immer 24 Stunden, sieben Tage wurde, ist Einsamkeit – und das betrifft nicht nur TelefonSeelsorge die Woche besetzt. Die Ehrenamtlichen arbeiten ältere Menschen. Außerdem hat die Zahl der An- Dresden rund um die Uhr. Wir bieten seit 2019 auch Chat- rufer mit Psychiatrieerfahrung zugenommen. Ge- seelsorge an. Diesen Bereich würde ich perspek- nerell kann man sagen, dass die Coronasituation tivisch gern ausbauen. In Sachsen gibt es sechs bei vielen dazu geführt hat, sich mit existenziellen Telefonseelsorgestellen. Themen auseinander zu setzen. Probleme, die durch den Alltag erfolgreich verdrängt wurden, Was sind das für Menschen, die sich ehrenamt- kamen wieder hoch. Die teilweise Isolation der SEIT 35 JAHREN EIN lich für die TelefonSeelsorge engagieren? Michael Heinisch: Es sind überwiegend Frauen. Menschen hat natürlich Auswirkungen auf das Seelenleben. Die TelefonSeelsorge ist im Prinzip offenes Ohr Man kann sagen, dass das Verhältnis 60/40 ist – so ein gesellschaftlicher Seismograph. Die Probleme, ungefähr spiegelt es sich übrigens auch bei den die die Gesellschaft bewegen, spiegeln sich bei Anrufen wider. Überwiegend sind es Ruheständler den Anrufen wider. Es geht in den Gesprächen oft aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern. um das Gefühl, sich in einer ausweglosen Situati- on zu befinden. Wie viele Anrufe gehen bei Ihnen ein und gibt es so etwas wie „Stoßzeiten“? Mit welcher Erwartungshaltung rufen Menschen UTA DUTSCHKE Michael Heinisch: In ganz Deutschland werden pro an und was kann TelefonSeelsorge tatsächlich Jahr circa 5 Millionen Anrufversuche registriert. leisten? Die TelefonSeelsorge Dresden ist in einem Mediziner. Man begann 1985 mit der Schulung der Davon schaffen die rund 100 Telefonseelsorgestel- Michael Heinisch: Die Anrufer suchen einfach ein großen Mietshaus in einem belebten Stadtteil Ehrenamtlichen. len in Deutschland ungefähr 700.000 Anrufe an- offenes Ohr und Entlastung. Manche wollen auch Dresdens untergebracht. Auf dem Klingeltab- zunehmen. Die Anrufe häufen sich ab Mittag. Der einen Rat. Ziel ist es aber, eine Reflexionsfläche zu leau deutet nichts darauf hin, dass in diesem Das Telefon war damals nur stundenweise ab 17 Gipfel ist ungefähr in der ersten Nachthälfte. Ab 2 sein und dem Menschen zu ermöglichen, sein Pro- Haus rund um die Uhr Ehrenamtliche ein offe- Uhr besetzt. Die Nachfrage war damals noch nicht Uhr nachts wird es dann wieder ruhiger. Man kann blem selbst zu bewegen. Seelsorge macht sich im- nes Ohr für Menschen mit unterschiedlichsten so hoch wie heute. Ich glaube kaum, dass das sagen, zwischen 15 und 23 Uhr ist die Hauptanruf- mer auf den Weg, eine Aussicht auf Veränderung Nöten und Bedürfnissen haben. Der Standort Grundprinzip der Anonymität damals gewähr- zeit. zu finden. ist anonym. Der Leiter der TelefonSeelsorge, leistet werden konnte. Viele Gespräche wurden Michael Heinisch, war 21 Jahre Abteilungslei- vermutlich von Münztelefonen geführt, da nur Welche Auswirkungen hatte Corona auf die Te- ter bei der Diakonie-Stadtmission Dresden. Seit wenige Haushalte über einen eigenen Telefonan- lefonSeelsorge und auf die Themen der Anrufe? Februar 2016 leitet er die TelefonSeelsorge. schluss verfügten. Man musste davon ausgehen, Michael Heinisch: Man kann klar sagen, dass Co- dass das Ministerium für Staatssicherheit mithört. rona zur Folge hatte, dass das Interesse, sich bei Uta Dutschke: Seit wann gibt es die Telefon- der TelefonSeelsorge zu engagieren, gestiegen ist. Seelsorge in Dresden und wie waren die Start- Wie ist die TelefonSeelsorge heute aufgestellt Wir haben aktuell eine gute Nachfrage. Ich neh- Telefonseelsorge bedingungen? und wie sind die Rahmenbedingungen? me wahr, dass Menschen sich mehr für derartige Michael Heinisch: Die TelefonSeelsorge gibt es seit Michael Heinisch: Aktuell arbeiten in Dresden 80 Hilfsangebote interessieren und diese überhaupt Gespräche mit der TelefonSeelsorge sind über 2. Januar 1986. Dresden war tatsächlich die erste ehrenamtliche und drei hauptamtliche Mitarbei- wahrnehmen. Corona war tatsächlich ein Multip- die bundesweit gültigen Servicenummern: Stadt in der damaligen DDR, die diesen pasto- terinnen und Mitarbeiter. Wir verfügen über zwei likator der Hilfsbereitschaft. (0800) 11 10 11 1 oder (0800) 11 10 22 2 ralpsychologischen Dienst angeboten hat, noch Telefon- bzw. Chat-Räume und zwei Büros für die sowie über die europäische Servicenummer vor Ost-Berlin. Initiiert wurde dieses Projekt von Hauptamtlichen. Das Herzstück ist aber unsere Ein Thema, was bei den Anrufen immer im Fokus 116 123 aus allen deutschen Festnetzen und einem Psychologen, einem Theologen und einem Kaffeeküche. steht, aber in den letzten Monaten noch verstärkt allen Mobilfunknetzen gebührenfrei möglich.
18 HOFFNUNG 19 Uwe Fanselow: Zunächst geht es ums pure Über- Uwe Fanselow: Ich glaubte ganz fest an meine Fa- leben: Die Zeit der Beatmung auf der Intensivsta- milie und an alles, was wir gemeinsam schon ge- tion mit zahlreichen Schläuchen und Sensoren im schafft, erlebt und auch durchlitten haben. Auch Mit kleinen Schritten und am Körper war kräftezehrend. In den ersten Freunde und Kollegen meldeten sich, machten wieder zurück ins Leben 3 Wochen in der Uniklinik verlor ich 12 kg an Ge- mir Mut und entzündeten Kerzen – als Zeichen des wicht und manchmal erlebt man die Atemnot als Glaubens und der Hoffnung, diese schwere Zeit zu bedrohlich. Ich bin sehr froh, dass mir sowohl Ärz- überstehen, und jeder Schritt nach vorn gab mir te, Schwestern und Pfleger als auch Familie und neuen Mut und neue Zuversicht. Freunde per Telefon zur Seite standen und ich die Komplikationen einigermaßen wegstecken konnte. Gab es Momente, in denen Sie die Hoffnung auf- Was erst viel später an Wirkung gewinnt, sind Erin- gegeben hatten? Was hat Ihnen Kraft gegeben? nerungen an durchwachte Nächte aus Angst, nicht Uwe Fanselow: Ich glaube, dass Aufgeben keine DIE HOFFNUNG mehr aufzuwachen, die Rufe sterbender Patienten und der Blick in abgespannte Gesichter des seit gute Idee ist, vor allem wenn man als Patient nicht weiß, wie heftig die Krankheit in einem wirkt. In nicht aufgeben über einem Jahr über dem Limit arbeitenden me- den ganz schweren Stunden, als die Sepsis ge- dizinischen Personals. Meine Familie hat in dieser meinsam mit einem Keim zu Organversagen führ- Zeit mit mir gekämpft, mich jeden Tag aufs Neue te, sagte ich zu den Ärzten und Schwestern, dass bestärkt und ermutigt, den Kampf nie aufzugeben. das nicht sein kann. Dieses Aufbäumen gegen jede Leider haben es viele Patienten in dieser Zeit nicht Art schlechter Gedanken brauchte ich, um immer geschafft. Als Betroffener, der noch nie in einem bei mir zu bleiben. Ich weiß jedoch auch, dass die Krankenhaus lag und keine Vorerkrankungen hat- Aufgabe manchmal das Letzte ist, was Patienten LIANE ROHAYEM-FISCHER te, erlebt man diese neue Dimension der Pandemie noch können. Dies habe ich dutzendfach auf Stati- ganz neu und sehr direkt. on miterlebt – und kaue noch heute daran. Wie Sie mir im Vorfeld unseres Gespräches be- die Dresdner Uniklinik eingeliefert, nachdem mir Ich war froh, dass wegen des Besuchsverbots reits erzählten, waren Sie Anfang des Jahres in einem lokalen Krankenhaus nicht mehr gehol- Gab es Hoffnung in dieser Zeit? wenigstens per Telefon und Skype der Kontakt an Corona erkrankt. Die Erkrankung war so fen werden konnte. Uwe Fanselow: Die Hoffnung an das Gute und zu den engsten Angehörigen möglich war – eine schwer, dass sie als lebensbedrohlich einge- Auf der Intensivstation wurde ich sofort beatmet. Starke in uns Menschen war meine engste inne- der stärksten Hoffnungsquellen im Genesungs- schätzt wurde. Wie geht es Ihnen heute? Parallel zur Lungenentzündung stellte sich eine re Begleitung. Ich wurde, wie man in der Sprache prozess. Uwe Fanselow: Rein medizinisch betrachtet war Blutvergiftung mit einem Organversagen ein, so- der Ärzte sagte, als committeter Patient behandelt ich durch die Infektion mit COVID-19 an einer dass mein Leben tatsächlich am seidenen Faden und verband Hoffnung mit jedem noch so kleinen Sie waren einige Zeit in einer Rehabilitations- schweren viralen Lungenentzündung erkrankt, hing. Nach insgesamt 7-wöchigem Klinik- und Fortschritt: die ersten Bewegungen der Füße, das maßnahme. Wie erlebt man sich selbst in dieser verbunden mit schwerster Atemnot. Ich wurde mit Reha-Aufenthalt sowie einigen Wochen der Erho- längere Sitzen auf der Bettkante und die wiederer- Zeit? einer Blutsauerstoffsättigung von nur noch 50% in lung zu Hause begann ich langsam, wieder in mein lernten langsamen Schritte durchs Zimmer … Man Uwe Fanselow: Anfangs war ich noch sehr ge- normales Leben zurückzukehren. So absolvierte geht in dieser Zeit mit sich und seinem Leben sehr brechlich und schwach. Die Uniklinik habe ich im ich in dieser Zeit meine berufliche Wiedereinglie- demütig um. Dabei ist Hoffnung ein bejahendes Rollstuhl verlassen. Die Reha begann für mich in derung und verbrachte viel Zeit mit Gymnastik Gefühl, es unbedingt schaffen zu wollen und der kleinen Schritten, und das größte Übel waren für und Waldläufen, um die stark angegriffene Lunge unbedingte Wille, es zu können. Wenn ich an die mich die erneuten Blutentnahmen aus lädierten UWE FANSELOW sowie Körper und Geist zu trainieren. schwere Zeit auf der ITS zurückdenke, dann half mir Armen. Ich nenne diese Macke liebevoll „meine 53, arbeitet als Prokurist Grundsätzlich fühle ich mich heute wesentlich die Hoffnung, um trotz Platzangst und Panik unter Weißkittelphobie“. Einen erneuten Rückschlag in einer Wirtschaftsprüfungs- besser als noch vor ein paar Wochen. Die Erfah- der Maske gegen das immer wiederkehrende Fieber stellte eine Thrombose im Bein dar. Damit ver- gesellschaft. Er wohnt in der Oberlausitz und erkrankte rung mit COVID-19 lebt in mir weiter. anzukämpfen. bunden waren wiederkehrende morgendliche Anfang des Jahres an und abendliche Spritzen zur Blutverdünnung. Ob- COVID-19. Wenn man wie Sie mit schweren Komplikatio- Sie mussten einige gesundheitliche Rückschläge wohl diese gar nicht wehtun, fühlt man sich gleich nen auf der Intensivstation liegt, was geht ei- in dieser Zeit verkraften. Wie konnten Sie sich wieder zurückversetzt in den erlebten Klinikalltag. nem durch den Kopf? trotzdem immer wieder aufrichten?
20 HOFFNUNG HOFFNUNG 21 Die psychologische Verarbeitung einer schweren COVID-19-Erkrankung ist mindestens genauso wichtig wie die Wiedererlangung der körperli- nur einmal und dann später mehrmals am Tag. Mir hat zudem eine erfahrene Physiotherapeutin geholfen, die ersten kleinen Trainingserfolge zu DIE NÖTIGE PORTION realistischer Idealismus chen Fitness. Schließlich geht es während der Hause zu erzielen. Dafür bin ich sehr dankbar. Rehabilitation um das Training der Rückkehr ins normale Leben und den beruflichen und persön- Was wünschen Sie sich heute für sich und Ihre lichen Alltag. Familie? Uwe Fanselow: Gefühlt und direkt aus dem Bauch Wie haben Sie es geschafft, sich ins Leben zu- heraus wünsche ich mir drei Dinge: Gesundheit, rückzukämpfen? Zeit für die Familie und mich selbst sowie Hoff- Uwe Fanselow: Ich habe in den vier Monaten mei- nung auf vollständige Genesung. Diese Dinge mö- ner Krankheit viel daran gearbeitet, zu Kräften zu gen einfach klingen. In der Einfachheit ist jedoch kommen. Gesunde und regelmäßige Ernährung, auch die Hoffnung begründet. Weder Geld noch Ein sonniger Vormittag im Juni: Die Inzidenzen der komplette Verzicht auf Alkohol und sehr viel Luxus oder Groll auf Unbelehrbare helfen, mit sinken, die Laune steigt. Eine junge Studentin Bewegung waren eine gute Voraussetzung. Wäh- dem Erlebten abzuschließen. Das Glück lebt in und ein pensionierter Physiklehrer treffen sich, rend der Reha bin ich 240 km um das Klinikgelän- uns und es wird uns an jedem Morgen erneut ge- um über Hoffnung zu sprechen. de gelaufen, ich habe mir für zu Hause ein Blut- schenkt. Als Patient habe ich dies unmittelbar und druckmessgerät gekauft und einige Medikamente direkt gespürt. Es gibt kein größeres Glück, als Wenn Sie Ihre Stimmung in diesem Moment haben zusätzlich geholfen, wieder zu normalen morgens aufzuwachen, sich und seine Umgebung einschätzen, wie hoffnungsvoll sind Sie? Werten zurückzukehren. Mir halfen zudem Gesprä- zu spüren, damals noch dem Flockenwirbel zuzu- Charlotte Sprengel (CS): Ich bin momentan sehr che mit engen Freunden und Kollegen und natür- schauen und dann den Tag behütet und in Frieden hoffnungsvoll. Man merkt, dass nicht mehr der lich auch die ganz lang ersehnte Rückkehr nach zu beginnen. Diese Dankbarkeit möchte ich ger- ganze Alltag von der Pandemie bestimmt wird. Hause. Am Anfang war vieles ungewohnt und vor ne erhalten. Ich wünsche allen von COVID-19 Be- Klaus Augustin (KA): Ich bin langfristig optimis- allem das Treppensteigen fiel schwer, aber auch troffenen, sei es als Patient oder als Angehöriger, tisch, weil die Vergangenheit bewiesen hat, dass da habe ich mir kleinere Tagesziele gesetzt, wie stetige Hoffnung an das Gute im Schlechten, Ge- solche Pandemien doch ein Ende finden. Optimis- zum Beispiel das Schaffen der 13 Stufen zunächst sundheit, Kraft und Zuversicht für alles Kommen- mus ist einfach notwendig, um leben zu können. de. Und ich wünsche, dass die Menschen wieder lernen, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen, Würden Sie sagen, Optimismus ist eine Strate- sich Zeit für sich und ihre Liebsten zu nehmen und gie, die Sie in der Pandemie genutzt haben? das Leben als lebenswert zu begreifen. Die Pande- KA: Sagen wir besser: Die Hoffnung. Die Hoffnung, CHARLOTTE SPRENGEL mie hat zu großer Einsamkeit und unglaublichen dass es einen selbst und die Familie verschont. Studentin Belastungen vor allem bei Kindern und Betagten Allerdings ist so eine Hoffnung eben kein Selbst- geführt, hat Familien bis aufs Ärgste strapaziert zweck, sondern Hoffnungen entstehen ja, wenn und war für viele auch mit starken wirtschaftli- man einen Wunsch hat, der sich verwirklichen Aussagen von Fachleuten orientieren und musst chen Einbußen verbunden. Die Hoffnung auf eine möge – von allein tut er es allerdings nicht. Ich dein Verhalten entsprechend einstellen. Und du Rückkehr zu Gewohntem und bisher Geliebtem sage immer: Zur Hoffnung gehört die Tat. musst möglichst rasch die Impfung bekommen. möge sich unter den Menschen breitmachen, sie ermutigen, neue Kraft und Zuversicht zu schöpfen Haben Sie im Umgang mit der Pandemie kon- Frau Sprengel, Ihr Alltag als Studentin hat sich – und vielleicht lernen wir auch aus dem letzten krete Strategien entwickelt, die Sie auch darü- in den vergangenen Monaten sicher sehr ver- Jahr, unsere Zukunft einfach besser als je zuvor zu ber hinaus nutzen werden? ändert. Gibt es etwas, was Sie in dieser Zeit gestalten. KA: Man muss die Situation für sich real einschät- gelernt haben, was Sie auch in Zukunft beibe- zen und dann tun, was dem Virus den Eintritt halten wollen? schwermacht. Ich habe mir gesagt: Du musst dis- CS: Ja. Eine Erkenntnis, die ich vorher – weil ich zipliniert sein. Du musst dich an den vernünftigen sehr privilegiert bin – nie brauchte, war: Manchmal
22 HOFFNUNG HOFFNUNG 23 fen? Ich finde, mit einem Lächeln im Gesicht durch Frau Sprengel, haben Sie Hoffnungen, die Sie Freiheit und schon wird alles wieder in Anspruch die Welt zu gehen ist viel besser für einen persön- bereuen? genommen. lich, als die Mundwinkel hängen zu lassen. CS: Nein. Natürlich kann man enttäuscht werden. CS: Ich habe trotzdem die Hoffnung, dass bei vielen CS: Ich bin auch der festen Überzeugung, dass Ich habe einen Großteil meines Lebens bisher an Menschen meiner Generation etwas angestoßen man sich bewusst für Zuversicht, für Optimismus Bildungseinrichtungen verbracht und oft erlebt, wurde, auch politisch. Auch diese Hoffnung kann entscheiden kann, das habe ich gerade in den letz- dass das Feedback junger Menschen eingeholt enttäuscht werden, aber so ein entscheidendes ten Monaten gemerkt. wurde und nach außen hin sehr viel Wert darauf- Erlebnis gab es in meinen 23 Lebensjahren noch Eine gewisse Portion realistischer Idealismus ist gelegt wurde, aber am Ende nichts davon Frucht nicht. Es war immer alles „gut“ und man musste wahnsinnig wertvoll. Man muss sich bewusst sein, getragen hat. Da gab es viele Situationen, in de- sich nirgendwo einschränken. Es gab nichts, was was theoretisch passieren kann, aber, wenn man nen meine Hoffnung enttäuscht wurde. Trotzdem einen so aufgerüttelt hat, wie diese anderthalb von vornherein erstmal optimistisch an die Situa- setze ich meine Hoffnung immer wieder darauf, Jahre. Deswegen hoffe ich, dass es bei manchen, tion herangeht, dann macht das viel mit dem eige- dass man etwas bewirken kann – nicht nur, wenn hoffentlich bei vielen, zum Umdenken im eigenen nen Unterbewusstsein. man schon in den Entscheidungsstrukturen drin Handeln kommt; dass viele den eigenen Platz in KA: Man motiviert sich. ist, sondern auch wenn man jünger ist, wenn man der Welt und den Einfluss, den sie darauf nehmen eine Frau ist, … können, reflektieren. Wenn man hofft, kann man natürlich auch Gesellschaft wandelt sich, und am Ende wird man enttäuscht werden. Haben Sie so eine Enttäu- vielleicht doch was verändern, auch wenn es nicht Werden in Sie bestimmte Hoffnungen gesetzt? schung schon einmal erlebt, wo Sie vielleicht gleich offensichtlich ist. KA: Ich habe meine Frau gefragt, und die meinte: sogar bereut haben, dass Sie gehofft haben? „Du bist der Anker der Familie.“ Da gibt es zwei KA: Ich habe eine große Enttäuschung erlebt, wo Gibt es bestimmte Menschen, in die Sie Hoff- Töchter, da gibt es zwei Schwiegersöhne, da gibt es die Hoffnung ad absurdum geführt wurde, das war nung setzen? zwei Enkel, da gibt es eine Frau. Da setzt man schon nach 1989 die Umstellung des Schulsystems. Wir CS: Mein erster Gedanke dazu war: Man sollte vor Hoffnungen auf mich, dass alles so funktioniert. hatten da an unserer Schule Wünsche: Die Ideo- allem in sich selbst Hoffnung setzen. Das klingt CS: Meine Tutorin während des Abiturs sagte zu KLAUS AUGUSTIN logie muss raus aus der Schule, die Sprachausbil- vielleicht erstmal merkwürdig, aber ich glaube, mir: „Lass es dir nicht nehmen, kritische Fragen zu pensionierter Physiklehrer dung muss modernisiert werden. Aber die Struk- solange man keine Hoffnung in sich selbst setzt, stellen.“ Damals habe ich gespürt, dass sie Hoff- tur der DDR-Schule war ja gut durchdacht. Sie war kann man nichts verändern. Wir haben ja schon nung in mich gesetzt hat und meinte: Mach so nicht so frei wie heute, aber sie war zielstrebig. festgehalten, dass zur Hoffnung auch Taten gehö- weiter, wie du das bisher machst, das ist wichtig. muss man einfach durchhalten, an das Gute glau- Wir wollten modernisieren, aber nach unserem ren, und man kann nicht von anderen erwarten, Wir sollten die Hoffnung nicht aufzugeben, son- ben, eben hoffnungsvoll sein. In der Gemeinschaft Willen. dass sie für einen tätig werden. dern immer weitermachen, auch wenn einem und über sich hinauswachsen, um das höhere Ziel, Mit der Übernahme der Bildungsstrukturen eini- KA: Im Grunde würde ich in jeden Menschen Hoff- Steine in den Weg gelegt werden. Kritische Fragen dass wir alle gesund werden bzw. wieder ein nor- ger Altbundesländer sind dann aber leider viele nung setzen, dass er das Richtige tut. Im konkreten zu stellen und zu reflektieren, welche Dinge gut males Leben führen können, zu erreichen. Und unserer pädagogischen Erkenntnisse und viele Fall würde ich doch meine Enkelkinder heranzie- laufen und was man anders machen muss, dafür es ist wichtig, dass man würdigt, was man selbst Vorstellungen unberücksichtigt geblieben. Die hen: Ich hoffe, dass sie ihren Weg gehen. Und für tragen wir als junge Generation auch die Verant- schafft – trotz widriger Rahmenbedingungen. Lehrpläne wurden außer Kraft gesetzt, auch für uns hoffe ich, dass wir gesund bleiben. Und dass so wortung. die Naturwissenschaften. Das ist für mich bis heu- eine Situation nicht so bald wieder auftritt. Gerade bei Diskussionen im Bereich Umwelt- und Würden Sie sagen, man kann sich für ein Gefühl te eine große Enttäuschung. CS: Ich setze auch Hoffnung in die Gesellschaft, Klimaschutz erlebe ich es oft, dass ich als klein und von Hoffnung oder Zuversicht bewusst ent- dass aus diesem Achtsamkeitszeichen viel ent- jung und unerfahren abgestempelt werde. Die Dis- scheiden? Aber Sie haben weiter gelehrt? Das heißt, Sie standen ist, viele Resilienzstrategien: Worauf müs- kussion, weil sie persönliche Änderungen fordert, KA: Natürlich ist man mit seinem eigenen Willen mussten mit dieser Enttäuschung auch umgehen. sen wir in Zukunft achten in unserem Leben? Was wird als unangenehm empfunden und man selbst nicht in der Lage, biologische oder andere Dinge, KA: Freilich. Ich bin dann auch zum Schulleiter müssen wir verändern, weil so etwas sonst immer steht als Störer da. Man sollte nicht aufhören „zu die einen bedrängen, zu lösen. Ich sage immer: gewählt worden und habe das zehn Jahre lang wieder passieren wird? stören“, wenn man von etwas überzeugt ist, das Optimismus und Hoffnung sind ein Medikament. gemacht. Trotzdem ist es eine Enttäuschung, die KA: Da bin ich skeptisch. Sobald die Sache erledigt einem wichtig ist. Und man sollte nicht nur kriti- Es kann helfen, es muss nicht helfen. Aber warum wirkt nach. Wobei ich damit nicht unglücklich bin, ist, werden wieder alle Annehmlichkeiten genutzt, sche Fragen an andere stellen, sondern auch sich sollte ich sagen: Es wird mir garantiert nicht hel- weil ich weiß, dass ich das nicht ändern konnte. die man vor der Pandemie hatte. Ein bisschen selbst immer wieder hinterfragen.
24 HOFFNUNG 25 HOFFNUNGSVOLLES HYBRID FRAUENKIRCHE VON DER Kraft des Ortes ZWISCHEN PRÄSENZ UND VIRTUELLEM RAUM MARIA NOTH v.l.: Co-founder & COO ada Learning GmbH Léa Steinacker und Miriam Meckel im Gespräch mit Josi Henning. Im Juni 2021 fand die Konferenz „Morals & Am 9. Juni begrüßten wir „Morals & Machines“ in und als sie bei Nacht von der Kuppel aus über unterscheiden ist oder die Fotografie den Ort in Machines“, die sozial-ethische Implikationen der Frauenkirche. Als die Konferenz vor zwei Jah- Dresden schauten. 2021 konnten wir nur symbo- Perfektion gar übersteigt? im Zusammenwirken von Mensch und Maschi- ren zum ersten Mal hier stattfand, war der Raum lisch einladen, in der Kirche Platz zu nehmen, sich ne in den Blick nimmt, zum zweiten Mal in voller Menschen. Ich erinnere spannende Dialoge umzuschauen und die Atmosphäre des besonde- Diese Frage ist für die Frauenkirche, ein internatio- der Frauenkirche Dresden statt. Pandemiebe- und das ungewöhnliche, aber lebhafte Bild vieler ren Ortes aufzunehmen. nales Symbol für Frieden und Versöhnung, höchst dingt wurde sie als Livestream übertragen. Die junger Menschen mit ihren Laptops und Mobil- relevant. Denn zeitgemäße Fragen zu stellen, ist Bildungsinitiative ada lud Menschen unter- telefonen in den Kirchenbänken. Vor allem aber Das Thema „Hybride Evolution“ und das dies- ein Weg, Versöhnung nicht im Abstrakten zu belas- schiedlichster fachlicher und kultureller Hin- erinnere ich die Begeisterung in den Augen der jährige Format spiegelten sich gegenseitig. Wir sen. Vielmehr müssen wir einen Weg finden, mu- tergründe ein, sich zum Thema „Hybride Teilnehmenden beim Betreten des Kirchraumes sprachen aus der Kirche, von diesem konkreten tige, kritische, respektvolle und konstruktive De- Evolution“ auszutauschen. Stiftungsgeschäfts- Ort aus, während die meisten Teilnehmenden vor batten zu den Themen unserer Zeit zu führen. Und führerin Maria Noth begrüßte die Veranstalten- ihren Bildschirmen zu Hause saßen. Also trafen uns dabei auch selbst zu hinterfragen. „Morals & den von ada in der Kirche sowie die Teilneh- wir uns irgendwo dazwischen, in einer Art „drit- Machines“ nimmt wesentliche Veränderungspro- menden an den Bildschirmen im Rahmen eines ten Raum“. Aber konnten diejenigen, die online zesse in unserer Gesellschaft in den Blick, die für Auftaktinterviews, in dem sie die spezifische teilnahmen, sicher sein, dass wir hier in der Frau- uns als Kirche ebenso wichtig sind: Ist die Kraft Kraft physischer Orte wie der Frauenkirche vor enkirche standen und nicht vor der Kulisse einiger von Orten möglicherweise nicht mehr allein im dem Hintergrund zunehmend virtueller Reali- perfekter Fotografien der Kirche sprachen? Dass Bereich des Haptischen, innerhalb konkret erleb- täten beleuchtete. Aus dem Interview entstand das, was am Bildschirm zu sehen war, der Blick in barer Wände und Steine angesiedelt? der folgende Beitrag. den Altarraum und hoch in die Kuppel zum Bei- spiel, in echt existierte und nicht nur ein heraus- Die Pandemie hat diesbezüglich zwei Dinge zum ragendes Simulacrum war? Was macht Orte, was Vorschein gebracht, die zunächst widersprüchlich macht unsere Kirche besonders? Welchen Einfluss erscheinen mögen. Zum einen ist die Bedeutung haben virtuelle Räume und Prozesse auf die Kraft der Frauenkirche als konkreter Raum, in dem Co-founder & CEO ada Learning GmbH Miriam Meckel im und Bedeutung solcher Orte wie der Frauenkir- Menschen Geborgenheit in der Präsenz Gottes Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. che, wenn das Bild vom Original kaum noch zu und anderer Menschen fühlen, wo sie eine tat-
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