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Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 Eintauchen in andere Welten Gymivorbereitungskurse Zwei Schulen und ihre Angebote ABU Diskussion um die Allgemeinbildung in der Berufsbildung Aussensicht Der Austausch Holland–Schweiz wirkt nach
Inhalt 20 Gymivorbereitungskurse: Verschie- dene Angebote mit gleichem Ziel. 32 Automobil-Assistentin: Diese Berufslehre eröffnet viele Wege. 38 Ausgezeichnet: Die Vertiefungs arbeit der Kindergärtnerin. Editorial von Katrin Hafner Kommentar von Bildungsdirektorin Regine Aeppli 5 Wenn er etwas bereue, sagte mein Vater einst, Magazin dann dies: dass er nie eine längere Auszeit ge- Im Lehrerzimmer: Kantonsschule Hottingen 6 nommen und in eine fremde Welt eingetaucht Christa Rigozzi unter der Lupe 7 sei – zum Beispiel in ein unbekanntes Land. Was nach dem Austausch Holland–Schweiz bleibt 8 Eltern und ihre gut gemeinten Tipps, dachte Fokus: Eintauchen in andere Welten 10 ich zuerst. Um kurz darauf doch einen sechs- monatigen Paris-Aufenthalt zu organisieren. Volksschule Ich liess mich treiben, studierte, blickte in den Zwei Schulen, die verschieden auf das Gymi vorbereiten 20 Alltag französischer Journalisten und fühlte Stafette: In der Primarschule Dielsdorf ist Musik zentral 22 mich privilegiert. Die Auszeit eröffnete mir Kurzmeldungen 25 neue Wege und veränderte mich. Ich möchte Mittelschule sie nicht missen. Debatte über Maturaquote an der Tagung HSGYM 26 Ob während der Ausbildung oder im Beruf, Schulgeschichte(n): Die älteste Landmittelschule 28 ob man es Auszeit nennt, Sabbatical oder In- Kurzmeldungen 31 tensivweiterbildung, ob man weit reist oder in Berufsbildung der Nähe bleibt, ob man das temporäre Time- Berufslehre heute: Automobil-Assistentin EBA 32 out mit Arbeit, Studium, sozialem Engagement LKB-Vollversammlung diskutiert über Führungsstile 35 oder einer komplett anderen Tätigkeit ver- Warum der Allgemeinbildende Unterricht zu reden gibt 36 bringt – egal. So oder so erweitert ein Ausbre- Kurzmeldungen 37 chen aus der Routine den persönlichen Hori- Porträt zont und motiviert neu. Ausgezeichnete Vertiefungsarbeit über Berufsideal und -realität 38 Dies beschreiben die drei Lehrer und Service die Lehrerin, die das Angebot einer Intensiv- Schule und Kultur 40 weiterbildung genutzt haben, in diesem Hinweise auf Veranstaltungen 42 Schulblatt sehr anschaulich. Die Zürcher Lehr Weiterbildung 45 personen können sich nämlich nach einer Amtliches 55 bestimmten Anzahl Dienstjahre abseits des Schulalltags bereichern und inspirieren Impressum und wichtige Adressen 63 lassen. Auftanken. Das ist längst nicht in allen Berufen so – obwohl es sinnvoll und vorbild- Titel: Reto Schlatter (Foto) / büro z (Illustration) lich wäre. ! Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 3
Kommentar Lehrplan 21 – eine geeignete Vorlage Der Bildungsrat begrüsst den Lehrplan 21 der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren. In einigen Fachbereichen soll aber die Anzahl der Mindest anforderungen verringert oder die Anspruchshöhe gesenkt werden. Von Regine Aeppli, Bildungsdirektorin Ebenso klar gilt es aber festzustellen, dass es im Lehr- Foto: Béatrice Devènes plan noch Potenzial für Verbesserungen gibt. In den Fach- bereichen Räume, Zeiten und Gesellschaften (Geografie und Geschichte), Musik und bildnerisches Gestalten zum Beispiel erachtet der Bildungsrat eine Senkung der Mindest ansprüche als sinnvoll. Keine Änderungen sollen hingegen an den Mindestansprüchen in den Fachbereichen Schul- sprache, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissen- schaften vorgenommen werden. Über ihre Erreichung wird das nationale Bildungsmonitoring ab 2018 Auskunft geben. Sollte es gestützt darauf Anpassungsbedarf geben, wird dann der richtige Zeitpunkt sein. Wichtig ist dem Bildungsrat auch der Hinweis, dass der Lehrplan 21 langfristig und leistungsorientiert angelegt ist. Der kompetenzorientierte Unterricht muss eingeübt wer- den, bis zuverlässige Aussagen über das Niveau der An- Im Sommer 2013 hat die Deutschschweizer Erziehungs sprüche gemacht werden können. Auch die Lehrmittel und direktoren-Konferenz (D-EDK) den Kantonen den Lehr- die Aus- und Weiterbildung werden weiterentwickelt. Der plan 21 zur Stellungnahme vorgelegt. Im Kanton Zürich kontinuierliche Kompetenzaufbau vom Kindergarten bis waren neben den Verbänden und Institutionen des Schul- zur 9. Klasse braucht Zeit zur Umsetzung. Zeit wird es auch feldes auch die politischen Parteien, Elternorganisationen, brauchen, um zu erkennen, welche Auswirkungen die Kom- die Organisationen der Arbeitswelt, Gymnasien und Berufs- petenzorientierung haben wird. Das Ziel ist es, von allen fachschulen eingeladen, sich dazu zu äussern. Der Lehr- Mädchen und Buben das Bestmögliche zu verlangen und plan 21 ist in der Konsultation grundsätzlich positiv aufge- die Kinder dabei zu unterstützen. nommen worden. Begrüsst wurden vor allem die Struktur Wie geht es nun weiter? Die Ergebnisse der kantona- mit den Fachbereichen, die unterschiedlichen Kompetenz- len Konsultationen werden in den kommenden Monaten stufen und die Kompetenzorientierung. Es gab aber auch eingearbeitet werden, sodass die D-EDK bis im Herbst 2014 Kritik an der Vorlage: Der Lehrplan sei zu umfangreich und den Lehrplan 21 zur Einführung in den Kantonen verab- die Mindestansprüche seien teilweise zu hoch oder der Um- schieden kann. Bevor es im Kanton Zürich zur Einführung gang mit Heterogenität sei zu wenig berücksichtigt worden, kommt, wird nochmals eine Vernehmlassung im Schulfeld hiess es unter anderem. durchgeführt. Dazu werden auch die Lektionentafel und Der Bildungsrat hat die Ergebnisse der Konsultation die kantonalen Anpassungen gehören. Die Einführung des nun zusammengetragen, bewertet und seine Stellungnahme neuen Lehrplans im Kanton Zürich erfolgt frühestens ab zuhanden der D-EDK verabschiedet. Der Bildungsrat er- Schuljahr 2017/18. achtet den Lehrplan als geeignete Vorlage zur Einführung. Die Konsultation der letzten Monate hat gezeigt, dass Der Lehrplan 21 erfindet das Rad nicht neu. Er berücksich- es wichtig ist, den Lehrplan breit zu diskutieren und die tigt zum einen die Unterschiede unter den Kantonen und Beteiligten miteinzubeziehen. Wir wollen deshalb auch die schafft einen Kompromiss. Zum anderen ist er nach den Einführung des neuen Lehrplans gemeinsam mit dem neueren Erkenntnissen der Pädagogik und Didaktik aus Schulfeld angehen und sinnvolle Aus- und Weiterbildungen gerichtet. Und: Der Lehrplan ist klar und verständlich in der erarbeiten, welche die Lehrpersonen und die Schulleitun- Aussage sowie der Erwartung an die Schule beziehungsweise gen in diesem Prozess unterstützen. ! das Wissen und Können der Schülerinnen und Schüler. Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 5
Magazin Im Lehrerzimmer der Mittelschule Hottingen hängt ein totes Pferd an der Wand. Fotos: Marion Nitsch Depressiv: findet Rektor Peter Stalder das Bild im Lehrer- Neben dem Lehrerzimmer befinden sich Arbeitsplätze der zimmer mit dem toten Pferd. Und lacht. Selber schuld: sei vollzeitangestellten Lehrpersonen mit je e igenem Schreib- er nämlich, er habe die Kunst in der kantonalen Sammlung tisch und Computer. Überbleibsel aus der Vor-Handy-Zeit: ist ausgewählt und zu spät gemerkt, wie «furchtbar» sie wirke. das Tischlein mit Telefon und Telefonbüchern darunter. Der Die Schulärztin: wird das Problem lösen, sie gestaltet ein Rektor wünscht sich: eine Mensa, weil die für das Zusam- Bild fürs Lehrerzimmer. Spezialität: In dieser Schule sind mengehörigkeitsgefühl zentral sei. Vor dem Lehrerzimmer: Wirtschaftsgymnasium, Handelsmittelschule (HMS) und kaufen in der Pause einige der 740 Schülerinnen und Schü- Informatikmittelschule (IMS) unter einem Dach. Kein Gra- ler am mobilen Kiosk ein. Alles andere als depressiv: ist die ben: geht deswegen durch das Team, viele der 110 Lehrper- Stimmung im Lehrerzimmer. Es wird geredet, Geburtstags- sonen unterrichten an mehreren Schultypen. Individuell: kuchen gegessen und gelacht. [kat] 6 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Magazin Unter der Lupe Fünf Fragen an Das Zitat «Schulen Ex-Miss-Schweiz und Entertainerin sind kein käufliches Christa Rigozzi Dienstleistungs angebot, sondern Wenn Sie an Ihre Schulzeit denken, was kommt Ihnen die professionell als Erstes in den Sinn? Dass es eine schöne Zeit war! Ich ging in Monte Carasso, im Tessin, geführten Lernwerk- zur Schule und habe da viel und eine stätten unserer Menge Spass erlebt. Es sind sehr schöne Freundschaften entstanden, die zum Gesellschaft.» Teil bis heute weiterleben. Ich mochte Jürg Brühlmann, Leiter der Päda gogischen Arbeitsstelle des fast alle Lehrer und habe die Schulzeit Dachverbands Schweizer Lehre sehr positiv erlebt. Zum ersten Mal rinnen und Lehrer LCH, musste ich da Eigenverantwortung in der «NZZ am Sonntag» übernehmen: Hausaufgaben machen, pünktlich sein – aber auch Verant wortung gegenüber Kollegen überneh men. Das machte mich auch stolz. Wel- cher Lehrperson geben Sie rückblickend die Note 6 und warum? Sicher meinem ersten Lehrer überhaupt, den ich von der ersten bis in die vierte Klasse hatte. Er war sehr streng, aber er überraschte uns immer wieder mit Humor oder schönen Erlebnissen wie einem Ausflug oder einer interessanten Diskussions runde. Noch heute habe ich Kontakt per Facebook mit ihm, und wenn ich in Luzern bin, wo er heute lebt, treffen wir uns ab und zu. Ich habe viel gelernt von ihm – vor allem den Respekt gegenüber anderen Menschen. Und sehr schnell zu rechnen. Dank ihm habe ich die Schule geliebt und nach der obligatorischen Schulzeit Lust auf mehr gehabt und schliesslich Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert. Inwiefern hat die Schule Ihnen geholfen, Miss Schweiz und danach eine landesweit bekannte Entertaine- rin zu werden? Disziplin, Organisation, sich auf etwas vorzubereiten – all das habe ich in der Schule gelernt, in jungen Jahren, und das hat mir im späteren Leben sehr geholfen. Was ist das Wichtigste, was Kinder heute Die Zahl in der Schule lernen sollen und warum? Respekt gegenüber anderen Men In der öffentlichen Volksschule des schen, Disziplin, verantwortungsvolles Handeln, Pünktlichkeit und die Fä Kantons Zürich gibt es 494 Schulen. higkeit, sich zu organisieren. Ganz zentral ist: wenn etwas schlecht geht – Die kleinste Schule – sie befindet sich man zum Beispiel schlechte Noten erhält –, nicht aufzugeben, sondern in Adlikon – besteht aus einer ein dazuzulernen und sich zu verbessern. Und nicht zuletzt: Die Schule sollte zigen Klasse; in der grössten Schule den Kindern Allgemeinwissen vermitteln, damit sie überhaupt entdecken verteilen sich die Schülerinnen und können, was sie als erwachsene Person machen möchten. Warum wären Sie Schüler auf insgesamt 43 Klassen. eine gute Lehrerin – oder eben nicht? Ehrlich gesagt: Ich weiss nicht, ob Mehr als die Hälfte der Schulen füh ich eine gute Lehrerin wäre. Ich versuche, stets ein Vorbild zu sein und ren 10 bis 19 Klassen. Das Schulange immer wieder Neues zu lernen. Und ich zeige mich gerne bereit, etwas zu bot ist vielfältig: 325 Schulen führen erklären oder etwas von mir zu geben, wenn das gewünscht ist. Kindergarten und Primarstufe zu [Aufgezeichnet von Katrin Hafner / Foto: Ellin Anderegg] sammen. Die Sekundarstufe wird in 5 Schulen zusammen mit der Kinder gartenstufe angeboten, in 3 Schulen mit der Primarstufe. In 30 Schulen werden alle Volksschulstufen unter Zur Person Christa Rigozzi (30) ist Entertainerin und TV-Moderatorin, Gesicht einem Dach vereint. 114 Schulen diverser Werbekampagnen und Ex-Miss-Schweiz. Sie hat Medien- und Kom- bilden einzig Sekundarschülerinnen munikationswissenschaft an der Universität Fribourg studiert und als Neben- und -schüler aus. 13 Schulen bieten fach Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern. Die gebürtige Tessi- nerin spricht fünf Sprachen und lebt in Monte Carasso. Im Dezember 2013 ausschliesslich die Primarstufe an, moderierte sie im Stade de Suisse in Bern die Verleihung des Schweizer Schul- 4 Schulen ausschliesslich die Kinder preises (vgl. Seite 25). gartenstufe. [ana] Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 7
Magazin Austausch Holland– Schweiz Vor über einem Jahr haben Lehrperso- nen aus Zürich und Um- gebung in Amsterdam Volks- und Berufsfach- schulen besucht; zuvor waren die Austausch kollegen bei ihnen zu Besuch. Was haben die Teilnehmenden von diesem Schultausch übernommen? Thomas Röthlisberger, Sekundarlehrer, Zürich Aufgezeichnet von: Katrin Hafner Fotos: Dieter Seeger «Von unserem Aufenthalt in Holland ist mir die Ijburg- Schule in einem Amsterdamer Vorort besonders positiv in Erinnerung geblieben. Sie ist sehr modern, die Lehrer unterrichten mit elektronischen Medien, gehen viel mit ihren Klassen raus aus dem Schulzimmer, und sie arbeiten stark themenorientiert. Zum Thema Demokratie zum Bei- spiel entwarfen die Schülerinnen und Schüler im Zeich- nen Parteilogos und im Deutsch verfassten sie Reden. Blick von aussen Mit dieser Schule habe ich ein Austauschprojekt für die Im Rahmen der Weiterbildung «CAS Schulentwicklung Schülerinnen und Schüler unserer Sek aufgegleist. Ich wer- International» fand 2012 ein Schulaustausch statt, bei de im Mai mit einer Kollegin und ihrer dritten Sekundar dem Lehrpersonen aus drei Nationen Einblick in den klasse fünf Tage bei einer Partnerklasse in Amsterdam Schulalltag in einem jeweils anderen Land erhielten. verbringen – Abschiedslager mal anders. Der Gegenbesuch Diskutiert wurden globale Trends in der Bildung und klappt diesmal aus zeitlichen Gründen leider nicht. Das daraus resultierende Auswirkungen auf die Arbeit an Konzept für diese Reise habe ich sorgfältig vorbereitet und Schulen. Durchgeführt wurde die Weiterbildung von bei der Schulleitung wie auch der Schulpflege eingereicht. der Pädagogischen Hochschule (PH) Zürich, der Hoch- Es ist gleichzeitig die Abschlussarbeit meiner Weiterbildung. schule Amsterdam und dem Schulamt des Fürstentums Schön wäre, wenn sich ein regelmässiger Austausch etablie- Liechtenstein. In einem ersten Schritt besuchten nieder- ren liesse, bei dem zum Beispiel alle drei Jahre eine Klasse ländische Lehrpersonen Schulen in der Schweiz und eine Woche in Amsterdam verbringen und die Partnerklasse in Liechtenstein (vgl. Schulblatt 3/12), im Herbst 2012 zu uns nach Volketswil kommen würde. Das wäre ein echter reiste eine Gruppe von Lehrpersonen aus der Schweiz Gewinn für unsere Schule – und meine Weiterbildung hätte und Liechtenstein nach Holland (vgl. Schulblatt 1/13). einen nachhaltigen, konkreten Nutzen gebracht. Ziel war es, Anregungen von ausländischen Kolleginnen Seit der Weiterbildung ‹CAS Schulentwicklung Inter und Kollegen für die eigene Schule zu nutzen. Ende national› bin ich noch überzeugter davon, dass es wertvoll Januar 2014 startet der Lehrgang «CAS Schulentwick- ist, gelegentlich aus dem Alltag in eine fremde Welt abzu- lung International. Projekt- und Schulentwicklung erfolg- tauchen, eine andere Perspektive auf das eigene Tun ein reich gestalten» erneut. zunehmen. Der Austausch hat mich echt geprägt. Ich habe seither mehr Lust, mir Gedanken zu machen über Fragen ∑www.phzh.ch/cas > zu den CAS-Lehrgängen. des Unterrichtens und über die Schule der Zukunft. Und Bei Fragen: CAS-Leitung, frank.brueckel@phzh.ch das stärkt die Freude am Beruf!» 8 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Magazin Jeantine Geleijnse, Primarlehrerin, Amsterdam Reto Wegmüller, Schulleiter Berufsfachschule, Zug «Nie vergesse ich, wie ruhig die Kindergarten- und Primar- «Mir hat die Weiterbildung ‹CAS Schulentwicklung Inter schulkinder in Zürich waren. Seit dieser Erfahrung erkläre national› eine neue Welt eröffnet. Die Erfahrungen, die ich ich in Amsterdam öfter, warum es wichtig ist, sich an die in Amsterdam sammelte, haben mein Interesse geweckt an Regeln zu halten – zum Beispiel still zu arbeiten und nie- internationalen Entwicklungen – insbesondere im Bereich mandem ins Wort zu fallen. Ich nahm früher mal an einem Berufsbildung. Ich verfolge seither aktiv, was im Ausland Schulaustauschprogramm mit Äthiopien teil, auch das ins- läuft, zum Beispiel anhand von OECD-Publikationen. pirierte mich, allerdings eher persönlich als professionell, Der Austausch mit den holländischen Lehrpersonen weil die Kultur und die Bedingungen einfach nicht ver- war für mich sowohl beruflich wie auch privat bereichernd. gleichbar sind mit unseren. Holland und die Schweiz unter- Es geht nicht um copy and paste, dafür sind die Gegeben- scheiden sich dagegen weniger; die gewonnenen Erfahrun- heiten zu verschieden. Aber konkret hat mich zum Beispiel gen kann man besser im eigenen Schulalltag anwenden. das offene Verhältnis zwischen Lehrperson, Schülerinnen Beispielsweise die Art, wie die Kinder in Zürich integrativ und Schülern im Amsterdam bestärkt in meiner Ansicht, geschult werden. Das war für mich die kostbarste Einsicht: dass Lernen ein aktiver und sozialer Prozess ist. Noch mehr Wie gut es gelingen kann, fremdsprachige Kinder nicht als vorher achte ich nun darauf, dass wir die Lernenden be ausserhalb, sondern in der Klasse zu unterstützen. Gerne gleiten und eine tragfähige Beziehung zu ihnen aufbauen. würde ich dies an unseren Schulen vermehrt sehen, aber Es ist mir ausserdem noch bewusster geworden, wie zent- letztlich ist es eine Frage des Systems. Seit dem Aus- ral heute der Einbezug neuer Medien in den Unterricht tausch motiviere ich meine Kolleginnen und Kollegen be- ist. Die Holländer sind uns diesbezüglich ja deutlich voraus. wusst, Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürf- Derzeit führen wir an unserer Berufsfachschule Pilot nissen oder Schwächen im Klassenverbund zu helfen, statt klassen mit Notebooks. Das geht in diese Richtung, und ich sie sofort zu separieren. In der Schweiz fiel mir auf, dass die bin gespannt auf die Resultate der Evaluation. kognitiven Aspekte im Schulalltag im Vordergrund stehen. Damit ein Austauschprojekt einen Gewinn bringt für Seither schätze ich mehr als zuvor, dass wir in Holland be- die betroffene Person und die ganze Schule, müssen mei- wusst auch soziale und emotionale Fähigkeiten fördern. ner Meinung nach drei Voraussetzungen gegeben sein: Es Das Austauschprogramm hat mich so überzeugt, dass braucht persönliche Offenheit, man sollte bereit sein, das ich allen Lehrpersonen empfehle, mindestens einmal im eigene Tun zu hinterfragen, und man sollte eine Position Ausland eine Schule zu besuchen. Es ist einfach extrem be- haben, in der man das Erfahrene effektiv umsetzen kann. reichernd – auf persönlicher wie auch auf professioneller Als Mitglied der Schulleitung ist mir das möglich. Einer Ebene. Zwar hatte ich in den letzten Monaten keinen Kon- Lehrperson rate ich, vor dem Austausch bei der Schullei- takt mehr zu meinen Schweizer Kollegen, weil ich so viel zu tung ein Mandat zu sichern, damit ein gewisser Spielraum tun hatte, aber die Erinnerungen verblassen nicht.» gegeben ist, Erlerntes umzusetzen.» ! Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 9
Fokus Eintauchen in andere Welten Sich aus dem Schulalltag aus klinken, Neues kennenlernen und Erfahrungen sammeln. Lehrerinnen und Lehrer, die eine Intensivweiterbildung machen, kehren bereichert und motiviert zurück. Fotos: Reto Schlatter / Illustrationen: büro z Psychologe Theo Wehner über den Sinn von Auszeiten 12 Intensivweiterbildung: Wann, wie und wo? 15 Vier Lehrpersonen erzählen von ihren Erfahrungen 16 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 11
Fokus «Es gibt kein Rezept» Was spricht aus wissen schaftlicher Sicht für oder gegen ein Sabbatical oder eine Intensivweiterbildung? Der Arbeits psychologe Theo Wehner von der ETH Zürich erklärt, wann eine längere Auszeit sinnvoll und bereichernd ist. Interview: Katrin Hafner Fotos: Reto Schlatter Herr Wehner, bringt eine Auszeit Ja, ganz früher schon, weil die Natur nach haben Sie keinen messbaren Zu- in jedem Fall etwas? den Rhythmus vorgab. Bauern konn- gewinn an Erholung mehr, dafür Pha- Theo Wehner: Ja. Weil sie Abwechslung ten nicht rund ums Jahr die gleiche Ar- sen von anderer Qualität, dazu gehören bedeutet. beit verrichten; Mönche waren an den Erfahrungen wie Langeweile, Zweifel – Wie lange sollte eine Auszeit dauern? kirchlichen Kalender gebunden. Mit warum gehe nicht einfach arbeiten? – Die Qualität der Auszeit ist nicht per der Industrialisierung und der Einfüh- oder Unzufriedenheit: Warum verbringe se von der Dauer abhängig. Ich kann rung der Uhr als Taktgeber für die Ar- ich mein Sabbatical nicht anders? Es während der Arbeit eine Auszeit neh- beit entstand eine falsch verstandene gibt aus arbeitspsychologischer Pers- men, indem ich die Augen schliesse Effizienz: Was für Maschinen stimmt, pektive keinen Hinweis, wie lange eine oder aus dem Fenster schaue. Erholung wurde auf den Menschen übertragen. Auszeit dauern muss, um optimal be- und Kreativität sind möglich, sobald Möglichst konstant und pausenlos zu reichernd zu sein. Klar ist nur: Sie muss ich mich von etwas abwende und et- arbeiten, gilt seither als vorbildlich. länger sein als die übliche Auszeit, was anderem zuwende. Untersuchun- Der Mensch aber funktioniert nicht so. etwa Ferien. gen zeigen: Drei Viertel aller grossen Leben ist Ein- und Ausatmen. Was bringt eine längere Auszeit Ideen werden ausserhalb der Arbeit Um umfassende Entspannung und denn Positives? geboren. Heute haben jedoch viele neue Motivation zu finden, braucht Weil sie weit über die sogenannt not- Menschen verlernt, ihre Aufmerksam- es wohl eine bestimmte Zeit, oder? wendige Erholung hinausgeht, kommt keit zwischendurch auf etwas anderes Die grösste Erholung erreichen Sie in es zu Umstrukturierungen. Bin ich drei zu richten. den ersten drei bis sechs Tagen. Das Monate weg von der Arbeit statt drei War das früher anders? kann man physiologisch zeigen. Da- Wochen, verblasst meine Problem- 12 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Fokus Theo Wehner: «Wir sollten die Kinder und Jugendlichen lehren und ihnen vorleben, dass es beides braucht: Anstrengung und Entspannung.» wahrnehmung des Alltags. Die tägli- zen erwarten – ob dieser effektiv ein- Fragen, die mich neu beleben, egal, chen Auseinandersetzungen verlieren treten wird, kann man zum Voraus ob ich auf dem Bau arbeite, reise, stu- an Bedeutung. Als Lehrer denke ich nicht sagen und objektivieren lässt er diere oder mich an einer fremden am Montag um neun Uhr nicht mehr sich auch im Nachhinein nicht wirk- Schule en gagiere. Wir sprechen von daran, dass ich üblicherweise um diese lich. Eindeutig gewinnbringend hinge- sogenannt konvergentem Denken, also Zeit Physik unterrichte. Die Arbeit be- gen ist eine sorgfältige Vorbereitung. Denken in die Tiefe, und von diver stimmt meinen Tagesrhythmus nicht Worauf sollte man denn achten gentem Denken, also Denken in die mehr. Ich gewinne wohltuende Distanz, bei der Planung? Breite. Eine Auszeit sollte und wird in betrachte die Dinge aus dem Weitwin- Am besten fängt man früh damit an den meisten Fällen das divergente kel, und dies erlaubt mir, positive wie und stellt eine Liste zusammen mit Denken stärken – selbst wenn Sie als negative Aspekte in einem grösseren allen möglichen Ideen und Zielen. Mathelehrerin in Thailand Mathema- Kontext zu sehen. Die wird aber lang: Ich will meine Bat tik unterrichten. Wie sollte die Auszeit inhaltlich gestal terie möglichst nachhaltig aufladen, Danach den Wiedereinstieg zu finden, tet sein? Empfehlen Sie Lehrpersonen will mich erholen, weiterbilden, hand ist wohl nicht einfach. eher, mal etwas ganz anderes zu ma werklich verwirklichen und, und, und. Das ist genauso schwierig, wie den chen oder sich schulnah zu betätigen, Die Kunst besteht darin, die Liste zu- Ausstieg zu finden vor der Auszeit. Es zum Beispiel als Lehrer in Thailand? erst bewusst zu überdehnen. Mit der geht um Fragen wie: Wie lange darf ich Es gibt kein Rezept, im Gegenteil: Die Zeit realisiert man, dass man nicht alle nach der Auszeit quasi noch in Auszeit Person, die eine Auszeit nimmt, soll sel 87 000 Ideen verwirklichen kann, und bleiben, obwohl ich zurück bin? 3 ber definieren, was für sie bereichernd scheidet die weniger wichtigen aus. ist. Ein Ortswechsel ist bestimmt sinn- Das ist nicht leicht, denn wir haben voll und förderlich, um neue Ideen ja keine Übung in längeren Auszei- und frische Motivation zu gewinnen – ten. Ein Sabbatical oder eine Intensiv- eventuell gar ein Kulturwechsel. Be- weiterbildung macht man schliesslich reichernd ist die Auszeit, wenn ich bloss ein oder zwei Mal im Berufs Zur Person Theo Wehner (64), gebo ren und aufgewachsen in Deutsch meinen Arbeitstakt verlasse und zu leben. Wir können uns also auf keine land, ist seit 16 Jahren ordentlicher meinem von den Alltagsroutinen über- Routine stützen. Es ist immer auch ein Professor an der ETH Zürich für das lagerten Lebensrhythmus finde. Experiment. Fach Arbeits- und Organisations Und was, wenn dies bedeutet, dass Worin sehen Sie den Hauptgewinn psychologie und Leiter des ETH- ich einfach ausspannen möchte? einer längeren Auszeit? Zentrums für Organisations- und Auch das kann ein Weg sein. Ob Kon- In dieser experimentellen Haltung und Arbeitswissenschaften. Schwer templation, ungewohnte Aktivität in ei im Unterbruch des Bekannten. Schät- punkte seiner jahrzehntelangen wis senschaftlichen Arbeit sind unter nem anderen Beruf oder Fortsetzung zungsweise 95 Prozent unserer Tätig- anderem die psychologische Fehler der gewohnten Tätigkeit in fremder keiten beruhen auf Gewohnheit. Trete forschung und das Verhältnis von Umgebung: Es muss etwas mit Ihnen ich für längere Zeit aus dieser Routine Erfahrung und Wissen. Theo Wehner und Ihrem Berufsverständnis zu tun heraus, werde ich erfahrungsgemäss ist verheiratet, Vater von zwei Kin haben. Sie sollten subjektiv einen Nut- konfrontiert mit unbekannten Fragen, dern und lebt in Zürich. Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 13
Fokus Kommt es nicht schlecht an, wenn Für den Arbeitgeber kann es lästig langfristig lohnen, weil erfahrene Ar- ich mir nach einer längeren Auszeit sein, wenn jemand nach der Auszeit beitskräfte nicht verloren gehen, son- zusätzliche Schonzeit gönne? dies und jenes ändern will. dern sich motiviert weiterengagieren. Es geht darum, den Übergang nicht ab- Tatsächlich haben einige Erwerbs Das Problem heisst Kontrollverlust. rupt, sondern bewusst und schrittweise tätige nach einer Auszeit weniger Ver- Es ist wie beim Homeoffice: Sie kön- zu schaffen. Idealerweise beginnt man ständnis für faktisch Gegebenes. Sie nen noch so viele wissenschaftliche sich mit der Arbeit auseinanderzuset- hinterfragen Organisationales, wollen Studien vorlegen, die beweisen, dass zen, bevor man wieder arbeitet, und gewisse Strukturen nicht mehr akzep- es effizienzfördernd und ressourcen beschäftigt sich noch mit der Auszeit, tieren. Das kann Konflikte auslösen und schonend ist, wenn die Leute teilweise wenn man schon wieder arbeitet. irritieren. Irritation ist letztlich aber zu Hause arbeiten – das Manage- Woran erkennt man überhaupt, zentral für Innovation. Und man darf ment will kontrollieren, Führungs ob eine Auszeit etwas gebracht hat? nicht vergessen, dass Auszeiten auch kräfte brauchen zu Führende in Reich- Wenn jemand nach einer Auszeit ge- für das Arbeitsumfeld etwas bringen. weite. Kommt hinzu: Der positive Effekt nau so weiterfunktioniert, wie er vor- Die Kolleginnen und Kollegen profi einer Auszeit ist nicht berechenbar, her funktioniert hat, war die Auszeit tieren indirekt auf professioneller und und das widerspricht wiederum den zu kurz, zum falschen Zeitpunkt ge- persönlicher Ebene. Manageransprüchen. wählt – auf jeden Fall nicht wirksam. Vielleicht löst der Zurückkehrende Die Lehrerinnen und Lehrer im Kanton Wie gross ist das Risiko, dass jemand aber auch Neid aus? Zürich haben das Recht auf eine soge nach längerer Auszeit aus dem bis Damit es kein Privileg für einzelne Per nannte Intensivweiterbildung. Glauben herigen Beruf aussteigt? sonen oder Gruppen wird, wäre mein Sie, dass künftig mehr Arbeitgeber an Erfahrungsgemäss ist es klein, die Vorschlag ein Zeitkonto für alle. Jedes bieten, eine Auszeit zu beziehen? meisten kehren gestärkt und motiviert Jahr erhält jeder Mitarbeiter eine be- Ja, das vermute ich. Schon jetzt wird zurück. Sollte jemand aber zur Er- stimmte Stundenzahl gutgeschrieben. vielerorts über solche Modelle nach kenntnis gelangen, dass er nicht mehr Wann und wie er das einlöst, sollte gedacht – noch nicht laut und erst in- im angestammten Beruf weiterarbeiten ihm – in Absprache – freigestellt sein. formell. Das Angebot für Lehrpersonen kann oder will, ist dies für alle – auch Schliesslich fragt mich auch niemand, im Kanton Zürich hat insofern Modell- für den Arbeitgeber – mittelfristig eine was ich mit meinem Gehalt mache. charakter und ist fortschrittlich. Wie oft haben Sie selbst ein Sabbatical gemacht? Nur dreimal. Ich bin allerdings mit «Der Hauptgewinn einer Auszeit liegt in meinem Beruf ausserordentlich privi- der experimentellen Haltung und im Unter legiert – selbst ein Museums- oder Kinobesuch ist letztlich angewandte bruch des Bekannten.» Psychologie. Meine Frau sagt also nicht: Hör auf zu arbeiten, sondern höchs- tens: Lass uns mal dies oder jenes tun. Lehrpersonen bilden Jugendliche und gute Einsicht. Denn womöglich hätte Jede und jeder dritte Erwerbstätige damit künftige Arbeitnehmer aus. Wel diese Person ansonsten unzufrieden, in der Schweiz klagt über zu hohe Be che Werte oder Haltungen sollten sie vielleicht sogar unengagiert und aus- lastung bei der Arbeit. Sind wir ver ihnen vermitteln, damit sie später eine gebrannt weitergearbeitet, bis es gar wöhnt? Früher arbeitete man schliess gesunde Arbeitshaltung entwickeln? nicht mehr gegangen wäre. lich nicht weniger … Es geht um Balance. Allerdings stört Sie sagten einmal, unabhängig von Wir klagen auf hohem Niveau. Als Psy- mich der Ausdruck Work-Life-Balance. der Ferien- oder Auszeitlänge dauere chologe jedoch nehme ich jede Klage Besser gefällt mir der Begriff der Ar- es bloss zwei Wochen, bis man wieder ernst. Man muss bedenken, dass wir beit-Musse-Balance. Wir sollten die im alten Trott sei. Gibt es Tricks, den die Produktivität in den letzten dreissig Kinder und Jugendlichen lehren und positiven Effekt zu verlängern? Jahren verdoppelt haben. Es hat eine ihnen vorleben, dass es beides braucht: Ja, indem wir uns erinnern. Das tönt ungeheure Verdichtung stattgefunden, Anstrengung und Entspannung, Hin- banal, hilft aber. Der Mensch kann die sich nun zum Teil in Belastungs- wendung und Abwendung. Und sie bewusst Ferienstimmungen oder mo symptomen und Krankheiten mani üben lassen, möglichst viele Facetten tivierende Einsichten konservieren. festiert. des Lebens miteinander in Einklang Konkret helfen beispielsweise kleine Warum sind längere Auszeiten zu bringen. Dazu gehört zum Beispiel, Gegenstände oder Bilder als Gedan- erst in wenigen Berufen anerkannt? die Hausaufgaben mit ausserschuli- kenstütze. Aber auch, dass man von Aus Kostengründen? schen Betätigungen zu Hause zu ver- der Auszeit erzählt, gewonnene Er Kaum jemand zweifelt heute am Sinn binden. In Zukunft werden sie mit fahrungen in den Alltag einwebt und und an der positiven Wirkung eines noch mehr verschiedenen Anforde- den Mut aufbringt, Elemente aus den Sabbaticals oder einer Intensivweiter- rungen, Rollen und Möglichkeiten um- Ferien oder der Auszeit in den Alltag bildung. Mittlerweile weiss man, dass gehen müssen. Ziel ist es, ihnen Mög- hinüberzuretten. sich Auszeiten selbst wirtschaftlich lichkeiten zu geben, dies zu üben. ! 14 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Fokus Individuelle Programme – Raum für Kreativität Im Kanton Zürich haben Lehrerinnen und Lehrer Anrecht auf eine mehrwöchige Intensivweiter bildung. Welches sind die Rahmenbedingungen? Text: Jacqueline Olivier «Erfahrungen sind Massarbeit. Sie passen nur dem, der sie Auf der Sekundarstufe II soll zwischen dem 12. und macht», sagte einst der 1975 verstorbene italienische Autor dem 20. Dienstjahr ein zehnwöchiger Bildungsurlaub ein und Politiker Carlo Levi. Die Intensivweiterbildung (IWB) geschaltet werden, wie Thomas Oechslin, Leiter der Perso- für Lehrpersonen, die von der Pädagogischen Hochschule nalabteilung im MBA, sagt. «Für Lehrpersonen der Mittel- (PH) Zürich in Absprache mit dem Volksschulamt und dem und Berufsfachschulen ist eine solche Weiterbildung Recht Mittelschul- und Berufsbildungsamt angeboten wird, trägt und Pflicht, denn es gibt gute Gründe, nach einer gewissen diesem Gedanken Rechnung. Lehrpersonen erhalten die Zeit mal Abstand zu nehmen und mit neuen Impulsen an Möglichkeit, sich einmal für längere Zeit aus dem Berufs die Arbeit zurückzukehren.» Es gehe darum, «runterzufah- alltag auszuklinken, in einem anderen, selbst gewählten be- ren» und den Horizont zu erweitern. Diese Chance nutzen ruflichen und/oder kulturellen Umfeld neue Impulse zu ge- Lehrpersonen auch gerne über den vorgesehenen Zeitrah- winnen, sich mit der eigenen Rolle als Lehrerin oder Lehrer men hinaus. Weil auf dieser Stufe der Ablauf der Intensiv- auseinanderzusetzen und Perspektiven für die eigene Zu- weiterbildungen nicht im selben Masse vorgegeben ist wie kunft zu entwickeln. auf Volksschulstufe, besteht zum Beispiel die Möglichkeit, Für Volksschul- und Berufsschullehrer stehen hierzu das individuelle Projekt zwischen Sommer- und Herbstferien verschiedene Profile zur Auswahl, die jeweils aus einem umzusetzen und diese gleich dazuzunehmen. Verlängern individuell zusammengestellten «Hauptprogramm» beste- lässt sich die IWB in Absprache mit der Schulleitung zu- hen – etwa einem Praktikum in einem Betrieb im In- sätzlich mit unbezahltem Urlaub – ideale Voraussetzungen oder Ausland oder einem eigenständigen Projekt – wie etwa für einen längeren (Sprach-)Aufenthalt im Ausland. auch aus einem Kursteil. Etwas anders sieht es bei den Mittelschullehrpersonen aus: Diese planen ihren Bildungs- Teilnehmende äussern sich begeistert urlaub selbst, holen zuerst die Einwilligung der Schullei- Möglichkeiten gibt es viele, und die Palette der individuell tung und danach jene des Mittelschul- und Berufsbildungs- zusammengestellten Programme ist gross. Unter den Volks- amts (MBA) ein. schullehrpersonen im Kanton Zürich ist das Profil «Arbeits welten erfahren», also als Praktikant Einblick in einen Be- Sieben Wochen bezahlter Urlaub trieb zu erhalten, besonders beliebt. In den letzten vier Jahren Auf Volksschulstufe haben mehrwöchige Fortbildungs haben sich 282 Personen für diese Möglichkeit e ntschieden, kurse, wie sie ursprünglich hiessen, eine über 30-jährige wovon 121 Personen in der Schweiz blieben, 161 ihr Prak Tradition. Heute stehen für Volksschullehrpersonen in den tikum im Ausland absolvierten. Auch die Art der gewählten ungeraden Jahren jeweils 110 und in den geraden Jahren Betriebe deckt eine grosse Bandbreite ab: vom Zirkus über 140 IWB-Plätze zur Verfügung. Zur Teilnahme berechtigt das Spital oder die Oldtimergarage bis zur Informa tion- ist, wer seit mindestens zehn Jahren in einem Pensum von Technology-Firma. Grundsätzlich ist die Nachfrage insbe- 50 oder mehr Prozent auf Volksschulstufe unterrichtet und sondere von Volksschullehrpersonen nach einer Intensiv- nach Abschluss der IWB noch mindestens drei Jahre bis zur weiterbildung gross, die Plätze sind stets gut gefüllt. Und die Pensionierung vor sich hat. Drei Wochen unterrichtsfreie Rückmeldungen der Teilnehmenden mehrheitlich begeis- Zeit (Schulferien) sind selber beizusteuern, zehn Wochen tert. Barbara Dangel, Bereichsleiterin Person und Professi- gelten als bezahlter Urlaub. Nach weiteren zehn Dienstjah- on an der PH Zürich, hat einige davon für eine Präsentation ren kann erneut eine Intensivweiterbildung in Anspruch der IBW zusammengetragen. «Wenn ich bis 65 Schule gebe, genommen werden, sofern Platz vorhanden ist und Schul- seid ihr schuld», heisst es da zum Beispiel. Oder: «Eine Art leitung, Schulpflege und Volksschulamt den Antrag bewilli- inneres Feuer ist geblieben.» «Wir hören sehr viel Positives», gen. Für die Schulleitung selbst gilt das Angebot der Inten- sagt auch Martin Wendelspiess, «die hierfür aufgebrachten sivweiterbildung nicht. Denn die Anstellungsbedingungen Gelder sind sicher gut und nachhaltig investiert.» ! von Schulleitungspersonen, erklärt Martin Wendelspiess, ∑ Informationsveranstaltungen der PH Zürich Chef des Volksschulamtes, orientierten sich an jenen von • Volksschule: 19. März, 6. Juni und 3. September 2014. Kaderpersonen in der Verwaltung, für die – wie auch für die Weitere Informationen und Anmeldung: www.phzh.ch > Weiter übrigen Verwaltungsmitarbeitenden – keine solchen mehr- bildung > Angebote Volksschule > Intensivweiterbildung monatigen Weiterbildungen vorgesehen seien. • Berufsfachschule: 14. März 2014 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 15
Fokus Herbert Kähli, 47, Berufs Herbert Kähli lernt intensiv Chinesisch, besucht den Betrieb eines Modelabels, eine Berufsschule, zwei Fabriken fachschullehrer, reiste nach der ABB und hält vor Mitgliedern der EU-Handelskammer einen Vortrag über die schweizerische Berufsbildung. «Es China und hielt seine Erfahrun war eine strenge Zeit. Ich war sehr gefordert, zuweilen überfordert und geriet an meine Grenzen. Wieder mal gen in Paris schriftlich fest. Schüler zu sein, etwas nicht können, war aber auch eine gute Erfahrung, die mir hilft, mich besser in die Lernenden einzufühlen.» «Ich gehe am 21. Oktober 2013 erholt, bereichert und mit Weil Herbert Kähli einige Ferienwochen in die eigentli- vielen neuen Erkenntnissen über die Welt wieder mit dem che Auszeit integriert, kann er nach sieben Wochen in China Fahrrad zur Schule.» Mit diesem Satz schliesst das Konzept, noch fünfeinhalb in Paris anhängen. Hier bringt er seine das Herbert Kähli vor Antritt seiner Intensivweiterbildung Erlebnisse und Eindrücke aus Shanghai und Chongqing für (IWB) geschrieben hatte. Hat sich diese Prognose bewahr- den Unterricht zu Papier und nimmt Bandoneon-Unter- heitet? «Ja, es war eine grosse Horizonterweiterung», sagt richt. «Das war wunderschön und erholsam.» Am 20. Okto- der 47-Jährige, der an der Berufsschule für Gestaltung Zü- ber fährt er mit dem TGV nach Zürich zurück, am 21. Okto- rich Allgemeinbildung unterrichtet, rückblickend. ber radelt er zur Schule. Am 23. Juli 2013 landet Herbert Kähli auf dem Flug «Ich war erstaunt, wie schnell mich der Alltag wieder hafen Schanghai Pudong. Von dort katapultiert ihn eine hatte», sagt Herbert Kähli. Und doch ist es seither anders. Magnetschwebebahn in die 24-Millionen-Metropole. «Ich «Oft denke ich: Was würden die Chinesen dazu sagen? Ich kam in eine Doppelwelt», erzählt der Lehrer. Neben global- versuche mich in eine grössere Welt zu versetzen.» Wenn uniformen Quartieren mit klimatisierten Gucci-, Starbucks- er mit seinen Schülern über Globalisierung spricht, ist und Apple-Shops erlebte er ein fremdes China voller Gerü- das weniger abstrakt als früher. «Ich weiss besser, was che und Lärm, mit Kleinstläden, Trottoirs, auf denen gekocht ‹made in China› bedeutet, und kann das besser vermit- und geschlafen wird, mit verstopften Strassen, in denen sich teln.» Damit hat er eines der Ziele erreicht, die er sich für Fussgänger, Velos und Autos drängeln und schlängeln. «Man seine IWB gesetzt hatte. Ein zweites lautete, die Routine gewöhnt sich an die vielen Menschen auf engstem Raum, von 15 Jahren Berufsschulunterricht zu brechen. Auch das man wird unwichtig, geht in der Menge auf, verliert sich.» ist gelungen. «Ich habe Schwung geholt in der grossen Welt Das Ego, aber auch das Verantwortungsgefühl schwänden. und packe meine Aufgaben seither wieder mehr wie ein «Ein beängstigendes und gleichzeitig befreiendes Gefühl.» Junglehrer an.» [ami] ! 16 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Fokus Daniela Schultheiss, 54, verwelkte Blüten entfernen, Pflanzen ausladen und ordnen, Preisschilder anschreiben: Die Ar beiten im Gartencenter Primarschullehrerin, waren intellektuell nicht wirklich fordernd, körperlich dafür umso mehr. «Den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, war arbeitete in einem Garten ein Krampf.» Der Rücken war über-, der Kopf unterfordert. Als sie mit Mark und Heidi darüber sprach, konnte sie zur center in Kalifornien. Abwechslung Aufgaben in Büro und Haushalt übernehmen. Zwischendurch betreute sie die Tochter einer alleinerzie- henden Mitarbeiterin. Daniela Schultheiss lernte prekäre Eigentlich hatte Daniela Schultheiss längst eine Auszeit Arbeits- und Lebensbedingungen kennen. Viele Angestellte nehmen wollen. Aber aus familiären und beruflichen Grün- der Nursery bekommen den Mindestlohn von acht Dollar den klappte es nie. Letzten Sommer passte dann endlich die Stunde, einige haben mehrere Jobs, um sich über Was- alles. Sie nahm an Vorbereitungsseminaren teil, die die ser zu halten, Krankheit und Ferien werden nur teilweise Pädagogische Hochschule Zürich im Zusammenhang mit bezahlt. «Und trotzdem scheinen die Leute zufrieden zu Intensivweiterbildungen anbietet. Ein wichtiger Teil des sein. Alle sagten, es gehe ihnen wunderbar.» Ganzen, findet die Klotener Handarbeitslehrerin. «Es war Neben ihrer Arbeit blieb Daniela Schulheiss Zeit, um eine grossartige Gelegenheit, zusammen mit anderen über auf eigene Faust Ausflüge zu unternehmen. Sie war stolz die eigene Lebenssituation nachzudenken: Wo stehe ich? darauf, sich selber durchschlagen zu können in der fremden Wo will ich hin?» Umgebung. Gleichzeitig konnte sie «runterfahren» und sich Daniela Schultheiss, die früh geheiratet und Kinder erholen. «Ich bin sehr dankbar für diese Auszeit. Für ein- gehabt hatte, wollte etwas nachholen, was sie als junge Frau mal konnte ich jede Verantwortung ablegen.» Sie kehrte verpasst hatte: Weit weg gehen, befreit von den Verpflich- «mit einer gewissen Gelassenheit» aus Kalifornien zurück tungen des Alltags. Die Destination sollte englischsprachig und freute sich auf die Schule. und schön warm sein, was sie dort tun würde, war zweit Als sehr toll empfand Daniela Schultheiss das IWB- rangig. Schliesslich landete sie in Wegman’s Nursery in Seminar nach ihrer siebenwöchigen Auszeit. Die Teilneh- Redwood City, südlich von San Francisco. Das Gartencenter merinnen und Teilnehmer hätten einen bunten Strauss wird von Mark Wegman und Heidi Pellarin Wegman geführt. von Erlebnissen mitgebracht. Viel Stoff, der in die Reflexion Sie sind die Kinder des Firmengründers, der 1950 aus der über sich, eigene Wünsche und Rollen eingeflossen sei. Schweiz eingewandert war. Daniela Schultheiss wohnte bei «Dieser Rahmen war mindestens so wichtig wie das Prak Heidi in einem grosszügigen Haus mit Pool. Blumen g iessen, tikum selber», sagt Daniela Schultheiss heute. [ami] ! Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 17
Fokus Christoph Stückelberger, 50, Neben dem Handwerk lernte Christoph Stückelberger auch eine andere Kultur kennen: jugendliches Unterneh- Sekundarschullehrer, hat in mertum, das geprägt ist vom Mut, ohne vorgegebene Spur und fixen Monatslohn vorwärtszugehen und sich zu be- seiner Intensivweiterbildung haupten. «Davon will ich mir eine Scheibe abschneiden.» Genossen hat der Lehrer die Arbeitsbedingungen. «Im Bie- einen Werbefilm gestaltet. nenhaus Schule erlebe ich keinen Tag ohne irgendeinen Ärger.» Bei Jantofilm dagegen erlebte er ein ruhiges, ent- spanntes Arbeitsklima und fröhlich pfeifende Kollegen. Das Nützlichkeit war Christoph Stückelberger bei der Wahl sei- hat ihm so gut gefallen, dass er als freier Mitarbeiter der ner Intensivweiterbildung wichtig. «Ich wollte nicht irgend- Firma weitermachen wird. Ein konkretes Projekt ist schon wo am Meer Delfine beobachten», sagt der Winterthurer, aufgegleist. der im Sekundarschulhaus Rosenau Töss Zeichnen und Etwas Überwindung hat es Christoph Stückelberger Englisch unterrichtet, «ich wollte mein zweites Standbein schliesslich gekostet, nach den Herbstferien, die er an die stärken.» Sein zweites Standbein, das sind Illustrationen, Intensivweiterbildung drangeben musste, wieder in den Cartoons und Karikaturen, die er seit vielen Jahren z eichnet. Berufsalltag einzusteigen. «Ich habe sieben Wochen mei- Papier, Filzstift, Photoshop und viel Kaffee standen denn nem Hobby gefrönt und mich – trotz seriöser Arbeit – erholt. auch während der siebenwöchigen Auszeit bei der Filmpro- Ich hatte etwas Angst vor dem Druck des Schulalltags.» Der duktionsfirma Jantofilm im Zentrum. Neu war jedoch, dass freundliche Empfang durch Kolleginnen, Kollegen, Schü die Bilder laufen lernten. Im k leinen Winterthurer Jung lerinnen und Schülern machte die Rückkehr jedoch leicht. unternehmen von Antonio Calí, einem ehemaligen Schüler Jetzt ist er wieder «in der Mühle» – und doch nicht mehr der Christoph Stückelbergers, lernte er neue Programme ken- Gleiche. «Ich bin relaxter, gelassener», sagt er. Die ausser- nen und machte erste kleine Filme. Vor allem aber wirkte schulische Erfahrung habe seine Perspektiven verschoben. er massgebend an einem echten Werbefilm mit. Geworben «Die Welt ist weiter, offener, freier geworden.» Unter ande- wird darin für eine Zeitschrift, die Themen aus dem Unter- rem, weil er gemerkt habe, dass er Kompetenzen hat, die nehmeralltag behandelt, zum Beispiel die Work-Life-Ba nicht nur im Klassenzimmer brauchbar sind. Und: Bei aller lance. Christoph Stückelberger entwickelte Ideen, verfasste Begeisterung für seinen temporären Arbeitsplatz in einer das Drehbuch und zeichnete das Storyboard für den Film. anderen Arbeitswelt hat ihn diese Zeit auch gelehrt, die fes- «In einer grossen Werbeagentur wäre ich bloss ein Rädchen ten Strukturen und die Stabilität der Schule vermehrt zu gewesen, hier aber konnte ich fast alles machen.» schätzen. [ami] ! 18 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Fokus Matthias Tschudin, 48, fasste zusammen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen einen Blog, in dem es um die zukünftige Entwicklung der Gymnasiallehrer, verbrachte Gold Coast ging. Die Erwartung, die er in das Journalismus- Studium gesetzt hatte, erfüllte sich: «Ich konnte mich damit mit seiner Familie ein Jahr in auseinandersetzen, wie Australien tickt.» Nach dem Vollzeitstudium im ersten Semester belegte Australien und studierte dort. er im zweiten Halbjahr zwei Kurse. Im einen ging es da rum, wie Situationen des Wandels bewältigt werden kön- nen. In seiner schriftlichen Arbeit wandte er das Gelernte Dass Matthias Tschudin seinen obligatorischen Weiterbil- auf das Neubauprojekt der Kantonsschule Büelrain an. «Ich dungsurlaub im australischen Queensland verbringen wür- hoffe, dass ich mithelfen kann, ein Bewusstsein zu schaffen de, war nicht vorgezeichnet. Der Gymnasiallehrer hatte für die Prozesse, die beim Bezug eines neuen Gebäudes ab- keinen besonderen Bezug zu Down Under. Weil er an der laufen – und dass sie gestaltbar sind.» Während des ganzen Kantonsschule Büelrain in Winterthur im zweisprachigen Jahres hatten weder Matthias Tschudin noch seine Frau und Maturitätslehrgang Wirtschaft unterrichtet, sollte es einfach seine Kinder Heimweh. Alle wuchsen in ihr neues Leben ein englischsprachiges Gebiet sein. Für seine Frau musste hinein. Das Touristenmekka Gold Coast liess keine Lange- es ein sonniger, warmer Ort sein. Schliesslich entschie- weile aufkommen. Reibungslos lief im Sommer 2013 die den sie, «etwas Grösseres» zu machen; Matthias Tschudin «Wiederansiedlung» in der Schweiz. «Es war, als wäre nichts hängte an die ordentlichen zehn Wochen Weiterbildungs gewesen», sagt Matthias Tschudin. Nach zwei Tagen war urlaub anderthalb Semester unbezahlten Urlaub an und zog alles «gäng wie gäng», von Kulturschock keine Spur. Das mit Frau und Kindern an die Gold Coast. galt auch für die Schule – jedenfalls fast: Plötzlich, wie aus «Es war buchstäblich ein Sprung ins kalte Wasser und dem Nichts, begann ihm die Arbeit plötzlich grauenhaft zu zu Beginn war es manchmal schon fast eisig kalt», schreibt stinken. Er empfand alles als harzig und hatte wenig Ener- Matthias Tschudin in seinem Bericht über den Beginn sei- gie. Inzwischen ist er wieder guter Dinge und interpretiert nes Postgraduate-Studiums in Journalismus an der Griffith die Krise als Nachwehen der Australienzeit. Eine andere University. Und der Unialltag war nur eine der Herausfor- positive Nachwirkung: «Ich weiss jetzt, dass ich mit einer derungen. Auto kaufen, Wohnung mieten und Kindergar- ungewohnten Situation zurechtkomme.» Das Vertrauen, et- ten organisieren ein paar weitere. Aber schon nach weni- was Neues anfangen zu können, wenn man es denn wollte, gen Wochen hatte sich die Familie gut eingelebt. Matthias sei wertvoll. «Es gibt Freiheit, nimmt Druck weg. Das ist für Tschudin besuchte Vorlesungen, schrieb Arbeiten und ver- die Motivation, als Lehrer zu arbeiten, positiv.» [ami] ! Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 19
Volksschule Claudia Reinhardt will den Kindern der Schule Erlenbach Sicherheit vermitteln für die Prüfung. Lernen für die Gymiprüfung Die Bildungsdirektion empfiehlt den Schulgemeinden, eigene Angebote zur Prüfungsvorbereitung auszugestalten. Zwei Schulen, die das auf unterschiedliche Weise tun. Text: Charlotte Spindler Foto: Sophie Stieger Mittwochnachmittag. Auf dem Sport nicht vorgeschrieben, werden von ei Dübendorf ein einheitliches Vorgehen platz vor dem Schulhaus Stägenbuck nigen Schulen aber seit Jahren ange aller Schuleinheiten in Bezug auf die in Dübendorf rennen Buben einem boten. Die Bildungsdirektion empfiehlt Prüfungsvorbereitung ans Langgym Ball hinterher. Im Primarschulhaus ist den Schulgemeinden, solche Kurse an nasium beschlossen: Zusätzlich zum es hingegen still; nur in einem Zimmer zubieten. Denn: Nicht alle Eltern kön regulären Unterricht in der Klasse ist an diesem winterlich grauen Tag nen sich Prüfungsvorbereitungskurse wird ein kostenloser Kurs angeboten, das Deckenlicht eingeschaltet. Sieben von privaten Anbietern leisten. Wie der allen Kindern offensteht. Unter Mädchen und drei Jungs sitzen an den die Schulgemeinden die Empfehlung richtet werden alternierend zwei Lek Tischen, Hefte und Übungsmaterial umsetzen, ist ihnen freigestellt (siehe tionen Mathematik und Deutsch, ver vor sich. Die Sechstklässlerinnen und Kasten). mittelt werden auch prüfungsrelevante Sechstklässler aus zwei Klassen der An den Primarschulen der Stadt Lerntechniken. Der Kurs beginnt je Primarschule Stägenbuck bereiten sich Dübendorf findet der Vorbereitungs weils nach den Herbstferien und dau auf die Aufnahmeprüfung für das Lang kurs in der unterrichtsfreien Zeit statt; ert bis zum Prüfungstermin im Früh gymnasium vor, die sie im März be im Schulhaus Stägenbuck jeweils am ling. Voraussetzung für die Teilnahme stehen wollen. Kostenlose Gymivorbe Mittwoch von 13.30 bis 15.15 Uhr. Im ist, dass die Schülerinnen und Schüler reitungskurse sind im Kanton Zürich Juni 2012 hatte die Primarschulpflege die zusätzlich gestellten Hausaufgaben 20 Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014
Volksschule daheim lösen und sie in den Unterricht digten – Lehrperson erteilt; er beginnt schen sollten. «Nach den Herbstferien mitbringen – und natürlich müssen sie nach den Sommerferien und dauert lösen wir Prüfungsaufgaben aus frü die regulären Hausaufgaben zuverläs bis zur Prüfung im März. «Wir nehmen heren Jahren und üben verschiedene sig erledigen. nur Schülerinnen und Schüler auf, die Aufsatzformen. Wichtig ist mir, den im zweiten Zeugnis der fünften Klasse Kindern Sicherheit zu vermitteln und Besonderes Gewicht in der Freizeit einen Notendurchschnitt von mindes ihnen zu zeigen, wie sie in der Prü «Unser Modell bewährt sich», sagt tens einer Fünf in den prüfungsrele fungssituation mit komplexen Aufga Schulleiterin Jasmin Thalmann. «Wir vanten Fächern haben», sagt Thomas ben umgehen können.» So lohne es finden es richtig, die Prüfungsvorbe Isler, Schulleiter Kindergarten/Primar sich, sagt sie ihren Schülerinnen und reitungskurse auf den freien Mitt schule. Er begründet: «Die Anforderun Schülern, die über ihrem Rechenblatt wochnachmittag zu legen, denn für die gen sind nicht zu unterschätzen; die brüten, Dezimalzahlen einiger Brüche Kinder und ihre Eltern erhält der Kurs Kinder müssen nicht nur die Haus und Quadratzahlen auswendig zu ler damit ein besonders Gewicht. Sie ent aufgaben und die Zusatzaufgaben nen: «An der Prüfung könnt ihr so scheiden sich bewusst für dieses Zu des Prüfungsvorberei tungskurses lö wertvolle Zeit gewinnen.» Der Prü satzangebot und geben damit ein Stück sen, sondern den Stoff der wöchentlich fungstermin rückt näher. «Etwa acht Freizeit auf.» zwei verpassten Unterrichtsstunden Stunden pro Woche arbeite ich für die Der Prüfungsvorbereitungskurs an selbstständig nacharbeiten.» Schule», sagt ein Junge. Sein Bank der Schule Stägenbuck wird von Leh nachbar ergänzt: «Zusätzlich zu den rerinnen und Lehrern aus dem Schul Komplexe Aufgaben lösen lernen Übungsblättern löse ich noch andere haus erteilt. Sie werden nach dem Vi Im jetzt laufenden Schuljahr besuchen Prüfungsaufgaben; die Aufgaben ma kariatsansatz entschädigt. An diesem 18 Kinder – je hälftig Mädchen und che ich allein, nur beim Repetieren Mittwochnachmittag diskutiert Jean- Buben – aus zwei sechsten Klassen den frage ich manchmal meine Eltern.» Claude Richardet mit seinen Schüle Prüfungsvorbereitungskurs. Das sind «Wir haben eine sehr hohe Erfolgs rinnen und Schülern direkte und in deutlich mehr als in früheren Jahren. quote», konstatiert Schulleiter Thomas direkte Proportionalität. Er gibt Tipps, Claudia Reinhardt erteilt diese Kurse Isler. «Im vergangenen Schuljahr ha wie die Lösung einer kniffligen Ma seit deren Beginn. Nach den Herbst ben alle Schüler, die bei uns den Kurs theaufgabe schrittweise dargestellt wer ferien hat sie an einem Elternabend besucht haben, die Aufnahmeprüfung den kann. «An der Prüfung wird auch über das bisher Geleistete informiert bestanden.» Wie viele von ihnen zu der Weg zum Resultat bewertet», sagt und den Eltern erklärt, wie sie ihr Kind sätzlich private Nachhilfeangebote in er. Vor dem Ende der Stunde erläutert in den kommenden Wochen unterstüt Anspruch nehmen, kann der Schul der Lehrer die Hausaufgaben für den zen können. In den ersten Wochen hat leiter nicht beziffern; sinnvoll findet er Mathematik-Block in zwei Wochen – Claudia Reinhardt mit ihren Schüle es entschieden nicht, denn die Kinder und natürlich, wer Zusatzaufgaben lö rinnen und Schülern den Stoff repe stünden in dieser Zeit ohnehin unter sen möchte, erhält solche. «Die Kinder, tiert, den sie an der Prüfung beherr hohem Leistungsdruck. ! die den Kurs besuchen, gehören leis tungsmässig zu den Besten in ihren Klassen. Sie erfahren hier eine För derung, die sie in den stark heteroge nen Klassen mit vielen fremdsprachi Empfehlungen lassen Gestaltungsraum offen gen Kindern – das Stägenbuck ist eine Das Volksschulgesetz des Kantons Zürich sieht eine individuelle Förderung Quimsschule – in diesem Masse nicht für Kinder und Jugendliche vor, die ein Gymnasium besuchen möchten. haben», sagt Jean-Claude Richardet. Sie werden im regulären Unterricht mit den Anforderungen der Aufnahme «Und selbst wenn sie den Übertritt ins prüfungen vertraut gemacht; zusätzlich bieten manche Schulen schon seit Gymnasium nicht schaffen: Das Ge einigen Jahren Prüfungsvorbereitungskurse für Schülerinnen und Schüler lernte können sie auch in der Sek A in der sechsten Primar- und der zweiten Sekundarklasse an. bestens brauchen.» Gemäss den Empfehlungen der Bildungsdirektion vom Februar 2012 sollten die Kurse zwei Wochenlektionen während des ersten Semesters umfassen; In den regulären Stundenplan integriert die Bedarfsabklärung, die Finanzierung, die Entschädigung der Lehrpersonen Die Schule Erlenbach am rechten Zü und die Organisation bleiben Sache der Schulgemeinden. Elternbeiträge richseeufer hat eine andere Lösung können erhoben werden, aber der Kanton empfiehlt, darauf zu verzichten. gewählt. Seit 2008 werden die freiwil In den Kursen sollen sich die Kinder und Jugendlichen das Prüfungswissen ligen, kostenlosen Vorbereitungskurse in Deutsch, Mathematik, für die Sekundarschule auch Französisch aneignen für die Aufnahmeprüfung ans Lang können, mit Lerntechniken vertraut machen sowie Wissensdefizite abbauen. gymnasium in den Stundenplan integ An wie vielen Schulen heute solche freiwilligen Kurse angeboten werden, ist riert – für die Stundenplangestalter dem Volksschulamt nicht bekannt. eine echte Herausforderung. Der Kurs ∑ Empfehlungen: www.vsa.zh.ch > Schulstufen und Schulen > Primarstufe von jeweils zwei Wochenstunden an ∑ Weitere Informationen zum Übertritt in der Broschüre «Beurteilung und Schullauf einem Vormittag wird von einer exter bahnentscheide»: www.vsa.zh.ch > Schulbetrieb & Unterricht > Zeugnisse & Absenzen nen – nach Lohnreglement entschä ∑ Sammlung alter Prüfungsaufgaben: www.zentraleaufnahmepruefung.ch Schulblatt des Kantons Zürich 1/2014 21
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