INFO SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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INFO                       01/2011

SCHWERPUNKT
Die Krise im
Euroraum              3

VORDENKEN
Programm für Europas
Sozialdemokratie    17

MITWIRKEN
Die Arbeitswelt
im Wandel            24

TEILHABEN
Integrationsprozesse
erfolgreich gestalten 33

VERNETZEN
Tunis: Neuanfang in
einem befreiten Land 42
INFO SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
     Dezember 2010 ­– Januar – FEBRUAR – März 2011

                Inhalt
                         FES-INFO 1/2011                                                                  Text­bei­trä­ge
                                                                                                          in die­ser Aus­ga­be

                                                                                                          Merin Abbass, Yasemin Ahi, Vasyl Andriyko,
                         SCHWERPUNKT                                                                      Julia Bläsius, Stephanie Böhm, Matthes
                         Tiefere Ursachen der Krise                                                       Buhbe, Jochen Dahm, Michael Dauderstädt,
                                                                                                          Knut Dethlefsen, Claudia Detsch, Simone
                         Makroökonomische Ungleichgewichte in der Euro-Zone....3
                                                                                                          Döbbelin, Michael Ehrke, Matthias Eisel,
                         Solidarität in Europa                                                            Stefanie Elies, Roland Feicht, Michael Fischer,
                         Finanzkrise und die Konsequenzen                                                 Claudia Flohr, Alina Fuchs, Peter Gey, Martin
                         für die Europäische Union..................................................4     Gräfe, Sergio Grassi, Rainer Gries, Björn
                                                                                                          Hacker, Mirko Hempel, Felix Hett, Silke
                         Währungskrise oder Staatsschuldenkrise?                                          Hillesheim, Kristina Hölscher, Katharina
                         Deutsch-Französische Sichtweisen......................................7          Hofmann, Peter Hurrelbrink, Heinz Albert
                         Das Schlachten heiliger Kühe                                                     Huthmacher, Judith Illerhues, Lena Jaschob,
                                                                                                          Matthias Jobelius, Friederike Kamm, Werner
                         Das Projekt einer EU-Steuer..............................................14
                                                                                                          Kamppeter, Türkan Karakurt, Nicole
                                                                                                          Katsioulis, Christian Kellermann, Helene
                         Gesellschaftliches Engagement�/                                                  Kortländer, Eszter Kováts, Jeanette Ladzik,
                         SOZIALE DEMOKRATIE                                                               Susanne Langsdorf, Christina Lauer, Gero
                                                                                                          Maass, Thomas Mättig, Simone Mayer,
                         Chancen und Stolpersteine
                                                                                                          Michael Meier, Ralf Melzer, Swetlana
                         Ein gemeinsames Programm                                                         Michajlowa, Irina Mohr, Nicole Nestler, Paul
                         für die Sozialdemokratie in Europa...................................17          Pasch, Alexander Petratschkov, Stephan
                         Gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiches Glück?                                 Reichert, Franziska Richter, Susanne Richter,
                         100 Jahre Internationaler Frauentag . ..............................22           Stefanie Ricken, Horst Schmidt, Michael
                                                                                                          Schultheiß, Philipp Schultheiss, Günther
                         Einzigartiger Ort der Begegnung                                                  Schultze, Markus Schreyer, Thomas
                         FES beim Weltsozialforum 2011.......................................23           Schwandt, Beyhan Sentürk, Sebastian
                                                                                                          Sperling, Karl-Heinz Spiegel, Stephan
                         WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES                                                     Thalhofer, Yvonne Themann, Daniela Turß,
                                                                                                          Martin Weinert, Frederic Werner, Gaby
                         Veränderungen als Druck                                                          Wittpohl, Lothar Witte
                         Der Managerkreis der FES über die
                         Arbeitswelt im Wandel.....................................................24
                         Chancen für die „Grüne Wirtschaft“?
                         Umbau der Industriegesellschaft in Polen.........................29
                         Wachstum durch bessere Verteilung
                         Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung................30
                                                                                                          impressum
                         INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR                                                     He­raus­ge­ber:
                         Einstiege eröffnen                                                               Fried­rich-Ebert-Stif­tung
                         Integrationsprozesse erfolgreich gestalten........................33             Kom­mu­ni­ka­ti­on und Grund­satz­fra­gen
                                                                                                          Go­des­ber­ger Al­lee 149
                         Probleme sind lösbar                                                             D-53175 Bonn
                         Kommunale Verantwortung bei der                                                  Te­le­fon: 0228/883–0
                         Gesundheitsversorgung ..................................................35       In­ter­net: www.fes.de
                         Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk Zukunft?..............40                  E-Mail: pres­se@fes.de

                                                                                                          Re­dak­ti­on: Pe­ter Do­nais­ki,
                         EUROPA UND DIE WELT                                                              Pres­se­stel­le Ber­lin
                                                                                                          Hi­ro­shi­ma­stra­ße 17, D-10785 Ber­lin
                         Neuanfang in einem befreiten Land
                                                                                                          Te­le­fon: 030/269 35–7038
                         Das FES-Büro in Tunis.......................................................42   Te­le­fax: 030/269 35–9244
                         Freundschaft in schwierigen Zeiten                                               E-Mail: pe­ter.do­nais­ki@fes.de
                         Peter Struck und Anke Fuchs in Israel und Palästina ........48
                                                                                                          Satz, Lay­out, Herstellung:
                         Symbol der Versöhnung                                                            Pub­lix, H. Eschen­bach, Ber­lin
                         40. Jahrestag von Willy Brandts Besuch in Polen...............50                 Druck:
                         Überfordert und überschätzt?                                                     Braunschweig Druck GmbH, Braunschweig
                                                                                                          Ti­telgestaltung:
                         Perspektiven der afrikanischen Sicherheitsarchitektur.......60
                                                                                                          Wolfgang Rabe, Berlin
                         Partnerschaften ohne Bedeutung                                                   Fotos auf den Seiten 17, 24, 33 und 42:
                         Die Strategischen Partnerschaften                                                fotolia.com
                         der EU mit Mexiko und Brasilien .....................................62
                                                                                                          Prin­ted in Ger­ma­ny, Mai 2011
                                                                                                          Ge­druckt auf 90 g matt ge­stri­chen
                         Publikationen                                                                    ISSN 0942-1351ISSN 0942-1351
                         Neue Publikationen der FES..............................................64

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SCHWERPUNKT         3

DIE KRISE IM EURORAUM
URSACHEN UND LöSUNgSMögLICHKEITEN
Im Jahre vier der globalen Finanzkrise schwelt      sätze durchgespielt. Dabei wurde deutlich, dass
dieser Flächenbrand im Euro-Raum als Staats-        der vorherrschende Blick auf die Staatsschul-
schuldenkrise weiter. Um Lösungen für die           denproblematik und deren scheinbare Lösung
Probleme immer höherer Schuldenlasten von           allein über mehr Haushaltsdisziplin in die Irre
Euro-Mitgliedsstaaten und um Alternativen zu        führt. Im Kern handelt es sich bei der Krise um
krisenverschärfenden Maßnahmen zu entwi-            Probleme der europäischen Integration, die nur
ckeln, hat die Abteilung Wirtschafts- und So-       über „mehr Europa“, beispielsweise über ein hö-
zialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer   heres Maß wirtschaftlicher Koordinierung und
Reihe von Tagungen, Fachgesprächen und Ana-         Kooperation gelöst werden können.
lysen verschiedene Diagnose- und Lösungsan-

TIEFERE URSACHEN DER KRISE                                                                              Studie

MAKROöKONOMISCHE UNgLEICHgEWICHTE IN DER EURO-ZONE
Die Schuldenkrise wurde in kaum einem der           eine Konsequenz von Überschuldungsprozessen
Krisenländer durch eine unsolide Haushalts-         bei den privaten Haushalten und den Banken.
politik der Regierung verursacht. Allenfalls        Die gesamtwirtschaftlichen Überschuldungs-
für Griechenland trifft dies zu, da dort auch in    probleme, wie sie jetzt in Irland und Spanien
wirtschaftlich guten Zeiten zu wenig Steuern er-    auftreten, sind daher kaum mit einer verschärf-
hoben und zu viele Staatsausgaben getätigt wur-     ten Überwachung und Sanktionierung von Bud-
den. Dagegen hatten Irland und Spanien noch         getdefiziten und der Staatsverschuldung zu ver-
vor Ausbruch der Krise eine äußerst dynamische      hindern. Auch ein verschärfter Stabilitäts- und
Wirtschaftsentwicklung und sogar Überschüsse        Wachstumspakt, wie er auf dem jüngsten EU-
im Staatshaushalt bei niedrigen und sinkenden       Gipfel von den europäischen Staats- und Regie-
Staatsschulden erzielt. Erst das Platzen der Bau-   rungschefs beschlossen wurde, hätte die aktuelle
und Immobilienblasen führte in diesen Ländern       Krise nicht verhindern können. Die Ursachen der
dazu, dass die Volkswirtschaften in eine tiefe      Staatsschuldenkrise liegen vielmehr in den ma-
Wirtschaftskrise stürzten und die öffentliche       kroökonomischen Ungleichgewichten, die sich
Hand mit hohen, schuldenfinanzierten Staats-        binnenwirtschaftlich in einer Überschuldung
ausgaben den Anstieg der Arbeitslosigkeit be-       der privaten Haushalte und Banken und außen-
kämpfen und die überschuldeten Banken retten        wirtschaftlich in einer zunehmenden Auslands-
musste. So die Ergebnisse einer Studie von Prof.    verschuldung der Krisenländer widerspiegeln.
Dr. Sebastian Dullien von der Hochschule für        Um zukünftig Schuldenkrisen in der Euro-Zone
Technik und Wirtschaft Berlin, die er im Auftrag    erst gar nicht entstehen zu lassen, muss daher
der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik er-    das Problem makroökonomischer Ungleichge-
stellt hat.                                         wichte und das zunehmende wirtschaftliche
Die steigende Staatsverschuldung stellt also        Auseinanderdriften der Euro-Mitgliedsstaaten
nicht die Ursache der gegenwärtigen Krise dar,      angegangen werden. Hierfür bietet sich als ein
sondern ist Folge anderweitiger wirtschaftspo-      wirtschaftspolitisches Instrument beispielswei-
litischer Fehlentwicklungen, allen voran ist sie    se die Einführung eines außenwirtschaftlichen

                                                                                       1 / 2 0 1 1               I N F O   FES
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       SCHWERPUNKT

                                 Stabilitätspaktes an, wie es Sebastian Dullien in     M ehr zum T hema
                                 seiner FES-Studie vorgeschlägt, da dieser neben       Sebastian Dullien: „Ungleichgewichte im Euro-
                                 der Staatsverschuldung auch die Verschuldung          Raum: akuter Handlungsbedarf auch für Deutsch-
                                 der Banken und privaten Haushalte mitberück-          land“, WISO Diskurs –
                                 sichtigt.                                             http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07696.pdf

    Podiumsdiskussion
                                 Solidarität oder Konkurrenz
                                 F inanzkrise und die K onse q uenzen f ü r die E urop ä ische U nion
                                 Wird Europa in Zukunft auf Solidarität oder auf       die Europäische Union bei der demokratischen
                                 Konkurrenz basieren? Mit dieser Leitfrage be-         Legitimierung von Entscheidungsprozessen zu-
                                 schäftigten sich die Teilnehmer einer Podiums-        nehmend auf einer schiefen Ebene und warnte
                                 diskussion, die die Internationale Politikanalyse     vor Fehlinterpretationen. So stellte der Luxem-
                                 der FES organisierte. Nur zwei Tage vor dem Gip-      burger klar, dass es sich gegenwärtig nicht um
                                 feltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eu-    eine Krise des Euro, sondern um eine Überschul-
                                 ropäischen Union am 24. und 25. März diskutier-       dungskrise der öffentlichen Haushalte handele.
                                 ten der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter         Für ein dringend benötigtes neues Wachstums-
                                 Steinmeier, der luxemburgische Außenminister          modell in Europa mangele es nach Ansicht von
                                 Jean Asselborn und sein griechischer Amtskollege      Frank-Walter Steinmeier in der von konserva-
         Gemeinsame Lage-
            beurteilung: Der
             luxemburgische
        Außenminister Jean
        Asselborn, der SPD-
       Fraktionsvorsitzende
        Frank-Walter Stein-
       meier und Griechen-
      lands Außenminister
          Dimitris Droutsas
         (v.r.n.l) bei der FES
                    in Berlin.
                (Foto: Unger)

                                 Dimitris Droutsas über die bevorstehenden Wei-        tiven Regierungen dominierten EU jedoch an
                                 chenstellungen in Brüssel. Auf der Agenda stand       Konzepten. Er kritisierte vor allem das Krisenma-
                                 neben dem so genannten Pakt für den Euro ins-         nagement der schwarz-gelben Bundesregierung.
                                 besondere die Institutionalisierung eines dauer-      Aufgrund „der emotional geführten Debatte über
                                 haften Rettungsschirms sowie dessen rechtliche        eine so genannte Transferunion haben wir uns zu
                                 Verankerung auf der Agenda. Der Vorsitzende der       lange Entscheidungen verweigert, die jetzt un-
                                 FES, Peter Struck, betonte in seiner Begrüßungs-      ausweichlich geworden sind“, so Steinmeier.
                                 rede, dass jetzt auch die zentralen Geburtsfehler     Die Schuldzuweisungen gegenüber der grie-
                                 von Maastricht korrigiert werden müssten und          chischen Regierung haben nach Ansicht des SPD-
                                 neben der Währungsunion auch endlich eine             Fraktionsvorsitzenden gleichzeitig den gesamt-
                                 politische Union verwirklicht werden sollte.          europäischen Zusammenhalt in Frage gestellt.
                                 Die mangelnde Einbindung der nationalen Parla-        Tatsächlich appellierte der griechische Außenmi-
                                 mente und des europäischen Parlaments im Vor-         nister an die Solidarität der anderen Mitgliedslän-
                                 feld des Gipfels, wurde von dem stellvertretenden     der, um die schmerzhaften Einsparmaßnahmen
                                 SPD-Fraktionsvorsitzenden und Europapolitiker         gegenüber der eigenen Bevölkerung besser ver-
                                 Axel Schaefer kritisiert. Auch Jean Asselborn sieht   mitteln zu können.

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SCHWERPUNKT      

Ungleichgewichte in Euroland                                                                                   Publikationen

K eine W achstumsimpulse we g en fehlender B innennachfra g e

Die Auffassung, Deutschland sei für die Krise in     notwendigen Anpassungslasten sollten daher
der Euro-Zone nicht mitverantwortlich, ist ein       symmetrisch sowohl von den Defizitländern als
Trugschluss. In einer Studie weisen Prof. Dr. Hei-   auch von den Überschussländern (z.B. Deutsch-
ke Joebges und Prof. Dr. Camille Logeay, beide       land oder Österreich) getragen werden, weil die
von der Hochschule für Technik und Wirtschaft        Defizitländer kaum alleine die außenwirtschaft-
Berlin, sowie Dr. Sabine Stephan und Dr. Rudolf      lichen Ungleichgewichte abbauen können. Das
Zwiener, beide vom IMK Düsseldorf, darauf hin,       Problem lässt sich nur von beiden Seiten lösen.
dass die deutsche Wirtschaftspolitik erhebliche      Das heißt nicht, dass in Deutschland der Export
Mitschuld an der Krise trägt. Sie nennen vor         eingeschränkt werden sollte. Eine Volkswirt-
allem die in den zurückliegenden Jahren durch-       schaft, die viel exportiert, sollte aber auch viel
geführten Arbeitsmarktreformen und die zu-           importieren. Das aber verlangt, und darauf wei-
rückhaltende Lohnpolitik, mit deren Hilfe die        sen Joebges, Logeay, Stephan und Zwiener in ih-
deutsche Wirtschaft ihre internationale Wett-        rer Studie hin, dass die Arbeitnehmerinnen und
bewerbsfähigkeit stark erhöhen konnte. Durch         Arbeitnehmer in Deutschland in Zukunft bei der
dieses Vorgehen hat Deutschland zwar von der         Lohnentwicklung stärker als in der Vergangen-
Konjunkturentwicklung in den europäischen            heit an der Entwicklung der gesamtwirtschaft-
Nachbarländern profitiert, selber aber mangels       lichen Wertschöpfung und des Wohlstandes be-
prosperierender Binnennachfrage keine eige-          teiligt werden müssen.
nen Wachstumsimpulse gesetzt. Damit hat die
deutsche Wirtschaft nicht nur den europäischen       P ublikationen zum T hema
Nachbarländern geschadet, sondern auch sich          Heike Jobges: „Exporte um jeden Preis?: Zur Diskus-
selbst, da mit Hilfe des exportorientierten Wachs-   sion um das deutsche Wachstumsmodell“, WISO
tumsmodells über Jahre hinweg keine hohen ge-        direkt, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07529.pdf
samtwirtschaftlichen Wachstumsraten erzielt          Heike Joebges/Camille Logeay/Sabine Stephan/Ru-
werden konnten. Tatsächlich war Deutschland          dolf Zwiener: „Deutschlands Exportüberschüsse
in den Jahren vor der Krise lange Zeit unter den     gehen zu Lasten der Beschäftigten“, WISO Diskurs –
Schlusslichtern beim Wachstum im Euroraum.           http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07718.pdf
Trotz der jüngsten Erfolge bei der Wachstums-
und Beschäftigungsentwicklung muss es daher
im Interesse Deutschlands liegen, das einseitige,
nur auf Exportüberschüssen basierende Wachs-
tumsmodell zu erweitern. In Zukunft muss eine
ausgewogenere, auch die Binnennachfrage stüt-
zende Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Lohnpo-
litik praktiziert werden, um eine ausbalanciertere
und nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung zu
erzielen. Dieses Umsteuern muss möglichst rasch
erfolgen, denn vor dem Hintergrund der in den
europäischen Krisenländern eingeschränkten
Wettbewerbsfähigkeit und der Überschuldung
sind in Zukunft aus diesen Ländern kaum Nach-
frageimpulse zu erwarten. Umgekehrt wird es
den Krisenländern nur in einem wirtschaftspo-
litischen Umfeld mit höheren Wachstumsraten
gelingen, ihre hohe Verschuldung zurückzufüh-
ren. Auch aus diesem Grund ist es daher an der
Zeit, dass Deutschland die Rolle einer wahren
Wachstumslokomotive in Europa übernehme.
Die zur Überwindung der Krise in der Euro-Zone

                                                                                             1 / 2 0 1 1            I N F O    FES
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     SCHWERPUNKT

           Analyse
                      Deutschlands Verantwortung
                      für Europa
                      Gefahren f ü r das europ ä ische projekt
                      Mehr als andere EU-Gipfel war die Zusammen-         desregierung vermittelte Verzögerungshaltung
                      kunft der europäischen Staats- und Regierungs-      Deutschlands. Hinzu komme ein sich inzwi-
                      chefs im März ein Krisentreffen, bei dem es um      schen als Mainstream etablierter europaskep-
                      nicht weniger ging als die Vorbereitung eines       tischer Diskurs von Politik, Intellektuellen und
                      tiefgreifenden dauerhaften Stabilisierungsme-       den Medien. Die Folge sei großes Misstrauen der
                      chanismus zur Verhinderung künftiger Schul-         Bürgerinnen und Bürger in die EU. In einer aktu-
                      deneskalation und damit potenzieller Eurokri-       ellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
                      sen.                                                Ipsos, sehen nur noch 24% der Deutschen in der
                      Zu einer öffentlichen Auswertung der Ergebnisse     EU-Mitgliedschaft klare Vorteile.
                      dieses Frühjahrsgipfels war Michael Roth, euro-     Die sinkende Legitimität der EU bei den Men-
                      papolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfrak-      schen ist langfristig die größte Gefahr für das
                      tion, Ende März in das Büro der FES nach Brüssel    europäische Projekt. Die Bundesrepublik müs-
                      gekommen.                                           se daher klar und deutlich ihre Verantwortung
                      Europa brauche mehr denn je deutliche Signale       übernehmen und jetzt die richtigen Instrumen-
                      besonders der stärksten Mitgliedsländer. Umso       te zur gemeinsamen Stabilisierung der Eurozone
                      beklagenswerter sei, so Roth, die durch die Bun-    vorantreiben.

          Interview
                      Drei Fragen an ... Michael Roth
                      M it g lied des B undesta g es und europapolitischer S precher der
                      S P D - B undesta g sfraktion und M it g lied im A rbeitskreis E uropa der
                      F riedrich - E bert- S tiftun g .

                      Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25.      Hat die gesamteuropäische Solidarität unter der
                      März zur Beendigung der Krise und für zukünftige    Krise gelitten?
                      Krisen des Euroraums ausreichend?                   Mit dem neuen Kampfbegriff „Transferunion“
                      Die Entscheidungen des Gipfels reichen nicht        wird ein zentraler Grundpfeiler der europä-
                      aus. Wir haben es derzeit in einer Reihe von Mit-   ischen Integration in Zweifel gezogen. Die EU
                      gliedsländern mit staatlichen Finanzierungskri-     war, ist und bleibt eine Solidargemeinschaft.
                                                                          Deutschland profitiert als Exportmeister der EU
                                                                          von stabilen Märkten und prosperierenden Part-
                                                                          nerländern. Die Kosten der Krise werden ohne
                                                                          eine Beteiligung der Finanzmarktakteure einsei-
                                                                          tig von den Bürgerinnen und Bürgern getragen.
                                                                          Die Bundesregierung hat die europäischen Part-
                                                                          ner durch Zögern oder Alleingänge verprellt.

                                                                          Sind die neuen Regeln für den Euroraum ausreichend
                                                                          demokratisch legitimiert?
                                                                          Auf Dauer können wichtige Entscheidungen
                      sen zu tun. Zweifelsohne müssen die Haushalte       nicht allein von den Staats- und Regierungschefs
                      konsolidiert werden. Das schafft man aber nicht     gefällt werden. Der intergouvernementale An-
                      allein mit Einsparungen. Wir brauchen nachhal-      satz, der maßgeblich von Bundeskanzlerin Mer-
                      tiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.        kel betrieben wird, macht die EU weder demo-
                      Die konservative Mehrheit der Staats- und Regie-    kratischer noch solidarischer. Das Europäische
                      rungschefs handelt sehr ideologisch.                Parlament und der Deutsche Bundestag müssen
                                                                          eingebunden werden.

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INFO SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
SCHWERPUNKT              

Währungskrise oder                                                                                          Expertengespräch

Staatsschuldenkrise?
D eutsch - F ranz ö sische S ichtweisen

Ein Blick auf die Geschichte der europäischen Ge-     Euro-Ländern jedoch, dass sie hohe Staatsschul-
meinschaftswährung zeigt: Seit ihrer Einführung       den haben, die sich in einigen Fällen an den Fi-
sind die Inflationsraten in den Euro-Ländern          nanzmärkten nicht mehr oder nur noch schwer
niedriger als selbst in Deutschland zu Zeiten der     refinanzieren lassen. Der stellvertretende Vorsit-
D-Mark, und auch ihr Außenwert ist gegenüber          zende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß
dem US-Dollar (1 Euro = ca. 1,40 $) gegenwärtig       stellte in einem Expertengespräch über „Krise
etwa so stark wie vergleichsweise jener der D-Mark    des Euro, Krise Europas? Deutsch-Französische
zu ihren besten Zeiten. Auch fallen innerhalb des     Sichtweisen“, das die französische Stiftung Jean
Euro-Raums keine Umtauschkosten mehr an,              Jaurès und das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung
und Importeure wie Exporteure müssen sich hier        am 2. Februar in Paris veranstalteten, denn auch
nicht vor Wechselkursschwankungen hüten. Ei-          fest: „Ich finde es angemessener, zunächst einmal
gentlich müssten die Mitgliedsländer der Euro-        von einer Staatsschuldenkrise einzelner Staaten
Zone wirtschaftlich stabil und wohlhabend sein.       zu sprechen.“
Spätestens seit dem sogenannten Rettungspaket         Deshalb widersprach er auch der These „Scheitert
für Griechenland im Mai 2010 weiß man, dass           der Euro, scheitert Europa“: „Auch wenn es die
dies nicht der Fall ist. Dabei stellt sich die Lage   gemeinsame Währung nicht gäbe oder sie zer-
unterschiedlich dar: In Griechenland und Portu-       bräche, bliebe unendlich viel an in Jahrzehnten
gal ist die Industrie wenig entwickelt und überal-    geschaffenen Gemeinsamkeiten in Europa.“
tert, und die Staatsausgaben waren                                                                          Betonte die europä-
                                                                                                            ischen Gemeinsam-
hier in den letzten Jahren übermä-                                                                          keiten: Der stellver-
ßig hoch; Irland und Spanien er-                                                                            tretende Vorsitzende
                                                                                                            der SPD-Bundestags-
lebten einen irrwitzigen Bauboom,                                                                           fraktion Joachim
bis die Immobilienblase platzte, und                                                                        Poß am 2. Februar
                                                                                                            in Paris.
die Rettung der Banken und Spar-
kassen die Staatsfinanzen ruinierte;
Belgien wiederum hat zwar seit Mo-
naten keine Regierung mehr, aber
seine zwei Staatsvölker teilen sich
neben einem König einen großen
Schuldenberg. Gemeinsam ist allen

Im Geiste des Elysée-Vertrages                                                                              Kolloquium

D eutsch - franz ö sisches Tandem st ä rken

Am 22. Januar, dem Jahrestag des 1963 von             ische Krise“ zu diskutieren.
Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident           Weit über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast unter-     folgten den Beiträgen der Prominenz: auf franzö-
zeichneten Freundschaftsvertrag zwischen bei-         sischer Seite u.a. Michel Rocard, ehem. Premier-
den Ländern, luden der französische politische        minister, Hubert Védrine, ehem. Außenminister,
Club „Inventer à gauche“ und die FES-Paris zu ei-     Michel Destot und Roland Ries, Bürgermeister
ner öffentlichen Veranstaltung in Straßburg ein,      von Grenoble bzw. Straßburg, und Catheri-
um gemeinsam mit führenden Politikern der             ne Tasca, Vize-Präsidentin des Senats, und auf
Parti socialiste und der SPD, mit Gewerkschaf-        deutscher Seite Herta Däubler-Gmelin, ehem.
tern und Vertretern politscher Gruppierungen          Justizministerin, Günter Gloser, SPD-MdB, Axel
über „Frankreich, Deutschland und die europä-         Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-

                                                                                           1 / 2 0 1 1              I N F O         FES
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     SCHWERPUNKT

                     Bundestagsfraktion, und Dieter Schulte, stellver-   um darin überein, die Zusammenarbeit zwi-
                     tretender Vorsitzender der FES und ehem. Vorsit-    schen Deutschland und Frankreich zu vertiefen,
                     zender des DGB.                                     weil ein Ausweg aus der Krise Europas ohne den
                     Ganz im Geiste des Élysée-Vertrages stimmten        deutsch-französischen Motor kaum denkbar
                     Vortragende und Publikum auf dem Kolloqui-          wäre.

           Umfrage
                     In Grosser Sorge
                     M einun g en zur L ö sun g der S taatsschuldenkrise
                     Die Staatschuldenkrise bedrückt die Menschen        Griechenland oder Irland“ antworteten nahezu
                     nicht nur in Griechenland, Irland und Portugal.     zwei Drittel der befragten Franzosen und immer-
                     Auch in den beiden in Europa führenden Wirt-        hin knapp die Hälfte der Deutschen mit „ja“.
                                                                                                            Allgemein
                                                                                                            sprachen sich
                                                                                                            Deutsche und
                                                                                                            Franzosen
                                                                                                            deutlich für
                                                                                                            eine Senkung
                                                                                                            der Ausgaben
                                                                                                            des    Staates
                                                                                                            und der Ge-
                     schaftsnationen Deutschland und Frankreich          bietskörperschaften aus, um die hohen öffent-
                     sieht man die Entwicklung mit großer Sorge.         lichen Defizite abzubauen.
                     Dies zeigte eine gemeinsam von der Fondation
                     Jean Jaurès und der FES-Paris in Auftrag gegebene   E rgebnisse
                     Umfrage, bei der vom 3. bis 9. Dezember 2010 im     Alle Ergebnisse der Umfrage sind in der Studie
                     Internet eine national repräsentative Stichprobe    „Die Euro-Krise und die Wirtschaftslage aus
                     von jeweils rund 8oo Personen in Frankreich         deutsch-französischer Perspektive“
                     und Deutschland erhoben wurde. Auf die Fra-         zusammengefasst:
                     ge, ob ihr Land „in den nächsten Monaten oder       www.fesparis.org/common/pdf/
                     Jahren die gleiche Situation erleben könnte wie     publications/79(D).pdf

        Kolloquium
                     Schuldenprobleme nicht im Griff?
                     europ ä ische W irtschaftsre g ierun g nicht erkennbar
                     Während die Industrieländer in der Regel hohe       In der Podiumsdiskussion, die von der Vizepräsi-
                     Schulden haben, sind die Schwellenländer meist      dentin der französischen Nationalversammlung
                     nur gering verschuldet oder verfügen sogar über     Elisabeth Guigou moderiert wurde, ging es vor
                     bedeutende Überschüsse. Kaum etwas vermag           allem darum, wie man die hohen Schulden in
                     mehr zu verdeutlichen, wie sich die Gewichte in     der Euro-Zone wieder senken könnte. Von den
                     der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten       Teilnehmern war niemand davon überzeugt,
                     verschoben haben. Dies kann für die Rolle Eu-       dass das Sorgenkind Griechenland es schaffen
                     ropas in der internationalen Politik nicht ohne     könnte, durch knüppelhartes Sparen, ein dau-
                     Folgen sein. Daher luden die FES-Paris und ihr      erhaft hohes Wirtschaftswachstum zu erreichen
                     langjähriger Partner, der Reflexionskreis „Euro-    oder gar mit wiederholten Rettungsaktionen
                     partenaires“, dazu ein, das Thema „Die Zukunft      – vor allem durch Deutschland und Frankreich –
                     Europas in der Global Governance“ auf einem         sein Schuldenproblem in den Griff bekommen
                     Kolloquium am 31. März 2011 in Paris zu erör-       könnte. Wolfgang Münchau, Mitgründer der
                     tern.                                               Financial Times Deutschland, betonte, dass das

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SCHWERPUNKT      

auf dem EU-Gipfel im März vereinbarte Gesamt-        fraktion, wies auf die Frage eines Teilnehmers in
paket gegen die Euro-Schuldenkrise erst ab 2013      der anschließenden Diskussion, ob eine europä-
zur Vermeidung künftiger Krisen wirksam wäre         ische Wirtschaftsregierung hier helfen könnte,
und zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise          darauf hin, dass deren Gestalt überhaupt noch
nicht beitragen könne. Carsten Schneider, haus-      nicht erkennbar sei.
haltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestags-

Marktsteuerung von                                                                                        Workshop

Staatsverschuldung
B anken m ü ssen verluste tra g en k ö nnen

Die Eurogruppenländer haben mit dem „Ret-            tigt neben einem Regelwerk für geordnete Insol-
tungsschirm“ gewaltige Summen bereitgestellt,        venzen eine glaubhafte Gläubigerbeteiligung bei
um Schuldenkrisen in ihrer Mitte zu entschärfen      Überschuldungssituationen. Dazu müssen pri-
und Märkte zu beruhigen. Die Möglichkeiten           vate Gläubiger, allen voran Banken und andere
und die Voraussetzungen einer Bewältigung von        Finanzinstitutionen, in die Lage versetzt werden,
Staatsschuldenkrisen mit Hilfe von Marktme-          Verluste tragen zu können, damit nicht in jedem
chanismen, wurden in einem Experten-Work-            Krisenfalle die Staaten und damit letztlich die
shop in Berlin analysiert. Dabei hat sich gezeigt,   Steuerzahler zur „Rettung“ gezwungen sind.
dass Haushaltsdisziplinierung über eine stärkere
Marktsteuerung durchaus effektiv sein kann.          M ehr zum T hema
Doch um gesamtwirtschaftlich zu sinnvollen Re-       Christian Deubner:„Staatsverschuldung zügeln
sultaten zu führen, bedarf es anderer als der der-   mit Hilfe der Märkte: Instrumente und Verfahren“,
zeit gegebenen Voraussetzungen – eine effektive      WISO direkt –
Marktsteuerung staatlicher Verschuldung benö-        http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07719.pdf

A x el W eber beim M ana g erkreis                   daraus: Nicht nur die öffentlichen Haushalte         Kurz notiert
Die deutsche Volkswirtschaft habe sich im letzten    müssten ins Lot gebracht werden, analysierte der
Jahr vom Schlusslicht zur Wachstums-Lokomo-          Spitzenbanker, auch das wirtschaftspolitische
tive im Euro-Raum entwickelt. „Aber wir dürfen       Rahmenwerk der Währungsunion bedürfe der
nicht in Euphorie verfallen“, betonte Bundes-        Überarbeitung.
bankpräsident Prof. Axel Weber am 18. Januar
vor dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stif-       S eminar in L ondon
tung in Frankfurt. Wenige Wochen später gab er       Unmittelbar nach den Landtagswahlen in Ba-
überraschend bekannt, dass er sein Amt bei der       den-Württemberg und Rheinland-Pfalz analy-
Deutschen Bundesbank zum 30. April aufgeben          sierte der Bundestagsabgeordnete Dr. Carsten
wird.                                                Sieling, bei einem Seminar des FES-Büros Lon-
Der frühere Volkswirtschaftsprofessor und „Wirt-     don und des britischen Think Tanks “The Fabian
schaftsweise“, der sich im vergangenen Jahr          Society” die Zukunft der Eurozone. Die Eurozo-
gegen den Kauf von Anleihen überschuldeter           ne brauche dringend weitreichende Reformen,
Staaten ausgesprochen hatte, beurteilt die in-       um die Krise zu bewältigen. Der ehemalige
ternationale Finanzmarktentwicklung kritisch.        britische Regierungsberater Lord Roger Liddle
Die fundamentalen Prinzipien der Währungs-           bescheinigte den Mitgliedsstaaten der Eurozo-
union seien bei den Stabilisierungsmaßnahmen         ne bisher überzeugend auf die Krise reagiert zu
für Griechenland und Irland erheblich strapa-        haben. Die europäischen Mitte-Links Parteien
ziert worden und die Krise habe beträchtliche        müssten sich allerdings für eine Alternative zu
Schwachstellen im institutionellen Gefüge der        der vorherrschenden „Hysterie der „Sparpolitik“
Währungsunion offen gelegt. Die Konsequenz           einsetzen.

                                                                                           1 / 2 0 1 1          I N F O   FES
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10    SCHWERPUNKT

           Analyse
                     Realwirtschaft als Massstab für
                     die Finanzwirtschaft
                     V er g leich internationaler F inanzkrisen

                     Das Bretton-Woods-System lieferte nach dem           staatliche Haushaltsdefizite senken zu wollen,
                     2. Weltkrieg den stabilen institutionellen Rah-      wenn man dabei die innereuropäischen und
                     men für den wirtschaftlichen Wiederaufbau            globalen makroökonomischen Ersparnis- und
                     Westeuropas und Japans. Die USA unterstützten        Investitionsungleichgewichte außer Acht lässt.
                     dieses Währungssystem durch den Marshall-            Zur Überwindung der Ungleichgewichte und
                     Plan und die Weltbank, während amerikanische         Stärkung der Wachstumskräfte ist eine zeitwei-
                     Firmen Europa und der übrigen Welt das erfor-        lige Erhöhung der staatlichen Verschuldung
                     derliche Kapital und Know-How zur Verfügung          unvermeidlich. Nicht nur zur Vermeidung von
                     stellten. Das Bretton-Woods-System endete im         Finanzkrisen, sondern auch zur Stärkung der
                     August 1971 mit der Aufgabe der Konvertibili-        Leistungsfähigkeit der Wirtschaften und der Aus-
                     tät des US-Dollar in Gold. Mit dem Ende dieses       weitung der Beschäftigung sollte die Dominanz
                     Systems, das u.a. auf Kapitalverkehrskontrol-        des finanzwirtschaftlichen Regimes gebrochen
                     len beruhte, begann das moderne Zeitalter der        werden. Die Realwirtschaft sollte wieder zum
                     Schulden-, Finanz- und Immobilienkrisen. Im          Maßstab für die Finanzwirtschaft werden.
                     vorliegenden Beitrag der Internationalen Poli-
                     tikanalyse werden die Ursachen und Verläufe          D ie analyse
                     ausgewählter Schulden- und Finanzkrisen re-          Werner Kamppeter; „Internationale Finanzkrisen
                     konstruiert. Diese erlauben Lehren für das Kri-      im Vergleich, Lehren für das aktuelle Krisenmanage-
                     senmanagement auf der innereuropäischen und          ment“, IPA März 2011 – http://library.fes.de/
                     globalen Ebene. So ist es sinnlos und gefährlich,    pdf-files/id/ipa/07932.pdf

  Bestandsaufnahme
                     Drei einfache Regeln
                     S trate g ien zur R e g ulierun g der F inanzm ä rkte

                     Mit sarkastischen Seitenhieben auf seine Kolle-      zur Absicherung der Energiewende würden, so
                     gen aus der Zunft der Ökonomen amüsierte Prof.       Flassbeck, die Gefahren immer wiederkehrender
                     Heiner Flassbeck, Chefökonom der Sonderorga-         Schocks auf den Weltmärkten minimieren.
                     nisation der Vereinten Nationen zu Handel und        Dennoch: Nur zwei Jahre nach der Finanz- und
                     Entwicklung (UNCTAD), seine Zuhörer am 3.            Wirtschaftskrise, die weltweit ein unvorstellbar
                     März im großen Hörsaal der Universität Freiburg.     großes Vermögen zerstört, viele Menschen um
                     Deren Glaube in das quasi automatische Funkti-       ihre Rente gebracht und insgesamt 35 Millio-
                     onieren des Marktes ist seiner Ansicht schuld        nen Arbeitsplätze gekostet hat, sind Politik und
                     daran, dass die weltweite Spekulation an den Fi-     Wirtschaft wieder zu „business as usual“ über-
                     nanzmärkten ausgeufert ist.                          gegangen. An den Aktienbörsen werden wieder
                     Drei einfache Regeln, auf die sich die Weltge-       Milliarden „verdient“, riskante Papiergeschäfte
                     meinschaft einigen könnte, und die Spekula-          getätigt, die unter anderem die Nahrungsmittel-
                     tion auf den globalen Finanzmärkten wäre am          preise in die Höhe treiben. Was hat das Treiben
                     Ende: die Trennung der Bankengeschäfte in die        an den Finanzmärkten, an denen milliarden-
                     traditionelle Bankentätigkeit auf der einen und      schwere Spekulanten ganze Rohstoffreserven
                     die Spekulationsgeschäfte auf der anderen Sei-       und Währungen eines Landes in Sekunden auf-
                     te, die als solche gekennzeichnet, nicht mehr        kaufen können, um sie zu horten, bis sie damit
                     mit geborgtem Geld ins „Casino“ gehen dürfen;        den Preis nach oben getrieben haben, noch mit
                     ein System der Anpassung der weltweiten Wäh-         Marktwirtschaft zu tun? Nichts, sagt der Chefö-
                     rungskurse und schließlich die Stabilisierung der    konom, nur mit Zocken.
                     Preise für die wichtigsten Energieträger wie Erdöl

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SCHWERPUNKT         11

Drei Fragen an ... Stefan Collignon                                                                         Interview

P rofessor an der S cuola S uperiore , S ant ‘ A nna , P isa ,
und Gastprofessor an der U niversit ä t H ambur g .

Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25.        trolle durch die Bürger unterliegt. Dies bedeutet,
März zur Beendigung der Krise und für die Bewälti-    dass das Europäische Parlament über das Europä-
gung zukünftige Krisen des Euroraums ausreichend?     ische Gesamtinteresse entscheiden muss.
Nein. Die Finanzmärkte werden nicht stabili-          Zweitens muss die Gesamtposition aller natio-
siert, da der nationalistische Autismus der Bun-      nalen Haushalte nach wirtschaftlichen und kon-
desregierung eine Ausstattung des Europäischen        junkturellen Gesichtspunkten auf Euro-Ebene
Stabilitätsmechanismus mit hinreichender Li-          festgesetzt werden.
quidität verhindert. Die Haushaltspolitik wird
zum Abbau des Sozialstaates verkürzt, ohne dass
die Folgen für Wachstum und Beschäftigung be-
rücksichtigt werden. Der Wettbewerbspakt stärkt
die Starken und wird wenig zur Beseitigung inner-
europäischer Ungleichgewichte beitragen.

Gibt es an der aktuellen Krise auch positive Seiten
– sind die Geburtsfehler von Maastricht nun über-
wunden?
Positiv ist, dass man erstmals seit zehn Jahren       Drittens sollte ein europaweiter Diskussionskon-
über eine Europäische Wirtschaftsregierung re-        text über regionale und sektorale Lohnentwick-
det. Allerdings sind Merkels Vorstellungen da-        lungen hergestellt werden und
von vordemokratisch. Das demokratische Defizit        viertens, müssen die zerstückelten nationalen
wird vertieft, die Bürger haben keine Möglichkeit     Anleihemärkte durch Eurobonds integriert wer-
zwischen Alternativen der europäischen Wirt-          den.
schaftspolitik zu wählen.
Wie sieht ihrer Meinung nach eine hilfreiche Ge-      M ehr zum T hema
samtarchitektur der Wirtschafts- und Währungsu-       Stefan Collignon: Demokratische Anforderungen an
nion aus?                                             eine europäische Wirtschaftsregierung, Internatio-
Erstens braucht Europa eine echte Wirtschaftre-       nale Politikanalyse
gierung, die einer vollen demokratischen Kon-         http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07712.pdf

„Intelligenz-Gen“ einbauen                                                                                  Diskussionsrunde

konstruktion eines paktes f ü r stabilit ä t

An dem Ziel einer erhöhten Stabilität im Eu-          eine europäische Wirtschaftsregierung mit ihren
roraum und der Verminderung starker wirt-             Brüsseler Gesprächspartnern zu diskutieren.
schaftlicher Ungleichgewichte zwischen einzel-        Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl europä-
nen Euroländern gab es keinen Zweifel unter den       ischer Regierungen anstelle der Stärkung der Bin-
Teilnehmern einer öffentlichen Veranstaltung          nennachfrage am Mantra der Exportüberschüsse
des FES-Europabüros zu wirtschafts- und finanz-       festhielte. Bei der konkreten Konstruktion eines
politischen Fragen der Europapolitik. Während         Paktes für mehr Stabilität müsse daher ein starkes
eines Besuchs nahmen Garrelt Duin, wirtschafts-       „Intelligenz-Gen“ vor allem für die Staatsausga-
politischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion       ben eingebaut werden. Aktuell noch wichtiger als
und Udo Bullmann, Koordinator der SPD-Frak-           die mittelfristigen Fragen einer künftigen Wirt-
tion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung          schaftsregierung wurden die Reformen zur Regu-
des Europäischen Parlaments, die Gelegenheit          lierung der Finanzmärkte betont. Zu deutlich ist
wahr, über Aspekte der künftigen Reformen für         die Rückkehr zu einem „business as usual“.

                                                                                           1 / 2 0 1 1            I N F O      FES
12    SCHWERPUNKT

        Publikation
                       Wer rettet die Retter?
                       F ü r eine N euausrichtun g der W irtschaft

                       Eine saubere Umwelt, Gleichberechtigung und          Beispiel durch die steigende Verschuldung von
                       Gerechtigkeit, Stabilität und Wachstum, Dyna-        Staaten.
                       mik und soziale Sicherheit, Produktivität, gute      Viele Bücher wurden über die Krise selbst
                       Arbeit und Wohlstand – all das steht auf der         geschrieben.„Wer rettet die Retter?“, fragt da-
                       Wunschliste für das ideale Wirtschaftsmodell.        gegen ein neues Buch der FES: Der Vertreter der
                       Nicht erst seit der jüngsten Krise sieht die Rea-    Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm, Christian
                       lität deutlich anders aus: Instabilität, drohende    Kellermann, entwickelt zusammen mit den Ber-
                       Staatsbankrotte, marode Finanzunternehmen,           liner Ökonomen Sebastian Dullien und Hansjörg
                       Kurzarbeit, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosig-     Herr nicht nur einen nachhaltigen Weg aus der
                       keit, eine immer weiter auseinanderklaffende         Krise, sondern auch eine Blaupause zur sozialen
                       Einkommensschere und Umweltkatastrophen              und ökologischen Reform unserer Wirtschafts-
                       sind dagegen die ernüchternde Bilanz in vielen       modelle – um künftig klüger, gerechter und lang-
                       Ländern. Global betrachtet sind es vor allem die     fristiger zu wirtschaften.
                       großen Ungleichgewichte bei Handel und Finan-
                       zen zwischen Asien, Europa und Amerika, die für      D as B uch
                       beträchtliche Spannungen sorgen. Durch die           Decent Capitalism – A Blueprint for Reforming our
                       Krise haben sich so manche Verzerrungen entla-       Economies, Pluto Publishers, London
                       den, es sind aber auch neue entstanden, wie zum

            Tagung
                       Löhne müssen steigen
                       K ocheler K reis zu P roblemen des E uro

                       Auch der Kocheler Kreis für Wirtschaftspolitik       ze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
                       hat sich auf seiner diesjährigen Wintertagung        Prof. Dr. Heiner Flassbeck von UNCTAD in Genf
                       mit den Problemen innerhalb der Euro-Zone be-        und Friederike Spiecker, freie Wissenschaftlerin
                       schäftigt. Prof. Dr. Peter Spahn von der Universi-   und Publizistin, wiesen darauf hin, dass ohne
                       tät Hohenheim plädierte u.a. für die Einführung      eine stärkere lohnpolitische Koordinierung
                       von gemeinsamen Euro-Bonds bis zu einer Gren-        und vor allem ohne stärker steigende Löhne
                                                                            in Deutschland, die makroökonomischen Un-
                                                                            gleichgewichte innerhalb der Euro-Zone nicht
       Kurze notiert   W orkshops zur F inanzkrise                          nachhaltig überwunden werden können. Dr.
                       Zwei Mal im Jahr heißt es in Hamburg beim Juli-      Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundes-
                       us-Leber-Forums der FES „Wirtschaft verstehen“.      angelegenheiten, Europa und Medien des Landes
                       Die Workshops vermitteln die Auswirkungen            Nordrhein-Westfalen wies darauf hin, dass es an
                       die Finanz- und Wirtschaftskrise, machen Hin-        der Zeit sei, weitere Schritte in Richtung einer
                       tergründe deutlich und entwickeln eigene Vor-        politischen Union in Europa zu gehen, um die
                       stellungen wie mit den Folgen der Krise umge-        Defizite der Währungsunion zu überwinden. Die
                       gangen werden kann..Während der Rahmen               Krise in der Euro-Zone könne nur gemeinsam be-
                       der Veranstaltung mit einem Börsen-Planspiel,        wältig werden.
                       Hintergrundinformationen, einem Experten-In-
                       put und Arbeitsgruppen gleich bleibt, wird der       M ehr zum T hema
                       inhaltliche Schwerpunkt an die jeweils aktuelle      Peter Spahn: „Die Schuldenkrise der Europäischen
                       Lage angepasst. So ging es in den letzten beiden     Währungsunion“, WISO-direkt http://library.fes.
                       Workshoptagen Ende 2010 und im Frühjahr 2011         de/pdf-files/wiso/07686.pdf
                       vermehrt um die Frage, wie aus der Finanzkrise       Michael Dauderstädt: „Staatsgläubigerpanik ist
                       in einzelnen Ländern eine Staatskrise werden         keine Eurokrise!“ WISO direkt
                       konnte.                                              http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07795.pdf

FES   I N F O          1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT             13

Einsichten über Europa                                                                                      Buchpräsentationen

P eer S teinbr ü ck und K laus H ä nsch auf der L eipzi g er B uchmesse

Mit mehreren Veranstaltungen beteiligte sich die     tinent der Hoffnungen – Mein europäisches
Friedrich-Ebert-Stiftung am Rahmenprogramm           Leben“, das er ebenfalls zur Buchmesse präsen-
der Leipziger Buchmesse am 18. und 19. März.         tierte. Hänsch räumte im Gespräch mit der Leip-
Vor etwa 450 Zuhörern stellte Peer Steinbrück        ziger Europaabgeordneten Constanze Krehl ein,
sein Buch „Unterm Strich“ im Festsaal des Alten      dass noch immer vieles, was in der EU erarbeitet,
Rathauses vor. Der ehemalige Bundesfinanzmi-         diskutiert und beschlossen werde, den meisten
nister äußerte sich im Podiumsgespräch mit dem       Bürgern verschlossen bliebe.
Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung Bernd                                                              Optimistisch in
Hilder optimistisch zur Zukunft des Finanzwe-                                                               Bezug auf das
                                                                                                            Finanzwesen: Der
sens in Europa. Trotz einer Konjunktur- und Fis-                                                            ehemalige Finanz-
kalkrise gebe es keine tiefgehende Eurokrise, son-                                                          minister Peer Stein-
                                                                                                            brück in Leipzig.
dern lediglich Probleme bei der Refinanzierung
                                                                                                            (Foto: Waldek)
einzelner europäischer Länder. Da Deutschland
vom Euro profitiere sei es von nationalem In-
teresse, die europäische Integration im ökono-
mischen wie politischen Sinne voranzutreiben.
Die Bilanz seiner Zeit als Mitglied und Präsi-
dent des Europäischen Parlaments stellte Klaus
Hänsch in den Mittelpunkt seines Buches „Kon-

Neues Jahrzehnt, neues Europa                                                                               Debattenreihe

H aushalt entscheidet ü ber die Z ukunft

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise be-      Nietan diskutierten. Man war sich einig, dass nur
finden sich weder der europäische Haushalt noch      durch verbesserte Strategien der europäischen
der europäische Arbeitsmarkt in einer stabilen       Zusammenarbeit neue Stabilität herbeizuführen
Lage. Viele Mitgliedsstaaten fordern daher einen     ist. „Der Haushalt muss so konstruiert werden,
restriktiveren Ansatz zum EU-Budget, obwohl sie      dass eine Hebelfunktion entsteht, mit der Kapital
der Union mit dem Lissabon-Vertrag im Rahmen         angelockt wird,“ stellte Danuta Hübner zunächst
der Europa 2020 Strategie neue Kompetenzen ge-       klar. Es sei an der Zeit, dass sich Europa ein kon-
geben hatten. Gleichzeitig wirken die Verhand-       kretes eigenes Solidaritätsmodell ausdenke, be-
lungen zum EU-Haushalt für die Mehrheit der          tonte Lamassoure. Das derzeitige Budgetmodell
Bürger wie ein Kuhhandel um einzelstaatliche         verleite stark zu Egoismen nach dem Motto “I
Interessen, anstatt sich an den Bedürfnissen eu-     want my money back!“
ropäischer Bürger zu orientieren.                    „Der Haushalt wird über die Zukunft Europas
Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Fried-      entscheiden“, fasste Nietan zusammen und for-
rich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Debattenrei-       derte, nicht länger nur über Probleme der Umver-
he „Neues Jahrzehnt, neues Europa“ in Warschau       teilung zu sprechen, sondern gemeinsame euro-
gemeinsam mit dem französischen Kulturzent-          päische Ziele in den Vordergrund zu rücken. Als
rum und der Stiftung „Centrum im. Profesora          Beispiel nannte er die Mittel aus dem Agrarhaus-
Bronisława Geremka” am 24. Januar eine De-           halt – es sei ein Fehler, diese für Subventionen zu
batte zum Thema „Das EU Budget in Zeiten der         verwenden, anstelle in nachhaltige Landwirt-
Krise“, das der EU-Haushaltskommissar Janusz         schaft zu investieren. Die Herausforderungen
Lewandowski, der Vorsitzende des Haushaltsaus-       an die EU-Budgetplanung bleibe allerdings eine
schusses, Alain Lamassoure, die Vorsitzende des      Gratwanderung: „Wir dürfen uns nicht kaputt
Ausschusses der Regionen, Danuta Hübner und          sparen: Die EU braucht nachhaltige Ziele und
der deutsche Bundestagsabgeordnete Dietmar           gleichzeitig einen disziplinierten Haushalt.“

                                                                                           1 / 2 0 1 1              I N F O        FES
14    SCHWERPUNKT

                Studie
                         Das Schlachten heiliger Kühe
                         D as P rojekt einer E U - S teuer

                         Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ha-         die Bürgerinnen und Bürger, überprüfte Begg
                         ben mit der Zehnjahresstrategie „Europa 2020“          verschiedene Möglichkeiten für eine EU-Steuer:
                         politische Prioritäten für ein „intelligentes, nach-   eine europäische CO2- oder Energiesteuer, eine
                         haltiges und integratives Wachstum“ gesetzt.           Körperschaftssteuer und eine Finanztransakti-
                         Diese Strategie steht wesentlich unter dem Ein-        onssteuer.
                         druck der Wirtschaftskrise. Sie soll Europa aus        Die Ergebnisse der Studie wurden im Februar
                         seiner Rezession helfen und langfristig im in-         und März in Berlin und Brüssel vorgestellt.
                         ternationalen Wettbewerb stärken. Allerdings           An den Diskussionen nahmen unter anderem
                         ist die Stärkung von Wissen und Innovation,            der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück,
                         die Förderung einer emissionsarmen und res-            die Europaabgeordnete Jutta Haug, der pol-
                         sourcenschonenden Wirtschaft sowie die Un-             nische EU-Botschafter Jan Tombinski sowie
                         terstützung des sozialen und territorialen Zu-         Marc Lemaître, Kabinettsschef des EU-Haus-
                         sammenhalts in der EU auch mit erheblichen             haltskommissars teil.
                         Investitionen verbunden.                               Es wurde der Bedarf betont, die Einnahmeseite
                                                                                                transparenter und demokra-
                                                                                                tischer zu machen – ein Ziel, für
                                                                                                das sich vor allem das Europä-
                                                                                                ische Parlament einsetzt. Dort
                                                                                                findet die Idee einer Finanz-
                                                                                                transaktionssteuer bereits eine
                                                                                                breite Mehrheit.
                                                                                                Resümierend stellte Begg fest,
                                                                                                dass es nie die ideale EU-Steu-
                                                                                                er geben wird, da es bei einer
                                                                                                Einführung immer in gewissem
                         Der EU-Haushalt ist daher ein zentrales Element        Maße Gewinner und Verlierer gäbe. Er wies aller-
                         zur Umsetzung dieser europäischen Prioritä-            dings darauf hin, dass in den vergangenen zwölf
                         ten. Aktuell beträgt sein Gesamtvolumen etwa           Monaten schon „viele heilige Kühe geschlach-
                         ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleis-          tet wurden“. Als politisch machbarsten Weg
                         tung. Alimentiert wird der Haushalt zu 85 Pro-         schlägt Begg daher vor, eine EU-Steuer zunächst
                         zent aus direkten Einzahlungen der Mitglied-           in begrenztem Rahmen einzuführen, etwa eine
                         staaten. Die Wirtschaftskrise hat nun in vielen        Luftverkehrsabgabe. Dabei ließe sich ein klarer
                         Mitgliedstaaten der EU zu einer weitgehenden           europäischer Bezug erkennen, die Belastung und
                         Einschränkung haushaltspolitischer Spielräume          damit die Verzerrungen blieben gering und die
                         geführt. Für die anstehenden Verhandlungen             Besteuerungs-Souveränität der Mitgliedsländer
                         eines neuen Finanzrahmens für die EU (2014-            würde dadurch nicht in Frage gestellt. Mittel-
                         2020) steht damit mehr denn je die Nettozahler-        fristig könnte man so zu einem neuen Finanzie-
                         frage im Vordergrund. Eine Mittelausstattung,          rungsmodell für die EU-Politik gelangen.
                         die den politischen Prioritäten der EU gerecht
                         werden kann, zeichnet sich nicht ab.                   M ehr zum T hema
                         Vor diesem Hintergrund untersuchte Iain Begg,          Kurzfassung der Studie in deutsch: Eine EU-Steuer:
                         Professor an der London School of Economics,           überfällige Reform oder föderalistische Fantasie?
                         in einer Studie für die FES, wie das Einnahmen-        http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07848.pdf
                         system der EU mit einer echten eigenen EU-Ein-
                         nahmequelle reformiert werden könnte, um               Ebenfalls zum Thema:
                         den Haushalt stärker von den Überweisungen             Sebastian Petzold (12/2010): Geld für Europa:
                         der Mitgliedstaaten zu entkoppeln. Mithilfe            Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und Refor-
                         verschiedener Kriterien, wie etwa der Einnah-          moptionen für die EU-Eigenmittel
                         menstabilität oder der Belastungsgleichheit für        http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07708.pdf

FES   I N F O            1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT     15

Eurokrise falsch beurteilt?                                                                                 Analyse

V ierfacher K urswechsel zur Überwindun g der K rise
Als „Irrweg“ bezeichnen der ver.di-Bereichs- • die Koordinierung von Lohn-, Steuer- und
leiter für europäische Wirtschaftspolitik Dierk          Sozialpolitiken in der EU;
Hirschel und der europapolitische Berater der • ein gemeinsames Regelwerk für die Finanzie-
Gewerkschaft, Klaus Busch, in einer Analyse der          rung der Staatsschulden.
FES die im Vertrag von Maastricht festgelegte Nur ein solch umfassender, vierfacher Kurswech-
Architektur einer gemeinsamen Währung ohne sel könne, so Hirschel und Busch, zur Korrektur
politische Union. Auch die Antworten der Politik der Fehler von Maastricht führen und die wach-
auf die Eurokrise beruhen aus ihrer Sicht auf Irr- sende Legitimationskrise der EU in der Krise
tümern: Fälschlicherweise werde die explodierte überwinden.
Staatsverschuldung auf eine angeblich zu laxe
Ausgabenpolitik zurückgeführt,
die Verantwortung für die Leis-                    Krise und Staatsverschuldung
tungsbilanzungleichgewichte                                  Haushaltsdefizit          Schuldenquote
würde einseitig bei der Lohnpo-
                                                              (in  %   des  BIP)             (in %)
                                                                     2010              2007        2010
litik der Defizitländer gesucht      Griechenland                     -9,5              99,2      140,2
und die Kapitalmärkte seien          Irland                         -32,3               25,0        84,1
immer noch weitgehend unre-          Spanien                          -9,3              36,1        97,4
guliert. Tatsächlich wurzele der     Portugal                         -7,3              62,7        82,8
Anstieg der Staatsverschuldung       Italien                          -5,0            112,0       118,9
                                     Belgien                          -4,8              84,2        98,5
vor allem in den antizyklischen
                                     Frankreich                       -7,7              63,8        83,0
Konjunktur- und Rettungspro-         Deutschland                      -3,7              64,9        75,7
grammen für den Bankensektor,        Eurozone                         -6,3              65,9        84,1
 zu denen die Staaten die globa-     Großbritannien                 -10,5               44,5        77,8
le Wirtschafts- und Finanzkrise      USA                            -11,1               62,1        92,7
gezwungen hat. Daher plädie-         Japan                            -9,6            187,7       225,9
                                     Quelle: EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds (IWF)
ren die Autoren für einen vier-
fachen Paradigmenwechsel und fordern:
• eine europäische Strategie für qualitatives       D ie A nalyse
    Wachstum und Beschäftigung;                     Klaus Busch/Dierk Hirschel (März 2011); Europa
• die Einrichtung einer Europäischen Wirt-          am Scheideweg: Wege aus der Krise
    schaftsregierung;                               http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07930.pdf

Sparen am Sozialen                                                                                          Debatte

D etlev- A lbers F orum „ S oziales E uropa “
Welche Auswirkungen hat die Krise der Staats-        lands, Lettlands, Rumäniens und Islands wurden
haushalte auf den gesellschaftlichen Zusam-          gegenübergestellt. Bis zu seinem Tod war Detlev
menhalt und das Ziel eines Sozialen Europa?          Albers mitverantwortlich für den Kurs der On-
Diese Leitfrage beschäftigte das Detlev-Albers-      line-Publikation „Social Europe Journal“. Leit-
Forum, das aus dem Nachlass des Politikers und       idee war, eine europäische Öffentlichkeit für das
Politikwissenschaftlers bestritten wird. Aus-        gemeinsame Kernanliegen der Sozialdemokratie
gangspunkt der Debatte am 16. und 17. März in        in Europa zu konstituieren: Die Schaffung eines
Berlin war eine Studie der Friedrich-Ebert-Stif-     veritablen „Sozialen Europas“, das neben den
tung zu den Auswirkungen der europäischen            gemeinsamen Binnenmarkt tritt.
Sparprogramme auf die Sozialsysteme. Die Ent-
wicklungstrends der Sparprogramme Deutsch-           I m I nternet
lands, Großbritanniens, Spaniens, Griechen-          http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07890.pdf

                                                                                            1 / 2 0 1 1          I N F O   FES
1      SCHWERPUNKT

      Dialogprogramme
                         UNTEN ANgEKOMMEN
                         DIE EUROPäISCHE KRISE BEI ARBEITNEHMERSCHAFT UND KOMMUNEN

                         Die Themen Arbeitsrechte in Europa sowie                zeigen sich nicht nur in der deutschen Praxis er-
                         die europapolitischen Berührungspunkte von              hebliche Unterschiede zwischen Festangestell-
                         Kommunen und Regionen, waren Gegenstand                 ten und Leiharbeitern innerhalb der gleichen
                         von zwei mehrtägigen Dialogprogrammen des               Betriebe. Die Frist zur Umsetzung der europä-
                         FES-Europabüros in Brüssel, an denen Multi-             ischen Leiharbeitsrichtlinie endet im Dezember
                         plikatorinnen und Multiplikatoren aus sieben            2011. Spätestens dann sollte das deutsche Gesetz
                         Bundesländern teilnahmen. Im Mittelpunkt der            Missbrauch der Leiharbeit beenden. Für die über-
                         Veranstaltungen standen die Auswirkungen der            schuldeten Kommunen Deutschlands bedeu-
                         aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. Arbeitneh-         tet der uneinheitliche arbeitnehmerrechtliche
                         merinnen und Arbeitnehmer erleben großen                Schutz zusätzliche starke finanzielle Belastun-
                         Druck auf die Arbeitsbedingungen, besonders             gen. Auf der Einnahmeseite fehlen die Beiträge
                         hinsichtlich Arbeitszeit, Löhnen und Leiharbeit.        regulärer Arbeitsverhältnisse und auf der Ausga-
                         Die EU hat über die Jahre zwar gewisse Standards        benseite kommen steigende Sozialleistungen für
                         zu Sicherheit und Gesundheitsschutz sowie zu            die Existenzsicherung der prekär Beschäftigten
                         Arbeitsnormen verbindlich erarbeitet. Dennoch           hinzu.

             Interview
                         DREI FRAgEN AN ... gABRIELE BISCHOFF
                         g A B R I E L E B I S C H O F F L E I T E T D E N B E R E I C H E U R O PA P O L I T I K B E I M D g B -
                         B U N D E S V O R S TA N D . S I E I S T M I T g L I E D I M A R B E I T S K R E I S E U R O PA D E R
                         F R I E D R I C H - E B E R T- S T I F T U N g I N B E R L I N .

                         Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25.          visierten Pakt-Maßnahmen – Druck auf die Löhne,
                         März zur Beendigung der Krise und für zukünftige        Infragestellung renten- und sozialpolitischer Leis-
                         Krisen des Euroraums ausreichend?                       tungen – werden dazu führen, dass die Zustim-
                         Die Finanzkrise ist noch nicht überwunden,              mung zum europäischen Projekt weiter sinkt.
                         nach wie vor geben die Finanzmärkte in Europa
                         den Ton an, eine umfassende Krisenprävention            Sind die Sparprogramme in der Eurozone noch
                         findet dementsprechend nicht statt. So steht eine       sozialverträglich?
                         nachhaltige Finanzmarkt-Regulierung immer               Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
                         noch aus, zur Einführung einer Finanztransakti-         der Mitgliedstaaten, die unter die Rettungsmaß-
                         onssteuer gibt es lediglich „Prüfaufträge“.             nahmen fallen, wird Enormes zugemutet: Min-
                                                                                 destlöhne werden reduziert, tarifvertragliche
                         Geht der Trend Ihrer Meinung nach hin zu                Vereinbarungen außer Kraft gesetzt, und Renten
                         mehr oder zu weniger Europa?                            und Sozialleistungen massiv gekürzt. Ergebnis
                         Eine Europäische Währungs- und Wirtschaftsu-            sind steigende Armut und wachsende soziale
                                                         nion wird nicht         Ungleichheit – obgleich klar ist, dass man sich
                                                         geschaffen. Die Eu-     so nicht aus der Krise heraussparen kann. Die
                                                         ro-Plus-Pakt-Ver-       Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten, die sich
                                                         abredungen blei-        dem Pakt angeschlossen haben, sind klar: Die
                                                         ben Sache der           EU-Kommission soll den Lohnpolizisten spielen
                                                         nationalen Regie-       und darauf achten, dass Löhne und Gehälter nur
                                                         rungschefs, weder       moderat steigen, und die Bundeskanzlerin wird
                                                         in der Steuerpoli-      das Spiel „Geld gegen Wohlverhalten“ weiterent-
                                                         tik noch in der So-     wickeln, bis sich die anderen Länder in die deut-
                                                         zialpolitik geht es     schen Maßnahmen wie Schuldenbremse, Aus-
                                                         europäisch voran.       weitung des Niedriglohnsektors und Erhöhung
                                                         Die stattdessen an-     des Rentenalters endgültig fügen.

FES     I N F O          1 / 2 0 1 1
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