INFO SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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INFO 01/2011 SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum 3 VORDENKEN Programm für Europas Sozialdemokratie 17 MITWIRKEN Die Arbeitswelt im Wandel 24 TEILHABEN Integrationsprozesse erfolgreich gestalten 33 VERNETZEN Tunis: Neuanfang in einem befreiten Land 42
Dezember 2010 – Januar – FEBRUAR – März 2011 Inhalt FES-INFO 1/2011 Textbeiträge in dieser Ausgabe Merin Abbass, Yasemin Ahi, Vasyl Andriyko, SCHWERPUNKT Julia Bläsius, Stephanie Böhm, Matthes Tiefere Ursachen der Krise Buhbe, Jochen Dahm, Michael Dauderstädt, Knut Dethlefsen, Claudia Detsch, Simone Makroökonomische Ungleichgewichte in der Euro-Zone....3 Döbbelin, Michael Ehrke, Matthias Eisel, Solidarität in Europa Stefanie Elies, Roland Feicht, Michael Fischer, Finanzkrise und die Konsequenzen Claudia Flohr, Alina Fuchs, Peter Gey, Martin für die Europäische Union..................................................4 Gräfe, Sergio Grassi, Rainer Gries, Björn Hacker, Mirko Hempel, Felix Hett, Silke Währungskrise oder Staatsschuldenkrise? Hillesheim, Kristina Hölscher, Katharina Deutsch-Französische Sichtweisen......................................7 Hofmann, Peter Hurrelbrink, Heinz Albert Das Schlachten heiliger Kühe Huthmacher, Judith Illerhues, Lena Jaschob, Matthias Jobelius, Friederike Kamm, Werner Das Projekt einer EU-Steuer..............................................14 Kamppeter, Türkan Karakurt, Nicole Katsioulis, Christian Kellermann, Helene Gesellschaftliches Engagement�/ Kortländer, Eszter Kováts, Jeanette Ladzik, SOZIALE DEMOKRATIE Susanne Langsdorf, Christina Lauer, Gero Maass, Thomas Mättig, Simone Mayer, Chancen und Stolpersteine Michael Meier, Ralf Melzer, Swetlana Ein gemeinsames Programm Michajlowa, Irina Mohr, Nicole Nestler, Paul für die Sozialdemokratie in Europa...................................17 Pasch, Alexander Petratschkov, Stephan Gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiches Glück? Reichert, Franziska Richter, Susanne Richter, 100 Jahre Internationaler Frauentag . ..............................22 Stefanie Ricken, Horst Schmidt, Michael Schultheiß, Philipp Schultheiss, Günther Einzigartiger Ort der Begegnung Schultze, Markus Schreyer, Thomas FES beim Weltsozialforum 2011.......................................23 Schwandt, Beyhan Sentürk, Sebastian Sperling, Karl-Heinz Spiegel, Stephan WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES Thalhofer, Yvonne Themann, Daniela Turß, Martin Weinert, Frederic Werner, Gaby Veränderungen als Druck Wittpohl, Lothar Witte Der Managerkreis der FES über die Arbeitswelt im Wandel.....................................................24 Chancen für die „Grüne Wirtschaft“? Umbau der Industriegesellschaft in Polen.........................29 Wachstum durch bessere Verteilung Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung................30 impressum INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR Herausgeber: Einstiege eröffnen Friedrich-Ebert-Stiftung Integrationsprozesse erfolgreich gestalten........................33 Kommunikation und Grundsatzfragen Godesberger Allee 149 Probleme sind lösbar D-53175 Bonn Kommunale Verantwortung bei der Telefon: 0228/883–0 Gesundheitsversorgung ..................................................35 Internet: www.fes.de Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk Zukunft?..............40 E-Mail: presse@fes.de Redaktion: Peter Donaiski, EUROPA UND DIE WELT Pressestelle Berlin Hiroshimastraße 17, D-10785 Berlin Neuanfang in einem befreiten Land Telefon: 030/269 35–7038 Das FES-Büro in Tunis.......................................................42 Telefax: 030/269 35–9244 Freundschaft in schwierigen Zeiten E-Mail: peter.donaiski@fes.de Peter Struck und Anke Fuchs in Israel und Palästina ........48 Satz, Layout, Herstellung: Symbol der Versöhnung Publix, H. Eschenbach, Berlin 40. Jahrestag von Willy Brandts Besuch in Polen...............50 Druck: Überfordert und überschätzt? Braunschweig Druck GmbH, Braunschweig Titelgestaltung: Perspektiven der afrikanischen Sicherheitsarchitektur.......60 Wolfgang Rabe, Berlin Partnerschaften ohne Bedeutung Fotos auf den Seiten 17, 24, 33 und 42: Die Strategischen Partnerschaften fotolia.com der EU mit Mexiko und Brasilien .....................................62 Printed in Germany, Mai 2011 Gedruckt auf 90 g matt gestrichen Publikationen ISSN 0942-1351ISSN 0942-1351 Neue Publikationen der FES..............................................64 FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 3 DIE KRISE IM EURORAUM URSACHEN UND LöSUNgSMögLICHKEITEN Im Jahre vier der globalen Finanzkrise schwelt sätze durchgespielt. Dabei wurde deutlich, dass dieser Flächenbrand im Euro-Raum als Staats- der vorherrschende Blick auf die Staatsschul- schuldenkrise weiter. Um Lösungen für die denproblematik und deren scheinbare Lösung Probleme immer höherer Schuldenlasten von allein über mehr Haushaltsdisziplin in die Irre Euro-Mitgliedsstaaten und um Alternativen zu führt. Im Kern handelt es sich bei der Krise um krisenverschärfenden Maßnahmen zu entwi- Probleme der europäischen Integration, die nur ckeln, hat die Abteilung Wirtschafts- und So- über „mehr Europa“, beispielsweise über ein hö- zialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer heres Maß wirtschaftlicher Koordinierung und Reihe von Tagungen, Fachgesprächen und Ana- Kooperation gelöst werden können. lysen verschiedene Diagnose- und Lösungsan- TIEFERE URSACHEN DER KRISE Studie MAKROöKONOMISCHE UNgLEICHgEWICHTE IN DER EURO-ZONE Die Schuldenkrise wurde in kaum einem der eine Konsequenz von Überschuldungsprozessen Krisenländer durch eine unsolide Haushalts- bei den privaten Haushalten und den Banken. politik der Regierung verursacht. Allenfalls Die gesamtwirtschaftlichen Überschuldungs- für Griechenland trifft dies zu, da dort auch in probleme, wie sie jetzt in Irland und Spanien wirtschaftlich guten Zeiten zu wenig Steuern er- auftreten, sind daher kaum mit einer verschärf- hoben und zu viele Staatsausgaben getätigt wur- ten Überwachung und Sanktionierung von Bud- den. Dagegen hatten Irland und Spanien noch getdefiziten und der Staatsverschuldung zu ver- vor Ausbruch der Krise eine äußerst dynamische hindern. Auch ein verschärfter Stabilitäts- und Wirtschaftsentwicklung und sogar Überschüsse Wachstumspakt, wie er auf dem jüngsten EU- im Staatshaushalt bei niedrigen und sinkenden Gipfel von den europäischen Staats- und Regie- Staatsschulden erzielt. Erst das Platzen der Bau- rungschefs beschlossen wurde, hätte die aktuelle und Immobilienblasen führte in diesen Ländern Krise nicht verhindern können. Die Ursachen der dazu, dass die Volkswirtschaften in eine tiefe Staatsschuldenkrise liegen vielmehr in den ma- Wirtschaftskrise stürzten und die öffentliche kroökonomischen Ungleichgewichten, die sich Hand mit hohen, schuldenfinanzierten Staats- binnenwirtschaftlich in einer Überschuldung ausgaben den Anstieg der Arbeitslosigkeit be- der privaten Haushalte und Banken und außen- kämpfen und die überschuldeten Banken retten wirtschaftlich in einer zunehmenden Auslands- musste. So die Ergebnisse einer Studie von Prof. verschuldung der Krisenländer widerspiegeln. Dr. Sebastian Dullien von der Hochschule für Um zukünftig Schuldenkrisen in der Euro-Zone Technik und Wirtschaft Berlin, die er im Auftrag erst gar nicht entstehen zu lassen, muss daher der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik er- das Problem makroökonomischer Ungleichge- stellt hat. wichte und das zunehmende wirtschaftliche Die steigende Staatsverschuldung stellt also Auseinanderdriften der Euro-Mitgliedsstaaten nicht die Ursache der gegenwärtigen Krise dar, angegangen werden. Hierfür bietet sich als ein sondern ist Folge anderweitiger wirtschaftspo- wirtschaftspolitisches Instrument beispielswei- litischer Fehlentwicklungen, allen voran ist sie se die Einführung eines außenwirtschaftlichen 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
SCHWERPUNKT Stabilitätspaktes an, wie es Sebastian Dullien in M ehr zum T hema seiner FES-Studie vorgeschlägt, da dieser neben Sebastian Dullien: „Ungleichgewichte im Euro- der Staatsverschuldung auch die Verschuldung Raum: akuter Handlungsbedarf auch für Deutsch- der Banken und privaten Haushalte mitberück- land“, WISO Diskurs – sichtigt. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07696.pdf Podiumsdiskussion Solidarität oder Konkurrenz F inanzkrise und die K onse q uenzen f ü r die E urop ä ische U nion Wird Europa in Zukunft auf Solidarität oder auf die Europäische Union bei der demokratischen Konkurrenz basieren? Mit dieser Leitfrage be- Legitimierung von Entscheidungsprozessen zu- schäftigten sich die Teilnehmer einer Podiums- nehmend auf einer schiefen Ebene und warnte diskussion, die die Internationale Politikanalyse vor Fehlinterpretationen. So stellte der Luxem- der FES organisierte. Nur zwei Tage vor dem Gip- burger klar, dass es sich gegenwärtig nicht um feltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eu- eine Krise des Euro, sondern um eine Überschul- ropäischen Union am 24. und 25. März diskutier- dungskrise der öffentlichen Haushalte handele. ten der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Für ein dringend benötigtes neues Wachstums- Steinmeier, der luxemburgische Außenminister modell in Europa mangele es nach Ansicht von Jean Asselborn und sein griechischer Amtskollege Frank-Walter Steinmeier in der von konserva- Gemeinsame Lage- beurteilung: Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der SPD- Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Stein- meier und Griechen- lands Außenminister Dimitris Droutsas (v.r.n.l) bei der FES in Berlin. (Foto: Unger) Dimitris Droutsas über die bevorstehenden Wei- tiven Regierungen dominierten EU jedoch an chenstellungen in Brüssel. Auf der Agenda stand Konzepten. Er kritisierte vor allem das Krisenma- neben dem so genannten Pakt für den Euro ins- nagement der schwarz-gelben Bundesregierung. besondere die Institutionalisierung eines dauer- Aufgrund „der emotional geführten Debatte über haften Rettungsschirms sowie dessen rechtliche eine so genannte Transferunion haben wir uns zu Verankerung auf der Agenda. Der Vorsitzende der lange Entscheidungen verweigert, die jetzt un- FES, Peter Struck, betonte in seiner Begrüßungs- ausweichlich geworden sind“, so Steinmeier. rede, dass jetzt auch die zentralen Geburtsfehler Die Schuldzuweisungen gegenüber der grie- von Maastricht korrigiert werden müssten und chischen Regierung haben nach Ansicht des SPD- neben der Währungsunion auch endlich eine Fraktionsvorsitzenden gleichzeitig den gesamt- politische Union verwirklicht werden sollte. europäischen Zusammenhalt in Frage gestellt. Die mangelnde Einbindung der nationalen Parla- Tatsächlich appellierte der griechische Außenmi- mente und des europäischen Parlaments im Vor- nister an die Solidarität der anderen Mitgliedslän- feld des Gipfels, wurde von dem stellvertretenden der, um die schmerzhaften Einsparmaßnahmen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Europapolitiker gegenüber der eigenen Bevölkerung besser ver- Axel Schaefer kritisiert. Auch Jean Asselborn sieht mitteln zu können. FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT Ungleichgewichte in Euroland Publikationen K eine W achstumsimpulse we g en fehlender B innennachfra g e Die Auffassung, Deutschland sei für die Krise in notwendigen Anpassungslasten sollten daher der Euro-Zone nicht mitverantwortlich, ist ein symmetrisch sowohl von den Defizitländern als Trugschluss. In einer Studie weisen Prof. Dr. Hei- auch von den Überschussländern (z.B. Deutsch- ke Joebges und Prof. Dr. Camille Logeay, beide land oder Österreich) getragen werden, weil die von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Defizitländer kaum alleine die außenwirtschaft- Berlin, sowie Dr. Sabine Stephan und Dr. Rudolf lichen Ungleichgewichte abbauen können. Das Zwiener, beide vom IMK Düsseldorf, darauf hin, Problem lässt sich nur von beiden Seiten lösen. dass die deutsche Wirtschaftspolitik erhebliche Das heißt nicht, dass in Deutschland der Export Mitschuld an der Krise trägt. Sie nennen vor eingeschränkt werden sollte. Eine Volkswirt- allem die in den zurückliegenden Jahren durch- schaft, die viel exportiert, sollte aber auch viel geführten Arbeitsmarktreformen und die zu- importieren. Das aber verlangt, und darauf wei- rückhaltende Lohnpolitik, mit deren Hilfe die sen Joebges, Logeay, Stephan und Zwiener in ih- deutsche Wirtschaft ihre internationale Wett- rer Studie hin, dass die Arbeitnehmerinnen und bewerbsfähigkeit stark erhöhen konnte. Durch Arbeitnehmer in Deutschland in Zukunft bei der dieses Vorgehen hat Deutschland zwar von der Lohnentwicklung stärker als in der Vergangen- Konjunkturentwicklung in den europäischen heit an der Entwicklung der gesamtwirtschaft- Nachbarländern profitiert, selber aber mangels lichen Wertschöpfung und des Wohlstandes be- prosperierender Binnennachfrage keine eige- teiligt werden müssen. nen Wachstumsimpulse gesetzt. Damit hat die deutsche Wirtschaft nicht nur den europäischen P ublikationen zum T hema Nachbarländern geschadet, sondern auch sich Heike Jobges: „Exporte um jeden Preis?: Zur Diskus- selbst, da mit Hilfe des exportorientierten Wachs- sion um das deutsche Wachstumsmodell“, WISO tumsmodells über Jahre hinweg keine hohen ge- direkt, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07529.pdf samtwirtschaftlichen Wachstumsraten erzielt Heike Joebges/Camille Logeay/Sabine Stephan/Ru- werden konnten. Tatsächlich war Deutschland dolf Zwiener: „Deutschlands Exportüberschüsse in den Jahren vor der Krise lange Zeit unter den gehen zu Lasten der Beschäftigten“, WISO Diskurs – Schlusslichtern beim Wachstum im Euroraum. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07718.pdf Trotz der jüngsten Erfolge bei der Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung muss es daher im Interesse Deutschlands liegen, das einseitige, nur auf Exportüberschüssen basierende Wachs- tumsmodell zu erweitern. In Zukunft muss eine ausgewogenere, auch die Binnennachfrage stüt- zende Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Lohnpo- litik praktiziert werden, um eine ausbalanciertere und nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung zu erzielen. Dieses Umsteuern muss möglichst rasch erfolgen, denn vor dem Hintergrund der in den europäischen Krisenländern eingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit und der Überschuldung sind in Zukunft aus diesen Ländern kaum Nach- frageimpulse zu erwarten. Umgekehrt wird es den Krisenländern nur in einem wirtschaftspo- litischen Umfeld mit höheren Wachstumsraten gelingen, ihre hohe Verschuldung zurückzufüh- ren. Auch aus diesem Grund ist es daher an der Zeit, dass Deutschland die Rolle einer wahren Wachstumslokomotive in Europa übernehme. Die zur Überwindung der Krise in der Euro-Zone 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
SCHWERPUNKT Analyse Deutschlands Verantwortung für Europa Gefahren f ü r das europ ä ische projekt Mehr als andere EU-Gipfel war die Zusammen- desregierung vermittelte Verzögerungshaltung kunft der europäischen Staats- und Regierungs- Deutschlands. Hinzu komme ein sich inzwi- chefs im März ein Krisentreffen, bei dem es um schen als Mainstream etablierter europaskep- nicht weniger ging als die Vorbereitung eines tischer Diskurs von Politik, Intellektuellen und tiefgreifenden dauerhaften Stabilisierungsme- den Medien. Die Folge sei großes Misstrauen der chanismus zur Verhinderung künftiger Schul- Bürgerinnen und Bürger in die EU. In einer aktu- deneskalation und damit potenzieller Eurokri- ellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts sen. Ipsos, sehen nur noch 24% der Deutschen in der Zu einer öffentlichen Auswertung der Ergebnisse EU-Mitgliedschaft klare Vorteile. dieses Frühjahrsgipfels war Michael Roth, euro- Die sinkende Legitimität der EU bei den Men- papolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfrak- schen ist langfristig die größte Gefahr für das tion, Ende März in das Büro der FES nach Brüssel europäische Projekt. Die Bundesrepublik müs- gekommen. se daher klar und deutlich ihre Verantwortung Europa brauche mehr denn je deutliche Signale übernehmen und jetzt die richtigen Instrumen- besonders der stärksten Mitgliedsländer. Umso te zur gemeinsamen Stabilisierung der Eurozone beklagenswerter sei, so Roth, die durch die Bun- vorantreiben. Interview Drei Fragen an ... Michael Roth M it g lied des B undesta g es und europapolitischer S precher der S P D - B undesta g sfraktion und M it g lied im A rbeitskreis E uropa der F riedrich - E bert- S tiftun g . Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. Hat die gesamteuropäische Solidarität unter der März zur Beendigung der Krise und für zukünftige Krise gelitten? Krisen des Euroraums ausreichend? Mit dem neuen Kampfbegriff „Transferunion“ Die Entscheidungen des Gipfels reichen nicht wird ein zentraler Grundpfeiler der europä- aus. Wir haben es derzeit in einer Reihe von Mit- ischen Integration in Zweifel gezogen. Die EU gliedsländern mit staatlichen Finanzierungskri- war, ist und bleibt eine Solidargemeinschaft. Deutschland profitiert als Exportmeister der EU von stabilen Märkten und prosperierenden Part- nerländern. Die Kosten der Krise werden ohne eine Beteiligung der Finanzmarktakteure einsei- tig von den Bürgerinnen und Bürgern getragen. Die Bundesregierung hat die europäischen Part- ner durch Zögern oder Alleingänge verprellt. Sind die neuen Regeln für den Euroraum ausreichend demokratisch legitimiert? Auf Dauer können wichtige Entscheidungen sen zu tun. Zweifelsohne müssen die Haushalte nicht allein von den Staats- und Regierungschefs konsolidiert werden. Das schafft man aber nicht gefällt werden. Der intergouvernementale An- allein mit Einsparungen. Wir brauchen nachhal- satz, der maßgeblich von Bundeskanzlerin Mer- tiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. kel betrieben wird, macht die EU weder demo- Die konservative Mehrheit der Staats- und Regie- kratischer noch solidarischer. Das Europäische rungschefs handelt sehr ideologisch. Parlament und der Deutsche Bundestag müssen eingebunden werden. FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT Währungskrise oder Expertengespräch Staatsschuldenkrise? D eutsch - F ranz ö sische S ichtweisen Ein Blick auf die Geschichte der europäischen Ge- Euro-Ländern jedoch, dass sie hohe Staatsschul- meinschaftswährung zeigt: Seit ihrer Einführung den haben, die sich in einigen Fällen an den Fi- sind die Inflationsraten in den Euro-Ländern nanzmärkten nicht mehr oder nur noch schwer niedriger als selbst in Deutschland zu Zeiten der refinanzieren lassen. Der stellvertretende Vorsit- D-Mark, und auch ihr Außenwert ist gegenüber zende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß dem US-Dollar (1 Euro = ca. 1,40 $) gegenwärtig stellte in einem Expertengespräch über „Krise etwa so stark wie vergleichsweise jener der D-Mark des Euro, Krise Europas? Deutsch-Französische zu ihren besten Zeiten. Auch fallen innerhalb des Sichtweisen“, das die französische Stiftung Jean Euro-Raums keine Umtauschkosten mehr an, Jaurès und das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und Importeure wie Exporteure müssen sich hier am 2. Februar in Paris veranstalteten, denn auch nicht vor Wechselkursschwankungen hüten. Ei- fest: „Ich finde es angemessener, zunächst einmal gentlich müssten die Mitgliedsländer der Euro- von einer Staatsschuldenkrise einzelner Staaten Zone wirtschaftlich stabil und wohlhabend sein. zu sprechen.“ Spätestens seit dem sogenannten Rettungspaket Deshalb widersprach er auch der These „Scheitert für Griechenland im Mai 2010 weiß man, dass der Euro, scheitert Europa“: „Auch wenn es die dies nicht der Fall ist. Dabei stellt sich die Lage gemeinsame Währung nicht gäbe oder sie zer- unterschiedlich dar: In Griechenland und Portu- bräche, bliebe unendlich viel an in Jahrzehnten gal ist die Industrie wenig entwickelt und überal- geschaffenen Gemeinsamkeiten in Europa.“ tert, und die Staatsausgaben waren Betonte die europä- ischen Gemeinsam- hier in den letzten Jahren übermä- keiten: Der stellver- ßig hoch; Irland und Spanien er- tretende Vorsitzende der SPD-Bundestags- lebten einen irrwitzigen Bauboom, fraktion Joachim bis die Immobilienblase platzte, und Poß am 2. Februar in Paris. die Rettung der Banken und Spar- kassen die Staatsfinanzen ruinierte; Belgien wiederum hat zwar seit Mo- naten keine Regierung mehr, aber seine zwei Staatsvölker teilen sich neben einem König einen großen Schuldenberg. Gemeinsam ist allen Im Geiste des Elysée-Vertrages Kolloquium D eutsch - franz ö sisches Tandem st ä rken Am 22. Januar, dem Jahrestag des 1963 von ische Krise“ zu diskutieren. Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Weit über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast unter- folgten den Beiträgen der Prominenz: auf franzö- zeichneten Freundschaftsvertrag zwischen bei- sischer Seite u.a. Michel Rocard, ehem. Premier- den Ländern, luden der französische politische minister, Hubert Védrine, ehem. Außenminister, Club „Inventer à gauche“ und die FES-Paris zu ei- Michel Destot und Roland Ries, Bürgermeister ner öffentlichen Veranstaltung in Straßburg ein, von Grenoble bzw. Straßburg, und Catheri- um gemeinsam mit führenden Politikern der ne Tasca, Vize-Präsidentin des Senats, und auf Parti socialiste und der SPD, mit Gewerkschaf- deutscher Seite Herta Däubler-Gmelin, ehem. tern und Vertretern politscher Gruppierungen Justizministerin, Günter Gloser, SPD-MdB, Axel über „Frankreich, Deutschland und die europä- Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD- 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
SCHWERPUNKT Bundestagsfraktion, und Dieter Schulte, stellver- um darin überein, die Zusammenarbeit zwi- tretender Vorsitzender der FES und ehem. Vorsit- schen Deutschland und Frankreich zu vertiefen, zender des DGB. weil ein Ausweg aus der Krise Europas ohne den Ganz im Geiste des Élysée-Vertrages stimmten deutsch-französischen Motor kaum denkbar Vortragende und Publikum auf dem Kolloqui- wäre. Umfrage In Grosser Sorge M einun g en zur L ö sun g der S taatsschuldenkrise Die Staatschuldenkrise bedrückt die Menschen Griechenland oder Irland“ antworteten nahezu nicht nur in Griechenland, Irland und Portugal. zwei Drittel der befragten Franzosen und immer- Auch in den beiden in Europa führenden Wirt- hin knapp die Hälfte der Deutschen mit „ja“. Allgemein sprachen sich Deutsche und Franzosen deutlich für eine Senkung der Ausgaben des Staates und der Ge- schaftsnationen Deutschland und Frankreich bietskörperschaften aus, um die hohen öffent- sieht man die Entwicklung mit großer Sorge. lichen Defizite abzubauen. Dies zeigte eine gemeinsam von der Fondation Jean Jaurès und der FES-Paris in Auftrag gegebene E rgebnisse Umfrage, bei der vom 3. bis 9. Dezember 2010 im Alle Ergebnisse der Umfrage sind in der Studie Internet eine national repräsentative Stichprobe „Die Euro-Krise und die Wirtschaftslage aus von jeweils rund 8oo Personen in Frankreich deutsch-französischer Perspektive“ und Deutschland erhoben wurde. Auf die Fra- zusammengefasst: ge, ob ihr Land „in den nächsten Monaten oder www.fesparis.org/common/pdf/ Jahren die gleiche Situation erleben könnte wie publications/79(D).pdf Kolloquium Schuldenprobleme nicht im Griff? europ ä ische W irtschaftsre g ierun g nicht erkennbar Während die Industrieländer in der Regel hohe In der Podiumsdiskussion, die von der Vizepräsi- Schulden haben, sind die Schwellenländer meist dentin der französischen Nationalversammlung nur gering verschuldet oder verfügen sogar über Elisabeth Guigou moderiert wurde, ging es vor bedeutende Überschüsse. Kaum etwas vermag allem darum, wie man die hohen Schulden in mehr zu verdeutlichen, wie sich die Gewichte in der Euro-Zone wieder senken könnte. Von den der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten Teilnehmern war niemand davon überzeugt, verschoben haben. Dies kann für die Rolle Eu- dass das Sorgenkind Griechenland es schaffen ropas in der internationalen Politik nicht ohne könnte, durch knüppelhartes Sparen, ein dau- Folgen sein. Daher luden die FES-Paris und ihr erhaft hohes Wirtschaftswachstum zu erreichen langjähriger Partner, der Reflexionskreis „Euro- oder gar mit wiederholten Rettungsaktionen partenaires“, dazu ein, das Thema „Die Zukunft – vor allem durch Deutschland und Frankreich – Europas in der Global Governance“ auf einem sein Schuldenproblem in den Griff bekommen Kolloquium am 31. März 2011 in Paris zu erör- könnte. Wolfgang Münchau, Mitgründer der tern. Financial Times Deutschland, betonte, dass das FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT auf dem EU-Gipfel im März vereinbarte Gesamt- fraktion, wies auf die Frage eines Teilnehmers in paket gegen die Euro-Schuldenkrise erst ab 2013 der anschließenden Diskussion, ob eine europä- zur Vermeidung künftiger Krisen wirksam wäre ische Wirtschaftsregierung hier helfen könnte, und zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise darauf hin, dass deren Gestalt überhaupt noch nicht beitragen könne. Carsten Schneider, haus- nicht erkennbar sei. haltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestags- Marktsteuerung von Workshop Staatsverschuldung B anken m ü ssen verluste tra g en k ö nnen Die Eurogruppenländer haben mit dem „Ret- tigt neben einem Regelwerk für geordnete Insol- tungsschirm“ gewaltige Summen bereitgestellt, venzen eine glaubhafte Gläubigerbeteiligung bei um Schuldenkrisen in ihrer Mitte zu entschärfen Überschuldungssituationen. Dazu müssen pri- und Märkte zu beruhigen. Die Möglichkeiten vate Gläubiger, allen voran Banken und andere und die Voraussetzungen einer Bewältigung von Finanzinstitutionen, in die Lage versetzt werden, Staatsschuldenkrisen mit Hilfe von Marktme- Verluste tragen zu können, damit nicht in jedem chanismen, wurden in einem Experten-Work- Krisenfalle die Staaten und damit letztlich die shop in Berlin analysiert. Dabei hat sich gezeigt, Steuerzahler zur „Rettung“ gezwungen sind. dass Haushaltsdisziplinierung über eine stärkere Marktsteuerung durchaus effektiv sein kann. M ehr zum T hema Doch um gesamtwirtschaftlich zu sinnvollen Re- Christian Deubner:„Staatsverschuldung zügeln sultaten zu führen, bedarf es anderer als der der- mit Hilfe der Märkte: Instrumente und Verfahren“, zeit gegebenen Voraussetzungen – eine effektive WISO direkt – Marktsteuerung staatlicher Verschuldung benö- http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07719.pdf A x el W eber beim M ana g erkreis daraus: Nicht nur die öffentlichen Haushalte Kurz notiert Die deutsche Volkswirtschaft habe sich im letzten müssten ins Lot gebracht werden, analysierte der Jahr vom Schlusslicht zur Wachstums-Lokomo- Spitzenbanker, auch das wirtschaftspolitische tive im Euro-Raum entwickelt. „Aber wir dürfen Rahmenwerk der Währungsunion bedürfe der nicht in Euphorie verfallen“, betonte Bundes- Überarbeitung. bankpräsident Prof. Axel Weber am 18. Januar vor dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stif- S eminar in L ondon tung in Frankfurt. Wenige Wochen später gab er Unmittelbar nach den Landtagswahlen in Ba- überraschend bekannt, dass er sein Amt bei der den-Württemberg und Rheinland-Pfalz analy- Deutschen Bundesbank zum 30. April aufgeben sierte der Bundestagsabgeordnete Dr. Carsten wird. Sieling, bei einem Seminar des FES-Büros Lon- Der frühere Volkswirtschaftsprofessor und „Wirt- don und des britischen Think Tanks “The Fabian schaftsweise“, der sich im vergangenen Jahr Society” die Zukunft der Eurozone. Die Eurozo- gegen den Kauf von Anleihen überschuldeter ne brauche dringend weitreichende Reformen, Staaten ausgesprochen hatte, beurteilt die in- um die Krise zu bewältigen. Der ehemalige ternationale Finanzmarktentwicklung kritisch. britische Regierungsberater Lord Roger Liddle Die fundamentalen Prinzipien der Währungs- bescheinigte den Mitgliedsstaaten der Eurozo- union seien bei den Stabilisierungsmaßnahmen ne bisher überzeugend auf die Krise reagiert zu für Griechenland und Irland erheblich strapa- haben. Die europäischen Mitte-Links Parteien ziert worden und die Krise habe beträchtliche müssten sich allerdings für eine Alternative zu Schwachstellen im institutionellen Gefüge der der vorherrschenden „Hysterie der „Sparpolitik“ Währungsunion offen gelegt. Die Konsequenz einsetzen. 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
10 SCHWERPUNKT Analyse Realwirtschaft als Massstab für die Finanzwirtschaft V er g leich internationaler F inanzkrisen Das Bretton-Woods-System lieferte nach dem staatliche Haushaltsdefizite senken zu wollen, 2. Weltkrieg den stabilen institutionellen Rah- wenn man dabei die innereuropäischen und men für den wirtschaftlichen Wiederaufbau globalen makroökonomischen Ersparnis- und Westeuropas und Japans. Die USA unterstützten Investitionsungleichgewichte außer Acht lässt. dieses Währungssystem durch den Marshall- Zur Überwindung der Ungleichgewichte und Plan und die Weltbank, während amerikanische Stärkung der Wachstumskräfte ist eine zeitwei- Firmen Europa und der übrigen Welt das erfor- lige Erhöhung der staatlichen Verschuldung derliche Kapital und Know-How zur Verfügung unvermeidlich. Nicht nur zur Vermeidung von stellten. Das Bretton-Woods-System endete im Finanzkrisen, sondern auch zur Stärkung der August 1971 mit der Aufgabe der Konvertibili- Leistungsfähigkeit der Wirtschaften und der Aus- tät des US-Dollar in Gold. Mit dem Ende dieses weitung der Beschäftigung sollte die Dominanz Systems, das u.a. auf Kapitalverkehrskontrol- des finanzwirtschaftlichen Regimes gebrochen len beruhte, begann das moderne Zeitalter der werden. Die Realwirtschaft sollte wieder zum Schulden-, Finanz- und Immobilienkrisen. Im Maßstab für die Finanzwirtschaft werden. vorliegenden Beitrag der Internationalen Poli- tikanalyse werden die Ursachen und Verläufe D ie analyse ausgewählter Schulden- und Finanzkrisen re- Werner Kamppeter; „Internationale Finanzkrisen konstruiert. Diese erlauben Lehren für das Kri- im Vergleich, Lehren für das aktuelle Krisenmanage- senmanagement auf der innereuropäischen und ment“, IPA März 2011 – http://library.fes.de/ globalen Ebene. So ist es sinnlos und gefährlich, pdf-files/id/ipa/07932.pdf Bestandsaufnahme Drei einfache Regeln S trate g ien zur R e g ulierun g der F inanzm ä rkte Mit sarkastischen Seitenhieben auf seine Kolle- zur Absicherung der Energiewende würden, so gen aus der Zunft der Ökonomen amüsierte Prof. Flassbeck, die Gefahren immer wiederkehrender Heiner Flassbeck, Chefökonom der Sonderorga- Schocks auf den Weltmärkten minimieren. nisation der Vereinten Nationen zu Handel und Dennoch: Nur zwei Jahre nach der Finanz- und Entwicklung (UNCTAD), seine Zuhörer am 3. Wirtschaftskrise, die weltweit ein unvorstellbar März im großen Hörsaal der Universität Freiburg. großes Vermögen zerstört, viele Menschen um Deren Glaube in das quasi automatische Funkti- ihre Rente gebracht und insgesamt 35 Millio- onieren des Marktes ist seiner Ansicht schuld nen Arbeitsplätze gekostet hat, sind Politik und daran, dass die weltweite Spekulation an den Fi- Wirtschaft wieder zu „business as usual“ über- nanzmärkten ausgeufert ist. gegangen. An den Aktienbörsen werden wieder Drei einfache Regeln, auf die sich die Weltge- Milliarden „verdient“, riskante Papiergeschäfte meinschaft einigen könnte, und die Spekula- getätigt, die unter anderem die Nahrungsmittel- tion auf den globalen Finanzmärkten wäre am preise in die Höhe treiben. Was hat das Treiben Ende: die Trennung der Bankengeschäfte in die an den Finanzmärkten, an denen milliarden- traditionelle Bankentätigkeit auf der einen und schwere Spekulanten ganze Rohstoffreserven die Spekulationsgeschäfte auf der anderen Sei- und Währungen eines Landes in Sekunden auf- te, die als solche gekennzeichnet, nicht mehr kaufen können, um sie zu horten, bis sie damit mit geborgtem Geld ins „Casino“ gehen dürfen; den Preis nach oben getrieben haben, noch mit ein System der Anpassung der weltweiten Wäh- Marktwirtschaft zu tun? Nichts, sagt der Chefö- rungskurse und schließlich die Stabilisierung der konom, nur mit Zocken. Preise für die wichtigsten Energieträger wie Erdöl FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 11 Drei Fragen an ... Stefan Collignon Interview P rofessor an der S cuola S uperiore , S ant ‘ A nna , P isa , und Gastprofessor an der U niversit ä t H ambur g . Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. trolle durch die Bürger unterliegt. Dies bedeutet, März zur Beendigung der Krise und für die Bewälti- dass das Europäische Parlament über das Europä- gung zukünftige Krisen des Euroraums ausreichend? ische Gesamtinteresse entscheiden muss. Nein. Die Finanzmärkte werden nicht stabili- Zweitens muss die Gesamtposition aller natio- siert, da der nationalistische Autismus der Bun- nalen Haushalte nach wirtschaftlichen und kon- desregierung eine Ausstattung des Europäischen junkturellen Gesichtspunkten auf Euro-Ebene Stabilitätsmechanismus mit hinreichender Li- festgesetzt werden. quidität verhindert. Die Haushaltspolitik wird zum Abbau des Sozialstaates verkürzt, ohne dass die Folgen für Wachstum und Beschäftigung be- rücksichtigt werden. Der Wettbewerbspakt stärkt die Starken und wird wenig zur Beseitigung inner- europäischer Ungleichgewichte beitragen. Gibt es an der aktuellen Krise auch positive Seiten – sind die Geburtsfehler von Maastricht nun über- wunden? Positiv ist, dass man erstmals seit zehn Jahren Drittens sollte ein europaweiter Diskussionskon- über eine Europäische Wirtschaftsregierung re- text über regionale und sektorale Lohnentwick- det. Allerdings sind Merkels Vorstellungen da- lungen hergestellt werden und von vordemokratisch. Das demokratische Defizit viertens, müssen die zerstückelten nationalen wird vertieft, die Bürger haben keine Möglichkeit Anleihemärkte durch Eurobonds integriert wer- zwischen Alternativen der europäischen Wirt- den. schaftspolitik zu wählen. Wie sieht ihrer Meinung nach eine hilfreiche Ge- M ehr zum T hema samtarchitektur der Wirtschafts- und Währungsu- Stefan Collignon: Demokratische Anforderungen an nion aus? eine europäische Wirtschaftsregierung, Internatio- Erstens braucht Europa eine echte Wirtschaftre- nale Politikanalyse gierung, die einer vollen demokratischen Kon- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07712.pdf „Intelligenz-Gen“ einbauen Diskussionsrunde konstruktion eines paktes f ü r stabilit ä t An dem Ziel einer erhöhten Stabilität im Eu- eine europäische Wirtschaftsregierung mit ihren roraum und der Verminderung starker wirt- Brüsseler Gesprächspartnern zu diskutieren. schaftlicher Ungleichgewichte zwischen einzel- Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl europä- nen Euroländern gab es keinen Zweifel unter den ischer Regierungen anstelle der Stärkung der Bin- Teilnehmern einer öffentlichen Veranstaltung nennachfrage am Mantra der Exportüberschüsse des FES-Europabüros zu wirtschafts- und finanz- festhielte. Bei der konkreten Konstruktion eines politischen Fragen der Europapolitik. Während Paktes für mehr Stabilität müsse daher ein starkes eines Besuchs nahmen Garrelt Duin, wirtschafts- „Intelligenz-Gen“ vor allem für die Staatsausga- politischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ben eingebaut werden. Aktuell noch wichtiger als und Udo Bullmann, Koordinator der SPD-Frak- die mittelfristigen Fragen einer künftigen Wirt- tion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung schaftsregierung wurden die Reformen zur Regu- des Europäischen Parlaments, die Gelegenheit lierung der Finanzmärkte betont. Zu deutlich ist wahr, über Aspekte der künftigen Reformen für die Rückkehr zu einem „business as usual“. 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
12 SCHWERPUNKT Publikation Wer rettet die Retter? F ü r eine N euausrichtun g der W irtschaft Eine saubere Umwelt, Gleichberechtigung und Beispiel durch die steigende Verschuldung von Gerechtigkeit, Stabilität und Wachstum, Dyna- Staaten. mik und soziale Sicherheit, Produktivität, gute Viele Bücher wurden über die Krise selbst Arbeit und Wohlstand – all das steht auf der geschrieben.„Wer rettet die Retter?“, fragt da- Wunschliste für das ideale Wirtschaftsmodell. gegen ein neues Buch der FES: Der Vertreter der Nicht erst seit der jüngsten Krise sieht die Rea- Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm, Christian lität deutlich anders aus: Instabilität, drohende Kellermann, entwickelt zusammen mit den Ber- Staatsbankrotte, marode Finanzunternehmen, liner Ökonomen Sebastian Dullien und Hansjörg Kurzarbeit, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosig- Herr nicht nur einen nachhaltigen Weg aus der keit, eine immer weiter auseinanderklaffende Krise, sondern auch eine Blaupause zur sozialen Einkommensschere und Umweltkatastrophen und ökologischen Reform unserer Wirtschafts- sind dagegen die ernüchternde Bilanz in vielen modelle – um künftig klüger, gerechter und lang- Ländern. Global betrachtet sind es vor allem die fristiger zu wirtschaften. großen Ungleichgewichte bei Handel und Finan- zen zwischen Asien, Europa und Amerika, die für D as B uch beträchtliche Spannungen sorgen. Durch die Decent Capitalism – A Blueprint for Reforming our Krise haben sich so manche Verzerrungen entla- Economies, Pluto Publishers, London den, es sind aber auch neue entstanden, wie zum Tagung Löhne müssen steigen K ocheler K reis zu P roblemen des E uro Auch der Kocheler Kreis für Wirtschaftspolitik ze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. hat sich auf seiner diesjährigen Wintertagung Prof. Dr. Heiner Flassbeck von UNCTAD in Genf mit den Problemen innerhalb der Euro-Zone be- und Friederike Spiecker, freie Wissenschaftlerin schäftigt. Prof. Dr. Peter Spahn von der Universi- und Publizistin, wiesen darauf hin, dass ohne tät Hohenheim plädierte u.a. für die Einführung eine stärkere lohnpolitische Koordinierung von gemeinsamen Euro-Bonds bis zu einer Gren- und vor allem ohne stärker steigende Löhne in Deutschland, die makroökonomischen Un- gleichgewichte innerhalb der Euro-Zone nicht Kurze notiert W orkshops zur F inanzkrise nachhaltig überwunden werden können. Dr. Zwei Mal im Jahr heißt es in Hamburg beim Juli- Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundes- us-Leber-Forums der FES „Wirtschaft verstehen“. angelegenheiten, Europa und Medien des Landes Die Workshops vermitteln die Auswirkungen Nordrhein-Westfalen wies darauf hin, dass es an die Finanz- und Wirtschaftskrise, machen Hin- der Zeit sei, weitere Schritte in Richtung einer tergründe deutlich und entwickeln eigene Vor- politischen Union in Europa zu gehen, um die stellungen wie mit den Folgen der Krise umge- Defizite der Währungsunion zu überwinden. Die gangen werden kann..Während der Rahmen Krise in der Euro-Zone könne nur gemeinsam be- der Veranstaltung mit einem Börsen-Planspiel, wältig werden. Hintergrundinformationen, einem Experten-In- put und Arbeitsgruppen gleich bleibt, wird der M ehr zum T hema inhaltliche Schwerpunkt an die jeweils aktuelle Peter Spahn: „Die Schuldenkrise der Europäischen Lage angepasst. So ging es in den letzten beiden Währungsunion“, WISO-direkt http://library.fes. Workshoptagen Ende 2010 und im Frühjahr 2011 de/pdf-files/wiso/07686.pdf vermehrt um die Frage, wie aus der Finanzkrise Michael Dauderstädt: „Staatsgläubigerpanik ist in einzelnen Ländern eine Staatskrise werden keine Eurokrise!“ WISO direkt konnte. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07795.pdf FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 13 Einsichten über Europa Buchpräsentationen P eer S teinbr ü ck und K laus H ä nsch auf der L eipzi g er B uchmesse Mit mehreren Veranstaltungen beteiligte sich die tinent der Hoffnungen – Mein europäisches Friedrich-Ebert-Stiftung am Rahmenprogramm Leben“, das er ebenfalls zur Buchmesse präsen- der Leipziger Buchmesse am 18. und 19. März. tierte. Hänsch räumte im Gespräch mit der Leip- Vor etwa 450 Zuhörern stellte Peer Steinbrück ziger Europaabgeordneten Constanze Krehl ein, sein Buch „Unterm Strich“ im Festsaal des Alten dass noch immer vieles, was in der EU erarbeitet, Rathauses vor. Der ehemalige Bundesfinanzmi- diskutiert und beschlossen werde, den meisten nister äußerte sich im Podiumsgespräch mit dem Bürgern verschlossen bliebe. Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung Bernd Optimistisch in Hilder optimistisch zur Zukunft des Finanzwe- Bezug auf das Finanzwesen: Der sens in Europa. Trotz einer Konjunktur- und Fis- ehemalige Finanz- kalkrise gebe es keine tiefgehende Eurokrise, son- minister Peer Stein- brück in Leipzig. dern lediglich Probleme bei der Refinanzierung (Foto: Waldek) einzelner europäischer Länder. Da Deutschland vom Euro profitiere sei es von nationalem In- teresse, die europäische Integration im ökono- mischen wie politischen Sinne voranzutreiben. Die Bilanz seiner Zeit als Mitglied und Präsi- dent des Europäischen Parlaments stellte Klaus Hänsch in den Mittelpunkt seines Buches „Kon- Neues Jahrzehnt, neues Europa Debattenreihe H aushalt entscheidet ü ber die Z ukunft Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise be- Nietan diskutierten. Man war sich einig, dass nur finden sich weder der europäische Haushalt noch durch verbesserte Strategien der europäischen der europäische Arbeitsmarkt in einer stabilen Zusammenarbeit neue Stabilität herbeizuführen Lage. Viele Mitgliedsstaaten fordern daher einen ist. „Der Haushalt muss so konstruiert werden, restriktiveren Ansatz zum EU-Budget, obwohl sie dass eine Hebelfunktion entsteht, mit der Kapital der Union mit dem Lissabon-Vertrag im Rahmen angelockt wird,“ stellte Danuta Hübner zunächst der Europa 2020 Strategie neue Kompetenzen ge- klar. Es sei an der Zeit, dass sich Europa ein kon- geben hatten. Gleichzeitig wirken die Verhand- kretes eigenes Solidaritätsmodell ausdenke, be- lungen zum EU-Haushalt für die Mehrheit der tonte Lamassoure. Das derzeitige Budgetmodell Bürger wie ein Kuhhandel um einzelstaatliche verleite stark zu Egoismen nach dem Motto “I Interessen, anstatt sich an den Bedürfnissen eu- want my money back!“ ropäischer Bürger zu orientieren. „Der Haushalt wird über die Zukunft Europas Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Fried- entscheiden“, fasste Nietan zusammen und for- rich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Debattenrei- derte, nicht länger nur über Probleme der Umver- he „Neues Jahrzehnt, neues Europa“ in Warschau teilung zu sprechen, sondern gemeinsame euro- gemeinsam mit dem französischen Kulturzent- päische Ziele in den Vordergrund zu rücken. Als rum und der Stiftung „Centrum im. Profesora Beispiel nannte er die Mittel aus dem Agrarhaus- Bronisława Geremka” am 24. Januar eine De- halt – es sei ein Fehler, diese für Subventionen zu batte zum Thema „Das EU Budget in Zeiten der verwenden, anstelle in nachhaltige Landwirt- Krise“, das der EU-Haushaltskommissar Janusz schaft zu investieren. Die Herausforderungen Lewandowski, der Vorsitzende des Haushaltsaus- an die EU-Budgetplanung bleibe allerdings eine schusses, Alain Lamassoure, die Vorsitzende des Gratwanderung: „Wir dürfen uns nicht kaputt Ausschusses der Regionen, Danuta Hübner und sparen: Die EU braucht nachhaltige Ziele und der deutsche Bundestagsabgeordnete Dietmar gleichzeitig einen disziplinierten Haushalt.“ 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
14 SCHWERPUNKT Studie Das Schlachten heiliger Kühe D as P rojekt einer E U - S teuer Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ha- die Bürgerinnen und Bürger, überprüfte Begg ben mit der Zehnjahresstrategie „Europa 2020“ verschiedene Möglichkeiten für eine EU-Steuer: politische Prioritäten für ein „intelligentes, nach- eine europäische CO2- oder Energiesteuer, eine haltiges und integratives Wachstum“ gesetzt. Körperschaftssteuer und eine Finanztransakti- Diese Strategie steht wesentlich unter dem Ein- onssteuer. druck der Wirtschaftskrise. Sie soll Europa aus Die Ergebnisse der Studie wurden im Februar seiner Rezession helfen und langfristig im in- und März in Berlin und Brüssel vorgestellt. ternationalen Wettbewerb stärken. Allerdings An den Diskussionen nahmen unter anderem ist die Stärkung von Wissen und Innovation, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, die Förderung einer emissionsarmen und res- die Europaabgeordnete Jutta Haug, der pol- sourcenschonenden Wirtschaft sowie die Un- nische EU-Botschafter Jan Tombinski sowie terstützung des sozialen und territorialen Zu- Marc Lemaître, Kabinettsschef des EU-Haus- sammenhalts in der EU auch mit erheblichen haltskommissars teil. Investitionen verbunden. Es wurde der Bedarf betont, die Einnahmeseite transparenter und demokra- tischer zu machen – ein Ziel, für das sich vor allem das Europä- ische Parlament einsetzt. Dort findet die Idee einer Finanz- transaktionssteuer bereits eine breite Mehrheit. Resümierend stellte Begg fest, dass es nie die ideale EU-Steu- er geben wird, da es bei einer Einführung immer in gewissem Der EU-Haushalt ist daher ein zentrales Element Maße Gewinner und Verlierer gäbe. Er wies aller- zur Umsetzung dieser europäischen Prioritä- dings darauf hin, dass in den vergangenen zwölf ten. Aktuell beträgt sein Gesamtvolumen etwa Monaten schon „viele heilige Kühe geschlach- ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleis- tet wurden“. Als politisch machbarsten Weg tung. Alimentiert wird der Haushalt zu 85 Pro- schlägt Begg daher vor, eine EU-Steuer zunächst zent aus direkten Einzahlungen der Mitglied- in begrenztem Rahmen einzuführen, etwa eine staaten. Die Wirtschaftskrise hat nun in vielen Luftverkehrsabgabe. Dabei ließe sich ein klarer Mitgliedstaaten der EU zu einer weitgehenden europäischer Bezug erkennen, die Belastung und Einschränkung haushaltspolitischer Spielräume damit die Verzerrungen blieben gering und die geführt. Für die anstehenden Verhandlungen Besteuerungs-Souveränität der Mitgliedsländer eines neuen Finanzrahmens für die EU (2014- würde dadurch nicht in Frage gestellt. Mittel- 2020) steht damit mehr denn je die Nettozahler- fristig könnte man so zu einem neuen Finanzie- frage im Vordergrund. Eine Mittelausstattung, rungsmodell für die EU-Politik gelangen. die den politischen Prioritäten der EU gerecht werden kann, zeichnet sich nicht ab. M ehr zum T hema Vor diesem Hintergrund untersuchte Iain Begg, Kurzfassung der Studie in deutsch: Eine EU-Steuer: Professor an der London School of Economics, überfällige Reform oder föderalistische Fantasie? in einer Studie für die FES, wie das Einnahmen- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07848.pdf system der EU mit einer echten eigenen EU-Ein- nahmequelle reformiert werden könnte, um Ebenfalls zum Thema: den Haushalt stärker von den Überweisungen Sebastian Petzold (12/2010): Geld für Europa: der Mitgliedstaaten zu entkoppeln. Mithilfe Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und Refor- verschiedener Kriterien, wie etwa der Einnah- moptionen für die EU-Eigenmittel menstabilität oder der Belastungsgleichheit für http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07708.pdf FES I N F O 1 / 2 0 1 1
SCHWERPUNKT 15 Eurokrise falsch beurteilt? Analyse V ierfacher K urswechsel zur Überwindun g der K rise Als „Irrweg“ bezeichnen der ver.di-Bereichs- • die Koordinierung von Lohn-, Steuer- und leiter für europäische Wirtschaftspolitik Dierk Sozialpolitiken in der EU; Hirschel und der europapolitische Berater der • ein gemeinsames Regelwerk für die Finanzie- Gewerkschaft, Klaus Busch, in einer Analyse der rung der Staatsschulden. FES die im Vertrag von Maastricht festgelegte Nur ein solch umfassender, vierfacher Kurswech- Architektur einer gemeinsamen Währung ohne sel könne, so Hirschel und Busch, zur Korrektur politische Union. Auch die Antworten der Politik der Fehler von Maastricht führen und die wach- auf die Eurokrise beruhen aus ihrer Sicht auf Irr- sende Legitimationskrise der EU in der Krise tümern: Fälschlicherweise werde die explodierte überwinden. Staatsverschuldung auf eine angeblich zu laxe Ausgabenpolitik zurückgeführt, die Verantwortung für die Leis- Krise und Staatsverschuldung tungsbilanzungleichgewichte Haushaltsdefizit Schuldenquote würde einseitig bei der Lohnpo- (in % des BIP) (in %) 2010 2007 2010 litik der Defizitländer gesucht Griechenland -9,5 99,2 140,2 und die Kapitalmärkte seien Irland -32,3 25,0 84,1 immer noch weitgehend unre- Spanien -9,3 36,1 97,4 guliert. Tatsächlich wurzele der Portugal -7,3 62,7 82,8 Anstieg der Staatsverschuldung Italien -5,0 112,0 118,9 Belgien -4,8 84,2 98,5 vor allem in den antizyklischen Frankreich -7,7 63,8 83,0 Konjunktur- und Rettungspro- Deutschland -3,7 64,9 75,7 grammen für den Bankensektor, Eurozone -6,3 65,9 84,1 zu denen die Staaten die globa- Großbritannien -10,5 44,5 77,8 le Wirtschafts- und Finanzkrise USA -11,1 62,1 92,7 gezwungen hat. Daher plädie- Japan -9,6 187,7 225,9 Quelle: EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds (IWF) ren die Autoren für einen vier- fachen Paradigmenwechsel und fordern: • eine europäische Strategie für qualitatives D ie A nalyse Wachstum und Beschäftigung; Klaus Busch/Dierk Hirschel (März 2011); Europa • die Einrichtung einer Europäischen Wirt- am Scheideweg: Wege aus der Krise schaftsregierung; http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07930.pdf Sparen am Sozialen Debatte D etlev- A lbers F orum „ S oziales E uropa “ Welche Auswirkungen hat die Krise der Staats- lands, Lettlands, Rumäniens und Islands wurden haushalte auf den gesellschaftlichen Zusam- gegenübergestellt. Bis zu seinem Tod war Detlev menhalt und das Ziel eines Sozialen Europa? Albers mitverantwortlich für den Kurs der On- Diese Leitfrage beschäftigte das Detlev-Albers- line-Publikation „Social Europe Journal“. Leit- Forum, das aus dem Nachlass des Politikers und idee war, eine europäische Öffentlichkeit für das Politikwissenschaftlers bestritten wird. Aus- gemeinsame Kernanliegen der Sozialdemokratie gangspunkt der Debatte am 16. und 17. März in in Europa zu konstituieren: Die Schaffung eines Berlin war eine Studie der Friedrich-Ebert-Stif- veritablen „Sozialen Europas“, das neben den tung zu den Auswirkungen der europäischen gemeinsamen Binnenmarkt tritt. Sparprogramme auf die Sozialsysteme. Die Ent- wicklungstrends der Sparprogramme Deutsch- I m I nternet lands, Großbritanniens, Spaniens, Griechen- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07890.pdf 1 / 2 0 1 1 I N F O FES
1 SCHWERPUNKT Dialogprogramme UNTEN ANgEKOMMEN DIE EUROPäISCHE KRISE BEI ARBEITNEHMERSCHAFT UND KOMMUNEN Die Themen Arbeitsrechte in Europa sowie zeigen sich nicht nur in der deutschen Praxis er- die europapolitischen Berührungspunkte von hebliche Unterschiede zwischen Festangestell- Kommunen und Regionen, waren Gegenstand ten und Leiharbeitern innerhalb der gleichen von zwei mehrtägigen Dialogprogrammen des Betriebe. Die Frist zur Umsetzung der europä- FES-Europabüros in Brüssel, an denen Multi- ischen Leiharbeitsrichtlinie endet im Dezember plikatorinnen und Multiplikatoren aus sieben 2011. Spätestens dann sollte das deutsche Gesetz Bundesländern teilnahmen. Im Mittelpunkt der Missbrauch der Leiharbeit beenden. Für die über- Veranstaltungen standen die Auswirkungen der schuldeten Kommunen Deutschlands bedeu- aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. Arbeitneh- tet der uneinheitliche arbeitnehmerrechtliche merinnen und Arbeitnehmer erleben großen Schutz zusätzliche starke finanzielle Belastun- Druck auf die Arbeitsbedingungen, besonders gen. Auf der Einnahmeseite fehlen die Beiträge hinsichtlich Arbeitszeit, Löhnen und Leiharbeit. regulärer Arbeitsverhältnisse und auf der Ausga- Die EU hat über die Jahre zwar gewisse Standards benseite kommen steigende Sozialleistungen für zu Sicherheit und Gesundheitsschutz sowie zu die Existenzsicherung der prekär Beschäftigten Arbeitsnormen verbindlich erarbeitet. Dennoch hinzu. Interview DREI FRAgEN AN ... gABRIELE BISCHOFF g A B R I E L E B I S C H O F F L E I T E T D E N B E R E I C H E U R O PA P O L I T I K B E I M D g B - B U N D E S V O R S TA N D . S I E I S T M I T g L I E D I M A R B E I T S K R E I S E U R O PA D E R F R I E D R I C H - E B E R T- S T I F T U N g I N B E R L I N . Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. visierten Pakt-Maßnahmen – Druck auf die Löhne, März zur Beendigung der Krise und für zukünftige Infragestellung renten- und sozialpolitischer Leis- Krisen des Euroraums ausreichend? tungen – werden dazu führen, dass die Zustim- Die Finanzkrise ist noch nicht überwunden, mung zum europäischen Projekt weiter sinkt. nach wie vor geben die Finanzmärkte in Europa den Ton an, eine umfassende Krisenprävention Sind die Sparprogramme in der Eurozone noch findet dementsprechend nicht statt. So steht eine sozialverträglich? nachhaltige Finanzmarkt-Regulierung immer Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch aus, zur Einführung einer Finanztransakti- der Mitgliedstaaten, die unter die Rettungsmaß- onssteuer gibt es lediglich „Prüfaufträge“. nahmen fallen, wird Enormes zugemutet: Min- destlöhne werden reduziert, tarifvertragliche Geht der Trend Ihrer Meinung nach hin zu Vereinbarungen außer Kraft gesetzt, und Renten mehr oder zu weniger Europa? und Sozialleistungen massiv gekürzt. Ergebnis Eine Europäische Währungs- und Wirtschaftsu- sind steigende Armut und wachsende soziale nion wird nicht Ungleichheit – obgleich klar ist, dass man sich geschaffen. Die Eu- so nicht aus der Krise heraussparen kann. Die ro-Plus-Pakt-Ver- Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten, die sich abredungen blei- dem Pakt angeschlossen haben, sind klar: Die ben Sache der EU-Kommission soll den Lohnpolizisten spielen nationalen Regie- und darauf achten, dass Löhne und Gehälter nur rungschefs, weder moderat steigen, und die Bundeskanzlerin wird in der Steuerpoli- das Spiel „Geld gegen Wohlverhalten“ weiterent- tik noch in der So- wickeln, bis sich die anderen Länder in die deut- zialpolitik geht es schen Maßnahmen wie Schuldenbremse, Aus- europäisch voran. weitung des Niedriglohnsektors und Erhöhung Die stattdessen an- des Rentenalters endgültig fügen. FES I N F O 1 / 2 0 1 1
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