Inklusion AGRARSOZIALE GESELLSCHAFT E.V - Verena Bentele Interview
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
AG RAR S O Z IAL E G E S E LLS C HAF T E. V. Schwerpunkt Inklusion Interview Verena Bentele Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen ASG-Frühjahrstagung in Bamberg H 20781 | 66. Jahrgang | 01/2015 | www.asg-goe.de
Inhaltsverzeichnis ASG 1 Editorial – Ines Fahning, Agrarsoziale Gesellschaft e.V. 2 „Lust aufs Land“ – starke Netzwerke für die ländlichen Räume - Forderung nach flächendeckender Versorgung mit Breitband bis 2017 - Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden gegründet - Hohe Nachfrage bei Landwirtschaftlichen Sorgentelefonen und Familienberatungen - LandFrauen für Frauenbeteiligung und Entgeltgleichheit - Tierschutz im Einkaufskorb - Ernährung im internationalen Kontext 8 ASG-Frühjahrstagung 2015 in Bamberg: Neue Politikansätze für die Entwicklung ländlicher Räume – Stand und Perspektiven 10 Tagungsregion Bamberg Ländlicher Raum 12 Planspiel Flächenhandel: Flächensparen durch Zertifikathandel 14 Umweltbildung in Kindergärten und Schulen eine Chance geben 17 Potenziale der Peripherie: Kleinstädte in ländlichen Regionen 20 Ein Dorf macht Mut: Übertragbarkeits- und Lernpotenziale der Entwicklung in Heckenbeck 24 Perspektiven touristischer Vernetzung 26 Partnerwahl in der Landwirtschaft: Moderne Lebensentwürfe nehmen zu Schwerpunkt Inklusion 29 Interview mit Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Zugang für alle zu allem 30 Lesetipp: Inklusive Gemeinwesen planen. Eine Arbeitshilfe 31 Barrierefreie öffentliche Mobilität im ländlichen Raum 34 Persönliches Budget: Mehr Selbstbestimmung in Rehabilitation und Eingliederungshilfe 35 Unterstützungsstrukturen für Menschen mit Behinderungen im ländlichen Raum 38 Inklusion in der beruflichen Bildung 41 Gesellschaftlicher Mehrwert der Werkstätten für behinderte Menschen 43 Lesetipp: Inklusion vor Ort 44 Arbeiten, wo andere auch arbeiten Personalien 46 Birgit Keller neue Thüringer Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft 46 Walter Hermann 80 Jahre 46 Karl-Heinz Unverricht 80 Jahre 46 Heinz Christian Bär 75 Jahre 46 Dr. Johann Haimerl 75 Jahre 46 Rudi Job 75 Jahre 46 Hermann-Josef Thoben 65 Jahre Termine 46 Wettbewerb „BodenWertSchätzen“ 46 3. Global Soil Week vom 19. bis 23. April 2015 in Berlin Lesetipps 47 Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien 47 Regionalisierung als Abkehr vom Fortschrittsdenken? 47 Regionalwert AG – mit Bürgeraktien die regionale Ökonomie stärken 47 Die Geschichte der Landarbeiter Aus der Forschung 48 Methoden der Nachhaltigkeitsbewertung in der Landwirtschaft – Möglichkeiten und Grenzen 48 Agrobiodiversität im Grünland nutzen und schützen 48 Die dünne Haut unserer Erde braucht Schutz Foto Titelseite: Monika Zeller. Sofern keine Nachweise an den Fotos und Abbildungen stehen, wurden diese der Redaktion von den Autoren, Fotografen und Verlagen überlassen oder stammen aus dem Bildarchiv der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
Editorial 1 Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) am 26. März 2009 hat sich Deutschland verpflichtet, Menschen mit Behinderung die vollständige Teilhabe an allen Lebensbereichen und die volle Einbeziehung (engl. inclusion) in die Gemeinschaft zu ermöglichen. Nach sechs Jahren überprüft ein Fachausschuss der Vereinten Nationen in Genf, ob Deutsch- land die Verpflichtungen aus der UN-BRK korrekt umgesetzt hat und welche Fortschritte bei der Umsetzung der Menschenrechte seitdem erreicht wurden. Den Prozess der Umsetzung der UN-BRK auf Regierungsebene zu beglei- ten, ist Aufgabe der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, die sich im Interview zur Bedeutung der UN-BRK und zum geplanten Bundesteilhabe- gesetz äußert. War die Diskussion über Inklusion zu Beginn ein Fachthema, ist sie längst in der Öffentlichkeit angekommen – am intensivsten und kontroversesten geführt im Bereich der schulischen Bildung. Während die Bundesländer ihre Schulsysteme entsprechend der neuen Anforderungen umgestalten, stellt sich die Frage: Schulabschluss – und dann? (Wie) Finden Menschen mit Unterstützungsbedarf einen Arbeitsplatz? Damit der Arbeitsmarkt eine weitere Öffnung für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsgraden erfährt, müssen auch hier eingefahrene Wege hinterfragt und neue Strukturen ge- schaffen werden. Inwieweit Unternehmen sich mit diesem Thema beschäf- tigen und welche Erfahrungen sie gemacht haben, stellen wir ebenso vor wie die Herausforderungen, denen sich Werkstätten für behinderte Menschen aufgrund deren verstärktem Wunsch nach Wahlmöglichkeiten und Selbst- bestimmtheit gegenüber sehen. Die UN-BRK folgt einem Verständnis von Behinderung, nach dem diese aus der Wechselwirkung zwischen individuellen körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkungen und Barrieren im persönlichen Umfeld entsteht, die die gesellschaftliche Teilhabe beeinträchtigen. Eine zusätzliche Barriere stellen die strukturellen Defizite mancher ländlicher Regionen dar. Welche Anforderungen an einen erhöhten Beratungs- und Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderung in ländlichen Regionen und an einen barriere- freien ÖPNV im ländlichen Raum gestellt werden, auch darauf geben Expert/-innen Antworten im Schwerpunktthema dieser Ausgabe. Besonders liegt mir am Herzen, Sie, verehrte Leserinnen und Leser, auf die ASG-Frühjahrstagung im Mai in Bamberg hinzuweisen. Wir haben uns vor- genommen, Strategien zur Entwicklung ländlicher Räume in der EU-Förder- periode 2014-2020 vorzustellen und zu diskutieren. Hierzu gehören vor allem auch die von vielen Leader-Aktionsgruppen verfolgten Politikansätze der interkommunalen Zusammenarbeit und der Bürgerbeteiligung. In drei Ex- kursionen in die Fränkische Schweiz, das Coburger Land und den Verdich- tungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen werden wir praktische Beispiele unter- schiedlicher Entwicklungsansätze ländlicher Räume zeigen. Mit dem Einblick in das Tagungsprogramm und dem Bericht über die Tagungsregion hoffen wir, Ihr Interesse an unserer Tagung zu wecken. Ihre Ines Fahning, Agrarsoziale Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
Eröffnung der LandSchau 2015 Foto: M. Mempel 2 ASG „Lust aufs Land“ – starke Netzwerke für die ländlichen Räume Bürgerschaftliches Engagement und eine Vernetzung der Akteure sind die notwendige Basis für at- traktive und vitale ländliche Räume. Anschaulich gezeigt wurde dies wieder durch die auf der Land- Schau-Bühne und in Halle 4.2 vorgestellten Initiativen und Projekte. Während der Eröffnung der LandSchau wurde grüßte die Einrichtung des Arbeitsstabes „Ländliche deutlich, dass sich Bund, Länder und EU zur Aufgabe Entwicklung“. Er hoffe, dass nun neue Modelle der gemacht haben, die Rahmenbedingungen für die Politikgestaltung und Partizipation jenseits von Res- Entwicklung der ländlichen Räume weiter zu verbes- sortdenken eine Chance hätten. sern. LEADER sei so erfolgreich, weil Menschen vor Ort über die geeignete Strategie für ihre Region Es sei Aufgabe des Landkreistages, die von Bund entschieden, betonte Josefine Loriz-Hoffmann, und Ländern vorgegebenen Rahmenbedingen zu EU Kommission. Durch diese Beteiligung sei das beeinflussen, so Prof. Hans-Günther Henneke, wäh- Engagement, auch das ehrenamtliche, besonders rend über die konkrete Ausgestaltung von Projekten groß und durch relativ geringe Mittel könne viel vor Ort entschieden werden müsse. Landrat Fried- erreicht werden. helm Spieker nannte als Beispiel den Landkreis Höxter. Zunächst seien sein besonderer Wert, die StS Peter Bleser wies auf das besondere Engage- Kultur, analysiert und hierauf aufbauend die geeig- ment der Bundesregierung für die ländlichen Räume neten Maßnahmen, insbesondere im Tourismus, hin. Am Vortag habe sich der Arbeitsstab „Ländliche entwickelt worden. Auch Heike Brehmer, MdB, wies Entwicklung“ der Bundesregierung unter seiner Lei- darauf hin, dass ländlicher Tourismus ein hohes Zu- tung konstituiert. Mitglieder seien parlamentarische wachspotenzial habe, Arbeitsplätze schaffe und so Staatssekretäre und Staatssekretärinnen aus den dem demografischen Wandel entgegenwirken kön- Ressorts Landwirtschaft, Wirtschaft, Inneres, Ge- ne. Die Zusammenarbeit mache in Tourismusregio- sundheit, Bau und Verkehr. Ziel dieses Arbeitssta- nen über Ländergrenzen hinaus große Fortschritte. bes sei es, die verschiedenen Maßnahmen der Res- sorts zur Entwicklung der ländlichen Räume stärker Wer ländliche Räume stärker machen wolle, müs- zu bündeln und Synergien zu nutzen. Als besonders se neben Tourismus und Landwirtschaft auch die wichtig bezeichnete er die Erhöhung der Sensibilität gewerbliche Wirtschaft stärken, beschrieb Reinhard für die unterschiedliche Entwicklung in den ländli- Sager die Position des Deutschen Landkreistages. chen Räumen Deutschlands. Viele Kommunen seien unterfinanziert, deshalb müssten die Kreise finanziell so ausgestattet wer- Die Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (ASG) werde den, dass sie eine Ausgleichsfunktion wahrnehmen die Ziele des Arbeitsstabs „Ländliche Entwicklung“ können, hier sehe er einen großen Nachholbedarf. gern unterstützen, indem sie sich weiterhin für die Nur so könne der Verfassungsauftrag erfüllt werden, Vernetzung der Akteure und den Bürgerdialog enga- in ganz Deutschland gleichwertige Lebensbedingun- giere, so Dr. Martin Wille. Markus Tressel, MdB, be- gen zu schaffen. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages (DLT) ASG StS a.D. Dr. Martin Wille 3 Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. (ASG) Dr. Josefine Loriz-Hoffmann Referatsleiterin Ländliche Entwicklung, Europäische Kommission Reinhard Sager Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), Landrat Kreis Ostholstein schriften wie der Fernabfrage und der elektroni- Friedhelm Spieker schen Angebotsabgabe große Kapazitäten benö- Landrat Kreis Höxter tige. Es gehe beim Thema Breitbandausbau um den Petra Schwarz Bestand dieser Betriebe und damit um die Siche- Moderatorin rung der Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume. Parl. StS Peter Bleser Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Klaus Ritgen (DLT) bezweifelte, dass die von der Bundesregierung bis 2018 in Aussicht gestellte Heike Brehmer MdB, Vorsitzende des Tourismusausschusses des Deutschen Bundestages flächendeckende Versorgung mit Übertragungsraten von mindestens 50 Mbit/s (entspricht etwa 6 200 Markus Tressel MdB, Sprecher für Ländliche Räume der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Byte/Sekunde) noch erreichbar sei. Eine solche Kapazität würde heute nur etwa 20 % der Haushalte (v.l.n.r.) im ländlichen Raum bereitgestellt werden. Nach der Privatisierung der Telekom hätte es zunächst so ausgesehen, als brauche sich der Staat nicht mehr Forderung nach flächendeckender zu engagieren. Seit einigen Jahren wäre es jedoch Versorgung mit Breitband bis 2017 offensichtlich, dass der Markt nicht fähig sei, eine neue Infrastruktur mit den notwendigen Glasfaser- Der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deut- kabeln aufzubauen. Mehr öffentliche Mittel seien sche Landkreistag (DLT) und der Zentralverband notwendig, jedoch müssten auch die gesetzlichen des Deutschen Handwerks (ZDH) fordern in einem Rahmenbedingungen stimmen. Hier sehe er eine Positionspapier den beschleunigten Ausbau des positive Entwicklung. schnellen Internets. Sowohl in der Landwirtschaft als auch im Handwerk sei der Bedarf für eine DLT, ZDH und DBV hätten mit dem Konzessions- schnelle Datenübertragung stark gestiegen und modell einen Vorschlag zur Beschleunigung der werde weiter steigen. In der Landwirtschaft werde Breitbandversorgung gemacht, so Hemmerling. Mit- zunehmend Elektronik und Satellitentechnik einge- tels einer Ausschreibung könne jeweils ein Anbieter setzt und die Digitalisierung durch staatliche Melde- ermittelt werden, der dann einen Landkreis versor- pflichten und elektronische Nachweisverfahren im ge. Sein Eindruck sei jedoch, dass Minister Dobrindt Rahmen der EU-Agrarpolitik vorangetrieben, beton- sich mehr um die Maut als um das Internet kümme- te Udo Hemmerling (DBV) auf der LandSchau-Büh- re und das Landwirtschaftsministerium mehr Geld- ne. Dr. Carsten Benke (ZDH) nannte als Beispiel mittel beisteuere als das Ministerium für digitale In- das oft im ländlichen Raum angesiedelte Baugewer- frastruktur. Die besonders hohen Kosten des Breit- be, welches auf Grund neuer Techniken und Vor- bandausbaus in Deutschland entstünden durch die StS a.D. Dr. Martin Wille Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. (ASG) Dr. Carsten Benke Referatsleiter für Auftragswesen, Regionalpolitik, Stadtentwicklung und Infrastruktur, Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) Udo Hemmerling Stv. Generalsekretär des Deutschen Bauern- verbandes (DBV) Heike Götz Moderatorin Dr. Klaus Ritgen Deutscher Landkreistag (DLT), Berlin Sven Butler Breitbandbüro des Bundes Foto: M. Busch (v.l.n.r.) | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
4 ASG notwendigen Tiefbauarbeiten, erläuterte Sven Butler, Breitbandbüro des Bundes. Es gäbe günstigere Alternativen – in Einzelfällen würden als Übergangs- lösung auch alte Telefonmasten genutzt. Dr. Martin Wille (ASG) bezeichnete den flächen- deckenden Ausbau von Datenautobahnen als öffentliche Aufgabe und forderte von der Bundes- regierung einen festen Zeitplan für die Umsetzung bis 2017, an dem sie bei der nächsten Wahl ge- messen werden könne. Bundesvereinigung multifunktionaler Fotos: M. Busch Dorfläden gegründet Unter dem Motto „Tante Emma 2.0“ präsentierte sich das Dorfladen-Netzwerk in der Halle „Lust aufs Land“ und auf der LandSchau-Bühne. Neun von 200 Bürger-Dorfläden wurden vorgestellt, drei be- Hartmut Schneider und Christina Meibohm, Vorsitzender sonders erfolgreiche prämiert und die Bundesverei- und Verbandsreferentin BAG Familie und Betrieb, und Ines Fahning, Geschäftsführerin Agrarsoziale Gesellschaft e.V., nigung multifunktionaler Dorfläden als Interessen- demonstrieren zusammen mit Freiwilligen aus der Halle 4.2, vertretung und zur Förderung des bundesweiten wie ein Familiensystem aus dem Gleichgewicht kommt, wenn Erfahrungsaustausches gegründet. Erstmals war ein Mitglied sich bewegt. großes Interesse von engagierten Bürgern und Kommunalpolitikern aus den ostdeutschen Bundes- ländern spürbar, wo die Vorzüge des alten Dorfkon- sums zunehmend vermisst werden. „Viele engagierte Hohe Nachfrage bei Landwirtschaftlichen Bürger und interessierte Politiker wurden von uns Sorgentelefonen und Familienberatungen informiert, darunter der Bundestags-Fachausschuss für Ernährung und Landwirtschaft mit über 30 Bun- Gerade in den Dörfern, wo jeder jeden kenne, sei destagsabgeordneten“, resümierte Günter Lühning, es wichtig, dass die Menschen auch anonym über Sprecher des Dorfladen-Netzwerkes, und verwies ihre Sorgen sprechen könnten, so Ines Fahning, auf aktuelle Informationen im Internetportal Geschäftsführerin der ASG, die seit 1993 die Sor- www.dorfladen-netzwerk.de. gentelefone in Niedersachsen organisatorisch be- gleitet. Allerdings habe sich schon bald herausge- stellt, dass viele Anrufer/-innen eine Beratung der ganzen Familie wünschten, so dass die ländliche Foto: Dorfladen Heising Familienberatung gegründet worden sei. In den meisten Fällen gingen jeweils eine Beraterin und einen Berater auf die Höfe. Je nach Bundesland erfolge die Beratung kostenlos oder gegen eine Gebühr, erläuterte Christina Meibohm, Verbands- referentin der Bundesarbeitsgemeinschaft Familie und Betrieb e.V. (BAG) und Familienberaterin. Ob- wohl die Zahl der Höfe sinke, habe der Beratungs- bedarf in den letzten Jahren, z. B. in Hessen, nicht abgenommen. Familiäre Konflikte und Probleme bei der Betriebsführung und der Entwicklung des Unter- nehmens seien in der Landwirtschaft oft nicht von- einander zu trennen, so Hartmut Schneider, Vorsit- zender der BAG. Eine Beratung, die den Menschen in den Mittelpunkt stelle, verbessere auch die Nach- Bürgermeister und Dorfladen-Geschäftsführer Berthold Ziegler und haltigkeit der Betriebe. Die Finanzierung der Bera- Verkaufsleiterin Claudia Fromligt (2. v. l.) vertraten das Team des tungseinrichtungen (Ausbildung der Berater/-innen kommunalen Dorfladens Heising im Oberallgäu in der Halle „Lust etc.) erfolge überwiegend durch die Kirchen, teilwei- aufs Land“. se auch durch die Landwirtschaftsministerien. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
ASG 5 LandFrauen für Frauenbeteiligung und Entgeltgleichheit Der Deutsche LandFrauenverband e.V. (dlv) war mit zwei Projekten vertreten. Da der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungen seit langer Zeit stagniere, habe der dlv die Kampagne „Frauen! Wählen!“ ge- startet, so Agnes Witschen. Mit dieser solle bei den kommenden Sozialwahlen 2017 der Frauenanteil in den Gremien von heute nur 18 % erhöht werden. Eine Geschlechterquote sei dabei hilfreich, wie sie auch vom Sozialwahlbeauftragten der Bundesregie- rung vorgeschlagen werde. Ein vom Bundesfamilienministerium gefördertes Agnes Witschen, Präsidiumsmitglied des Deutschen LandFrauen- Pilotprojekt ist die Qualifizierung von LandFrauen zu verbandes und Vorsitzende des Landfrauenverbandes Weser-Ems, sog. Equal-Pay-Beraterinnen. Diese informieren als und Wolfgang Becker, Leiter der Geschäftsstelle des Sozialwahl- Multiplikatorinnen gesellschaftliche Akteure und jun- beauftragten der Bundesregierung ge Frauen über Einkommenschancen und Karriere- möglichkeiten sowie zur Berufs- und Lebensweg- planung. Dies sei im ländlichen Raum besonders großes Problem und der Trend zu immer größeren notwendig, da hier der Einkommensrückstand der Mengen wertvoller Teilstücke liege in der Verantwor- Frauen mit 33 % bedeutend höher sei als im Bun- tung des Verbrauchers. Prof. Dr. Dr. Matthias Gauly desdurchschnitt (22 %), so Daniela Ruhe, dlv. Die betonte den großen Einfluss der Wissenschaft, hohe Erwerbsunterbrechungen durch Kindererziehungs- Effizienz und Leistung seien bisher das Ziel gewe- zeiten fielen wegen des Mangels an qualifizierten sen. Die neue Zielgröße müsse sein, dies unter den Arbeitsplätzen, unzureichenden Kinderbetreuungs- Bedingungen des Tierschutzes zu erreichen; bei einrichtungen und weiten Arbeitswegen deutlich Mehrkosten von etwa 30 % sei dies möglich. Die länger aus als in der Stadt. heute meist sehr hohen Preise von tiergerecht er- zeugtem Fleisch seien durch die geringen Umsätze im Handel verursacht und würden niedriger ausfal- Tierschutz im Einkaufskorb len, wenn künftig die Fleischproduktion umgestellt In einer Diskussionsrunde zum Thema Tierschutz werde. Allerdings falle der Exportanteil von heute wies Staatssekretär Dr. Thomas Griese darauf hin, 20-30 % bei den dann entstehenden Fleischerzeu- dass in drei Bereichen der Nutztierhaltung dringen- gungskosten weg. der Handlungsbedarf bestehe. Erstens müssten die Haltungsbedingungen in der Schweine- und Geflü- Auch Roger Fechler (DBV) wies darauf hin, dass gelhaltung verbessert, zweitens die nicht medizi- die Landwirtschaft ihre Tierhaltung unter dem Ein- nisch notwendigen Kürzungen von Schwänzen und fluss von Wissenschaft und Beratung entwickelt Schnäbeln sowie die betäubungslose Kastration hätte. Heute hätten sich die Werte der Gesellschaft verboten und drittens der Einsatz von Antibiotika in verändert. Der geringe Marktanteil von Neuland- der Tiermast gesenkt werden. Die rheinland-pfälzische oder Bio-Erzeugnissen beim Schweine- und Geflü- Landesregierung setze sich im Schulterschluss mit gelfleisch zeige jedoch, dass der Markt für solche dem Tierschutzbund für eine Kennzeichnung des Labels sehr klein sei. Die Initiative Tierwohl sei als Fleisches analog zur Eierkennzeichnung ein. Erst Branchenlösung breiter aufgestellt und ermögliche dies ermögliche, an der Fleischtheke eine informier- es den Landwirten, Haltungsverbesserungen vorzu- te Entscheidung zu treffen, unterstützten Waltraud nehmen. Bei Forderungen nach Stroh und Auslauf Fesser, Verbraucherzentrale und Caroline Giese, sehe er jedoch große Schwierigkeiten. Bio Rind & Fleisch GmbH RLP, diese Forderung. Thomas Schröder, Tierschutzbund, bezeichnete Es gehe um mehr als nur um tiergerechte Hal- die Methodik der Initiative Tierwohl als nicht taug- tungssysteme, betonte Prof. Dr. Christoph Knorr. lich. Einzelne Veränderungen könnten sogar zu ei- Die politisch unterstützte Entwicklung zu immer ner Verschlechterung der Haltungsbedingungen füh- größeren Betrieben habe auch zu schlecht qualifi- ren, wenn andere Maßnahmen nicht gleichzeitig er- ziertem Personal geführt, der Transport bleibe ein folgten. Zudem werde das im Rahmen der Initiative | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
6 ASG Prof. Dr. Christoph Knorr Direktor des Departments für Nutztierwissen- schaften der Georg-August-Universität Göttingen StS Dr. Thomas Griese Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz Caroline Giese Bio Rind & Fleisch GmbH RLP Thomas Schröder Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Petra Schwarz Moderatorin Waltraud Fesser Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz Roger Fechler Deutscher Bauernverband (DBV)/Initiative Tierwohl Prof. Dr. Dr. Matthias Gauly Animal Science Faculty of Science and Technology, Freie Universität Bozen (v.l.n.r.) erzeugte Fleisch nicht als solches gekennzeichnet. Ernährung im internationalen Kontext Der Deutsche Tierschutzbund habe sein zweistu- figes Tierschutzlabel nach wissenschaftlichen Er- Fisch aus Aquakultur meist nicht nachhaltig kenntnissen entwickelt und kommuniziere diese an den Verbraucher. Ziel bleibe eine Haltung mit Aus- Aquakultur sei keine Lösung für die Überfischung lauf und Stroheinstreu, auch wenn dies in der Ein- der Weltmeere, betonten Ursula Hudson, Vorsit- stiegsstufe des Labels noch nicht erreicht werden zende von Slow Food Deutschland, und Manfred könne. Kriener, Berliner Umweltjournalist, in einer von Brot für die Welt ausgerichteten Gesprächsrunde. Die Der Deutsche Tierschutzbund stellte sein Label Haltung der Fische sei mit der industriellen Nutztier- für Schweine- und Masthuhnfleisch vor. Zu Wort haltung vergleichbar. Die hohe Besatzdichte mache kamen auch Landwirte, die für die Einstiegsstufe die Tiere anfällig für Krankheiten und Parasiten, des Labels produzieren. Anton Attenberger, Halter weshalb große Mengen an Medikamenten einge- von 30 000 Masthähnchen, beschrieb die Haltung setzt würden, und die Ausscheidungen der Fische – z. B. im Bereich Steuerung des Stallklimas – als zerstörten die Ökosysteme vieler Küstenregionen. einfacher, da die Besatzdichte um ein Drittel gerin- Hinzu komme, dass entflohene Fische, die auf hohe ger sei. Zwar habe die Arbeit z. B. durch die Verwen- Zunahmen gezüchtet worden seien und nur wenig dung von Stroh als Beschäftigungsmaterial zuge- Widerstandskraft besäßen, sich mit der Wildpopu- nommen, gleichzeitig sei aber auch der Druck auf- lation kreuzten und so auch diese gefährdeten. Be- grund der um ein Drittel längeren Mastdauer geringer sonders problematisch sei, dass häufig Raubfische geworden. Die Zusammenarbeit mit den Fachleuten wie Lachse gehalten würden. Für deren Ernährung des Tierschutzbundes sei gut, bei Problemen wür- würden kleine Fische im globalen Süden gefangen, den immer gemeinsam Lösungen erarbeitet. Die wo sie häufig die einzige Proteinquelle für die Bevöl- gleiche Erfahrung beschrieb auch Christoph Becker, kerung darstellten. Wir bräuchten den Fisch eigent- Schweinehalter mit 1 000 Mastplätzen. Er arbeite lich nicht, da es genügend andere Eiweißquellen beim Label mit, weil er etwas für den Tierschutz tun gäbe, so Hudson. „Genießen Sie Ihren Fisch in klei- wolle, was für den Verbraucher nicht so teuer sei nen Portionen und längst nicht so häufig wie Ihnen wie die Erzeugung von Biofleisch. Für ihn sei wich- gesagt wird!“. Bei Wildfängen sei das MSC-Label tig, dass die betäubungslose Kastration verboten einigermaßen zuverlässig, ergänzte Kriener. Ein und die Transportstrecken und Zeiten stark begrenzt solches Label gäbe es für Aquakulturen nicht. Als seien. Als unbefriedigend wurde vom Tierschutz- empfehlenswert könnten heute nur wenige Haltungs- bund jedoch der zu geringe Absatz beschrieben: formen wie die ökologische Teichwirtschaft von So seien sehr viel mehr Betriebe zertifiziert worden Karpfen gelten. als derzeit für das Label produzierten. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
ASG 7 Satt ist nicht genug! Stig Tanzmann, Referent Landwirtschaft, Brot für die Welt, interviewte die Südafrikanerin Zayaan Khan über die Ernährungssituation am Kap. Wäh- rend 25 % der Bevölkerung immer noch nicht jeden Tag satt würden, steige der Anteil der übergewich- tigen Menschen stark. Die Fehlernährung beider Gruppen führte Kahn, die im Rahmen des Sur Plus Peoples Project (SPP) Kleinbäuerinnen und Klein- bauern unterstützt, hauptsächlich auf die heutige, auf importiertem Mais und Soja basierende Ernäh- rung und die mangelnde Wertschätzung traditionel- ler Nahrungsmittel zurück. Durch die Vertreibung aus den ursprünglichen Siedlungsgebieten und die Apartheid seien die Kenntnisse über Anbau, Verar- beitung und Zubereitung der einheimischen Pflan- zen in den letzten 100 Jahren verlorengegangen. Sie sei deshalb auch in der südafrikanischen Slow Zayaan Khan, Sur Plus Peoples Project (SPP) und Slow Food Food-Jugend aktiv und baue zusammen mit der Youth Network South Africa „Alliance for Food Sovereignty Africa“ (AFSA) eine panafrikanische Bewegung zu Ernährungs- und Landwirtschaftsfragen auf. Dem von Slow Food ins fehle es jedoch an Land, weshalb – meist auf Leben gerufenen Projekt „10 000 Gärten in Afrika“ Initiative von jungen Menschen – Hinterhöfe käme eine wichtige Rolle zu, da mit Hilfe der traditi- von Schulen, Gemeinschaftseinrichtungen oder onellen Gärten gesundes Essen produziert und der Kirchen genutzt würden. 2 500 Gärten seien be- Geist der Zusammenarbeit gestärkt werde. Für reits realisiert, so Dr. Ruppert Ebner, Vorstand Frauen seien die Gärten besonders wichtig, da von Slow Food Deutschland. Er betonte, dass alle sie sichere Räume darstellten und die Möglichkeit Gärten von der Bevölkerung organisiert werden böten, zum Familienunterhalt beizutragen. Vor- und Slow Food lediglich Wissen, Material und nehmlich in den innerstädtischen Wohngebieten Saatgut bereitstelle. Dagmar Babel Jochen Grünberger, staatlich geprüfter Forsttechniker vom Kuratorium für Waldarbeit und Forsttechnik (KWF), demonst- riert das Funktionsprinzip einer Schnittschutzhose, die bei Arbeiten mit der Kettensäge durch mehrere Schichten langer, reißfester Fasern vor Verletzungen im Beinbereich schützt. Wenn der Oberstoff durchschnitten wird, nimmt die Kette Fäden aus der Schutz- schicht auf, die sich dann um das Antriebsrad der Kettensäge Ulrike Höfken, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, wickeln und die Maschine in Ernährung, Weinbau und Forsten in Rheinland-Pfalz, Sekundenbruchteilen blockieren. kam während des Rundgangs durch Halle 4.2 spon- tan auf die LandSchau-Bühne und lud zur Landes- gartenschau in Landau ein, die am 17. April 2015 eröffnet wird. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
8 ASG ASG-Frühjahrstagung 2015 in Bamberg: Neue Politikansätze für die Entwicklung ländlicher Räume – Stand und Perspektiven Mittwoch, 6. Mai 2015 8.30 – 10.30 Stadtführungen in Bamberg a) Faszination Weltkulturerbe Bei einem Rundgang erleben Sie, wie einmalig Bamberg ist. Im historischen Stadtensemble mit Dom, Alter Hofhaltung, Neuer Residenz und Rosengarten, mit Brücken, engen Gassen und Plätzen, mit Fachwerkhäusern und Barockfassaden spüren Sie noch heute den Zauber der Vergangenheit. b) Sprichwörtliches Bamberg Erfahren Sie während eines unterhaltsamen Stadtspaziergangs, warum die Domherren „die Klappe halten“, der Fürstbischof „Manschetten hat“, warum Kunigunde „auf großem Fuß lebte“ und weshalb die Leistungen mancher Studenten „unter aller Kanone“ sind. Lassen Sie sich entführen in vergan- gene Zeiten des Handwerks, der Kriegs- und Heilkunst, des adeligen, bürgerlichen und geistlichen Lebens. 10.45 – 17.30 Vortragstagung und Diskussionen Begrüßung und Eröffnung StS a.D. Dr. Martin Wille, Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. Das Heimatministerium als Anwalt und Motor der Landesentwicklung in Bayern Was ist neu und welche Weichen sind durch die Heimatstrategie gestellt worden? StS Johannes Hintersberger, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat Das verstärkte Engagement der Bundesregierung für die ländliche Entwicklung Ralph Brockhaus, Referatsleiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Zukunft durch Zusammenarbeit – Perspektiven der ländlichen Entwicklung in Bayern MinDirig. Maximilian Geierhos, Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Zukunft durch Zusammenarbeit: Vision 2030 für den ländlichen Raum aus Sicht des Bayerischen Gemeindetages Dr. Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetages Bürgerbeteiligung: ein neuer Politikansatz als Chance für die Entwicklung ländlicher Räume – Konsequenzen für Politik und Verwaltung Hartmut Berndt, Bundesarbeitsgemeinschaft der Leader-Aktionsgruppen (BAG LAG) Die ländliche Entwicklungsstrategie der Region Bamberg im Kontext von Landes-, Bundes- und EU-Politik für ländliche Räume Johann Kalb, Landrat des Landkreises Bamberg Wie können verschiedene neue Förderinstrumente miteinander kombiniert werden? Ute Vieting, Region Hesselberg und Regionalmanagement in Bayern – Bayern regional Das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung: Stand, Ziele und Umsetzung Christoph Wegener, Kompetenzzentrum Ländliche Entwicklung, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) 19.00 Empfang der Bayerischen Staatsregierung Staatsminister Helmut Brunner Anmerkungen zum neuen bayerischen Weg in der Politik für Landwirtschaft und Ländliche Räume | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
ASG 9 Fotos: M. Busch Veste Heldberg Marktplatz in Ummerstadt Blick vom Kloster Banz Donnerstag, 7. Mai 2015 8.00 – 17.00 Fachexkursionen Fachexkursion A: Fränkische Schweiz • „Wirtschaftsband A9 Fränkische Schweiz“: Interkommunale Kooperation in der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE) mit übergeordneter Entwicklungsstrategie • Projekt Wirtschafts- und Juniorenakademie: Einbindung der regionalen Wirtschaft am Beispiel der KSB Aktiengesellschaft (Pumpen und Armaturen), Zusammenarbeit mit Schulen • Innenentwicklung Pottenstein, Dorferneuerung und Städtebau in beengter Ortslage, Tourismus, • Rettung eines Schwimmbads durch Bürgerengagement, Entwicklung zum Outdoor-Event-Treffpunkt • Erzeugerzusammenschluss zur Erschließung neuer Absatzwege im Obstbau, Erhalt von Wert- schöpfung in der Region Fachexkursion B: Coburger Land und Rodachtal • Dorfladen Heilgersdorf: Versorgung, Dienstleistungen und Bürgerschaftliches Engagement • Überwindung der deutsch-deutschen Teilung, länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen Kommunen • Bewältigung des demografischen Wandels, Umgang mit Abwanderung, alter Bausubstanz und Leerstand, Innenentwicklung • Grenzübergreifende Tourismusentwicklung zwischen den Vesten Heldburg und Coburg • Wertschöpfung aus regionalem Obst: Obstverarbeitung und Schaubrennerei (Mit Leader-Projekten aus den LAGen Rodachtal im Coburger Land und Hildburghausen-Sonneberg) Fachexkursion C: Verdichtungsraum und Stadt-Umlandbereich Nürnberg/Fürth/Erlangen • Stadt-Land-Entwicklung im Verdichtungsraum, Planung, Konflikte und Lösungsansätze • Metropolregion Nürnberg als Stadt-Land-Partnerschaft mit innovativer Governance • Medical Valley Center (MVC): Spitzencluster-Förderung zum Bau eines Innovations- und Gründer- zentrums im Rahmen der High-Tech-Offensive Bayern, Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft • Landwirtschaft und Gartenbau im Verdichtungsraum – Chancen und Grenzen • Inklusion: Grüne Arbeitsfelder für Menschen mit psychischen Einschränkungen Das vollständige Tagungsprogramm und Online-Anmeldung im Internet unter www.asg-goe.de | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
„Klein Venedig“, die ehemalige 10 ASG Fischersiedlung in der Bamberger Tagungsregion Bamberg Inselstadt, im Hinter- grund Kloster Michaelsberg Foto: M. Busch Im Tal der Regnitz gelegen, die am Stadtrand in den Main mündet, und umgeben von den Naturparks Fränkische Schweiz, Haßberge und Steigerwald, ist nicht nur die alte fränkische Kaiser- und Bischofs- stadt Bamberg eine Touristenattraktion, sondern auch ihr Umland. Die ASG-Frühjahrstagung führt mit drei Exkursionen in die Umgebung, wo sich Burgen, Schlösser, Wallfahrtskirchen und Klosteranlagen mit historischer und kunsthistorischer Bedeutung aneinanderreihen. Bamberg – Oberzentrum und Weltkulturerbe zweig des Gemüseanbaus, der die Stadt seit ihren Anfängen über Jahrhunderte prägte, ist mit knapp Bamberg, dessen Bergstadt wie Rom auf sieben Hü- 50 ha Freilandgemüse nach wie vor bedeutend. geln erbaut wurde und deshalb auch als fränkisches Rom bezeichnet wird, ist mit 71 000 Einwohnern das Die Altstadt: Zwischen Mittelalter und Moderne Oberzentrum im westlichen Oberfranken und Universi- tätsstadt. Die Altstadt, seit 1993 Weltkulturerbe, ist der Überragt vom viertürmigen Kaiserdom hat die Alt- größte unversehrt erhaltene historische Stadtkern in stadt Bambergs die Jahrhunderte und alle Kriege fast Deutschland und stellt mit 2 400 denkmalgeschützten unbeschadet überstanden. Sie repräsentiert heute Häusern und zahlreichen Monumentalbauten aus dem modellhaft die auf einer frühmittelalterlichen Grund- 17. und 18. Jahrhundert ein unvergleichliches Ensem- struktur basierende mitteleuropäische Stadt und ble von mittelalterlicher bis barocker Baukunst dar. umfasst Bergstadt, Inselstadt und Gärtnerstadt. Die Kfz-Zulieferindustrie ist heute die wichtigste Indu- Mit der Gründung des Bistums Bamberg machte der striebranche Bambergs, allein die Firma Bosch hat spätere römisch-deutsche Kaiser Heinrich II. die Berg- ca. 7 500 Beschäftigte. Der traditionelle Wirtschafts- stadt bereits 1007 zu einem kulturellen, geistlichen und strategischen Mittelpunkt. Das marmorne Hoch- grab des heiliggesprochenen Kaiserpaares Heinrich II. Altes Rathaus und seiner Frau Kunigunde aus der Werkstatt Tilman Riemenschneiders und die Grablege von Papst Clemens II. befinden sich im spätromanisch-frühgoti- schen Bamberger Dom. Der gleich nebenan liegende Renaissance-Bau der „Alten Hofhaltung“ beherbergt heute das Historische Museum und die ebenfalls am Domplatz erbaute barocke „Neue Residenz“ der Fürstbischöfe die Staatsbibliothek Bamberg und die Staatsgalerie. Eines der berühmtesten Wahrzeichen der Stadt, das überwiegend im 15. Jahrhundert erbaute alte Rathaus, wurde später im Stil des Barock und Rokoko umgestaltet. Foto: M. Busch Inmitten des Flusses Regnitz gelegen, symbolisiert es die Herrschaftsgrenze zwischen der bischöflichen Bergstadt und der bürgerlichen Inselstadt. Der Sage nach wollte der Bamberger Bischof den Bürgern kein | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
ASG 11 Land für die Errichtung eines Rathauses abgeben. Dar- Initiative Rodachtal aufhin hätten die Bürger Pfähle in die Regnitz gerammt und auf der künstlichen Insel ihr Rathaus erbaut. Die Rodach entspringt im Thüringischen Landkreis Hildburghausen. Auf ihrem Weg zur Itz wechselt sie auf Die ehemalige Fischersiedlung in der Bamberger In- nicht einmal 40 km Strecke vier Mal zwischen Bayern selstadt wird auch „Klein Venedig“ genannt. Die dicht und Thüringen. Mehr als anderswo trennte die Grenze gedrängten Fachwerkbauten und winzige Gärten kön- die Menschen in Ost und West und hemmte auf beiden nen vom gegenüberliegenden Ufer oder auch von echt Seiten die wirtschaftliche Entwicklung. Um die Trennung venezianischen Gondeln aus betrachtet werden. Ein möglichst schnell zu überwinden und die nachbarschaft- wesentlicher Teil des UNESCOWelterbes ist die Gärt- lichen Beziehungen in allen Bereichen wieder aufleben nerstadt, die spätmittelalterliche Struktur von Hofstellen zu lassen, wurde 2001 die Initiative Rodachtal e.V. als und angrenzenden Anbauflächen ist ein außergewöhn- Zusammenschluss von mittlerweile zehn, perspektivisch liches Freiflächendenkmal. 2014 wurde der „innerstädti- vierzehn, Kommunen im bayerisch-thüringischen Grenz- sche Erwerbsgartenbau“ in das bayerische Landesver- gebiet gegründet. Schwerpunkte der Vereinstätigkeit zeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. sind die touristische Entwicklung der Region und die Innenentwicklung der Gemeinden. So hat die Stadt Seßlach unter schwierigen finanziellen Rahmenbedin- Wirtschaftsband A9 gungen einen beispielhaften Innenentwicklungsprozess Entlang der Autobahn A9 München-Berlin haben sich mit Umnutzungskonzepten für innerstädtische Baudenk- 18 nordbayerische Kommunen zum Wirtschaftsband mäler in Gang gesetzt und hiermit die innerstädtischen A9 Fränkische Schweiz zusammengeschlossen und im Funktionen (wirtschaftlich, sozial/kulturell und ökolo- Rahmen eines interkommunalen Projekts zur Integrier- gisch) gestärkt. Mit den Kurstädten Bad Colberg und ten Ländlichen Entwicklung (ILE) fünf Handlungsfelder Bad Rodach, dem Grünen Band und anderen Zeugnis- definiert: „Landschaft und Landwirtschaft“, „Dörfliche sen der deutsch-deutschen Vergangenheit sowie einer und städtebauliche Entwicklung“, „Tourismus und Nah- Reihe von Burgen und Schlössern ist das touristische erholung“, „Wirtschaft“ sowie „Kultur – Soziales – Lebens- Potenzial der Region hoch. qualität“. Mehr als 50 Projektvorschläge wurden zu die- sen Themenbereichen bereits entwickelt. So hilft die Metropolregion Nürnberg Wirtschafts- und Juniorakademie Pegnitz Jugendlichen durch Information und Unterstützung bei der Wahl ihres Die nationale Spitzenstellung der Metropolregion Nürn- Berufsweges. Damit soll sowohl dem drohenden Fach- berg (s. Ländlicher Raum 01/2014) in der Medizintechnik kräftemangel in der Region als auch der Abwanderung soll durch das neues Medical Valley Center in Forchheim junger Menschen entgegen gewirkt werden. Ein Gewerbe- mit den Schwerpunkten Healthcare IT und Gesund- flächenpool soll der Flächenschonung dienen und die heits-Dienstleistungen gestärkt werden und wachstums- Vermarktung von Flächen fördern. In der Startphase starken Unternehmen optimale Voraussetzungen für sollen ausschließlich Gewerbeflächen einbezogen wer- eine Ansiedlung bieten. Aktuell sind im Medical Valley den, die sich in kommunalem Besitz befinden. Kosten Center über 30 Firmen ansässig, die 250 Menschen und Erlöse werden unter den Poolgemeinden aufgeteilt. Arbeit bieten. Dagmar Babel Foto: Tourismuszentrale Fränkische Schweiz | ASG Das | Ländlicher Wiesenttal mit BurgRaum | 01/2015 | Gößweinstein
12 Ländlicher Raum Planspiel Flächenhandel: Flächensparen durch Zertifikathandel Lutke-Anselm Blecken Trotz Bevölkerungsrückgang werden jeden Tag in Deutschland fast 80 ha neue Siedlungs- und Ver- kehrsfläche ausgewiesen – mit den entsprechenden negativen ökonomischen, ökologischen und so- zialen Folgen. Das vorhandene Instrumentarium des Flächenmanagements scheint also nicht ausrei- chend zu sein. Gegensteuern könnte ein überregionaler Handel mit Flächenzertifikaten. Praxistest mit Modellkommunen Im kontrollierten Feldexperiment findet 2015 eine Simulation des Flächenhandels statt. Im Zeitraffer Seit Ende 2012 wird von einem Gutachterteam im werden alle Flächenausweisungen der kommenden Auftrag des Umweltbundesamtes ein mehrjähriges, 15 Jahre sowie der damit verbundene Kauf und Ver- realistisches Planspiel mit Modellkommunen durch- kauf von Flächenzertifikaten durch Vertreterinnen geführt. Es soll prüfen, ob handelbare Flächenzerti- und Vertreter der Modellkommunen durchgeführt. fikate ein Instrument sein können, um Städten und Dabei wird die Funktions- und Leistungsfähigkeit ei- Gemeinden dabei zu helfen, den Flächenneuver- nes Flächenhandelssystems überprüft. brauch zu vermindern und die Innenentwicklung zu intensivieren. Für diesen Praxistest konnten bun- Erste Ergebnisse desweit über 80 Kommunen aus allen Flächenbun- desländern gewonnen werden. Um einen möglichst Zur Vorbereitung der Fallstudien sowie der Han- repräsentativen Querschnitt aller deutschen Städte delstage wurden in den Modellkommunen umfang- und Gemeinden abbilden zu können, wurden Kom- reiche Bestandsaufnahmen durchgeführt, die alle munen unterschiedlicher Größenklassen, sowohl zentralen Themen eines nachhaltigen Flächenma- aus Wachstums- als auch aus Schrumpfungsregio- nagements abdecken. So wurden in allen Kommu- nen, einbezogen. Es wurden mehrere Cluster gebil- det, um neben einem bundesweiten Handel auch re- Abbildung 1: Modellkommunen im Planspiel Flächenhandel gionale Märkte testen und Wettbewerbseffekte zwi- schen Kommunen analysieren zu können. Wesseln Der bundesweite Modellversuch besteht aus zwei Lebens- und Nordhastedt Bausteinen, dem kontrollierten Feldexperiment und Wirtschaftsraum Rendsburg mit13 Kommunen Neustrelitz 15 kommunalen Fallstudien: Bispingen Samtgemeinde Grafschaft Ebers- In den kommunalen Fallstudien wurden im Jahr Hoya mit zehn Kommunen walde Samtgemeinde Barnstorf Samtgemeinde 2014 die Ausgangsbedingungen, Zielsetzungen und mit vier Kommunen Heemsen mit vier Kommunen Panketal kommunalen Entscheidungsprozesse bei Flächen- Rehburg- Loccum Lucken- walde ausweisungen beleuchtet. Auf Workshops in den Erkerode Dessau- Porta Westfalica Kommunen diskutierten Bürgermeister, Gemeinde- Oer-Erkenschwick Roßlau Wittenberg Spremberg ratsmitglieder, Kämmerer und Vertreter aus den Pla- Schkeuditz Ennepetal Heilbad Heiligenstadt nungs- und Umweltämtern mit dem Projektteam an- Kassel Hörselberg- Meerane hand von einzelnen Fallbeispielen, wie sich ein Han- Verbandsgemeinde Wallmerod Hainich mit 21 Ortsgemeinden delssystem konkret auf die Entscheidungsprozesse Usingen in einer Kommune auswirken würde. Euerbach Hattersheim Alflen am Main Aschaffenburg Duchroth Albisheim Stein Göllheim Künzelsau Dipl.-Geograph Lutke-Anselm Blecken Nördlingen Ludwigsburg Raum & Energie, Institut für Planung, Kommu- Karlsruhe Deggendorf nikation und Prozessmanagement, Wedel Esslingen Ostfildern Reutlingen Tel. (04103) 160 41 &E institut@raum-energie.de IIR& o: IRR& R Herrischried www.raum-energie.de oto: Bad Säckingen Fot ot Fo F Quelle: IR&E | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
Funktionsweise des Flächenhandels Ländlicher Raum 13 ● Insgesamt darf nur so viel Fläche im Außenbereich neu bebaut werden, wie zur Einhaltung des 30-ha-Zieles der nationalen Nachhal- tigkeitsstrategie zulässig ist. Diese Menge wird in Form von „Zertifikaten“ verbrieft und auf die Kommunen verteilt. ● Wenn eine Kommune bisher ungenutzte Flächen im Außenbereich zu Bauland machen will, muss sie die entsprechende Menge an Zertifikaten dafür aufbringen. Für die Bebauung im Innenbereich sind keine Zertifikate erforderlich. ● Die Zertifikate sind zwischen den Kommunen frei handelbar. Ungenutzte Zertifikate können an Kommunen verkauft werden, die mehr Zertifikate benötigen als ihnen zugeteilt wurden. Die Einnahmen aus Zertifikatsverkäufen können z. B. für die Innenentwicklung verwendet werden. ● Die Zertifikate werden zu Beginn jeden Jahres auf die Kommunen verteilt und können für spätere Aktivitäten angespart werden. ● Durch die Rücknahme bestehender Baurechte können die Kommunen zusätzliche Zertifikate generieren (weiße Zertifikate). ● Regelungen des Raumordnungs- und Naturschutzrechts bleiben unverändert. nen die Innenentwicklungspotenziale abgeschätzt, bereich und eine stärkere finanzielle Unterstützung die Innenentwicklungsbereiche abgegrenzt sowie die von kommunalen Innenentwicklungsmaßnahmen städtebaulich geplanten Entwicklungsmaßnahmen er- durch Bund und Länder. Notwendig wird eine Kombi- hoben und einer fiskalischen Bewertung unterzogen. nation von Maßnahmen sein. Insbesondere diese Bewertung der eigenen Flächen bezüglich ihres potenziellen Wertes für den Kommu- Ein bundesweites Flächenhandelssystem setzt nalhaushalt ist für die Handelsentscheidungen von auch zwischen Regionen und Kommunen mit un- großer Bedeutung (für welchen Preis kaufe oder ver- terschiedlichen finanziellen und demografischen kaufe ich ein Zertifikat?). Die Bestandsaufnahmen Rahmenbedingungen die richtigen Anreize. Be- stellen auch unabhängig vom Planspiel Flächenhan- fürchtungen, dass ein bundesweiter Markt zu einem del ein Hilfsangebot für die kommunale Strategieent- „Ausverkauf strukturschwacher Regionen“ führt und wicklung der Modellkommunen dar. daher regionale Systeme anzustreben seien, scheinen sich nicht zu bestätigen. Letztlich führt ein Flächenhandel Aus den kommunalen Fallstudien und dem bisheri- zu einem Lastenausgleich zwischen Wachstums- und gen Projektverlauf können bereits erste Ergebnisse Schrumpfungsregionen. Die kostenlose Zuteilung von abgeleitet werden: Zertifikaten ermöglicht auch finanzschwachen Kommu- nen eine „Eigenentwicklung“ oder belohnt den Ver- Ein Handelssystem mit einer knappen Gesamt- zicht auf Siedlungsentwicklung im Außenbereich durch menge an Flächenzertifikaten reduziert effektiv zusätzliche Einnahmen bei einem Verkauf der Zertifi- die Inanspruchnahme neuer Siedlungs- und Ver- kate. Größere Städte mit angespannten Wohnungs- kehrsflächen und stärkt die Innenentwicklung. märkten hingegen erhalten durch einen bevölkerungs- Da Kommunen bei der Ausweisung von Flächen im basierten Zuteilungsschlüssel ausreichend Zertifikate Außenbereich Zertifikate aufbringen müssen, wird für die Flächenentwicklung. diese gegenüber der Entwicklung von Flächen im In- nenbereich teurer. Zusätzlich können viele Kommu- Die Einführung eines Zertifikatehandels kann als nen durch den Verkauf der kostenlos zugeteilten Zer- Katalysator für interkommunale Zusammenarbeit tifikate Einnahmen generieren und damit Entwicklun- in der Flächenentwicklung dienen. Ansätze hierfür gen im Siedlungsbestand finanzieren. Damit werden reichen von einem gemeinsamen Aufbringen der not- die bestehenden starken Anreize für Kommunen für wendigen Zertifikate für regional bedeutsame Vorha- (teilweise unnötige) Flächenausweisungen reduziert, ben über eine gemeinsame regionale Bewirtschaftung während gleichzeitig Entwicklungen in den Innenbe- der Zertifikate in einem Pool bis hin zu einer Integra- reich gelenkt werden. Zusätzlich führt die Verknap- tion des Zertifikatehandels in einen regionalen Inte- pung neuen Baulandes in strukturschwachen Räu- ressenausgleich. men zu einem Werterhalt und in Wachstumsräumen zu einem Anstieg der Grundstückspreise. Dadurch Ein Flächenhandel führt in Kommunen zu einer entstehen für Grundstückseigentümer Anreize, Flä- vertieften Auseinandersetzung mit den fiskali- chen im Bestand zu aktivieren. schen Folgen der Ausweisungen für den kommu- nalen Haushalt. Diesen Prozess können fiskalische Ein Flächenhandel sollte mit neuen Instrumen- Wirkungsanalyen unterstützen, in denen die (langfristi- ten der Innenentwicklung flankiert werden. Hinter- gen) Ein- und Ausgaben durch die Realisierung eines grund ist, dass ein Mangel an Zugriffsmöglichkeiten Baugebietes quantifiziert werden. Der Flächenhandel auf (insbesondere kleinteilige) Flächen im Innenbe- schafft einen Anreiz, solche Analysen für eine fundierte reich besteht. Zu diskutieren sind beispielsweise eine Abwägung zwischen dem (Ver-)Kauf von Zertifikaten vereinfachte Anwendung von Baugeboten, eine höhe- und der Umsetzung bestimmter Vorhaben durchzu- re Grundsteuer für unbebaute Grundstücke im Innen- führen. Weitere Informationen zum Planspiel Flächenhandel unter www.flaechenhandel.de | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
14 Ländlicher Raum Umweltbildung in Kindergärten und Schulen eine Chance geben Günter Brack Nach Meinung von Umweltschützern wie dem Biologen Marcus Hamman, Universität Münster, ent- wickeln sich die Deutschen zu Naturanalphabeten, denen jegliches Umweltbewusstsein fehlt. Der Politik- und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie ist besorgt, dass die zunehmende Naturfremdheit Jugendlicher in durch globale Klimaveränderungen ausgelösten Krisen die Stabilität demokratischer Systeme gefährden könne. Er plädiert dafür, Menschen durch spielerisches und forschendes Lernen in der Natur ihre Umweltverantwortung bewusst zu machen. Mehr Matsch und hautnahes Naturerleben für Kinder Adressaten einer so verstandenen Umweltbildung müssen in erster Linie unsere Kinder sein. Sie sind es, die in den nächsten Jahrzehnten mit Anpassun- gen zurechtkommen müssen, die als Folgen der Foto: © pegbes - Fotolia.com globalen Erwärmung zu erwarten sind. Damit Kinder Natur verstehen und schätzen lernen, müssen sie jedoch erst den Kontakt zu ihr herstellen können. Andreas Weber kennzeichnet in seinem Buch „Mehr Matsch“ das Fehlen von Kinderbanden in Feld und Wald als die größte ökologische Katastro- phe unserer Zeit. Selbst in ländlichen Gemeinden sind jenseits der Häusergrenzen spielende Kinder- banden eine Seltenheit geworden. Wortwörtlich ge- lernen. Die Kultusministerien in Bayern und in Hes- nommen, heißt mehr Matsch für Weber, dass sich sen haben die Lernziele hierfür in dem gemeinsam Kleinkinder in der Natur bewegen lernen, um sie an- von ihnen herausgegebenen Bildungs- und Erzie- fassen und mit den Händen begreifen zu können. hungsplan für Kinder bis zu zehn Jahren festgelegt: Mehr Matsch – das lässt sich am ehesten noch in „In der Begegnung mit der Natur sollen die Kinder den Kindergärten und im Idealfall in Waldkindergär- die Lebensbedingungen der unterschiedlichen Tiere ten verwirklichen. Voraussetzung für letztere ist je- und die Artenvielfalt im Pflanzenreich kennen ler- doch geschultes Erziehungspersonal. Zudem müs- nen, die verschiedenen Naturmaterialien erkunden sen die Eltern die Hemmschwelle überwinden kön- und erklären, sowie einzelne Naturvorgänge vom nen, ihre Kinder bei Wind und Wetter einem Wald- Säen bis zur Ernte bewusst erleben.“ Bis zum Ab- kindergarten anzuvertrauen. Von Naturnähe im schluss des Grundschulbesuches sollen die Grund- Kindergarten kann jedenfalls keine Rede mehr sein, lagen für ein Umweltbewusstsein und das Verständ- wenn das Außengelände auf die Schaukel und den nis für praktischen Umweltschutz gelegt sein. Sandkasten beschränkt ist. Wie das geht? Dazu ein Beispiel aus der Praxis einer Natur AG: Aus dem Dorfbach wird mit einem Natur kognitiv verstehen lernen großen Bottich Wasser geschöpft. Erstes Aha-Erleb- Mit dem Übergang in die Grundschule hat es mit nis, die große Zahl der im Bottich schwimmenden dem Matsch ein Ende. Kognitive Fähigkeiten sollen Tierchen. Jeder Schüler entnimmt mit einem Sieb entwickelt werden, um Naturvorgänge verstehen zu eine Reihe der Kleinlebewesen für seine Petrischale. Anhand von Text und Bild bestimmt er die Tiere. Mit Hilfe einer weiteren Tabelle kann er feststellen, für Günter Brack welche Gewässergüte die von ihm bestimmten Tiere Anzeiger sind. Er hat eigenständig forschend ge- MinDirig. a.D., Rauenthal lernt, die Gewässergüte des Dorfbaches zu bestim- guenter-brack@t-online.de men. Ab jetzt ist Gewässerökologie für ihn kein Fremdbegriff mehr. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2015 |
Sie können auch lesen