PUNKT - Alles auf "gesund bleiben" setzen! - AUF DEN - KV Hessen
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AUF DEN PUNKT. Das Servicemagazin für unsere Mitglieder Nr. 1 / Feb. 2021 Alles auf „gesund bleiben“ setzen! Seite 10 Mehr impfen gegen Grippe und Masern Seite 18 info.service Offizielle Bekanntmachungen Seite 26
INHALT STANDPUNKT Holprig 3 AKTUELLES Drive-ins für Frankfurt und Offenbach 4 Weder Schutzschirm noch Schutzimpfung 6 Nachruf: KVH trauert um Dr. Hans-Friedrich Spies 9 TITELTHEMA Alles auf „gesund bleiben“ setzen! 10 Cholera, Pest und Innovation 12 Infektionskrankheiten müssen nicht sein 16 Mehr impfen gegen Grippe und Masern 18 „Die richtige Kommunikation mit dem Patienten ist der Schlüssel“ 22 Handbuch zur Corona-Impfung 25 Schon gewusst? 25 Informationen zu Transport, Lagerung und Haltbarkeit von drei Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 26 Zi stellt Web-Portal für Gesundheitsapps online 28 GUT INFORMIERT Kurz notiert 29 PREMA: Niedrigschwellige Hilfe bei Depressionen und Panikstörungen 30 „Auch für Hausärzte definitiv ein Thema“ 34 Das Problem mit Hakuna Matata 38 Simultaneingriffe richtig abrechnen 44 Grünes Licht für kv.dox 46 Rückblick: Doc’s Camp 2020 – online 47 Prävention: Sicher durch den Praxisalltag 48 PRAXISTIPPS Wie war das? Fragen aus der Praxis 50 SERVICE Ihr Kontakt zu uns/Impressum 51 2 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
STANDPUNKT Holprig Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, sicher, vielleicht war es naiv zu glauben, der Start der Impfungen gegen das Coronavirus in Deutschland hätte glatt verlaufen können. Warum sollte auch et- was, das in Ländern wie Großbritannien oder den USA mit wesentlich mehr Wumms angelaufen ist, in dem Land, in dem der erste zugelassene Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt wurde, direkt funktio- nieren? Wohlgemerkt sprechen wir damit über zwei Länder, deren Pandemiemanagement in den vergan- genen Monaten mit den Attributen „katastrophal“ und „verheerend“ wohl noch zurückhaltend um- Impfhonoraren für die Mitarbeit in den Impfzentren, schrieben ist. Doch warum klappt dort das, woran die dann aber von vielen Kreisen mit Dumpingprei- wir zumindest in den ersten Wochen seit Start der sen unterlaufen wurde? Warum haben weder das In- Impfungen kläglich gescheitert sind? Und warum nen- noch das Sozialministerium etwas dagegen un- glänzt ein kleiner Staat wie Israel schon nach kurzer ternommen, dass sich niedergelassene Ärzte, Ärzte in Zeit beim Impfen mit Zahlen, die den deutschen Ge- den Bereitschaftsdienstzentralen und unsere MFA in sundheitspolitikern die Schamesröte ins Gesicht trei- einer der hinteren Priorisierungsgruppen beim Impfen ben müssten? wiederfinden? Wo, bitteschön, soll es denn ein höhe- res Expositionsrisiko geben als in der täglichen Ar- Vielleicht liegt es ja daran, dass nicht jeder, der sich beit mit und am Patienten? Wir liegen deshalb seit hoher Zustimmungswerte erfreut, seine eigentlichen Wochen den Verantwortlichen in Wiesbaden in den Kernaufgaben wirklich gut erledigt. Vielleicht liegt es Ohren, um diesen unhaltbaren und skandalösen Zu- ja daran, dass es nicht ausreicht, sein Gesicht in jede stand zu verändern und hoffen sehr, dass sich dies Kamera zu halten oder in fast jeder Talkshow aufzu- geändert hat, wenn Sie diese Zeilen lesen. tauchen, während es an Grundlegendem fehlt. Das waren in der ersten Welle vor allem die Schutzaus- Wie Sie sehen, stellen sich auch elf Monate nach Be- rüstungen und sind nun die Vakzine sowie die feh- ginn der Pandemie in Deutschland mehr Fragen, als lenden Konzepte, um beispielsweise die Heimbe- dass es Antworten gibt. Sie können versichert sein, wohner zu schützen. In unserer Mediengesellschaft dass wir hartnäckig danach verlangen werden. reichen die oben genannten Rezepte für höchste Re- putation, für Spekulationen über Kanzlertauglichkeit Mit besten kollegialen Grüßen, Ihre und Ähnliches. Aber was bleibt wirklich, wenn man hinter die Kulissen schaut? Dann bleiben vor allem eklatante Versäumnisse. Doch diese Versäumnisse gibt es nicht nur in Ber- lin, sondern auch in Wiesbaden. Warum gab es eine mit dem Innen- und Sozialministerium abgestimmte Frank Dastych Dr. Eckhard Starke Rahmenvereinbarung mit wirtschaftlich vernünftigen Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 3
AKTUELLES Drive-ins für Frankfurt und Offenbach Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) baut ihr Angebot an COVID- Koordinierungscentern (Testcentern) weiter aus. Bereits kurz vor Jahresende 2020 hat die KVH wieder ein zweites Testcenter in Frankfurt eröffnet, seit dem 13. Januar 2021 gibt es zudem erstmals ein Center in Offenbach. Beide Stand orte werden als Drive-in betrieben, Termine können über ein digitales Termin management gebucht werden. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Bedarf an Tes- den Bürgerinnen und tungen auf das Coronavirus weiterhin hoch bleibt. Das Bürgern höhere Test- werden auch die endlich zur Verfügung stehenden kapazitäten zu bieten Impfstoffe zunächst einmal leider nicht ändern“, so und dabei gleichzeitig Frank Dastych, Vorstandsvorsitzender der KVH, wäh- das Testcenter an der rend eines Pressetermins zur Eröffnung des Testcen- Uniklinik zu entlasten“, ters in Frankfurt. Gemeinsam mit Dr. Eckhard Starke, erläuterte der KVH- stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVH, und Chef. „Daher haben wir Kai Klose, Hessischer Minister für Soziales und Integ- entschieden, wieder ein ration, erklärte Dastych, warum Frankfurt ein weiteres zweites Testcenter zu Testcenter benötigt und weshalb sich das Messegelän- eröffnen. Das Messege- Klose sieht die Testcenter als wichtigen de als Standort anbietet. Demnach war das COVID- lände ist dazu ideal ge- Baustein zur Umsetzung der hessischen Eröffneten das zweite Frankfurter Koordinierungscenter an der Uniklinik Frankfurt nach eignet.“ Teststrategie. Testcenter: Kai Klose, der Schließung der zweiten Frankfurter Teststelle im Hessischer Minister Bürgerhospital die einzige Anlaufstelle für Testun- Das Center befindet sich auf der Parkfläche neben für Soziales und Integration, und das gen auf SARS-CoV-2 in der Mainmetropole. Zu wenig dem westlichen Eingang der Messe und bietet ideale KVH-Vorstandsduo für die rund 750.000 Einwohner. „Uns ist es wichtig, Voraussetzungen für den Betrieb eines Drive-ins. Die Frank Dastych und Zu- und Abfahrt wurde mit Unterstützung der Mes- Dr. Eckhard Starke. se Frankfurt gut sichtbar ausgeschildert und erfolgt über die ausreichend lange Straße der Nationen. Ver- kehrsbehinderungen sind so auch bei einer großen In- anspruchnahme nahezu ausgeschlossen. PARALLELBETRIEB MEHRERER TESTSTRASSEN Die eigentliche Testeinrichtung besteht aus mehreren Containern und bietet zwei sogenannte Teststraßen, die parallel betrieben werden. Die Abstrichentnahme erfolgt direkt im Fahrzeug und dauert nur wenige Au- genblicke. Wer nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Öffentlichen Personen- nahverkehr (ÖPNV) in das Testcenter kommt, wird na- türlich auch getestet. 4 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
AKTUELLES „Das neue Test- Das Testcenter befindet center hier an sich auf dem Parkplatz der Messe in Mainufer, die Zufahrt er- Frankfurt ist ein folgt über die bekann- wichtiger Bau- te Parkplatzzufahrt an stein zur Umset- der Ecke Mainstraße und zung unserer Teststrategie. Ich freue mich, dass ich Speyerstraße. Die Öff- die KV Hessen dabei unterstützen konnte, dieses neue nungszeiten sind wie in Testcenter in Hessens größter Stadt aufzubauen“, Frankfurt Montag bis Frei- Auch in Offen- sagte Kai Klose. „Die Mitarbeitenden können in einem tag von 9 bis 13 Uhr. Getestet wird wie in allen Test- bach testet die KVH seit Mitte Drive-in voraussichtlich mehr Tests in kürzerer Zeit ab- centern der KVH ausschließlich mittels PCR-Test. Januar Men- wickeln. Selbst wenn es in Stoßzeiten gegebenenfalls schen auf das zu einer Warteschlange kommt, lassen sich die Hygie- DIGITALES TERMINMANAGEMENT Coronavirus. neregeln im Auto leichter einhalten“, ergänzte Klose. VERKÜRZT WARTEZEITEN TESTCENTER IN OFFENBACH ENTLASTET Neu ist, dass die Patienten sowohl in Frankfurt wie ANDERE STANDORTE auch in Offenbach vorab Termine für ihre Testung bu- chen können. Dazu bietet die KVH ein digitales Ter- Das gilt auch für das erste minmanagement an. Dieses ermöglicht den Mit- Testcenter in Offenbach, arbeitenden der 116117, den Arztpraxen und den das der stellvertretende Gesundheitsämtern Terminslots von 30 Minuten für KVH-Vorstand Dr. Starke zu testende Personen zu buchen. Diese Perso- am 13. Januar 2021 ge- nen erhalten dann einen Buchungscode, mit meinsam mit dem Offen- dem sie sich am jeweiligen Testcenter legiti- bacher Oberbürgermeis- mieren können. Personen ohne vorherige Ter- ter Dr. Felix Schwenke und minbuchung werden ebenfalls getestet, müs- Gesundheitsdezernent in sen aber eventuell mit einer Wartezeit rechnen. Sabine Groß offiziell er- öffnete. Durch die erste „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit den KVH-Teststelle in Offenbach müssen die rund 130.000 neuen COVID-Koordinierungscentern dazu Offenbacher sowie die Einwohner der umliegenden beitragen können, das Infektionsgeschehen Städte und Gemeinden, sollten sie einen Test auf in und um Offenbach und Frankfurt positiv SARS-CoV-2 benötigen, nicht mehr in die nächstgele- zu beeinflussen“, so Dr. Starke. Erfreut zeigte genen Testcenter nach Frankfurt oder Darmstadt fah- sich Dr. Schwenke. „Über die Eröffnung des ren. Das spart längere Anfahrtswege und entlastet die Testzentrums in Offenbach bin ich sehr froh, weil bestehenden Testcenter. sich die Wege für die Bürgerinnen und Bürger da- mit deutlich verkürzen“, erklärte das Stadtoberhaupt. Die Offen- bacher Gesundheitsdezernentin Groß ergänzte: „Ein Testcenter hier vor Ort in unserer dicht be- wohnten Stadt mitten im Rhein- Main-Gebiet wird dafür sorgen, dass Menschen mit Symptomen sich leichter testen lassen kön- nen. Es muss uns gelingen, die weitere Ausbreitung des Virus zu vermeiden.“ n Alexander Kowalski
AKTUELLES Weder Schutzschirm noch Schutzimpfung Das Coronavirus beschäftigt weiterhin auch die KVH-Vertreterversammlung. In ih- rer letzten, erneut digitalen Sitzung vor dem Jahreswechsel sorgten vor allem die niedrige Priorisierung der niedergelassenen Ärzte bei der Schutzimpfung und der Wegfall des Corona-Schutzschirms für Verwunderung und Unverständnis bei den Vertretern. Ebenso auf der Tagesordnung: Die Tätigkeit der Vertragsärzte in den hessischen Impfzentren. Auch die letzte Vertre- terversammlung 2020 konnte „nur“ als Video- konferenz stattfinden. Ungläubige Gesichter bei den niedergelassenen Ärz- stufung keinesfalls akzeptieren. Wir, die niederge- ten. Sie sind in der Corona-Impfverordnung des lassenen Ärztinnen und Ärzte, versorgen nach wie Bundesgesundheitsministeriums (BMG) weder in die vor sieben von acht mit dem Coronavirus infizierte Gruppe mit der höchsten noch in die Gruppe mit Personen und halten den Krankenhäusern den Rü- hoher Priorität eingestuft. Stattdessen genießen sie cken frei. Dass wir uns nun bei der Impfung ganz nur „erhöhte Priorität“ und stehen damit in der Rei- hinten anstellen sollen, ist ein Affront gegen die am- henfolge weit hinten. Das BMG folgte bei seiner Ein- bulante Versorgung und lässt wieder einmal jegliche stufung den Empfehlungen der Ständigen Impfkom- Wertschätzung vermissen“, ärgerte sich Frank Das- mission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI). Für tych, Vorstandsvorsitzender der KVH, über die Ver- den Vorstand und die Vertreterversammlung eine antwortlichen in Berlin. Er forderte: „Die ambulan- vollkommen unverständliche und inakzeptable Ent- te Versorgung gehört bei der Impfung ohne Wenn scheidung. „Wir können das BMG und die STIKO an und Aber in die Gruppe mit der höchsten Priorität. dieser Stelle überhaupt nicht verstehen und die Ein- Das werden wir gegenüber der hessischen Landes- 6 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
AKTUELLES Wird in 2021 nicht fortgesetzt: der für viele Praxen überlebens- wichtige Corona-Schutzschirm. regierung in Wies- drücklich, keine Ver- baden entsprechend träge zu schlechteren deutlich machen. Konditionen abzuschlie- Schließlich, und da ßen. Bestehen Sie auf ist die ambulante Ver- den 120 beziehungsweise 50 sorgung dann offenbar Euro und regeln Sie Ihr Engage- doch gut genug, sollen wir ment in einem Impfzentrum mit der Niedergelassene ja auch in den jeweiligen Gebietskörperschaft ausschließlich ho- hessischen Impfzentren unterstützen. Ganz im Ge- norarvertraglich“, appellierte Dastych an die Nie- gensatz zu den im Krankenhaus tätigen Kolleginnen dergelassenen. Mit einem Augenzwinkern nahm und Kollegen übrigens. Auf diese, so unser Minister- der KVH-Vorsitzende die aktuelle politische Lage in präsident Volker Bouffier, könne das Land nämlich Deutschland und den USA aufs Korn: „Orientiert man nicht zurückgreifen, weil sie in den Kliniken gefor- sich an dem, was gerade passiert, könnte man fast dert seien. Es tut mir leid, aber da kann ich nur mit glauben, dass zwei neue Straftatbestände eingeführt dem Kopf schütteln. Sind wir, die Vertragsärztinnen worden seien: Wahlbetrug in den USA, wo sich of- und -ärzte, in unseren Praxen etwa nicht gefordert?“ fensichtliche Wahlverlierer als erdrutschartige Sieger inszenieren, sowie die ,Drostenlästerung‘, die immer KOSTENDECKENDE IMPFHONORARE dann passiert, wenn eine Meinung vertreten wird, die sich nicht zu 100 Prozent mit der Ansicht von In diesem Zusammenhang wies der KVH-Chef dar- Deutschlands exponiertestem Virologen deckt.“ auf hin, dass die Tätigkeit in den hessischen Impfzen- tren auf jeden Fall kostendeckend sein müsse. Aus KEIN SCHUTZSCHIRM AB I/2021 diesem Grund habe die KVH anhand durchschnitt- licher Honorare und Arbeitszeiten pro Quartal das Verärgert zeigte sich die Vertreterversammlung dar- durchschnittliche Stundenhonorar von Haus- und über, dass der Corona-Schutzschirm von Seiten der grundversorgenden Fachärzten berechnet und ihre Bundespolitik bisher nicht verlängert wurde und Berechnungen dem zuständigen hessischen Innen- wohl auch nicht wird. Dieser hatte in Form von Aus- ministerium vorgelegt. Mit Erfolg: Gemeinsam einig- gleichszahlungen bis einschließlich IV/2020 sicher- te man sich auf Stundensätze von 120 Euro für Ärzte gestellt, dass das Honorar von Praxen, die pande- und 50 Euro für Medizinische Fachangestellte (MFA). miebedingt einen Honorarrückgang von mehr als „Niemand möchte durch die Unterstützung der Co- zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal hat- rona-Impfung Gewinne machen, Verluste darf es im ten, zumindest auf 90 Prozent des Honorars des Ver- Vergleich zur Praxistätigkeit jedoch nicht geben. Mit gleichsquartals des Vorjahrs aufgefüllt wurde. Für die den vereinbarten Stundensätzen können wir gut le- ersten beiden Quartale 2020 seien bereits mehr als ben, denn sie orientieren sich an unseren Berech- 33 Millionen Euro an die betroffenen Praxen ausge- nungen und sind kostendeckend“, so Dastych. Aller- zahlt worden, berichtete Dastych. „Der Schutzschirm dings, so berichtete der Vorstandsvorsitzende, gebe muss zwingend und dringend fortgeführt werden. es bereits einige Kreise und kreisfreie Städte, die die Andernfalls drohen vielen Kolleginnen und Kollegen vereinbarten Stundensätze als Höchstsätze interpre- erhebliche wirtschaftliche Verluste und ein zusätz- tieren und deutlich niedrigere Honorare anbieten liches Praxissterben, das wir vor dem Hintergrund würden. „Wir sehen das kritisch und empfehlen aus- einer ohnehin angespannten Versorgungssituation AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 7
AKTUELLES überhaupt nicht gebrauchen können“, warnte er. 1,4 Prozent auf rund 2,4 Milliarden Euro an. Dabei Dr. Eckhard Starke, stellvertretender Vorstandsvorsit- gab es bei der extrabudgetären Gesamtvergütung zender der KVH, pflichtete ihm bei: „Herr Spahn soll- (eGV) eine Steigerung um 4,1 Prozent. Die morbidi- te in der größten Not seine besten Freunde nicht ver- tätsbedingte Gesamtvergütung (mGV) sank dagegen gessen. Die Niedergelassenen übernehmen während minimal. Die Gesamtvergütung je GKV-Versicherten der Pandemie einen Großteil der Arbeit und mussten wuchs um vier Euro auf 537 Euro. Allerdings, so er- schon mit Schutzschirm auf zehn Prozent ihres Ho- läuterte Dastych, sei der Honorarvertrag 2019 bei norars verzichten. Dass die Ausgleichszahlungen bis- den Berechnungen lediglich für das vierte Quartal her nicht verlängert wurden, ist daher gelinde ge- berücksichtigt worden. Für die Quartale eins bis drei sagt ein Unding, insbesondere vor dem Hintergrund seien demnach noch Neuberechnungen notwendig. milliardenschwerer Geschenke an die Krankenhäu- Offene Nachvergütungen für 2019 seien für die ers- ser und dank kostenloser FFP2-Masken für Risikopa- te Jahreshälfte 2021 geplant. tientinnen und -patienten neuerdings auch an Apo- theken.“ Das sahen auch die Vertreter so. In einer SCHLEPPENDE VERHANDLUNGEN ZU Presseerklärung forderten sie daher den Bundesge- NEUER PRÜFVEREINBARUNG sundheitsminister öffentlich auf, Verantwortung zu übernehmen und den Schutzschirm zu verlängern, Keinen Durchbruch, so berichtete Dr. Starke, gab es mindestens bis zur Jahreshälfte 2021. Andernfalls, bisher in den Verhandlungen zu einer neuen Prüfver- so die Argumentation, seien zahlreiche Praxen, de- einbarung in Hessen. „Wir schleppen uns mit den ren Systemrelevanz auch und gerade während der Krankenkassen von Verhandlung zu Verhandlung. Pandemie mehr als deutlich geworden sei, in ihrer Unsere Forderungen und die Vorstellungen der Kran- Existenz gefährdet. kenkassen liegen dabei weit auseinander“, erklär- te der stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Bereits MODERATER ANSTIEG BEI DER GESAMT- im Mai hatte die KVH die hessischen Kassen in ei- VERGÜTUNG nem Schreiben über ihre Überlegungen zu einer neu- en Prüfvereinbarung informiert und um zügige Ver- Keinen Einfluss hatte das Coronavirus auf die Ent- handlungsgespräche gebeten. Im Fokus stehen dabei wicklung der Gesamtvergütung im Jahr 2019. Die- für die KVH die Beratung vor Regress sowie die Eta- se stieg im Vergleich zum Vorjahr um moderate blierung eines paritätisch besetzten, entscheidungs- OHNE SCHUTZSCHIRM DROHEN PRAXIS-INSOLVENZEN: HESSENS VERTRETERVERSAMMLUNG FORDERT VERLÄNGERUNG „Die Mitglieder der Vertreterversammlung fordern Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf, den Corona-Schutzschirm für die Praxen der niedergelassenen Ärzt*innen mindestens bis zur Jahresmit- te 2021 zu verlängern. Als Vergleichsquartale sollen dazu die Quartale 1 und 2/2019 herangezogen werden. Nach wie vor werden sieben von acht COVID-Erkrankte in den Praxen der Niedergelassenen versorgt – die Systemrelevanz der Praxen liegt damit auf der Hand. Wird der Schutzschirm nun – wie es aktuell droht – nicht über das Jahresende verlängert, drohen vielen Praxen eklatante wirtschaft- liche Verluste, zahlreiche Praxen werden dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Ein zusätzliches Pra- xissterben kann sich Deutschland grundsätzlich und gerade in einer Pandemie nicht leisten. Was es nun dringend braucht, sind Praxen, die sich voll auf die Versorgung der Patient*innen konzentrieren können und zusätzlich die Hauptlast der Impfleistungen erbringen. Deshalb fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, diese dringend notwendige Entscheidung nun endlich zu treffen und sich nicht darauf zurückzuziehen, dass man das ja gerne wolle, ein anderes Ressort dies aber verhindere. Bitte übernehmen Sie Verantwortung für die Praxen, so wie wir Verant- wortung für unsere Patient*innen übernehmen.“ 8 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
AKTUELLES befugten Gremiums, das die Prüfinhalte insbesonde- Richtgrößenprüfung bestehen. Die Folge: Das Herab- re aus politischen Gesichtspunkten steuern könnte. setzen des Aufgreifwerts bedeutet für viele unauffäl- Die Krankenkassen tragen die Beratung vor Regress lige Ärzte ein Prüfverfahren sowie einen erheblichen zwar in der Durchschnittswertprüfung mit, im Einzel- bürokratischen Mehraufwand. Dazu Dr. Starke: „Die fall lehnen sie eine individuelle Beratung vor Regress Krankenkassen möchten de facto eine Verschärfung jedoch ab. Darüber hinaus befürworten die Kassen durchsetzen. Das bedeutet für uns, dass wir vielleicht eine Beibehaltung der Durchschnittswertprüfung im sogar über einen Strategiewechsel nachdenken und Arznei- und Heilmittelbereich. Das Aufgreifkriteri- den Status quo erhalten sollten, um die Ausweitung um soll jedoch herabgesenkt werden, da im Ergeb- von Regressen zu verhindern.“ n nis weniger Prüfungen und Regresse im Vergleich zur Alexander Kowalski Wir trauern um Dr. med. Hans-Friedrich Spies Unser langjähriger Vorstandsvorsitzender, Dr. med. Hans-Friedrich Spies, ist im Alter von 76 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Wir trauern um unseren Vorstandsvorsitzenden, für zweieinhalb Jahre Vorstandsvorsitzender die- Dr. med. Hans-Friedrich Spies, der am 15. Januar ser KV. Wer mit ihm zu tun hatte, traf auf einen 2021 im Alter von 76 Jahren nach kurzer, schwe- Gentleman, der aber trotzdem die harte Ausein- rer Krankheit verstorben ist. Mit Dr. Hans-Friedrich andersetzung nicht scheute und für seine Positi- Spies verlieren wir nicht nur einen überaus ge- onen stritt. Sein Fach- und Detailwissen sowohl schätzten Kollegen, einen beschlagenen und bes- im Bereich der Medizin als auch im deutschen tens vernetzten Berufspolitiker, der sich immer für Gesundheitswesen ist legendär. Nach dem Aus- die Belange der ärztlichen Selbstverwaltung ein- scheiden aus dem Vorstandsamt in Frankfurt hat- gesetzt hat, sondern in erster Linie einen leiden- te Dr. Spies zahlreiche Ämter auch auf Bundes schaftlichen und engagierten Arzt. Seine Art, sich ebene inne, noch bis Mai 2019 war er Präsident um jeden Patienten zu kümmern und sich mit des- des Berufsverbands Deutscher Internisten e. V. sen Lebensgeschichte zu befassen, hat ihn weit über seine kardiologische Praxis in Frankfurt-Born- heim äußerst beliebt gemacht. Wir werden Dr. Hans-Friedrich Spies ein ehrendes Andenken bewahren. Darüber hinaus hat Dr. Spies die Geschicke der KV Hessen über viele Jahre maßgeblich bestimmt. Frank Dastych Er war seit Januar 1985 Mitglied der Abgeord- Vorstandsvorsitzender netenversammlung der KV Hessen und wurde zwölf Jahre später zum stv. Vorstandsvorsitzen- Dr. Eckhard Starke den der KV gewählt. Ab Januar 2000 war er dann Stv. Vorstandsvorsitzender AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 9
TITELTHEMA Alles auf „gesund bleiben“ setzen! Corona ist weiß Gott nicht die erste Pandemie, mit scheiden. Diese Impflücken ließen sich leicht schlie- der sich die Menschheit auseinandersetzen muss. ßen, zumal Impfungen in Hessen vernünftig vergü- Früher nannte man Pandemien Seuchen und wir tet werden. Zum „Gesundbleiben“ gehört auch die beleuchten, wie frühere Generationen mit selbi- Prävention, über die sich Dr. Eckhard Starke, der gen umgegangen sind und was sich nach der Seu- stv. Vorstandsvorsitzende der KVH, so seine Gedan- che dauerhaft verändert hat. Impfungen gegen ken macht. Dabei im Mittelpunkt: die Kommuni- diese Erkrankungen gehörten und gehören dabei kation der diversen Vorsorgeuntersuchungen. Und oft zum Wirksamsten, was man gegen durch Vi- so ganz kommen wir natürlich am Thema Corona ren ausgelöste Pandemien tun kann. Umso erstaun- nicht vorbei: In einer Gegenüberstellung finden Sie licher ist, dass es auch bei etablierten Impfungen daher Informationen zum Transport, zur Lagerung wie der Masern- und der Influenzaimpfung große und zur Haltbarkeit von drei Corona-Impfstoffen. n Lücken in Hessen gibt, die sich regional sehr unter- Karl M. Roth AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 11
TITELTHEMA Gastbeitrag von Jörg Vögele Cholera, Pest und Innovation Seit dem Mittelalter erlebt Europa regelmäßig Epidemien. Die damit verbundenen Wirtschaftskrisen beschleunigten Innovationen wie den Buchdruck oder die Trink- wasserversorgung. Epidemien begleiten die Menschheit seit Jahrhun- mend, gelangte sie über die Hafenstadt Kaffa in das derten und üben einen nachhaltigen Einfluss auf Handelsnetz der Genueser und verbreitete sich so Wirtschaft und Gesellschaft aus. Im kollektiven Ge- über ganz Europa. dächtnis besonders verankert ist die Pest, die seit der Antike als verheerende Seuche tradiert ist. Seit ihrem Die Auswirkungen zeigten sich nicht nur in Poli- Rückzug aus Europa ab dem späten 17. Jahrhundert tik und Wirtschaft, sondern waren auch in Religi- traten Infektionen wie Ruhr, Syphilis, Typhus, Pocken on, Kultur und Medizin spürbar. Kurzfristig kam es und Malaria vermehrt auf. zu einem fast vollkommenen Zusammenbruch des öffentlichen Lebens, wie die Novellensammlung „Il Im 19. Jahrhundert suchte dann die Cholera die eu- Decamerone“ des Schriftstellers Giovanni Boccaccio ropäischen Länder heim. Im 20. Jahrhundert verbrei- für Florenz bezeugt. tete sich die Grippe in mehreren Wellen. Zusätzlich tauchten neue Bedrohungen wie HIV, Ehec und Sars In längerfristiger Perspektive führten die massiven und aktuell das Coronavirus auf. Bevölkerungsverluste zur Aufgabe schlechter und unrentabel gewordener Ackerflächen, sodass gan- DER SCHWARZE TOD ze Dörfer verlassen und Landstriche zu Wüstungen wurden. In den Städten dagegen stiegen die Löh- Alle diese Infektionskrankheiten beeinflussten die ne sowie der allgemeine Lebensstandard. Gleichzei- Wirtschaftsentwicklung in Europa. Unter den Pestzü- tig förderten die höheren Arbeitskosten technische gen kommt insbesondere der als Schwarzer Tod be- Innovationen wie den Buchdruck, um die kostenin- zeichneten Epidemie der Jahre 1348–1353 eine be- tensive Handarbeit zu mechanisieren. Auswirkungen sondere Bedeutung zu, da sie mit vermutlich über 20 auf Handel und Wirtschaft hatte auch die von den Millionen Todesopfern ein Viertel bis ein Drittel der Städten Oberitaliens zum Schutz vor der Pest einge- damaligen Bevölkerung dahinraffte. Aus Asien kom- führte Quarantäne von Schiffen, die für die folgen- 12 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA den Jahrhunderte eine der klassischen Maßnahmen schließlich begann die Suche nach den Schuldigen, zum Schutz vor Epidemien wurde – Kaufleute und insbesondere bei Fremden und Randgruppen. Im Fall Schiffsbesatzungen wurden für 30, später 40 Tage Hamburgs waren dies damals jüdische Migranten. meist in Lazaretten iso- liert. Manche Forscher se- SANITÄRE REFORMEN hen eine direkte kausale „Wie bei allen großen Epidemien Verbindung zwischen dem lassen sich auch in Hamburg typi- Die Cholera gilt als Motor Schwarzen Tod, dem Ende sche Reaktionsmuster erkennen: für entscheidende sanitä- der mittelalterlichen Gesell- Zunächst wurde die Bedrohung re Reformen auf dem Ge- schaft und dem Beginn der bagatellisiert, indem man versi- biet der Wasserversorgung Renaissance. cherte, es handele sich lediglich und der Kanalisation, die in um ein verstärktes Auftreten des vielen europäischen Städ- CHOLERAEPIDEMIE IN einheimischen Brechdurchfalls.“ ten ab den 1870er-Jahren HAMBURG systematisch ergriffen wur- Prof. Dr. Jörg Vögele den. Die Kommunen voll- Die Cholera gilt als die klas- brachten technische und fi- sische Seuche des 19. Jahr- nanzielle Pionierleistungen, hunderts. Eine kurze Inku- und die Cholera lieferte bationszeit und ein schneller Verlauf begrenzten die das Argument: Max von Pettenkofer, der erste Lehr- Krankheit lange auf Asien. Dies änderte sich im Zeit- stuhlinhaber für Hygiene in München, entwickelte alter des Welthandels, als sie sich von Indien aus ent- seine „Experimentelle Hygiene“, die auf die Bedeu- lang der Handelswege nach Westen hin ausbreitete tung ökologischer Interventionen abhob. Miasmen, und Europa seit den 1830er-Jahren in mehreren Zü- durch Fäulnis und Zersetzung in feuchtem Grund gen heimsuchte. Allein schon die Furcht vor einer entstehend, seien die Ursache für die Epidemien; drohenden Epidemie versetzte die Bevölkerung in man könne daher die Cholera durch die Trockenle- Angst und Schrecken. Die Unklarheit über die Anste- gung des Bodens, also Sanierung, stoppen. Diese ckungswege, die entsetzlichen Symptome und der Sicht beziehungsweise Erklärung erlaubte den Städ- Tod aus „heiterem Himmel“ verschärften die Reakti- onen zusätzlich. Besonders gut dokumentiert ist die Choleraepide- mie der 1890er-Jahre, von der Hamburg als einzige europäische Großstadt betroffen war. Binnen weni- ger Wochen fielen rund 8.000 Menschen der Krank- heit zum Opfer. Da in Hamburg das Trinkwasser nicht gefiltert wurde, konnten sich die Krankheits- erreger über die zentrale Wasserversorgung im gan- zen Stadtgebiet ausbreiten. So hatte die vom Kauf- mannsgeist geprägte Stadt an der falschen Stelle gespart. Wie bei allen großen Epidemien lassen sich auch in Hamburg typische Reaktionsmuster erkennen: Zunächst wurde die Bedrohung bagatellisiert, in- ten zudem prophylaktische Maßnahmen, wodurch dem man versicherte, es handele sich lediglich um dieser Ansatz auch einen ökonomischen Nutzen ver- ein verstärktes Auftreten des einheimischen Brech- sprach. Eine sanitäre Infrastruktur galt nun als we- durchfalls. Als sich die Epidemie nicht mehr länger sentlich für das Funktionieren einer modernen Stadt, leugnen ließ, erfolgte eine panikartige Fluchtreak- während traditionelle Formen staatlicher Interven- tion. Die Zahl der verkauften Bahntickets stieg um tion wie die Quarantäne im Kontext einer moder- ein Vielfaches, und wer die Stadt verlassen konnte, nen, auf freiem Austausch von Waren und Dienst- machte sich davon. Nach dem Abklingen der Seuche leistungen basierten Wirtschaft als kontraproduktiv AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 13
TITELTHEMA erschienen. Ein Abbrechen des Handelsverkehrs war ZEITALTER DER GRIPPE daher – so Pettenkofer – ein größeres Übel als die Cholera selbst. Das 20. beziehungsweise frühe 21. Jahrhundert ist geprägt durch grippeartige Epidemien, beginnend Auf der Basis seiner „Human Capital“-Ökono- mit der Spanischen Grippe 1918–1920, die häufig mie wies Pettenkofer darauf hin, dass durch sani- in Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg dis- täre Maßnahmen geret- kutiert wird und mit einer tete Leben und ersparte geschätzten Zahl von 40 Krankentage die nötigen „So führt die Globalisierung von Millionen Todesfällen die Investitionskosten in die Wirtschaft und Gesellschaft auch Anzahl der 17 Millionen Infrastruktur weit über- zu einer Globalisierung der Infekti- Kriegstoten weit übertraf. schritten. Auch wenn in onskrankheiten. Sprich: Nach der Abweichend von vielen der Folgezeit seine The- Epidemie ist vor der Epidemie.“ anderen Epidemien suchte orie zunehmend durch die Grippe ihre Opfer nicht die Bakteriologie Robert Prof. Dr. Jörg Vögele unter Kindern und Senio- Kochs abgelöst wurde, die ren, sondern betraf vor al- den Fokus auf den Erreger lem junge Männer im bes- im Trinkwasser legte, sollten Kosten-Nutzen-Berech- ten Alter – darunter viele Soldaten. Dies löste nach nungen künftig den Blick auf Epidemien prägen. Für Kriegsende eine tiefgehende Sorge um die Entwick- Hamburg ergab sich folgende Rechnung: Einem Ge- lung der Bevölkerung und der Wirtschaftskraft aus. samtverlust von 430 Millionen Mark standen die be- scheiden anmutenden Kosten von 22,6 Millionen In vergleichbarer Weise wurde dieser ökonomi- Mark für das im folgenden Jahr mit einer Filteranla- sche Aspekt Jahrzehnte später auch bezüglich HIV ge ausgestattete Wasserwerk gegenüber. Zusätzlich und Aids auf dem afrikanischen Kontinent disku- wurden Stadtviertel saniert und weitere hygienische tiert. Denn mit den erkrankten Männern brach das Maßnahmen getroffen. Da die Stadt von weiteren ökonomische Standbein der Familien weg. Eben- Choleraepidemien verschont blieb, lässt sich durch- so spielt bei der Bekämpfung von Epidemien der aus folgern, dass die große Choleraepidemie den finanzielle Aspekt eine zentrale Rolle; so wurde in Wandel Hamburgs zu einer modernen Handels den 1990er-Jahren immer wieder betont, dass, metropole beschleunigte. selbst wenn das Heilmittel für Aids ein Glas sauberes Jede historische Epoche hat ihre charakteristische Infobox Krankheit Im Mittelalter starb bis zu ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung an der Pest. Später versetzten die Cholera, die Spanische Grippe und Aids die Bevölkerung in Schrecken. Jede Epidemie löste gesellschaftliche und wirtschaft liche Veränderungen aus. So begünstigte die Pest Innovationen wie den Buch druck und die Cholera führte zu einer sanitären Revolution in den Städten. Die derzeitige SARS-CoV-2-Pandemie zeigt deutlich, dass Epidemien die Menschheits geschichte nach wie vor begleiten und nicht nur, wie lange geglaubt, auf die heutzutage weniger entwickelten Länder beschränkt sind. 14 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA asser wäre, es sich die meisten Infizierten – man W onen verkauft, verschenkt oder wegen begrenzter dachte an Afrika – nicht leisten könnten. Haltbarkeit vernichtet. PANISCHE REAKTION UNBESIEGTE INFEKTIONSKRANKHEITEN Die Geschichte von Epidemien hat jedoch auch mit Derzeit geht angesichts der Corona-Krise etwas ver- Ängsten zu tun. In diesem Sinne lässt sich von ei- gessen: In Westeuropa hat sich die Lebenserwartung ner „emotionalen Epidemiologie“ sprechen, die ei- im Verlauf der letzten 150 Jahre nahezu verdoppelt nen eigenen, von der faktischen Infektionssituation und der Tod hat sich in die höheren Altersgrup- unabhängigen Verlauf hat – der jedoch gleichfalls pen „zurückgezogen“. Entsprechend dominieren auf Wirtschaft und Gesellschaft wirkt. Paradigma- Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs das Panora- tisch kann dies am Beispiel der sogenannten Schwei- ma der Todesursachen. negrippe verdeutlicht werden: Als sich im Frühling 2009 das auslösende H1N1-Virus rasch verbrei- In globaler Perspektive ergibt sich dagegen ein an- tete, verwiesen Medien und Politik in panikarti- deres Bild: Neue und wiederkehrende, längst besiegt ger Stimmung auf die Spanische Grippe und rie- geglaubte Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuber- fen nach einem Impfstoff. Die Angst nahm zu, als kulose et cetera bedrohen die Gesundheit der Be- die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juni die völkerung. Weltwirtschaft, internationale Migration Übertragungen als Pandemie einstufte. Bis Oktober und Massentourismus machen diese zu weltum- waren weltweit mehr als 440.000 laborbestätigte In- spannenden Risiken, die von internationalen Institu- fektionen gemeldet, von denen 5.700 tödlich verlie- tionen beobachtet werden. So führt die Globalisie- fen, was allerdings weit unter den Todesfällen der rung von Wirtschaft und Gesellschaft auch zu einer saisonalen Grippe lag. Globalisierung der Infektionskrankheiten. Sprich: Nach der Epidemie ist vor der Epidemie. Die Pharmaindustrie schließlich erkannte in der Ent- wicklung eines Impfstoffs ein Milliardengeschäft. Hinweis: Der Artikel wurde mit freundlicher Geneh- Als im Herbst dann eine Impfung zur Verfügung migung von Autor und Redaktion aus „Die Volks- stand, blieb die Nachfrage gering: Der Impfstoff sei wirtschaft 6/2020“, Seite 22-25, übernommen. nicht getestet und schlecht verträglich. Mittlerwei- le war es zudem offensichtlich, dass H1N1 als rela- Literatur: Jörg Vögele et al. (2016). „Epidemien und tiv harmlos einzustufen ist. So blieben bis Mai 2010 Pandemien in historischer Perspektive“, Berlin n in Deutschland etwa 28,3 Millionen Impfdosen im Prof. Dr. Jörg Vögele Wert von 236 Millionen Euro unverbraucht. Auch in der Schweiz war die Impfbereitschaft gering; von den 13 Millionen Impfdosen wurden über 7 Milli- KONTAKT Jörg Vögele Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf T. 0211 8106473 H. www.dievolkswirtschaft.ch/de/2020/05/cholera-pest-und-innovation AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 15
TITELTHEMA Infektionskrankheiten müssen nicht sein MEDIZINISCHE FORTSCHRITTE AUF EINEN BLICK lassen wurden – als eine Art „Biowaffe“. Auch heu- te noch sterben weltweit jedes Jahr Hunderttausende Den Einzelnen und die Gesellschaft schützen Menschen, vor allem Kinder, an den Masern – obwohl Eine weltweite Impfpflicht führte zur Ausrottung des es längst einen Impfstoff gibt. Masern sind eine hoch- Pockenvirus. Das ist eine absolute Erfolgsgeschich- ansteckende Erkrankung, gegen die es keine geziel- te. Auch Poliomyelitis konnte sehr erfolgreich durch te Behandlung gibt. Nach einer Masernerkrankung ist Impfungen zurückgedrängt werden. Dennoch gibt man lebenslang immun. Etwa 100 von 100.000 Er- es latente Verläufe und die Impfungen von Kindern krankten sterben an Masern, ca. 3.000 bekommen dürfen nicht nachlassen, sonst steigt die Zahl der eine Lungenentzündung. jährlich Erkrankten innerhalb der nächsten zehn Jah- re auf 200.000. Sehr wirksam ist zudem die Masern AIDS impfung. Sie führt bei etwa 9 von 10 Geimpften zu ei- 1982 tauchen die ersten Aids-Fälle in Deutschland auf. nem wirksamen Masernschutz. Es gab keine Therapie gegen diese Immunschwäche. Das sollte sich erst 1996 ändern mit der Einführung So kam es zur Entdeckung des Pockenimpfstoffs der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART). Es fiel schon vor 3.000 Jahren auf, dass genesene Men- Sie gilt als Durchbruch in der Therapie von Aids. schen nicht erneut an dem Virus erkrankten. Angeblich bereits um 1.000 v. Chr. wurden daher Menschen ge- Entdeckung des Insulins zielt mit Flüssigkeit aus Pusteln an Pocken Erkrankter in- Ohne die Entdeckung des Insulins gäbe es keine The- fiziert. Dies geschah über die Haut, was in den meisten rapie gegen Diabetes. Auch dies ist eine große Errun- Fällen einen leichteren Verlauf der Krankheit zur Folge genschaft der Forschung. Die erste Erwähnung einer hatte als bei einer Infektion durch Einatmen. Trotzdem dem Diabetes ähnlichen Erkrankung findet sich in ei- waren diese Infektionen nur schwer kontrollierbar. Eine nem altägyptischen Manuskript (Ebers Papyrus) von Beobachtung Ende des 18. Jahrhunderts brachte den 1.530 v. Chr. Am 27. Juli 1921 gelang Frederick Ban- Durchbruch: Dem englischen Landarzt Edward Jenner ting und Charles Best die Isolierung von Insulin aus fiel auf, dass Menschen, die die harmlosen Kuhpocken den Bauchspeicheldrüsen von Hunden. Hiermit stand (Vaccinia-Virus) durchgemacht hatten, immun gegen der Weg offen für die Etablierung der ersten wirklich Pocken waren. Damit erfand er die moderne Schut- wirksamen Behandlung des Diabetes mellitus. zimpfung. Das heute noch verwendete Wort Vakzin (im Englischen: vaccination) erinnert daran, denn vac- Medizin 2021: Was an neuen Medikamenten ca ist das lateinische Wort für Kuh. Wann und wie ge- kommen kann nau das Vaccinia-Virus entstand, ist unklar. Allein im 2021 sind mehr als 30 neue Medikamente zu erwar- 20. Jahrhundert starben ca. 300 Millionen Menschen ten. Darunter sind Impfstoffe und therapeutische Me- an Pocken. Dass Pocken heute als ausgerottet gelten, dikamente gegen COVID-19. Auch neue Gentherapien ist noch immer einer der größten medizinischen Erfol- gegen Krebserkrankungen oder seltene Stoffwechsel- ge der Geschichte. störungen dürften herauskommen. Wie die forschen- den Pharma-Unternehmen (vfa) mitteilen, haben sie Masern auszurotten bleibt eine Vision in 2019 ihre Forschungsaufwendungen für die Ent- Masernviren sind alt. Mit der Entdeckung Amerikas wicklung neuer Arzneimittel in Deutschland um rund brachten die Eroberer aus Europa auch ihre Viren mit, 6 Prozent auf 7,8 Milliarden Euro gesteigert. Das ist die die das Immunsystem der Ureinwohner mit voller höchste jemals erfasste Summe für Medikamentenfor- Wucht trafen. Millionen Indianer starben an den Ma- schung innerhalb eines Jahres. Sie macht die Branche sern. Es gibt sogar Theorien, nach denen Viren auch zur forschungsintensivsten Industrie in Deutschland. n bewusst von den Eroberern auf die Indianer losge- KBV, PEI, vfa 16 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA 2020 Polio Masern 2020 Polio tritt noch in Es gibt in Deutschland eine Pakistan und Afghanistan auf. Impfpflicht unter anderem für m edizinisches Personal. 2018 Polio Dank weltweiter Impfkampagnen Polio 2006 sinkt die Zahl der Erkrankten auf Die Zahl der jährlich Erkrankten nur noch 30 im Jahr. sinkt auf unter 2.000. Polio 2000 1988 Polio Bis 2000 sollte das Virus Jährlich zählt man ausgerottet sein, dieses Ziel rund 350.000 Erkrankte. wurde verfehlt. 8. Mai 1980 Pocken Das Virus wird offiziell für ausgerottet erklärt. Pocken Seit 1979 Eine weltweite Impfpflicht führte zur Die Erde ist pockenfrei. Ausrottung des Pockenvirus. 1974 Masern Die Masernimpfung wird in der Bundesrepublik eingeführt. Masern 1970 In der DDR gibt 1966/67 Masern es eine Impfpflicht Erst werden Totimpfstoffe zu gegen Masern gelassen, dann erfolgt die Zulassung des Lebendimpfstoffs. Pocken 1874 Zwischen 1871 und 1874 Pocken Im Deutschen Reich gibt es In Deutschland findet die letzte eine Impfpflicht gegen Pocken. schwere Pockenepidemie statt; etwa 170.000 Menschen sterben. Pocken 4. Jh. n. Chr. 1.000 v. Chr. Pocken In China wird eine Pockenepidemie Pocken dürfte es schon im dokumentiert. Alten Ägypten gegeben haben. Poliomyelitis (Polio, Kinderlähmung) Erfolgsgeschichte Masern Pocken AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 17
TITELTHEMA Mehr impfen gegen Grippe und Masern Hessen ist bei der Durchführung von Schutzimpfungen im bundesweiten Vergleich nur Mittelmaß, bei der HPV-Impfung liegen wir weit unter dem Bundesdurch- schnitt. Dies ist verbesserungsbedürftig. Vakzine in Deutschland sind sicher und schützen vor land. Betrachtet man die hessische Landkarte und Krankheiten. Daher ist es umso unverständlicher, dass die Impfquoten des unter sechs Jahre alten Bevölke- in Hessen aufgrund einer unzureichenden Durchimp- rungsteils, der ja komplett mit dieser 4-fachen Imp- fung das medizinische Ziel des Schutzes vor diversen fung geimpft werden sollte, zeigt sich folgendes Bild: Krankheiten zu erreichen verfehlt wird und zudem da- Im größten Teil von Hessen liegt die Impfquote zwi- mit erhebliche Honorarsummen verschenkt werden. schen 50 bis unter 60 beziehungsweise bei 2/3 von Beispielhaft werfen wir einen Blick auf die Masern- Hessen oberhalb von 60 %. Eine Herdenimmunität und Influenzaimpfung des Jahres 2019 in Hessen. gibt es aber erst bei einer Durchimpfungsquote von mindestens 60 bis 70 %. Für das angestrebte Ziel der Die Masernimpfung wird überwiegend als 4-fach Ausrottung der Masern ist eine Impfquote der unter Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizel- Sechsjährigen von 95 % erforderlich. Auffallend und len angeboten und durchgeführt. Dass die Impfung nicht erklärbar ist, dass es aber über Hessen verteilt insgesamt nicht ausreichend durchgeführt wird – eine Reihe von Bereichen gibt, bei denen die Impf- dies gilt nicht nur für Hessen –, zeigen die immer quoten unter 30 beziehungsweise zwischen 30 und wieder auftretenden Maserninfektionen in Deutsch- 40 % liegen. 18 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA Bei der jährlich durchzuführenden Influenza-Imp- Eine Rolle spielt sicherlich das jährlich erforderliche fung mit dem jeweils aktuellen Impfstoff kann das Bestellwesen für die Influenzaimpfstoffe und die da- Impfergebnis der Saison 2019/2020 nur als desolat mit in Zusammenhang stehende Angst vor Regres- angesehen werden. Der übergroße Anteil der Hes- sen. Bis zum 15. Januar eines Jahres muss die vor sen wird schlichtweg nicht gegen Influenza geimpft. aussichtliche Impfstoffmenge in den Apotheken Die Hessenkarte zeigt, dass nur in vier kleinen Berei- bestellt werden. Die Zahl ergibt sich aus den in der chen die Impfquote 25 % und mehr beträgt. In mehr Vorsaison durchgeführten abgerechneten Impfun- als zwei Dritteln von Hessen liegt die Impfquote un- gen zuzüglich eines Aufschlags von 30 %. Dies wur- ter 10 % beziehungsweise zwischen 10 und 15 %. de eingeführt, um im Zusammenhang mit der Co- Die Ursachen für die viel zu niedrige Impfquote und rona-Pandemie möglichst viele, also mehr Patienten vor allem die Ungleichverteilung in Hessen sind nicht als in der Vergangenheit, gegen Influenza zu impfen. ohne Weiteres erklärbar. Erstmalig konnte in der Impfsaison 2020/2021 für In Hessen darf jeder Arzt impfen. Es ist keine zertifizierte Fortbildung nötig. Insofern wäre es gut, wenn mehr gegen Influenza geimpft würde. Hessen liegt auf Platz 15 im Vergleich aller KV-Regionen. Auch Schwangere sind meist unzureichend gegen Influenza geschützt. AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 19
TITELTHEMA Die KV Hessen hat sich in der Vergan- genheit sehr für die Impfpflicht gegen Masern eingesetzt. die über 65-Jährigen der neue quadrivalente Influ- Vorsaison sind laut Bundesgesundheitsminister aus- enzahochdosisimpfstoff Efluelda® einge- geschlossen. setzt werden, der vierfach wirksamer sein soll als die bisher eingesetzten Impfstof- Unter Berücksichtigung des Gesagten ist festzustel- fe. Die hierzu erforderliche Bestellmenge len, dass unsere Impfaktivitäten zum Schutz der Ge- kann ebenfalls den individuellen Abrech- sundheit von uns allen massiv weiter gesteigert wer- nungsunterlagen entnommen werden. den müssen. Dies wird auch dann gelten, wenn die Dieses Prozedere wird auch für die Impf- COVID-19-Impfungen gegebenenfalls im Laufe des saison 2021/2022 gelten. Regresse wegen des Be- Jahres in den Praxen durchgeführt werden sollen. n zugs von bis zu 30% mehr Impfstoff gegenüber der Dr. Wolfgang LangHeinrich 20 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA Impfpflicht gegen Masern: Welche Regelungen gibt es für berufsbedingte Impfungen für Praxen als Arbeitgeber? Aufgrund der Impfpflicht gegen Masern müssen Beschäftigte von Arztpraxen bis zum 31. Juli 2021 nachwei- sen, dass sie geimpft worden sind. Die Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) ist für nach 1970 ge- borene Personen (einschließlich Auszubildende, Praktikantinnen und Praktikanten, Studierende und ehrenamt- lich Tätige) in allen Praxiseinrichtungen indiziert und Kassenleistung. Die zum 31. Juli 2021 auslaufende Übergangsregelung gilt auch für andere ausgewählte Berufsgruppen. Impfleistungen für „Japanische Enzephalitis“ und „Typhus oral“ Bei berufsbedingten Impfungen wurden in Hessen nun auch die Impfleistungen für die „Japanische Enzepha- litis“ und „Typhus oral“ in die Hessische Impfvereinbarung aufgenommen. Es ist daher ab sofort ein Bezug der Impfstoffe über den Sprechstundenbedarf zulasten der AOK Hessen möglich. Dies gilt für alle Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung. Hinweis: Eine Änderung im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hat dazu geführt, dass Impfungen mit beruflicher Begründung seit 2020 Kassenleistung sind. Sie können bei Impfungen mit beruflicher Begrün- dung Ihre ärztliche Leistung auf dem Abrechnungsformular im Praxisverwaltungssystem der Krankenkasse des Patienten ansetzen und gegenüber der KV Hessen abrechnen. Verbraucher sollten dem PEI Impfstoff-Lieferengpässe melden Patienten, die in ihrer Apotheke einen Impfstoff nicht erhalten, der an sich verfügbar sein müsste, sollten das unbedingt online über eine Eingabemaske dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden. Das PEI informiert auf sei- nen Internetseiten über Lieferengpässe von Human-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten, die auf Infor- mationen der Zulassungsinhaber beruhen. Ein Lieferengpass wird durch ein pharmazeutisches Unternehmen gemeldet, sobald die Lieferkette für die Auslieferung eines Impfstoffs von Seiten des Herstellers für einen Zeit- raum von mindestens zwei Wochen unterbrochen ist. Die Crux: Wie groß der Bestand an dennoch verfügba- ren Impfstoffdosen in den Filialen des Apothekengroßhandels beziehungsweise in einzelnen Apotheken oder Arztpraxen ist, wird zu keinem Zeitpunkt zentral erfasst. Kontakt: www.pei.de Meldung des Verdachts einer Impfnebenwirkung Moderne Impfstoffe haben eine ausgezeichnete Sicherheitsbilanz. In sehr seltenen Fällen kommt es jedoch bei einigen Personen zu schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen im zeitlichen Zusammenhang mit Imp- fungen. Die Untersuchung der Ursachen solcher Ereignisse ist von entscheidender Bedeutung und kann dazu beitragen, die Impfstoffsicherheit zu verbessern. Daher sollte jeder Verdacht auf eine Impfnebenwirkung dem PEI gemeldet werden. Kontakt: www.pei.de oder www.nebenwirkungen.bund.de n FRAGEN? Petra Bendrich Das Team Arznei-, Heil- und Hilfsmittel steht Ihnen gerne zur Verfügung: Weitere Informationen unter: T. 069 24741-7333 www.kvhessen.de/abrechnung-ebm/ E. verordnungsanfragen@kvhessen.de www.kvhaktuell.de AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 21
TITELTHEMA „Die richtige Kommunikation mit dem Patienten ist der Schlüssel“ Wenn Patienten aus Angst vor Diagnosen sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnehmen, liegt dies oft an der Kommunikation. Dr. Eckhard Starke, stv. Vorstand der KV Hessen, treiben die Themen Impfen und Prävention um. „Wie könnte es gelingen, Patienten zu erreichen, die sich Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsangeboten entziehen?“ ist dabei eine der Kernfragen. Im Gespräch mit Auf den PUNKT. stellt er mögliche Lösungsansätze vor. Prävention und Früherkennung sind in den Pra- gen lassen, dass er gesund ist, und nun sah er sich xen ja wichtige Themen. Wo knirscht es denn mit einem Arzt konfrontiert, der – und nur diese Bot- da aus Ihrer Sicht? schaft hörte der Patient – so lange suchen wollte, bis Dr. Eckhard Starke: Mein Schlüsselerlebnis war, als er den Krebs entdeckt hatte. Mein Patient hörte eben mir ein Patient, den ich zu einer Krebsfrüherkennungs- nur diese eine Botschaft und bekam große Angst und untersuchung an einen Kollegen überwiesen hatte, reagierte mit Flucht. Das hat mich sehr beschäftigt. bei seinem nächsten Besuch in meiner Sprechstunde berichtete, er sei meinem Kollegen im wahrsten Sinne Solche Missverständnisse sollten natürlich ver- des Wortes von der Untersuchungsliege gesprungen. mieden werden, aber was haben Sie darüber Was war passiert? Der Kollege hatte meinen Patienten gedacht? begrüßt mit den launigen Worten: „Na, dann wollen Dr. Eckhard Starke: Es hat mir die Augen geöff- wir mal schauen, wo wir den Krebs finden.“ Das war net, warum eine bestimmte Patientengruppe ein- für meinen Patienten zu viel. Er wollte sich bestäti- fach nicht von uns erreicht wird. Häufig genau die 22 AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021
TITELTHEMA ruppe, die es besonders nötig hätte. Die fällt durch G Dr. Starke plädiert dafür, das Raster, denn ihre Angst vor einer Krebserkran- Vorsorgeuntersuchungen kung schreckt sie ab, sinnvolle Vorsorgeuntersu- umzubenennen in U20, chungen wahrzunehmen. Es sind oft die gleichen Pa- U30 und so weiter. tienten, die wir auch nicht motivieren können, sich mehr zu bewegen, gesünder zu essen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Diese Patienten sind stattdes- sen gewillt, Tabletten einzunehmen, weil alles ande- re für sie zu mühevoll ist. Von der Tablette verspre- chen sie sich eine positive Veränderung, ohne selbst weiter aktiv werden zu müssen. Sie reden sich das schön: Ohne Untersuchung gibt es keine Diagnose, also sind sie gesund. Sie sagen: Was ich nicht finden will, brauche ich auch nicht zu suchen. Was bedeutet das für Ärzte? Dr. Eckhard Starke: Wir Ärzte müssen uns fra- gen, was wir von unserem Gegenüber überhaupt er- warten können und das wird meiner Meinung nach beim Thema Prävention zu oft ausgeklammert. Rund rum wir die Terminologie für die U-Untersuchun- um die Prävention müssen wir uns um eben diese gen bei Kindern nicht auch bei Erwachsenen fort- Patienten sehr bemühen und aufwendige Gespräche setzen als U20, U30, U35, U45, U50, U55, U65 oder führen. Das ist natürlich unangenehm, weil wir dann U90. Dann würden wir schon in der Kommunikati- gegen den Strom schwimmen. Das fällt allen schwer, on nicht das Hauptaugenmerk auf Krebs legen wie die das tun, auch in anderen Gesellschaftsbereichen. beispielsweise bei Früherkennung von Darmkrebs bzw. Darmkrebsscreening. Hier gibt es ein Durchein- Viele Ärzte greifen diese Themen bei den Patienten ander: Wir sprechen von Check-up, Früherkennung, schon auf. Aber wir als Ärzte können da nicht al- Screening, und das bei Haut-, Darm- oder Brust- lein gegensteuern. Da brauchen wir Unterstützung, krebs. Zudem muss sich der Patient entscheiden, denn wir sind keine Gesundheits- welche Krebsvorsorgeuntersu- aufseher. Da brauchen wir auch chung er überhaupt machen die Medien und alle, die in der Pa- „Meine Vision ist, ein 48-jäh- will. Auch da kommt mancher tientenkommunikation aktiv sind, riger Patient ruft bei der schon ins Schleudern. Das ver- denn wir haben in der Praxis nicht 116117 an und die Mitarbei- wirrt stark. Warum schreibt die Zeit, dieses Thema lang und ter der Hotline helfen ihm, in- man die U-Untersuchungen ausführlich mit vielen einzelnen Pa- nerhalb von ein bis zwei Ta- nicht einfach fort? Wir würden tienten zu besprechen. In der Pra- gen alle U50-Untersuchungen trotzdem bei den U-Untersu- xis ist es – und da will ich mal ganz wahrzunehmen.“ chungen das Augenmerk auf ehrlich sein – manchmal einfacher, eine breite Auswahl von Symp „Gesunde“ mit leichten Befindlich- tomen legen und so diejeni- keitsstörungen zu behandeln als eben Patienten, die gen Patienten mitnehmen, die aus Angst vor einer schnell den Kopf in den Sand stecken und keine Ver- Krebsdiagnose die heutigen Krebsfrüherkennungs- antwortung für sich übernehmen. Wir leben in ei- programme nicht nachfragen. Ich bin überzeugt, ner Gesellschaft von Individualisten und viele sind dass wir mit einer klareren Kommunikation viel mehr für uns unerreichbar. Die tun nur, was sie für rich- Patienten erreichen würden. tig halten. Meine Vision ist, ein 48-jähriger Patient ruft bei der Was könnte denn besser laufen? 116117 an und die Mitarbeiter der Hotline helfen Dr. Eckhard Starke: Die diversen Präventionspro- ihm, innerhalb von ein bis zwei Tagen alle U50-Unter- gramme unterstütze ich prinzipiell alle. Kritisch sehe suchungen wahrzunehmen. Der Patient würde dann ich aber die Kommunikation. Ich wundere mich, wa- gar nicht merken, dass der Arzt nach Krebs schaut. AUF DEN PUNKT NR. 1 / FEB 2021 23
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