KNUT UND DIE AMAZONEN - Warum "sowas wird Amazon nie machen" keine gute Begründung für eine Amazon-Strategie ist - DIGITALKAUFMANN
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JANNE-FLEMMING BERNGRUBER MARKUS FOST ADRIAN HOTZ STAND Q3 2015 KNUT UND DIE AMAZONEN Warum „sowas wird Amazon nie machen“ keine gute Begründung für eine Amazon-Strategie ist DIESE STUDIE WURDE ERARBEITET POWERED BY IN KOOPERATION MIT:
INHALT Vorwort................................................................................................................................................ 4 E-Commerce und Amazon: Der Tsunami und die Insel................................................................. 5 Über die Autoren................................................................................................................................ 8 Markus Fost 8 Adrian Hotz 8 Janne-Flemming Berngruber 9 KAPITEL 1: AMAZON – DAS A, O UND Z..........................................................................................10 KAPITEL 2: (ÜBER)LEBEN MIT AMAZON.......................................................................................... 21 KAPITEL 3: DURCH DAS DICKICHT.................................................................................................. 31 Experteninterviews:..........................................................................................................................39 Interview: Jörg Kundrath, KAVAJ 39 Interview: Stephan Waldeis, AL-KO 41 Interview: Witha Rausch, L’Oréal 43 Interview: Niels Haußmann, XciteRC 45 Literaturverzeichnis..........................................................................................................................48 3
VORWORT Ich freue mich sehr, dass es mit diesem Paper endlich eine Basis gibt, die dazu dient, die Vor- und Nachteile von Amazon strukturiert zu erklären. Als wir das erste „Knut geht baden“ Paper im Jahr 2014 publiziert ha- ben, war Amazon nur eines der vielen Phänomene, das wir in Bezug auf den E-Commerce erklärt haben. Durch das starke Wachstum von Ama- zon und die neu ausgespielte Verhandlungsmacht hat sich aber in den letzten Monaten gezeigt, dass Amazon ein ganz eigener Markt geworden ist. Der Rest im E-Commerce wird zunehmend Beiwerk und das führt zu ganz starken Interessenskonflikten bei den betroffenen Herstellern und Händlern. E-Commerce Strategien, die noch vor 2-3 Jahren als vielver- sprechend galten, werden durch die Marktmacht Amazons auf einmal Alexander Graf nichtig und die Frage ist gar nicht mehr „Mit oder ohne Amazon? “, son- Herausgeber Kassenzone.de dern „Was kann ich hier tun? “. Die Autoren schaffen es, mit einigen un- terhaltsamen Anekdoten durch den Dschungel der Optionen zu führen und haben sehr viele spannende Insider Infos, wie man den Handel auf und mit Amazon optimieren kann. Hierin liegt auch der Fokus des Papers. Amazon muss man sich zu Nutze machen, genauso wie man sich als Her- steller und Händler mit Google auseinandersetzen muss. Wer einen Weg ohne Amazon sucht, wird in diesem Paper wahrscheinlich nicht fündig. 4
E-COMMERCE UND AMAZON: DER TSUNAMI UND DIE INSEL Kennen Sie noch die Geschichte von Knut, einem der stärksten Kö- nige des frühen Mittelalters, der zeitweise über England, Dänemark, Norwegen, und Schweden herrschte? Knut soll einmal an einem Strand seinen Thron in den Sand gesetzt und bei anschwellender Flut das Wasser gebeten haben, es möge vor seinen Füßen Halt machen. Natürlich tat es das Wasser nicht. Die Meinungen der Historiker ge- Denn seit Jahren schon ist es ein mehr Chancen als Risiken bereit- hen nicht nur darüber auseinan- unumkehrbares Naturgesetz, hält. Denn früher brauchten Her- der, ob diese Geschichte stimmt dass immer größere Marktantei- steller von fast allen Segmenten oder nicht, sondern auch darüber, le vom stationären Handel in den Händler, um an Kundschaft heran- ob Knut wirklich glaubte, dass er Online-Handel verlagert werden. zukommen. Mit diesen Händlern das Wasser einfach herumkom- Richtig: verlagert! Das heißt nicht verschwand aber Marge – und mandieren konnte. Viele meinen ja, nur, dass Wachstum eher durch Macht. Absatzerfolge wurden oft er habe nur seinen ehrfürchtigen den Verkauf im Netz verzeichnet von exorbitanten Rabatt-Anforde- Höflingen zeigen wollen, wie es tat- wird, sondern dass Umsatz, der rungen und einer allzu konsumen- sächlich um seine Macht bestellt bislang in Einkaufszentren, Fach- tenfreundlichen Preispolitik be- war – nicht zuletzt, damit ihm kei- märkten und Markenstores ange- gleitet, die der Hersteller gefälligst ner etwas anlasten könnte, wenn fallen ist, dem stationären Handel mitzutragen hatte, um nicht – so mal wieder Hochwasser, Dürre wegbricht und in den Online-Han- war immer die nukleare Drohung oder sonstige extreme Wetterer- del wandert. Wer als Markenher- – ausgelistet zu werden. eignisse das Leben seiner Unterta- steller nicht lernt, mit dieser Flut Mit dem Internet ist es aber nen erschwerte. zu schwimmen, ist an den Thron nie kostengünstiger und aufwand- Eines steht fest: Knut hat für die des altehrenwürdigen Einzelhan- särmer gewesen, seinen eigenen Nachwelt eindrucksvoll demonst- dels gekettet – und wird mit ihm Kundenstamm aufzubauen und zu riert, wie nutzlos es ist, sich Natur- untergehen. pflegen. Direktvertrieb wird in vie- gesetzen zu widersetzen. Und wir len Segmenten zum Normalfall: Ob haben das Beispiel des alten Hau- Knut lernt schwimmen – Jeanshose oder Flachbildschirm- degens schon mehrmals bemüht, aber wohin kann er kraulen? fernseher, viele Kunden wollen um zu verdeutlichen, wie vergeblich Viele Markenhersteller haben das Produkte eines bestimmten Her- alle Einzelhandelsstrategien sind, verstanden. Sie haben ebenfalls stellers und suchen nach diesen die darauf abzielen, den Tsunami begriffen, dass die neue Situation im Netz. Erste Anlaufstelle dabei: des E-Commerce aufzuhalten. für sie in vielerlei Hinsicht sogar Die Online-Präsenz der gefragten 5
Marken. Dass es für Kunden sowie unami aufmerksam geworden – ei- line-Stores hochgeschaltet. Da Hersteller bequemer und billiger nige behaupten, sie hätten diese Amazon der unangefochtene Rie- ist, den Kauf ohne Mittelsmänner sogar auszulösen gewusst – und se der Branche ist, hat das rasant abzuschließen, liegt auf der Hand. erreichten vor Jahren die Paradie- wachsende Umsätze zur Folge. Die Vor allem stationäre Händler wer- sinsel. Dennoch wird Knut, der Flut Party kommt in Fahrt. Aber auf ein- den nun oft zu unbezahlten Wer- entstiegen, erst einmal herzlich mal kippt die Stimmung: Verhand- beakteuren degradiert, die dem aufgenommen: Es gibt eine gro- lungen werden mit einem Schlag Kunden die Ware in „echt“ zeigen ße Willkommensfeier am Strand härter, Amazon will mehr Marge und erklären dürfen, bevor er die- mit Grillfleisch und Palmwein; ein und sagt dies deutlich. Wer nicht se direkt online erwirbt. paar sehr attraktive Kriegerinnen mitzieht, wird abgestraft: Produkte Auch manche Online-Händ- legen ihre Speere und Bögen bei- von Konkurrenten werden vorge- ler dienen vielen Marken schon seite und laden ihn zum Tanzen schaltet, der Umsatz steigt nicht teilweise als „Fixer“, die dem Kun- ein… Ausgepowert von der lan- mehr – bleibt allerdings derartig den seine ersten – aber nur seine gen Schwimmstrecke, nickt Knut signifikant, dass eine Auslistung für ersten – Levi’s-Jeans oder Toshi- alsbald satt und zufrieden neben den Hersteller gar nicht in Frage ba-Fernseher verkaufen: Denn dem Lagerfeuer ein. Und wacht kommt. Er ist gefangen. Und dann diese werden mit Beilegern aus- am Folgetag in einem Bambuskäfig kommt der Hammerschlag: Ama- geliefert, die in den Web-Store des auf. zon schaltet keine Produkte von Herstellers mit Gutscheincodes Nun gibt es statt Palmwein nur Mitbewerbern mehr vor – sondern einladen. In einem Wort: Den Fin- noch modriges Wasser, statt safti- seine eigenen. Nun muss der Her- ger auf den roten Knopf „Auslis- gen Grillfleisches landen nur noch steller zusehen, wie Amazon an tung“ haben heute eher Herstel- Knochen in seiner Kokosschale. ihm vorbei seine Kunden mit ähnli- ler. Allerdings kommen auch die Die Amazonen wechseln kein Wort cher Ware beliefert. stärksten Marken nicht komplett mehr mit ihm. Höchstens schiebt Was aber tun? Einerseits brau- ohne Händler aus, wenn es darum eine vorbeilaufende Kriegerin ihre chen Hersteller Händler – vor allem geht, den Umsatz zu steigern und Speerspitze durch die Stangen, um solche mit einer Reichweite, wie neue Kunden zu erreichen. Die ihn aufzuschrecken, und zieht la- die von Amazon, dessen Verkaufs- Machtverhältnisse haben sich zwar chend davon. Knut merkt schnell: zahlen sogar schneller ansteigen verschoben, eine komplette Um- Er ist den Amazonen vollkommen als der ohnehin stark wachsende kehr ist es aber keineswegs. ausgeliefert. Gesamtumsatz im E-Commerce. Jedenfalls hat der Markenher- Nicht nur wird der Online-Handel steller Knut schwimmen gelernt Sich vor der Flut gerettet – wichtiger, sondern Amazon wird und krault nun sportlich auf ei- in einen Käfig immer entscheidender in diesem nen neuen, einladenden Strand Denn in einem Käfig wähnen sich Segment. Andererseits gleicht die zu. Allerdings hat es sich hier am plötzlich viele Hersteller, die bei Kooperation mit Amazon einem weißen Sand unter den Palmen Amazon ihre Produkte verkaufen. Tanz mit dem Teufel – oder mit ein anderer Volksstamm schon ge- Am Anfang läuft alles blendend: den Amazonen-Kriegerinnen. mütlich gemacht: Die Amazonen. Der Hersteller wird offizieller Ven- Fast alle Hersteller in allen Sek- Diese waren nämlich schon viel dor und seine Waren werden in toren müssen sich also auf Ama- früher auf den E-Commerce-Ts- den Suchergebnissen des On- zon einlassen, wenn sie in Zukunft 6
signifikante Umsatzsteigerungen •• Arbeiten Sie in der Geschäfts- erzielen wollen. Selbst in den al- führung, im Marketing oder im lerspezialisiertesten B2B-Bereich Vertrieb für ein Unternehmen, das wird Amazon vorpreschen. Aller- Produkte herstellt? dings sind alle Hersteller ebenso gut beraten, immer eine gewisse •• Hören Sie in Ihrer Branche von Distanz zum Riesen zu wahren. Es schwieriger gewordenen Jahresge- ist ein Spiel mit dem Feuer: Ohne sprächen mit Amazon? die Flammen gibt es keinen Fort- Oder haben Sie selbst eine un- schritt, aber die Gefahr von einem angenehme Überraschung erlebt? alles vernichtenden Flächenbrand ist nie gebannt. •• Sehen Sie, wie Amazon auf be- Kurzum: Sie als Markenherstel- nachbarten oder vergleichbaren ler brauchen eine Amazon-Strate- Segmenten eigene Produkte ent- gie, damit Sie mit dem Feuer Ihre wickelt? Maschine antreiben können, ohne sich die Finger zu verbrennen. •• Oder leiden Sie selbst schon un- Oder, um es mit Knut zu sagen: Sie ter dieser neuen Konkurrenz? wollen an den Strandfeierlichkei- ten teilnehmen, ohne am Morgen •• Wollen Sie das System Amazon danach im Käfig aufzuwachen. und seine Zukunftsrichtung einmal Aber fragen Sie sich zunächst gut verstanden haben, um bessere einmal, ob dieser Ratgeber wirklich Entscheidungen für Ihr Unterneh- für Sie geschrieben wurde – oder men zu treffen? ob doch nicht ein anderer in einer anderen Branche gemeint ist? Und •• Lesen Sie lieber knappe Klar- vielleicht wollen Sie wissen, inwie- textsätze als Berater-Geschwafel? fern wir qualifiziert sind, Ihnen Rat- schläge zu unterbreiten. Beides Ja? Dann liegen Sie mit Knut wichtige und richtige Fragen, die und die Amazonen goldrichtig. wir gern beantworten. Sind Sie der Adressat für diesen Aufsatz? Wenn Sie eine oder mehrere von diesen Fragen mit „Ja“ beantwor- ten, legen Sie dieses E-Book bloß nicht aus der Hand! 7
ÜBER DIE AUTOREN Markus Fost (B.A., MBA) unterstützt Unternehmen bei der Strategie- entwicklung, dem Aufbau von Online-Geschäftsmodellen und deren Umsetzung, insbesondere bei der Software- und Dienstleisterauswahl. Zudem berät er Unternehmen im Umgang mit E-Commerce Distributi- onspartnern. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Beratungs- und Be- teiligungsgesellschaft FOSTEC Commerce Consultants bzw. der FOSTEC Ventures GmbH und Partner des Beratungsnetzwerkes eTribes Connect GmbH. Fost ist zudem Dozent und Lehrbeauftragter im Fach E-Com- merce und Autor diverser Fachbücher, u. a. beim Springer Gabler Ver- lag. Im Jahr 2009 wurde ihm der Vendor Award von Amazon.de verliehen. Markus Fost ist als Top-Spezialist und führenden Berater von Industrie, FOSTEC Commerce Consultants Marken und Handel beim Aufbau und der Umsetzung von Handelsstra- m.fost@fostec.de tegien auf dem Marktplatz Amazon Gründungsmitglied und Beirat der +49 (0) 711 222 54 464 factor-a GmbH in Hamburg. Adrian Hotz (Dipl.-Kfm.) unterstützt Unternehmen bei der Strategieent- wicklung, beim Aufbau von E-Commerce Abteilungen und bei der ope- rativen Umsetzung. Hierzu gehört Unterstützung bei der Software- und Dienstleisterauswahl und bei der Shop-Optimierung, insbesondere im Hinblick auf Personalisierung. Er ist Gründer der Adrian Hotz E-Com- merce Beratung, Partner bei eTribes, Herausgeber von www.insideecom- merce.de, Speaker auf E-Commerce-Konferenzen und Veranstalter des Events www.be.insideecommerce.de. Adrian Hotz E-Commerce Beratung aho@adrianhotz.de +49 (0) 221 46 75 35 17 8
Janne-Flemming Berngruber (B.Sc., M.A.) berät Hersteller und Händler im Bereich des Marktplatzmanagments mit dem Fokus auf Amazon. Zu seiner Expertise in der Kooperation mit Markenherstellern zählen die Pla- nung, Umsetzung und Optimierung von Online-Shops, das verbundene Online-Marketing, sowie das Marktplatzmanagement. Als Geschäftsfüh- rer der factor-a GmbH ist er spezialisiert auf die Durchführung umsatz- steigender Maßnahmen für Kunden wie z. B. Amazon SEO oder AMS. Sein Kerngeschäft bilden Amazon-Seminare, Mitarbeiter-Schulungen und die Analyse sowie strategische Beratung zur Internationalisierung über füh- rende Marktplätze. factor-a GmbH janne.berngruber@factor-a.de +49 (0) 40 32 89 29 670 9
KAPITEL 1: AMAZON – DAS A, O UND Z Was ist Amazon, wie funktioniert Amazon, und warum ist Amazon relevant? Üblicherweise beantwortet man zern seit 2009 Wachstumsraten gelt“, wird nach Produkten selbst- Fragen in der Reihenfolge, in der von 30 Prozent vorlegt. verständlich auf Amazon gesucht, sie gestellt worden sind. Allerdings Die nackten Zahlen sind heute auch wenn der Kauf doch woan- ergibt es gerade im Falle Amazon schon beeindruckend: Ohne Le- ders getätigt wird. Das ist aller- mehr Sinn, mit der Frage nach der bensmittel liegt der Umsatz im ge- dings relativ unwahrscheinlich. Relevanz anzufangen und sich zu- samten Einzelhandel in Deutsch- Denn Amazons Kostenstruktur rück zum Ausgangspunkt zu arbei- land relativ stabil bei rund 300 ist extrem optimiert und sie kann ten. Denn: Was Amazon eigentlich Milliarden Euro. Davon fielen be- fast immer den stationären Einzel- ist, begreift man am besten dann, reits 2010 über 20 Milliarden Euro handel und manch einen anderen wenn man seine Relevanz und im Segment Online-Handel an. Im Online-Händler mit einem nied- seine Funktionsweise verstanden vergangenen Jahr 2014 war schon rigeren Preis übertrumpfen. Den hat. Nur so viel sei schon vorne- die 40-Milliarden-Marke geknackt. Kunden gefällt’s, und im Jahr 2014 weg gesagt: Die naheliegende Ant- Für 2015 sehen viele Prognosen wies der Konzern einen Eigenum- wort „Amazon ist ein besonders die 50 Milliarden erreicht. Damit satz von knappen 12 Milliarden großer, besonders erfolgreicher macht E-Commerce ein Sechstel Dollar in Deutschland aus, was Online-Händler“ greift definitiv zu der Umsätze im Einzelhandel aus. beim heutigen Umrechnungskurs kurz. Selbst dann, wenn sich der Zu- rund 11 Milliarden Euro entspricht. wachs im Online-Handel verlang- Rund ein Viertel der 40 Milliar- Warum ist Amazon relevant? samen sollte – wofür überhaupt den Euro, die im E-Commerce in Diese Frage ist am einfachsten in nichts spricht –, kann getrost da- Deutschland umgesetzt werden, der Beantwortung: Allein die Mas- von ausgegangen werden, dass fallen also direkt bei Amazon an. se macht’s. Amazon ist für Herstel- 2020 der Umsatz im Segment bei Weil Amazon aber nicht nur eigene ler schon deswegen relevant, weil 100 Milliarden Euro liegen wird. Umsätze generiert, sondern seine er als Händler mit dem E-Com- Das wäre dann ein volles Drittel Verkaufsinfrastruktur auch ande- merce das Segment des Handels des Gesamtumsatzes im deut- ren Verkäufern zugänglich macht, beherrscht, das am schnellsten schen Einzelhandel. läuft tatsächlich ein weiterer, be- wächst – und in naher Zukunft Dabei kommt Amazon eine trächtlicher Anteil des Umsatzes den größten Vertriebsweg von al- besondere Relevanz zu. Für viele im Online-Handel über Amazon. len darstellen wird. Und in diesem Konsumenten ist der Konzern so Diese Zahlen werden vom Kon- schnell wachsenden Segment legt etwas wie ein Synonym für den zern zwar nicht veröffentlicht, aber Amazon überproportional zu – vor Online-Handel insgesamt: So wie Experten schätzen die Dunkelzif- allem in Deutschland, wo der Kon- man nach Informationen „goo- fer mit den Amazon-eigenen Um- 10
sätzen vergleichbar ein. Das heißt im Umkehrschluss, dass Amazon LOWER COST LOWER Verkäufe in Wert von über 20 Mil- STRUCTURE PRICES liarden Euro bei sich vereint – die glatte Hälfte vom deutschen On- SELECTION line-Handel. Genauer kann man es aller- dings mit Amazon nicht sagen. Die Zahlen sind immer insofern mit Vorsicht zu genießen, als der Konzern bewusst sehr eigenwillige CUSTOMER SELLERS GROWTH EXPERIENCE Buchhaltungsabläufe pflegt und Umsätze so verschachtelt, dass sie für Außenstehende nie wirklich zu durchschauen sind. Das ist charak- teristisch für zwei weitere Eigen- schaften abseits der schieren Grö- TRAFFIC ße, die Amazon eine besondere Relevanz für Hersteller verleihen: Diese Skizze des Amazon-Geschäftsmodells stammt von Jeff Bezos selbst. Gewinn zu erwirtschaf- ten, ist dabei kein Ziel. Denn Gewinn hilft nicht, das Einkaufserlebnis der Kunden weiter zu verbes- sein Expansionsdrang und seine sern und somit auch nicht, weiter zu wachsen. Gewinnminimierung. Aus Wachstum kommen nämlich mer bessere Web-Designs und Wie funktioniert Amazon? geringere Kosten in Einkauf und Algorithmen, damit die Kunden Da landen wir schon bei dem zwei- Logistik, die der Konzern als güns- den Online-Shop gern benutzen. ten Punkt: Wie die Maschine Ama- tige Preise an die Kunden direkt Immer mehr Logistikstandorte, da- zon funktioniert. Hier muss alles weitergibt. Diese sind erfreut und mit die Produkte schnell die Käufer zusammen betrachten werden, kaufen bei Amazon in Scharen ein, erreichen. Immer neue Segmente denn der kompulsive Expansions- was auch Drittverkäufer in dessen und Geschäftsfelder, damit das drang und die systematische Ge- Kreis zieht. Daraus ergibt sich eine Wachstum auch dort einsetzen winnminimierung sind Kehrseiten immer größere Produktauswahl, kann. So wurden grob gesagt die ein und derselben Medaille: die was wiederum umso mehr Kun- Einnahmen aus dem originären der schieren Größe. den anzieht. Das bedeutet wieder Buchverkauf, womit Amazon 1994 Eins muss man verstehen: Bei Wachstum und wieder verringerte anfing, ins Segment Musik inves- Amazon kreist alles um den Begriff Kosten, was weitere Preissenkun- tiert. Aus dem CD-Verkauf schöpf- „Growth“, der mitten in einer Krit- gen zur Folge hat und noch mehr te der Konzern dann Mittel, um zelei stand, die der Gründer und Kunden zu Amazon bringt… Webhosting-Kapazität aufzubauen Lenker Jeff Bezos mal zeichnete. Damit Amazon dieses Wachs- und in neue Segmente wie Elektro- Darauf stand Wachstum als gelbe tum ankurbeln kann, investiert nik, Haushalt und Mode einzustei- Sonne, um die die anderen As- der Konzern fast alles Geld, das gen. Jetzt, da der Konzern damit pekte ihre Umlaufbahnen ziehen. zur Verfügung steht, etwa in im- gutes Geld verdient, wird massiv 11
in Zukunftsfelder investiert: stadt- Verluste im dreistelligen Millionen- feldern kümmert – ja, sogar mit nähere und vollautomatisierte bereich einzufahren? Das Tempo Dumpingpreisen nur darauf aus Lagerhallen, Streaming-Services des Wachstums sei zu schnell, das ist, den Markt kaputt zu machen – für Medien, futuristische Ausliefe- Unternehmen breite sich buch- schlichtweg falsch. Zwar macht es rungsmöglichkeiten wie Drohnen… stäblich ohne Rücksicht auf Verlus- die eigentümliche Buchführung Interessant dabei: Das Investiti- te aus. Es werde da gar nicht mehr nicht immer einfach zu sehen, wo onsvolumen wächst schneller als überlegt, ob ein neues Geschäfts- wie viel Überschuss erwirtschaftet je zuvor in der Geschichte des feld profitabel sei. Allerdings wer- wird, aber der Konzern verdient Unternehmens. Wo andere sich de das Ganze eh bald kippen, bereits auf sehr vielen Segmenten auf ihren Lorbeeren ausruhen denn die Investoren – dessen Geld gutes Geld. Analyst Ben Evans, ein würden, gibt sich Amazon mit dem vom Amazon-Gründer, diesem Jeff Amazon-Kenner der Oberklasse, bislang Erreichten nicht zufrieden Bezos, auf seinem nie enden wol- macht dies am Beispiel von der und gibt einen immer höherer An- lenden Feldzug verprasst werde dienstältesten Produktkategorie teil seiner Umsätze für Forschung – würden so langsam die Geduld Bücher fest. Eine breite Analyse, und Entwicklung aus. verlieren… die nicht nur auf einige stark ra- Sehr schnell beginnen hier Aber diese so gern von Vetera- battierte „Blickfänger“-Titel ausge- viele Analysten sowie Konkurren- nen des deutschen Einzelhandels richtet ist, würde seiner Meinung ten zu fragen: Aber was ist mit der aufgeführte Analyse fußt auf Miss- nach ergeben, dass Amazon heute Rendite? Wo ordnet sie sich denn verständnissen. Zuerst ist die Kritik, Bücher grob gesagt zu denselben ins System Amazon ein? Hinter sol- dass sich Amazon nicht um Ren- Preisen verkauft, wie es der stati- chen Fragen steckt eigentlich im- tabilität in einzelnen Geschäfts- onäre Buchhandel tut. Dagegen mer eine von zwei Annahmen – die eine unzutreffend und die andere Amazon wächst weiter ohne Rücksicht auf die Profitabilität fürs Erste unwesentlich. Umsatz 2013 in Mrd. Dollar Die erste Annahme ist, dass Amazon keine Rendite erzielen kann. „Zeigt doch ein flüchtiger Amazon 74,45 Blick auf die Jahresergebnisse, eBay 16,05 dass das Unternehmen bei im- mer schneller steigendem Umsatz Alibaba Group 7,95 immer weniger Gewinn verbucht“, geht die vor allem von missgünstig Gewinn 2013 in Mrd. Dollar gesinnten Rivalen gern genomme- ne Argumentation. Wie es denn sein könne, dass der Konzern Amazon 0,27 2004 noch unter 10 Milliarden eBay 2,86 umsetzte und dabei eine Rendite von 588,45 Millionen Dollar erziel- Alibaba Group 3,56 te, nur um ein Jahrzehnt später bei knapp 90 Milliarden Umsatz sogar Quelle: Unternehmensangabe, Forester Research 12
operiere zwar so manches neue- einer gerade neu ins Leben geru- mit Sicherheit wunderbar Rendite res Geschäftsfeld noch in der Ver- fen worden und daher noch nicht auszahlen. Tut Amazon aber nicht, lustzone. Diese neuen Produktka- profitabel ist. weil der Konzern sich viel eher da- tegorien seien aber eher wie kleine Darüber hinaus wird aber von für entschieden hat, immer mehr Start-ups zu betrachten. „Amazon vielen Analysten, Investoren und von diesen Mitteln für Investitio- ist ein Bündel“, sagt er zusammen- nicht zuletzt Mitwerbern unter- nen aufzuwenden: Seit Ende 2009 fassend. stellt, dass der Konzern Amazon wird ein immer größerer Anteil des Verstehen tun das nicht alle als Ganzer gar nicht in der Lage sei, Operating Cashflow als „Capital Investoren auf Anhieb. Da viele Rendite zu erzielen. Wie auch, wo Expenditure“ – sprich: als Investi- Unternehmen es auf eine Produkt- das Unternehmen immer darauf tionskosten – verbucht. Es handelt kategorie oder eine Nische abse- aus ist, alles billiger und schnel- sich also nicht um ein Schnee- hen, arbeiten sie in der Anfangs- ler als die Konkurrenten anzu- ballsystem, denn Amazon könnte phase mit Verlusten, um später zu bieten. Diese Fehlannahme lässt doch theoretisch hohe Gewinne Gewinnmaschinen heranzureifen. sich aber schnell aus dem Weg einfahren, hat sich aber dagegen Die Verluste werden also geduldet, räumen, wenn man nicht auf die entschieden. weil sie am Ende durch Gewinn Rubrik „Rendite“ schielt, sondern Zudem muss das „könnte“ wettgemacht werden. Amazon schlicht und ergreifend nach dem nicht mal im Konjunktiv bleiben. sollten Geldgeber daher vielleicht Geld schaut, das das Unterneh- 2014 war ein Jahr der besonders eher wie einen klassischen Misch- men generiert. Seit zehn Jahren hohen Verluste: Allein das Projekt konzern à la Siemens oder GE se- stehen Amazon nach Abzug der zur Entwicklung eines eigenen hen. Bei so vielen fast unabhängig Einkaufskosten zuverlässig rund Smartphones namens Fire zog eine voneinander operierenden Ge- 8 Prozent des Umsatzes als soge- Abschreibung von 170 Millionen schäftsbereichen ist nämlich zu nannter Operating Cashflow zur Dollar nach sich. Als die Geduld der erwarten, dass immer mindestens Verfügung. Davon könnte man sich Investoren zum Jahresende nun Amazon since launch ($bn) 80 Revenue 70 Net income 60 50 40 30 20 10 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 -10 Die Schere geht auseinander. Seit der Gründung steigt der Amazon-Umsatz konstant schneller an als der Gewinn. 13
// Die Psychologie von Jeff Bezos wird naturgemäß im Endeffekt immer Auslegungssache sein: Sie bleibt dabei eine sehr beliebte. Viele interessieren sich dafür, was diesen Mann treibt. Bereits heute reiht er sich als weltverändernder Unternehmer neben Landesmänner wie Rockefeller, Ford und Jobs ein – und macht Anstalten, noch weitergehen zu wollen. Denn Bezos ist die Welt zu klein: Bereits zu Schulzeiten soll er Freunden erzählt haben, er möchte Raumsta- tionen in der Erdumlaufbahn betreiben. Und im Jahr 2000, sechs Jahre nachdem er Amazon in seiner mit Koh- leofen beheizten Garage gegründet hatte, rief er ein neues Unternehmen ins Leben: Blue Origin. Ursprünglich ein streng geheimes Unterfangen, im Jahr 2011 erzählte Bezos, ein unbemannter Prototyp sei abgeschmettert, dass es aber Ziel des Unternehmens sei, „einem Jedermann eine Reise ins Weltall zu ermöglichen“. Mit dem Geld, dass Bezos mit Amazon auf der Erde verdient, finanziert er eine Firma, die der erste zu 100 Prozent kommerzi- elle Akteur im Weltraum werden könnte. Wer sich noch an die abgebrühten Vertreter von „The Company“ in den „Alien“-Filmen erinnert, dem könnte es schwindelig werden. Die amerikanische Motivationsfloskel „Reach for the stars“ scheint Bezos mit diesem Drängen ins Weltall also regelrecht beherzt zu haben. Nicht, dass er Fremdformulierungen nötig hätte: Der Mann ist bereits für sei- ne markante Formulierungen legendär. In Bezug auf sein Business lässt er beispielweise verlauten, dass es zwei Sorten Unternehmen gäbe: Jene, die versuchen, immer mehr abzurechnen und welche, die versuchen, immer weniger abzurechnen. „Wir werden von der zweiten Sorte sein. “ Da müsse aber alles Überflüssige weggespart sein, damit der Kunde wirklich nur sein Produkt und die dazugehörige Leistung entlohnen müsse: „In der alten Welt verbrachte man 30 Prozent der Zeit damit, einen Dienst aufzubauen und 70 Prozent der Zeit damit, das laut- hals kundzutun. In der neuen Welt verhält es sich genau umgekehrt. “ Mundpropaganda würde es schon richten, wenn man nur kundenfokussiert genug arbeite. Zudem: „Arbeitet man mit dem Fokus auf die Wettbewerber, muss man warten, bis der Wettbewerber etwas macht. Arbeitet man mit dem Fokus auf den Kunden, so kann man Pionierarbeit leisten. “ Auch wenn die Vorstöße nicht immer sofort hinhauen, sei das letztendlich egal: „Nach dem Glanz dürfen Unternehmen nicht süchtig werden, denn der Glanz hält nie. “ So übersetzt kann sich Bezos fast preußisch oder schwäbisch anhören. Wie er zum Beispiel die Erfolgsstra- tegie Amazon resümiert: „Bei Amazon haben wir immer an drei großen Ideen festgehalten: Den Kunden vor alles stellen. Etwas erfinden. Geduld haben. “ In anderen Kontexten spricht er wie die reinste Verkörperung eines kaltschnäuzigen, zukunftsbesessenen US-Kapitalisten. Über die Hungerlöhne und Schikanen in Amazon Fulfill- ment-Centern oder über den Druck, den der Konzern mit seiner Marktmacht auf Verleger – und zunehmend Hersteller – ausübt, spricht Bezos beispielsweise ungern. Kritik an seinem Geschäftsmodell hält er eine typisch prägnante Formulierung entgegen: „Wer ungern kritisiert werden möchte, der soll um Himmels Willen bloß nichts Neues anfangen! “ Aus Bezos Sicht trägt wohl Amazon keine Schuld daran, wenn ein Unternehmen an dem Konzern krepiert oder eine Einzelperson ausgenutzt wird. Ihr Schicksal geht ihn gar nichts an. Denn – wie der ehemalige Hedgefondsmanager es einst sagte, als er seine Suche nach einer geeigneten Lebensgefährtin be- schrieb – „das Leben ist zu kurz, um mit Leuten abzuhängen, die sich nicht zu helfen wissen. “ So viel kann man wohl sagen: Bezos strebt nicht nach der Macht um der Macht willen, sieht aber nichts darin, diese radikal walten zu lassen, wenn er sie errungen hat. 14
doch wirklich strapaziert war, zeig- den Kürbis zu lange reifen lässt, ist Das sind Fragen, die viele Ama- te Jeff Bezos, wozu sein Konzern al- er nicht mehr der voraussichtlich zon-Beobachter, -Partner und les in der Lage ist – und schraubte größte im Dorf, sondern nur noch -Konkurrenten nicht loslassen. Die kurzer Hand das Ergebnis von -437 ein Haufen Mulch. Klar, dass man erste Antwort ist, dass Amazon im Millionen Dollar auf +214 Millionen allen Überschuss direkt in ein jun- Heimatland USA gerade rund ein Dollar hoch. Im ersten Quartal ges Unternehmen reinvestiert, so Prozent vom Einzelhandel ohne 2015 allerdings wurden wieder 50 die Überlegungen. Und vielleicht Lebensmittel verantwortet. Für Million Dollar Verluste verbucht, bleibt Amazon länger „jung“ als Vertreter der Fraktion „Glas halb während die Investitionskosten andere, aber wie definiert Bezos voll“ ist ein Prozent von den Staa- weiter anwuchsen. Das war eine denn den Punkt, an dem das Un- ten zwar schon Grund genug zum nicht so ganz versteckte Botschaft ternehmen reif ist? Den Punkt wird Jubel. Für diejenigen, die vor sich an Investoren: Amazon kann sehr es wohl doch geben, oder? ein halb leeres Glas sehen, ist da wohl Gewinn ausweisen, meidet Und schnell wird es philoso- aber noch deutlich Luft nach oben. diesen Schritt aber bewusst, um phisch, metaphysisch fast. Denn, Die zweite, viel beunruhigendere weiter zu wachsen. Und das ist ja, wozu die ständig neuen Ge- Antwort ist, dass das Wachstum bei völlig rational. Denn jeder Dollar, schäftsfelder? Wozu die zwang- Amazon schon längst zum Selbst- der als Dividende aus einem Un- haften Innovationen und Investi- zweck geworden ist: Weil das Un- ternehmen ausgezahlt wird, zeigt tionen? Wozu die nie aufhörende ternehmen nicht anders kann, als vor allem eins: Dass derjenige, der Prozessoptimierung und Kapa- seine Technologie und seinen An- ihn auszahlt, glaubt, dieser Euro zitätsausschöpfung, die Amazon satz auf neue, vielversprechende wird in einem anderen Investment bekanntermaßen betreibt? War- Geschäftsfelder anzuwenden. Weil mehr Rendite bringen als im eige- um Händler und Hersteller reihen- es in der DNA des Unternehmens nen Unternehmen. Und genau das weise das Fürchten lehren und zu steckt, immer die Möglichkeiten glaubt Jeff Bezos nicht. Zuarbeitern deklassieren? Warum der Zukunft vor die der Gegenwart Womit wir bei der zweiten Menschen zu unwürdigen Bedin- zu stellen. Weil es Jeff Bezos noch Annahme wären: Viele, die doch gungen schuften lassen? Warum zu viel Spaß macht, Dinge umzu- verstanden haben, dass sich Ama- so viel Geld von Investoren ein- krempeln und anderen zu zeigen, zon bewusst gegen Profit im Hier sammeln und so viele Eigenmittel wie man’s macht. Insofern ist die und Jetzt und für Wachstum in der aufwenden, um noch größer zu Annahme, die Expansion und die Zukunft entschieden hat, gehen werden, wo man ohnehin der un- Gewinnminimierung bei Amazon davon aus, dass diese Strategie angefochtene Riese ist und bereits werden – eine bestimmte Größe einen Endpunkt voraussetzt. Ir- heute hochprofitabel sein könn- erreicht – abflauen, vollkommen gendwann, so die Idee, wird Bezos te? Ja, wozu, verdammt nochmal?! unwesentlich. Man muss davon doch „ernten“ wollen – oder we- Und was will Konzernchef Bezos ausgehen, dass sich der Kreis erst gen Investorenaufständen ernten am Ende? So viel Geld, dass er einmal weiterdreht. müssen. Wozu solche Mühe, sol- mehr als Bill Gates stiften kann? Deswegen ist Amazon auch für chen Erfolg, solche Macht, fragt Oder einfach nur die komplette solche Hersteller relevant, die sich man sich, wenn man nicht irgend- Dominanz des gesamten Handels bislang in keinem Verhältnis zu wann die Früchte davon einfährt? mit allen Waren und Dienstleistun- dem einstigen Buchhändler aus So nach dem Motto: Wenn man gen auf Erden? Seattle gewähnt haben. Zu oft 15
hat Amazon in der Vergangenheit pollenreichen Mai-Tagen oder ein holen, wird sich ein Kreis schließen, Geschäftsfelder in kürzester Zeit erfrischendes Softgetränk vom Ki- der fast alle andere Akteure außen aufgemischt, von denen es hieß, osk, wenn die Temperatur über 25 vor lässt. ein Webshop für Medienproduk- Grad steigt, wurden davon nicht te habe keine Ahnung: Elektro- betroffen. Doch hat Amazon be- Was ist Amazon? nik, Mode, Sportartikel… Zu oft ist reits Ende 2014 seinen ersten La- Diese Überlegungen zeigen schon, Amazon von Händler zu Hersteller den in New York eröffnet und wird warum die Definition „Amazon ist mutiert: Der Konzern produziert sich in den kommenden Jahren ein besonders großer, besonders jetzt eigene Smartphones, Tab- verstärkt in die „reale Welt“ einbrin- erfolgreicher Online-Händler“ zu lets, Kameras, Stative, Akkus… Zu gen – vielleicht nicht als klassisches kurz greift. Um zu verstehen, was oft hat Amazon aus B2C-Modellen Filialgeschäft, aber durchaus mit Amazon ist, muss man sich zu- lukrative B2B-Geschäfte gemacht: mehr physischer Nähe zum Kun- nächst vergegenwärtigen, was Im Bereich Cloud-Computing für den. Vielleicht schließt der Kon- Amazon alles macht. Danach muss Unternehmenskunden liegt der zern Verträge mit bestehenden man verstehen, wie der Konzern in Konzern weit vor Google und Händlern und schickt Kaufwillige neue Felder expandiert und dabei Microsoft. Und spätestens 2016 gegen Provision zu ihnen, die dann sein Geschäftsmodell anpasst. wird das Jahr sein, in dem Amazon im Geschäft auch noch mit einem Obwohl der Begriff jetzt nicht Business in Deutschland ankommt. elektronischen Amazon-Bezahl- mehr ausreicht, um den Konzern Der Konzern setzt also jetzt bei Ge- dienst statt direkt an den Händler zu beschreiben, fing Amazon als schäftskunden an. Wer deutsche zahlen? Online-Händler an – und tritt doch Mittelstands-Unternehmen mit DM, Rossmann, & Co. als glo- noch heute als solcher auf. Ama- Ersatzteilen beliefert und sich da- rifizierte Paketshops? Kann schnell zon bezieht Produkte von Her- mit in Sicherheit wähnt, kann sich passieren. Aber wie genau Ama- stellern oder Großhändlern, die warm anziehen. zon als großflächig auftretende „Vendors“ – Verkäufer – in der Kon- Selbst für Händler, die völlig stationäre Macht aussehen mag, zern-Sprache heißen, und bietet stationär arbeiten und bislang da- ist dabei zweitrangig: Gekoppelt diese Konsumenten an. Hier tritt mit Erfolg gehabt haben, geht vom mit dem Big-Data-Vorteil, den Amazon als klassischer Händler E-Commerce-Giganten eine Ge- der Konzern mitbringt, ergibt sich auf, der alle Stufen der Wertschöp- fahr aus. Denn Amazon wird in den so ein Alptraumszenario für fast fungskette abdeckt. Der Konzern kommenden Jahren zeigen, dass alle Händler, die bislang gut im kauft Bestand ein, lagert diesen der Begriff „E-Commerce“ an und Geschäft sind. Weiß doch Ama- und bietet ihn Kunden an, nimmt für sich eigentlich zu kurz greift – zon auf vielen Segmenten heute Zahlungen entgegen und leistet und dass die alten Segmentgren- schon besser als die GfK, welcher Kundenservice nach dem Verkauf. zen völlig porös sind. Bislang sah Produktmix an welchem Standort In vielen Punkten ist die Rolle E-Commerce nämlich so aus, dass funktioniert. Laufen dann Kunden von Amazon mit Warenhäusern à sich der Kunde über eine Webseite mit Amazon-Phones – oder auch la Karstadt oder Kaufhof im Vor-In- oder in einer App ein Produkt nach nur mit installierten Amazon-Apps ternet-Zeitalter vergleichbar. Als Hause oder ins Büro bestellte. So- – herum und können sich an vielen Marke verspricht Amazon seinen fortbedarfsartikel wie Taschen- Orten zeitnah Produkte oder gar Kunden eine große Auswahl an tücher in der Drogeriemarkt an Dienstleistungen über Amazon Markenprodukten quer durch 16
alle denkbaren Segmente sowie zon nimmt die Zahlung entgegen lenbetreiber, Logistikanbieter und Sicherheit und Service beim Kauf. und überweist sie dann abzüglich Kundenservice-Dienstleister in Statt Kundenkarten gibt es als Kun- seiner Gebühren an den Verkäufer Einem. Und von der originären denbindungsmaßnahme Amazon weiter. Der Konzern spielt hier die- Rolle als Händler ist Amazon auch Prime, bei dem Artikel schneller selbe Rolle wie eBay. immer weiter in Richtung Herstel- verschickt werden, und ganz wie Auch dieses Modell ist aus ler gegangen. Einst kaufte der Kon- im klassischen Warenhaus können der alten Welt bekannt. Im Grun- zern bloß Bücher ein und verkauf- sich Hersteller darin versuchen, de funktioniert ein Wochenmarkt te sie weiter. Heutzutage agiert er mit eigenen Markenshops hervor- nicht viel anders: Marktbeschicker als Verlag, indem er Autoren unter zutun. Zwar kann Amazon unfass- zahlen an den Marktbetreiber eine Vertrag nimmt und liefert mit dem bar viele Produkte anbieten und Standmiete und verkaufen dann selbstentwickelten Gerät Kindle sehr viel mehr Kunden erreichen, ihre Waren an die Kunden. Und sogar einen eigenen Kanal für den als so ein von den Grenzen der genau wie es auf dem Wochen- Verkauf und die Lektüre der Werke Einkaufsstraße eingehegtes Wa- markt Plätze gibt, die einträglicher an. Eine weitere Tendenz ist es, be- renhaus das jemals konnte, aber sind und mehr kosten, gibt es bei stehende Infrastruktur und Exper- das Geschäftsmodell ist bekannt. Amazon die Möglichkeit, sich „bes- tise in neue Segmente hineinzu- Amazon verkauft – abgesehen von sere Plätze“ zu erkaufen. Bei Ama- bringen. So erwuchs die Tätigkeit einigen Lockangeboten (der „Knül- zon geschieht dies, indem der Ver- als Marktplatzbetreiber aus der In- ler der Woche“ im alten Einzelhan- käufer eine nähere Kooperation frastruktur, die Amazon als Händ- del-Jargon) – eingekaufte Ware mit mit dem Marktbetreiber eingeht: ler aufgebaut hatte. Nun dehnt Gewinn weiter. Wer „Fullfilment by Amazon“ bucht, Amazon seinen Marktplatz-Ansatz Aber gerade weil der Konzern lässt die Lagerung, Verschickung, auf das Segment der Unterneh- als Distanzhändler viel schneller und Retournierung der Ware von menslieferanten mit Amazon Bu- Kapazität aufbauen kann als das Amazon handhaben und zahlt siness aus. Die Software-, Logis- im klassischen Einzelhandel denk- eine höhere Abgabe, wird aber auf tik- und Servicelösungen, die für bar ist, ist es naheliegend, diese Amazon sichtbarer und kann im das Geschäft mit Privatkunden Kapazität auch anderen gegen Kundenloyalitätsprogramm Prime (B2C) entwickelt wurden, werden Gebühren zu überlassen. Amazon verkaufen. nun für gewerbliche Kunden (B2B) tritt also nicht nur als Händler, son- Bereits hier sieht man eine eingesetzt. Bald wird der Konzern dern als Online-Marktbetreiber auf. grundlegende Tendenz von Ama- wohl hier ebenfalls als Händler Kleinhändler und Hersteller von zon: Ausdehnung der Wertschöp- vertreten sein, der Produkte selbst Waren ohne starke Marke können fungskette hinauf und hinunter. einkauft und verkauft. Der letzte bei Amazon ihre Produkte feilbie- Amazon betreibt einen Marktplatz Schritt ist es dann, selbst die Kom- ten und so an Kunden kommen. – stellt also online eine Infrastruktur ponenten und Ersatzteile herzu- Diese kaufen „bei Amazon“ aber zum Verkauf von Waren zur Verfü- stellen, die die Geschäftskunden eben nicht „von Amazon“, sondern gung – und ist bereits damit auch brauchen. vom „Seller“, wie diese meistens als Payment-Provider tätig, da im Ein Segment, in dem Amazon Krämer und No-Name-Hersteller Netz kein Bargeld benutzt werden bereits heute fast alle Schritte auf Amazonisch zur Unterschei- kann. Zudem wird Amazon schnell von der Herstellung über die Be- dung von „Vendor“ heißen. Ama- für den Verkäufer zum Lagerhal- reitstellung bis zur Wartung be- 17
herrscht, sind Web-Services wie geschäftsfeld Internetsuche kann passen. Das Kundenbindungspro- Hosting und Datenspeicherung. Google mit Konkurrenz von Ama- gramm Amazon Prime, zum Bei- Der Konzern ist mit der Sparte zon rechnen: Mit A9 agiert der spiel, ermöglicht es Privatkunden, Amazon Web Services – kurz AWS Konzern ebenfalls als Suchma- ihre Lieferungen am nächsten Tag – der weltweit führende Online- schinenbetreiber. Angesichts der ohne Mehrkosten zu bekommen. dienstleister: Er stellt Server sowie nie dagewesenen Sortimentsbrei- Dabei gilt das Programm nicht Datenspeicher Unternehmen und te, die Amazon als Händler und nur für Produkte, die Amazon als Behörden zur Verfügung und ist Marktplatzbetreiber verwaltet und Händler anbietet, sondern auch mitentscheidend für die Entwick- anbietet, ist Suchtechnologie doch für solche, die der Kunde von Drit- lung der sogenannten „Cloud“ ge- von der ersten Stunden an für ten im Marktplatz erwirbt, solan- wesen. Geschäftskunden lassen Amazon entscheidend gewesen. ge diese Dritten ihre Logistik von gegen Gebühr ihre Webauftritte Bereits heute suchen mehr Nut- Amazon abwickeln lassen. Zudem von Amazon hosten, ihre Daten zer über Amazon als über Google, beinhaltet Prime den Zugriff auf von Amazon speichern, organisie- wenn es darum geht, ein Produkt den Amazon-Streaming-Dienst ren und gegen Angriffe verteidigen zu finden: Mit der Einbindung Instant Video, der ja eher dem und bieten Webdienste ihren Kun- von Treffern aus Bildern, Büchern, Bereich AWS zuzuordnen ist und den mit Amazon-Infrastruktur an. persönlichen Notizen und sogar schon heute eigens in Auftrag ge- Zum Beispiel benutzt Daimler AWS, Filmen will Amazon jetzt für gene- gebene, ausschließlich für Amazon um die hohen Datenmengen zu relle Informationssuchen führend produzierte Serien ausstrahlt. (Die verarbeiten, die beim autonomen werden. Dann kann es in das lukra- teure Personalie Woody Allen, der Fahren von den Radar-, Kamera-, tive Geschäft mit Suchmaschinen- für eine Auftragsserie von Amazon und Laserscannersystemen der anzeigen einsteigen. Bereits heute gebucht wurde, zeigt, wie ernst es Testfahrzeuge generiert werden, baut der Konzern sein Werbege- der Konzern mit attraktiven Inhal- während die Amazon-Speicher- schäft auf der eigenen Plattform ten meint.) lösung („Simple Storage Service“, auf. Wie einst Google immer weiter Insofern ist Amazon Prime kurz S3) beispielsweise von der den Fokus von organischen Such- eine Initiative, die sich sowohl ge- CIA verwendet wird: Auftragsvolu- ergebnissen zu den vom Konzern gen andere Händler (stationär wie men 600 Millionen Dollar. Hier hat gegen Geld angebotenen Suchan- online) als auch gegen HBO, Sky der Konzern altgediente Konkur- zeigen verlegte, preist Amazon mit und nicht zuletzt Netflix richtet. renten mit Vorerfahrung im Vertei- Sponsored Links verstärkt Produk- Vor allem ist es aber ein Element digungssektor wie IBM und Micro- te von zahlenden Partnern an pro- in dem Kitt, der Kunden ans Ama- soft ausgestochen – und kann als minenter Stelle an. zon-Ökosystem bindet. Denn das Branchenprimus zehnmal so viel Das sind die Geschäftsfelder, ist die beste Antwort auf die Frage: Rechenkapazität vorweisen wie auf denen der Konzern aktiv ist Was ist Amazon? Es ist ein Ökosys- die nächsten 14 Cloud-Compu- und die Rollen, die er in verschie- tem, das mehrere Kreisläufe um- ting-Dienstleister zusammen. denen Geschäftsmodellen ein- fasst und punktuell miteinander Zu diesen 14 Unternehmen, nimmt. Dabei aber fällt auf, dass verbindet, das sich immer weiter die auf dem Segment derartig viele einschlägige Amazon-Pro- ausdehnt und immer mehr Stufen hinterherhinken, gehört ebenfalls dukte oder Dienstleistungen nicht in der Wertschöpfungskette um- Google. Auch auf dessen Haupt- eins zu eins auf dieses Schema schließt. 19
Dieses Ökosystem funktioniert da- Grid-Computing, wobei hier die das nach diesen Regeln floriert bei nach immer denselben Prinzi- freie Rechenkapazität aller ange- und immer mehr Lebensraum für pien, egal ob es um Schraubenzie- schlossenen Computer weltweit sich in Anspruch nimmt. Und ge- her für Herrn Schmidt, Serien für verfügbar gemacht wird. nau wie in der Natur ist die Frage Fernsehjunkies oder Server für die nach dem Wozu eine eher meta- CIA geht. Kundenfreundlichkeit physische, auf die es keine befrie- Ob in der Auffindbarkeit und Ver- digende Antwort geben kann. Es Informationsbeschaffung fügbarkeit von Produkten, in der muss reichen, die Naturgesetze Amazon beschafft sich Information Auslieferung oder bei Retournie- des Systems zu verstehen, ohne darüber, was Kunden auf einem rung und Austausch von bestellten sich von der Frage nach dem Sinn bestimmten Segment möchten, Waren: Bei Amazon werden neue ablenken zu lassen. Denn nur wer vorwiegend indem das Unterneh- Standards in puncto Kundenser- es versteht, kann sich innerhalb men zunächst als Händler oder vice definiert. Die erforderlichen des Systems behaupten. Marktplatzbetreiber auftritt und Investitionen zahlen sich immer Und angesichts seiner bei- Verkäufe dokumentiert. So ver- deswegen aus, weil das Verkaufs- spiellosen Expansion muss sich steht der Konzern, wo die Nachfra- volumen ansteigt und Konkurren- jeder Gedanken machen, wie er im ge liegt… ten nachziehen müssen. System Amazon seine Nische fin- det und verteidigt. Wertschöpfung Langfristigkeit …und kann die Produkte oder Aufwendungen für Optimierung Dienstleistungen, bei denen es und Kundenfreundlichkeit brau- genügend Marge gibt, selbst an- chen sich nicht sofort auszuzahlen. bieten. Weil so viele Stufen der An der Schnelligkeit der moder- Wertschöpfungskette – von der nen Konzernwelt gemessen denkt Herstellung über die Produktprä- Amazon in geradezu biblischen sentation und –verschickung bis Zeitabständen. Was kurzfristig-Ge- zum Kundenkontakt – bei Amazon sinnten, auf Quartalszahlen ge- liegen, hat der Konzern immer die trimmten Konkurrenten als selbst- Möglichkeit, seine eigenen Erzeug- mörderisches Investitionsgrab nisse dazwischenzuschalten. erscheint, ist oft ein Plan für Domi- nanz in zehn Jahren. Optimierung Amazon ist der Überzeugung, dass Gnadenlosigkeit Prozesse immer optimiert wer- Wegen seiner schieren Größe, sei- den können. In den Lagerhallen ner unschlagbaren Leistungsfähig- werden bereits Menschen gegen keit und seines Expansionswillen Maschinen ausgetauscht, denn ist das Unternehmen nicht auf an- Letztere arbeiten fehlerfrei und dere angewiesen – und lässt das sind billiger. Auch sinnbildlich hier- gern alle spüren. für: Amazon ist führend im Bereich Amazon ist also ein Ökosystem, 20
KAPITEL 2: (ÜBER)LEBEN MIT AMAZON Wie können Hersteller im Amazon-Ökosystem eine Nische finden, die nicht zum Gefängnis wird? Dass bei der heutigen Marktmacht Tag – bald vielleicht am selben Tag bereits auf Ihrem Segment präsent und der voraussichtlichen Ausdeh- – erhält… oder wird demnächst dort auftau- nung von Amazon für Hersteller Die im Privatleben geprägten Er- chen. Aber warum ist das denn be- aller Segmente wirklich kein Weg wartungen, dass alles schnell, un- drohlich? Warum brauchen Sie als mehr an Amazon vorbei geht, liegt kompliziert, zum besten Preis und Hersteller da eine Strategie? Macht auf der Hand. 30 Prozent aller Pro- von überall aus verfügbar sein soll, doch Amazon in erster Linie ande- duktsuchen im Netz fangen in der werden Millionen Kunden selbst- ren Händlern Konkurrenz, nicht Amazon-Suchmaschine an. Ama- verständlich nicht an der Bürotür Ihnen. Und vor allem sind die Um- zon ist auf vielen Smartphones mit jeden Morgen abgeben. Am Ar- satzaussichten mit Amazon doch seiner App die erste Anlaufstelle beitsplatz auch nicht vergessen zu hervorragend, oder nicht? Sogar für Kunden im schnell wachsen- machen: Die guten Erfahrungen, so gut, dass man glatt alle anderen den mobilen Commerce. Sollte die man schon als Privatkunde E-Commerce-Akteure getrost ver- sich das konzerneigene Smartpho- mit der Marke Amazon gemacht gessen könnte… Und genau darin ne Fire oder ein Nachfolgemodell hat. Daher ist zu erwarten, dass liegt der Clou. Denn mit Amazon durchsetzen, ist davon auszuge- der Konzern noch in diesem Jahr begibt man sich schnell in die ab- hen, dass diese Position zulasten anfängt, die eher festen und kon- solute Abhängigkeit, ohne es zu der Mitbewerber gefestigt wird servativen gewerblichen Liefe- merken – mit potenziell existen- – beispielsweise durch Lock-ins, rungsketten in Deutschland mit ziellen Folgen. wie vorinstallierte Amazon-eigene Amazon Business aufzumischen. Bezahlapplikationen (Apple macht Seit 2012 hat Amazon Business in Hersteller und Amazon: es hier gerade mit „Apple Pay“ vor). der Beta-Version schon rund 2,25 Wie es gründlich schieflau- Und schon bald wird Technologie Millionen Artikel verkauft und ist fen kann wie Amazon Echo bei den Kon- bereits in Deutschland – sowie in Das trojanische Pferd, der Rat- sumenten zu Hause landen: Mit 50 anderen Ländern – aktiv. Wenn tenfänger von Hameln, Hänsel diesem Stimmerkennungsgerät der Konzern mit der Markterobe- und Gretl, oder eben unsere Ein- sollen verbale Kommandos aus- rung ernst macht und hierzulande leitungsgeschichte von Knut und reichen, um Bestellungen abzu- günstige Kreditlinien, extralange den Amazonen: Die Evolution ei- geben. Wozu sich noch den Gang Zahlungsziele, und kostenfreie Lie- ner typischen Beziehung zwischen zu irgendeinem anderen Anbieter ferungen anbietet, wird es schnell Herstellern und Amazon hat einen überlegen? Zumal man schon Pri- gehen. oft parabelhaften Charakter. Zu- me-Kunde ist und Bestellungen Kurzum: Egal für wen Sie was erst kommt der Konzern mit Ge- ohne Aufpreis gleich am nächsten auch immer herstellen, ist Amazon schenken, beschert dem Hersteller 21
reichlich Umsatz, und verleiht ihm Phase 4 Phase 6 Sonderstatus – um dann später Es rutscht ab. Amazon zieht die Es ist erledigt. Da Amazon die allei- doch noch unerwartet zuzuschla- konditionellen Daumenschrau- nige Kontrolle über die Suchergeb- gen und seine Macht auszuspielen. ben an: Immer will er mehr Mar- nisse und die Seitenarchitektur hat, Plötzlich merkt der Hersteller, dass ge vom Hersteller holen. Teure werden Kunden Richtung Ama- er Amazon ausgeliefert ist und Marketing-Kampagnen werden zon-Eigenmarke geleitet. Der Her- muss sich schnell etwas einfallen dem Hersteller als Mittel gegen steller, der so viel Umsatz bei Ama- lassen, wenn er seine Stadt retten/ das schwächelnde Wachstum aufs zon gemacht hatte, kommt nun seine Kinder zurückholen/aus dem Auge gedrückt. Wer nicht – oder ausgerechnet dort unter Druck. Ofen herauskommen will. nur widerwillig – mitzieht, findet Die Reise geht also von einem Dabei lässt sich diese Evoluti- seine Produkte kurzerhand herun- Höhenflug der Euphorie bis hin zur on auch gänzlich ohne Märchen in tergerankt. Ernüchterung und völligen Desillu- sechs klassische Phasen einteilen sionierung. In der Anfangsphase und beschreiben. Phase 5 vor allem ist die Stimmung beim Es tut weh. Plötzlich tauchen ähn- Hersteller bestens, denn Amazon Phase 1 liche Produkte wie die vom Her- scheint der perfekte Handelspart- Es geht los. Der Hersteller beliefert steller bei Amazon auf – mit Ama- ner zu sein: Geforderte Preise Amazon als Händler direkt – wird zon-Logo. Der Konzern agiert nun werden gezahlt und die fast un- also Vendor. In der Suche werden nicht mehr nur als ungemütlicher begrenzten Lagerkapazitäten des seine Produkte kurz darauf hoch- Händler, sondern ebenfalls als Konzerns haben zur Folge, dass geschaltet. konkurrierender Hersteller. Bestellungsvolumina recht ordent- lich ausfallen. Zudem legt Amazon Phase 2 Es geht hoch. Wegen der guten Von Euphorie zum Sinkflug: Platzierung und des kontinuier- Der typische Verlauf einer Hersteller-Amazon-Beziehung lichen Wachstums bei Amazon steigt der Umsatz rasant. In dieser Phase fangen viele Hersteller an, sich Markenshops einzurichten und Mitarbeiter für Amazon abzu- ordnen. Phase 3 Es kippt. Der Anteil des Umsat- zes, den der Hersteller über Ama- zon erzielt, hat eine signifikante Größe erreicht. Auf einmal aber werden Verhandlungen mit dem Online-Händler unangenehmer. Zudem flacht das Wachstum ab. 1 2 3 4 5 6 22
einen so hohen Wert auf Kunden- Wachstumsraten flachen ab. Als aufgestellte „ähnliche Produkte“ zufriedenheit, dass er selbst Re- Allheilmittel dagegen werden von von Bosch und Makita „mit besse- touren abwickelt – oft gegen einen Amazon teure Marketing-Kampa- ren Kundenbewertungen“ bewor- recht geringen Pauschalrabatt von gne mit Amazon angepriesen, de- ben wurden, die aber tatsächlich unter drei Prozent. ren Wirkung allerdings schwer zu schlechter bewertet worden wa- Angesichts des in die Höhe belegen ist. Der Ton in den E-Mails ren. Wer die Anzahl der Bewertun- schießenden Umsatzes richten von Amazon wird rauer, im Jah- gen mit deren Höhe multipliziert in Phase Zwei vor allem größere resgespräch werden Höflichkeiten hat, konnte einsehen, wie weit aus- Unternehmen Teams ein, um mit beiseitegelassen: Es geht um Geld. einander die Modelle lagen. Eben- Amazon zusammenzuarbeiten. Viel Geld. Dass ein Händler, dem falls legendär: Selbst bei einer Su- Sogar Premiummarken wie WMF, sichtbar geworden ist, dass er nun- che nach dem Markenwort „Brita“ 3M oder Loreal nehmen am Spe- mehr einen nennenswerten Anteil wurden per prominenter Suchan- cial-Vendor-Services-Programm der Hersteller-Umsätze verant- zeige („Sparkle“) Konkurrenzpro- teil und bezahlen sogar Mitarbei- wortet, diese Situation zu seinen dukte der deutlich unbekannteren ter, die bei Amazon mit der Marke Gunsten auszunutzen versucht, BWT an erster Stelle eingeblendet. arbeiten. Die Einarbeitung wird ist zu erwarten. Dass sich ein Her- In der Phase Fünf geht es mit selbstverständlich vom Hersteller steller, an dessen Produkten der noch härteren Bandagen zu. Egal übernommen. Es werden auch Händler bereits gutes Geld ver- ob der Hersteller sich einsichtig Gebühren bezahlt, allein um Pro- dient, dagegen wehrt, mehr Marge gezeigt hat oder nicht: Amazon duktbeschreibungen reinzustel- abzugeben, ebenfalls. kommt jetzt mit einer Eigenmarke, len: Ja, Amazon lässt sich dafür Was allerdings nicht zu erwar- die er den Modellen des Herstel- bezahlen, dass ein Hersteller sein ten ist, ist das, was in der vierten lers vorschalten kann. Segmen- Erzeugnis in der Produktpräsen- Phase kommt: Das Folterinstru- te, auf denen Amazon bereits mit tation mit einem Standardtext mentarium wird ausgebreitet. der Serie „Basics“ als Markenher- beschreiben darf. Bereits hier soll- Amazon zeigt unmissverständlich, steller tätig ist, umfassen Elektro- ten eigentlich die Alarmglocken wie es um die Machtverhältnis- nik (Akkus, Kopfhörer) und Foto klingen. Denn wer Geld für solche se bestellt ist. Hersteller, die sich (Kameras und Zubehör), Küche eigentlich selbstverständlichen nicht konform verhalten, werden und Haushalt (inklusive Haustier- Leistungen nimmt, tritt nicht mehr mit Schikanen abgestraft: Plötzlich bedarf) sowie Sport und Freizeit. als reiner Händler mit umfangrei- tauchen etwa Banner auf dessen Und das war wohl erst der Anfang: chem Servicepaket auf, sondern Produktseiten auf, die „ähnliche Warum sollte der Konzern nicht als gewiefter (vielleicht krummer) Produkte mit besseren Kundenbe- in allen Sortimenten Eigenmarken Marktplatzbetreiber, der für „gute wertungen“ von konkurrierenden entwickeln, wenn er dies in einem Standplätze“ mehr Miete nimmt Marken anpreisen. Dabei lässt sich sinnvollen Verhältnis von Aufwand und verspricht, Kunden vorbeizu- anhand einfacher Rechenarbeit zu Ertrag erreichen kann? Da muss schicken… beweisen, dass diese Ergebnisse er nicht mal was gegen den Her- Allerdings wird es den meis- manipuliert sind. Unvergessen steller haben: Es reicht, wenn er ten Herstellern erst in der dritten beispielsweise der Fall, in dem auf das Margenpotenzial erkannt hat. Phase klar, auf wen sie sich ei- Produktseiten von Kappsägen von Wer soll ihn davon abhalten, wo er gentlich eingelassen haben. Die Metabo preislich komplett anders doch den Kundenkontakt und die 23
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