KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017

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KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017
KOHLEATLAS
SACHSEN
Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff     2017

                                                     KLIMA
                                                             FT
                                                   WIRTSCHA
                                                      ARBEIT
KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017
IMPRESSUM
Der KOHLEATLAS SACHSEN 2017 ist ein Kooperationsprojekt von
Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Landesverband Sachsen e. V.

Inhaltliche Leitung:
Stefan Schönfelder, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Projektplanung)
Johannes Heinsdorf, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Projektleitung)
Dr. David Greve, BUND Sachsen

Projektmanagement: Dietmar Bartz
Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar
Schlussredaktion: Infotext Berlin

Mit Originalbeiträgen von Felix Ekardt, David Greve, Johannes Heinsdorf,
Torsten Kohl, Annemarie Kunz, Gerd Lippold, Stefan Schönfelder und Jan Stoye

Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht der beteiligten Partnerorganisationen wieder.

V. i. S. d. P.: Stefan Schönfelder, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen

1. Auflage, Mai 2017

ISBN 978-3-946541-21-9 (Print)
ISBN 978-3-946541-22-6 (pdf)

Druck: SDV Direct World GmbH, Dresden
Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

                       klimaneutral
                       natureOffice.com | DE-758-853638
                       gedruckt

Dieses Werk steht mit Ausnahme der Umschlagrückseite unter der
Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0).
Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode
abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter
https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen.
Umschlagrückseite: Text © Domowina-Verlag, Bautzen

BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN
Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kraftwerk Mitte 32 / Trafohalle, 01067 Dresden, www.weiterdenken.de
BUND Sachsen, Hauptstadtbüro, Kamenzer Straße 35, 01099 Dresden, www.bund-sachsen.de

KOHLEATLAS
 Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff         2015

		                                                              Der Kohleatlas Sachsen ist eine aktuelle Ausgabe zum 2015 erschienenen
		                                                              „Kohleatlas. Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff“.
		                                                              Dieser Atlas ist zu bestellen oder downzuloaden unter
                                                    WIE WIR
                                                   DAS KLIM
                                                   VERHEIZE
                                                            A
                                                            N
                                                                Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/kohleatlas
		                                                              Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Versand, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net
KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017
KOHLEATLAS
 SACHSEN
Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff

                     1. AUFLAGE
                         2017
KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017
INHALT
    02 IMPRESSUM                                         18 KOMMUNALE ENERGIE
                                                            KLUGE BESCHLÜSSE
    05 VORWORT                                              UND VERPASSTE CHANCEN
                                                           Die drei sächsischen Großstädte gehen
                                                           seit 1990 in der Energieversorgung
                                                           unterschiedliche Wege. Dresden hat sich
                                                           von der Braunkohle weitgehend
                                                           gelöst, Leipzig wenig, Chemnitz nicht.

                                                         20 WASSER
                                                            FÜR JAHRZEHNTE SAURE ZEITEN
    08 SACHSENS BRAUNKOHLE                                 Der Wiederanstieg des Grundwassers nach
       MYTHOS UND WAHRHEIT                                 dem Ende des Kohleabbaus wäscht
                                                           verwitterte Mineralien aus dem Gestein.
    10 STRUKTURWANDEL                                      Die chemischen Folgen verschlechtern
       AN DEN AUSSTIEG DENKEN                              die Trinkwasserqualität, greifen Gebäude
         Der endgültige Abschied von der                   an und verockern Flüsse und Seen.
         Braunkohlewirtschaft ist unumgänglich.
         Die Folgen für den sächsischen Arbeitsmarkt     22 REKULTIVIERUNG
         sind nicht so weitreichend wie oft                 DIE PROBLEME LIEGEN
         behauptet. Dennoch muss die Politik den            UNTER DER OBERFLÄCHE
         Wandel steuern.                                   Nach dem Ende des Tagebaubetriebs sollen
                                                           die Flächen wieder genutzt werden.
    12 WIRTSCHAFT                                          Doch die Schäden prägen die Landschaft
       STILLE HILFE FÜR DIE BILANZEN                       noch nach Jahrzehnten.
         Die Tagebau- und Kraftwerksbetreiber
         erhalten vielerlei Vergünstigungen. Für         24 TOURISMUS
         die wahren Kosten, die sie verursachen,            MEHR WASSER, WENIGER SCHNEE
         müssen sie nicht zahlen.                          Trotz hoher Investitionen tun sich das
                                                           Leipziger Neuseenland und das Lausitzer
    14 MITTELDEUTSCHES REVIER                              Seenland gegenüber den etablierten
       NOCH KEIN AUFATMEN IN DER                           Urlaubszielen – Sächsische Schweiz,
       ALTEN INDUSTRIELANDSCHAFT                           Erzgebirge und Vogtland – noch schwer.
         In der Region um Leipzig und Halle bestimmt
         die MIBRAG das Geschehen in Tagebauen           26 ERNEUERBARE ENERGIEN
         und Kraftwerken – als gäbe es keine nationale      NOCH LANGE NICHT GENUG
         Klimaschutzdebatte. Doch gegen die                Die Energiewende kommt in Sachsen nur
         Tochter des tschechischen Energiekonzerns         mühsam voran. Die Landesregierung
         EPH regt sich der Widerstand.                     will es sich mit der Braunkohlelobby nicht
                                                           verderben und bemüht sich zu wenig
    16 LAUSITZER REVIER                                    um den Ausbau erneuerbarer Energieträger.
       VIEL GELD UND SCHLECHTE KOHLE
         Vom Nebenerwerb vor 200 Jahren bis              28 AUTORINNEN UND AUTOREN,
         zum Milliarden-Business von heute –                QUELLEN VON TEXTEN UND GRAFIKEN
         im Osten Sachsens wird der Abbau noch
         immer für Jahrzehnte geplant.                   30 ÜBER UNS

4   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
VORWORT

D
       as 2016 in Kraft getretene Pariser
       Klimaabkommen schreibt in Artikel 2
       völkerrechtlich verbindlich vor,
                                                 „     Auch wenn es in Sachsen die
                                                       meisten nicht wahrhaben
                                                 wollen: Die Nutzung der Kohle muss
die globale Erwärmung verglichen mit dem         zeitnah enden, und zwar wegen der
vorindustriellen Niveau auf deutlich unter       großen CO2-Emissionen besonders früh
zwei Grad zu begrenzen, möglichst sogar auf
1,5 Grad. Legt man die Berechnungen des
Weltklimarates, des IPCC, zugrunde, würde
das eine vollständige globale Dekarbonisierung   und Landwirtschaft auf Klimaneutralität.
in 10 bis 20 Jahren bedeuten. Und zwar           Die Alternativen sind technisch längst
in allen Sektoren, also auch bei Wärme,          realisiert und ökonomisch konkurrenzfähig.
Treibstoff und Dünger. Das bedeutet,             Industrieländer – und gerade Deutschland
auch wenn das in Sachsen die meisten nicht       als größter Braunkohleförderer der Welt –
wahr­haben wollen: Auch die Nutzung              müssen hier vorangehen.
der Kohle muss zeitnah enden. Und zwar

                                                 S
sogar besonders früh. Denn der Ausstieg aus             owohl diesen Umstand als auch die
der Kohleverstromung ist leichter als                   damit verbundenen drastischen
beispielsweise die Dekarbonisierung von                 Folgen für das vorherrschende
Verkehr und Landwirtschaft.                      Wirtschaftsmodell diskutiert bislang jedoch
                                                 fast niemand. Zwar passen Klimaschutz
Kohle ist für ein gutes Viertel der gesamten     und Wachstum zusammen, solange
Treibhausgasemissionen in der Welt               man allein auf technische Optionen wie
verantwortlich und führt außerdem dazu,          erneuerbare Energien und Energieeffizienz
dass Menschen vertrieben werden,                 vertraut, um die fossilen Brennstoffe
Wasser verunreinigt wird und die Atemluft        bei Strom, Wärme, Treibstoff oder Dünger
von Millionen von Menschen überall               zu ersetzen. Denn neue Technik kann
auf der Welt mit Feinstaub und Quecksilber       man verkaufen und damit Wachstum
verschmutzt ist. Neben den Klimakosten           erzielen. Aber allein mit Technik erreicht
verursacht die Kohlenutzung also                 man die genannten Ziele kaum.
auch Gesundheitskosten in großer Höhe.           Die Herausforderung ist schlicht zu groß.

Damit wir eine realistische Chance haben,        Dazu kommt: Wir werden im Laufe der
das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, muss der         Jahrzehnte zwar technisch immer besser, aber
Kohleausstieg auf der Liste der dringendsten     gesamtgesellschaftlich gesehen auch
Klimaschutzmaßnahmen ganz oben                   immer wohlhabender, womit auch eine immer
stehen. Denn die Kohlenutzung ist nicht nur      größere Energienachfrage und ergo keine
besonders klimaschädlich, der Ausstieg           sinkenden Energieverbräuche entstehen.
aus der Kohleverstromung ist viel leichter       Zudem fehlen wirkungsvolle technische
als beispielsweise die Umstellung von Verkehr    Lösungen für einige Emissionsbereiche, etwa in

                                                                                  KOHLEATLAS SACHSEN 2017   5
der Landwirtschaft. Bisherige Statistiken        effektive Klimapolitik neben dem politisch
    und Prognosen beruhen zudem auf massiven         verwässerten EU-Emissionshandelssystem:
    Schönrechnungen. Industriestaaten wie            Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung
    Deutschland reduzieren angeblich Emissionen,     gibt weitgehende CO2-Neutralität bis zum
    in Wirklichkeit steigen die Emissionen           Jahr 2050 vor. Er definiert auch konkrete
    unseres Lebensstils jedoch. Wir – auch wir in    Zwischenziele. So soll etwa die Energiewirtschaft
    Sachsen – verlagern sie nur schlicht in          bereits bis zum Jahr 2030 ihre Treibhausgas­
    die Schwellenländer, denn von dort kommen        emission gegenüber 2014 etwa halbieren –
    zunehmend unsere Konsumgüter.                    von 358 auf 175 bis 183 Millionen Tonnen
                                                     Kohlendioxid. Die Braunkohleverstromung

    N
           eben der klimapolitischen Dimension       allein schlägt heute noch mit etwa 160 Millionen
           drängen sich andere Umweltprobleme        Tonnen CO2 zu Buche.
           wie die Degradation von Böden und

                                                     M
    Ökosystemen, die den Menschen ebenfalls auf              it einer Braunkohleverstromung auf
    Dauer existenziell gefährden und gleichzeitig            annähernd heutigem Niveau gibt
    angegangen werden müssen. Die Lösung                     es rechnerisch kein Szenario, in dem das
    liegt auf der Hand: der Natur mehr Raum          eher moderate deutsche 2030er-Klimaziel – oder
    geben. Doch Technik alleine reicht dafür noch    gar ein Weg zu Nullemissionen im Sinne des
    weniger aus als im Klimaschutz. Das darf         Paris-Abkommens – erreichbar ist. Für die
    beim Reden über Kohle und Klima nicht beiseite   Braunkohle bleibt künftig weder Platz in einem
    bleiben. Denn die globale Erwärmung und          stabilen Netz noch im CO2-Budget. Auch in
    auch die Schadstoffe der Kohleverbrennung        Sachsen werden Braunkohlekraftwerksblöcke
    sind eine wesentliche Quelle der                 schon weit vor 2030 den Betrieb einstellen
    Beeinträchtigung der anderen Umweltgüter.        müssen. Ein Großteil selbst der zum Abbau
                                                     genehmigten Braunkohle in den Tagebauen
    Damit sind gewaltige Schritte erforderlich.      wird im Boden bleiben müssen.
    Die bisherige Klima- und Kohlepolitik
    trägt wenig zur Lösung bei. Das Pariser          Warum also gibt es trotz all der definierten
    Abkommen liefert hierfür erstmals einen          Ziele und der rechnerischen Fakten so
    ambitionierten und verbindlichen Rechts­         wenig konkrete Pläne zum Zurückfahren
    rahmen und bildet somit die Basis für eine       und Einstellen der Braunkohleförderung

    „
                                                     und -verbrennung in Sachsen?

                                                     Die Kohlenutzung hat in unserem Bundesland
          Große Teile der zum Abbau                  eine lange Tradition, die Diskussionen um die
          genehmigten Braunkohle in den              Kohle sind von überalterten Geschichten und
    Tagebauen werden im Boden bleiben                Mythen durchzogen und gleichzeitig sind die
    und sächsische Kraftwerksblöcke weit vor         Fragen über gute Perspektiven für die Energie-
    2030 den Betrieb einstellen müssen               wirtschaft in Sachsen aktuell und drängend.

6   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
Im Zentrum der Verteidigung der weiteren
Kohlenutzung steht meist die Vorstellung,
dass Kohle Arbeitsplätze schafft und
                                                   „     Mit dem Wandel der Energie-
                                                         wirtschaft in Sachsen schaffen wir
                                                   einen Baustein, um der Vorstellung
wirtschaftlich ist. Doch stimmt das angesichts     einer ökologischen und gerechten
gravierender Schäden an Landschaft,                Gesellschaft ein Stück näher zu kommen
Klima und unser aller Gesundheit infolge von
fossil basierten Luftschadstoffen? Ist es
noch wahr, dass erneuerbare Energien zu
teuer oder zu unsicher sind? Sind die              erneuerbares Energiesystem gefährdet
Umweltschäden durch die Kohlenutzung               nicht Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit,
ausgleichbar und wer bezahlt das? Welchen          sondern fördert sie. Mit dem Wandel
Beitrag können Städte leisten, um einen            der Energiewirtschaft in Sachsen schaffen
Wandel der Energieversorgung                       wir einen Baustein, um der Vorstellung einer
voranzutreiben? Sind die Kohlekonzerne in          ökologischen und gerechten Gesellschaft
den sächsischen Abbauregionen langfristig          ein Stück näher zu kommen – auch wenn dazu
noch in der Lage, der lokalen Bevölkerung          noch viele andere Schritte notwendig sind.
eine wirtschaftliche Zukunft zu bieten und

                                                   W
gleichzeitig die ökologischen Folgerisiken                  ir danken allen Beteiligten herzlich
wirksam zu adressieren? Welche touristischen                und hoffen, dass wir einen guten
und landwirtschaftlichen Potenziale                         Beitrag zum kritischen Nachdenken
entfalten sich nach der Kohle wirklich?            über die Perspektiven von Kohle und Energie
                                                   in Sachsen leisten können – und damit auch

D
      er „Kohleatlas Sachsen“ ist eine Ergänzung   über unsere Wirtschafts- und Konsumweise.
      der Publikation „Kohleatlas – Daten und      Damit ist auch der „Kohleatlas Sachsen“
      Fakten über einen globalen Brennstoff“,      politische Bildung im besten Sinn. Wir hoffen,
die der Bund für Umwelt und Naturschutz            dass die Publikation vielfältige Verwendung
und die Heinrich-Böll-Stiftung 2015 gemeinsam      finden wird – im Unterricht wie in den Medien,
erarbeitet und herausgegeben haben. Wir            in Verbänden oder in der Politik.
wollen auf unsere regionale Situation eingehen,
Fakten sammeln und Argumente sichten.

Unser Fazit ist: Der Abschied von der Kohle ist    Prof. Dr. Felix Ekardt
ein Schlüssel für den Übergang in eine Zukunft     Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Sachsen
ohne fossile Brennstoffe. Er ist machbar, wenn
wir unsere Energieversorgung konsequent auf        Dr. Gerd Lippold
erneuerbare Energiequellen ausrichten.             Energie- und klimapolitischer Sprecher der Fraktion
                                                   Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag
Und er ist notwendig, damit Deutschland
seinen internationalen Klimaverpflichtungen        Stefan Schönfelder
nachkommen kann. Der Umstieg auf ein               Geschäftsführer Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen

                                                                                                  KOHLEATLAS SACHSEN 2017   7
SACHSENS BRAUNKOHLE

           MYTHOS UND WAHRHEIT
                              MYTHOS 1: „DANK BRAUNKOHLE SIND WIR NICHT
                              SO STARK VOM RUSSISCHEN ERDGAS ABHÄNGIG.“
                              Aber: Wegen der Erderwärmung müssen wir
                              mittelfristig sowieso auf erneuerbare Energien
                              umstellen. Dann können wir auch gleich auf
                              Wind, Sonne, Wasser und Biomasse setzen.

                                            MYTHOS 2: „BRAUNKOHLE BEDEUTET ENERGIESICHERHEIT.“
                                            Aber: Gegen Stillstand bei Windrädern und gegen Solar-
                                            stromausfälle bei dunklem Himmel helfen Netzausbau
                                            sowie mehr und bessere Speicher, weniger Verbrauch
                                            und effizientere Nutzung. Das muss man aber wollen.

           MYTHOS 3: „BRAUNKOHLEKRAFTWERKE
           SIND ENERGIEEFFIZIENT.“
           Aber: Moderne Gas-und-Dampf-Kombi­              MYTHOS 4: „BRAUNKOHLESTROM IST BILLIG.“
           kraftwerke haben einen viel besseren            Aber: Nur auf den ersten Blick. Auf
           Wirkungsgrad und und eignen sich viel           der Stromrechnung stehen weder die
           besser für den Ausgleich von Schwankungen       Subventionen noch die Kosten für
           bei Verbrauch und Erzeugung.                    Gesundheits- und Klimaschäden oder
                                                           die „Ewigkeitskosten“, etwa das
                                                           dauerhafte Abpumpen von Grundwasser.

                              MYTHOS 5: „BRAUNKOHLEKRAFTWERKE SIND EINE BRÜCKEN-
                              TECHNOLOGIE, BIS WIR EBENSO KOSTENGÜNSTIGE ALTERNATIVEN HABEN.“
                              Aber: Wie lang soll die Brücke denn werden? Die Großkraftwerke
                              drücken dank ihrer unehrlichen Preise ausgerechnet die erneuerbaren
                              Energien aus dem Markt.

8   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
MYTHOS 6: „BRAUNKOHLE
SICHERT ARBEITSPLÄTZE.“
Aber: Mehr Menschen                        MYTHOS 7: „DIE RÜCKSTELLUNGEN
arbeiten für die Erneuerba-                DER BERGBAUFIRMEN SICHERN
ren. Allein die Windparks vor              DIE ZUKÜNFTIGEN KOSTEN AB.“
der deutschen Küste sorgen                 Aber: Niemand weiß, ob die Rück-
für ebenso viele Arbeitsplätze             stellungen reichen und ob sie bei einer
wie das gesamte deutsche                   Pleite der Betreiber noch da sind. Übrigens
Braunkohlegeschäft. Die                    zahlen wir mit Steuergeldern noch immer
Energiewende bedeutet für                  für die Braunkohleschäden der DDR-Zeit.
Sachsen: Umdenken,
umlernen, umschulen.

        MYTHOS 8: „BRAUNKOHLESTROM GEHT AUCH OHNE UMWELTSCHÄDEN.“
        Aber: Tagebaue sind IMMER ein schwerer Eingriff in die Natur.
        Ausstoß von Kohlendioxid ist bei der Verbrennung unvermeidbar und
        nicht wegzufiltern. Und: Die Verpressung von Kohlendioxid unter
        die Erde ist großtechnisch und wirtschaftlich nicht machbar.

         MYTHOS 9: „AUS DEN TAGEBAUEN ENTSTEHEN
         TOLLE SEENLANDSCHAFTEN.“
         Aber: Rekultivierung ist teuer. Und sie klappt
         nicht immer auf Anhieb. Seen versauern,
         Tagebauränder rutschen ab. Nicht einmal die
         Angelwirtschaft floriert.

MYTHOS 10: „OHNE DIE BRAUNKOHLE-FOLGELANDSCHAFTEN KEIN TOURISMUS.“
Aber: Auf die Tagebauregionen entfallen bislang nur zehn Prozent der
sächsischen Übernachtungen. Der Tourismus in den Städten und Ferien­­-
regionen Vogtland, Sächsische Schweiz und Erzgebirge ist viel wichtiger.

                                                                              KOHLEATLAS SACHSEN 2017   9
STRUKTURWANDEL

     AN DEN AUSSTIEG DENKEN
     Der endgültige Abschied von der                                     Heute arbeiten in der Lausitz noch 8.300 und im Mittel-
     Braunkohlewirtschaft ist unumgänglich.                         deutschen Revier 2.500 Menschen in Tagebauen und Kraft-
     Die Folgen für den sächsischen Arbeitsmarkt                    werken. Auf den sächsischen Anteil entfallen insgesamt we-
                                                                    niger als 3.000 Erwerbstätige. Gemessen an der Gesamtzahl
     sind nicht so weitreichend wie oft
                                                                    der Arbeitsplätze in den unmittelbar betroffenen Landkrei-
     behauptet. Dennoch muss die Politik den                        sen ist dies weniger als ein Hundertstel. Zudem werden 70
     Wandel steuern.                                                Prozent der Beschäftigten in der Kohle innerhalb der nächs-
                                                                    ten 15 bis 20 Jahre in Rente gehen, denn sie sind älter als 45

     S
            eit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhun-   Jahre.
            dert förderte der maschinelle Kohleabbau in Sachsen          Die Chance auf einen sozialverträglichen Ausstieg ist
            den wirtschaftlichen Aufschwung der Region und          also hoch, denn nur für die restlichen 3.000 Beschäftigten
     trieb so die technische und gesellschaftliche Modernisie-      in den beiden Revieren muss eine berufliche Perspektive
     rung voran. Zu Zeiten des nationalsozialistischen Regi-        jenseits der Kohle entwickelt werden. Diese Aufgabe ist lös-
     mes stand die Braunkohle im Dienst der Bestrebungen zur        bar – in der Lausitz ist der Fachkräftemangel bereits spür-
     Energieautarkie – aus der Ressource sollten kriegsrelevante    bar. Vor allem qualitativ hochwertige Fortbildungen und
     Kraftstoffe entstehen, um Ölimporte zu ersetzen. In der DDR    europaweite Vermittlungen haben sich bewährt, besonders
     gelang der wirtschaftliche Aufbau mithilfe einer intensiven    wenn sie frühzeitig angeboten werden und nicht erst als Re-
     Förderung der Schwerindustrie – um den Preis hoher Luft-       aktion auf eine Krise am Arbeitsmarkt.
     verschmutzung und gesundheitlicher Langzeitschäden.                 Schwieriger ist die wirtschaftliche Neuausrichtung der
     Der Niedergang der sächsischen Kohlewirtschaft begann          bergbaugestützten Regionen. Die regionalen gesellschaftli-
     mit dem Ende der DDR. Der grundlegende Wandel der po-          chen Akteure müssen beteiligt werden, weil von oben ange-
     litischen und rechtlichen Rahmenbedingungen durch die          ordnete Entwicklungsprogramme in einer global vernetz-
     deutsche Wiedervereinigung, aber auch die Ineffizienz der      ten Marktwirtschaft meist zum Scheitern verurteilt sind.
     veralteten Anlagen und das Angebot neuer Energiequellen        Universalmethoden für erfolgreichen Strukturwandel gibt
     zeigten schonungslos die Rückständigkeit der bisherigen        es nicht. Doch aus den Fehlern des seit 60 Jahren subventio-
     Wirtschaftsstrukturen.                                         nierten Umbaus im Ruhrgebiet lässt sich lernen. Dort lebten
          Der große Strukturwandel, die Anpassung der Braun-        die überkommenden Strukturen noch lange weiter und blo-
     kohleindustrie an die neuen umwelt-, sozial- und wettbe-       ckierten den Wandel. Große Teile der Region leiden heute
     werbspolitischen Standards, hat vor allem in den 1990er-       noch unter den sozialen und wirtschaftlichen Folgen.
     Jahren stattgefunden. 1989 gab es in den beiden Revieren            Als mittlerweile gelungenes Beispiel gilt Mitteldeutsch-
     in Mitteldeutschland und der Lausitz noch 140.000 direkte      land, die Region um Leipzig, Halle und Jena. Dort entwi-
     Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie. Davon gingen         ckelten sich die bereits bestehende Industrien nach einer
     innerhalb von zehn Jahren über 90 Prozent verloren. Pro-       Schrumpfungsphase zu Hochtechnologiekernen weiter.
     gramme von Bund und Ländern federten jedoch die rasche         Das Mitteldeutsche Revier hat damit und mit den aufstre-
     Schließung zahlreicher Tagebaue und Kraftwerke ab. Sozi-       benden Großstädten Leipzig und Halle eine einfachere Aus-
     alpläne, großzügige Kurzarbeitsregelungen, Abfindungen,        gangssituation als die Lausitz zu bieten.
     Weiterbildungsangebote und Frühverrentung ab 55 Jahren              Die oftmals beschworene stoffliche Nutzung – um etwa
     sicherten die Existenzgrundlage der ehemaligen Beschäf-        aus Braunkohle Ausgangsstoffe für die Industrie oder alter-
     tigten. Zusätzlich wurde die staatliche Lausitzer und Mit-     native Kraftstoffe herzustellen – bietet allerdings nur ge-
     teldeutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft (LMBV)        ringe Ausbaupotenziale. Bundesweit bestehen heute kaum
     gegründet. Mit der Sanierung der stillgelegten Tagebaue        1.000 Arbeitsplätze. Denn im Verhältnis zur Kohlenstoff-
     waren zeitweise 20.000 Menschen beschäftigt.                   nutzung aus Öl sind die Verfahren zu teuer und nur bei sehr
          Beim Strukturwandel der nächsten Jahre kann die Politik   hohen Ölpreisen konkurrenzfähig. Selbst dann wären die
     also auf einige erprobte Maßnahmen zurückgreifen. Proble-      benötigten Mengen Kohle sehr viel geringer als heute.
     matisch ist zudem die über Jahre gewachsene Abhängigkeit            Leitprinzip der Regionalförderung ist heutzutage die
     der Kommunen von der Kohlewirtschaft. Die öffentlichen         Clusterförderung, die von den vorhandenen Stärken und
     Kassen profitierten von zusätzlichen Steuereinnahmen.          den Potenzialen ausgeht. Eine von der Energieregion Lau-
     Die Förderungen in den Bereichen Rekultivierung, Umsied-       sitz-Spreewald GmbH angestoßene Analyse hat die Kom-
     lung, Kultur, Bildung und Sport haben den gesellschaftli-      petenzfelder Tourismus, Energiewirtschaft, Kunststoffe/
     chen Rückhalt der Konzernstrukturen gestärkt. Ob die Steu-     Chemie, Metallindustrie und Ernährungswirtschaft iden-
     ereinnahmen der Kommunen aus eigener Kraft die zuvor           tifiziert. Sie sollten mit den bereits vorhandenen Förderin-
     ausgeteilten Subventionen einmal übertreffen werden, ist       strumenten gezielt unterstützt werden. Die Hochschulen
     allerdings fraglich. Ob Kultur- und Sportförderprogramme       – in der Lausitz die BTU Cottbus-Senftenberg und die Hoch-
     die gesellschaftlichen und ökologischen Einschnitte kom-       schule Zittau/Görlitz, im mitteldeutschen Raum vor allem
     pensieren können, ebenso.                                      die Hochschulen in Leipzig, Halle und Merseburg – könnten

10   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
EINE KURZE GESCHICHTE DER OSTDEUTSCHEN BRAUNKOHLE
  Ausdehnung der Braunkohlefelder und wichtige Orte für die Entwicklung der Kohleindustrie, in heutigen Landesgrenzen

                                                                                                                                                    Braunkohle
                                                                                                                                                    Steinkohle

            Mitteldeutsches Revier                                                 BRANDENBURG                                 Cottbus              Landesgrenzen

                                              2
                                 Bitterfeld                                                          Senftenberg              Nieder-
   SACHSEN-                                                                                                                                         POLEN
    ANHALT                                                                           Plessa         1        8               7 lausitz
                 Halle                                                                     6     Lauchhammer             Schwarze
                                                                                                                          Pumpe
                          Grube Theodor
                     3
                                               Leipzig                                                                               Ober-

                                          5 Böhlen
                                                                         SACHSEN
                                                                                                                                          lausitz

                         Zeitz                                                                     Dresden
                                                                                                                                                    Kraftwerk Hirschfelde
                                                                                     Döhlener                                                   4
                                                                         Flöhaer      Revier
                                                                          Revier                                                                Zittau
            THÜRINGEN
                                                            Chemnitz
                                                                                                                  TSCHECHIEN
    vor 50 bis 60 Millionen Jahren            Zwickau-Oelsnitzer
    Die mitteldeutschen Flöze von                   Revier
                                                                                                                 1994 Die Lausitzer Braunkohle AG (LAUBAG)
    Leipzig bis Helmstedt entstehen                                                                              wird privatisiert. 2001 an Vattenfall; seit 2016
                                                                                                                 als LEAG bei EPH und PPF-I (Tschechien)
      vor 15 bis 20 Millionen Jahren
      Die Flöze der Lausitz entstehen
                                                                                                            1994 Die Mitteldeutsche Braunkohlen-
                                                                                                            gesellschaft (MIBRAG) wird privatisiert; seit
                                                                   Mitteldeutsches Revier                   2011 bei der Holding EPH (Tschechien)
                                                                   Lausitzer Revier
                                                                   beide Reviere                   1990–95 Schrumpfung beider Rohstoffkomplexe. 1994
      1789 Fund von Braunkohle bei
                                                                                                   wird der staatliche Sanierungsträger LMBV gegründet,
      Lauchhammer 1 , 1815 erster Schacht
                                                                                                   am 1. Januar 1995 beginnt sein operatives Geschäft.

        1839 profitabler Abbau bei Bitterfeld 2                                                         1980 Umstrukturierung in die beiden Braunkohle-
                                                                                                        kombinate Bitterfeld 2 und Senftenberg 8
          1858 Presse auf Grube Theodor 3 bei
          Halle: Trocknung und Brikettierung machen                                                       1945–47 Enteignung und Demontagen,
          Braunkohle zum attraktiven Brennstoff                                                           Wiederauf- und Ausbau, ab 1955 auch

                                                                                                                                                                        KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / LFULG, LGBSA, AGEOLBRB, WIKIPEDIA
                                                                                                          des Gaskombinats Schwarze Pumpe 7
             1860er-Jahre neue Grubenbetriebe der Ober-
             lausitz versorgen Tuchfabriken und Glashütten                            1934 Gründung der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG)
                                                                                      zur Herstellung von Treibstoffen aus Braunkohle
               1890er-Jahre Beginn des Tagebaus in der Niederlausitz
                                                                                               1924 erste Abraumförderbrücke in Plessa 6
                     1893 Ansiedlung energieverbrauchender
                     Großchemiebetriebe um Bitterfeld 2                                          1921 erster Großtagebau in Böhlen 5

                                          1911 erstes Braunkohlegroßkraftwerk bei Zittau 4

                                                                                                    Bei der Braunkohleförderung dominierte zunächst
ihre Forschungskapazitäten stärker in die Gestaltung des                                                    der Abbau unter Tage. Erst mit dem Einsatz
Strukturwandels einbringen. Das Ziel wäre, die Unterneh-                                           von Großgeräten wurde der Tagebau zum Standard
men der Region via Technologietransfer dabei zu unterstüt-
zen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
    Die durch den fortgesetzten Strukturwandel zu erwar-                           gramm und einen erfolgreich gestalteten Strukturwandel
tenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in den                              sind vorhanden. Dazu gehören der – einst vom Bund und
Braunkohleregionen gehen auch auf bundespolitische                                 vom Land Niedersachsen gemeinsam finanzierte – Ems-
Entscheidungen zurück. Deshalb ist die Finanzierung des                            landplan, um die einst rückständige Region entlang der nie-
Strukturwandels eine gemeinsame Aufgabe der Länder und                             derländischen Grenze zu erschließen, aber auch die frühere
des Bundes. Vorlagen für ein ideenreiches Sonderförderpro-                         Zonenrandförderung in Westdeutschland.

                                                                                                                                               KOHLEATLAS SACHSEN 2017                                                                11
WIRTSCHAFT

     STILLE HILFE FÜR DIE BILANZEN
     Die Tagebau- und Kraftwerksbetreiber                                                                                        sen. Der Einigungsvertrag von 1990 legte für viele Boden-
     erhalten vielerlei Vergünstigungen. Für                                                                                     schätze die Befreiung von der Förderabgabe fest. Diese nur
     die wahren Kosten, die sie verursachen,                                                                                     für eine Übergangszeit gedachte Sonderregelung gilt in
                                                                                                                                 Sachsen noch immer. Dabei wäre die Abgabe etwa für die
     müssen sie nicht zahlen.
                                                                                                                                 später bewilligten Kohlefelder jederzeit möglich. Doch auf-
                                                                                                                                 grund von Landesregelungen wird sie umgangen.

     G
             ern behaupten die braunkohlefreundlichen Kreise in                                                                      Allein im Mitteldeutschen Revier sind dem Freistaat so
             Wirtschaft und Politik, ihr Brennstoff komme ohne                                                                   bislang bei knapp 100 Millionen Tonnen geförderte Braun-
             staatliche Zuschüsse aus. Aber eine solche Subventi-                                                                kohle aus später bewilligter Förderung etwa 150 Millionen
     onsfreiheit der Braunkohle gibt es nicht. Nach der Wende                                                                    Euro an Abgaben entgangen. Im aktuellen Tagebaubetrieb
     1989/90 förderte die Aufbau-Ost-Politik die privatisierten                                                                  sollen weitere 75 Millionen Tonnen abgebaggert werden,
     Bergbauunternehmen in großem Stil. Kosten für Nachrüs-                                                                      sodass dem Freistaat weitere etwa 115 Millionen Euro ent-
     tung und Neubau der Kraftwerke wurden mit staatlichen                                                                       gehen. Dann gibt es die noch nicht genehmigten 36 Millio-
     Mitteln abgedeckt, aber auch durch die Umwälzung von                                                                        nen Tonnen in den Tagebauen Nochten, Welzow-Süd und
     Kosten auf ostdeutsche Stromkunden, die keine Wahl hat-                                                                     Vereinigtes Schleenhain – macht 56 Millionen Euro an För-
     ten, als die verlangten Preise zu bezahlen.                                                                                 derabgaben. Diese Mehrkosten würden dazu beitragen, die
         Weniger bekannt sind die Zuschüsse durch den Verzicht                                                                   Tagebauerweiterungen auf einen Schlag unwirtschaftlich
     auf Einnahmen. So ist bei der Trockenlegung der Tagebaue                                                                    zu machen.
     für das abgepumpte Wasser eine Wasserentnahmeabgabe                                                                             Der Emissionshandel für Treibhausgase ist unwirksam.
     zu zahlen. Doch in Sachsen wird sie nur für fünf Prozent der                                                                Deswegen kommt es auch bei der Verstromung zu indirek-
     entnommenen Menge fällig: Statt drei Millionen Euro wer-                                                                    ten Subventionen. Der Preis für die Zertifikate dümpelt seit
     den nur rund 150.000 Euro erhoben. Auf den Differenzbe-                                                                     Jahren bei etwa 5 Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2). Etwa
     trag verzichtet der Freistaat Jahr für Jahr.                                                                                30 Euro wären jedoch nötig, um bei den Energieversorgern
         Für das Fördern von Bodenschätzen – von der Kiesgrube                                                                   tatsächlich Anreize für Klimaschutzmaßnahmen zu setzen.
     über die Erdgasbohrung bis hin zum Eisenerzbergwerk –                                                                       Die realen Kosten für die CO2-Emissionen – einschließlich der
     werden in Deutschland Förderabgaben erhoben, üblicher-                                                                      Kosten für die Folgeschäden bei Mensch und Natur – liegen
     weise in Höhe von zehn Prozent des Marktwertes, verteilt                                                                    gar bei 80 Euro pro Tonne ausgestoßenes CO2. Solche Fak-
     auf den genehmigten Förderzeitraum. Nicht aber in Sach-                                                                     toren verzerren die Energiepreise. Bei der Hereinnahme
                                                                                                                                 dieser Kosten würde sich die Braunkohle gegenüber den er-
                                                                                                                                 neuerbaren Energien derart verteuern, dass das Argument
                                                                                                                                 der preiswerten Energie aus einem billigen Rohstoff unhalt-
                                                                                          KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / VATTENFALL

        BRAUNER BRAND IN ROTEN ZAHLEN
                                                                                                                                 bar wäre.
        Jahresergebnisse der Vattenfall-Gesellschaften bis zum Verkauf
        im Mai 2016, in Millionen Euro                                                                                               Trotz der Begünstigungen läuft das Geschäft mit der
                                                                                                                                 Braunkohle nicht gut. Vattenfalls Lausitzer Tagebaue ar-
       1.500
                                        +1.373                                                                                   beiteten seit 2006 defizitär. 2014 wurde das Unternehmen
                                                                                                                                 umstrukturiert und 2016 schließlich die gesamte Sparte
       1.200
                                                                                                                                 mit Verlust abgestoßen: Vattenfall hat dem Käufer noch
                               +1.059                                                                                            1,7 Milliarden Euro Barmittel dazu geschenkt. Hinter dem
        900
                                                              +770                                                               neuen Eigentümer EPH stehen wenige schwerreiche Finan-
                           Tagebaue*                                                                                             zinvestoren aus Tschechien, die ihre Beteiligungen über ein
        600                                           +681
                           Kraftwerke**                                                                                          Geflecht von Firmen in Zypern und Luxemburg verwalten.
                                                                                                                                 Sie betreiben Briefkastenfirmen in Ländern, die dafür be-
        300                                                                                                                      kannt sind, nur wenige Steuern und geringe Transparenz zu
            +53                   -16                                                                                            fordern. So gehören die Anteile an der neuen LEAG – der ge-
                                                               -25           -40
          0
                                                                                   -145                                          meinsamen Marke der Lausitz Energie Bergbau AG und der
                   -42                                                                                                           Lausitz Energie Kraftwerke AG mit rund 8.000 Beschäftigten
                                                       -105
        -300                                                                                                                     – zu 80 Prozent einer kapitalschwachen Verwaltungs-GmbH
                                                                                                                                 in Prag, bei der im Pleitefalle die Haftung endet.
        -600                                                                       -513                                              Denn die unübersichtliche Unternehmensstruktur mit
                                                                                                                                 zahlreichen Mutter- und Tochterfirmen sowie intransparen-
                                                                            -706
        -900
            2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011                2012 2013 2014 2015 2016
                                                                                  (Mai)
        * Vattenfall Mining, Jahresergebnis vor Ergebnisabführung
                                                                                                                                 Der Preisverfall durch Wind- und Solarstrom sowie
        ** Vattenfall Generation, Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit                                                   unternehmerische Fehlentscheidungen trieben die beiden
                                                                                                                                 Braunkohlegesellschaften des Vattenfall-Konzerns ins Minus

12   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DIW, GREENPEACE
  DIE NEUEN CHEFS DER SCHMUTZIGEN ENERGIE
  Firmengeflecht der MIBRAG- und LEAG-Eigentümer, in Prozent
                                                                              Niederlande

                                                                        Jersey              Tschechien
                            Daniel Křetínský                                            Deutschland                                 Petr Kellner
                                (* 1975)                                    Luxemburg                                                 (* 1964)
                                                                                            Zypern
                             89         100                                                                                            98,2

       EP Investment S.à.r.l.             EP Investment 2 S.à.r.l.            Management--                                       PPF Group N.V.
            Luxemburg                           Luxemburg                      gesellschaft                                       Niederlande
                  50                                44                                  6                                                ?

                                      EPH, Tschechien                                                                         PPF Investments Ltd.
            (Energetický a průmyslový holding, a.s., Energie- und Industrie-Holding)                                                 Jersey
                                                                                    100

          Mitteldeutsches Revier                                        EP Power Europe (EPPE)
                                         100                                                                                            100
          Lausitzer Revier                                                    Tschechien
                                                                                    100

               JTSD Braunkohlebergbau GmbH                                   EPPE Germany a.s.                                      Gemcol Ltd.
                           Zeitz                                                Tschechien                                            Zypern
                                                                                                     50                        50

         100                             100                                                              LEAG Holding a.s.
                                                                                                             Tschechien

                                                                       10               10                      100                       10          10
    Saale Energie                 Mitteldeutsche
                                                                                                         Lausitz Energie
       GmbH                 Braunkohlengesellschaft mbH
                                                                                                 Verwaltungs GmbH (LEV), Cottbus
      Schkopau                    (MIBRAG), Zeitz
                                                                                                     80                        80

                                                                                Lausitz Energie Kraft-                Lausitz Energie Bergbau
         100                             100
                                                                               werke AG (LEK), Cottbus                   AG (LEB), Cottbus

                       Tagebaue Vereinigtes Schleenhain und                            Tagebaue Jänschwalde, Nochten, Welzow-Süd
      Kraftwerk
                       Profen. Kraftwerke Deuben und Wählitz.                        und Reichwalde. Kraftwerke Jänschwalde, Boxberg,
     Schkopau A
                            Revier Helmstedt (stillgelegt)                              Schwarze Pumpe und Lippendorf (Block R)

                                                                                                         In halb Europa sind die Firmen verstreut, mit
ten Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen wirft                                        denen die beiden Investoren aus Tschechien ihre Steuern
Fragen auf. Die wichtigste: Haftet der Konzern bei der In-                                          mindern und Eigentumsverhältnisse verschleiern
solvenz einer der Tochterfirmen? Bis zu welcher Obergren-
ze? Im schlimmsten Fall muss das Land einspringen und
Folgekosten aus Steuermitteln zahlen. Dringend muss da-                          Weiterhin ist bis 2021 die Gewinnabschöpfung vertraglich
her sichergestellt werden, dass die Folgekosten der Braun-                       auf eine „betriebsübliche Rendite“ begrenzt, was auch im-
kohle tatsächlich den Verursachern angelastet werden.                            mer das bedeuten mag. Bestehende Tarifverträge sind fort-
Die Umweltorganisation Greenpeace weist bereits auf ei-                          zuführen, betriebsbedingte Kündigungen bis 2020 ausge-
nen potenziell beunruhigenden Vorgang hin: Womöglich                             schlossen. Für danach gibt es keinerlei Regelungen.
könnten die 1,7 Milliarden Euro, die Vattenfall für die spä-                        Auch bei der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft
tere Rekultivierung an die neuen Eigentümer gezahlt hat,                         (MIBRAG), bereits seit 2009 eine Tochter von EPH, sieht es
in Wirklichkeit in die Milliardensummen geflossen sein, mit                      nicht rosig aus. Die Gewinne sind eingebrochen. Seit dem
denen sich EPH Ende 2016 von einigen großen Altaktionä-                          Zeitpunkt des Kaufs wurden insgesamt 440 Millionen Euro
ren befreit hat.                                                                 durch einen Gewinnabführungsvertrag an die tschechische
    Der Verkaufsvertrag regelt, dass bis 2019 keine Dividen-                     Mutter überwiesen. Es ist offen, ob und in welchem Umfang
den an die neuen Eigentümer gezahlt, Rückstellungen auf-                         das Geld in Form von Investitionen den Weg zurück findet,
gelöst oder vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden.                            wenn es den Unternehmen hier schlecht geht.

                                                                                                                                             KOHLEATLAS SACHSEN 2017                                        13
MITTELDEUTSCHES REVIER

     NOCH KEIN AUFATMEN IN DER
     ALTEN INDUSTRIELANDSCHAFT
     In der Region um Leipzig und Halle bestimmt                                                                               Zuletzt verschwand zwischen 2006 und 2010 der sächsische
     die MIBRAG das Geschehen in Tagebauen                                                                                     Ort Heuersdorf, der 1990 noch 340 Einwohner hatte.
     und Kraftwerken – als gäbe es keine nationale                                                                                 Die beiden Großtagebaue des Reviers heißen Vereinigtes
                                                                                                                               Schleenhain in Sachsen mit einer Jahresförderung von rund
     Klimaschutzdebatte. Doch gegen die
                                                                                                                               zehn Millionen Tonnen Rohbraunkohle und Profen mit
     Tochter des tschechischen Energiekonzerns                                                                                 acht bis neun Millionen. Beide Tagebaue werden durch die
     EPH regt sich der Widerstand.                                                                                             Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (MIBRAG) betrie-
                                                                                                                               ben, die 1994 nach der Übernahme der Treuhandbetriebe

     D
            as Mitteldeutsche Revier ist neben dem Lausitzer Re-                                                               durch ein Firmenkonsortium entstand. Seit 2009 gehört die
            vier die zweite bedeutende Braunkohleregion in Ost-                                                                MIBRAG zur tschechischen Industrieholding EPH, seit 2016
            deutschland. Etwa 80.000 Beschäftigte in der Lausitz                                                               mit einem Finanzpartner auch Besitzer der Lausitzer Tage-
     und 60.000 im mitteldeutschen Revier bauten im Förder-                                                                    baue und dreier Kraftwerke. Hinzu kommt ein Block des
     maximum der 1980iger Jahre rund 300 Millionen Tonnen                                                                      Kraftwerks Lippendorf; der zweite gehört dem Energie-
     jährlich ab. Die Spitze im mitteldeutschen Revier wurde                                                                   versorger EnBW. Das Kraftwerk Schkopau gehört zu 41,9
     schon 1963 mit rund 145 Millionen Tonnen erreicht. Jedoch                                                                 Prozent der MIBRAG-Muttergesellschaft EPH, der Rest dem
     betrug auch 1985 die jährliche Förderung noch immer 115                                                                   Energieversorger Uniper.
     Millionen Tonnen.                                                                                                             In viel kleinerem Maßstab fördert der Betreiber Romon-
        Die mitteldeutsche Braunkohle hat mit 9 bis 11,3 Me-                                                                   ta im Tagebau Amsdorf, der in Sachsen-Anhalt liegt, rund
     gajoule pro Kilogramm höhere Heizwerte als die Lausit-                                                                    300.000 Tonnen pro Jahr. Aus der Braunkohle entsteht Mon-
     zer Braunkohle, allerdings auch im Durchschnitt höhere                                                                    tanwachs, ein Industriestoff, der etwa für Schuhcremes und
     Schwefelgehalte. Besonders kritisch für die Emissionen                                                                    Polituren verwendet wird . Insgesamt beschäftigt die Braun-
     der zwei großen Braunkohlekraftwerke des mitteldeut-                                                                      kohlewirtschaft in Mitteldeutschland etwa 2.400 Personen,
     schen Reviers, Lippendorf in Sachsen und Schkopau in                                                                      davon nicht einmal 800 in Sachsen.
     Sachsen-Anhalt, sind die höheren und schwankenden                                                                             Im Unterschied zum Lausitzer Revier betrieb hier die
     Quecksilbergehalte der Kohlevorkommen, die zum Teil                                                                       DDR nicht nur Braunkohleverstromung und Brikettpro-
     acht- bis zehnfach über denen in der Lausitz liegen.                                                                      duktion, sondern auch im großen Maßstab Kohlechemie
        Die gesamte, in der Geschichte des mitteldeutschen                                                                     auf Braunkohlebasis. Deshalb war der Bruch nach 1990,
     Reviers in Anspruch genommene Abbaufläche beträgt etwa                                                                    der innerhalb weniger Jahre praktisch die gesamte Braun-
     400 Quadratkilometer. Die Tagebaue zerstörten 126 Orte                                                                    kohlewirtschaft erfasste, besonders tief und betraf etwa 95
     und Ortsteile, was zur Umsiedlung von insgesamt etwa                                                                      Prozent aller Braunkohle-Arbeitsplätze in der Region um
     51.000 Einwohnern führte. Davon waren auf dem Gebiet des                                                                  Leipzig und Halle. In Sachsen fiel 1994 nach der Wiederer-
     heutigen Bundeslandes Sachsen etwa 23.000 Einwohner in                                                                    öffnung des Tagebaus Schleenhain südlich von Leipzig die
     72 Orten betroffen, in Sachsen-Anhalt 26.000 Einwohner in                                                                 Entscheidung, ein großes Braunkohlekraftwerk am Stand-
     40 Orten und in Thüringen 2000 Einwohner in vier Orten.                                                                   ort Lippendorf zu errichten.
                                                                                                                                   Dessen Versorgung für eine geplante Laufzeit bis 2040
                                                                                                                               wäre durch kombinierte Auskohlung von Abbaufeldern in
                                                                                                                               den Tagebauen Schleenhain und Profen möglich gewesen,
                                                                                KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE

        ARBEITSKRÄFTE
                                                                                                                               ohne dass weitere Ortschaften hätten verschwinden müs-
        Beschäftigte im Mitteldeutschen Revier, je zum Jahresende
                                                                                                                               sen. Dennoch fiel die politische Entscheidung für eine ande-
        50.000                                                                                                                 re Variante, die der Betreiber aus wirtschaftlichen Gründen
                                      Bergbau                                                                                  bevorzugte: die Versorgung des Kraftwerk über die gesam-
                                      Bergbau und Kraftwerke
        40.000                                                                                                                 te Laufzeit ausschließlich aus Schleenhain. Dafür sollte ein
                                                                                                                               neues Abbaufeld erschlossen werden, auf dem sich die Ort-
        30.000                                                                                                                 schaft Heuersdorf befand.
                                                                                                                                   Der Braunkohlenplan von 1994 schrieb deshalb die Ge-
        20.000                                                                                                                 markung von Heuersdorf als Abbaugebiet fest – gegen den
                                                                                                                               Widerstand der Gemeinde. Um das Gemeindegebiet auf-
        10.000

             0                                                                                                                 Von den nur noch 2.500 Beschäftigten
              1990   1993      1996   1999   2002   2005   2008   2011   2014                                                  im Mitteldeutschen Revier
                                                                                                                               entfallen gerade einmal 800 auf Sachsen

14   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DEBRIV, UBA
  DIE BRAUNKOHLEINDUSTRIE IN MITTELDEUTSCHLAND
  Tagebaue mit Laufzeiten und jährlicher
  Förderung, Kraftwerke mit der Erzeugung
  von Strom, Wärme und Kohlendioxid                                                           Bitterfeld-
                                                                                               Wolfen

                                                           Saale
                                                                                  SACHSEN-                                                                      Bad Düben
                                          Tagebau Amsdorf                          ANHALT
      Tagebau

                                                                                                                                                       Mu
                                          1958– ca. 2030
         ausgekohlt/rekultiviert

                                                                                                                                                          lde
                                          ca. 300–400.000 Tonnen jährlich
         aktiv                                                                                                                  Delitzsch
         in Planung
                                                                                   Halle
                                                                                                                                                                       Eilenburg
         Kraftwerk

         Landesgrenzen                                                                                                                  SACHSEN
                                                                                  Schkopau
                                                                                  Merseburg
               Kraftwerk Schkopau
               Strom: 2 x 450 MW                                                                                                  Leipzig
                                                                          Leuna
               Bahnstrom: 110 MW

                                                                                                                     r
                                                                                                                  lste
               Kohlendioxid 2015: 5,3 Millionen Tonnen
                                                                                                                                    Markkleeberg

                                                                                                                     E
                                                                                                                 iße
                                                                                                              We
                                                                                                                                                  Kraftwerk Lippendorf
                                                                                                                                                  Strom: 2 x 933 MW
                                                                                                                                                  Wärme: 330 Megawatt
                                                                                                                                                  Kohlendioxid 2015: 10,3 Millionen Tonnen
                                                                                                               Böhlen
                                                                              Weißenfels
                                                                                                                                                     Espenhain
                                                             Naumburg
                                          Tagebau Profen                                                                                          Borna
                                          1941-2035
                                          ca. 8,6 Millionen Tonnen jährlich
                                                                                                                                                   Tagebau Vereinigtes Schleenhain
           20 km                                                                                                                                   1949 (Vorläufer) – 2040
                                                                                               Zeitz                                               ca. 10 Millionen Tonnen jährlich

                                                                                                                                  Pleiße
                                                                                                               THÜRINGEN

                                                                                                    Die mitteldeutschen Tagebaue versorgen Großkraftwerke,
zuheben, war deshalb gemäß Artikel 88 der Sächsischen                                                          Industriebetriebe und Stadtwerke – und damit
Verfassung ein Landesgesetz erforderlich, das sogenannte                                                  sorgen sie auch für deren Kohlendioxid-Emissionen
Heuersdorfgesetz. Zur Begründung hieß es, dass durch die
Inanspruchnahme der Kohle unter Heuersdorf die Versor-
gung des Kraftwerks Lippendorf bis 2040 abgesichert sei.                                      rungsvorhaben vorliegen. Seit 2016 betreibt die MIBRAG in
Nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung verlor die                                         Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Oberbergamt eine
Gemeinde 2005 in letzter Instanz vor dem Sächsischen Ver-                                     Umweltverträglichkeitsprüfung, Voraussetzung für den
fassungsgerichtshof. 2006 begann der Abriss, bis 2010 wur-                                    notwendigen Rahmenbetriebsplan. Gegen das Vorhaben
de das Dorf vollständig abgeräumt. Die MIBRAG begann                                          regt sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern,
jedoch nach 2012 in großem Umfang mit dem Export von                                          aber auch in Verbänden, Kommunen und in der Landespo-
Rohbraunkohle. Mindestens 1,4 Millionen Tonnen gelang-                                        litik zunehmender Widerstand.
ten aus dem Revier in tschechische Kraftwerke. Nach Protes-
ten stellte der Betreiber die Ausfuhr Ende 2015 wieder ein.
    Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain besteht aus den
                                                                                                 ABBAUMENGEN
drei Teilfeldern Peres, Groitzscher Dreieck und Schleen-
                                                                                                 Braunkohlenförderung im Mitteldeutschen Revier, in Millionen Tonnen
hain. Obwohl die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf
mit Braunkohle bis zum Ende der Laufzeit gesichert ist,                                          250
strebt der Betreiber eine Erweiterung an, vor allem um den                                                                                   Mitteldeutsches Revier
                                                                                                 225
                                                                                                                                             zum Vergleich: Rheinisches Revier
Abbau effizienter zu machen. Der Realisierung würden der                                         200
Ort Pödelwitz am Abbaufeld Peres sowie der Ort Obertitz                                          175
                                                                                                                                                                                              KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE

am Abbaufeld Groitzscher Dreieck zum Opfer fallen. Die                                           150
MIBRAG hat bereits ein Umsiedlungsprogramm für Pödel-                                            125
witz gestartet, obwohl bislang keinerlei raumordnerische                                         100
Voraussetzungen oder Genehmigungen für das Erweite-                                               75

                                                                                                  50

                                                                                                  25
                         Seit dem Ende der Kohlechemie wird die                                    0
                                mitteldeutsche Braunkohle ganz                                         1983   1986       1989    1992      1995   1998 2001 2004 2007 2010             2013

                     überwiegend in zwei Kraftwerken verstromt

                                                                                                                                                                         KOHLEATLAS SACHSEN 2017                                             15
LAUSITZER REVIER

     VIEL GELD UND SCHLECHTE KOHLE
     Vom Nebenerwerb vor 200 Jahren bis                                                                                            Die Industrialisierung des Deutschen Reichs und zwei
     zum Milliarden-Business von heute –                                                                                       Weltkriege ließen den Kohlebedarf und die Zahl und Größe
     im Osten Sachsens wird der Abbau noch                                                                                     der Abbaugebiete erheblich steigen. Auch die DDR setzte auf
                                                                                                                               den „heimischen Energieträger“ Braunkohle. Zwischen 1950
     immer für Jahrzehnte geplant.
                                                                                                                               und 1989 deckte die Braunkohle – mit fallender Tendenz –
                                                                                                                               zwischen 90 und 65 Prozent des Primärenergieverbrauchs

     I
        m Lausitzer Braunkohlerevier liegen in vier übereinan-                                                                 ab. Die Kohle wurde von den Braunkohlekombinaten Bitter-
        derliegenden Flözkomplexen 11,8 Milliarden Tonnen                                                                      feld (Mitteldeutsches Revier) und Senftenberg (Lausitz) in 17
        Braunkohle. Davon sind 3,3 Milliarden mit derzeitiger                                                                  beziehungsweise 18 Tagebauen abgebaut. Entweder wurde
     Technik erschließbar; für 1,5 Milliarden Tonnen gibt es eine                                                              die Rohbraunkohle direkt vor Ort verstromt oder in einer der
     Abbaugenehmigung. Abgebaggert werden der 1. und 2.                                                                        51 Brikettfabriken veredelt und dann in Industrie, Haushal-
     Flözkomplex, die in 20 bis 40 und 60 bis 120 Metern Tiefe lie-                                                            ten, Kraftwerken oder für den Export genutzt.
     gen. Sie sind 3 bis 16 Meter mächtig.                                                                                         Erst Wende und Wiedervereinigung 1989/90 führten zu
         Die Rohbraunkohle hat einen Heizwert von 7,3 bis 9,1                                                                  einer dramatischen Gegenbewegung: Wurden 1988 noch
     Megajoule pro Kilogramm und einen Wassergehalt von                                                                        200 Millionen Tonnen gefördert, waren es zehn Jahre spä-
     48 bis 58 Prozent. Zum Vergleich: Die im westfälischen                                                                    ter nur noch 50 Millionen. Seitdem steigen die Fördermen-
     Steinkohlebergwerk Ibbenbüren abgebaute hochwertige                                                                       gen wieder. Die neuen Umweltstandards im vereinigten
     Anthrazitkohle hat einen Brennwert von 36 Megajoule pro                                                                   Deutschland, der Zusammenbruch der DDR-Industrie und
     Kilogramm bei einem Wassergehalt von nur drei Prozent.                                                                    die neue Verfügbarkeit von Erdgas und Erdöl führten zu
     Weiter enthält die sächsische Braunkohle 0,3 bis 1,5 Prozent                                                              einer abrupt verminderten Nachfrage. Bis 1997 schlossen
     Schwefel. Erst durch die Verarbeitung und Trocknung zu                                                                    sechs Braunkohlekraftwerke und allein in der sächsischen
     Briketts oder Kohlenstaub steigt der Heizwert auf rund 20                                                                 Lausitz die sechs Tagebaue Bärwalde, Berzdorf, Lohsa, Ol-
     Megajoule pro Kilogramm. Bei der Verbrennung entsteht                                                                     bersdorf, Bluno/Spreetal und Scheibe. Übrig geblieben sind
     Schwefeldioxid, das heute mithilfe moderner Rauchgasent-                                                                  vier Tagebaue: Jänschwalde und Welzow in Brandenburg
     schwefelungsanlagen zu 90 Prozent abgeschieden und bei-                                                                   sowie Nochten und Reichwalde in Sachsen.
     spielsweise als Gips weiterverwendet werden kann. Vor dem                                                                     Gleiches spiegelt sich in der Zahl der Arbeitsplätze wi-
     Einsatz der Entschwefelungsanlagen war Schwefeldioxid                                                                     der. 1989 gab es noch 79.000 Beschäftigte in der Lausitzer
     Hauptursache für die Entstehung des „sauren Regens“.                                                                      Braunkohlewirtschaft; 2015 verblieben 8.300, davon fast
         1789 wurde die erste Braunkohle in Lauchhammer                                                                        700 Auszubildende und rund 400 Beschäftigte beim staatli-
     entdeckt. Der Ort in der Niederlausitz gehörte damals zu                                                                  chen Sanierungsträger LMBV, der Lausitzer und Mitteldeut-
     Sachsen und liegt heute im südlichen Brandenburg. Der                                                                     schen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Vattenfall hatte
     Abbau in wenigen offenen Gruben geschah im Neben-                                                                         2014 in Sachsen in allen Geschäftsfeldern 2.900 Beschäftig-
     erwerb. Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der                                                                      te. Zum Vergleich: In den beiden Braunkohle-Landkreisen
     Abbaubetriebe schnell zu. Nach einer kurzen Episode un-                                                                   Bautzen und Görlitz leben aktuell rund 565.000 Menschen,
     terirdischen Abbaus Ende des Jahrhunderts entstanden                                                                      von denen 229.000 angestellt, 27.000 marginal beschäftigt
     großräumige oberirdischen Tagebaue mit systematischer                                                                     und 31.000 selbstständig sind. Im Geschäftsbereich Braun-
     Förderung.                                                                                                                kohle arbeiten also nur rund 1,1 Prozent der Beschäftigten
                                                                                                                               beider Landkreise. Durch die bisherigen Tarifverträge ver-
                                                                                                                               dienen Kohlearbeiter weit besser als im Landkreisdurch-
                                                                                                                               schnitt, Grund für ihr Festhalten an diesen Arbeitsplätzen.
                                                                                KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE

         ARBEITSKRÄFTE
                                                                                                                               Doch 2020 muss neu verhandelt werden. Die zahlreichen
         Beschäftigte im Lausitzer Revier, je zum Jahresende
                                                                                                                               Bergbau-Subunternehmer bekommen bereits jetzt den
         80.000                                                                                                                Preisdruck zu spüren.
                                      Bergbau                                                                                      Die Wende bedeutete zunächst auch eine Wende in
         70.000                       Bergbau und Kraftwerke
                                                                                                                               den Eigentums- beziehungsweise Betreiberverhältnissen.
         60.000
                                                                                                                               Das volkseigene Braunkohlekombinat Senftenberg und
         50.000                                                                                                                weitere Betriebe wurden 1993 zur LAUBAG, der Lausitzer
         40.000                                                                                                                Braunkohle AG. 2002/03 übernahm der schwedische Staats-
                                                                                                                               betrieb Vattenfall mit der Vattenfall Europe AG das Braun-
         30.000
                                                                                                                               kohlegeschäft und gründete je eine Tochtergesellschaft für
         20.000

         10.000

             0                                                                                                                 8.300 Arbeitsplätze entsprechen 1,1 Prozent
              1990   1993      1996   1999   2002   2005   2008   2011   2014                                                  aller Beschäftigten in den Braunkohle-Landkreisen
                                                                                                                               Bautzen und Görlitz

16   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DEBRIV, UBA
  DIE BRAUNKOHLENINDUSTRIE DER LAUSITZ
  Tagebaue mit Laufzeiten und jährlicher
  Förderung, Kraftwerke mit der Erzeugung                                     Tagebau Jänschwalde                       Guben
                                                          Lübben              1976–ca. 2025                                            Gubin
  von Strom, Wärme und Kohlendioxid                                           ca. 9 Millionen Tonnen jährlich
                                                                                                                                                 Tagebau Gubin-Brody
                                                                                                                                                 ab 2025 17 Millionen Tonnen jährlich
                                             Lübbenau                                  Spree
                                                                                                                                                 Betreiber: PGE (staatlich)
                        BRANDENBURG
      Tagebau                                                                                                                                   Kraftwerk Jänschwalde
                                                                                                                                                Strom: 3.210 Megawatt
         ausgekohlt/rekultiviert                                                  Cottbus
                                                                                                                                                Wärme: 458 Megawatt
         aktiv                     Tagebau Welzow-Süd
                                                                                                                    Forst                       Kohlendioxid 2015: 23,7 Millionen Tonnen
                                   1962–2042
         in Planung                ca. 18 Millionen Tonnen jährlich
         in Prüfung                                                                                                         Sonderfeld Mühlrose
                                                                                                                                                                       POLEN
                                         Tagebau Welzow-Süd II                                                              Vorrat von 150 Millionen Tonnen
         verworfen
                                         in Prüfung bis 2020
                                                                                                 Spremberg                                  Tagebau Nochten

                                                                                                                                   iße
         Kraftwerk                                                                                                      Weiss-              1973–2026

                                                                                                                                 Ne
                                                                                                                        wasser              ca. 18 Millionen Tonnen jährlich

         Landesgrenzen                                                                                                                             Kraftwerk Boxberg
                                    Lauchhammer                                                                                                    Strom: 2.582 Megawatt
                                                                                                                                                   Wärme: 125 Megawatt
                                                                                                                                                   Kohlendioxid 2015: 19,5 Millionen Tonnen
                                                                                    Hoyerswerda
           20 km                   Kraftwerk Schwarze Pumpe
                                                                                                                 Boxberg           Tagebau Reichwalde
                                   Strom: 1.600 Megawatt                               SACHSEN                                     1985–2045
                                   Wärme: 120 Megawatt
                                                                                                                                   ca. 12 Millionen Tonnen jährlich
                                   Kohlendioxid 2015: 12,3 Millionen Tonnen

                                                                                                                        Die Tagebaue versorgen die drei LEAG-Kraftwerke
den Bergbau- und den Kraftwerksbetrieb. 2013 brachen die                                                                   mit Brennstoff. Diese Anlagen gehören zu den
Gewinne bei Vattenfall ein, und ab 2014 versuchte das Ma-                                                               zwölf größten Kohlendioxid-Emittenten Europas
nagement, die Braunkohlesparte abzustoßen.
    Sie geht schließlich im September 2016 mitsamt rund
8.000 Beschäftigten an die Investoren EPH und PPF Invest-                                      weit naturschutzrechtlich und -fachlich bedeutenden Arten
ments aus Tschechien. Die Käufer erhielten Anlagen im                                          sind weitere teilweise einzigartige und nicht wiederherstell-
Wert von 3,4 Milliarden Euro und zusätzlich 1,7 Milliarden                                     bare Lebensräume und Populationen untergegangen. Die
Euro Barmittel. Ihre neue Dachmarke heißt LEAG und gilt                                        Artenschutzmaßnahmen, mit denen Fortpflanzungs- und
für eine Kraftwerks- und eine Bergbaugesellschaft. Deren                                       Ruhestätten gesichert werden sollten, waren von Anfang an
Muttergesellschaft ist eine GmbH mit Sitz in Cottbus und                                       untauglich.
rund 20 Beschäftigten.                                                                            Nicht nur Naturschutzgebiete wurden zerstört, sondern
    Bis heute gibt es Planungen für den Neuaufschluss oder                                     die Orte Tzschelln vollständig und Mühlrose bislang teil-
die Erweiterung von Tagebauen in der Region. Die Projekte                                      weise abgebaggert. 195 Menschen haben dort bereits Haus
heißen Welzow-Süd II und Nochten II in Sachsen, Jänschwal-                                     und Heimat verloren, für das Sonderfeld Mühlrose werden
de-Nord, Spremberg-Ost und Bagenz-Ost in Brandenburg                                           weitere rund 200 Menschen hinzukommen. Im benachbar-
und Gubin-Brody in Polen. Im Frühjahr 2017 gab die LEAG                                        ten Tagebau Reichwalde waren es 50 Menschen. Seit in der
bekannt, dass sie die Pläne für Jänschwalde-Nord endgültig                                     Lausitz Braunkohle angebaut wird, wurden 82 Ortschaften
aufgegeben und die Planungen für Welzow-Süd II zurück-                                         ganz und 40 Orte teilweise zerstört – und mehr als 16.000
gestellt habe. Zudem kündigte sie an, statt des gesamten Fel-                                  Menschen umgesiedelt.
des Nochten II nur noch das Sonderfeld Mühlrose mit rund
150 Millionen Tonnen Braunkohle in Anspruch zu nehmen.
    Gegen das Gesamtvorhaben Nochten II hat sich ein Kla-
                                                                                                   ABBAUMENGEN
gebündnis aus betroffenen Privatpersonen, Bürgerinitiati-
                                                                                                   Braunkohlenförderung im Lausitzer Revier, in Millionen Tonnen
ven und Umweltverbänden gebildet, das aller Voraussicht
nach auch gegen das Sonderfeld Mühlrose aufrechterhalten                                           250
wird. Für den Tagebau Nochten wurden allein seit 2000 vier                                                                                 Lausitzer Revier
                                                                                                   225
                                                                                                                                           zum Vergleich: Rheinisches Revier
Naturschutzgebiete weggebaggert. Weitere Biotope sind                                              200
durch die Grundwasserabsenkung und die Einleitung berg-                                             175
                                                                                                                                                                                               KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE

baubeeinflussten Wassers beeinträchtigt.                                                           150
    Die letzte norddeutsche Flachlandpopulation des Birk-                                          125
huhns ist verschwunden. Ausgerottet ist zudem der Eremit,                                          100
anderswo als Juchtenkäfer bekannt. Mit den beiden europa-                                            75

                                                                                                    50

                                                                                                    25
                         Seit dem Tiefpunkt vor fast 20 Jahren                                        0
               nimmt die Braunkohlenförderung in der Lausitz                                              1983   1986    1989   1992     1995    1998 2001 2004 2007 2010               2013

                      im langjährigen Mittel wieder leicht zu

                                                                                                                                                                        KOHLEATLAS SACHSEN 2017                                               17
KOMMUNALE ENERGIE

     KLUGE BESCHLÜSSE UND
     VERPASSTE CHANCEN
     Die drei sächsischen Großstädte gehen                                                                             dioxid, von dessen Klimaschädlichkeit zu dieser Zeit noch
     seit 1990 in der Energieversorgung                                                                                wenig die Rede war. Aber insbesondere das Kraftwerk Mitte
     unterschiedliche Wege. Dresden hat sich                                                                           von 1927 mit seinem Schornstein von nur 65 Metern Höhe
                                                                                                                       am Rande der Altstadt belastete Anwohner und Anwohne-
     von der Braunkohle weitgehend
                                                                                                                       rinnen sowie historische Gebäude wie Zwinger, Schloss und
     gelöst, Leipzig wenig, Chemnitz nicht.                                                                            Semperoper erheblich. Bei dem veralteten 32-Megawatt-
                                                                                                                       Kraftwerk war an Nachrüstung nicht zu denken. 1990 wur-

     I
        n den meisten Städten der DDR war Braunkohle die Num-                                                          de es sofort in Reserve versetzt und 1992 für immer stillge-
        mer eins für die Strom- und Wärmeerzeugung. In den                                                             legt. Heute ist das Gelände ein attraktiver Kulturstandort.
        neuen Wohngebieten verfügten die Großstädte über                                                                   Das 1966 in Betrieb gegangene 100-Megawatt-Kraft-
     stark ausgebaute Fernwärmesysteme zur Versorgung mit                                                              werk Nossener Brücke hätte mit Filtertechnik nachgerüstet
     Heizwärme und Warmwasser. Erzeuger und Verbraucher                                                                werden können. Am Ende entschieden sich Kommune und
     waren Nachbarn: Oft standen die Kraftwerke inmitten von                                                           Stadtwerk für die sauberste Variante. Die Fernwärme- und
     Siedlungen, so auch in Sachsen – mit allen Belastungen, die                                                       Stromversorgung sollte komplett auf Erdgas umgestellt
     diese Anlagen für Mensch und Natur mit sich brachten.                                                             werden. Damit war der Ausstieg aus der Braunkohle in Dres-
         Nach der Wiedervereinigung konnte keines der Kraft-                                                           den beschlossene Sache.
     werke die wesentlich strengeren Umweltschutzstandards                                                                 Zum neuen Herz der Energieversorgung wurde ein Gas-
     der Bundesrepublik erfüllen. Es galt eine Übergangsfrist bis                                                      und-Dampf-Kraftwerk mit der zum damaligen Zeitpunkt
     1995. In dieser Zeit mussten sich die Kommunen und ihre                                                           besten verfügbaren Technik zur Kraft-Wärme-Kopplung.
     Stadtwerke entscheiden, ob und wie sie es mit der Braun-                                                          Es erreicht einen Gesamtwirkungsgrad von 89 Prozent, hat
     kohle halten wollten. Sie hatten im Prinzip drei Optionen:                                                        eine elektrische Leistung von 270 Megawatt und eine Wär-
     Weiterbetrieb mit Nachrüstung, ersatzweiser Neubau eines                                                          meleistung von 480 Megawatt. Ergänzt wird es durch klei-
     Braunkohlekraftwerkes an einem anderen Standort oder                                                              nere Gaskraftwerke in städtischen Randlagen, einige mit
     Neubau eines modernen zentralen Erdgaskraftwerkes am                                                              Wärmespeichern von insgesamt 468 Megawattstunden
     gleichen Standort und weiterer kleiner Gaskraftwerke im                                                           Kapazität. Dazu kommt seit 2015 ein Zwei-Megawatt-Elek-
     Stadtgebiet verteilt. Die sächsischen Großstädte gingen nun                                                       trospeicher in Dresden-Reick. Durch die flexible Fahrweise
     sehr unterschiedliche Wege.                                                                                       der Gaskraftwerke kann das ganze Netz auch bei niedrigen
         Die Lage in Dresden war bis 1990 miserabel. Die zwei                                                          Börsenstrompreisen und schwankenden Rohstoffkosten
     Kohlekraftwerke der sächsischen Landeshauptstadt waren                                                            wirtschaftlich betrieben werden. Durch den Wechsel von
     mitverantwortlich für die starke Luftverschmutzung im                                                             der Kohle zum Erdgas sank die Umweltverschmutzung – al-
     Dresdner Elbtal – insbesondere im Winter. 18.000 Tonnen                                                           lein um 450.000 Tonnen Kohlendioxid und 17.500 Tonnen
     Schwefeldioxid, 2.000 Tonnen Stickstoffoxide und rund                                                             Schwefeldioxid jährlich. Auch die Lärm- und Staubbelas-
     1.000 Tonnen Staub wurden jährlich aus den Schornsteinen                                                          tung in der Nachbarschaft nahm deutlich ab.
     geblasen. Dazu kamen noch 1,3 Millionen Tonnen Kohlen-                                                                In Chemnitz entschieden sich Stadt und Energieversor-
                                                                                                                       ger für den kurzfristig gesehen billigeren Weg. Sie setzten
                                                                                                                       weiter auf Braunkohle. Mit ihrem 300-Meter-Schornstein,
                                                                                                                       dem höchsten Bauwerk in Sachsen und seit 2013 bunt ange-
                                                                          KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / ENERGIEVERSORGER

         URBANER STROMMIX
                                                            2                                                          strichen, prägt die Energieerzeugung auch heute das Stadt-
         Gesamtstromlieferung für Haushalte und
         Gewerbe nach Herkunft in Prozent, 2015                                                                        bild. Das alte Heizkraftwerk Nord I von 1961 mit einer Leis-
                                                       10
                                                                     28                                                tung von 75 Megawatt ging 1997 vom Netz. Das schrittweise
                                                  16                                                                   1986 bis 1990 in Betrieb gegangene Heizkraftwerk Nord II
             Kohle                  Atom               Leipzig
                                                                                                                       läuft hingegen weiter. Zur Strom- und Wärmeerzeugung
             Erneuerbare            Öl und
             Erdgas                 sonstige                44                                                         stehen drei Blöcke mit insgesamt 234 Megawatt elektrischer
                                                                                                                       und 475 Megawatt Wärmeleistung zur Verfügung. Die
                          2                                 1                                                          Blöcke B und C werden mit Rohbraunkohle befeuert. Der
                      9                                 8                                                              Block A kann wahlweise Erdgas oder leichtes Heizöl nutzen,
                  6                                              21                                                    steht jedoch seit einer Havarie 2016 still.
                               40
                      Chemnitz                    27 Dresden
                   44                                           43                                                     Bei der Elektrizität dominieren die
                                                                                                                       Erneuerbaren bereits. Aber Chemnitz verbraucht
                                                                                                                       doppelt so viel Kohlestrom wie Dresden

18   KOHLEATLAS SACHSEN 2017
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