KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017
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KOHLEATLAS SACHSEN Daten und Fakten über einen verhängnisvollen Rohstoff 2017 KLIMA FT WIRTSCHA ARBEIT
IMPRESSUM Der KOHLEATLAS SACHSEN 2017 ist ein Kooperationsprojekt von Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Landesverband Sachsen e. V. Inhaltliche Leitung: Stefan Schönfelder, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Projektplanung) Johannes Heinsdorf, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Projektleitung) Dr. David Greve, BUND Sachsen Projektmanagement: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Schlussredaktion: Infotext Berlin Mit Originalbeiträgen von Felix Ekardt, David Greve, Johannes Heinsdorf, Torsten Kohl, Annemarie Kunz, Gerd Lippold, Stefan Schönfelder und Jan Stoye Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht der beteiligten Partnerorganisationen wieder. V. i. S. d. P.: Stefan Schönfelder, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen 1. Auflage, Mai 2017 ISBN 978-3-946541-21-9 (Print) ISBN 978-3-946541-22-6 (pdf) Druck: SDV Direct World GmbH, Dresden Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. klimaneutral natureOffice.com | DE-758-853638 gedruckt Dieses Werk steht mit Ausnahme der Umschlagrückseite unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen. Umschlagrückseite: Text © Domowina-Verlag, Bautzen BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kraftwerk Mitte 32 / Trafohalle, 01067 Dresden, www.weiterdenken.de BUND Sachsen, Hauptstadtbüro, Kamenzer Straße 35, 01099 Dresden, www.bund-sachsen.de KOHLEATLAS Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff 2015 Der Kohleatlas Sachsen ist eine aktuelle Ausgabe zum 2015 erschienenen „Kohleatlas. Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff“. Dieser Atlas ist zu bestellen oder downzuloaden unter WIE WIR DAS KLIM VERHEIZE A N Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/kohleatlas Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Versand, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net
INHALT 02 IMPRESSUM 18 KOMMUNALE ENERGIE KLUGE BESCHLÜSSE 05 VORWORT UND VERPASSTE CHANCEN Die drei sächsischen Großstädte gehen seit 1990 in der Energieversorgung unterschiedliche Wege. Dresden hat sich von der Braunkohle weitgehend gelöst, Leipzig wenig, Chemnitz nicht. 20 WASSER FÜR JAHRZEHNTE SAURE ZEITEN 08 SACHSENS BRAUNKOHLE Der Wiederanstieg des Grundwassers nach MYTHOS UND WAHRHEIT dem Ende des Kohleabbaus wäscht verwitterte Mineralien aus dem Gestein. 10 STRUKTURWANDEL Die chemischen Folgen verschlechtern AN DEN AUSSTIEG DENKEN die Trinkwasserqualität, greifen Gebäude Der endgültige Abschied von der an und verockern Flüsse und Seen. Braunkohlewirtschaft ist unumgänglich. Die Folgen für den sächsischen Arbeitsmarkt 22 REKULTIVIERUNG sind nicht so weitreichend wie oft DIE PROBLEME LIEGEN behauptet. Dennoch muss die Politik den UNTER DER OBERFLÄCHE Wandel steuern. Nach dem Ende des Tagebaubetriebs sollen die Flächen wieder genutzt werden. 12 WIRTSCHAFT Doch die Schäden prägen die Landschaft STILLE HILFE FÜR DIE BILANZEN noch nach Jahrzehnten. Die Tagebau- und Kraftwerksbetreiber erhalten vielerlei Vergünstigungen. Für 24 TOURISMUS die wahren Kosten, die sie verursachen, MEHR WASSER, WENIGER SCHNEE müssen sie nicht zahlen. Trotz hoher Investitionen tun sich das Leipziger Neuseenland und das Lausitzer 14 MITTELDEUTSCHES REVIER Seenland gegenüber den etablierten NOCH KEIN AUFATMEN IN DER Urlaubszielen – Sächsische Schweiz, ALTEN INDUSTRIELANDSCHAFT Erzgebirge und Vogtland – noch schwer. In der Region um Leipzig und Halle bestimmt die MIBRAG das Geschehen in Tagebauen 26 ERNEUERBARE ENERGIEN und Kraftwerken – als gäbe es keine nationale NOCH LANGE NICHT GENUG Klimaschutzdebatte. Doch gegen die Die Energiewende kommt in Sachsen nur Tochter des tschechischen Energiekonzerns mühsam voran. Die Landesregierung EPH regt sich der Widerstand. will es sich mit der Braunkohlelobby nicht verderben und bemüht sich zu wenig 16 LAUSITZER REVIER um den Ausbau erneuerbarer Energieträger. VIEL GELD UND SCHLECHTE KOHLE Vom Nebenerwerb vor 200 Jahren bis 28 AUTORINNEN UND AUTOREN, zum Milliarden-Business von heute – QUELLEN VON TEXTEN UND GRAFIKEN im Osten Sachsens wird der Abbau noch immer für Jahrzehnte geplant. 30 ÜBER UNS 4 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
VORWORT D as 2016 in Kraft getretene Pariser Klimaabkommen schreibt in Artikel 2 völkerrechtlich verbindlich vor, „ Auch wenn es in Sachsen die meisten nicht wahrhaben wollen: Die Nutzung der Kohle muss die globale Erwärmung verglichen mit dem zeitnah enden, und zwar wegen der vorindustriellen Niveau auf deutlich unter großen CO2-Emissionen besonders früh zwei Grad zu begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad. Legt man die Berechnungen des Weltklimarates, des IPCC, zugrunde, würde das eine vollständige globale Dekarbonisierung und Landwirtschaft auf Klimaneutralität. in 10 bis 20 Jahren bedeuten. Und zwar Die Alternativen sind technisch längst in allen Sektoren, also auch bei Wärme, realisiert und ökonomisch konkurrenzfähig. Treibstoff und Dünger. Das bedeutet, Industrieländer – und gerade Deutschland auch wenn das in Sachsen die meisten nicht als größter Braunkohleförderer der Welt – wahrhaben wollen: Auch die Nutzung müssen hier vorangehen. der Kohle muss zeitnah enden. Und zwar S sogar besonders früh. Denn der Ausstieg aus owohl diesen Umstand als auch die der Kohleverstromung ist leichter als damit verbundenen drastischen beispielsweise die Dekarbonisierung von Folgen für das vorherrschende Verkehr und Landwirtschaft. Wirtschaftsmodell diskutiert bislang jedoch fast niemand. Zwar passen Klimaschutz Kohle ist für ein gutes Viertel der gesamten und Wachstum zusammen, solange Treibhausgasemissionen in der Welt man allein auf technische Optionen wie verantwortlich und führt außerdem dazu, erneuerbare Energien und Energieeffizienz dass Menschen vertrieben werden, vertraut, um die fossilen Brennstoffe Wasser verunreinigt wird und die Atemluft bei Strom, Wärme, Treibstoff oder Dünger von Millionen von Menschen überall zu ersetzen. Denn neue Technik kann auf der Welt mit Feinstaub und Quecksilber man verkaufen und damit Wachstum verschmutzt ist. Neben den Klimakosten erzielen. Aber allein mit Technik erreicht verursacht die Kohlenutzung also man die genannten Ziele kaum. auch Gesundheitskosten in großer Höhe. Die Herausforderung ist schlicht zu groß. Damit wir eine realistische Chance haben, Dazu kommt: Wir werden im Laufe der das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, muss der Jahrzehnte zwar technisch immer besser, aber Kohleausstieg auf der Liste der dringendsten gesamtgesellschaftlich gesehen auch Klimaschutzmaßnahmen ganz oben immer wohlhabender, womit auch eine immer stehen. Denn die Kohlenutzung ist nicht nur größere Energienachfrage und ergo keine besonders klimaschädlich, der Ausstieg sinkenden Energieverbräuche entstehen. aus der Kohleverstromung ist viel leichter Zudem fehlen wirkungsvolle technische als beispielsweise die Umstellung von Verkehr Lösungen für einige Emissionsbereiche, etwa in KOHLEATLAS SACHSEN 2017 5
der Landwirtschaft. Bisherige Statistiken effektive Klimapolitik neben dem politisch und Prognosen beruhen zudem auf massiven verwässerten EU-Emissionshandelssystem: Schönrechnungen. Industriestaaten wie Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung Deutschland reduzieren angeblich Emissionen, gibt weitgehende CO2-Neutralität bis zum in Wirklichkeit steigen die Emissionen Jahr 2050 vor. Er definiert auch konkrete unseres Lebensstils jedoch. Wir – auch wir in Zwischenziele. So soll etwa die Energiewirtschaft Sachsen – verlagern sie nur schlicht in bereits bis zum Jahr 2030 ihre Treibhausgas die Schwellenländer, denn von dort kommen emission gegenüber 2014 etwa halbieren – zunehmend unsere Konsumgüter. von 358 auf 175 bis 183 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die Braunkohleverstromung N eben der klimapolitischen Dimension allein schlägt heute noch mit etwa 160 Millionen drängen sich andere Umweltprobleme Tonnen CO2 zu Buche. wie die Degradation von Böden und M Ökosystemen, die den Menschen ebenfalls auf it einer Braunkohleverstromung auf Dauer existenziell gefährden und gleichzeitig annähernd heutigem Niveau gibt angegangen werden müssen. Die Lösung es rechnerisch kein Szenario, in dem das liegt auf der Hand: der Natur mehr Raum eher moderate deutsche 2030er-Klimaziel – oder geben. Doch Technik alleine reicht dafür noch gar ein Weg zu Nullemissionen im Sinne des weniger aus als im Klimaschutz. Das darf Paris-Abkommens – erreichbar ist. Für die beim Reden über Kohle und Klima nicht beiseite Braunkohle bleibt künftig weder Platz in einem bleiben. Denn die globale Erwärmung und stabilen Netz noch im CO2-Budget. Auch in auch die Schadstoffe der Kohleverbrennung Sachsen werden Braunkohlekraftwerksblöcke sind eine wesentliche Quelle der schon weit vor 2030 den Betrieb einstellen Beeinträchtigung der anderen Umweltgüter. müssen. Ein Großteil selbst der zum Abbau genehmigten Braunkohle in den Tagebauen Damit sind gewaltige Schritte erforderlich. wird im Boden bleiben müssen. Die bisherige Klima- und Kohlepolitik trägt wenig zur Lösung bei. Das Pariser Warum also gibt es trotz all der definierten Abkommen liefert hierfür erstmals einen Ziele und der rechnerischen Fakten so ambitionierten und verbindlichen Rechts wenig konkrete Pläne zum Zurückfahren rahmen und bildet somit die Basis für eine und Einstellen der Braunkohleförderung „ und -verbrennung in Sachsen? Die Kohlenutzung hat in unserem Bundesland Große Teile der zum Abbau eine lange Tradition, die Diskussionen um die genehmigten Braunkohle in den Kohle sind von überalterten Geschichten und Tagebauen werden im Boden bleiben Mythen durchzogen und gleichzeitig sind die und sächsische Kraftwerksblöcke weit vor Fragen über gute Perspektiven für die Energie- 2030 den Betrieb einstellen müssen wirtschaft in Sachsen aktuell und drängend. 6 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
Im Zentrum der Verteidigung der weiteren Kohlenutzung steht meist die Vorstellung, dass Kohle Arbeitsplätze schafft und „ Mit dem Wandel der Energie- wirtschaft in Sachsen schaffen wir einen Baustein, um der Vorstellung wirtschaftlich ist. Doch stimmt das angesichts einer ökologischen und gerechten gravierender Schäden an Landschaft, Gesellschaft ein Stück näher zu kommen Klima und unser aller Gesundheit infolge von fossil basierten Luftschadstoffen? Ist es noch wahr, dass erneuerbare Energien zu teuer oder zu unsicher sind? Sind die erneuerbares Energiesystem gefährdet Umweltschäden durch die Kohlenutzung nicht Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, ausgleichbar und wer bezahlt das? Welchen sondern fördert sie. Mit dem Wandel Beitrag können Städte leisten, um einen der Energiewirtschaft in Sachsen schaffen Wandel der Energieversorgung wir einen Baustein, um der Vorstellung einer voranzutreiben? Sind die Kohlekonzerne in ökologischen und gerechten Gesellschaft den sächsischen Abbauregionen langfristig ein Stück näher zu kommen – auch wenn dazu noch in der Lage, der lokalen Bevölkerung noch viele andere Schritte notwendig sind. eine wirtschaftliche Zukunft zu bieten und W gleichzeitig die ökologischen Folgerisiken ir danken allen Beteiligten herzlich wirksam zu adressieren? Welche touristischen und hoffen, dass wir einen guten und landwirtschaftlichen Potenziale Beitrag zum kritischen Nachdenken entfalten sich nach der Kohle wirklich? über die Perspektiven von Kohle und Energie in Sachsen leisten können – und damit auch D er „Kohleatlas Sachsen“ ist eine Ergänzung über unsere Wirtschafts- und Konsumweise. der Publikation „Kohleatlas – Daten und Damit ist auch der „Kohleatlas Sachsen“ Fakten über einen globalen Brennstoff“, politische Bildung im besten Sinn. Wir hoffen, die der Bund für Umwelt und Naturschutz dass die Publikation vielfältige Verwendung und die Heinrich-Böll-Stiftung 2015 gemeinsam finden wird – im Unterricht wie in den Medien, erarbeitet und herausgegeben haben. Wir in Verbänden oder in der Politik. wollen auf unsere regionale Situation eingehen, Fakten sammeln und Argumente sichten. Unser Fazit ist: Der Abschied von der Kohle ist Prof. Dr. Felix Ekardt ein Schlüssel für den Übergang in eine Zukunft Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Sachsen ohne fossile Brennstoffe. Er ist machbar, wenn wir unsere Energieversorgung konsequent auf Dr. Gerd Lippold erneuerbare Energiequellen ausrichten. Energie- und klimapolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag Und er ist notwendig, damit Deutschland seinen internationalen Klimaverpflichtungen Stefan Schönfelder nachkommen kann. Der Umstieg auf ein Geschäftsführer Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen KOHLEATLAS SACHSEN 2017 7
SACHSENS BRAUNKOHLE MYTHOS UND WAHRHEIT MYTHOS 1: „DANK BRAUNKOHLE SIND WIR NICHT SO STARK VOM RUSSISCHEN ERDGAS ABHÄNGIG.“ Aber: Wegen der Erderwärmung müssen wir mittelfristig sowieso auf erneuerbare Energien umstellen. Dann können wir auch gleich auf Wind, Sonne, Wasser und Biomasse setzen. MYTHOS 2: „BRAUNKOHLE BEDEUTET ENERGIESICHERHEIT.“ Aber: Gegen Stillstand bei Windrädern und gegen Solar- stromausfälle bei dunklem Himmel helfen Netzausbau sowie mehr und bessere Speicher, weniger Verbrauch und effizientere Nutzung. Das muss man aber wollen. MYTHOS 3: „BRAUNKOHLEKRAFTWERKE SIND ENERGIEEFFIZIENT.“ Aber: Moderne Gas-und-Dampf-Kombi MYTHOS 4: „BRAUNKOHLESTROM IST BILLIG.“ kraftwerke haben einen viel besseren Aber: Nur auf den ersten Blick. Auf Wirkungsgrad und und eignen sich viel der Stromrechnung stehen weder die besser für den Ausgleich von Schwankungen Subventionen noch die Kosten für bei Verbrauch und Erzeugung. Gesundheits- und Klimaschäden oder die „Ewigkeitskosten“, etwa das dauerhafte Abpumpen von Grundwasser. MYTHOS 5: „BRAUNKOHLEKRAFTWERKE SIND EINE BRÜCKEN- TECHNOLOGIE, BIS WIR EBENSO KOSTENGÜNSTIGE ALTERNATIVEN HABEN.“ Aber: Wie lang soll die Brücke denn werden? Die Großkraftwerke drücken dank ihrer unehrlichen Preise ausgerechnet die erneuerbaren Energien aus dem Markt. 8 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
MYTHOS 6: „BRAUNKOHLE SICHERT ARBEITSPLÄTZE.“ Aber: Mehr Menschen MYTHOS 7: „DIE RÜCKSTELLUNGEN arbeiten für die Erneuerba- DER BERGBAUFIRMEN SICHERN ren. Allein die Windparks vor DIE ZUKÜNFTIGEN KOSTEN AB.“ der deutschen Küste sorgen Aber: Niemand weiß, ob die Rück- für ebenso viele Arbeitsplätze stellungen reichen und ob sie bei einer wie das gesamte deutsche Pleite der Betreiber noch da sind. Übrigens Braunkohlegeschäft. Die zahlen wir mit Steuergeldern noch immer Energiewende bedeutet für für die Braunkohleschäden der DDR-Zeit. Sachsen: Umdenken, umlernen, umschulen. MYTHOS 8: „BRAUNKOHLESTROM GEHT AUCH OHNE UMWELTSCHÄDEN.“ Aber: Tagebaue sind IMMER ein schwerer Eingriff in die Natur. Ausstoß von Kohlendioxid ist bei der Verbrennung unvermeidbar und nicht wegzufiltern. Und: Die Verpressung von Kohlendioxid unter die Erde ist großtechnisch und wirtschaftlich nicht machbar. MYTHOS 9: „AUS DEN TAGEBAUEN ENTSTEHEN TOLLE SEENLANDSCHAFTEN.“ Aber: Rekultivierung ist teuer. Und sie klappt nicht immer auf Anhieb. Seen versauern, Tagebauränder rutschen ab. Nicht einmal die Angelwirtschaft floriert. MYTHOS 10: „OHNE DIE BRAUNKOHLE-FOLGELANDSCHAFTEN KEIN TOURISMUS.“ Aber: Auf die Tagebauregionen entfallen bislang nur zehn Prozent der sächsischen Übernachtungen. Der Tourismus in den Städten und Ferien- regionen Vogtland, Sächsische Schweiz und Erzgebirge ist viel wichtiger. KOHLEATLAS SACHSEN 2017 9
STRUKTURWANDEL AN DEN AUSSTIEG DENKEN Der endgültige Abschied von der Heute arbeiten in der Lausitz noch 8.300 und im Mittel- Braunkohlewirtschaft ist unumgänglich. deutschen Revier 2.500 Menschen in Tagebauen und Kraft- Die Folgen für den sächsischen Arbeitsmarkt werken. Auf den sächsischen Anteil entfallen insgesamt we- niger als 3.000 Erwerbstätige. Gemessen an der Gesamtzahl sind nicht so weitreichend wie oft der Arbeitsplätze in den unmittelbar betroffenen Landkrei- behauptet. Dennoch muss die Politik den sen ist dies weniger als ein Hundertstel. Zudem werden 70 Wandel steuern. Prozent der Beschäftigten in der Kohle innerhalb der nächs- ten 15 bis 20 Jahre in Rente gehen, denn sie sind älter als 45 S eit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhun- Jahre. dert förderte der maschinelle Kohleabbau in Sachsen Die Chance auf einen sozialverträglichen Ausstieg ist den wirtschaftlichen Aufschwung der Region und also hoch, denn nur für die restlichen 3.000 Beschäftigten trieb so die technische und gesellschaftliche Modernisie- in den beiden Revieren muss eine berufliche Perspektive rung voran. Zu Zeiten des nationalsozialistischen Regi- jenseits der Kohle entwickelt werden. Diese Aufgabe ist lös- mes stand die Braunkohle im Dienst der Bestrebungen zur bar – in der Lausitz ist der Fachkräftemangel bereits spür- Energieautarkie – aus der Ressource sollten kriegsrelevante bar. Vor allem qualitativ hochwertige Fortbildungen und Kraftstoffe entstehen, um Ölimporte zu ersetzen. In der DDR europaweite Vermittlungen haben sich bewährt, besonders gelang der wirtschaftliche Aufbau mithilfe einer intensiven wenn sie frühzeitig angeboten werden und nicht erst als Re- Förderung der Schwerindustrie – um den Preis hoher Luft- aktion auf eine Krise am Arbeitsmarkt. verschmutzung und gesundheitlicher Langzeitschäden. Schwieriger ist die wirtschaftliche Neuausrichtung der Der Niedergang der sächsischen Kohlewirtschaft begann bergbaugestützten Regionen. Die regionalen gesellschaftli- mit dem Ende der DDR. Der grundlegende Wandel der po- chen Akteure müssen beteiligt werden, weil von oben ange- litischen und rechtlichen Rahmenbedingungen durch die ordnete Entwicklungsprogramme in einer global vernetz- deutsche Wiedervereinigung, aber auch die Ineffizienz der ten Marktwirtschaft meist zum Scheitern verurteilt sind. veralteten Anlagen und das Angebot neuer Energiequellen Universalmethoden für erfolgreichen Strukturwandel gibt zeigten schonungslos die Rückständigkeit der bisherigen es nicht. Doch aus den Fehlern des seit 60 Jahren subventio- Wirtschaftsstrukturen. nierten Umbaus im Ruhrgebiet lässt sich lernen. Dort lebten Der große Strukturwandel, die Anpassung der Braun- die überkommenden Strukturen noch lange weiter und blo- kohleindustrie an die neuen umwelt-, sozial- und wettbe- ckierten den Wandel. Große Teile der Region leiden heute werbspolitischen Standards, hat vor allem in den 1990er- noch unter den sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Jahren stattgefunden. 1989 gab es in den beiden Revieren Als mittlerweile gelungenes Beispiel gilt Mitteldeutsch- in Mitteldeutschland und der Lausitz noch 140.000 direkte land, die Region um Leipzig, Halle und Jena. Dort entwi- Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie. Davon gingen ckelten sich die bereits bestehende Industrien nach einer innerhalb von zehn Jahren über 90 Prozent verloren. Pro- Schrumpfungsphase zu Hochtechnologiekernen weiter. gramme von Bund und Ländern federten jedoch die rasche Das Mitteldeutsche Revier hat damit und mit den aufstre- Schließung zahlreicher Tagebaue und Kraftwerke ab. Sozi- benden Großstädten Leipzig und Halle eine einfachere Aus- alpläne, großzügige Kurzarbeitsregelungen, Abfindungen, gangssituation als die Lausitz zu bieten. Weiterbildungsangebote und Frühverrentung ab 55 Jahren Die oftmals beschworene stoffliche Nutzung – um etwa sicherten die Existenzgrundlage der ehemaligen Beschäf- aus Braunkohle Ausgangsstoffe für die Industrie oder alter- tigten. Zusätzlich wurde die staatliche Lausitzer und Mit- native Kraftstoffe herzustellen – bietet allerdings nur ge- teldeutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft (LMBV) ringe Ausbaupotenziale. Bundesweit bestehen heute kaum gegründet. Mit der Sanierung der stillgelegten Tagebaue 1.000 Arbeitsplätze. Denn im Verhältnis zur Kohlenstoff- waren zeitweise 20.000 Menschen beschäftigt. nutzung aus Öl sind die Verfahren zu teuer und nur bei sehr Beim Strukturwandel der nächsten Jahre kann die Politik hohen Ölpreisen konkurrenzfähig. Selbst dann wären die also auf einige erprobte Maßnahmen zurückgreifen. Proble- benötigten Mengen Kohle sehr viel geringer als heute. matisch ist zudem die über Jahre gewachsene Abhängigkeit Leitprinzip der Regionalförderung ist heutzutage die der Kommunen von der Kohlewirtschaft. Die öffentlichen Clusterförderung, die von den vorhandenen Stärken und Kassen profitierten von zusätzlichen Steuereinnahmen. den Potenzialen ausgeht. Eine von der Energieregion Lau- Die Förderungen in den Bereichen Rekultivierung, Umsied- sitz-Spreewald GmbH angestoßene Analyse hat die Kom- lung, Kultur, Bildung und Sport haben den gesellschaftli- petenzfelder Tourismus, Energiewirtschaft, Kunststoffe/ chen Rückhalt der Konzernstrukturen gestärkt. Ob die Steu- Chemie, Metallindustrie und Ernährungswirtschaft iden- ereinnahmen der Kommunen aus eigener Kraft die zuvor tifiziert. Sie sollten mit den bereits vorhandenen Förderin- ausgeteilten Subventionen einmal übertreffen werden, ist strumenten gezielt unterstützt werden. Die Hochschulen allerdings fraglich. Ob Kultur- und Sportförderprogramme – in der Lausitz die BTU Cottbus-Senftenberg und die Hoch- die gesellschaftlichen und ökologischen Einschnitte kom- schule Zittau/Görlitz, im mitteldeutschen Raum vor allem pensieren können, ebenso. die Hochschulen in Leipzig, Halle und Merseburg – könnten 10 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
EINE KURZE GESCHICHTE DER OSTDEUTSCHEN BRAUNKOHLE Ausdehnung der Braunkohlefelder und wichtige Orte für die Entwicklung der Kohleindustrie, in heutigen Landesgrenzen Braunkohle Steinkohle Mitteldeutsches Revier BRANDENBURG Cottbus Landesgrenzen 2 Bitterfeld Senftenberg Nieder- SACHSEN- POLEN ANHALT Plessa 1 8 7 lausitz Halle 6 Lauchhammer Schwarze Pumpe Grube Theodor 3 Leipzig Ober- 5 Böhlen SACHSEN lausitz Zeitz Dresden Kraftwerk Hirschfelde Döhlener 4 Flöhaer Revier Revier Zittau THÜRINGEN Chemnitz TSCHECHIEN vor 50 bis 60 Millionen Jahren Zwickau-Oelsnitzer Die mitteldeutschen Flöze von Revier 1994 Die Lausitzer Braunkohle AG (LAUBAG) Leipzig bis Helmstedt entstehen wird privatisiert. 2001 an Vattenfall; seit 2016 als LEAG bei EPH und PPF-I (Tschechien) vor 15 bis 20 Millionen Jahren Die Flöze der Lausitz entstehen 1994 Die Mitteldeutsche Braunkohlen- gesellschaft (MIBRAG) wird privatisiert; seit Mitteldeutsches Revier 2011 bei der Holding EPH (Tschechien) Lausitzer Revier beide Reviere 1990–95 Schrumpfung beider Rohstoffkomplexe. 1994 1789 Fund von Braunkohle bei wird der staatliche Sanierungsträger LMBV gegründet, Lauchhammer 1 , 1815 erster Schacht am 1. Januar 1995 beginnt sein operatives Geschäft. 1839 profitabler Abbau bei Bitterfeld 2 1980 Umstrukturierung in die beiden Braunkohle- kombinate Bitterfeld 2 und Senftenberg 8 1858 Presse auf Grube Theodor 3 bei Halle: Trocknung und Brikettierung machen 1945–47 Enteignung und Demontagen, Braunkohle zum attraktiven Brennstoff Wiederauf- und Ausbau, ab 1955 auch KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / LFULG, LGBSA, AGEOLBRB, WIKIPEDIA des Gaskombinats Schwarze Pumpe 7 1860er-Jahre neue Grubenbetriebe der Ober- lausitz versorgen Tuchfabriken und Glashütten 1934 Gründung der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG) zur Herstellung von Treibstoffen aus Braunkohle 1890er-Jahre Beginn des Tagebaus in der Niederlausitz 1924 erste Abraumförderbrücke in Plessa 6 1893 Ansiedlung energieverbrauchender Großchemiebetriebe um Bitterfeld 2 1921 erster Großtagebau in Böhlen 5 1911 erstes Braunkohlegroßkraftwerk bei Zittau 4 Bei der Braunkohleförderung dominierte zunächst ihre Forschungskapazitäten stärker in die Gestaltung des der Abbau unter Tage. Erst mit dem Einsatz Strukturwandels einbringen. Das Ziel wäre, die Unterneh- von Großgeräten wurde der Tagebau zum Standard men der Region via Technologietransfer dabei zu unterstüt- zen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die durch den fortgesetzten Strukturwandel zu erwar- gramm und einen erfolgreich gestalteten Strukturwandel tenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in den sind vorhanden. Dazu gehören der – einst vom Bund und Braunkohleregionen gehen auch auf bundespolitische vom Land Niedersachsen gemeinsam finanzierte – Ems- Entscheidungen zurück. Deshalb ist die Finanzierung des landplan, um die einst rückständige Region entlang der nie- Strukturwandels eine gemeinsame Aufgabe der Länder und derländischen Grenze zu erschließen, aber auch die frühere des Bundes. Vorlagen für ein ideenreiches Sonderförderpro- Zonenrandförderung in Westdeutschland. KOHLEATLAS SACHSEN 2017 11
WIRTSCHAFT STILLE HILFE FÜR DIE BILANZEN Die Tagebau- und Kraftwerksbetreiber sen. Der Einigungsvertrag von 1990 legte für viele Boden- erhalten vielerlei Vergünstigungen. Für schätze die Befreiung von der Förderabgabe fest. Diese nur die wahren Kosten, die sie verursachen, für eine Übergangszeit gedachte Sonderregelung gilt in Sachsen noch immer. Dabei wäre die Abgabe etwa für die müssen sie nicht zahlen. später bewilligten Kohlefelder jederzeit möglich. Doch auf- grund von Landesregelungen wird sie umgangen. G ern behaupten die braunkohlefreundlichen Kreise in Allein im Mitteldeutschen Revier sind dem Freistaat so Wirtschaft und Politik, ihr Brennstoff komme ohne bislang bei knapp 100 Millionen Tonnen geförderte Braun- staatliche Zuschüsse aus. Aber eine solche Subventi- kohle aus später bewilligter Förderung etwa 150 Millionen onsfreiheit der Braunkohle gibt es nicht. Nach der Wende Euro an Abgaben entgangen. Im aktuellen Tagebaubetrieb 1989/90 förderte die Aufbau-Ost-Politik die privatisierten sollen weitere 75 Millionen Tonnen abgebaggert werden, Bergbauunternehmen in großem Stil. Kosten für Nachrüs- sodass dem Freistaat weitere etwa 115 Millionen Euro ent- tung und Neubau der Kraftwerke wurden mit staatlichen gehen. Dann gibt es die noch nicht genehmigten 36 Millio- Mitteln abgedeckt, aber auch durch die Umwälzung von nen Tonnen in den Tagebauen Nochten, Welzow-Süd und Kosten auf ostdeutsche Stromkunden, die keine Wahl hat- Vereinigtes Schleenhain – macht 56 Millionen Euro an För- ten, als die verlangten Preise zu bezahlen. derabgaben. Diese Mehrkosten würden dazu beitragen, die Weniger bekannt sind die Zuschüsse durch den Verzicht Tagebauerweiterungen auf einen Schlag unwirtschaftlich auf Einnahmen. So ist bei der Trockenlegung der Tagebaue zu machen. für das abgepumpte Wasser eine Wasserentnahmeabgabe Der Emissionshandel für Treibhausgase ist unwirksam. zu zahlen. Doch in Sachsen wird sie nur für fünf Prozent der Deswegen kommt es auch bei der Verstromung zu indirek- entnommenen Menge fällig: Statt drei Millionen Euro wer- ten Subventionen. Der Preis für die Zertifikate dümpelt seit den nur rund 150.000 Euro erhoben. Auf den Differenzbe- Jahren bei etwa 5 Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2). Etwa trag verzichtet der Freistaat Jahr für Jahr. 30 Euro wären jedoch nötig, um bei den Energieversorgern Für das Fördern von Bodenschätzen – von der Kiesgrube tatsächlich Anreize für Klimaschutzmaßnahmen zu setzen. über die Erdgasbohrung bis hin zum Eisenerzbergwerk – Die realen Kosten für die CO2-Emissionen – einschließlich der werden in Deutschland Förderabgaben erhoben, üblicher- Kosten für die Folgeschäden bei Mensch und Natur – liegen weise in Höhe von zehn Prozent des Marktwertes, verteilt gar bei 80 Euro pro Tonne ausgestoßenes CO2. Solche Fak- auf den genehmigten Förderzeitraum. Nicht aber in Sach- toren verzerren die Energiepreise. Bei der Hereinnahme dieser Kosten würde sich die Braunkohle gegenüber den er- neuerbaren Energien derart verteuern, dass das Argument der preiswerten Energie aus einem billigen Rohstoff unhalt- KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / VATTENFALL BRAUNER BRAND IN ROTEN ZAHLEN bar wäre. Jahresergebnisse der Vattenfall-Gesellschaften bis zum Verkauf im Mai 2016, in Millionen Euro Trotz der Begünstigungen läuft das Geschäft mit der Braunkohle nicht gut. Vattenfalls Lausitzer Tagebaue ar- 1.500 +1.373 beiteten seit 2006 defizitär. 2014 wurde das Unternehmen umstrukturiert und 2016 schließlich die gesamte Sparte 1.200 mit Verlust abgestoßen: Vattenfall hat dem Käufer noch +1.059 1,7 Milliarden Euro Barmittel dazu geschenkt. Hinter dem 900 +770 neuen Eigentümer EPH stehen wenige schwerreiche Finan- Tagebaue* zinvestoren aus Tschechien, die ihre Beteiligungen über ein 600 +681 Kraftwerke** Geflecht von Firmen in Zypern und Luxemburg verwalten. Sie betreiben Briefkastenfirmen in Ländern, die dafür be- 300 kannt sind, nur wenige Steuern und geringe Transparenz zu +53 -16 fordern. So gehören die Anteile an der neuen LEAG – der ge- -25 -40 0 -145 meinsamen Marke der Lausitz Energie Bergbau AG und der -42 Lausitz Energie Kraftwerke AG mit rund 8.000 Beschäftigten -105 -300 – zu 80 Prozent einer kapitalschwachen Verwaltungs-GmbH in Prag, bei der im Pleitefalle die Haftung endet. -600 -513 Denn die unübersichtliche Unternehmensstruktur mit zahlreichen Mutter- und Tochterfirmen sowie intransparen- -706 -900 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 (Mai) * Vattenfall Mining, Jahresergebnis vor Ergebnisabführung Der Preisverfall durch Wind- und Solarstrom sowie ** Vattenfall Generation, Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit unternehmerische Fehlentscheidungen trieben die beiden Braunkohlegesellschaften des Vattenfall-Konzerns ins Minus 12 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DIW, GREENPEACE DIE NEUEN CHEFS DER SCHMUTZIGEN ENERGIE Firmengeflecht der MIBRAG- und LEAG-Eigentümer, in Prozent Niederlande Jersey Tschechien Daniel Křetínský Deutschland Petr Kellner (* 1975) Luxemburg (* 1964) Zypern 89 100 98,2 EP Investment S.à.r.l. EP Investment 2 S.à.r.l. Management-- PPF Group N.V. Luxemburg Luxemburg gesellschaft Niederlande 50 44 6 ? EPH, Tschechien PPF Investments Ltd. (Energetický a průmyslový holding, a.s., Energie- und Industrie-Holding) Jersey 100 Mitteldeutsches Revier EP Power Europe (EPPE) 100 100 Lausitzer Revier Tschechien 100 JTSD Braunkohlebergbau GmbH EPPE Germany a.s. Gemcol Ltd. Zeitz Tschechien Zypern 50 50 100 100 LEAG Holding a.s. Tschechien 10 10 100 10 10 Saale Energie Mitteldeutsche Lausitz Energie GmbH Braunkohlengesellschaft mbH Verwaltungs GmbH (LEV), Cottbus Schkopau (MIBRAG), Zeitz 80 80 Lausitz Energie Kraft- Lausitz Energie Bergbau 100 100 werke AG (LEK), Cottbus AG (LEB), Cottbus Tagebaue Vereinigtes Schleenhain und Tagebaue Jänschwalde, Nochten, Welzow-Süd Kraftwerk Profen. Kraftwerke Deuben und Wählitz. und Reichwalde. Kraftwerke Jänschwalde, Boxberg, Schkopau A Revier Helmstedt (stillgelegt) Schwarze Pumpe und Lippendorf (Block R) In halb Europa sind die Firmen verstreut, mit ten Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen wirft denen die beiden Investoren aus Tschechien ihre Steuern Fragen auf. Die wichtigste: Haftet der Konzern bei der In- mindern und Eigentumsverhältnisse verschleiern solvenz einer der Tochterfirmen? Bis zu welcher Obergren- ze? Im schlimmsten Fall muss das Land einspringen und Folgekosten aus Steuermitteln zahlen. Dringend muss da- Weiterhin ist bis 2021 die Gewinnabschöpfung vertraglich her sichergestellt werden, dass die Folgekosten der Braun- auf eine „betriebsübliche Rendite“ begrenzt, was auch im- kohle tatsächlich den Verursachern angelastet werden. mer das bedeuten mag. Bestehende Tarifverträge sind fort- Die Umweltorganisation Greenpeace weist bereits auf ei- zuführen, betriebsbedingte Kündigungen bis 2020 ausge- nen potenziell beunruhigenden Vorgang hin: Womöglich schlossen. Für danach gibt es keinerlei Regelungen. könnten die 1,7 Milliarden Euro, die Vattenfall für die spä- Auch bei der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft tere Rekultivierung an die neuen Eigentümer gezahlt hat, (MIBRAG), bereits seit 2009 eine Tochter von EPH, sieht es in Wirklichkeit in die Milliardensummen geflossen sein, mit nicht rosig aus. Die Gewinne sind eingebrochen. Seit dem denen sich EPH Ende 2016 von einigen großen Altaktionä- Zeitpunkt des Kaufs wurden insgesamt 440 Millionen Euro ren befreit hat. durch einen Gewinnabführungsvertrag an die tschechische Der Verkaufsvertrag regelt, dass bis 2019 keine Dividen- Mutter überwiesen. Es ist offen, ob und in welchem Umfang den an die neuen Eigentümer gezahlt, Rückstellungen auf- das Geld in Form von Investitionen den Weg zurück findet, gelöst oder vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden. wenn es den Unternehmen hier schlecht geht. KOHLEATLAS SACHSEN 2017 13
MITTELDEUTSCHES REVIER NOCH KEIN AUFATMEN IN DER ALTEN INDUSTRIELANDSCHAFT In der Region um Leipzig und Halle bestimmt Zuletzt verschwand zwischen 2006 und 2010 der sächsische die MIBRAG das Geschehen in Tagebauen Ort Heuersdorf, der 1990 noch 340 Einwohner hatte. und Kraftwerken – als gäbe es keine nationale Die beiden Großtagebaue des Reviers heißen Vereinigtes Schleenhain in Sachsen mit einer Jahresförderung von rund Klimaschutzdebatte. Doch gegen die zehn Millionen Tonnen Rohbraunkohle und Profen mit Tochter des tschechischen Energiekonzerns acht bis neun Millionen. Beide Tagebaue werden durch die EPH regt sich der Widerstand. Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (MIBRAG) betrie- ben, die 1994 nach der Übernahme der Treuhandbetriebe D as Mitteldeutsche Revier ist neben dem Lausitzer Re- durch ein Firmenkonsortium entstand. Seit 2009 gehört die vier die zweite bedeutende Braunkohleregion in Ost- MIBRAG zur tschechischen Industrieholding EPH, seit 2016 deutschland. Etwa 80.000 Beschäftigte in der Lausitz mit einem Finanzpartner auch Besitzer der Lausitzer Tage- und 60.000 im mitteldeutschen Revier bauten im Förder- baue und dreier Kraftwerke. Hinzu kommt ein Block des maximum der 1980iger Jahre rund 300 Millionen Tonnen Kraftwerks Lippendorf; der zweite gehört dem Energie- jährlich ab. Die Spitze im mitteldeutschen Revier wurde versorger EnBW. Das Kraftwerk Schkopau gehört zu 41,9 schon 1963 mit rund 145 Millionen Tonnen erreicht. Jedoch Prozent der MIBRAG-Muttergesellschaft EPH, der Rest dem betrug auch 1985 die jährliche Förderung noch immer 115 Energieversorger Uniper. Millionen Tonnen. In viel kleinerem Maßstab fördert der Betreiber Romon- Die mitteldeutsche Braunkohle hat mit 9 bis 11,3 Me- ta im Tagebau Amsdorf, der in Sachsen-Anhalt liegt, rund gajoule pro Kilogramm höhere Heizwerte als die Lausit- 300.000 Tonnen pro Jahr. Aus der Braunkohle entsteht Mon- zer Braunkohle, allerdings auch im Durchschnitt höhere tanwachs, ein Industriestoff, der etwa für Schuhcremes und Schwefelgehalte. Besonders kritisch für die Emissionen Polituren verwendet wird . Insgesamt beschäftigt die Braun- der zwei großen Braunkohlekraftwerke des mitteldeut- kohlewirtschaft in Mitteldeutschland etwa 2.400 Personen, schen Reviers, Lippendorf in Sachsen und Schkopau in davon nicht einmal 800 in Sachsen. Sachsen-Anhalt, sind die höheren und schwankenden Im Unterschied zum Lausitzer Revier betrieb hier die Quecksilbergehalte der Kohlevorkommen, die zum Teil DDR nicht nur Braunkohleverstromung und Brikettpro- acht- bis zehnfach über denen in der Lausitz liegen. duktion, sondern auch im großen Maßstab Kohlechemie Die gesamte, in der Geschichte des mitteldeutschen auf Braunkohlebasis. Deshalb war der Bruch nach 1990, Reviers in Anspruch genommene Abbaufläche beträgt etwa der innerhalb weniger Jahre praktisch die gesamte Braun- 400 Quadratkilometer. Die Tagebaue zerstörten 126 Orte kohlewirtschaft erfasste, besonders tief und betraf etwa 95 und Ortsteile, was zur Umsiedlung von insgesamt etwa Prozent aller Braunkohle-Arbeitsplätze in der Region um 51.000 Einwohnern führte. Davon waren auf dem Gebiet des Leipzig und Halle. In Sachsen fiel 1994 nach der Wiederer- heutigen Bundeslandes Sachsen etwa 23.000 Einwohner in öffnung des Tagebaus Schleenhain südlich von Leipzig die 72 Orten betroffen, in Sachsen-Anhalt 26.000 Einwohner in Entscheidung, ein großes Braunkohlekraftwerk am Stand- 40 Orten und in Thüringen 2000 Einwohner in vier Orten. ort Lippendorf zu errichten. Dessen Versorgung für eine geplante Laufzeit bis 2040 wäre durch kombinierte Auskohlung von Abbaufeldern in den Tagebauen Schleenhain und Profen möglich gewesen, KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE ARBEITSKRÄFTE ohne dass weitere Ortschaften hätten verschwinden müs- Beschäftigte im Mitteldeutschen Revier, je zum Jahresende sen. Dennoch fiel die politische Entscheidung für eine ande- 50.000 re Variante, die der Betreiber aus wirtschaftlichen Gründen Bergbau bevorzugte: die Versorgung des Kraftwerk über die gesam- Bergbau und Kraftwerke 40.000 te Laufzeit ausschließlich aus Schleenhain. Dafür sollte ein neues Abbaufeld erschlossen werden, auf dem sich die Ort- 30.000 schaft Heuersdorf befand. Der Braunkohlenplan von 1994 schrieb deshalb die Ge- 20.000 markung von Heuersdorf als Abbaugebiet fest – gegen den Widerstand der Gemeinde. Um das Gemeindegebiet auf- 10.000 0 Von den nur noch 2.500 Beschäftigten 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014 im Mitteldeutschen Revier entfallen gerade einmal 800 auf Sachsen 14 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DEBRIV, UBA DIE BRAUNKOHLEINDUSTRIE IN MITTELDEUTSCHLAND Tagebaue mit Laufzeiten und jährlicher Förderung, Kraftwerke mit der Erzeugung von Strom, Wärme und Kohlendioxid Bitterfeld- Wolfen Saale SACHSEN- Bad Düben Tagebau Amsdorf ANHALT Tagebau Mu 1958– ca. 2030 ausgekohlt/rekultiviert lde ca. 300–400.000 Tonnen jährlich aktiv Delitzsch in Planung Halle Eilenburg Kraftwerk Landesgrenzen SACHSEN Schkopau Merseburg Kraftwerk Schkopau Strom: 2 x 450 MW Leipzig Leuna Bahnstrom: 110 MW r lste Kohlendioxid 2015: 5,3 Millionen Tonnen Markkleeberg E iße We Kraftwerk Lippendorf Strom: 2 x 933 MW Wärme: 330 Megawatt Kohlendioxid 2015: 10,3 Millionen Tonnen Böhlen Weißenfels Espenhain Naumburg Tagebau Profen Borna 1941-2035 ca. 8,6 Millionen Tonnen jährlich Tagebau Vereinigtes Schleenhain 20 km 1949 (Vorläufer) – 2040 Zeitz ca. 10 Millionen Tonnen jährlich Pleiße THÜRINGEN Die mitteldeutschen Tagebaue versorgen Großkraftwerke, zuheben, war deshalb gemäß Artikel 88 der Sächsischen Industriebetriebe und Stadtwerke – und damit Verfassung ein Landesgesetz erforderlich, das sogenannte sorgen sie auch für deren Kohlendioxid-Emissionen Heuersdorfgesetz. Zur Begründung hieß es, dass durch die Inanspruchnahme der Kohle unter Heuersdorf die Versor- gung des Kraftwerks Lippendorf bis 2040 abgesichert sei. rungsvorhaben vorliegen. Seit 2016 betreibt die MIBRAG in Nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung verlor die Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Oberbergamt eine Gemeinde 2005 in letzter Instanz vor dem Sächsischen Ver- Umweltverträglichkeitsprüfung, Voraussetzung für den fassungsgerichtshof. 2006 begann der Abriss, bis 2010 wur- notwendigen Rahmenbetriebsplan. Gegen das Vorhaben de das Dorf vollständig abgeräumt. Die MIBRAG begann regt sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, jedoch nach 2012 in großem Umfang mit dem Export von aber auch in Verbänden, Kommunen und in der Landespo- Rohbraunkohle. Mindestens 1,4 Millionen Tonnen gelang- litik zunehmender Widerstand. ten aus dem Revier in tschechische Kraftwerke. Nach Protes- ten stellte der Betreiber die Ausfuhr Ende 2015 wieder ein. Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain besteht aus den ABBAUMENGEN drei Teilfeldern Peres, Groitzscher Dreieck und Schleen- Braunkohlenförderung im Mitteldeutschen Revier, in Millionen Tonnen hain. Obwohl die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf mit Braunkohle bis zum Ende der Laufzeit gesichert ist, 250 strebt der Betreiber eine Erweiterung an, vor allem um den Mitteldeutsches Revier 225 zum Vergleich: Rheinisches Revier Abbau effizienter zu machen. Der Realisierung würden der 200 Ort Pödelwitz am Abbaufeld Peres sowie der Ort Obertitz 175 KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE am Abbaufeld Groitzscher Dreieck zum Opfer fallen. Die 150 MIBRAG hat bereits ein Umsiedlungsprogramm für Pödel- 125 witz gestartet, obwohl bislang keinerlei raumordnerische 100 Voraussetzungen oder Genehmigungen für das Erweite- 75 50 25 Seit dem Ende der Kohlechemie wird die 0 mitteldeutsche Braunkohle ganz 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 überwiegend in zwei Kraftwerken verstromt KOHLEATLAS SACHSEN 2017 15
LAUSITZER REVIER VIEL GELD UND SCHLECHTE KOHLE Vom Nebenerwerb vor 200 Jahren bis Die Industrialisierung des Deutschen Reichs und zwei zum Milliarden-Business von heute – Weltkriege ließen den Kohlebedarf und die Zahl und Größe im Osten Sachsens wird der Abbau noch der Abbaugebiete erheblich steigen. Auch die DDR setzte auf den „heimischen Energieträger“ Braunkohle. Zwischen 1950 immer für Jahrzehnte geplant. und 1989 deckte die Braunkohle – mit fallender Tendenz – zwischen 90 und 65 Prozent des Primärenergieverbrauchs I m Lausitzer Braunkohlerevier liegen in vier übereinan- ab. Die Kohle wurde von den Braunkohlekombinaten Bitter- derliegenden Flözkomplexen 11,8 Milliarden Tonnen feld (Mitteldeutsches Revier) und Senftenberg (Lausitz) in 17 Braunkohle. Davon sind 3,3 Milliarden mit derzeitiger beziehungsweise 18 Tagebauen abgebaut. Entweder wurde Technik erschließbar; für 1,5 Milliarden Tonnen gibt es eine die Rohbraunkohle direkt vor Ort verstromt oder in einer der Abbaugenehmigung. Abgebaggert werden der 1. und 2. 51 Brikettfabriken veredelt und dann in Industrie, Haushal- Flözkomplex, die in 20 bis 40 und 60 bis 120 Metern Tiefe lie- ten, Kraftwerken oder für den Export genutzt. gen. Sie sind 3 bis 16 Meter mächtig. Erst Wende und Wiedervereinigung 1989/90 führten zu Die Rohbraunkohle hat einen Heizwert von 7,3 bis 9,1 einer dramatischen Gegenbewegung: Wurden 1988 noch Megajoule pro Kilogramm und einen Wassergehalt von 200 Millionen Tonnen gefördert, waren es zehn Jahre spä- 48 bis 58 Prozent. Zum Vergleich: Die im westfälischen ter nur noch 50 Millionen. Seitdem steigen die Fördermen- Steinkohlebergwerk Ibbenbüren abgebaute hochwertige gen wieder. Die neuen Umweltstandards im vereinigten Anthrazitkohle hat einen Brennwert von 36 Megajoule pro Deutschland, der Zusammenbruch der DDR-Industrie und Kilogramm bei einem Wassergehalt von nur drei Prozent. die neue Verfügbarkeit von Erdgas und Erdöl führten zu Weiter enthält die sächsische Braunkohle 0,3 bis 1,5 Prozent einer abrupt verminderten Nachfrage. Bis 1997 schlossen Schwefel. Erst durch die Verarbeitung und Trocknung zu sechs Braunkohlekraftwerke und allein in der sächsischen Briketts oder Kohlenstaub steigt der Heizwert auf rund 20 Lausitz die sechs Tagebaue Bärwalde, Berzdorf, Lohsa, Ol- Megajoule pro Kilogramm. Bei der Verbrennung entsteht bersdorf, Bluno/Spreetal und Scheibe. Übrig geblieben sind Schwefeldioxid, das heute mithilfe moderner Rauchgasent- vier Tagebaue: Jänschwalde und Welzow in Brandenburg schwefelungsanlagen zu 90 Prozent abgeschieden und bei- sowie Nochten und Reichwalde in Sachsen. spielsweise als Gips weiterverwendet werden kann. Vor dem Gleiches spiegelt sich in der Zahl der Arbeitsplätze wi- Einsatz der Entschwefelungsanlagen war Schwefeldioxid der. 1989 gab es noch 79.000 Beschäftigte in der Lausitzer Hauptursache für die Entstehung des „sauren Regens“. Braunkohlewirtschaft; 2015 verblieben 8.300, davon fast 1789 wurde die erste Braunkohle in Lauchhammer 700 Auszubildende und rund 400 Beschäftigte beim staatli- entdeckt. Der Ort in der Niederlausitz gehörte damals zu chen Sanierungsträger LMBV, der Lausitzer und Mitteldeut- Sachsen und liegt heute im südlichen Brandenburg. Der schen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Vattenfall hatte Abbau in wenigen offenen Gruben geschah im Neben- 2014 in Sachsen in allen Geschäftsfeldern 2.900 Beschäftig- erwerb. Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der te. Zum Vergleich: In den beiden Braunkohle-Landkreisen Abbaubetriebe schnell zu. Nach einer kurzen Episode un- Bautzen und Görlitz leben aktuell rund 565.000 Menschen, terirdischen Abbaus Ende des Jahrhunderts entstanden von denen 229.000 angestellt, 27.000 marginal beschäftigt großräumige oberirdischen Tagebaue mit systematischer und 31.000 selbstständig sind. Im Geschäftsbereich Braun- Förderung. kohle arbeiten also nur rund 1,1 Prozent der Beschäftigten beider Landkreise. Durch die bisherigen Tarifverträge ver- dienen Kohlearbeiter weit besser als im Landkreisdurch- schnitt, Grund für ihr Festhalten an diesen Arbeitsplätzen. KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE ARBEITSKRÄFTE Doch 2020 muss neu verhandelt werden. Die zahlreichen Beschäftigte im Lausitzer Revier, je zum Jahresende Bergbau-Subunternehmer bekommen bereits jetzt den 80.000 Preisdruck zu spüren. Bergbau Die Wende bedeutete zunächst auch eine Wende in 70.000 Bergbau und Kraftwerke den Eigentums- beziehungsweise Betreiberverhältnissen. 60.000 Das volkseigene Braunkohlekombinat Senftenberg und 50.000 weitere Betriebe wurden 1993 zur LAUBAG, der Lausitzer 40.000 Braunkohle AG. 2002/03 übernahm der schwedische Staats- betrieb Vattenfall mit der Vattenfall Europe AG das Braun- 30.000 kohlegeschäft und gründete je eine Tochtergesellschaft für 20.000 10.000 0 8.300 Arbeitsplätze entsprechen 1,1 Prozent 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014 aller Beschäftigten in den Braunkohle-Landkreisen Bautzen und Görlitz 16 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / DEBRIV, UBA DIE BRAUNKOHLENINDUSTRIE DER LAUSITZ Tagebaue mit Laufzeiten und jährlicher Förderung, Kraftwerke mit der Erzeugung Tagebau Jänschwalde Guben Lübben 1976–ca. 2025 Gubin von Strom, Wärme und Kohlendioxid ca. 9 Millionen Tonnen jährlich Tagebau Gubin-Brody ab 2025 17 Millionen Tonnen jährlich Lübbenau Spree Betreiber: PGE (staatlich) BRANDENBURG Tagebau Kraftwerk Jänschwalde Strom: 3.210 Megawatt ausgekohlt/rekultiviert Cottbus Wärme: 458 Megawatt aktiv Tagebau Welzow-Süd Forst Kohlendioxid 2015: 23,7 Millionen Tonnen 1962–2042 in Planung ca. 18 Millionen Tonnen jährlich in Prüfung Sonderfeld Mühlrose POLEN Tagebau Welzow-Süd II Vorrat von 150 Millionen Tonnen verworfen in Prüfung bis 2020 Spremberg Tagebau Nochten iße Kraftwerk Weiss- 1973–2026 Ne wasser ca. 18 Millionen Tonnen jährlich Landesgrenzen Kraftwerk Boxberg Lauchhammer Strom: 2.582 Megawatt Wärme: 125 Megawatt Kohlendioxid 2015: 19,5 Millionen Tonnen Hoyerswerda 20 km Kraftwerk Schwarze Pumpe Boxberg Tagebau Reichwalde Strom: 1.600 Megawatt SACHSEN 1985–2045 Wärme: 120 Megawatt ca. 12 Millionen Tonnen jährlich Kohlendioxid 2015: 12,3 Millionen Tonnen Die Tagebaue versorgen die drei LEAG-Kraftwerke den Bergbau- und den Kraftwerksbetrieb. 2013 brachen die mit Brennstoff. Diese Anlagen gehören zu den Gewinne bei Vattenfall ein, und ab 2014 versuchte das Ma- zwölf größten Kohlendioxid-Emittenten Europas nagement, die Braunkohlesparte abzustoßen. Sie geht schließlich im September 2016 mitsamt rund 8.000 Beschäftigten an die Investoren EPH und PPF Invest- weit naturschutzrechtlich und -fachlich bedeutenden Arten ments aus Tschechien. Die Käufer erhielten Anlagen im sind weitere teilweise einzigartige und nicht wiederherstell- Wert von 3,4 Milliarden Euro und zusätzlich 1,7 Milliarden bare Lebensräume und Populationen untergegangen. Die Euro Barmittel. Ihre neue Dachmarke heißt LEAG und gilt Artenschutzmaßnahmen, mit denen Fortpflanzungs- und für eine Kraftwerks- und eine Bergbaugesellschaft. Deren Ruhestätten gesichert werden sollten, waren von Anfang an Muttergesellschaft ist eine GmbH mit Sitz in Cottbus und untauglich. rund 20 Beschäftigten. Nicht nur Naturschutzgebiete wurden zerstört, sondern Bis heute gibt es Planungen für den Neuaufschluss oder die Orte Tzschelln vollständig und Mühlrose bislang teil- die Erweiterung von Tagebauen in der Region. Die Projekte weise abgebaggert. 195 Menschen haben dort bereits Haus heißen Welzow-Süd II und Nochten II in Sachsen, Jänschwal- und Heimat verloren, für das Sonderfeld Mühlrose werden de-Nord, Spremberg-Ost und Bagenz-Ost in Brandenburg weitere rund 200 Menschen hinzukommen. Im benachbar- und Gubin-Brody in Polen. Im Frühjahr 2017 gab die LEAG ten Tagebau Reichwalde waren es 50 Menschen. Seit in der bekannt, dass sie die Pläne für Jänschwalde-Nord endgültig Lausitz Braunkohle angebaut wird, wurden 82 Ortschaften aufgegeben und die Planungen für Welzow-Süd II zurück- ganz und 40 Orte teilweise zerstört – und mehr als 16.000 gestellt habe. Zudem kündigte sie an, statt des gesamten Fel- Menschen umgesiedelt. des Nochten II nur noch das Sonderfeld Mühlrose mit rund 150 Millionen Tonnen Braunkohle in Anspruch zu nehmen. Gegen das Gesamtvorhaben Nochten II hat sich ein Kla- ABBAUMENGEN gebündnis aus betroffenen Privatpersonen, Bürgerinitiati- Braunkohlenförderung im Lausitzer Revier, in Millionen Tonnen ven und Umweltverbänden gebildet, das aller Voraussicht nach auch gegen das Sonderfeld Mühlrose aufrechterhalten 250 wird. Für den Tagebau Nochten wurden allein seit 2000 vier Lausitzer Revier 225 zum Vergleich: Rheinisches Revier Naturschutzgebiete weggebaggert. Weitere Biotope sind 200 durch die Grundwasserabsenkung und die Einleitung berg- 175 KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / KOHLENSTATISTIK.DE baubeeinflussten Wassers beeinträchtigt. 150 Die letzte norddeutsche Flachlandpopulation des Birk- 125 huhns ist verschwunden. Ausgerottet ist zudem der Eremit, 100 anderswo als Juchtenkäfer bekannt. Mit den beiden europa- 75 50 25 Seit dem Tiefpunkt vor fast 20 Jahren 0 nimmt die Braunkohlenförderung in der Lausitz 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 im langjährigen Mittel wieder leicht zu KOHLEATLAS SACHSEN 2017 17
KOMMUNALE ENERGIE KLUGE BESCHLÜSSE UND VERPASSTE CHANCEN Die drei sächsischen Großstädte gehen dioxid, von dessen Klimaschädlichkeit zu dieser Zeit noch seit 1990 in der Energieversorgung wenig die Rede war. Aber insbesondere das Kraftwerk Mitte unterschiedliche Wege. Dresden hat sich von 1927 mit seinem Schornstein von nur 65 Metern Höhe am Rande der Altstadt belastete Anwohner und Anwohne- von der Braunkohle weitgehend rinnen sowie historische Gebäude wie Zwinger, Schloss und gelöst, Leipzig wenig, Chemnitz nicht. Semperoper erheblich. Bei dem veralteten 32-Megawatt- Kraftwerk war an Nachrüstung nicht zu denken. 1990 wur- I n den meisten Städten der DDR war Braunkohle die Num- de es sofort in Reserve versetzt und 1992 für immer stillge- mer eins für die Strom- und Wärmeerzeugung. In den legt. Heute ist das Gelände ein attraktiver Kulturstandort. neuen Wohngebieten verfügten die Großstädte über Das 1966 in Betrieb gegangene 100-Megawatt-Kraft- stark ausgebaute Fernwärmesysteme zur Versorgung mit werk Nossener Brücke hätte mit Filtertechnik nachgerüstet Heizwärme und Warmwasser. Erzeuger und Verbraucher werden können. Am Ende entschieden sich Kommune und waren Nachbarn: Oft standen die Kraftwerke inmitten von Stadtwerk für die sauberste Variante. Die Fernwärme- und Siedlungen, so auch in Sachsen – mit allen Belastungen, die Stromversorgung sollte komplett auf Erdgas umgestellt diese Anlagen für Mensch und Natur mit sich brachten. werden. Damit war der Ausstieg aus der Braunkohle in Dres- Nach der Wiedervereinigung konnte keines der Kraft- den beschlossene Sache. werke die wesentlich strengeren Umweltschutzstandards Zum neuen Herz der Energieversorgung wurde ein Gas- der Bundesrepublik erfüllen. Es galt eine Übergangsfrist bis und-Dampf-Kraftwerk mit der zum damaligen Zeitpunkt 1995. In dieser Zeit mussten sich die Kommunen und ihre besten verfügbaren Technik zur Kraft-Wärme-Kopplung. Stadtwerke entscheiden, ob und wie sie es mit der Braun- Es erreicht einen Gesamtwirkungsgrad von 89 Prozent, hat kohle halten wollten. Sie hatten im Prinzip drei Optionen: eine elektrische Leistung von 270 Megawatt und eine Wär- Weiterbetrieb mit Nachrüstung, ersatzweiser Neubau eines meleistung von 480 Megawatt. Ergänzt wird es durch klei- Braunkohlekraftwerkes an einem anderen Standort oder nere Gaskraftwerke in städtischen Randlagen, einige mit Neubau eines modernen zentralen Erdgaskraftwerkes am Wärmespeichern von insgesamt 468 Megawattstunden gleichen Standort und weiterer kleiner Gaskraftwerke im Kapazität. Dazu kommt seit 2015 ein Zwei-Megawatt-Elek- Stadtgebiet verteilt. Die sächsischen Großstädte gingen nun trospeicher in Dresden-Reick. Durch die flexible Fahrweise sehr unterschiedliche Wege. der Gaskraftwerke kann das ganze Netz auch bei niedrigen Die Lage in Dresden war bis 1990 miserabel. Die zwei Börsenstrompreisen und schwankenden Rohstoffkosten Kohlekraftwerke der sächsischen Landeshauptstadt waren wirtschaftlich betrieben werden. Durch den Wechsel von mitverantwortlich für die starke Luftverschmutzung im der Kohle zum Erdgas sank die Umweltverschmutzung – al- Dresdner Elbtal – insbesondere im Winter. 18.000 Tonnen lein um 450.000 Tonnen Kohlendioxid und 17.500 Tonnen Schwefeldioxid, 2.000 Tonnen Stickstoffoxide und rund Schwefeldioxid jährlich. Auch die Lärm- und Staubbelas- 1.000 Tonnen Staub wurden jährlich aus den Schornsteinen tung in der Nachbarschaft nahm deutlich ab. geblasen. Dazu kamen noch 1,3 Millionen Tonnen Kohlen- In Chemnitz entschieden sich Stadt und Energieversor- ger für den kurzfristig gesehen billigeren Weg. Sie setzten weiter auf Braunkohle. Mit ihrem 300-Meter-Schornstein, dem höchsten Bauwerk in Sachsen und seit 2013 bunt ange- KOHLEATLAS SACHSEN 2017 / ENERGIEVERSORGER URBANER STROMMIX 2 strichen, prägt die Energieerzeugung auch heute das Stadt- Gesamtstromlieferung für Haushalte und Gewerbe nach Herkunft in Prozent, 2015 bild. Das alte Heizkraftwerk Nord I von 1961 mit einer Leis- 10 28 tung von 75 Megawatt ging 1997 vom Netz. Das schrittweise 16 1986 bis 1990 in Betrieb gegangene Heizkraftwerk Nord II Kohle Atom Leipzig läuft hingegen weiter. Zur Strom- und Wärmeerzeugung Erneuerbare Öl und Erdgas sonstige 44 stehen drei Blöcke mit insgesamt 234 Megawatt elektrischer und 475 Megawatt Wärmeleistung zur Verfügung. Die 2 1 Blöcke B und C werden mit Rohbraunkohle befeuert. Der 9 8 Block A kann wahlweise Erdgas oder leichtes Heizöl nutzen, 6 21 steht jedoch seit einer Havarie 2016 still. 40 Chemnitz 27 Dresden 44 43 Bei der Elektrizität dominieren die Erneuerbaren bereits. Aber Chemnitz verbraucht doppelt so viel Kohlestrom wie Dresden 18 KOHLEATLAS SACHSEN 2017
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