KRIMINALPOLIZEI DIE - Die Kriminalpolizei
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DIE KRIMINALPOLIZEI Z e i t s c h r i f t d e r G e w e r k s c h a f t d e r Po l i z e i • A u s g a b e 2 / 2 017 Bundespolizei Bundeskriminalamt Darknet Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung Professionelle Tatortarbeit Einsatzabschnitt „Folgemaßnahmen“ w w w.kriminalpolizei.de
EDITORIAL Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit dieser Ausgabe wird „Die Kriminalpolizei“ von einem Lebensfreude ganz entscheidend mitgeprägt – u. a. in der neuen Redaktionsteam herausgegeben: Prof. Hartmut Brennei- Funktion als Dekan des Fachbereichs Polizei, als stellvertre- sen, Ltd. RD, hat die Funktion des verantwortlichen Redak- tender Leiter der Fachhochschule und als Studienleiter im ers- teurs übernommen – unterstützt wird er von KOR Frank Wim- ten Studienjahr des Masterstudienganges „Öffentliche Verwal- mel und PHK Dirk Weingarten. tung – Polizeimanagement“. Das neue Team wurde gefunden, da der jahrelange Chefre- Aber was ihn insbesondere für seine neue Funktion präde- dakteur, Ltd. KD a. D. Herbert Klein, aus gesundheitlichen stiniert, ist die Tatsache, dass er sich seit vielen Jahren der Gründen von einer weiteren Betreuung der Zeitung Abstand Literatur und Publizistik verschrieben hat und seit Jahren sehr nehmen musste. Er hat „Die Kriminalpolizei“ fast 12 Jahre eng mit unserem „Verlag Deutsche Polizeiliteratur“ zusammen- lang maßgeblich als ein klug bestücktes Fachjournal geprägt. arbeitet. 9 Lehrbücher, 25 Buchbeiträge, 17 Sammelbände, 400 Seine Mitarbeiterin Gunhild Weihe von der Groeben, die ins- Fachaufsätze sowie 35 Gutachten, ungezählte Rezensionen und besondere die Schlussredaktionen übernahm und darauf ach- Interviews hat er insgesamt bereits veröffentlicht. tete, dass die Zeitung pünktlich und fehlerfrei in Umlauf kam, ist ebenfalls ausgeschieden. Beiden „Machern“ der Zeitschrift Jetzt also „Die Kriminalpolizei“. Weil die Zeit bis zum Ruhe- möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich für ihre jahrelange stand für ihn überschau- und daher gut planbar ist, konnte engagierte ehrenamtliche Tätigkeit danken. Sie haben zuver- Prof. Brenneisen unser Angebot als „Verantwortlicher Redak- lässig und mit einem hohen Anspruch „Die Kriminalpolizei“ teur“ mit Freude annehmen. Und ebenso freue ich mich darüber als viel beachtetes Fachblatt weiter etabliert. – und bedanke mich gleichzeitig für die Bereitschaft von KOR Nochmals herzlichen Dank und für das persönliche Wohlerge- Wimmel und PHK Weingarten, mit ihrer Fachlichkeit zum Gelin- hen alles erdenklich Gute. gen unserer Zeitschrift beizutragen. Als nun Prof. Hartmut Brenneisen gefragt wurde, ob er sich Ich wünsche viele gute Ideen, erfolgreiche Teamarbeit, wohl- als „Verantwortlicher Redakteur“ sehen könnte, hat er nicht gesonnene Autoren, Schaffensfreude und jede Menge kritische lange gezaudert. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und ich Leserinnen und Leser. weiß, wenn er sich entscheidet, dann mit unternehmungsfreu- digem Bedacht. Kennengelernt haben wir uns, als wir beide Fachlehrer für Eingriffsrecht waren – da hatten wir bereits etliche Berührungspunkte. In den Folgejahren hatten wir uns so manches Mal intensiv über unsere Lehrbereiche ausge- tauscht. Ich schätze ihn nicht nur als einen hoch kompeten- ten Experten, sondern auch als einen äußerst zuverlässigen und menschlich sehr zugewandten Zeitgenossen. Ich denke, ich bin bei weitem nicht allein mit meiner Ein- schätzung, wenn ich behaupte, er hat die Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Schleswig Holstein, an der er seit dem Jahr 2000 lehrt, mit seiner praxisorientier- Oliver Malchow ten Fachlichkeit, aber auch mit seiner Disziplin, Lern- und GdP-Bundesvorsitzender Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017 1
˘˘˘ Übersicht EHRENAMTLICHE MITARBEITER STÄNDIGE EHRENAMTLICHE MITARBEITER Bund Bremen Matthias Bongarth, Geschäftsführer, Bundesanwalt Thomas Beck, Erster Kriminalhauptkommissar Rolf Oehmke, Landesbetrieb Daten und Information Generalbundesanwalt Karlsruhe Polizei Bremen Polizeipräsident Reiner Hamm, Kriminaldirektor Jörg Seedorf, Polizeipräsidium Mainz Baden-Württemberg Ortspolizeibehörde Bremerhaven Direktor der Bereitschaftspolizei Landespräsident Gerhard Klotter, Senatsrat Prof. Dr. Daniel H. Heinke, Rheinland-Pfalz Klaus Werz, Innenministerium Baden-Württemberg Landeskriminalamt Bremen Direktion der Bereitschaftspolizei, Mainz Landeskriminaldirektor Martin Schatz, Ltd. Kriminaldirektorin Andrea Wittrock Kriminaldirektor Gerald Gouasé, Innenministerium Baden-Württemberg Leiterin ZPD, Polizei Bremen Leiter Polizeidirektion Worms Polizeipräsident Thomas Köber, Kriminaldirektor Klaus Mohr, Polizeipräsidium Mannheim Leiter Kriminaldirektion Mainz Polizeipräsident Ekkehard Falk, Bundespolizei Polizeipräsidium Konstanz Erster Polizeihauptkommissar Edgar Stoppa, Polizeipräsident Hartmut Grasmück, Bundespolizeiakademie Lübeck Saarland Polizeipräsidium Heilbronn Präsident der Bundespolizeidirektion Pirna Jörg Direktor Dr. Helmut Albert, Polizeipräsident Prof. Alexander Pick, Baumbach Leiter des saarländischen Landesamtes Polizeipräsidium Hochschule Polizeidirektor Helgo Martens für Verfassungsschutz Leitender Polizeidirektor Reinhard Renter, Innenministerium Baden-Württemberg Leiter der KrimB Bundespolizeiinspektion Hamburg Generalstaatsanwalt a. D. Ralf-Dieter Sahm, Leitender Kriminaldirektor Peter Egetemaier, Erster Polizeihauptkommissar (EPHK) Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken Polizeipräsidium Freiburg Jürgen Lindemann Landespolizeivizepräsident Hugo Müller, Leitender Polizeidirektor Franz Semling, Bundespolizeidirektion Berlin Ständiger Vertreter des Leiters des Polizeipräsidium Offenburg Landespolizeipräsidiums Saarland Prof. Dr. Heinz-Dieter Wehner Erster Kriminalhauptkommissar Norbert Meiners, Institut für Gerichtliche Medizin Tübingen Hamburg Landesinstitut für präventives Handeln Generalstaatsanwalt a. D. Klaus Pflieger Kriminaloberrat André Bunkowsky, Kriminalrätin Nadine Kunz, Landespolizeipräsident a. D. Dr. Alfred Stümper, Polizei Hamburg Stuttgart Dozentin an der Fachhochschule für Verwaltung und Präsident a. D. Prof. Dr. Rainer Schulte, Mitglied des GdP-Landesvorstandes Freiburg Hessen Inspekteur der Polizei a. D. Hartmut Lewitzki Erster Kriminalhauptkommissar Ralf Humpf, Landeskriminalamt Hessen Sachsen Kriminalhauptkommissar a. D. Wolfgang Schmidt, Schwäbisch Gmünd Prof. Dr. med. Jan Dreßler, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Mecklenburg-Vorpommern Universität Leipzig Bayern Inspekteur der Polizei Rudolf Springstein, Prof. Dr. Christine Erfurt, Ltd. Kriminaldirektor a. D. Gunter Hauch Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin, TU Ltd. Kriminaldirektor Jürgen Schermbach, Dresden Polizeidirektor a. D. Rainer Becker Leiter E3 – Verbrechensbekämpfung bei PP Oberbayern Nord Polizeipräsident Bernd Merbitz, Polizeidirektion Leipzig Erster Kriminalhauptkommissar Niedersachsen Gerold Wiesbacher, Ltd. Kriminaldirektor Wolfgang Rösemann, Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei, Fachbereich Kriminalistik/Kriminologie Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Sachsen-Anhalt Kriminaldirektor Bernd Hackl, Kriminaldirektor Uwe Lietzau, Kriminaldirektor Sirko Eckert, Leiter der KPI Rosenheim Ministerium für Inneres und Sport Ministerium für Inneres und Sport Polizeidirektor Volker Feige, Leitender Kriminaldirektor Karl-Albert Grewe, Landeskriminalamt Berlin Polizeiakademie Niedersachsen Kriminalhauptkommissar Norbert Cioma, Landespolizeidirektor a. D. Rolf-Peter Wachholz LKA Berlin Nordrhein-Westfalen Kriminaldirektor Oliver Tölle, Berlin Leitender Polizeidirektor Klaus Noske Schleswig-Holstein Prof. Dr. Claudius Ohder, Kriminalhauptkommissar Leitender Polizeidirektor Michael Wilksen, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Dipl. Verw. Wirt Dietrich Voß, Polizeidirektion AFB EKHK a. D. Peter Trapp, Kriminalprävention/Opferschutz Kriminaldirektor Rainer Bretsch, CDU Berlin Leitender Kriminaldirektor Jürgen Kleis Landeskriminalamt Kriminalhauptkommissar Wolfgang Spies, Polizeidirektor Ralph Garschke, BKA Polizeipräsidium Wuppertal Landespolizeiamt Holger Münch Leitender Kriminaldirektor Dieter Kretzer Polizeidirektor Hartmut Kunz, Präsident des Bundeskriminalamtes Landespolizeiamt Kriminaldirektorin Sabine Wenningmann Ministerialdirigent Jörg Muhlack, Regierungsdirektor Dr. Peter Frodl, Rheinland-Pfalz Innenministerium Schleswig-Holstein Bundeskriminalamt/DS 1 Inspekteur der Polizei Jürgen Schmitt, Kriminaloberrat Michael Raasch, Ltd. Kriminaldirektor Nikolaus Speicher, Ministerium des Innern und für Sport Polizeidirektion Flensburg Bundeskriminalamt / ITD-V Generalstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer, Generalstaatsanwaltschaft Koblenz Brandenburg Leitender Oberstaatsanwalt Harald Kruse, Thüringen Staatsanwaltschaft Koblenz Polizeipräsident Uwe Brunnengräber, Kriminalhauptkommissar a. D. Peter Krüger LKA Brandenburg Polizeipräsident Wolfgang Fromm, Landespolizeidirektion Thüringen Polizeivizepräsident Roger Höppner Polizeipräsidium Koblenz Vizepräsident Jens Kehr, Polizeipräsidium des Landes Brandenburg Landespolizeidirektion Thüringen 2 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017
˘˘˘ Inhaltsverzeichnis / Impressum INHALTSVERZEICHNIS / IMPRESSUM Editorial1 Das Darknet 4 Von Dr. Sabine Vogt, Wiesbaden Sicherheitspolitische Entscheidung: Einschränkung von Anhalte- und Sichtkontrollen 8 Von Prof. Hartmut Brenneisen, Preetz Bedeutung professioneller Tatortarbeit für das polizeiliche Ermittlungsverfahren 12 Von KD Christoph Frings, Duisburg Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung durch den Einsatz von AKLS 17 Von DPPr a.D. Prof. Michael Knape, Berlin Der Einsatzabschnitt „Folgemaßnahmen“ in BAO-Lagen 26 Von PD Frank Ritter, Kiel Aus für die Rocker-Kutten? 29 Von Prof. Dr. Daniel H. Heinke, Bremen Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht 32 Von PHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden „Fake News“ 34 Von KHK Christian Zwick, Ludwigshafen Aktuelles aus dem Netz 35 Von KHK Christian Zwick, Ludwigshafen Gewerkschaftspolitische Nachrichten 35 Von Sascha Braun, Berlin Buchrezensionen 7, 28, 31 IMPRESSUM Herausgeber: Verlag und Anzeigenverwaltung: GdP Gewerkschaft der Polizei, Bundesgeschäftsstelle Berlin, Stromstraße 4, 10555 Berlin, Telefon: 030 / 39 99 21-0, Fax: -200 Redaktion: Forststraße 3 a, 40721 Hilden, Fachlicher Teil: Telefon: 02 11 / 7 10 4-0, Fax: -174, av@vdpolizei.de LRD Prof. Hartmut Brenneisen, verantwortlicher Redakteur Betriebsstätte Worms: Rheinstraße 1, 67547 Worms, E-Mail: brenneisen@kriminalpolizei.de Telefon: 0 62 41 / 84 96-0, Fax: -70, avworms@vdpolizei.de KOR Frank Wimmel, Redakteur Geschäftsführer: Bodo Andrae, Joachim Kranz E-Mail: wimmel@kriminalpolizei.de Anzeigenleitung: Antje Kleuker PHK Ass. jur. Dirk Weingarten, Redakteur E-Mail: weingarten@kriminalpolizei.de Erscheinungsweise und Bezugspreis: Vierteljährlich im letzten Quartalsmonat c/o VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GmbH Anzeigenverwaltung Einzelbezugspreis 3,50 Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten, Jahresabonne- Ein Unternehmen der Gewerkschaft der Polizei ment 12,– Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten. Aufgrund des kriminalfach Betriebsstätte Worms, Rheinstraße 1, 67547 Worms, Telefon 0 62 41 / 84 96-0 lichen Inhalts der Zeitschrift „Die Kriminalpolizei“ kann diese nur an Personen und Institutionen ausgeliefert werden, die entsprechendes berufliches Interesse an der Gewerkschaftspolitischer Teil: Zeitschrift nachweisen. „Die Kriminalpolizei“ darf nicht in Lesezirkeln geführt wer- Oliver Malchow, GdP- Bundesvorsitzender, den. Bestellungen nur an den Verlag. c/o GdP-Bundesgeschäftsstelle, Stromstraße 4, 10555 Berlin, Telefon: 030 / 39 99 21-110, Fax: -211 Herstellung: Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht die Meinung der Redaktion Griebsch & Rochol Druck GmbH, wiedergeben. Gabelsbergerstraße 1, 59069 Hamm, Manuskripte bitte ausschließlich an die Redaktion senden. Für unverlangt eingesandte Telefon: 0 23 85 / 931-0, Fax: 0 23 85 / 93 12 13, info@grd.de Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten ISSN 0938-9636 Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigungen usw. sind nur mit Quellenangabe und nach schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Internet-Adresse: www.kriminalpolizei.de Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017 3
KRIMINALITÄT Das Darknet – Rauschgift, Waffen, Falsch- geld, Ausweise – das digitale „Kaufhaus“ der Kriminellen? Von Dr. Sabine Vogt, Wiesbaden1 1 Einführung Browserprogrammen (Microsoft Internet Explorer, Microsoft Edge, Mozilla Firefox, Google Chrome etc.) bedienbar und durch Such- … November 2015: Shiny-Flakes, 20-jähriger Rauschgifthändler maschinen wie Google, bing etc. einfach und intuitiv zu handha- aus Leipzig verkaufte aus der elterlichen Wohnung Betäubungs- ben ist. Bereits im Clearnet sind vielfältige illegale Inhalte vor- mittel im großen Stil über das Internet … handen. Auf verschiedenen Plattformen werden sowohl Güter als … Januar 2016: Waffenhändler Max Mustermann, 26-jähriger auch Dienstleistungen aus den Bereichen Cybercrime im engeren Mechatronik-Student aus Unterfranken, finanzierte sich mit dem ille- Sinn3 sowie „klassischen“ Phänomenen wie etwa dem Handel mit galen Waffenhandel sein Studium und seine Waffenleidenschaft … Betäubungsmitteln, Waffen, Falschgeld etc. angeboten. … Juni 2016: 32-jähriger Optiker und Sportschütze aus Heidel- Das Deepweb (auch Hidden Web, Invisible Web) ist jener Teil berg, Nickname Dosensuppe, verbesserte mit dem gewerbsmäßi- des Internet, der nicht durch die allgemeinen Suchmaschinen gen illegalen Waffenhandel seinen Lebensunterhalt … auffindbar ist. Inhalte des Deepweb können beispielsweise Datenbanken, Intranets oder Fachwebseiten sein, die zwar Schlagzeilen wie diese haben das Darknet in das Bewusstsein regelmäßig mittels normalen Browserprogrammen erreicht wer- der Öffentlichkeit gerückt. den können, nicht jedoch in gängigen Suchmaschinen verlinkt Der Amoklauf am Münchener Olympia-Einkaufszentrum am und daher hierüber nicht auffindbar sind. Inhalte des Deep- 22. Juli 2016, bei dem der 18-jährige Schütze mit einer über web sind regelmäßig in geschützten Bereichen oder in eige- das Darknet-Forum „Deutschland im Deep Web“ erworbenen Pis- nen Netzwerken abgelegt, so dass seine Inhalte nur mit einer tole Glock 17 neun Menschen und dann sich selbst erschoss, Zugriffsberechtigung aufgerufen werden können. Auch private hat überdies aufgezeigt, welches Gefahrenpotenzial mit diesem Teile des sozialen Netzwerks Facebook zählen zum Deepweb. Phänomen verbunden ist. Weiterhin gibt es Netzwerke, die nur über spezielle Software erreichbar sind und sich durch eine besonders starke Verschlüs- selung und/oder Anonymisierung auszeichnen. Das sog. Dark- net umfasst Wikis/Blogs mit unterschiedlichen – auch legalen – Zielrichtungen sowie kriminelle/inkriminierte Kommunika- tions- und Handelsplattformen. Wie in der realen Welt gibt es berechtigte Gründe, warum eine Information wie z.B. die Iden- tität eines Nutzers nicht publik gemacht werden soll. Hierzu zählt beispielsweise der Schutz der Presse- und Meinungsfrei- heit. Kriminelle missbrauchen diese Anonymität zur Begehung von Straftaten. Die Funktionsweise verschiedener Software zur Nutzung des Darknet (z.B. Tor-Browser-Bundle, Invisible Inter- net Project [I2P], Freenet) bietet dem Anwender eine umfang- reiche und leicht zugängliche Anonymität, weshalb das Darknet einen attraktiven Raum für Straftäter darstellt. Sie sorgt für ein hohes Sicherheitsgefühl auf Seiten der Kriminellen. Im Visible Web sind diverse Hinweise und Informationen zu Platt- formen im Darknet zu finden. Beispielsweise gibt die Webseite Deep- DotWeb4 eine Übersicht über bekannte Plattformen im Tor-Netzwerk inklusive Angaben zur Online-Zeit, Registrierungsumständen, Kom- 2 Was ist das Darknet und wo findet es sich? mission, Bewertung, sowie der URL, über die sie zu erreichen sind. Einen bedeutenden Teil des Darknet machen die Darknet-Mar- 2.1 Clearnet und Deepweb2 kets aus, also kriminelle Marktplätze, bei denen inkriminierte Güter anonym gehandelt werden. Diese decken die Bedürfnisse Beim Internet wird zwischen verschiedenen Bereichen der „Erlangungskriminalität“ (Betäubungsmittel, Waffen, Arz- unterschieden. neimittel, Falschgeld, Kinderpornografie, gefälschte Dokumente Das Clearnet (auch Visible Web, Surface Web, Open Web u.a.) etc.) ab und bieten zunehmend unter dem Schlagwort „Crime- ist das weitläufig bekannte Internet, welches mit normalen as-a-Service“ kriminelle Dienstleistungen und Software an. 4 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017
˘˘˘ Das Darknet – KRIMINALITÄT 2.2 Darknet – Funktion Es wird unterschieden zwischen Marktplätzen mit oder ohne begleitendes Forum, jenen mit besonderen Zugangsberechtigun- Zur Nutzung des Darknet wird überwiegend der Tor-Browser gen und solchen, die zum Erhebungszeitraum nicht erreichbar verwendet. TOR war ursprünglich ein Akronym für „The Onion waren. Etwa 20 Marktplätze weisen eine operative Bedeutung Routing“ oder „The Onion Router“ (engl. Onion = Zwiebel). für das BKA aus. Das aktuelle Projekt „The Tor Project“ ist als gemeinnützige DreamMarket ist ein Beispiel der Plattformen mit begleiten- Organisation eingestuft und widmet sich der Forschung, der dem Forum. Der Marktplatz weist ca. 55.000 Kaufangebote auf Entwicklung und der Schulung zum Thema Internetanonymi- und verzeichnet ca. 20.000 Nutzer. Alphabay9 listete im Zeit- tät und Datenschutz. raum Juni/Juli 2016 ca. 66.000 Kaufangebote bei einer Nutz- Die Kommunikation zwischen Client und hidden service läuft erzahl von über 75.000. Betäubungsmittel machen hierbei den immer über mehrere Server im Tor-Netzwerk. Der Client handelt größten Anteil an Kaufangeboten aus (ca. 52.000), darüber mit dem hidden service einen sog. Rendezvous-Punkt (auf einem hinaus werden unter anderem Waffen (ca. 500), Falschgeld (ca. Tor-Server) aus, an dem sich die beiden Gegenstellen treffen. Die 300), Daten und Arzneimittel angeboten. Ca. 3.500 der Betäu- jeweiligen Routen des Datenverkehrs von Client bzw. hidden ser- bungsmittel-Angebote und ca. 90 der Waffen-Angebote schei- vice zum Rendezvous-Punkt werden durch den Durchlauf meh- nen aus Deutschland zu kommen. rerer Tor-Knoten so stark verschleiert, dass eine Verfolgung die- In Deutschland im Deep Web werden Betäubungsmittel, Arz- ses Datenverkehrs nicht möglich ist und somit auch kein Rück- neimittel, Falschgeld und Waffen gehandelt. Darüber hinaus schluss auf den Datenursprung gezogen werden kann.5 gibt es verschiedene Themenbereiche wie Religionen, Sport, Anders als im Clearnet gibt es im Tor-Netzwerk zudem keine Politik und Wirtschaft, in welchen die Mitglieder diskutieren. Möglichkeit, eine Domain zu einer IP-Adresse aufzulösen. Zu Bei der Anzahl der Plattformen ist ein leichter Rückgang fest- einer Onion-Domain gibt es auch keine Dienste, die weitere zustellen. Daraus ist jedoch kein Rückgang der Benutzerzahlen Infos über diese Domain ausgeben (Whois-Server). oder Angebote abzuleiten. Möglich ist, dass sich Nutzer, beispiels- Insgesamt nutzen nach eigenen Angaben des Tor-Projekts weise in Folge einer Abschaltung einer etablierten Plattform, durchschnittlich zwei Millionen Menschen täglich den Tor-Brow- temporär auf bestimmte andere Plattformen konzentrieren.10 ser. Davon kommen 10 Prozent (200.000) aus Deutschland.6 Die Landschaft der kriminellen/inkriminierten Kommunika- tions- und Handelsplattformen unterliegt grundsätzlich einer großen Dynamik und Fluktuation. Eine Lagedarstellung kann 2.3 Darknet – Aufbau demnach nur eine Momentaufnahme darstellen. Der mehr als rege Handel mit illegalen oder inkriminierten Im Oktober 2013 verkündete das FBI die Sicherstellung des Gütern im Darknet hat innerhalb der letzten Jahre eine enorme Darknet-Forums Silk Road, sowie die Festnahme seines Betrei- Entwicklung durchlaufen. Mittlerweile hat sich eine globale bers. Silk Road war bis dahin der größte Drogenumschlagplatz Industrie entwickelt, die nahezu keinen Kundenwunsch offen im Netz. Darüber hinaus waren Angebote aus den Bereichen Fäl- lässt. Marktplätze übernehmen dabei bekannte Strukturen von schungs- und Geldwäschekriminalität umfasst. Laut FBI wurde legalen Plattformen wie ebay und Amazon, die Produkte wer- über Silk Road ein Umsatz von über 1,2 Milliarden US-Dollar7 den mit Fotos und Beschreibungen aufgelistet, die Community (monatlich zwei Millionen8 US-Dollar) generiert. diskutiert sehr intensiv über die Vertrauenswürdigkeit von Silk Road ist nur ein Beispiel für einen kriminellen Online- Händlern11 und es gibt einen 24/7-Kundensupport. „Crime-as- Marktplatz im Darknet. Je nach Markt werden Betäubungsmit- a-Service“-Angebote haben sich sowohl im Deepweb als auch tel, Arzneimittel, Waffen, Falschgeld, Dokumente, elektronische im Darknet als feste Komponenten in Angebots- und Produkt- Daten, Software sowie Kinder- und Jugendpornografie u.v.m. zum paletten etabliert. Hierbei werden Dienstleistungen zur Verfü- Kauf angeboten. Die Zahlungen werden über sog. Krypto-Währun- gung gestellt, die die Durchführung jeder Art von Cybercrime gen wie Bitcoin (BTC) geleistet, wobei teilweise durch die Markt- ermöglichen bzw. erleichtern. Dies gestattet interessierten Kri- platzbetreiber ein Treuhandservice angeboten wird (sog. Escrow). minellen ohne technische Vorkenntnisse und mit vergleichs- Die Angebote und Kommunikation über die Marktplätze und weise geringem Aufwand Zugang zu hochentwickelten Cyber- Foren werden überwiegend in englischer Sprache verfasst, in Werkzeugen und macht damit das Darknet zu einem Einkaufs- vielen Plattformen lässt sich jedoch ein Bezug nach Deutsch- zentrum für jedermann. Der bereitgestellte Support umfasst land feststellen (z.B. Versand aus Deutschland, Anfragen in beispielsweise Updates für Schadsoftware, Beratungsdienste, deutscher Sprache). Aktuell geht das BKA von etwa 50 Plattfor- Anti-Erkennungsmechanismen sowie die Hilfestellung bei tech- men (Marktplätze und Foren) mit Deutschlandbezug aus. nischen Problemen. Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017 5
˘˘˘ Das Darknet – KRIMINALITÄT 3 Darknet und Strafverfolgung Die Entwickler von Anonymisierungssoftware wie Tor sind bestrebt, eine Identifizierung der Nutzer grundsätzlich unmöglich zu machen. Herkömmliche Ermittlungsansätze wie IP-Adressen, Domainnamen oder verifizierte Nutzerdaten stehen daher regel- mäßig nicht zur Verfügung. Der Einsatz von Krypto-Währungen erschwert die Rückverfolgung von Geldströmen zusätzlich. Hinzu kommt ein vielfach vorhandener hoher Grad an Konspiration innerhalb der Szene. Zudem: Kriminalität im digitalen Raum spielt sich unabhängig vom nationalen Recht und Zuständigkeiten ab. Gleichzeitig findet sich im Internet eine Flut von Daten und Informationen, die z.T. auch allgemein zugänglich sind und von Relevanz für Ermittlungen sein können. Insofern sind hier die klassischen zwei Seiten einer Medaille gegeben: Einerseits bestehen Ermittlungsansätze, andererseits sind die Strafverfol- gungsbehörden mit „big data“ und deren Auswertung und Ana- lyse konfrontiert. Trotz dieser Herausforderungen gelingen dem BKA und Weiterhin werden „Infection on Demand“ (Verteilung von den Polizeibehörden der Länder sowie dem Zoll immer wieder Schadsoftware auf Anforderung/Abruf) sowie Test-Portale Erfolge bei der Identifizierung und Verfolgung von Straftätern angeboten. Hier können die von den Tätern erworbenen oder im digitalen Raum – und im Darknet. Dieser Erfolg beruht auf selbst programmierten Schadsoftware-Varianten auf Detektier- einer Vielzahl von Faktoren: barkeit durch aktuelle Cyber-Sicherheitsprodukte wie z.B. Anti- ffKombination von innovativen, technisch gestützten ana- virenprogramme getestet werden, um durch Anpassungen die lytischen Methoden mit „klassischen“ polizeilichen Erfolgsaussichten für eine „Verteileroffensive“ zu verbessern. Vorgehensweisen Besonders attraktiv in der Produktpalette zu Cybercrime-as-a- ffDurchführung „digitaler“ Finanzermittlungen Service ist die Mitgestaltungskomponente. Im Jahr 2015 wurde ffGemeinsam abgestimmte und auch durchgeführte „Ope- ein „digitaler Erpressungsdienst“ festgestellt, der über das Tor- rationen“ auf nationaler Ebene unter Einbeziehung der Netzwerk erreichbar ist. Dieser ermöglicht eine kostenlose und Staatsanwaltschaften mit geringem Aufwand verbundene individuelle Zusammenstel- ffIntensive Zusammenarbeit auf europäischer Ebene – unter lung von Malware (sog. Toolkits). Die Anbieter des Dienstes Nutzung von Europol, Interpol und im internationalen erhalten bei einer erfolgreichen Lösegeldzahlung eine Umsatz- Kontext beteiligung, wobei die Lösegeldzahlung in der Regel in Form ffGute technische Ausstattung der Cyber- und Forensik von Bitcoin über den Schadsoftwareanbieter selbst abgewickelt dienststellen wird. Über eine vom Schadsoftwareanbieter zur Verfügung ffEinsatz von qualifiziertem Personal und IT-Experten gestellte Kontrollplattform kann der Nutzer des Toolkits die ffVeränderte Personalgewinnung und „clevere“ Qualifizierung. von ihm hervorgerufenen Infektionen einsehen und seinen ver- bliebenen Anteil an den Lösegeldern an sich selbst auszahlen. Bundesweit haben sich in den letzten Jahren Cyberdienststellen Für die Verbreitung der Schadsoftware werden ebenfalls Dienst- in der Polizei und beim Zoll entwickelt, die Cybercrime und spe- leistungen angeboten. Auch hier kann der Kunde selbst bestim- ziell Kriminalität im Darknet bekämpfen. Hier werden Experten men, wen die Schadsoftware angreifen soll. eingesetzt, die sowohl über eine IT- Expertise verfügen als auch über kriminalpolizeiliches know how. Das BKA praktiziert derzeit eine sog. „Tandemlösung“, d.h., dass ein Cyberanalyst (IT-Experte) 2.4 Illegale Inhalte des Darknet zusammen mit einem Polizeibeamten gemeinsam am Fall arbeitet. Andere Bundesländer verfolgen andere Modelle, wie z.B. den Ein- Im Darknet findet sich die komplette Bandbreite krimineller satz von „Cybercops“; dabei handelt es sich um IT-Experten, die in Aktivitäten wieder, bei denen das Internet als Tatmittel nutz- einer verkürzten Ausbildung an die Aufgaben eines Kriminalbeam- bar ist oder auch Cybercrime im engeren Sinne vorliegt (wobei ten herangeführt werden. Auch bei den Staatsanwaltschaften wer- sich letzteres Phänomen dominanter im Bereich der Under- den spezialisierte Dienststellen neu eingerichtet oder erweitert, ground Economy zeigt). Grundsätzlich sind daher alle Delikte die sich ausschließlich auf die Bekämpfung von Cybercrime bzw. im Darknet anzutreffen. der Kriminalität im Kontext Internet konzentrieren. Viele Plattformen im Darknet sind nach den jeweiligen ille- „Erfolge“, die diese Spezialisten bei der Bekämpfung von Kri- galen Angeboten übersichtlich aufgebaut, aus Gründen der minalität im Darknet erzielen, fußen oftmals auf einer Kom- Abschottung und Konspiration oft streng hierarchisch geglie- bination von verschiedenen Auswerte- und Ermittlungsansät- dert und werden professionell betrieben. Die Gewinnerzielung zen. Die Analyse der Massendaten, die im Internet und auch steht dabei im Vordergrund – das anonyme Handeln wird dabei im Darknet „produziert“ werden, kann ohne IT nicht erfolgen – durch die Verwendung digitaler Zahlungsmittel (Krypto-Wäh- hier sind an den jeweiligen Fall angepasste „Werkzeuge“ erfor- rungen wie „Bitcoins“ u.a.) ermöglicht. Hingegen geht es z.B. derlich. Zudem sind verdeckte Ermittlungen oft ein entschei- bei Plattformen, auf denen pädosexuelle Nutzer aktiv sind, um dender Faktor, um letztlich die Täter zu identifizieren. das Tauschen kinderpornografischer Inhalte oder im Bereich Zudem hat sich gezeigt, dass in gemeinsamen polizeilichen politisch motivierter Kriminalität um den Informationsaus- Bund-Länder „Operationen“ gute Erfolge erreichbar sind. Hier tausch mit Gleichgesinnten. können die Ziele einer gemeinsamen Auswertung oder Ermitt- lung abgestimmt, die Vorgehensweise vereinbart und die per- sonellen sowie technischen Möglichkeiten der beteiligten 6 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017
˘˘˘ Das Darknet – KRIMINALITÄT Dienststellen berücksichtigt werden. Positive Erfahrungen in Europäisches Recht wie z.B. die Budapester Cybercrime Con- der Praxis liegen bereits vor. vention bedarf der weiteren Umsetzung. Letztlich muss es Digitale Kriminalität kann nur erfolgreich durch internati- gelingen, die Strafverfolgung im digitalen Raum über die Län- onale Zusammenarbeit bekämpft werden – viele gemeinsame dergrenzen hinweg zu gewährleisten und hier die rechtlichen polizeiliche Operationen werden daher heute mit Hilfe von Instrumente anzupassen. Europol koordiniert und durchgeführt. Hier nutzen europäische Die hier angedeuteten Herausforderungen werden sich auch Staaten das sog. EC 3 – eine eigens bei Europol eingerichtete in Zukunft weiter dynamisieren. Veränderungen, Innovationen, Arbeitsplattform. Das BKA hat für diese Arbeit einen Verbin- wie z.B. die Blockchain-Technologie im Bereich der Kryptowäh- dungsbeamten zu Europol entsandt. Gemeinsame Projekte und rungen, geben den Takt vor und haben unmittelbare Auswir- Operationen werden zudem im Rahmen des sog. EU-Policy Cycle kungen auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Dies stellt unter Nutzung der europäischen Förder-Finanzhilfen durchge- oft völlig neue Anforderungen an uns als Strafverfolgungsbe- führt, so dass ein direkter operativer Nutzen entsteht. Inter- hörden, auf die wir uns einstellen müssen. national besteht zudem ein enger Arbeitsverbund über das G Dennoch – die Nachricht für die Täter im digitalen Raum 7 Netzwerk; ferner sind Arbeitsverbünde bi- und multilateraler muss lauten: Es gibt auch dort keine rechtsfreien Räume. Art mit Polizeien anderer Staaten weltweit entstanden. Auch Interpol hat in Singapur das Global Complex for Innovation ein- gerichtet, ein Zentrum, welches die Cyberkriminalität von dort Anmerkungen aus ins Visier nimmt. – Das Netzwerk internationaler Koopera- 1 Frau Dr. Sabine Vogt leitet die Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität des tion unter den Polizeien ist eng gespannt! Bundeskriminalamtes. Ferner bedarf es auch eines permanenten erheblichen 2 Die Begriffe und erklärten Sektoren des Internet stellen keine abschließenden Defini- „Investments“ in die technische Ausstattung, die Personalge- tionen dar. Für das BKA und andere Polizeibehörden ist jedoch eine Festlegung bedeut- sam, um eine Grundlage für eine möglichst einheitliche Sprachregelung zu schaffen. winnung sowie die Aus- und Fortbildung von Kriminalbeamten 3 Cybercrime im engeren Sinn umfasst die Straftaten, die sich gegen das Internet, und IT-Experten – dies sind dauerhafte Kostenfaktoren, gerade Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten (z.B. Durch- führung von Distributed Denial of Service [DDoS]-Angriffen, Hacking, etc.). wenn man an die Schnelllebigkeit der Entwicklungen im IT- 4 https://www.deepdotweb.com. Bereich denkt. Zudem sind auch „Bündnisse“ mit Universitäten 5 Detaillierte Beschreibung der Funktion des Tor-Browsers findet sich in der Broschüre und Instituten zu schließen, um den Entwicklungs- aber auch „Tor-Netzwerk“ des BKA, aufzurufen unter http://www.extrapol.de. 6 https://metrics.torproject.org. den Fortbildungsbedarf zu decken. Das bedeutet: eine erfolgrei- 7 http://www.heise.de/security/meldung/Silk-Road-FBI-schaltet-Drogen-Handels- che Bekämpfung von Cybercrime im „Niedrigpreissegment“ hat plattform-im-Tor-Netz-aus-1972026.html. 8 http://www.zeit.de/digital/internet/2015-05/ross-ulbricht-silk-road-strafmass- wenig Aussicht auf Erfolg! urteil. Weiterer Handlungsbedarf besteht im Bereich der Rechts- 9 Nähere Informationen finden sich in der Broschüre „Tor-Netzwerk“ des BKA, aufzuru- fen unter http://www.extrapol.de. fortentwicklung – wie z.B. bei der Frage, ob nicht das krimi- 10 Die Abschaltung einer Plattform führt gemäß einer Studie der Carnegie Mellon Uni- nelle Handeln von Administratoren und Moderatoren auf ille- versität in Pittsburgh gerade nicht zu einem Einbruch des Handelsgeschehens son- galen Plattformen einer eigenen Strafbarkeit unterworfen wer- dern zur Verlagerung auf andere Plattformen (Quelle: Measuring the Longitudinal Evolution of the Online Anonymous Marketplace Ecosystem, Kyle Soska and Nicolas den sollte. Die Bereitstellung einer technischen Infrastruktur Christin, Carnegie Mellon University, 2015). für kriminelle Zwecke ermöglicht nicht nur eine Tatbegehung 11 Marktplatz des Verbotenen, Handelsblatt, 5.8.2016. durch Dritte sondern bildet auch den Tatort und stellt das tech- nische Tatwerkzeug zur Verfügung. Alle Bildrechte beim BKA. REZENSION Werk einen praxistauglichen Instrumentenbaukasten zur Ent- Kriminalstrategie wicklung erfolgreicher Kriminalstrategien zur Verfügung. Die erfahrenen Autoren und Kriminalisten, Leitender Kri- Mit Blick auf die aktuellen minaldirektor Ralph Berthel und Kriminaldirektor Matthias nationalen und internationa- Lapp, richten ihr besonderes Augenmerk auf Wirkung und len gesellschaftlichen Entwick- Nachhaltigkeit des vorgestellten Konzeptes. Mit ihrem Buch lungen kommt einem überzeu- wenden sie sich an alle, die sich in Theorie und Praxis kon- genden und vernetzten Han- zeptionell mit dem Erkennen, Aufdecken, Verhüten, Aufklä- deln aller Akteure der inneren ren und Bekämpfen von Kriminalität befassen. Sicherheit zunehmende Bedeu- tung zu. Das neu erschienene Prof. Hartmut Brenneisen Buch „Kriminalstrategie“ leis- tet einen wichtigen Beitrag, um dieser Herausforderung Autor: Ralph Berthel, Matthias Lapp gerecht werden zu können. Titel:Kriminalstrategie Insbesondere werden darin das Wissen über Kriminalstrategie Format: 204 Seiten, 12,5 x 18,5 cm, kartoniert als Teil der Kriminalistik abgebildet, die verschiedenen Anfor- Preis: 24,99 Euro derungen an die Planung und Umsetzung konkreter Strate- ISBN: 978-3-7832-0088-1 gien zur Bekämpfung von Kriminalität aufgegriffen und die Verlag: Kriminalistik Verlag, C.F. Müller GmbH Inhalte bewährter Ansätze beschrieben. Schließlich stellt das Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017 7
KRIMINALITÄT Sicherheitspolitische Entscheidung: Einschränkung von Anhalte- und Sichtkontrollen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung in Schleswig-Holstein Von Prof. Hartmut Brenneisen, Preetz Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat in seiner 137. Sitzung unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr an bestimmten am 16.12.2016 eine deutliche Einschränkung von Anhalte- und Orten in Grundrechte der Menschen eingreifen darf. So darf die Sichtkontrollen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung Polizei nach § 180 Abs. 3 LVwG Personen anhalten und Fahrzeuge beschlossen. Lagebildabhängige Kontrollen sind nunmehr res- in Augenschein nehmen, ohne dass ein konkreter Verdacht dieser triktiver geregelt und Schleierfahndungskontrollen ersatzlos Person gegenüber besteht.“ gestrichen worden. 2 Parlamentarisches Verfahren 1 Politische Initiative und Änderungsantrag Die Erste Lesung im Landtag erfolgte am 19.6.2014 und führte Mit Gesetzentwurf vom 4.6.2014 hatte die Fraktion der PIRA- zu einer kontroversen Debatte über Fragen der Eingriffsquali- TEN im Schleswig-Holsteinischen Landtag die Initiative ergrif- tät, der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der fen und eine Novellierung der Kontrollbefugnisse des all- Rechtsfiguren. Während der PIRATEN-Abgeordnete Breyer den gemeinen Polizeirechts vorgeschlagen.1 Insbesondere § 180 Änderungsentwurf als angemessen und die definierten „Kon- Abs. 3 LVwG SH (Anhalte- und Sichtkontrollen) sollte voll- trollzonen“ als „Misstrauenserklärungen gegen ganze Regio- ständig aus dem Katalog der hoheitlichen Eingriffsermäch- nen und gegen Millionen von Menschen“ bezeichnete3 und der tigungen gestrichen werden. Die Begründung lautete: 2 Abgeordnete Peters von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „Nach unserem Grundgesetz sind die Grundrechte Abwehrrechte NEN unterstützend vor einem unzulässigen „Racial Profiling“4 gegen den Staat. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes sind warnte, wurde der antragstellenden Fraktion von anderer Seite davon ausgegangen, dass die Menschen diese Abwehrrechte benöti- ein „tiefes Misstrauen […] gegenüber Polizei und Staat“ vor- gen, um sich gegen staatliche Willkür zur Wehr setzen zu können. gehalten.5 Allerdings konnte von keiner Seite die Effektivität Den Grundrechten wohnt demnach ein grundsätzliches Misstrauen der am 13.4.20076 geschaffenen Rechtsfiguren belegt werden.7 gegenüber dem Missbrauch staatlicher Gewalt inne. Hieraus folgt, Schließlich wurde der Antrag einstimmig dem Innen- und dass die Menschen grundsätzlich das Recht haben, vom Staat in Ruhe Rechtsausschuss überwiesen, der sich in mehreren Sit- gelassen zu werden. In dieses Recht der Menschen dürfen staatliche zungen damit befasst und ein umfangreiches schriftliches Vollzugsorgane nur dann eingreifen, wenn besondere gesetzliche und mündliches Anhörungsverfahren durchgeführt hat.8 Grundlagen sie hierzu […] ermächtigen. Hieraus folgt für das Poli- In diesem Kontext wurde durch Hirsch ein eindrucksvolles zeirecht, dass die Polizei im Bereich der Gefahrenabwehr grundsätz- Plädoyer für „maßvolle Gesetze“ gehalten. Er konstatierte:9 lich nach den einschlägigen Gesetzen erst beim Vorliegen einer kon- „Die Schmähung der Forderung nach exakten, handlungsbegren- kreten Gefahr berechtigt ist, in Grundrechte einzugreifen […]. Von zenden Gesetzen als einen Akt des Misstrauens und die zwar gut diesem Grundsatz weichen Regelungen in den Polizeigesetzen ab, gemeinte, aber in ihrer ständigen Wiederholung ebenso unerträg- die für die Zulässigkeit polizeilicher Maßnahmen nicht an den Nach- liche wie abwegige politische Forderung nach blindem Vertrauen weis einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für (die) öffentliche bewirken genau das Gegenteil. Sie bewirken gerade Misstrauen und Sicherheit und Ordnung anknüpfen, sondern die polizeilichen Distanz des Bürgers gegenüber polizeilichen Befugnissen und sind Maßnahmen allein von den Eigenschaften einer Örtlichkeit daher eine der größten gegenwärtigen Gefahren für eine erfolg- abhängig machen. Auch das Allgemeine Verwaltungsgesetz für das reiche Arbeit der Polizeien von Bund und Ländern. Die Exekutive Land Schleswig-Holstein (LVwG) ermöglicht in unterschiedlichen ist an Gesetz und Recht gebunden und eben nicht nur an ihre Vorschriften eine sogenannte Ortshaftung, wonach die Polizei guten Absichten.“ Der Ausschuss schloss die Beratungen in seiner 8 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017
˘˘˘ Sicherheitspolitische Entscheidung: KRIMINALITÄT Sitzung am 23.11.2016 mit einer Beschlussempfehlung10 unter ffDie tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der lagebildabhän- unmittelbarer Berücksichtigung eines mehrheitlich angenomme- gigen Kontrolle gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 1 LVwG (alt) wer- nen Änderungsantrages11 der regierungstragenden Fraktionen ab. den restriktiver gefasst und ergänzend an einen erkennba- Am 16.12.2016 erfolgte dann die Zweite Lesung und Verabschie- ren „Kriminalitätsschwerpunkt“ sowie eine anzunehmende dung des Gesetzes in der Fassung der vorgenannten Empfehlung „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ geknüpft. ohne weitere Aussprache mit einer durch die Ausschussvorsit- ffDie Anordnungskompetenz obliegt nunmehr allein der Lei- zende mündlich vorgetragenen redaktionellen Änderung.12 tung des Landespolizeiamtes, des Landeskriminalamtes oder einer Polizeidirektion. Eine Übertragung auf „beson- ders Beauftragte des Polizeivollzugsdienstes“ ist nicht mehr 3 Neufassung des Gesetzes zulässig. ffDie Anordnung soll grundsätzlich „vorab in geeigneter Weise § 180 Abs. 3 LVwG (neu) enthält folgende Fassung:13 „Die Poli- bekannt gemacht werden“. Ausnahmen sind möglich, wenn zei darf im öffentlichen Ver- der Zweck der Kontrollmaß- kehrsraum zur vorbeugenden nahme dadurch gefährdet Bekämpfung von Straftaten wird. von erheblicher Bedeutung, bei Liebe Leserinnen, liebe Leser, fDie f polizeiliche Anordnung denen Schaden für Leib, Leben ist auf maximal 28 Tage zu oder Freiheit oder gleichgewich- ich möchte mich Ihnen als neuer verantwortlicher Redak- befristen. Verlängerungen um tiger Schaden für Sach- oder Ver- teur der Fachzeitschrift „Die Kriminalpolizei“ vorstellen. jeweils maximal 28 Tage sind mögenswerte oder die Umwelt zu Mein Name ist Hartmut Brenneisen und ich bin seit 1972 zulässig, soweit die Vorausset- erwarten sind, Personen kurz- in verschiedenen Funktionen für die Landespolizei sowie zungen weiterhin vorliegen. zeitig anhalten und mitgeführte die FHVD Schleswig-Holstein tätig. Dort vertrete ich zur- Sie bedürfen jedoch der rich- Fahrzeuge einschließlich deren zeit als Fachhochschulprofessor und Leitender Regie- terlichen Entscheidung. Kofferräume oder Ladeflächen rungsdirektor insbesondere eingriffsrechtliche Lehrin- in Augenschein nehmen. Inau- halte im Bachelor- und Masterstudiengang. genscheinnahme ist die optische 5 Bewertung Wahrnehmung ohne Durchsu- Mit der Ausgabe 2/2017 trete ich mit einem neuen chung; § 206 bleibt unberührt. Redaktionsteam die Nachfolge von Herbert Klein an, der 5.1 Grundrechtsqualität Maßnahmen nach Satz 1 wer- gemeinsam mit Gunhild Groeben über viele Jahre hinweg den durch die Leiterin oder den redaktionelle Maßstäbe gesetzt hat. Die PIRATEN-Fraktion hat die Leiter des Landespolizeiamtes, vollständige Streichung des § des Landeskriminalamtes oder Ich freue mich auf diese neue Tätigkeit und den regelmä- 180 Abs. 3 LVwG SH (Polizei- einer Polizeidirektion angeord- ßigen Austausch mit Ihnen. Nehmen Sie jederzeit gern liche Anhalte- und Sichtkont- net, soweit Tatsachen, insbeson- mit mir Kontakt auf, bringen Sie sich mit Lob, Kritik, rollen) vorgeschlagen und dies dere dokumentierte polizeiliche Ideen, Wünschen und natürlich auch mit Fachbeiträgen mit einer vermeintlichen Ver- Lageerkenntnisse, dies erfor- ein. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen die Erfolgsge- fassungswidrigkeit der Norm dern, weil sie auf einen Krimi- schichte der Zeitschrift fortschreiben. begründet. Nach ihrer Ansicht nalitätsschwerpunkt hindeuten zieht die Maßnahme „intensive und anzunehmen ist, dass eine Ihr Grundrechtseingriffe nach sich“ Gefahr für die öffentliche Sicher- und wird von „Betroffenen als heit vorliegt. In der schriftlich diskriminierend oder stigmati- zu begründenden Anordnung ist sierend empfunden. […] Ganze die Maßnahme in örtlicher, sach- Städte und Regionen werden licher und zeitlicher Hinsicht als potenziell gefährlich diffa- auf den für die vorbeugende Prof. Hartmut Brenneisen miert, wenn sie zum ‚Gefahren- Bekämpfung der in Satz 1 auf- gebiet‘ und damit zu einer ‚Son- geführten Kriminalität erforder- derrechtszone‘ erklärt werden lichen Umfang zu beschränken. können.“14 Obwohl es sich bei Die Anordnung soll vorab in geeigneter Weise bekannt gemacht wer- der Norm keinesfalls um ein „gutes und ausgewogenes Instru- den, es sei denn, ihr Zweck wird dadurch gefährdet. Die Anordnung ment“15 innerhalb des Gesamtgefüges des allgemeinen Polizei- ist zunächst auf maximal 28 Tage zu befristen. Für jede Verlänge- rechts handelt, geht diese Bewertung an der Realität vorbei. Ins- rung bedarf es einer richterlichen Entscheidung. Eine Verlängerung besondere ist mit Anhalte- und Sichtkontrollen keinesfalls eine um jeweils maximal weitere 28 Tage ist zulässig, soweit die Vor- intensive Grundrechtsqualität verbunden. Die Rechtsfolgen der aussetzungen weiterhin vorliegen. Zuständig ist das Amtsgericht, in Eingriffsermächtigung bestehen nämlich, trotz der ohne Zweifel dessen Bezirk das Landespolizeiamt, das Landeskriminalamt seinen vorhandenen „Streubreite“16, lediglich aus einem kurzzeitigen oder die Polizeidirektion ihren Sitz hat.“ Anhalten und einer Inaugenscheinnahme mitgeführter Fahr- zeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen. Eine Identitätsfeststellung, ein Datenabgleich oder weitergehende 4 Wesentliche Änderungen Durchsuchungsmaßnahmen sind damit grundsätzlich nicht ver- bunden. Entsprechend bleibt die Eingriffsqualität gering und im Die modifizierte Rechtsnorm beinhaltet insbesondere folgende konkreten Fall sogar hinter der allgemeinen Verkehrskontrolle Änderungen: zurück, die über § 36 Abs. 5 StVO i.V.m. § 4 Abs. 2 FEV und ffDie Schleierfahndungskontrolle (anlass- und verdachtsunab- § 11 Abs. 5 FZV auch die Erhebung personenbezogener Daten hängige Kontrolle) gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 LVwG SH (alt) ermöglicht.17 wird gestrichen. Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017 9
˘˘˘ Sicherheitspolitische Entscheidung: KRIMINALITÄT 5.2 Verbundstrategien Verfolgungsvorsorge ausschließlich aus einzelnen Befugnissen und der Gesamtsystematik des Gesetzes ableiten.30 Neben der Verfassungsrechtlich problematisch sind allerdings Verbundstra- fehlenden Normenklarheit des auch mit dem Begriff der „Rück- tegien, die insbesondere durch die in der Gesamtschau geringen schlusstheorie“31 umschriebenen Verfahrens stellt sich insbeson- Rechtsfolgen der Anhalte- und Sichtkontrollen eine besondere dere die Frage, ob die auch als „antizipierte Repression“ bezeich- Relevanz entfalten.18 So könnten beispielsweise die hoheitli- nete Strafverfolgungsvorsorge überhaupt zum Aufgabenkreis der chen Ziele der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung gemein- Gefahrenabwehr gehört und damit in die Gesetzgebungszustän- sam mit den Zielen der abstrakten Gefahrenabwehr zur Förde- digkeit der Bundesländer fällt.32 Faktisch liegt zum Zeitpunkt rung der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs durch Ver- der relevanten Eingriffsmaßnahme weder der Anfangsverdacht kehrskontrollen verfolgt werden.19 Bei nahezu gleichbleibendem einer Straftat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO noch eine konkrete Aufwand wäre der spezifische Nutzen der Verbundmaßnahme Gefahrensituation vor. Es geht also quasi um einen dritten Auf- damit ungleich höher. § 180 Abs. 3 LVwG SH lässt das kurzzeitige gabenkreis, der systematisch zwischen dem präventiven und dem Anhalten von Personen und die Inaugenscheinnahme mitgeführter repressiven Handeln angesiedelt ist. Wenngleich dieser beson- Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen zu. dere Vorfeldbereich der überkommenen rechtsdogmatischen Ein- § 36 Abs. 5 StVO in Verbindung mit der VwV-StVO ermöglicht die ordnung zuwiderläuft, wurden Maßnahmen der Verhütungs- und Prüfung der Verkehrstüchtigkeit des Fahrzeugführers, der nach den Verfolgungsvorsorge lange Zeit einheitlich als Bestandteil des Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere sowie des Zustandes, materiellen Polizeirechts bewertet und auf eine differenzierte der Ausrüstung und der Beladung des Fahrzeugs. Mit diesem Zuordnung weitgehend verzichtet.33 Nachdem bereits mit Verab- taktischen Maßnahmenbündel ist u.a. auch die Feststellung der schiedung des StVÄG 199934 und der damit verbundenen Imple- Personaldaten verbunden und damit eine Fahndungsabfrage im mentierung von Befugnissen zur Strafverfolgungsvorsorge in die Sinne des § 195 Abs. 1 Satz 3 LVwG SH zulässig. Allerdings sind StPO Zweifel an dieser Einordnung geäußert wurden, scheint die Verkehrskontrollen rechtlich trennscharf von Kontrollen zur kon- Sachlage im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG35 nunmehr kreten Gefahrenabwehr, zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämp- klar: „Die Vorsorge für die Verfolgung noch gar nicht begangener, fung sowie zur Verfolgung vorliegender Normverletzungen zu sondern in ungewisser Zukunft bevorstehender Straftaten gehört unterscheiden.20 Insofern sollte der Gesetzgeber Verbundstrate- zum gerichtlichen Verfahren.“ Die enge Verwandtschaft mit dem gien ansprechen und diese zumindest durch klare Aussagen in der Aufgabenkreis der Strafverfolgung führt zur konkurrierenden Gesetzesbegründung angemessen begrenzen. Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Damit ist die Vermutung der Länderkompetenz im Sinne des Art. 70 GG durchbrochen und eine Regelung gemäß Art. 72 Abs. 5.3 Zielstellung 1 GG nur möglich, soweit der Bund von seiner Kompetenz nicht oder nicht abschließend Gebrauch gemacht hat.36 Der Gesetz- § 180 Abs. 3 LVwG SH ist mit dem Änderungsgesetz vom geber des Landes Schleswig-Holstein hat damit vordringlich für 13.4.200721 eingeführt worden und dient der „vorbeugenden Klarheit zu sorgen, sich durch eine Ergänzung der §§ 162, 168 Kriminalitätsbekämpfung“. Dieser Terminus nimmt seit Beginn LVwG SH zunächst dem Standard der übrigen Länderpolizeige- der durch das BVerfG22 angestoßenen Novellierungswelle Ende setze anzupassen und dabei zugleich die Rechtsprechung zur der 1980-er Jahre eine zentrale Rolle im Eingriffsrecht ein und Strafverfolgungsvorsorge zu berücksichtigen.37 Dies entspricht hat in allen Polizeigesetzen, aber auch in der StPO mehr oder allein den Vorgaben des Grundgesetzes und der Landesverfas- weniger ausgeprägt Aufnahme gefunden. Berechtigt stellt sung.38 Allerdings folgt daraus nicht, dass die Polizei „erst beim Rachor fest, dass mit dem Begriff „eine vergleichsweise unge- Vorliegen einer konkreten Gefahr berechtigt ist, in Grundrechte naue, tatbestandlich nur unscharf konturierte Zweckbestim- einzugreifen.“39 In vielen Fällen kann die Polizei auch in abstrak- mung“ einhergeht.23 Und Knape/Schönrock ergänzen, dass sich ten Gefahrensituationen tätig werden.40 nur mit „größter Mühe“ erschließen lässt, was darunter genau zu verstehen ist und wie weit spezifische Grundrechtseingriffe gehen können.24 Je ungenauer aber die Ziele einer Ermächti- 5.5 Streichung der Schleierfahndungskontrolle41 gungsnorm beschrieben sind, umso problematischer ist eine angemessene Abwägung zwischen Schutzgut und Eingriffsin- Zentrales Element der aktuellen Gesetzesänderung ist die Strei- tensität.25 Insofern sollte durch den Gesetzgeber vor der Ände- chung der Schleierfahndungskontrolle. Mit § 180 Abs. 3 Nr. 2 LVwG rung einzelner Befugnisse stets zunächst für Klarheit bei der SH (alt) wurde in Schleswig-Holstein im Jahr 2007 eine Befugnis- grundlegenden Aufgabenbeschreibung gesorgt werden. norm für anlass- und verdachtsunabhängige Kontrollen im Grenz- gebiet geschaffen.42 In der amtlichen Begründung zum Gesetzent- wurf der Landesregierung43 ist diese tatbestandslos ausgestaltete 5.4 Aufgabenzuweisung Sonderform der Anhalte- und Sichtkontrolle berechtigt als „Schlei- erfahndungsmaßnahme“ bezeichnet und als Ziel die vorbeugende Im Gegensatz zu den Gefahrenabwehrgesetzen anderer Bundes- Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität ausgewie- länder26 ist die Aufgabe der vorbeugenden Kriminalitätsbekämp- sen worden.44 Eine unmittelbare tatbestandsmäßige Begrenzung fung im LVwG SH immer noch nicht ausdrücklich verankert wor- ist ebenso wenig erfolgt wie eine klare Beschreibung des Kont- den,27 obwohl Hirsch berechtigt „möglichst exakte […] Gesetze“ rollgebietes durch geographische Kartierung.45 Laut Begründung fordert.28 In Schleswig-Holstein wird nach wie vor auf die Grund- zum Gesetzentwurf der Landesregierung46 sollte mit der Norm aussage in der amtlichen Begründung zur Gesetzesnovelle 1992 eine Reaktion auf „durch Grenznähe definierte örtliche Sondersi- verwiesen, in der es heißt:29 „Die Polizei hat im Rahmen ihrer tuationen“ erfolgen, „die den Gesetzgeber ohne zusätzliche tatbe- Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr auch Straftaten zu verhüten und standsmäßige Konkretisierung ermächtigen, diese Kontrollbefugnis Vorkehrungen für die Aufklärung künftiger Straftaten zu treffen, der Landespolizei zur Verfügung zu stellen.“ Allerdings dürfte das ohne dass dies besonderer Erwähnung im Gesetzestext bedarf.“ Fachministerium an dieser offenen Formulierung wohl selbst Zwei- Damit lässt sich aber die Aufgabe der vorbeugenden Kriminali- fel gehabt haben, denn im Argumentationspapier des Innenminis- tätsbekämpfung mit ihren Teilbereichen der Verhütungs- und der ters zur Novellierung des Polizeirechts in Schleswig-Holstein und 10 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2017
Sie können auch lesen