Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...

Die Seite wird erstellt Marie Noack
 
WEITER LESEN
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
Ausgabe 1.15

Denkmalpflege
in Westfalen-Lippe

Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses
in Münster
Die ehemalige „Polizeiunterkunft Staatsminister Severing“
in Bochum
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
© 2015 Ardey-Verlag Münster
Alle Rechte vorbehalten
Layout: Matthias Grunert, Münster
Druck: DruckVerlag Kettler, Bönen
Printed in Germany
ISSN 0947-8299
21. Jahrgang, Heft 1/15

Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von
4,50 Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den
Ardey-Verlag Münster
An den Speichern 6
48157 Münster

Herausgeber:
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Redaktion:
Dr. Jost Schäfer (Leitung)
Dr. David Gropp
Dr. Barbara Pankoke
Dr. Dirk Strohmann

Anschrift:
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Fürstenbergstr. 15
48147 Münster
dlbw@lwl.org

Die Autoren
der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen:
Wiss. Bibl. Sabine Becker M. A.
Anne Bonnermann M. A.
Dr. Dimitrij Davydov
Anne Herden-Hubertus M. A.
Dr. Fred Kaspar
Katharina Kirchhoff M.A.
Dipl.-Ing. Maria Nitzschke
Dr. Barbara Pankoke
Dr. Jost Schäfer
Dipl.-Ing. Heike Schwalm
Dr.-Ing. Barbara Seifen
Dr. Knut Stegmann
Dr. Dirk Strohmann

Elisa Hoppe M. A.
Hanegge 10
33813 Oerlinghausen

Dr. Baoquan Song
Institut für Archäologische Wissenschaften
der Ruhr-Universität Bochum
Am Bergbaumuseum 31
44791 Bochum

Diese Zeitschrift steht zum Download auf unserer Homepage bereit
www.lwl.org/dlbw
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
Inhalt
Seite 3    Editorial

           Aufsätze
Seite 4    Frustra legis auxilium quaerit qui in legem commitit?
           Zu den Folgen rechtswidrigen Verhaltens im Denkmalrecht
           Dimitrij Davydov

Seite 9    Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster
           Jost Schäfer

Seite 18   Das westfälische Bauernhaus als Kulturgut
           Elisa Hoppe

Seite 24   Sanierung der Fassaden und Dachflächen des Erbdrostenhofes in Münster
           Barbara Seifen

Seite 30   Das Autohaus S. Fuhrken in Bad Oeynhausen
           Ein moderner Funktionsbau für moderne Fahrzeuge
           Anne Herden-Hubertus

Seite 34   Die ehemalige „Polizeiunterkunft Staatsminister Severing“ in Bochum
           Maria Nitzschke

Seite 38   Luftbildarchäologie und Denkmaltopographie
           Baoquan Song

Berichte aus der Denkmalpflege
Seite 42   Bochum: Trauerhalle Ost auf dem Zentralfriedhof Freigrafendamm
           Knut Stegmann

Seite 45   Gütersloh: Orte des Erinnerns und Gedenkens – Die Gedenkstätte für die ermordeten
           Psychiatrie-Patientinnen und -Patienten in der Zeit des Nationalsozialismus im LWL-Klinikum
           Barbara Pankoke

Seite 47   Steinfurt: Lückenschluss in der Konzertgalerie im Bagno
           Dirk Strohmann

Mitteilungen
Seite 48   Rückblick: Fachtagung „Denkmalzukunft JVA Münster?“

Seite 50   LWL gründet „Westfälischen Kulturlandschaftskonvent“

Seite 50   „… in letzter Minute gerettet“
           Ausstellung der Volontärinnen und Volontäre der Denkmalpflege

Seite 51   Quo vadis Denkmalrecht? Kulturerbe zwischen Pflege und Recht.
           Tagung am 15.–17. Juli 2015

Seite 52   Neuerscheinungen des Amtes

Seite 52   Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

Seite 53   Personalia
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
Umschlag-Foto:
Bochum, Baukomplex Trauerhalle Ost, Außenansicht der Trauerhalle (vgl. S. 42 ff.)
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
3

Editorial
                                                     ter Kolleginnen und Kollegen stellen zu können:
                                                     Ich danke allen im Hause für ihr Engagement für
                                                     die Sache, ihr Vertrauen in meine Arbeit, ihre Loya-
                                                     lität und ihre Veränderungsbereitschaft!
                                                     Tatsächlich brachten die letzten Jahre eine Reihe
                                                     größerer organisatorischer Änderungen mit sich,
                                                     insbesondere nach der am 1. April 2011 erfolgten
                                                     Zusammenführung des LWL-Amtes für Denkmal-
                                                     pflege in Westfalen mit dem LWL-Amt für Land-
                                                     schafts- und Baukultur in Westfalen zum heutigen
                                                     Kulturdienst. Vier komplementär entwickelte
                                                     Fachreferate kümmern sich heute um die Belange
                                                     der gebauten und gestalteten Umwelt und der
                                                     Denkmalpflege: „Inventarisation und Baufor-
                                                     schung“, „Praktische Denkmalpflege“, „Restaurie-
                                                     rung und Dokumentation“ und „Städtebau und
                                                     Landschaftskultur“. Die direkt der Leitung zu-
Heute darf ich dieses Editorial dazu nutzen, mich    geordneten Organisationseinheiten „Vermittlung
von Ihnen als Landeskonservator für Westfalen-       und Baukultur“ sowie „Justitiariat“ bündeln Ser-
Lippe zu verabschieden: Nach knapp acht Jahren       vicefunktionen für alle Referate: Ich bin sicher, dass
als Leiter der Denkmalfachbehörde des Land-          das Amt strukturell und personell zukunftssicher
schaftsverbandes Westfalen-Lippe, die heute mit      die anstehenden Aufgaben der kommenden Jahre
einem erweiterten Aufgabenbereich als LWL-           angehen kann.
Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur fir-       Den positiven Entwicklungen innerhalb des Amtes
miert, werde ich zum 1. Mai 2015 nach Wiesbaden      stehen besorgniserregende Fehlentwicklungen im
wechseln, um dort als Präsident die Leitung des      Bereich der Denkmalförderung und Denkmalpoli-
hessischen Landesamts für Denkmalpflege zu über-     tik auf Landesebene gegenüber: Erodierte direkte
nehmen. In den vergangenen Jahren durfte ich die     Fördermöglichkeiten verschlechtern die Überle-
vielfältige, sehr heterogene Denkmallandschaft in    benschancen kulturell bedeutsamer Denkmäler,
Westfalen und Lippe kennenlernen – vom Tecklen-      die keine eigene wirtschaftliche Tragkraft entwi-
burger Land bis zum Siegerland, vom Westmüns-        ckeln können. Diskussionen über eine Evaluierung
terland bis zum Weserbergland rund um Höxter,        des Denkmalschutzgesetzes zielen – zumindest im
vom westfälischen Ruhrgebiet bis nach Minden-        Bereich der Baudenkmalpflege – derzeit nicht auf
Lübbecke. Bei zahlreichen Landräten, Bürgermeis-     eine Behebung vorhandener struktureller Defizite,
tern, Baudezernenten und Denkmaleigentümern          sondern offenkundig eher auf eine Schwächung
durfte ich für die Belange von Denkmalschutz und     der Position des unabhängigen und daher manch-
Denkmalpflege werben – mal mit mehr, mal mit         mal auch unbequemen Fachamtes: Ich wünsche
weniger Erfolg für die Denkmäler vor Ort.            meiner Nachfolgerin, meinem Nachfolger, dass sich
Die Aufgaben der LWL-Denkmalpflege, Land-            das Land wieder an die Erfolge und Stärken der
schafts- und Baukultur werden wahrgenommen           Denkmalpolitik der 1980er- und frühen 1990er-
von einem interdisziplinär besetzten Team von        Jahre in NRW erinnert und die Potentiale von
Kolleginnen und Kollegen, die mit hoher fachli-      Denkmälern für die städtebauliche Entwicklung
cher Kompetenz, Ideenreichtum und intrinsischer      gerade wirtschaftlich schwieriger Regionen nutzt.
Motivation denkmalkundliche Beiträge erarbei-        Mir wird meine Dienstzeit beim Landschaftsver-
ten, kreative Vorschläge für substanzbewahrende      band Westfalen-Lippe als eine beruflich intensive
Nutzungen von Baudenkmälern einbringen, für          und herausfordernde, menschlich und fachlich
baukulturelle Belange werben, rechtliche Hin-        bereichernde Zeit in Erinnerung bleiben. Ich freue
weise geben und fachlich die Entwicklung von Kul-    mich darauf, dass mich die in dieser Zeit entstande-
turlandschaften begleiten. Die Qualität der Arbeit   nen Freundschaften und beruflichen Kontakte im-
eines Fachamtes steht und fällt mit der Kompetenz    mer wieder nach Westfalen-Lippe führen werden.
seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Ich bin
froh und glücklich darüber, dass es in den letzten
Jahren gelungen ist, den Generationswechsel ins-
besondere in den Bereichen der Praktischen Denk-
malpflege und der Restaurierung konstruktiv zu
gestalten und junge, hochqualifizierte Kollegin-
nen und Kollegen an die Seite bewährt-kompeten-      Dr. Markus Harzenetter, Landeskonservator
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
4

Dimitrij Davydov

Frustra legis auxilium quaerit qui in
legem commitit?
Zu den Folgen rechtswidrigen Verhaltens im Denkmalrecht
Die auf das römische Recht zurückgehende Regel „Frustra legis auxilium quaerit qui in legem
commitit“1 sollte einer missbräuchlichen Rechtsanwendung einen Riegel vorschieben. Ihr lag
der nachvollziehbare Gedanke zugrunde, dass niemand aus einem gesetzeswidrigen Verhal-
ten einen Vorteil schöpfen sollte. In der Praxis der öffentlichen Verwaltung – auch im Bereich
des Denkmalschutzes – ist jedoch nicht selten das Gegenteil der Fall: Derjenige, der die vor-
geschriebenen Verfahren umgeht oder die gesetzlichen Verpflichtungen missachtet, erlangt
im Ergebnis eine Rechtsposition, die einem rechtstreuen Bürger bei strikter Gesetzesanwen-
dung verwehrt gewesen wäre. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen bieten, jedenfalls
bei vordergründiger Betrachtung, kaum Instrumente zur Abwehr rechtsmissbräuchlichen Ver-
haltens. Es darf jedoch der Sinn und Zweck der denkmalrechtlichen Bestimmungen – der
Pflichten und der Rechte gleichermaßen – nicht aus den Augen verloren werden.

Erlaubnisverfahren                                      Abs. 1 Satz 1 BauO NRW) enthält lediglich die all-
Dass die Einzelfallgerechtigkeit in der Verwal-         gemeine Aussage, dass die Errichtung, die Ände-
tungspraxis der Denkmalbehörden mitunter an             rung, die Nutzungsänderung und der Abbruch
ihre Grenzen stößt, demonstriert der Umgang der         baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Ein-
Denkmalbehörden mit den Verstößen gegen die             richtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bau-
denkmalrechtliche Erlaubnispflicht. Die verbrei-        genehmigung bedürfen, ohne dass daraus der
tete Vorgehensweise, die denkmalrechtliche Er-          Zeitpunkt der behördlichen Prüfung – vor Beginn
laubnis auch noch nach der Ausführung des er-           der Baumaßnahme – zwingend abzuleiten wäre.
laubnispflichtigen Bauvorhabens zu erteilen, wird       Erst aus § 75 Abs. 5 BauO NRW ergibt sich, dass mit
kaum kritisch reflektiert. Dabei ist die Nachholung     der Bauausführung vor Zugang der Baugenehmi-
des Erlaubnisverfahrens nicht nur rechtspolitisch –     gung nicht begonnen werden darf. Der Wortlaut
wegen der damit scheinbar suggerierten Beliebig-        des Denkmalschutzgesetzes ist eindeutiger: Ge-
keit des Zeitpunkts der denkmalfachlichen Beurtei-      mäß § 9 Abs. 1a DSchG NRW bedarf der Erlaubnis
lung – zweifelhaft, sondern es fehlt auch an greif-     der Unteren Denkmalbehörde, wer Denkmäler ver-
baren Anhaltspunkten für ihre rechtsdogmatische         ändern oder beseitigen, ihre Nutzung ändern oder
Begründung.                                             sie an einen anderen Ort verbringen „will“. Ge-
Im Bauordnungsrecht ist die nachträgliche Billi-        genstand der denkmalrechtlichen Prüfung ist so-
gung (Legalisierung) von Schwarzbauten gängige          mit stets eine geplante, in der Zukunft liegende
Praxis. Zwar dient die Baugenehmigung grund-            Maßnahme und nicht eine bereits ausgeführte.
sätzlich dazu, die Rechtmäßigkeit des Bauvorha-         Ob das Denkmalschutzgesetz nicht dennoch die
bens vorab zu prüfen.2 Stellt sich jedoch im Nach-      Möglichkeit einer nachträglichen Erlaubnisertei-
hinein heraus, dass einem ohne Genehmigung aus-         lung eröffnet, hängt mit der Funktion des in
geführten genehmigungspflichtigen Bauvorhaben           § 9 DSchG NRW verankerten präventiven Besei-
öffentlich-rechtliche – insbesondere bauplanungs-       tigungs- und Veränderungsverbots zusammen.
und bauordnungsrechtliche – Vorschriften nicht          Diese besteht darin, die beabsichtigten Maßnah-
entgegenstehen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW), be-       men gerade einer vorherigen Denkmalverträglich-
steht kein Grund, dem Bauherrn eine verbindliche        keitsprüfung zu unterziehen5 und gegebenenfalls
Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit        im Wege von Nebenbestimmungen sicherzustel-
den Bauvorschriften zu verweigern.3 Die rechtmä-        len, dass den Zielen der Denkmalpflege Rechnung
ßigen Zustände werden dann durch die Nachho-            getragen wird. Denn nur auf diese Weise können
lung der unterbliebenen Verfahrensschritte herge-       Änderungswünsche des Bauherrn rechtzeitig, also
stellt.4 Diese Vorgehensweise auf die Fälle der ille-   vor der ggf. drohenden Vernichtung historischer
galen Ausführung von erlaubnispflichtigen Maß-          Bausubstanz, in fachlich einwandfreier Weise ge-
nahmen im Denkmalrecht zu übertragen, liegt             steuert werden.6 Die Denkmalbehörde soll sich
zunächst nicht fern. Bei näherer Betrachtung er-        vorab den Eindruck verschaffen können, so dass sie
geben sich jedoch Zweifel an der Vergleichbarkeit       in die Lage versetzt wird, zu entscheiden, ob die
des bauordnungsrechtlichen Genehmigungsvorbe-           begehrte Maßnahme ohne jede Einschränkung
halts mit seiner denkmalrechtlichen Parallelvor-        oder mit Nebenbestimmungen oder aber über-
schrift.                                                haupt nicht zugelassen werden kann. So stellt das
Bestimmte Nuancen lassen sich bereits auf der           Amtsgericht Düsseldorf zutreffend fest, eine An-
Ebene des Gesetzeswortlauts feststellen. Der bau-       zeige an die Untere Denkmalbehörde mit dem Ziel
ordnungsrechtliche Genehmigungstatbestand (§ 63         der nachträglichen Genehmigung macht keinen
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
5

Sinn mehr, wenn eine Veränderung oder gar Be-           derjenige, der ein Bau- oder Bodendenkmal zer-
seitigung des Denkmals bereits stattgefunden            stören oder beschädigen will, vorab die notwendi-
hat.7                                                   gen wissenschaftlichen Untersuchungen, etwa
Ein weiterer Unterschied zwischen dem baurechtli-       eine archäologische Rettungsgrabung oder eine
chen Genehmigungsverfahren und dem denkmal-             bauhistorische Befunddokumentation, auf eigene
rechtlichen Erlaubnisverfahren betrifft das Prüf-       Kosten sicherstellen muss. Dem Verursacherprinzip
programm der jeweils zuständigen Behörde. Prü-          liegt offensichtlich der Kompensationsgedanke zu-
fungsgegenstand der für die Erteilung der Bauge-        grunde: Wenn der Begünstigte einer denkmal-
nehmigung zuständigen Bauaufsichtsbehörde sind          rechtlichen Erlaubnis, die eine Zerstörung oder Be-
Umstände, die typischerweise selbst nach der Aus-       schädigung eines Denkmals gestattet, dem kultu-
führung der Baumaßnahme feststellbar sind. So           rellen Erbe einen Schaden zufügt, ist er zumindest
lässt sich regelmäßig auch noch nachträglich er-        mitverantwortlich für die Bewahrung dessen, was
mitteln, ob z. B. ein Neubau mit den Festsetzungen      durch die Baumaßnahmen in Mitleidenschaft ge-
eines qualifizierten Bebauungsplans im Einklang         zogen wird.9 Führt der Eigentümer oder Besitzer
steht (§ 31 Abs. 1 BauGB) oder sich in die Eigenart     eines Denkmals einen erlaubnispflichtigen Eingriff
der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 Satz 1        aus, ohne die Erlaubnis eingeholt zu haben, nimmt
BauGB), ob die vorgeschriebenen Abstandsflächen         er der Unteren Denkmalbehörde und dem Denk-
(§ 6 BauO NRW) oder Mindestraumhöhen (§ 48              malpflegeamt des Landschaftsverbandes dadurch
Abs. 1 BauO NRW) eingehalten werden usw. Dem-           die Möglichkeit, vor Beginn der Maßnahme zu ent-
gegenüber ergibt sich für das Prüfprogramm der          scheiden, ob und in welchem Umfang vorherige
Denkmalbehörden im denkmalrechtlichen Erlaub-           oder maßnahmenbegleitende bauhistorische oder
nisverfahren ein anderes Bild. Die hier gebotene        archäologische Untersuchungen erforderlich sind.
Abwägung zwischen den Belangen des Denkmal-             Das Anliegen des Gesetzgebers, den Verursacher
schutzes und den gegenläufigen privaten und öf-         des Eingriffs wenigstens für die Sicherung des
fentlichen Interessen setzt stets eine einzelfallbe-    Denkmals als Sekundärquelle in Anspruch zu neh-
zogene Ermittlung und Gewichtung der konkret            men, wird damit vereitelt.
betroffenen Interessen voraus. Die Spezifik der im      Die Übertragung der baurechtlichen Praxis der
Denkmalrecht entscheidungsrelevanten Umstände           nachträglichen Legalisierung von Schwarzbauten
besteht indes darin, dass sie vielfach im Nachhinein    auf das denkmalrechtliche Erlaubnisverfahren ist
nicht mehr ermittelt werden können. Denn je nach        nach alledem geeignet, den rechtswidrig agieren-
geplantem Eingriff kann die Bewertung seiner            den Bauherrn gegenüber dem rechtstreuen Bürger
Schwere und Tragweite z. B. bauarchäologische           zu bevorzugen, da sie die Möglichkeit eröffnet, die
Voruntersuchungen erforderlich machen, in deren         erlaubnispflichtige Maßnahme entweder über-
Rahmen der Zeugniswert des Denkmals erst hinrei-        haupt oder jedenfalls erheblich schneller und un-
chend präzisiert wird. Für die Abwägung relevant        ter Umgehung von aufwändigen Nebenbestim-
kann auch der Erhaltungszustand der denkmal-            mungen zu realisieren. Die nachträgliche Erlaubnis-
werten Substanz sein: Ist diese abgängig und nicht      erteilung entfaltet zugleich eine negative Vorbild-
mehr zu retten, kann dem Wunsch nach Substanz-          wirkung, die durch die in § 41 DSchG NRW einge-
erneuerung aus denkmalfachlicher Sicht nichts           räumte Möglichkeit, Verstöße gegen die Verfah-
entgegengesetzt werden; andernfalls gilt der Vor-       renspflicht mit einem Bußgeld zu ahnden, erfah-
rang der Substanzerhaltung. Gerade im Abbruch-          rungsgemäß nicht eingedämmt wird. Es kann da-
verfahren führt die Feststellung, dass ein Denkmal      mit im Ergebnis schwerlich davon die Rede sein,
in seiner Gesamtheit – oder zumindest hinsichtlich      dass durch Nachholung des Erlaubnisverfahrens
seiner charakteristischen, den Zeugniswert konsti-      rechtmäßige Zustände hergestellt werden.10
tuierenden Merkmale – technisch nicht mehr in-
standgesetzt werden kann, so dass am Ende einer         Zumutbarkeitsprüfung
Sanierung des Denkmals ein Nachbau entstünde,           Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Be-
zur Erlaubnisfähigkeit des Abbruchs.8 Dass dem so       schränkung der Belastung des Denkmaleigen-
ist, muss der Antragsteller im Rahmen des ord-          tümers auf ein erträgliches Maß durchziehen – zu
nungsgemäßen – also vorherigen – Erlaubnisver-          Recht – wie ein roter Faden das gesamte Denkmal-
fahrens grundsätzlich selbst darlegen und gegebe-       recht und begrenzen die Eingriffsbefugnisse der
nenfalls beweisen. Aus der nachträglichen Per-          Denkmalbehörden. So folgt beispielsweise aus § 7
spektive lässt sich allerdings nicht mehr mit Sicher-   Abs. 1 DSchG NRW, dass dem Denkmaleigentümer
heit feststellen, ob die bereits beseitigte Substanz    keine Instandsetzungs- oder Instandhaltungsarbei-
zum Zeitpunkt des Eingriffs erhaltungsfähig war         ten abverlangt werden können, die ihm nicht zu-
oder nicht.                                             mutbar sind.11 Diese rechtstaatlich gebotenen In-
Einen wesentlichen Unterschied zwischen dem             strumente zur Herstellung einer Balance zwischen
bauordnungsrechtlichen Genehmigungs- und dem            dem Interesse der Öffentlichkeit an der Erhaltung
denkmalrechtlichen Erlaubnisvorbehalt macht             des kulturellen Erbes und den berechtigten Anlie-
schließlich das in § 29 Abs. 1 DSchG NRW ausdrück-      gen des Denkmaleigentümers erweisen sich jedoch
lich verankerte Verursacherprinzip aus, wonach          bei näherer Betrachtung als missbrauchsanfällig.
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
6

Als eine Achillesferse stellt sich dabei das etablierte   mit hatte der Kläger mit seiner Argumentation, die
Schema für die Ermittlung der wirtschaftlichen Zu-        Erhaltung der Kapelle sei aus ihren Erträgen nicht
mutbarkeit dar, das einerseits im Zusammenhang            finanzierbar, im Ergebnis keinen Erfolg.
mit dem Erlass von Erhaltungsanordnungen der              Fraglich ist allerdings, ob die Argumentation des
Denkmalbehörden (§ 7 Abs. 2 DSchG NRW), ande-             Bundesverfassungsgerichts auch auf weitere Fälle
rerseits im Zusammenhang mit der Bescheidung              der bewussten und zielgerichteten Herbeiführung
von Erlaubnisanträgen eingriffswilliger Denkmal-          der Ertragslosigkeit übertragbar ist, also beispiels-
eigentümer (§ 9 Abs. 1 a DSchG NRW) angewandt             weise auf den Fall der eigentumsrechtlichen Auf-
wird. Die Rechtsprechung geht nämlich davon aus,          spaltung einer wirtschaftlichen Gesamtheit, die –
dass die Zumutbarkeit der wirtschaftlichen Belas-         anders als im „Schlosskapellenfall“ – nicht insge-
tung des Denkmaleigentümers nicht subjektiv,              samt unter Denkmalschutz steht. Wendet man die
etwa anhand seiner wirtschaftlichen Verhältnisse,         Rechtsfigur des „dem Denkmalschutz aufgeschlos-
sondern objektiv-objektbezogen, anhand der Er-            senen Eigentümers“ konsequent an, müsste jeder
träge und des Gebrauchswertes des konkreten               Versuch, die Ertragschancen eines Denkmals, etwa
Denkmalobjekts ermittelt werden muss.12 Auf den           durch Ausparzellierung von Baugrundstücken, zu
Punkt gebracht, lautet die Forderung, ein Denkmal         minimieren, als rechtsmissbräuchlich betrachtet
müsse sich auf Dauer „selbst tragen“, damit seine         werden. Die Konsequenz wäre dann, dass die Ein-
Erhaltung zumutbar ist.13 Dabei zeichnet sich aller-      nahmen aus der Grundstücksveräußerung nicht
dings die Gefahr ab, dass einem störenden Denk-           mehr als „sonstiges Vermögen“ des Denkmal-
mal sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der            eigentümers angesehen werden dürften, sondern
Ausgabenseite zur „Untragbarkeit“ verholfen               auf der Ertragsseite dem Denkmal zugerechnet
werden kann.                                              werden müssten.
Bei der Ermittlung der Einnahmen ist es grundsätz-        Bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Belastung
lich sachgerecht, das Ertragspotential des gesam-         werden nach gefestigter Rechtsprechung sämtli-
ten im Eigentum des Betroffenen stehenden                 che laufenden und einmaligen Kosten, die für das
Grundstücks in den Blick zu nehmen; dies ist mitt-        Objekt anfallen, berücksichtigt.17 Geht es dabei um
lerweile auch in der Rechtsprechung anerkannt.14          Aufwendungen, die notwendig sind, um das Denk-
Diese Anforderung wird jedoch in der Praxis teil-         mal in einen gebrauchsfähigen Zustand zu verset-
weise durch die – denkmalrechtlich grundsätzlich          zen, insbesondere um Kosten der Beseitigung von
erlaubnisfreie – Grundstücksteilung unterlaufen,          Substanzschäden, stellt sich die Frage, inwieweit
indem Denkmalgrundstücke geschaffen werden,               eine vorsätzliche oder zumindest fahrlässige Ver-
die weitgehend auf die Grundfläche des Denkmals           nachlässigung der Denkmalsubstanz dem nicht er-
reduziert und deshalb einer wirtschaftlichen Ver-         haltungswilligen Eigentümer zugutekommen
wertung kaum noch zugänglich sind. Das Bundes-            kann. Im Zusammenhang mit den Erhaltungsan-
verfassungsgericht hat der bewussten Reduzie-             ordnungen der Denkmalbehörden (§ 7 Abs. 2
rung von Denkmalgrundstücken in seiner „Schloss-          DSchG NRW) ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 3 DSchG
kapellenentscheidung“, bei der es um die Zumut-           NRW, dass Denkmaleigentümer und sonstige Nut-
barkeit der Erhaltung einer aus einer denkmalge-          zungsberechtigte sich auf solche Belastungen
schützten Gesamtanlage durch Grundstückstei-              durch erhöhte Erhaltungskosten nicht berufen
lung „herausgeschnittenen“ Schlosskapelle ging,           können, die dadurch verursacht worden sind, „dass
einen Riegel vorgeschoben.15 Dabei verwies es auf         Erhaltungsmaßnahmen entgegen dem DSchG oder
seine bisherige Rechtsprechung zum Verhältnis             entgegen anderen öffentlich-rechtlichen Bestim-
von Denkmalschutz und Eigentumsfreiheit: Die Er-          mungen unterblieben sind.“ Damit ist sicherge-
haltung des Denkmals sei dem Betroffenen erst             stellt, dass die Zumutbarkeitsschwelle in Fällen des
dann nicht zumutbar, wenn selbst aus der Sicht ei-        § 7 Abs. 2 DSchG sich zu Lasten des Denkmaleigen-
nes dem Denkmalschutz gegenüber aufgeschlosse-            tümers verschiebt, wenn der Instandsetzungsbe-
nen Denkmaleigentümers keine wirtschaftlich               darf des Denkmals auf den gesetzwidrig unterlas-
sinnvolle Nutzungsmöglichkeit mehr bestehe und            senen Bauunterhalt zurückzuführen ist.18
das Denkmal auch praktisch nicht zu veräußern             Den in § 7 Abs. 1 Satz 3 DSchG NRW zum Ausdruck
sei.16 Im „Schlosskapellenfall“ gab gerade die vom        kommenden Rechtsgedanken überträgt die Recht-
Bundesverfassungsgericht verwendete Rechtsfigur           sprechung auf das denkmalrechtliche Erlaubnisver-
des „dem Denkmalschutz aufgeschlossenen Eigen-            fahren, indem wirtschaftlichen Belastungen, die
tümers“ den Ausschlag. So führte das Gericht aus,         aus vorausgegangenen Verletzungen denkmal-
ein dem Denkmalschutz aufgeschlossener Eigentü-           rechtlicher Pflichten resultieren, im Rahmen der
mer würde eine unter Denkmalschutz gestellte Ge-          hier gebotenen Interessenabwägung die Anerken-
samtanlage nicht zu dem Zweck, die Voraussetzun-          nung versagt wird.19 Zur Begründung führt das
gen der vermeintlichen Unzumutbarkeit der Erhal-          OVG NRW aus, der Eigentümer eines Denkmals
tung eines Teils des Denkmals zu schaffen, eigen-         könnte sonst „bei hinreichend langer Vernachlässi-
tumsrechtlich aufspalten; eine dem Denkmal-               gung des Denkmals regelmäßig die teilweise oder
schutz aufgeschlossene Person würde eine derar-           völlige Aufgabe des Denkmalschutzes erzwingen.“
tige Eigentumsposition auch nicht erwerben. Da-           Da das OVG NRW in diesem Zusammenhang neben
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
7

§ 7 Abs. 1 Satz 3 DSchG NRW stets auch § 27 DSchG        von Amts wegen und nicht etwa auf Antrag des
NRW zitiert, ist anzunehmen, dass nicht nur eine         Betroffenen vorsieht, wird ein Antragsrecht und,
passive Vernachlässigung der Denkmalsubstanz,            damit einhergehend, ein einklagbarer Anspruch
sondern – erst Recht – ihre aktive Schädigung zur        des Denkmaleigentümers auf Löschung der Eintra-
partiellen oder vollständigen Aberkennung der da-        gung analog § 3 Abs. 4 DSchG grundsätzlich aner-
raus erwachsenden Kosten im Rahmen der Zumut-            kannt. Denn eine Gesetzesauslegung, die einen
barkeitsprüfung führen muss.                             solchen Anspruch verneinen würde, würde den Ei-
Die Verantwortung des Denkmaleigentümers für             gentümer in unverhältnismäßiger Weise in An-
die Höhe des Erhaltungsaufwands kann unter Um-           spruch nehmen, ohne dass dies auch weiterhin
ständen durch weitere subjektive Faktoren, etwa          durch das die Eintragung begründende besondere
ein Fehlverhalten des Betroffenen beim Erwerb            öffentliche Interesse gerechtfertigt wäre.23
des Denkmals, verschärft werden. Denn das Bun-           Zweifelhaft ist jedoch, ob der Eigentümer eines be-
desverfassungsgericht geht davon aus, dass bei der       schädigten und vermeintlich abgängigen Denk-
Beurteilung dessen, was dem Denkmaleigentümer            mals durch die Fortdauer der Unterschutzstellung
im Interesse des Gemeinwohls zugemutet werden            auch dann unverhältnismäßig belastet ist, wenn er
kann, auch maßgeblich ist, ob er die entspre-            die Umstände, die seiner Auffassung nach zum
chende Belastung oder zumindest das Risiko einer         Untergang der Denkmaleigenschaft geführt ha-
solchen Belastung beim Grundstückserwerb ge-             ben, selbst zu verantworten hat, also das Denkmal
kannt hat.20 Daraus ergeben sich nach der Auffas-        mutwillig beschädigt hat oder sehenden Auges hat
sung des VG Köln über die ansonsten angezeigte           verfallen lassen. Das OVG NRW hat im Jahre 2007
Kürzung der geltend gemachten Erhaltungsauf-             die Grenzen der analogen Anwendung des § 3
wendungen hinausgehende Konsequenzen: Wird               Abs. 4 DSchG NRW aufgezeigt: Ein Anspruch auf
ein bestimmungsgemäß genutztes Denkmal in                Löschung der Eintragung sei dann ausgeschlossen,
Kenntnis der Denkmaleigenschaft und seiner ge-           wenn Veränderungen, auf die sich der Betroffene
gebenen Sanierungsbedürftigkeit günstig mit der          beruft, durch Verstöße gegen die Erhaltungspflicht
offenkundigen Absicht erworben, es nicht zu er-          (§ 7 Abs. 1 Satz 1 DSchG) oder das Veränderungs-
halten, sondern das Grundstück bestmöglich zu            verbot (§ 9 Abs. 1 DSchG) eingetreten sind.24 Auch
verwerten und wird das Denkmal anschließend              in dieser Einschränkung kommt die bereits ange-
über Jahre hinweg dem Verfall anheim gegeben,            sprochene Erwägung zum Ausdruck, dass es dem
lässt sich mit dem üblichen Prüfungsschema kein          Denkmaleigentümer verwehrt sein muss, durch ge-
sachgerechtes Ergebnis erzielen. In einem derarti-       zielte Vernichtung oder auch nur durch hinrei-
gen Fall kann sich der Eigentümer nach Auffassung        chend lange Vernachlässigung des Denkmals die
des Gerichts grundsätzlich nicht darauf berufen,         Zurücknahme oder völlige Aufgabe des Denkmal-
dass die Erhaltungs- und Unterhaltungskosten des         schutzes zu erzwingen. Man könnte zwar einwen-
Denkmals aus den erzielbaren Erträgen nicht ge-          den, beim § 3 Abs. 1 DSchG NRW handele es sich
deckt werden könnten.21                                  nicht um eine Sanktionsnorm, die sicherstellen soll,
Damit zeigt sich, dass die objektiv-objektbezogene       dass ein untergegangenes Denkmal weiterhin
Zumutbarkeitsprüfung – zur Vermeidung von evi-           rechtlich als existierend behandelt werden soll. Al-
dent ungerechten, den Rechtsmissbrauch begüns-           lerdings geht es hier auch nicht um eine Verschie-
tigenden Ergebnissen – in unterschiedlichen Fällen       bung der behördlichen Beurteilungsmaßstäbe im
einer Korrektur bedarf.22                                Löschungsverfahren, sondern um eine Einschrän-
                                                         kung der subjektiven Rechtsposition, mit der Kon-
Untergang der Denkmaleigenschaft                         sequenz, dass die Löschung nicht einklagbar sein
Außerhalb der Zumutbarkeitsprüfung taucht die            soll, wenn die Denkmalbehörden zum Ergebnis ge-
Frage nach den Folgen vorausgegangener Rechts-           langen, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4
verstöße auch im Zusammenhang mit dem Fortfall           DSchG nicht vorliegen.
der Denkmaleigenschaft auf. Generell gilt, dass die      Wenn die vorausgegangene aktive oder passive
den Denkmalwert begründende Bedeutung eines              Substanzschädigung im Rahmen des Löschungsver-
Objekts entfällt, wenn die Originalsubstanz zer-         fahrens zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt
stört oder so stark verändert ist, dass daran die his-   werden muss, leuchtet nicht ein, dass dieses Ver-
torischen Ereignisse, Entwicklungen oder Zusam-          halten im Rahmen des denkmalrechtlichen Erlaub-
menhänge, für die das Denkmal Zeugnis abgelegt           nisverfahrens folgenlos bleiben soll. Dennoch hat
hat, selbst für einen fachkundigen Betrachter nicht      das OVG NRW in einem Abbruchverfahren im
mehr ablesbar sind. In diesem Fall muss der Unter-       Jahre 200925 den Anspruch auf die Beseitigung ei-
schutzstellungsakt rückgängig gemacht werden:            nes sanierungsbedürftigen Fachwerkhauses mit
Bei einer vorläufigen Unterschutzstellung ist die        der Erwägung bestätigt, die Sanierung des Objekts
Unterschutzstellungsanordnung von Amts wegen             würde faktisch zur Herstellung eines Neubaus füh-
aufzuheben, bei einer endgültigen Unterschutz-           ren und damit die Denkmaleigenschaft entfallen
stellung die Eintragung in die Denkmalliste von          lassen. Den Einwand der Denkmalbehörde, den
Amts wegen zu löschen (§ 3 Abs. 4 DSchG NRW).            schlechten bautechnischen Zustand habe der Klä-
Obwohl das Gesetz eine Löschung der Eintragung           ger selbst zu verantworten, hat das Gericht dabei
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster Die ehemalige "Polizeiunterkunft Staatsminister ...
8

nicht gelten lassen: Es sei fraglich, ob der Rechts-   Bau- und Bodendenkmälern und sonstigen Be-
gedanke des § 7 Abs. 1 Satz 3 DSchG NRW, wonach        standteilen des kulturellen Erbes gerichtet sind.
sich ein Eigentümer nicht auf die dem öffentlichen     Die Wirksamkeit dieser Regelungen hängt nicht al-
Recht widersprechende Unterlassung von Erhal-          lein von der Bereitschaft der Vollzugsbehörden ab,
tungsarbeiten berufen kann, im Zusammenhang            gegen erst drohende Gefahren einzuschreiten,
überhaupt anwendbar ist. Aus § 27 Abs. 2 DSchG         sondern letztlich auch von ihrer Intoleranz gegen-
NRW folge nämlich, dass nur bei widerrechtlicher       über schon eingetretenen Schäden.
und schuldhafter Beschädigung und Zerstörung ei-
nes Denkmals die Wiederherstellung ungeachtet          Anmerkungen
des Umstandes gefordert werden könne, dass die         1 Wörtlich: „Vergebens sucht die Hilfe des Gesetzes, wer
Denkmalaussage mit dem Denkmal untergegan-             selbst gegen das Gesetz verstößt“, s. Detlef Liebs (Hg.),
gen sei. Mit dieser Argumentation setzt sich das       Lateinische Rechtsregeln und Sprichwörter, 7. Aufl. 2007,
OVG freilich über seine eigene, im Zusammenhang        S. 88.
mit § 9 mit der Zumutbarkeitsprüfung angestellte       2 Es entspricht dem Wesen einer Genehmigung/Erlaub-
Erwägung hinweg, es könne nicht zugelassen wer-        nis, dass die behördliche Kontrolle vor Beginn der verfah-
den, dass eine hinreichend lange Vernachlässigung      renspflichtigen Maßnahme erfolgen muss. Andernfalls
des Denkmals Früchte trägt. Denn aus der Sicht des     hätte es der Gesetzgeber bei einer bloßen Anzeige be-
abbruchwilligen Eigentümers ist es gleich, ob er       wenden lassen können.
das pflichtwidrig vernachlässigte Denkmal nun un-      3 Vgl. OVG NRW, Urteil v. 18. 10. 2011 – 10 A 26/09 –
ter Berufung auf die vermeintlich fehlende Zumut-      NRWE.
barkeit der Erhaltungskosten oder unter Berufung       4 Vgl. Christian-W. Otto, in: Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öf-
auf die vermeintlich fehlende Instandsetzungsfä-       fentliches Baurecht, Band II, 6. Aufl. München 2010, S. 173.
higkeit des Objekts beseitigen kann.                   5 Vgl. Dimitrij Davydov, Die Denkmalverträglichkeits-
                                                       prüfung, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1/2012,
Schlussbetrachtung                                     S. 20 ff.
Die Analyse der aktuellen Verwaltungspraxis zeigt,     6 OVG NRW, Beschluss v. 7. 11. 2005 – 10 B 1858/05 – EzD
dass längst nicht immer derjenige, der gegen das       2.2.6.2 Nr. 41
Denkmalschutzgesetz verstößt, deshalb Einbußen         7 AG Düsseldorf, Urteil v. 28. 9. 1989 – 301 OWi/912 Js
in der rechtlichen Durchsetzung seiner Interessen      308/88 – EzD 2.2.8 Nr.12.
befürchten muss. Damit bleiben sowohl die wün-         8 Vgl. OVG NRW, Beschluss v. 31. 5. 2012 – 2 A 931/11 –
schenswerte Einzelfallgerechtigkeit als auch die       NRWE.
rechtsstaatlich gebotene Gleichbehandlung bis-         9 So BayVGH, Urteil v. 4. 6. 2003 – 26 B 00.3684 – EzD 2.3.5
weilen auf der Strecke. Gleichwohl kann man aus        Nr. 3 mit Anmerkung von Dieter J. Martin; ebenso OVG
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-            LSA, Urteil v. 16. 6. 2010 – 2 L 292/08 – EzD 2.3.4 Nr. 13.
richts zum Eigentumsgrundrecht Anhaltspunkte           10 Aus der Unzulässigkeit einer nachträglichen Erlaubnis-
für eine angemessene Berücksichtigung vorausge-        erteilung folgt allerdings nicht, dass die Untere Denkmal-
gangenen Fehlverhaltens im denkmalrechtlichen          behörde in Zweifelsfällen immer die Wiederherstellung
Verfahren entnehmen. Insbesondere die vom Bun-         des vorherigen Zustandes (§ 27 Abs. 1 DSchG NRW) for-
desverfassungsgericht verwendete und mittler-          dern muss. Bei der Entscheidung gem. § 27 Abs. 1 DSchG
weile auch von den Obergerichten übernommene           NRW handelt es sich vielmehr um eine Ermessensent-
Rechtsfigur eines als Leitbild gedachten „dem          scheidung. Der Unteren Denkmalbehörde bleibt es im
Denkmalschutz aufgeschlossenen Eigentümers“            Rahmen der Ermessensausübung unbenommen, den her-
lässt sich zur Vermeidung eines die Sozialbindung      beigeführten Zustand zu dulden. Zwar wird dadurch ein
des Eigentums aushebelnden, missbräuchlichen           Rechtsstatus herbeigeführt, der den Wirkungen einer
Umgangs mit dem kulturellen Erbe fruchtbar ma-         denkmalrechtlichen Erlaubnis nahe kommt. Gleichwohl
chen. Im Übrigen dürfen im Verwaltungsvollzug          würde eine lediglich geduldete Maßnahme im Gegensatz
der – auch im öffentlichen Recht anwendbare26 –        zu einer erlaubten keine Vorbildwirkung entfalten und
Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)27 und       bei künftigen Erlaubnisverfahren nicht als Bezugsfall her-
das mit diesem Grundsatz verbundene Rechtsinsti-       angezogen werden können.
tut der Verwirkung28 nicht aus den Augen verloren      11 Vgl. OVG NRW, Beschluss v. 22. 8. 2007 – 10 A 3453/
werden: Wer die in § 1 Abs. 1 Satz 1 DSchG NRW         06 – NRWE.
niedergelegten Ziele des Denkmalschutzes in vor-       12 Vgl. OVG LSA, Beschluss v. 29. 1. 2008 – 2 M 358/07 –
werfbarer Weise unterläuft und die Denkmalbe-          LKV 2008 S. 418; BayVGH, Urteil v. 27. 9. 2007 – 1 B 00.2474
hörden vor vollendete Tatsachen stellt, kann nicht     – juris.
erwarten, die ihm nach dem Denkmalschutzgesetz         13 Vgl. OVG NRW, Urteil v. 13. 9. 2013 – 10 A 1069/12 –
gegenüber der öffentlichen Hand zustehenden            NRWE.
Rechte voll ausschöpfen zu können.                     14 Vgl. OVG LSA, Urteil v. 15. 12. 2011 – 2 L 152/06 – juris;
Denkmalschutzrecht ist in erster Linie Gefahrenab-     BayVGH, Urteil v. 27. 1. 2010 – 2 B 09.250 – juris; OVG Nds.,
wehrrecht. Seinen Kernbereich machen deshalb           Urteil v. 24. 3. 2003 – 1 L 601/97 – EzD 2.2.6.3 Nr. 7: Das Ge-
hoheitliche Gebote und Verbote aus, die an Eigen-      richt betrachtete das 5.649 m² große Grundstück mit der
tümer und sonstige Verfügungsberechtigte von           1909 errichteten Villa als einen einheitlichen Vermögens-
9

gegenstand. Deshalb hielt das Gericht es für sachgerecht,         18. 10. 2010 – 1 B 06.63 – juris).
den Eigentümern anheimzustellen, dass sie Teile des               19 Vgl. OVG NRW Urteil v. 4. 5. 2009 – 10 A 699/07 – BRS
Grundstücks „zum Vorteil des Denkmals“ als Bauland ein-           74 Nr. 216 = NRWE.
setzen.                                                           20 BVerfG, Beschluss vom 14. 4. 2010, wie Anm. 15; zum
15 BVerfG, Beschluss v. 14. 4. 2010 – 1 BvR 2140/08 – EzD         Problem „Abbruchfall nach Schnäppchenkauf“ s. a. OVG
1.1 Nr. 24 mit Anmerkung von Jörg Spennemann.                     RP, Urteil v. 2. 12. 2009 – 1 A 10547/09 – EzD 2.2.6.1 Nr. 37
16 BVerfG, Beschluss v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 7/91 – EzD 1.1         mit Anmerkung von Jan Nikolaus Viebrock.
Nr. 7 mit Anmerkung von Dieter J. Martin.                         21 VG Köln, Urteil v. 30. 6. 2006 – 4 K 5206/05 – NRWE.
17 Vgl. OVG NRW, Urteil v. 13. 9. 2013 – 10 A 1069/12 –           22 Vgl. Dieter J. Martin, Abbruch – Zu einem zentralen
NRWE.                                                             Thema des Denkmalschutzes, in: NVwZ 2014, S. 26 f.; auch
18 Vgl. VG Düsseldorf, Urteil v. 14. 11. 2013 – 9 K 1024/13       Jörg Spennemann spricht von einem „objektbezogenen
– NRWE. Teilweise wird einschränkend argumentiert,                Maßstab mit subjektiven Einschlägen“, in: Spennemann/
nicht jede Nachlässigkeit des Denkmaleigentümers führe            Martin/Mieth, Die Zumutbarkeit im Denkmalrecht. Eigen-
zu einer Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze, sondern            tumsgrundrecht und Denkmalschutz in der Praxis. Stutt-
nur solche Pflichtverletzungen, die schuldhaft begangen           gart 2014, S. 38.
worden sind (so Hansjörg Wurster/Torsten Hartleb in:              23 Vgl. OVG NRW, Urteil v. 26. 8. 2008 – 10 A 3250/07 – ju-
Hoppenberg/De Witt, Handbuch des Öffentlichen Bau-                ris.
rechts, 2011, Teil D, RdNr. 256). Dies setzt im Einzelfall vor-   24 Vgl. OVG NRW, Beschluss v. 12. 3. 2007 – 10 A 1544/05
aus, dass die vom Betroffenen in der Vergangenheit un-            – NRWE.
terlassenen Unterhaltungsmaßnahmen diesem auch zu-                25 OVG NRW, Urteil vom 4. 5. 2009, wie Anm. 19.
mutbar gewesen sind. Es bedarf allerdings keiner rück-            26 BVerwG, Urteil v. 22. 1. 1993 – 8 C 46.91 – juris.
wirkenden behördlichen Ermittlung der Zumutbarkeit,               27 Vgl. Dieter J. Martin in: Martin/Krautzberger, Hand-
wenn von dem Betroffenen in der Vergangenheit keine               buch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 3. Auflage.
Anstrengungen unternommen worden sind, um die Zu-                 München 2010, Teil G, RdNr. 169.
mutbarkeit herbeizuführen, insbesondere keine Förde-              28 Vgl. Joachim Sanden, Die Verwirkung im Verwal-
rung beantragt worden ist (vgl. BayVGH, Urteil vom                tungsrecht, in: VerwArch 2014, S. 467 f., 474–476.

Jost Schäfer

Zur historischen Bedeutung
des Strafgefängnisses in Münster1
Das historische Zellengefängnis in Münster entstand nach Plänen des Jahres 1843 von Carl
Ferdinand Busse (1802 –1868), eines Mitarbeiters Karl Friedrich Schinkels in der preußischen
Oberbaudeputation, für bis zu 370 Strafgefangene. Die Fertigstellung und der Bezug seines
ersten funktionsfähigen Zellenflügels mit Gefangenen kann in das Jahr 1851 datiert werden.

Entgegen der nur unwesentlich früher errichteten                  Bochum (seit 1897 in Betrieb) und Werl (ab 1906).
Anstalt in Berlin-Moabit (1842–1849), ebenfalls                   Für das Rheinland soll die Remscheider Anlage
nach den Plänen Busses, hat das Münsteraner                       (1902–1905) erwähnt werden. Daneben existierten
Strafgefängnis mit seinem panoptischen Typus und                  auch schon seit dem 19. Jahrhundert bereits neu er-
seinen charakteristischen Architekturformen die                   baute Untersuchungsgefängnisse, die hier aber
letzten 160 Jahre überlebt. Berlin-Moabit, dem von                ebenso nicht berücksichtigt werden wie z. B. zu Ge-
Anbeginn der üble Geruch eines politischen Ge-                    fängniszwecken umgenutzte Klöster in der Folge
fängnisses anhaftete, wurde bereits in den 1950er-                der Säkularisation.
Jahren niedergelegt. Damit kann Münster für sich                  Bereits 1969 verzeichnete das „Handbuch der
beanspruchen, das älteste und auch weitgehend in                  deutschen Kunstdenkmäler – Westfalen“2 das ehe-
seiner historischen Substanz erhaltene Zellenge-                  malige neue Zuchthaus Münsters – die JVA – als be-
fängnis preußischer Zeit in Deutschland zu besit-                 deutendes Denkmal des 19. Jahrhunderts. Dort
zen. Älter, wenn man ein Ranking will, ist wohl nur               heißt es in den typischen kurzen Formulierungen:
noch die „Landesstrafanstalt Bruchsal“ bei Karls-                 „Symmetrischer Gebäudekomplex aus dunkelro-
ruhe, die im Jahr 1848 in Betrieb ging, allerdings                ten Ziegeln von 1848 bis 1851 nach Plänen des
außerhalb Preußens in Baden Württemberg. Seit                     Schinkel-Mitarbeiters Carl Ferdinand Busse, Berlin.
1984 ist die Justizvollzugsanstalt Münster ein ein-               Grundform ein unregelmäßiges Fünfeck. Der kas-
getragenes Baudenkmal. (Abb. 1) In Westfalen ge-                  tellartige zinnenbekrönte Mittelbau mit Turm und
sellen sich zwei weitere, später entstandene Straf-               vier radial angeordneten Flügeln verrät wie die Ne-
gefängnisse hinzu, die gleichfalls eingetragene                   bengebäude den Einfluss der von englischer Gotik
Denkmäler sind: Es handelt sich um diejenigen in                  bestimmten historisierenden Schloßbauten Schin-
10

kels. Wohl die künstlerisch bedeutendste erhaltene      achsialer Uhrenturm. An der Straße vor der Schutz-
Architektur des 19. Jh. in Münster.“ Das Gutachten      mauer Dreiflügelbau mit zwei symmetrisch ange-
des damaligen Westfälischen Amtes für Denkmal-          ordneten, dreigeschossigen Ziegelsteinbauten mit
pflege3 ergänzt im Jahr 1984: „Wesentliche cha-         Firattürmen, dazwischen Verbindungstrakt mit
rakteristische Merkmale des Denkmals: Erhaltenes        Haupteingang … verschiedene Umbauarbeiten.
Beispiel preußischer Gefangenenanstalten … Nach         Nach 1950 Ergänzungsbauten. Das an der Nord-
dem Untergang der nach dem gleichen Muster er-          ostecke gelegene ehem. Wärterwohnhaus ist als
richteten Anlage in Berlin-Moabit und Zweifeln am       einziges erhalten.“
Erhalt der gleichzeitigen Anlage in Ratibor (Schle-     Die Luftaufnahme der Zeit um 1920 zeigt die An-
sien/Polen) ist der Baukomplex ein Werk von über-       lage an der Gartenstraße in der heute nicht mehr
regionalem Rang und daher von besonderer Be-            so vorhandenen Vollständigkeit ihrer Gebäude des
deutung für Münster … Der Architekt C. F. Busse         19. Jahrhunderts in Backstein: Bereits in die damals
war 1830 Assistent Schinkels, später Geheimer Bau-      junge städtebauliche Erweiterung der Stadt inte-
rat und seit 1837 Mitglied der das preußische Bau-      griert, richtet sich das Strafgefängnis nordwestlich
wesen steuernden Oberbaudeputation in Berlin,           aus. Deutlich erkennbar sind die beiden Kopfbau-
insbesondere zuständig für die Staatsbauten der         ten als Flanken des Eingangs, wobei im linken die
Rheinprovinz, Westfalens und Schlesiens. Er war         Wohnung des Direktors, im rechten (Abb. 2) die
von König Friedrich Wilhelm IV. nach England ge-        des Anstaltsgeistlichen untergebracht war. Durch-
schickt worden, um dort das seit 1840 im Bau be-        schreitet man hinter der Schleuse den Vorhof zum
findliche, damals modernste Gefängnis in Penton-        inneren Eingangsturm mit dem Gefängnislazarett
ville zu studieren, errichtete dann nach diesem         in den oberen Geschossen, so gelangt man in den
Muster einer sternförmigen Anlage den ersten            Verwaltungstrakt mit dem Kirchenraum, gleich-
preußischen Großbau dieser Art, die Strafanstalt in     falls im oberen Geschoss. (Abb. 3) Weiter gelangt
Berlin-Moabit (ab 1842) und rasch danach ab 1845        man in die Zentrale mit dem Panoptikum, auf das
(Pläne 1843) die ganz ähnliche in Münster.“ Natür-      die vier Gefängnisflügel zuführen. Am Flügel vier
lich war zu dieser Zeit – 1984 – schon nicht mehr je-   erkennt man deutlich eine frühe Erweiterung des
der Stein originaler Bestandteil der 1850er-Jahre,      19. Jahrhunderts; mehrere separate und sich er-
waren doch schon im 19. Jh. Ergänzungsbauten            gänzende Baublöcke des 19. Jahrhunderts beher-
und Erweiterungen von Zellenflügeln vorgenom-           bergen verschiedene Arbeitsräume, von denen der
men oder auch Zerstörungen von Bombardements            oben links stehende wohl der älteste, schon aus
im Zweiten Weltkrieg beseitigt und später auch          dem Jahr 1851 stammende, ist. Gestalterische Qua-
moderne Anbauten durchgeführt worden. Auch              litäten der Architektur, die gerade jenseits der An-
dies berücksichtigte das Gutachten zur Unter-           forderungen nach der besonderen Funktion eines
schutzstellung 1984 in seiner knappen Beschrei-         Strafgefängnisses liegen, zeigen sich an vielen
bung: „Mittelbau von vier radial anschließenden         Merkmalen: Dazu gehören die sich sogleich ein-
Zellenflügeln umgeben, z. T. baulich verändert;         stellende Assoziation englischer Schlossarchitektur,

1 Münster, Luftaufnahme Gefängnis. 1923.
11

die vielen Rundtürmchen und Zinnenkränze, aber             nungen für das Gefängnis deutlich weiter zurück:
auch etwa die typischen Konsolen aus Gusseisen,            Bereits 1838 hatte Bauinspektor Teuto erste unaus-
die im Inneren die Galerien stützen. (Abb. 4) Wie          geführte Pläne für ein neues Gefängnis vorgelegt,
sorgfältig die Planung und Ausführung zu bewer-            die aber liegen blieben, da sie u. a. den notwendi-
ten sind, dafür spricht auch die mittlerweile über         gen Kapazitäten für die Unterbringung von Delin-
160 Jahre währende Benutzbarkeit, wenn auch na-            quenten nicht genügten.4
türlich die Anforderungen an Unterbringung, Hy-            Aus dem Jahr 1858 stammt der älteste Situations-
giene, Zellengröße etc. keineswegs mit den mo-             plan der neuen Strafanstalt bei Münster (Abb. 5),
dernsten Anforderungen Schritt halten konnten              der anschaulich macht, dass – wie auch verlangt –
und können.                                                ein damals neu zu errichtendes Gefängnis deutlich
1851 wurde der erste funktionsfähige Flügel der            außerhalb einer Stadt und dort auch möglichst
Münsteraner Strafanstalt in Betrieb genommen –             übersichtlich auf freiem Gelände stehen müsse. Da-
also in dem Jahr, in dem die erste Weltausstellung         neben bestanden innerhalb der Promenade noch
in London stattfand und für die Joseph Paxton sei-         der Zwinger, der als Kerker diente und das baro-
nen berühmten Glaspalast entworfen hatte. Und              cke, nach Plänen Johann C. Schlauns errichtete
1853 war mit dem errichteten Arbeitshaus die ge-           Zuchthaus (Abb. 6, 7), das noch bis 1914 bestanden
samte Anlage funktionsfähig. Doch gehen die Pla-           hat. Die Zustände, die in beiden – im Zwinger und

2 Münster, Gefängnis von der Gartenstraße aus. Links und rechts sogenannte Beamtengebäude. 2010.

3 Münster, Gefängnishof mit Blick vom Flügel 4 (rechts) in Richtung Verwaltungstrakt mit Kapelle im Obergeschoss.
2010.
12

im Zuchthaus – noch vor Errichtung der neuen               (oft aus Dorfschützen bestehend), das u. a. die un-
Strafanstalt geherrscht haben, sind uns durch ei-          gewünschte Kommunikation zwischen den Gefan-
nen Augenzeugen überliefert: 1802 hat Justus Gru-          genen ebenso nicht verhinderte wie das Ausbre-
ner – aus nicht bekannten Gründen – eine Schrift           chen derselben. Um der Haft einen Teil ihrer Grau-
veröffentlicht mit dem Titel: „Versuch über die            samkeiten zu nehmen, hält Gruner es z. B. für not-
recht- und zweckmäßige Einrichtung öffentlicher            wendig, die Inhaftierten zu beschäftigen und ih-
Sicherungsinstitute deren jetzigen Mängel und              nen auch die Religionsausübung zu ermöglichen.
Verbesserungen. Nebst einer Darstellung der Ge-            Aus all den festgestellten Mängeln zieht er den
fangen- Zucht- und Besserungshäuser Westpha-               Schluss, daß alle Gefängnisse Westphalens …
lens“ (Frankfurt/Main 1802), die er dem Preußi-            durchaus recht= und zweck=widrig sind. Deswe-
schen König Friedrich Wilhelm III. widmete. Gruner         gen müssten entsprechende radikale Verbesserun-
war wohl der erste in Preußen, der vor Ort diese           gen verfolgt werden, die – von ihm als Pflicht des
Einrichtungen in Augenschein nahm, sie beschrieb,          Staates verstanden – auf Reinlichkeit und Tempe-
anprangerte, kritisierte oder auch lobte und Ver-          rierung zielten, auf Verbesserung von Nahrung
besserungsvorschläge für den Bau künftiger „Ge-            und Bekleidung, auf körperliche Bewegung und
fängnisse“ unterbreitete.                                  Besuch der Kirche. Eine bessere Bewachung be-
Im Allgemeinen prangert Gruner all die von ihm             wirke aber auch die strengste Absonderung unter
festgestellten Missstände an, hebt die katastro-           den Inquisiten. Mögliche Kommunikation unter-
phalen Luft-, Raum- und Lichtverhältnisse hervor,          einander oder gar gemeinschaftliche Unterbrin-
beklagt die äußerst schlechte Nahrung und feh-             gung mehrerer Gefangener sollten unbedingt un-
lende Hygiene im Allgemeinen. Für ihn ist die Art          terbunden werden, da als deren Folge nur eine
der Unterbringung der Delinquenten demgemäß                stärkere Kriminalisierung der in Freiheit zu entlas-
nicht rechtmäßig, aber auch nicht zweckmäßig;              senen Insassen erwartet werden müsse.
denn auch eine sichere Verwahrung sei nicht gege-          Was Gruner in Münster noch im Jahr 1802 vorfand,
ben. Ungeschultes, bestechliches Wachpersonal              waren das Zucht= und Besserungshaus, eine Zwei-

4 Münster, Gefängnis. Detail der Galerien mit gusseiser-   5 Situations-Plan der neuen Strafanstalt bei Münster.
nen Konsolen. 2010.                                        Münster den 2ten November 1858.
13

flügelanlage Johann Conrad Schlauns aus den Jah-      gerecht werden konnte: Es bleibt nämlich eine
ren 1734–1738 sowie der mittelalterliche Zwinger,     stete Korrespondenz unter den Gefangenen, die
der mit seinem im Kreis angeordneten Kerkern als      sowohl durch Rufen aus den Löchern über den
Gefangenhaus zu Münster diente. Für das Zucht=        Thüren, als von der oberen Etage in die untere …
und Besserungshaus fand Gruner lobende Worte;         offen. Es gibt daher kein Mittel die Complizen
denn dies ist unstreitig, im Ganzen, das vortreff-    eines Verbrechens von Einander zu trennen und
lichste Strafinstitut Westphalens, sowohl in Hin-     die ganze schwere Haft ist hier vergebens und
sicht auf das Bestrafen als auch auf die Besserung    unzweckmäßig.
der Inhaftierten. Das Gebäude in einer etwas ent-     Wie gesagt, beschränkte sich Gruner nicht nur auf
legenen Gegend der Stadt werde durch eine             die Beschreibung und das Anprangern unzurei-
Schildwache, der drei Knechte zur Seite standen,      chender Zustände, sondern machte auch konstruk-
bewacht. Die Aufteilung gewähre dem Wacht-            tive Vorschläge. So betonte er u.a., dass das Äußere
meister eine Wohnung und eine stockweise Unter-       eines Zuchthauses (oder auch Gefängnisses) ab-
teilung in weibliche und männliche Schlafkam-         schreckende Wirkung erzielen müsse, indem es
mern. Besonders führt Gruner an, wie sauber und       sehr fest sein und abgesondert liegen solle und die
ordentlich und wie gut gelüftet und hygienisch die    Simbole der Gefangenschaft an sich tragen und so-
Räume seien – In allen Bettstellen sind Betten mit    viel möglich einen widrigen Eindruck erregen
Leinwand überzogen, die … sehr rein gehalten          müsse. Außerhalb oder zumindest abseits alltägli-
wurden. Die Abtritte jeder Etage liegen am einen      chen örtlichen Lebens gelegen, sollte jede neu zu
Ende des Gebäudes und haben einen Abfluß, wo-         erbauende Strafanstalt auf jeden Fall entstehen.
durch der üble Geruch größtentheils vermieden         Sich selbst sah Gruner in gedanklicher Tradition des
wird. – Gruner sah die Gefangenen mit Arbeit be-      Engländers John Howard (1726–1790), dessen Le-
schäftigt, wenngleich – wie er auch selber beklagt    benswerk die systematisch begründete Reform der
– diese kaum zum wirtschaftlichen Unterhalt des       Staatsgefängnisse war. Mit seinen Schriften, die
Hauses beitragen konnte. Beköstigung und Ge-          auf direktem Erleben als Strafgefangener und da-
sundheitspflege erwähnt er hier positiv. Auch die
Differenzierung in Besserungs=oder Zuchthausge-
fangene, also der Unterscheidung nach geringfü-
gigen Vergehen und krassen Verstößen gegen die
Gesetze mit der Folge kürzerer oder längerer In-
haftierung, tritt ihm in Westfalen hier zum ersten
Mal entgegen. Über die Qualifikation des Lei-
tungs- bzw. Wachpersonals erfährt man von Gru-
ner allerdings nichts Besonderes, doch erwähnt er,
dass im Vorhof … eine Wachtstube steht, in der
täglich einige zwanzig Mann fürstlicher Militz, zur
völligen Sicherung sind. Die Leitung eines Gefäng-
nisses lag zunächst in Händen eines Offiziers, die
Aufsicht über das Wachpersonal in den Händen ei-
nes Unteroffizieres. Die Bewachung der Inhaftier-
ten fand also durch Patrouillengänge oder auch
durch militärischen Appell statt – und eben noch
nicht durch ein Überwachungsprinzip, nach dem         6 Münster, Zuchthaus von J. C. Schlaun. Um 1900.
sich u. a. effektiv Personal einsparen ließ und das
vor allem oberstes architektonisches Konstrukti-
onsprinzip werden und wie es vom englischen So-
zialreformer Jeremy Bentham (1748–1835) erfun-
den und nach dem Eastern State Penitentiary in
Philadelphia/USA (1829) dann im Pentonville Pri-
son von London (1842) als das panoptische System
einer Überwachungsarchitektur umgesetzt wer-
den sollte.
Die schwere Haft der Kriminalgefangenen im
Zwinger von Münster – das sei hier noch ergänzt –
beurteilt Gruner dagegen deutlich schlechter: Die
mittelalterlichen Gemäuer mit ihren beiden run-
den Etagen beherbergten 16 einzelne Kerker, in
denen die Gefangenen zwar den Umständen ent-
sprechend „hygienisch“ untergebracht waren, das
Überwachungssystem aber in keiner Weise befrie-
digte und seinen eigentlichen Aufgaben nicht          7 Münster, Promenade, sogenannter Zwinger. Um 1900.
Sie können auch lesen