LICHTEMPFINDLICHE SCHALTER IM AUGE - Paul Scherrer ...
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SCHWERPUNKTTHEMA L I C H T E M P F I N D L I C H E S C H A LT E R IM AU G E 5 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 2 01 / 2022 3 2
SCHWERPUNKT THEMA: L I C H T E M P F I N D L I C H E S C H A LT E R I M A U G E HINTERGRUND Die wundersame Welt der Lichtantennen Ohne sie wäre die Welt für uns dunkel: Lichtrezeptoren in unserem Auge. Am PSI können Forschende dank der besonderen Grossforschungsanlagen wie dem Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL und der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS die letzten Geheimnisse dieser einzigartigen Biomoleküle entschlüsseln. Dieses Wissen ebnet den Weg zur Therapie von Krankheiten und völlig neuen Mög- lichkeiten, unseren Körper zu erforschen. Seite 10 1 HINTERGRUND Cooler Newcomer Ein vergleichsweise neues Verfahren in der Elektronenmikroskopie ergänzt die Gross forschungsanlagen des PSI ideal und ermöglicht verblüffende Einsichten in die Welt der Lichtrezeptoren. Seite 18 3 2 2
NACHGEFRAGT Was machen Sie da, Herr Rüegg? 4 A L LTA G Kalte Füsse 6 FORSCHUNG Sauberer Heizstoff 7 SCHWERPUNKTTHEMA: L I C H T E M P F I N D L I C H E S C H A LT E R I M AU G E 8 HINTERGRUND Die wundersame Welt der Lichtantennen 10 INFOGRAFIK Zellen mit Licht steuern 16 HINTERGRUND Cooler Newcomer 18 IM BILD Im Inneren des Herzens 21 IN DER SCHWEIZ I N H A LT 2 Rettung für das eisige Gedächtnis der Erde 22 Unter Beteiligung von PSI-Forschenden will ein INFOGRAFIK internationales Konsortium Bohrkerne aus den Gletschern Zellen mit Licht der Erde im ewigen Eis konservieren. steuern IN KÜRZE Aktuelles aus der PSI-Forschung 26 In einem gross angelegten Projekt wollen For- 1 Protonen gegen Lungenkrebs schende am PSI in einem multinationalen 2 Neuer Wirkstoff gegen Parasiten Konsortium ein noch junges Forschungsgebiet 3 1000 Tomogramme pro Sekunde revolutionieren: die Optogenetik. 4 CO2 als wertvolle Ressource Seite 16 GALERIE Geräusche der Forschung 28 Diese Galerie versucht das scheinbar Unmögliche: Sie verbildlicht die Klangkulisse des PSI. ZUR PERSON Tüfteln und optimieren 34 Vor fünfzehn Jahren baute sie eine Strahllinie an der SLS auf. Heute leitet Iris Schmid das Produktmanagement eines Herstellers für Zugsteuerungssysteme. Blaues Licht öffnet Kanalrhodopsine → Gelbes Licht regt die Halorhodopsine an. positiv geladene Teilchen können in die Sie pumpen negativ geladene WIR ÜBER UNS 38 Zelle einströmen. Teilchen in die Nervenzelle. IMPRESSUM 40 Nervenzelle aktiviert = angeschaltet Nervenzelle gehemmt = ausgeschaltet AUSBLICK 41 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 3
Herr Rüegg, was hat die Forschung am PSI mit unseren Augen zu tun? Wie so vieles in unserem Körper haben wir auch unseren Sehsinn letzt- endlich Proteinen zu verdanken – grossen biologischen Molekülen, die in jeder Zelle spezielle, meist lebenswichtige Aufgaben übernehmen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sämtliches Leben auf der Erde nur mit Proteinen möglich ist. Und ja: Wir Menschen können nur deswegen sehen, weil wir auch in unserer Netzhaut solche spezialisierten Proteine haben, die Lichtrezeptoren. Trifft auf diese ein Lichtstrahl, verändern sie ihre dreidimensionale Struktur; dadurch entsteht ein Signal, welches am Ende im Gehirn zu einem Seheindruck verarbeitet wird. Das ist schon genial, was sich da im Laufe der Evolution entwickelt hat. Wir sind darauf spezialisiert, mit unseren Grossforschungsanlagen Proteine zu untersu- chen, zum Beispiel für die Erforschung von neuen Wirkstoffen durch die Pharmaindustrie oder eben von Lichtrezeptoren. Bei ihrer Erforschung hilft uns insbesondere der Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL. Wieso eignet sich für diese Forschung der SwissFEL so gut? Die Schnelligkeit gibt hier den Ausschlag. Der Vorgang, der jedes Mal als Erster abläuft, sobald ein Lichtstrahl auf unser Auge trifft, ist einer der schnellsten, den es in unserem Körper überhaupt gibt. Innerhalb von billiardstel Bruchteilen einer Sekunde legt sich in dem Protein quasi ein Schalter um, der signalisiert: «Ich hatte Kontakt mit einem Licht strahl.» Das geht also blitzschnell. Solche Vorgänge in biologischen Molekülen lassen sich eben besonders gut mit dem SwissFEL untersu- chen, beispielsweise an der Experimentierstation Bernina, in deren Kon- trollraum ich mich hier befinde. Wir haben mit dem SwissFEL schon viele spannende Rätsel rund um lichtempfindliche Proteine gelöst und sind zuversichtlich, in Zukunft noch weitere zu lösen. Das Sehen ist der Sinn, der uns Menschen besonders stark prägt, von daher ist es erstaun- lich, wie viel wir darüber noch immer nicht wissen und deshalb am PSI erforschen können. Findet diese Forschung denn ausschliesslich am SwissFEL statt? Oh, nein! Es ist gerade die Vielfalt an Forschungsanlagen hier am PSI und im ETH-Bereich, die es unseren Forschenden ermöglicht, so vielen Ge- heimnissen rund um Proteine jeglicher Art auf die Spur zu kommen. Un- sere Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS etwa eignet sich hervorragend, um herauszufinden, wie Proteine aufgebaut sind und wie sie im dreidi- mensionalen Raum vorliegen. Mehr als 8000 Strukturen wurden bereits an der SLS gelöst. Und vergessen wir nicht die Kryo-Elektronenmikro skopie, die unsere Forschenden in Zusammenarbeit etwa mit der ETH Zürich oder dem Biozentrum in Basel benutzen. Diese Technik hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht, etwa wenn es darum geht, Komplexe aus mehreren Proteinen zu untersuchen. Ganz klar: Um Proteinstrukturen mit Röntgenlicht zu untersuchen, gibt es auf der Welt fast keinen besseren Ort als das PSI. 4
NACHGEFRAGT Was machen Sie da, Herr Rüegg? NACHGEFRAGT Bei der Erforschung von Proteinen – zum Beispiel von Lichtrezeptoren, wie sie auch in unseren Augen vorkom- men – ist das Paul Scherrer Institut eine der weltweit führenden Institutionen. Direktor Christian Rüegg erklärt, warum sich diese Biomoleküle am PSI so hervorragend untersuchen lassen. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 5
A L LTA G & Kalte Füsse Brrrrr. Wer im Winter Enten oder andere Wasservögel im eisi- gen Wasser schwimmen sieht oder sie gar beim Watscheln über einen zugefrorenen Teich beobachtet, den fröstelt es. Würden wir Menschen Letzteres mit blossen Füssen tun, dann wären wir schnell ausgekühlt und unsere Körpertemperatur würde bedrohlich tief absinken. Dass es Enten, die für gewöhnlich eine noch höhere Kör- pertemperatur aufweisen als wir, nicht genauso geht, liegt nicht nur an ihrem wärmenden Federkleid. Um den Wärmever- lust über ihre Füsse einzudämmen, hat sie die Natur mit einer ganz besonderen Vorrichtung versehen. Die Blutgefässe, die das warme Blut aus dem Körper in die Füsse transportieren, schmiegen sich nämlich sehr eng an jene, die aus den Füssen wieder ins Körperinnere führen. Das kalte Blut aus den Füssen strömt also dicht an dem warmen vorbei. Dabei nimmt es einen guten Teil der Wärme auf. Deshalb müssen Enten im Winter nur wenig Energie verschwenden, um das kalte Blut aus ihren Füs- sen im Körper wieder aufzuheizen. Das Prinzip, das sie dabei unbewusst nutzen, heisst Gegenstromprinzip. 6
FORSCHUNG Sauberer Heizstoff Das Gegenstromprinzip kommt bei vielen technischen Verfah- ren zur Anwendung. Grundsätzlich werden dabei zwei Stoff- ströme in entgegengesetzter Richtung aneinander vorbeige- führt, um einen Wärme- oder Stoffaustausch zu befördern. Das nutzen auch Forschende am PSI, beispielsweise bei der Optimierung der Biomethanproduktion. Biogas entsteht bei der Vergärung von Bioabfällen und ist ein Gemisch aus Kohlen dioxid, Methan und Spuren weiterer Substanzen. Deshalb kann es nicht direkt in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Bei der entsprechenden Vorbereitung für die Nutzung im Erdgasnetz müssen immer wieder Gase voneinander getrennt werden, beispielsweise Methan, Wasserstoff und Kohlendio- xid. Eine Möglichkeit dafür bieten Membranen, die selektiv Gase filtern, deren Bestandteil eine gewisse Grösse über- schreitet – in der Grafik sind beispielhaft Methan (braun-gelbe Kugeln) und Kohlendioxid (braun-blaue Kugeln) gezeigt. Das- selbe funktioniert auch für die Trennung von Methan, Kohlen- dioxid und Wasserstoff. Forschende des PSI haben in einer Studie aufgezeigt, wie man Letzteren besonders effektiv von Methan abtrennen kann, wenn das Prinzip des Gegenstroms zur Anwendung kommt. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 7
HINTERGRUND Die wundersame Welt der Lichtantennen Seite 10 2 1 INFOGRAFIK Zellen mit Licht steuern Seite 16 Lichtempfindliche Schalter SCHWERPUNKTTHEMA im Auge Wenn Licht in unsere Augen fällt, dann registrieren das bestimmte Moleküle in den Zellen unserer Netzhaut. Das ist der Ausgangspunkt für das Sehen. Doch mit der Hilfe dieser faszinierenden Erfindung der Natur kann man auch ganz besondere Forschung betreiben, denn mit diesen Sensoren lassen sich Zellen steuern. 8
Die wundersame Welt der Lichtantennen In der Evolution war die Entstehung von lichtempfindlichen Proteinen ein herausragender Schritt: Nur dank ihnen können wir sehen. Die Grossforschungsanlagen des PSI helfen, die letzten grossen Geheimnisse rund um diese aussergewöhnlichen Zellbestandteile zu lüften. Dabei haben die Forschenden noch ein weiteres Ziel: mithilfe der Lichtrezeptoren gezielt Prozesse in Zellen an- und abzuschalten. Text: Brigitte Osterath Gebhard Schertler, Leiter des PSI-Bereichs Biologie und Chemie, erklärt, was zu Beginn jedes Sehprozesses passiert: Das kleine Mo- lekül Retinal in unserem Auge verändert bei Lichteinfall seine Form. 10
LICHTSENSOREN Ohne sie wäre die Welt für uns immer und überall Rhodopsine haben in ihrer Mitte ein kleines läng schwarz. Dass wir den blauen Himmel betrachten, liches Molekül fixiert: Retinal, einen Abkömmling ein Buch lesen oder einen Actionfilm im Fernsehen des Vitamins A. Trifft Licht auf Retinal, absorbiert verfolgen können – all das haben wir den Fotorezep- das Molekül die Energie und wandelt sich in eine toren zu verdanken: Proteinen, die auf Licht reagieren. andere Form um (siehe Grafik links). Dabei verän- Allen Lebensformen leisten solche Proteine dert Retinal seine dreidimensionale Gestalt, und unentbehrliche Dienste: Einzellige Algen etwa füh- das wiederum führt zu strukturellen Veränderungen len mit ihrer Hilfe, wohin es sich zu schwimmen im Protein. Das kann jetzt an andere Proteine in der lohnt; Pflanzen können sich dank dieser Moleküle Zelle binden, die sogenannten G-Proteine, was wie- der Sonne zuwenden. Viele Tiere und der Mensch derum eine Kaskade von biochemischen und bio- wiederum nehmen Licht mit hoch entwickelten Or- physikalischen Vorgängen in Gang setzt. An deren ganen, den Augen, auf und verarbeiten die Signale Ende steht beispielsweise die Wahrnehmung eines im Gehirn zu komplexen Eindrücken. Auch unsere Lichtblitzes. innere Uhr stellen solche Lichtrezeptoren jeden Tag Valérie Panneels, Wissenschaftlerin im PSI-La- aufs Neue ein. bor für biomolekulare Forschung, will verstehen, Das Prinzip ist dabei stets gleich: Die Proteine wie die Strukturänderung des Retinals im Inneren sind in die Membranen – fetthaltige Hüllen um die des Proteins genau vonstattengeht. «Vergleichen Zellen – integriert und wandeln Licht in ein biologi- wir Retinal mit einer Katze, die mit dem Rücken vo- sches Signal um. Der erste und essenzielle Schritt ran vom Baum fällt und am Ende auf ihren Füssen ihrer Aktivierung ist dabei stets das Umlegen eines landet. Die Frage ist: Welche Zustände nimmt die Schalters von «Aus» nach «Ein». Aber wie genau Katze während ihres Falls ein, also während sie sich führt die in einem Lichtstrahl gespeicherte Energie vom Rücken auf den Bauch dreht?» Schon bei der Änderungen im Fotorezeptor herbei, die am Anfang Katze ist der Vorgang so schnell, dass man ihn mit aller weiteren Reaktionen stehen? «Bisher hat noch blossem Auge nicht beobachten kann. Erst recht niemand diese grundlegende Frage ergründet», beim Retinal: Zwischenzustände existieren nur für erläutert Gebhard Schertler, Leiter des PSI-For- einige Billiardstel einer Sekunde. schungsbereichs Biologie und Chemie, der seit über Inzwischen weiss Panneels, dass die Retinal- 30 Jahren an Proteinen dieser Art forscht. Um die- Katze erst ihre Schulter dreht und danach den ses und weitere Rätsel zu knacken, untersuchen Bauch. Ein grosses Rätsel ist jedoch nach wie vor PSI-Forschende die Struktur der lichtempfindlichen die Frage, warum die Umwandlung des Retinals im Proteine und deren dynamische Umwandlungen. Auge so effizient verläuft. «Es ist eine der schnells- ten und gerichtetsten Reaktionen, die in der Natur Wie die Katze auf den Füssen landet vorkommen», sagt Valérie Panneels. Allerdings ist die Reaktion nur dann so effizient, wenn das Mo- Die Schaltprozesse, die in unseren Augen ständig lekül im Protein gebunden ist; nicht, wenn es frei ablaufen, sind unglaublich schnell und dauern nur in Lösung herumschwimmt. billiardstel Bruchteile einer Sekunde. Um solche Das Protein nimmt also starken Einfluss auf die blitzartigen Vorgänge zu ergründen, bedarf es ganz Richtung der Reaktion – aber wie genau, ist der Wis- spezieller Forschungsanlagen, etwa den Freie-Elek- senschaft nicht klar. «Wenn man diese Frage beant- tronen-Röntgenlaser SwissFEL, die Ende 2016 ein- worten könnte, hätte sich der Bau des SwissFEL geweihte und damit jüngste Grossforschungsanlage bereits gelohnt», sagt Standfuss. Mit diesem Wis- am PSI. «Mit ihm heben wir die Strukturbiologie auf sen ergäben sich zahlreiche neue Möglichkeiten für die nächste Ebene», erklärt Jörg Standfuss, Wissen- weitere Forschung und Anwendungen in Medizin schaftler im PSI-Labor für biomolekulare Forschung. und Biologie. Mit dem SwissFEL können die Forschenden eine Art ultrahochaufgelöstes Video von biochemischen Pumpen statt Sehen Prozessen drehen, um einen Vorgang bis ins letzte Detail zu studieren. «So können wir wirklich voll und Im Laufe der Evolution haben sich lichtempfindliche ganz verstehen, wie diese lichtempfindlichen Pro- Proteine auch zu einem anderen Zweck gebildet als teine arbeiten.» für das Sehen: Sie ermöglichten es Lebewesen erst- Zu den wichtigsten natürlichen Lichtrezeptoren mals, aus Sonnenlicht Energie zu gewinnen. Viele beim Menschen und bei Tieren gehört die Familie Bakterien und einzellige Algen etwa besitzen licht- der Rhodopsine. Im menschlichen Auge sind diese betriebene Pumpen in ihrer Zellmembran. Dabei Proteine Bestandteil der Stäbchenzellen, den Sin- handelt es sich um Proteine, die ihre Form bei Licht- neszellen, die auf die Hell-Dunkel-Wahrnehmung einfall so verändern, dass sie Ionen, also kleine ge- spezialisiert sind. ladene Teilchen, aus der Zelle befördern oder in sie 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 11
hinein. So können sich die Einzeller auf pH-Wert, «Wir arbeiten daran, Salzgehalt und andere Merkmale ihrer Umgebung einstellen. optogenetische Proteine zu Bacteriorhodopsin ist so eine lichtangetriebe- ne Pumpe. Das Protein transportiert Protonen und entwickeln, die quasi in kommt unter anderem bei Halobakterien vor, einer Gruppe einzelliger Mikroorganismen, die sich in jedem Organ einsetzbar sind.» extrem salzhaltigen Seen wohlfühlen. Auch wenn Valérie Panneels, Wissenschaftlerin im PSI-Labor dieser Einzeller biologisch nicht nahe mit dem Men- für biomolekulare Forschung schen verwandt ist, so ist Bacteriorhodopsin dem menschlichen Rhodopsin doch gar nicht so unähn- lich: Es bindet ebenfalls Retinal und ändert seine Ionenkanal herstellten. Channelrhodopsin öffnete Form unter Lichteinwirkung. Allerdings bindet es sich bei Bestrahlung mit blauem Licht und liess nicht an G-Proteine und gehört – trotz des histo- positiv geladene Ionen in die Zellen strömen, wo risch bedingten gleichen Namens – zu einem ande- raufhin die Zellen aktiviert wurden. Über solche neu ren Typ von Protein, den mikrobiellen Opsinen. eingebrachten Ionenkanäle lassen sich also Ner- 2016 erstellte Jörg Standfuss erstmals einen venzellen von aussen in Echtzeit mit Licht steuern. Film von einem Pumpvorgang mit Bacteriorhodop- Alle bisher entwickelten optogenetischen Werk- sin. Im Jahr 2020 fing seine Gruppe dann den zeuge haben aber einen grossen Nachteil, erklärt Pumpprozess einer weiteren lichtbetriebenen Pum- Valérie Panneels: Sie sind fast ausschliesslich in pe in Aktion ein: der Natriumpumpe eines Meeres- Nervenzellen einsetzbar. «Wir arbeiten nun daran, bakteriums. optogenetische Proteine zu entwickeln, die auch «Das PSI ist dank des SwissFEL weltweit füh- in anderen Zellen und für andere Funktionen ein- rend, was das Erforschen von Rhodopsinen und setzbar sind – in jedem Organ quasi.» Das würde ihrer Strukturdynamiken angeht», sagt Przemyslaw die Anwendungsmöglichkeiten der Technik dras- Nogly, einst Postdoc bei Standfuss und jetzt Leiter tisch vergrössern. einer eigenen Forschungsgruppe an der ETH Zürich. Ein ideales Ziel dafür ist die Familie der Rezep- Nogly untersucht mit dem SwissFEL die Chlorid- toren, zu denen auch Rhodopsin gehört: sogenannte pumpe Halorhodopsin, welche bei Halobakterien G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, GPCR abgekürzt. Chloridionen von aussen in die Zelle hineinbeför- Man findet sie in fast jeder Zelle unseres Körpers; dert. «Ganz besonders fasziniert uns dabei die Fra- sie vermitteln zahlreiche Funktionen, vom Geruchs- ge, wie die Energie des absorbierten Lichts dazu und Geschmackssinn über das Regeln der Herz benutzt wird, um den Transport von Chlorid anzu- frequenz bis zum Einleiten einer Entzündungsreak- treiben», erzählt Nogly. Auch zum Lüften dieses tion. GPCRs sind daher auch äusserst wichtige Rätsels hat der SwissFEL inzwischen beigetragen. Ziele für Wirkstoffe in der Medizin. Man schätzt, dass über ein Drittel aller derzeit zugelassenen An und aus Medikamente ihre Wirkung über diese Familie von Proteinen entfaltet. Die natürlichen Lichtantennen zu verstehen, bringt nicht nur die Grundlagenforschung voran, sondern Grosse Pläne auch die sogenannte Optogenetik. Mit dieser Tech- nik versuchen Forschende, lichtempfindliche Pro- Gemeinsam mit einem schweizerisch-europäischen teine als winzige Schalter in Tier- oder Menschen- Forschungsteam will Gebhard Schertler in den kom- zellen einzubauen. Vorgänge in den Zielzellen menden Jahren die Grundlagen schaffen, um univer liessen sich dann alleine über die Bestrahlung mit sell einsetzbare lichtsteuerbare Schalter zu entwi- Licht ein- und ausschalten. Die Hoffnung: Das soll ckeln (siehe Infografik auf Seite 16). Zum Konsortium die Grundlage für ein breiteres Verständnis biologi- gehören Peter Hegemann von der Humboldt-Univer- scher Prozesse in unserem Körper liefern und so sität zu Berlin, Sonja Kleinlogel von der Universität den Weg zu neuen Therapien bahnen. Bern und Rob Lucas von der Universität Manchester Anfang der 2000er-Jahre brachten Forschende in Grossbritannien. in den USA und Europa erstmals gezielt einen Licht- Das Team will sogenannte chimäre Proteine er- rezeptor in Nervenzellen ein, um deren Aktivität zu schaffen, die sich aus zwei Teilen zusammensetzen: kontrollieren (siehe Infografik Seite 16). Es handelte einem lichtempfindlichen Kopf, der durch Licht ein- sich dabei um das Kanalprotein Channelrhodopsin und ausschaltbar ist, und einem Körper, der einen aus einer Süsswasseralge. Das Erbgut für diesen ganz bestimmten Prozess in der Zelle einschaltet. Kanal wurde in die Nervenzellen von Ratten einge- Rhodopsin von Wirbeltieren eignet sich für solche bracht, sodass diese Zellen in der Laborschale den kleinen Schalter allerdings nicht, erklärt Gebhard 12
LICHTSENSOREN Valérie Panneels reinigt das rote, licht- empfindliche Protein Rhodopsin, um es später am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL zu untersuchen. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 13
Jörg Standfuss erforscht lichtangetriebene Pumpen in Einzellern. Mit dem Freie- Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL erstellt er Filme von diesen Biomolekülen in Aktion. 14
LICHTSENSOREN Schertler. «Jedes Mal, wenn im menschlichen Auge hergestellt: Es besteht als Kopf aus der Lichtanten- ein Rhodopsin aktiviert wird, löst sich die Bindung ne von Melanopsin und als Körper aus einem Rezep- zwischen Protein und Retinal. Um den Rezeptor wie tor, den man in den Bipolarzellen des Auges findet. der lichtempfindlich zu machen, muss er zunächst Er spielt eine wichtige Rolle dabei, das Signal aus regeneriert werden.» Das geschieht in einer einla der Netzhaut des Auges Richtung Gehirn weiterzu- gigen Zellschicht in der Netzhaut. Dort wird das leiten. So schaffte es die Wissenschaftlerin mit ei- Protein mit einem Retinalmolekül wieder zu einem ner optogenetikbasierten Gentherapie, erblindeten funktionsfähigen Lichtrezeptor vereint. «Unsere Mäusen einen grossen Teil ihres Sehvermögens Lichtrezeptoren sind also immer nur einmal einsetz zurückzugeben. Allerdings hat sie ihr optogeneti- bar und müssen dann aufwendig regeneriert wer sches Protein hauptsächlich über Versuch und Irr- den – ein recht kompliziertes System.» tum konstruiert. Ihre Methode lässt sich momentan In den Lichtrezeptoren von Tintenfischen, Insek nicht auf andere Rezeptoren übertragen. ten und vielen anderen Wirbellosen hingegen bleibt «Wir müssen herausfinden, warum Sonja Klein- das Retinal ständig am Protein gebunden. Durch die logels Konstrukt funktioniert», sagt Gebhard Absorption eines zweiten Lichtstrahls wandelt sich Schertler. «Und wir müssen uns das Wissen aneig- der Rezeptor wieder in seinen Ursprungszustand nen, wie wir Proteine so verändern können, dass sie zurück – und kann dann gleich den nächsten Licht das tun, was wir wollen.» Mit der Synchrotron Licht- strahl empfangen. Diese Art von Rhodopsinen – quelle Schweiz SLS, dem SwissFEL und der Kryo- bistabil genannt – lässt sich immer wieder ein- und Elektronenmikroskopie (siehe Artikel «Cooler New- ausschalten. Kann man das Protein dann noch so comer» ab Seite 18) wollen die Forschenden bistabile verändern, dass es beispielsweise mit blauem Licht Lichtrezeptoren und ihre Mechanismen in der Zelle angeknipst, mit rotem ausgeknipst wird, hätte man erforschen und auf Basis dieser Erkenntnisse Pro- den idealen Schalter. totypen für optogenetische Werkzeuge entwickeln. Die Möglichkeiten sind enorm: Mit solchen licht- Das Geheimnis der Springspinne steuerbaren Schaltern liessen sich beispielsweise höhere Gehirnfunktionen erforschen. «Die klassi- Bisher von der Wissenschaft recht wenig beachtet, sche Optogenetik verändert das Ionengleichge- stehen bistabile Lichtrezeptoren im Fokus des For wicht in Nervenzellen – wir hingegen könnten Sig- schungsprojekts. Als vielversprechender Kandidat nalkaskaden im Gehirn aktivieren, das ist etwas hat sich das bistabile Rhodopsin aus der Spring völlig Neues», erklärt Schertler. Die Technik könnte spinne Hasarius adansoni erwiesen, welches auf eines Tages dabei helfen, psychische Störungen wie die Farbe Grün reagiert. Die nur sechs Millimeter Depressionen und Schizophrenie besser zu verste- kleine Spinne ist weltweit in Gewächshäusern ver hen und vielleicht sogar neue Medikamente dage- breitet. Von ihren acht Augen sind zwei grosse di gen zu entwickeln. rekt nach vorne gerichtet. Vier übereinander ange Gelingt es, G-Protein-gekoppelte Rezeptoren ordnete Netzhautebenen in den vorderen Augen im Körper gezielt ein- und auszuschalten, würde das erlauben es der Spinne, den Standort einer Beute zudem zeigen, welche konkreten Funktionen ein bis auf wenige Millimeter genau anzupeilen und die Rezeptor hat. Bei der Entwicklung von Medikamen- se im Sprung zu fassen. ten liessen sich dadurch vor allem Nebenwirkungen «Das Rhodopsin der Springspinne ist im Gegen minimieren. satz zu vielen anderen Rhodopsinen stabil, leicht zu Die Entwicklung von neuen lichtgesteuerten kristallisieren und zu handhaben», sagt Schertler. molekularen Schaltern ist dem Europäischen For- Die Forschenden hoffen, dass dieses Protein die schungsrat (ERC) viel Geld wert: 2020 vergab er Suche nach lichtgesteuerten molekularen Schaltern eine Fördersumme von 10 Millionen Euro an das vorantreibt. Auf lange Sicht eignet sich besonders europäische Verbundprojekt von Gebhard Schertler auch das Protein Melanopsin. Es reguliert in spezi und seinem Team. ellen Nervenzellen des Auges unseren Tag-Nacht- Sind die Grundlagen erst einmal gelegt, wird Rhythmus und ist ebenfalls bistabil. Allerdings ist die Technik die Wissenschaftswelt erobern, glaubt es bisher noch niemandem gelungen, die Struktur Schertler fest. «Noch sind wir recht weit entfernt von Melanopsin zu entschlüsseln, da es in Laborge von einem Werkzeugkasten, wie es ihn bereits für fässen zu instabil ist. die klassische Optogenetik gibt. Aber in einigen Jahren können wir viele Rätsel lösen – und ich den- Licht in Sicht ke, Hunderte von Laboren werden dann auch an- fangen, solche universellen lichtempfindlichen Sonja Kleinlogel von der Universität Bern hat bereits GPCR-Schalter zu benutzen.» ein chimäres bistabiles optogenetisches Protein 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 15
Zellen mit Licht steuern Klassische Optogenetik Nervenzellen werden so verändert, dass sie sich mit Licht aktivieren lassen. Blaues Licht Gelbes Licht Lichtempfindliches Kanalrhodopsin aus der Grünalge Isolierung des DNA-Abschnitts Lichtempfindliches Halorhodopsin aus dem Halobakterium Erbgut einbringen in Nervenzellen Nervenzellen produzieren dank eingebrachtem Erbgut Kanalrhodopsin oder Halorhodopsin. Regulation der Zellen über Licht Blaues Licht öffnet Kanalrhodopsine → Gelbes Licht regt die Halorhodopsine an. positiv geladene Teilchen können in die Sie pumpen negativ geladene Teilchen in Zelle einströmen. die Nervenzelle. Nervenzelle aktiviert = angeschaltet Nervenzelle gehemmt = ausgeschaltet 16
LICHTSENSOREN Mit der Optogenetik lassen sich Zellen mit Licht an- oder abschalten. Klassischerweise sind das Nervenzellen im Gehirn. Neue Forschung mit PSI-Beteiligung will die Technik bei allen möglichen Körperzellen anwendbar machen. Neuartige Optogenetik Hierbei sollen Lichtrezeptoren mit Rezeptorproteinen kombiniert werden. Alle möglichen Körperzellen würden so steuerbar. Lichtrezeptoren aus dem Auge der Springspinne G-Protein-gekoppelte Rezeptoren aus Körperorganen wie Herz und Gehirn: Sie werden beispielsweis durch Hormone an- und ausgeschaltet. «Chimärenprotein» besteht aus Lichtrezeptor und G-Protein- gekoppeltem Rezeptor. Ein- und Ausschalten von Körperfunktionen über Licht: Ideal wäre es, wenn das Ein- schalten über eine andere Lichtfarbe möglich wäre als das Ausschalten. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 17
Cooler Newcomer Die Kryo-Elektronenmikroskopie ist eine noch vergleichsweise junge Methode, um die dreidimensionale Struktur von Biomolekülen aufzuklären. Mit ihrer Hilfe können Forschende schnell und hochpräzise so manches Rätsel rund um lichtempfindliche Proteine lösen. Text: Brigitte Osterath Wissenschaftlerin Emiliya Poghosyan ist Expertin für Kryo-Elektronenmikroskopie am PSI. Hier schiebt sie gerade eine Probe – gekühlt mit flüssigem Stickstoff – in die mannshohe Apparatur. 18
LICHTSENSOREN Mit einer Pinzette und viel Fingerspitzengefühl Elektron mehr erhöht das Signal und die Menge an greift die Biophysikerin Emiliya Poghosyan ein win- Informationen, die wir bei der Messung erhalten.» ziges Objekt und hält es ans Licht. Bei genauem Hinsehen entpuppt es sich als kreisrundes Gitter Eiskristalle unerwünscht aus Kupfer, nur drei Millimeter im Durchmesser. Diese «Grids» genannten Objektträger sind essen- Emiliya Poghosyan spannt die Pinzette mit dem zielle Hilfsmittel für alle Forschenden, die wie Kupfergitter in ein längliches Gerät ein, den «Vitro Poghosyan mit Elektronenmikroskopie ihre Wis- bot». Über eine kreisrunde Öffnung an der Seite der senschaft betreiben. «Auf die kleinen Gitter tragen Apparatur trägt sie einen winzigen Tropfen ihrer wir unsere Probe auf – allerdings darf die Proben- Probenlösung auf. Zwei Geräteteile, die aussehen schicht am Ende maximal 100 Nanometer dünn wie Kopfhörer, schliessen sich danach um das Git sein», erklärt Poghosyan. Das ist zirka ein Fünfhun- ter. «Sie entfernen überschüssiges Wasser aus der dertstel der Dicke eines menschlichen Haars. Nur Probe», erklärt Poghosyan. so ist es möglich, unter dem Mikroskop einzelne Dann kommt der Temperaturschock: Die Pinzet Moleküle wie Proteine zu erfassen und zu studieren. te taucht das beschichtete Gitter blitzschnell in ein «Es ist faszinierend, wie rasant sich die Elektro- Behältnis mit einer minus 196 Grad Celsius kalten nenmikroskopie in den letzten Jahren entwickelt Flüssigkeit. Es handelt sich dabei um Ethan, wel hat», sagt Emiliya Poghosyan, Wissenschaftlerin im ches mit flüssigem Stickstoff gekühlt wird. Die Probe PSI-Labor für Biologie im Nanobereich und zustän- erstarrt im Bruchteil einer Sekunde. «Es ist wichtig, dig für die elektronenmikroskopischen Gerätschaf- dass das besonders schnell passiert, denn an ten am PSI. sonsten können sich Eiskristalle bilden, welche die Im Grunde funktioniert ein Elektronenmikro Probe zerstören», erklärt die Wissenschaftlerin. skop wie ein gewöhnliches Lichtmikroskop; statt Elektronen können dicke Eiskristalle nicht mit normalem Licht bestrahlt man die Untersu- durchdringen, weshalb solche Bereiche in der Auf chungsobjekte aber im Vakuum mit Elektronen und nahme später schwarz erscheinen – dieser Teil des erreicht so eine 2000-fach höhere Auflösung als Bildes ist dann ruiniert. Kühlt man Wasser hingegen mit dem besten Lichtmikroskop. Dementsprechend sehr schnell ab, erstarrt es, ohne zu kristallisieren. lassen sich viel kleinere Objekte untersuchen. Es entsteht glasartiges Wasser, welches wie eine «Die Auflösung ist inzwischen so gut, dass wir Flüssigkeit eine ungeordnete molekulare Struktur mit der Methode die dreidimensionale Struktur von aufweist und von den Elektronenstrahlen durch Proteinen und anderen Biomolekülen bestimmen drungen wird. können.» Möglich wurde das unter anderem durch Ziel ist es, dass die Probenmoleküle gleichmäs eine neue Generation von Detektoren, die Elek sig verteilt in den Löchern des Gitters vorliegen, tronen direkt erfassen, sowie durch Auswerte umgeben von einer möglichst dünnen Schicht glas methoden, welche die Aufnahmen von Millionen artigen Eises. Die Probenfilme dürfen dafür nicht Molekülen in einer Probe miteinander abgleichen dicker sein als die Biomoleküle selbst. «Das Vorbe und quasi den Durchschnitt daraus bilden. So ent- reiten der Probengitter ist eine Wissenschaft für stehen Bilder mit verbessertem Signal-Rausch-Ver- sich», sagt die Biophysikerin. «Es gibt kein Allge hältnis, aus denen anschliessend scharfe mole meinrezept. Man muss einfach immer neue Bedin kulare Strukturen ermittelt werden. So nahm vor gungen probieren, bis man die idealen für ein be weniger als zehn Jahren die sogenannte «Resolution stimmtes Molekül gefunden hat.» Revolution» ihren Lauf. Die Entwickler der Kryo-Elektronenmikrosko Für biologische Proben brachte die Kryo-Elek- pie, der Schweizer Chemiker Jacques Dubochet tronenmikroskopie den Durchbruch, erklärt die sowie Joachim Frank und Richard Henderson, wur Wissenschaftlerin. Dabei werden die Proben vor der den 2017 für ihre Arbeit mit dem Chemienobelpreis Messung schockgefroren. Die Kälte bewahrt die ausgezeichnet. Dubochet war dabei derjenige, der empfindlichen Proben vor Schäden, welche die den Trick mit dem kristallfreien Wasser entdeckte. schnellen Elektronen unweigerlich beim Aufprallen auf die Probe verursachen. «Im Vergleich zur Mes- Aha-Effekt kommt später sung bei Raumtemperatur können wir ungefähr hun- dertmal so viele Elektronen auf die Probe schiessen, Unter Stickstoffkühlung und entsprechend viel bevor sie zerstört wird», sagt Poghosyan. «Und jedes Dampf überträgt Emiliya Poghosyan ihr Grid in den gekühlten Halter des Elektronenmikroskops und schiebt ihn ins übermannshohe Gerät. Dann schüttet sie noch fleissig flüssigen Stickstoff nach. «Man braucht Geduld, wenn man mit Kryo-Elek tronenmikroskopie arbeitet», sagt sie und lacht. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 19
«Es ist faszinierend, wie rasant sich die Elektronenmikroskopie entwickelt hat.» Emiliya Poghosyan, Biophysikerin im Labor für Biologie im Nanobereich am PSI «Wartet man nicht, bis alle Apparaturen genügend abgekühlt sind, wird die Probe zerstört und alle Arbeit war umsonst.» Schliesslich kann sie im Nebenraum ihre Probe auf dem Monitor betrachten und Aufnahmen ma- chen. Ein einzelnes Bild beeindruckt dabei wenig: Im Grunde sieht man lediglich viele kleine gräuliche Flecken auf hellem Hintergrund. Diese Flecken sind die Proteinmoleküle. Kristalle des Komplexes gebraucht, und die waren Der Aha-Effekt kommt bei der nachträglichen auch mit jahrelanger Arbeit nicht zu bekommen. Datenauswertung: Dabei wird über Millionen von Allerdings ist es derzeit noch nicht möglich, sehr Molekülen aus ein paar Tausend Aufnahmen gemit- kleine Biomoleküle mit Kryo-Elektronenmikrosko- telt. So wird das Protein von allen Seiten erfasst, da pie zu untersuchen, sagt Emiliya Poghosyan. Die in einer Probe idealerweise Millionen Moleküle in Struktur des Proteins Rhodopsin alleine etwa ist vielen verschiedenen Orientierungen vorliegen. damit nicht zu entschlüsseln. Darüber hinaus ist die Durch das Zusammenbauen all dieser Informationen Auflösung bei der Röntgenkristallografie noch im- entsteht ein dreidimensionales Modell des Proteins mer geringfügig besser. in bemerkenswerter Genauigkeit. «Es ist erstaun- lich, wie aus diesen Aufnahmen so präzise 3-D-Mo- Ergänzung statt Ersatz delle entstehen können», sagt Emiliya Poghosyan. Einen gewaltigen Fortschritt brachte die Kryo- Auch ohne Kristall zum Erfolg Elektronenmikroskopie bei der Untersuchung von Membranproteinen wie Rezeptoren, die natürlicher- «Die Elektronenmikroskopie hat die Art, wie wir weise in eine Zellmembran eingebettet sind und Strukturinformationen von Proteinen bekommen, sich nur schwer in reiner Form isolieren, geschweige revolutioniert», sagt Jacopo Marino, Biologe im denn herstellen oder kristallisieren lassen. Eines PSI-Labor für biomolekulare Forschung. «Der gan- der ersten Proteine, mit denen Chemienobelpreis- ze Vorgang geht inzwischen sehr schnell.» träger Richard Henderson arbeitete, war Bacterio Vor wenigen Jahren löste ein PSI-Team, an dem rhodopsin, ein Membranprotein in der Zellwand von Jacopo Marino beteiligt war, die Struktur eines Kom- bestimmten Bakterien. Jacopo Marino nimmt mit plexes, der aus dem Lichtrezeptor Rhodopsin und der Methode momentan einen Ionenkanal unter die einem G-Protein besteht – Proteine in der Netzhaut, Lupe, der in der Signalweiterleitung beim Sehpro- dank denen wir sehen können. Das Wissen darüber, zess eine grosse Rolle spielt. wie der Rezeptor an das G-Protein andockt, gibt Schon sehr geringe Mengen Protein reichen für Hinweise darauf, wie die Signalweiterleitung in der eine Kryo-Elektronenmikroskopie aus. Das erleich- Zelle funktioniert und wie sich dieser Prozess unter tert und verkürzt die Arbeit gerade bei Molekülen, Umständen manipulieren liesse (siehe Infografik die mühsam aus Geweben und Zellen isoliert wer- Seite 16). Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie war den müssen. Auch müssen die Proben nicht pingelig die Struktur innert vier Monaten gelöst. Und selbst sauber sein. das ist noch vergleichbar lang. «Bei biochemisch Verdrängen allerdings wird die Kryo-Elektronen gut handhabbaren Proteinen können wir die Struktur mikroskopie die Röntgenkristallografie an der sogar innerhalb weniger Tage in der Hand halten.» SLS und am SwissFEL nicht. «Die beiden stehen Da der Komplex aus mehreren Proteinen be- nicht in Konkurrenz zueinander», betont Marino. steht, ist er sehr flexibel – das stand einer Röntgen- «Sie ergänzen sich. Beide haben ihre Stärken und kristallografie im Weg. Denn für diese hätte man Grenzen.» 20
IM BILD Im Inneren des Herzens Anne Bonnin ist Physikerin an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Mit Synchrotron-Licht kann sie die innere Struktur von Objekten in extre- mer Auflösung bis auf wenige Mikrometer zerstö- rungsfrei sichtbar machen. Die Interaktion zwischen Synchrotron-Licht und dem sich im Strahl drehen- den Objekt ermöglicht es, ein digitales 3-D-Bild oder Schnittbilder zu erstellen. Mit diesem Verfah- ren, der sogenannten Mikrotomografie, analysiert sie unter anderem Gewebeproben des Herzens. Sie geht dabei Ursachen für Herzversagen und Herz- Kreislauf-Erkrankungen nach, eine Voraussetzung für bessere und auch personalisierte Therapien. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 21
Rettung für das eisige Gedächtnis der Erde IN DER SCHWEIZ Gletschereis birgt wertvolle Informationen über die Vergangenheit unseres Planeten. Aber wenn die Gletscher im Zuge des Klima wandels schmelzen, geht dieses Archiv verloren. Ein internationales Forschungsteam mit PSI-Beteiligung beeilt sich, den wissenschaft lichen Schatz für die Nachwelt zu bewahren. Text: Brigitte Osterath 22
IN DER SCHWEIZ Mit diesem Eisbohrkern hält PSI-Forscherin Margit Schwikowski auch ein Stück Wissen über die Vergangenheit unseres Planeten in den Händen. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 23
Ein Wettlauf mit der Zeit – diese Redewendung be- «Uns allen ist klar, was schreibt die Anstrengungen von Margit Schwikowski und ihrem Team sehr genau. Denn je unaufhalt mit diesen Gletschern passiert.» samer der Klimawandel voranschreitet, desto schneller schwinden die Gletscher. Und mit ihnen Margit Schwikowski, Leiterin des Labors für das Archiv, das sich in ihrem Inneren seit vielen Umweltchemie am PSI Tausend Jahren angesammelt hat: Gase und Par tikel, eingeschlossen in den Tiefen der Eisschich- ten. Sie verraten, wie sich die Atmosphäre damals Die gut eine Woche dauernden Expeditionen zu den zusammensetzte und ermöglichen Rückschlüsse mehrere Tausend Meter hoch gelegenen Gletschern auf vergangene Ereignisse. Wie warm war es in ei- sind zudem nicht ungefährlich, ergänzt Theo Jenk, ner bestimmten Zeitperiode? Wann gab es Wald- Forscher am PSI-Labor für Umweltchemie und Lei- brände? Welche Pflanzen haben die Menschen ter der letzten Expedition von Ice Memory. «Die Luft damals angebaut? ist dünn, und es besteht immer die Gefahr, Höhen- «Wir können 10 000 Jahre oder manchmal sogar krankheit zu erleiden. Wir müssen sicherstellen, länger zurückschauen», erklärt Schwikowski, Lei- erkrankte Teammitglieder notfalls schnell wieder terin des Labors für Umweltchemie am PSI. Sie ist nach unten bringen zu können.» Vorstandsmitglied der internationalen Stiftung Ice Höhenkrankheit kann bereits ab 2500 Meter Memory. Diese möchte ausgewählten Gletschern Höhe auftreten und äussert sich in Kopfschmerzen, weltweit Eisbohrkerne entnehmen und sicher in der Verwirrung und Sinnestäuschungen; sie kann auch Antarktis einlagern. Und zwar möglichst bald: «Wir zu lebensgefährlichen Lungen- oder Hirnödemen verspüren einen gewissen Druck, denn uns allen ist führen. klar, was mit diesen Gletschern passiert», sagt die Eine weitere Gefahr bei der Arbeit am Berg sind Chemikerin. «Wir müssen dringend verhindern, versteckte Gletscherspalten. An vielen Stellen ist dass die wertvollen Informationen, die sie enthal- das Team daher nur gesichert, mit Seil und Kletter- ten, für immer verloren gehen.» gurt, unterwegs. Analysen von Gletschereis liefern bereits heute Der zweieinhalb Meter lange modulare Eiskern- einmalige Erkenntnisse über vergangene Umweltbe- bohrer, mit dem das Team sich nach und nach oft dingungen. Aber analytische Methoden entwickeln mehr als hundert Meter tief bis auf das Felsbett des sich stetig weiter. In Zukunft werden Forschende Gletschers vorarbeitet, ist eine Spezialanfertigung, dem Eis sicher noch viel mehr Geheimnisse ent entwickelt und gebaut von der Firma icedrill.ch in locken können – wenn es ihnen dann noch zur Ver- Biel. Mit der Hilfe einer Winde, an deren Kabel der fügung steht. Ice Memory will das sicherstellen. Bohrer hängt und so gesteuert und mit Strom ver- Neben dem PSI sind an der internationalen Stif- sorgt wird, holen die Forschenden Stück für Stück, tung als Gründungsmitglieder beteiligt die Univer- 70 Zentimeter lange Bohrkerne aus der Tiefe hervor. sität Grenoble Alpes, die Universität Ca’ Foscari in «Die Arbeitstage da oben sind lang», erzählt Venedig, das französische Nationale Forschungs- Theo Jenk. «Wir arbeiten auch mal in der Nacht, institut für nachhaltige Entwicklung (IRD), das fran- wenn es tagsüber zu warm ist.» Bei zu viel Sonnen zösische Nationale Zentrum für wissenschaftliche einstrahlung könnten die empfindlichen Eisbohr- Forschung (CNRS), der italienische Nationale For- kerne durch Anschmelzen Schaden nehmen. Auch schungsrat (CNR) und das französische Polarinsti- besteht die Gefahr, dass sich am Bohrer Schmelz tut Paul-Émile-Victor (IPEV). Ice Memory wird von wasser bildet und dieser dann im Bohrloch fest- der Unesco unterstützt, der Organisation der Verein- friert und stecken bleibt. Um die mühsam entnom- ten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. menen Kerne stets kalt genug zu halten, nehmen die Forschenden Isolationskisten mit auf den Berg Zwischen Höhenkrankheit und und vergraben diese im Schnee. Die Kühlkette Gletscherspalten muss – notfalls mit Trockeneis oder Kühltranspor- ter – aufrechterhalten werden, bis die Bohrkerne in Ins Leben gerufen wurde die Initiative im Jahr 2015. einem Kühllager gesichert werden können. Logisch, dass Margit Schwikowski angefragt wurde, das Eisbohrkernarchiv mitaufzubauen: Die For- Erfolg am Colle Gnifetti schung an Hochgebirgsgletschern ist seit 1992 ihr Spezialgebiet. «Wir sind einige der wenigen For- Im letzten Jahr gelang es den Forschenden, zwei schungsgruppen der Welt, die überhaupt Gletscher- über 80 Meter lange Eisbohrkerne von einem Glet- bohrungen machen», erzählt sie. Das ist nicht trivial scher in den Walliser Alpen zu nehmen, und zwar und braucht viel Erfahrung. «Jeder Gletscher und vom Gletschersattel des Colle Gnifetti im Monte- damit auch jede Bohrung ist anders.» Rosa-Massiv auf 4500 Meter Höhe. Ein solcher 24
IN DER SCHWEIZ Wo schon für «Ice Memory» gebohrt wurde Erfolgreich Nicht erfolgreich Lohnenswerte / geplante Ziele Bohrkern stand ganz oben auf der Liste von Ice die Tiefe vordringen konnte. Selbst wenn man einen Memory. «Wir haben hier die höchstgelegenen Bohrkern hätte entnehmen können – für die Klima- Gletscher Europas und diese enthalten viele wert- wissenschaft wäre er nutzlos gewesen. «Wir waren volle Informationen», sagt Theo Jenk. total schockiert», erzählt Schwikowski. «Denn da- Viele Frischwasserquellen speisen sich aus den mit war klar: Für diesen Gletscher waren wir schon Alpengletschern, daher heisst die Schweiz auch zu spät dran.» «Wasserschloss Europas». Umso wichtiger ist es zu Nach Angaben der Vereinten Nationen sind fast wissen, wie sich die Gletscher in Zukunft entwi- alle Gletscher dieser Erde im Schrumpfen begrif- ckeln werden – und Vergleichsmöglichkeiten mit der fen – und das mit steigender Geschwindigkeit. Ein Vergangenheit zur Hand zu haben. internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Ausser vom Colle Gnifetti hütet das Team von ETH Zürich und der Forschungsanstalt für Wald, Ice Memory auch bereits Bohrkerne vom Illimani- Schnee und Landschaft WSL fand vor Kurzem, dass Gletscher in den bolivischen Anden, vom Belucha die Gletscher weltweit in den Jahren 2000 bis 2004 in Sibirien, vom Elbrus im Kaukasus und vom Col du jährlich 227 Milliarden Tonnen Eis verloren hatten – Dôme am Mont Blanc in Frankreich (siehe Karte). zwischen 2015 und 2019 waren es im Durchschnitt Ein besonders lohnenswertes nächstes Ziel bereits 298 Milliarden Tonnen pro Jahr. Zu den am wäre der Kilimandscharo in Tansania, Standort des schnellsten schmelzenden Gletschern gehören der einzigen in Afrika übrig gebliebenen Gletscherar- Studie nach jene in Alaska, in Island und in den Alpen. chivs. Aber laut Schwikowski benötigt die Bewilli- gung durch die tansanische Regierung ausgiebig Sicher am Südpol Zeit. Ebenfalls auf der Wunschliste stehen der Mount Logan in Kanada, verschiedene Gletscher Die Forschenden nehmen an jedem Standort min- auf dem tibetischen Hochplateau und der Fed destens zwei Bohrkerne. Der eine davon dient als tschenko-Gletscher in Zentralasien. Referenz und wird unter anderem am PSI analysiert; die Daten werden öffentlich zugänglich gemacht. Zwei Jahre zu spät Der jeweils zweite Bohrkern soll in einer Eis- grotte in der Antarktis eingelagert werden, denn Im Jahr 2020 war ein Team von Ice Memory schon Kühlung benötigt hier keinen Strom. Ein weiterer einmal auf grosser Expedition in den Walliser Alpen Vorteil, der den weiten Transport zum Südpol recht- unterwegs – damals am Grand Combin auf 4100 Me- fertigt: Dieser Teil der Erde ist politisch neutraler ter Höhe. Probebohrungen im Jahr 2018 hatten das Boden und laut Antarktisvertrag ausschliesslich Gebiet als geeigneten Standort ausgewiesen. der friedlichen Nutzung, besonders der wissen- Als die Forschenden zwei Jahre später jedoch schaftlichen Forschung, vorbehalten. mit voller Bohrmontur zurückkehrten, gab es Derzeit laufen Experimente dazu, wie genau Schwierigkeiten: Sie stiessen schon nach einem man das Lager am besten errichten kann. Geplant halben Meter auf eine harte Eisschicht, und bei ist eine Art Eishöhle, die den Eisbohrkernen ein si- 25 Meter blieb der Bohrer endgültig stecken. Der cheres Zuhause bieten soll. Damit sie nicht das Grund: Frost-Tau-Zyklen hatten sogar im Nährge- gleiche Schicksal ereilt wie die Gletscher, aus de- biet des Gletschers Schmelzwasser entstehen las- nen sie stammen. Denn zumindest für die Antarktis sen. Offensichtlich war es zwischen 2018 und 2020 ist nicht mit einem Abschmelzen in den nächsten so warm gewesen, dass viel Schmelzwasser weit in hundert Jahren zu rechnen. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 25
Aktuelles aus der PSI-Forschung Vor25 Jahren wurde die Spot- Scanning-Technik in der Protonentherapie am PSI erstmals eingesetzt. 1 Protonen gegen Lungenkrebs 62 Jahre alt war der weltweit erste Patient, der damals am PSI damit behandelt Im November 2021 wurde am Zentrum wurde. für Protonentherapie in der Schweiz eine 60-jährige Patientin mit einem Lun- gentumor mit Protonen bestrahlt. Es ist Etwa 2000 Patientinnen und Patienten erhielten diese Therapie das erste Mal in der Schweiz, dass diese bislang am PSI. Art der Bestrahlung zur Krebsbehand- lung an der Lunge eingesetzt wird. Die siebenwöchige Therapie erfolgt im Rah- men einer internationalen Studie. Das PSI nimmt gemeinsam mit dem Radio- Onkologie-Zentrum der Kantonsspitäler Aarau und Baden an der Studie teil – als einzige Einrichtungen ausserhalb der USA. Die Studie vergleicht den Behand- lungserfolg von herkömmlicher Strah- lentherapie mit der von Protonenthera- pie beim nicht-kleinzelligen Bronchial- karzinom – der häufigsten Form von Lungenkrebs – im fortgeschrittenen, in- operablen Stadium. Mit der Protonen- bestrahlung einer Patientin mit Lungen- krebs wird am PSI das nächste Kapitel der Protonentherapie aufgeschlagen. Weitere Informationen: http://psi.ch/de/node/48039 26
IN KÜRZE 2 Neuer Wirkstoff gegen 4 CO2 als wertvolle Parasiten Ressource Forschende am PSI haben eine chemi- In einer neuen Studie zeigen Forschen- sche Verbindung identifiziert, die sich de des PSI, dass die sogenannte Kohlen- vermutlich als Medikament gegen gleich dioxid-Elektrolyse profitabel sein und 3 1000 Tomogramme mehrere einzellige Parasiten eignet. Da einen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu gehören die Erreger der Malaria sowie pro Sekunde kann. Bei diesem Verfahren wird Koh- der Toxoplasmose – Infektionskrankhei- lendioxid (CO2) aus der Atmosphäre oder ten, an denen jedes Jahr viele Millionen Die Computertomografie ist aus der Me- am Ort seiner Entstehung, beispielswei- Menschen erkranken. Angriffspunkt der dizin bekannt. Doch ganz allgemein ist se in der industriellen Produktion, aufge- vielversprechenden Substanz ist das diese 3-D-Bildgebung für die zerstö- fangen. Die anschliessende Umwand- Protein Tubulin: Es hilft Zellen dabei, rungsfreie Analyse von Materialien nütz- lung per Elektrolysezelle macht dieses sich zu teilen, und ist damit auch für die lich. Wird dabei eine mikroskopische dann für die chemische Industrie nutz- Vermehrung der Parasiten unentbehrlich. Auflösung erreicht, spricht man von To- bar. Dabei wird aus CO2 entweder Koh- «Wenn dieses Protein nicht mehr so ar- moskopie. Mit dem intensiven Röntgen- lenmonoxid oder Ameisensäure. Vor beitet, wie es soll, trifft das den Parasi- licht einer Synchrotronquelle lassen sich allem die Produktion von Kohlenmono- ten hart», sagt PSI-Forscher Ashwani sogar viele Tomoskopie-Bilder pro Se- xid ist laut Studienergebnis sehr vielver- Sharma. Die Kooperationspartner des kunde erhalten. sprechend. Wenn die Technik sich noch PSI von der University of California in Ein Team vom Helmholtz-Zentrum weiterentwickelt und die Preise sich er- Irvine testeten die neue Verbindung – Pa- Berlin hat gemeinsam mit Forschenden wartungsgemäss vergünstigen, hat Koh- rabulin genannt – an dem Erreger der To- an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz lenmonoxid unterm Strich das grösste xoplasmose in menschlichen Zellen. SLS am PSI einen neuen Weltrekord er- Potenzial für eine ökonomische und öko- Tatsächlich konnte sich der Parasit so reicht: 1000 tomoskopische Bilder pro logische Verwendung von CO2. gut wie nicht mehr vermehren. Auf die Sekunde sind nun möglich. Diese Bilder menschlichen Zellen hingegen hatte haben eine räumliche Auflösung von Weitere Informationen: Parabulin quasi keine Wirkung – beste einigen Mikrometern, das Sichtfeld be- http://psi.ch/de/node/48403 Voraussetzung für die Entwicklung ei- trägt mehrere Quadratmillimeter und nes Medikaments. eine kontinuierliche Aufnahmezeit von einigen Minuten ist machbar. Weitere Informationen: Die Technik ist interessant für die http://psi.ch/de/node/45951 Materialanalyse, die Qualitätsprüfung oder die Entwicklung von neuen funktio- nalen Materialien. Weitere Informationen: http://psi.ch/de/node/47742 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 27
Geräusche der Forschung GALERIE Kann man Geräusche sehen? Selbstverständlich nicht. Dennoch versucht diese Galerie das scheinbar Unmögliche und baut eine optische Brücke zur Klangkulisse, die das Ohr überall am PSI wahrnimmt. Eine verwischte Bewegung deutet die Akustik einer der ungewöhnlichsten Forschungs stätten der Welt an. Wenn Sie dem Link beim Schwingungsprofil folgen, können Sie sich direkt anhören, was Sie sehen. Text: Christian Heid Tak-tak-tak-tak-tak-tak… Woran nur erinnert dieses Geräusch? An eine Näh- maschine? An einen Zug, der durch einen Bahnhof fährt? Der Orbital-Schüttler steht in einem Biologie labor und dient dazu, eukaryotische Zellen zu züchten, zum Beispiel menschliche Zellen. Mit sei- nen bis zu zweihundert Umdrehungen pro Minute durchmischt er in gleichmässigen Kreisbewegun- gen Zellen und rötliche Nährstoffflüssigkeit. Die Zellen schweben geradezu in der Lösung und wer- den so optimal mit Nährstoffen und Sauerstoff ver- sorgt. Aus den Zellkulturen werden gezielt Proteine gewonnen, über die man mehr wissen möchte. Da- runter auch: das Spike-Protein von Sars-CoV2. http://psi.ch/de/node/49387#tak 28
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Iiiiiiihhhhhhhhhhh… Das bekommt man in der Lüftungszentrale des SwissFEL, des Schweizer Freie-Elektronen-Rönt- genlasers, zu hören. Es ist der Ventilator, der da so aufbraust, um das 740 Meter lange Gebäude, das unweit vom PSI-Gelände im Würenlinger Wald liegt, mit Frischluft zu versorgen. Unter Volllast schau- felt er bis zu 16 000 Kubikmeter Luft pro Stunde in das Gebäude hinein. Die Luft wird auf dem Weg ins Innere auf 20 Grad Celsius temperiert und in den verschiedenen Räumen mittels Dutzenden von Kli- maanlagen präzise auf 24 Grad Celsius reguliert, weil Temperaturschwankungen die Forschungser- gebnisse verfälschen würden. So trägt auch diese wohltemperierte Frischluft dazu bei, dass die Röntgenstrahlen in dieser Grossforschungsanlage extrem schnelle Vorgänge wie das Entstehen von Molekülen nachvollziehbar machen können. http://psi.ch/de/node/49387#iih 30
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