Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz

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Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
Monitor
Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz

Jubiläumsausgabe Oktober 2019                 siemens.ch/historie
Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
125 Jahre Siemens in der Schweiz

                                                                     Kraftwerk Wynau

Seit dem Bau des Flusskraftwerks Wynau im Jahr
1894 ist Siemens in der Schweiz zuhause und hat
seither unzählige Projekte umgesetzt.
Einige Highlights und Meilensteine haben wir in
dieser Jubiläumsausgabe des Monitor-Magazins
zu­sammengetragen.

Viele unserer Kunden haben sich im Lauf der Zeit                     École polytechnique fédérale de Lausanne
zu bekannten Schweizer Ikonen entwickelt. Einige
davon haben wir mit unserem Filmteam besucht.
Entstanden sind beeindruckende Videos, die auf
unserer Jubiläums-Webseite www.siemens.ch/historie
zu sehen sind.

    Gotthard-Basistunnel                                             Brauerei Feldschlösschen                             Rhätische Bahn

                                                                     Pilatus Flugzeugwerke

                                                                     Siemens-Campus Zug

                 «Monitor» ist die Kundenzeitschrift der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz

                 Redaktionsadresse:                              Redaktionsteam für die Jubiläumsausgabe:   Übersetzung:
                 Siemens Schweiz AG                              Benno Estermann, Leitung                   act-Academy GmbH, Kloten
                 Communications                                  Eray Müller
                 Freilagerstrasse 40, 8047 Zürich                Marc Maurer                                Grafische Gestaltung und Satz:
                 Tel. +41 585 584 059                            Nadine Paterlini                           Fernando Roso
                 E-Mail: filippa heierli@siemens.com             Fabienne Schumacher
                 www.siemens.ch/monitor                          Benjamin Schenk                            Druck:
                                                                 Deniz Gören                                Rüesch AG, Rheineck
                                                                 Astrid Tönnies
                                                                 Jasmin Röthlisberger

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Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
125 Jahre Siemens
     in der Schweiz
     Am 23. Januar 1896, an einem kalten Donnerstag, brannte im Städtchen Langenthal um sechs
     Uhr abends zum ersten Mal elektrisches Licht. Der Strom für die Beleuchtung der Markt- und
     der Amtshausgasse stammte vom fünf Kilometer entfernten Kraftwerk Wynau. Der Bau des
     ersten Schweizer Flusskraftwerks war für die gesamte Region ein wichtiger Schritt in ein neues
     Zeitalter. Das Aarekraftwerk war unter Federführung von Siemens & Halske in nur 14 Monaten
     errichtet worden. Der Baustart von 1894 markiert gleichzeitig den Beginn unserer Geschichte
     in der Schweiz.
     Natürlich war Siemens hierzulande schon vorher aktiv: So setzte die Militärverwaltung in Thun
     bereits 1865 unsere Zeigertelegraphen ein, und auch der 1882 eröffnete Gotthardtunnel wurde
     mit Glockensignalen aus dem Hause Siemens & Halske gesichert. Aber erst beim Projekt in Wynau
     beschäftigte Siemens erstmals eigenes Personal in der Schweiz.
     In den vergangenen 125 Jahren hat unsere Firma zusammen mit Partnern im ganzen Land Tausende
     von grossen und kleinen Projekten umgesetzt und damit einen wichtigen Beitrag geleistet für
     den erfolgreichen Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Zusammenarbeit mit unseren Kunden und
     unser Know-how bilden auch die Basis für eine vielversprechende Zukunft. In einer Welt,
     die sich immer schneller dreht und laufend neue Technologien hervorbringt, braucht es verläss­
     liche Partner – Firmen wie Siemens, welche die Erfolgsgeschichte der Schweiz auch in den
     nächsten 125 Jahren fortschreiben wollen.
     Die vorliegende Jubiläumsausgabe unseres Mitarbeiter- und Kundenmagazins «Monitor»
     will nicht den Anspruch erheben, die Siemens-Historie in der Schweiz lückenlos auszuleuchten,
     denn allein schon mit den Innovationen, die in den Geschäftsfeldern Gebäudetechnik und
     Verkehr initiiert wurden, könnte man Hunderte Seiten füllen. Und auch unsere Fachleute aus
     den Bereichen Industrie, Energie, Medizin und früher in der Kommunikation haben zahllose
     kleine und grosse Meilensteine gesetzt. Vielmehr zeigen wir einige wichtige Highlights aus
     Schweizer Sicht und manchmal auch aus ungewohnten Blickwinkeln.
     Einige dieser Projekte und viele unserer Kunden haben sich zu bekannten Schweizer Ikonen
     entwickelt. Sie sind seit vielen Jahren Sinnbild für den Erfolg unseres Landes und stehen für
     Erfindergeist und Innovationskraft. Sie werden die Schweiz auch in Zukunft prägen.

     Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen!

     Matthias Rebellius
     CEO Siemens Schweiz

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Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
1847–1850

Eine Zigarrenkiste wird umfunktioniert
In einem unscheinbaren Berliner Hinter-       Für den Prototyp verwendete der in
hof begann am 12. Oktober 1847 die            der Nähe von Hannover geborene
Serienfertigung eines kleinen, etwa zehn      Pionier eine Zigarrenkiste, Weissblech,
Kilogramm schweren Geräts. Die Rede           einige Eisenstückchen und etwas iso-
ist vom Zeigertelegrafen, dem Vor­läufer      lierten Kupferdraht. Mit Johann Georg
des Fernschreibers und Telefaxgeräts.         Halske, einem Präzisionsmechaniker mit
Obschon die ursprüngliche Idee vom            ausgeprägtem Ehrgeiz für technische
britischen Physiker Charles Wheatstone        Entwicklungen, lernte Werner Siemens
stammte, war es Werner Siemens,               am Silvesterabend 1846 den idealen
der mit seiner Weiterentwicklung Mitte        Geschäftspartner kennen. Die zunächst
der 1840er-Jahre eine neue Ära der            noch informelle Zusammenarbeit führte
elek­trischen Telegrafie einläutete.          am 1. Oktober 1847 zur offiziellen

«Spanisch-Brötli-Bahn»                        Krieg und Frieden                           Ab die Post
Die erste ganz auf Schweizer Boden befind­    Der Sonderbundskrieg dauerte vom 3. bis     Noch mit Fussboten und Postkutschen
liche Bahnstrecke nahm am 7. August 1847      29. November 1847 und war der letzte        unterwegs und zuständig für den Transport
ihren Betrieb auf: Die Schweizer Nordbahn     bewaffnete Konflikt auf Schweizer Staats­   von Briefen, Paketen, Personen sowie
(SNB), im Volksmund als «Spanisch-Brötli-     gebiet. Anschliessend war der Weg frei      Geldsendungen, wurde am 1. Januar 1849 die
Bahn» bezeichnet, verband die Städte Zürich   für den geeinten Bundesstaat. Rund ein      schweizerische Post als Bundespost gegründet.
und Baden auf der 25 km langen Strecke.       Jahr später, am 12. September 1848, trat
                                              die Bundes­verfassung in Kraft.

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«London Calling»
                                                Gründung der «Telegraphen-Bauanstalt              Ganz nach dem Motto «Erfindungen
                                                von Siemens & Halske». Das nötige Start-          machen an Landesgrenzen nicht
                                                kapital von 6842 Talern für die rund              halt» dachte Siemens schon vor der
                                                150 Quadratmeter grosse Produktions­              eigentlichen Unternehmensgründung
                                                stätte in Berlin mitsamt Werkzeug                 über den Tellerrand hinaus. William
                                                stammte von Werners Cousin, dem                   Siemens, dem jüngeren Bruder
                                                Justizrat Johann Georg Siemens. Zehn              Werners, gelang die Paten­tierung der
                                                Mitarbeitende fer­tigten fortan die               galvanischen Versilberungs- und
                                                ersten Zeigertelegrafen. 1848 erhielt die         Vergoldungstechnik, die er 1843 für
                                                noch junge Firma den Auftrag, die erste           1600 Pfund an eine englische Firma
                                                Ferntelegrafenverbindung Europas zu               verkaufte. Vorerst noch zeitweise
                                                bauen. Die rund 670 Kilometer lange,              liess sich William ab 1844 dauerhaft
                                                weitgehend unterirdisch verlaufende               in London nieder und eröffnete am
                                                Linie zwischen Berlin und Frankfurt am            16. März 1850 die Auslandsvertretung
                                                Main ging im Februar 1849 in Betrieb.             von Siemens & Halske – die erste aus-
                                                Die Nachricht über die Wahl des preus-            ländische Niederlassung überhaupt.
                                                sischen Königs Friedrich Wilhelm IV               Rund ein Jahr später wurde mit der
                                                zum deutschen Kaiser erreichte Berlin             «Great Exhibition» im Londoner
                                                am 28. März 1849 in nur wenigen Mi-               Hyde Park die erste Weltausstellung
                                                nuten. Friedrich Wilhelm lehnte die               abgehalten. Das Wahrzeichen bildete
                                                Wahl zwar ab, aber Siemens & Halske               das Ausstellungsgebäude selbst,
                                                waren auf einen Schlag weit über die              der sogenannte «Crystal Palace».
                                                Grenzen hinaus bekannt.                           Der aus Eisen und Glas während
                                                                                                  17 Wochen Bauzeit angefertigte Palast
                                                                                                  umfasste auf 70 000 m2 mehr als
                                                                                                  17 000 Aussteller – mitunter auch
                                                                                                  Siemens & Halske mit einem repräsen-
                                                                                                  tativen Querschnitt ihrer Produkte.
                                                                                                  In den hohen und lichtdurchfluteten
                                                                                                  Hallen des Kristallpalasts konnten
                                                                                                  selbst riesige Maschinen zur Schau
                                                                                                  gestellt und von den insgesamt rund
                                                                                                  sechs Millionen Besuchenden bestaunt
                                                                                                  werden.

                                                  Nahtlose Isolierung
                                                  Mit der Guttaperchapresse entwickelte
                                                  Werner Siemens im Jahr 1847 ein Werkzeug
                                                  zur nahtlosen Isolierung von Kupferkabeln.
                                                  Neben dem Zeigertelegrafen schuf er damit
                                                  die zweite wichtige Voraussetzung für
                                                  die Entstehung des modernen Nachrichten-
                                                  verkehrs.

Beliebtes Geldstück                                Handelsplatz Genf                              Volksstatistik
«Fünfliber» zirkulierten in der Schweiz schon      Unter dem Namen «Société des agents de         Unter der Leitung des Tessiner Bundesrats
vor dem 1850 eingeführten Schweizer                change réunis» beheimatete Genf ab 1850        Stefano Franscini erfolgte im März 1850 die
Franken, und zwar in Form der ab 1795              die erste Schweizer Börse. Die Westschweizer   erste eidgenössische Volkszählung. Neben der
geprägten französischen 5-Franc-Stücke.            Stadt repräsentierte damals den wichtigsten    Erhebung der Bevölkerungszahl wurde erst-
Die Münze entsprach in bernischer Währung          Bankenplatz der noch jungen Eidgenossen-       mals nach Geschlecht, Alter, Zivilstand, Beruf,
rund 35 Batzen oder 5 Pfund, worauf die            schaft.                                        Gewerbe und Konfession der Einwohner
Bezeichnung «Fünfliber» (französisch Livre                                                        gefragt.
für Pfund) zurückgeht.

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Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
1851–1859

Die richtige Wahl
Mit 36 Jahren und für die damalige Zeit recht spät, entschei­
det sich Werner Siemens zur Heirat. «Am 11. Januar 1852
richtete ich die so lange verhaltene Frage an Mathilde
Drumann, deren Bejahung mich dann zum glücklichen
Bräutigam machte», wie er in seinen Lebenserinnerungen
schreibt. Die Hochzeit mit der acht Jahre jüngeren Braut
feierte Werner am 1. Oktober 1852 in Königsberg. Mathilde
war die Tochter einer Cousine von Werner. Verwandt-
schaftsehen waren zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches,
und für Werner war sie die richtige Wahl, wie er seinem
Bruder Wilhelm schreibt: «Eine besondere Schönheit ist
meine Braut nicht, doch das ist eine Frage zweiten Ranges.
Ich bin überzeugt, dass ich zufrieden und glücklich mit
ihr leben werde, das ist genug.» Kennengelernt hatten
sich die beiden bereits sieben Jahre vorher, als Mathilde
während der Sommerferien einige Tage bei der Familie
Siemens in Berlin verbrachte. Zu einer Liebschaft kam es
damals aber nicht. Erst 1851 begann Werner an die
Gründung einer eigenen Familie zu denken und suchte
den Kontakt zu Mathilde.

Da Werner oft unterwegs war, schmiedeten die beiden
mehrfach Ferienpläne. Angeregt von einem Reisetagebuch
schwärmte seine Frau von der Schweiz und schreibt am
27. Februar 1855: «Ach, was könnte ich mir Schöneres
denken, als an Deiner Seite einmal jener wundervollen
Natur einen kurzen glücklichen Traum zu träumen. Wollen
wir es einmal machen wie Wittichs, mit Sack und Pack
uns aufmachen u. himmlische Ferien in Interlaken feiern,
am Berner oder am Genfer See?» Leider war die körper­
liche Konstitution von Mathilde sehr instabil und lange                               Im Laufe seines Lebens ver­
Reisen kaum möglich. Werner dagegen weilte auf seinen                                 fasst Werner von Siemens
                                                                                      mehrere Tausend Briefe.
vielen Geschäftsreisen ab und zu in der Schweiz.                                      Die meisten waren geschäft­
Sein erster belegbarer Aufenthalt in der Schweiz war im                               licher Natur, aber auch
September 1855, als der damals 39-jährige Firmengründer                               persönliche Ansichten und
                                                                                      Gedanken brachte der
während einer achttägigen Reise u. a. Genf besuchte
                                                                                      Firmengründer handschrift­
und seiner Frau schrieb: «Ich selbst bin körperlich und                               lich zu Papier. Viele Briefe
geistig ganz frisch und gesund, (…) doch fange ich schon                              gingen an seine Familie und
an, mich aus dem Getümmel weg zu sehnen und in der                                    an seine erste Frau Mathilde,
                                                                                      die er 1852 heiratete.
schönen Schweizer Natur wieder zur Ruhe zu kommen (…).

                                   Bildung als Basis                          Bedeutender Zeitgenosse
                                   In Lausanne besuchen 1853 die ersten       Mit Jeremias Gotthelf stirbt am
                                   Studenten die École spéciale.              22. Oktober 1854 einer der einfluss-
                                   Die Privatschule ist die Vorläuferin der   reichsten Schweizer Schriftsteller.
                                   späteren École polytechnique fédérale      Er war ein stetiger Mahner vor Fehl­
                                   de Lausanne (EPFL). Zwei Jahre spä-        entwicklungen auf dem Weg zum
                                   ter zieht auch Zürich nach, wo 1855        Bundesstaat. Seine Werke blieben bis
                                   das Polytechnikum gegründet wird.          ins 20. Jahrhundert populär – vor
                                   Dieses entwickelt sich im Lauf der         allem wegen der Verfilmung einiger
                                   Jahre zur Eidgenössischen Technischen      seiner Bücher wie «Ueli der Knecht»
                                   Hochschule (ETH).                          oder «Anne Bäbi Jowäger».

6
Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
Schweizweites Kommunikationsnetz
Die erste Telegraphenlinie in der Schweiz nahm am                    Siemens kam bei diesen Schweizer Projekten nicht zum Zug,
15. Juli 1852 zwischen St. Gallen und Zürich den Betrieb             obwohl man sich in der Familie über die Geschäftsmög-
auf. Fünf Monate später, bei der offiziellen Eröffnung               lichkeiten durchaus bewusst war. So schrieb Werner am
des schweizweiten Liniennetzes, war dieses schon fast                26. Dezember 1851 in einem Brief an seinen Bruder Carl in
2000 km lang und umfasste 27 Telegraphenbüros in                     Paris: «Wenn Du dort nichts zu thun hast und hier herkom-
allen grösseren Städten.                                             men willst, so mache den Umweg über die Schweiz (Bern).
                                                                     Die Leute wollen da grosse Tel. Anlagen machen und Du
Anfänglich schien die Schweiz beim Aufbau des Telegra-               müsstest Dich mit den Leitern in persönliche Verbindung
phennetzes keine grossen Ambitionen zu hegen. Die neue               setzen.» Wie sich diese ersten Kontaktversuche mit
Technik war zwar bekannt, ihr wurde aber – anders als                Schweizer Kunden entwickelten, ist leider nicht überliefert.
in vielen europäischen Ländern – keine grosse Beachtung              Dass Siemens nicht zu nennenswerten Aufträgen kam,
geschenkt. Dies änderte sich schlagartig, als Siemens in             hatte wohl auch damit zu tun, dass Carl zu dieser Zeit
Rekordzeit die erste Telegrafenlinie zwischen Berlin und             mit dem harzig laufenden Geschäftsaufbau in Frankreich
Frankfurt fertiggestellt hatte und diese am 31. August 1849          beschäftigt war. Und Firmengründer Werner steckte zu
sogar für den Privatverkehr freigegeben wurde. Der in                dieser Zeit seine ganze Kraft in den Aufbau des Russland-
Deutschland lebende Bieler Ernst Schüler wies die Berner             geschäfts. Zudem verfügte das Unternehmen auch nicht
Regierung in einem Brief auf das Projekt hin, worauf sich            über allzu viele Ressourcen: Siemens & Halske beschäftigte
diese an den Bundesrat wandte. Gleichzeitig drängten                 vier Jahre nach der Gründung erst 50 Mitarbeitende.
viele Schweizer Firmen auf eine rasche Einführung von
Telegraphenlinien zwischen den grössten Städten.

                                                           Die Telegraphie erobert die Schweiz.     Erfolg im Osten
                                                           Ende 1852 umfasste das Liniennetz        Der russische Staat beauftragt 1853
                                                           bereits 2000 Kilometer. Um die Verbin­   Siemens & Halske, eine Telegrafenlinie
                                                           dung ins Tessin sicherzustellen,
                                                                                                    von Warschau bis an die preussisch-
                                                           wurde auch eine Telegraphenleitung
                                                           über den Gotthardpass gebaut.
                                                                                                    russische Grenze zu verlegen. Es folgen
                                                                                                    weitere Projekte, und zwei Jahre später
                                                                                                    erhält Siemens & Halske auch den
                                                                                                    Auftrag, das 9000 Kilometer lange
                                                                                                    Staatstelegraphennetz zu warten.
                                                                                                    Dank eines speziellen Überwachungs­
                                                                                                    systems in Form eines empfindlichen
                                                                                                    Strommessgeräts, das an die Leitung
                                                                                                    geschaltet wird, können Ausfälle
                                                                                                    schnell lokalisiert und behoben werden
                                                                                                    – eine frühe Form der Fernwartung.
                                                                                                    Das Unternehmen wächst: 1856 sind
                                                                                                    zwei Drittel der damals 330 Mitarbei-
                                                                                                    tenden in Russland tätig.

                       Machtzentrum in der Hauptstadt                                               Haarige Touristenattraktion
                       Das Bundeshaus in Bern ist nicht nur                                         Der Bärengraben in Bern wird 1857 an
                       das bekannteste Wahrzeichen der                                              den heutigen Standort bei der Nydegg-
                       Schweizer Hauptstadt, sondern auch                                           brücke verlegt. Der Publikumsmagnet
                       Sinnbild für die Schweizer Demo­                                             musste in den vorangehenden Jahr-
                       kratie. 1857 wurde der Westflügel                                            hunderten mehrfach umziehen. Der
                       eröffnet, der erste Teil des heutigen                                        allererste Bär lebte in einem Häuschen
                       300 Meter langen Gebäudekomple-                                              im Stadtgraben vor dem mittleren Tor,
                       xes. Bald schon zu klein geworden,                                           dem heutigen Bärenplatz. Das Tier
                       wurde 1892 das Bundeshaus Ost                                                wurde 1513 von Soldaten, die nach der
                       fertiggestellt, und von 1894 bis 1902                                        siegreichen Schlacht von Novara
                       entstand in der Mitte dieser beiden                                          zurück­gekehrt waren, als Kriegsbeute
                       Bauten das neue Parlamentsgebäude.                                           nach Bern mitgebracht.

		                                                                                                                                       7
Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
1860–1865

Neue Technik fürs Schweizer Militär
                                                                                     Obwohl Zeigertelegraphensysteme
                                                                                     schon vor 1840 bekannt waren, wurden
                                                                                     diese in der Schweiz erst viel später
                                                                                     und nur für einzelne private und mili-
                                                                                     tärische Anschlüsse verwendet.
                                                                                     Die erste Schweizer Bewilligung für den
                                                                                     Betrieb eines Zeigertelegraphen
                                                                                     bekam die Firma J.J. Rieter in Töss am
                                                                                     21. Dezember 1863, zwei Jahre später
                                                                                     beschaffte die Stadtpolizei Zürich
                                                                                     einige Geräte. Welcher Hersteller zum
                                                                                     Zug kam, lässt sich «anhand der vor-
                                                                                     handenen Akten nicht feststellen», wie
                                                                                     es in der 1952 erschienen Jubiläums-
                                                                                     schrift «Hundert Jahre elektrisches
                                                                                     Nachrichtenwesen» heisst. In derselben
                                                                                     Publikation ist festgehalten, dass sich
                                                                                     im Verkehrshaus, welches damals noch
                                                                                     in Zürich angesiedelt war, drei Zeiger­
                                                                                     apparate System Siemens & Halske
                                                                                     befinden, «die mit ziemlicher Sicher-
                                                                                     heit bei der Militärverwaltung in Thun
                                                                                     in Betrieb standen.»
Auf der Thuner Allmend bezieht die        Die Zeigertelegraphen wurden vor über
Schweizer Armee 1864 ihre neue            150 Jahren u. a. bei Artillerie­schiess­
Mannschaftskaserne. Der Bau war           übungen auf dem Thuner Waffenplatz
dringend nötig, waren doch die            eingesetzt, wie eine alte Handskizze
Soldaten der 1818 gegründeten Eidge-      in der Ausstellung zeigt. Den Kanonie-
nössischen Zentral-Militärschule an       ren wurde von den im Zielgebiet
mehreren Standorten in Thun verteilt.     stationierten Soldaten mittels Zeiger-
Mit dem Neubau investierte die Armee      telegraph mitgeteilt, ob ihr Geschoss
auch in neue Kommunikationsmittel.        am richtigen Ort eingeschlagen hatte
So wurden einige Zeigertelegraphen        oder ob die Ausrichtung der Kanone
von Siemens & Halske angeschafft.         geändert werden musste. 1865 stattete
Zwei dieser Geräte stehen heute,          übrigens Napoleon III dem Städtchen
zwischen wertvollen alten Gewehren        Thun einen Besuch ab und besichtigte
und Munition aus dem 18. und 19. Jahr-    u. a. auch die neue Kaserne. Es ist
hundert, in der historischen Aus­         anzunehmen, dass ihm die neu ange-
stellung der Ruag Ammotec in Thun.        schafften Kommunikationsmittel
Die Zeigertelegraphen kamen um            ebenfalls vorgeführt wurden.
1865 zum Einsatz und sind vermut-
lich die allerersten Produkte, die
Siemens & Halske in die Schweiz gelie-
fert hat. «Das eine Gerät ist in tadel-
losem Zustand», meint der Ausstel-
lungsverantwortliche Fritz Egger.
Der andere «Buchstabentelegraph»,
wie Egger das Gerät nennt, sieht
ziemlich mitgenommen aus und
steht in den Archivräumen.
«Auch diese sind gut geschützt:
Wir haben für das ganze
Gebäude vor rund
zehn Jahren eine
Siemens-Alarmanlage
installiert.»

8
Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
Siemens und die Physik
In der damals führenden Fachpublikation
«Poggendorffs Annalen der Physik und
Chemie» veröffentlichte Werner Siemens 1860
den Aufsatz «Vorschlag eines reproducirbaren
Widerstandsmaaßes». Basierend auf dieser
theoretischen Abhandlung entstand die
Bezeichnung «Siemens» (S), die im interna-
tionalen Einheitensystem (SI) die Massein-
heit des elektrischen Leitwertes darstellt.
«Siemens» ist der Kehrwert des elektrischen
Widerstandes Ohm.

                                                                Touristen im Fokus
                                                                Auf der Luzerner Kapellbrücke wird 1863 ein Souvenirladen eröffnet.
                                                                Das kleine Verkaufslokal steht heute noch am selben Ort und ist der wohl
                                                                älteste Souvenir-Shop der Schweiz.

Papier aus Perlen                                 Fussball-Pioniere                                Neues Badegefühl
Die Industriellenfamilie Bell initiiert 1862 im   Die Schweiz war das erste Land nach Gross-       Mit der «Bad- und Waschanstalt» in Winterthur
luzernischen Perlen den Bau eines künstlichen     britannien, in dem Fussball gespielt wurde.      wird 1864 das erste Hallenbad der Schweiz
Reusskanals zur Wasserkraftnutzung. Zehn          1860 gründeten englische Studenten den           eröffnet. Das Schwimmbecken war 8 x 12 Meter
Jahre später wird dort eine Holzstofffabrik       «Lausanne Football & Cricket Club».              gross und existierte bis 1915.
gegründet, die laufend erweitert und zu einer
international tätigen Firma ausgebaut wird.
Seit 2017 ist sie die einzige verbliebene
Papierfabrik in der Schweiz. Für den elektri-
schen Antrieb und die Steuerung der riesigen
Maschinen setzt das Unternehmen seit Jahr-
zehnten zahlreiche Siemens-Produkte ein.

                                                                                                   Gefährliches Matterhorn
                                                                                                   Sieben Abenteurer aus England, Frankreich
                                                                                                   und der Schweiz, angeführt von Edward
                                                                                                   Whymper, bezwangen am 14. Juli 1865 zum
                                                                                                   ersten Mal das Matterhorn. Vier der sieben
                                                                                                   Bergsteiger verloren beim Abstieg ihr Leben.

                                                  Humanitäre Hilfe
                                                  Henry Dunant gründet 1863 in Genf mit vier
                                                  Gesinnungsgenossen das Internationale
                                                  Hilfskomitee für Verwundete, daraus wurde
                                                  später das Internationale Komitee vom
                                                  Roten Kreuz. Das IKRK ist heute die grösste
                                                  humanitäre Organisation der Welt. Die letzte
                                                  Ruhestätte von Henry Dunant befindet sich
                                                  übrigens unweit des Siemens-Standortes
                                                  Albisrieden auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld,
                                                  wo seine Asche am 2. November 1910 beige-
Georg Halske will nicht mehr
                                                  setzt wurde.
Johann Georg Halske kündigt 1863 seinen
Ausstieg aus dem operativen Geschäft von
S&H an. Bis zu seinem Tod 1890 bleibt er
Freund und Berater der Familie Siemens.
Der Name «Halske» ist bis 1966 fester Bestand-
teil der Firmenbezeichnung.

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Monitor Magazin der Siemens-Gesellschaften in der Schweiz
1866–1869

«Die Effecte müssen colossal werden»
Im Alter von 50 Jahren gelingt Werner Siemens seine für       Von seiner Idee überzeugt, sicherte sich Werner Siemens
die Elektrotechnik wohl bedeutendste Leistung. Auf Basis      die nötigen Patente und hielt am 17. Januar 1867 in einem
von Arbeiten Michael Faradays entdeckte er 1866 das           Bericht an die Berliner Akademie der Wissenschaften fest,
dynamoelektrische Prinzip, ein Meilenstein auf dem Weg        dass es dank seiner Erfindung möglich sei, «elektrische
zur modernen Starkstromtechnik. «Ich habe eine neue           Ströme von unbegrenzter Stärke auf billige und bequeme
Idee gehabt, die aller Wahrscheinlichkeit nach reüssieren     Weise zu erzeugen». Die kleine, unscheinbare Maschine
und bedeutende Resultate geben wird», liess er seinen in      ist heute eines der Prunkstücke im Deutschen Museum in
London stationierten Bruder Wilhelm wissen. Dank dieser       München. Die Erfindung der Dynamomaschine revolutio-
Idee war die Basis gelegt, um elektrische Energie in          nierte die Stromerzeugung und ist einer der wichtigsten
grossen Mengen wirtschaftlich zu erzeugen und zu ver-         Meilensteine auf dem Weg zur elektrifizierten Gesellschaft.
teilen. Im Gegensatz zu anderen, parallel an diesem
Thema arbeitenden Forschern erkannte Siemens die wirt-
schaftliche Bedeutung seiner Erfindung. In seinem Brief
an Wilhelm hielt er fest: «Die Effecte müssen bei richtiger
Construction colossal werden. Die Sache (…) kann eine
neue Ära des Elektromagnetismus anbahnen». Wie Recht
er hatte, zeigt sich an den Generatoren, die heute gebaut
werden und millionenfach mehr leisten als die kleine
Versuchsanlage von damals.
Seine erste «Dynamoelektrische Maschine», wie er sie
nannte, erbrachte eine Leistung von rund 25 Watt.
Das Gerät baute sein damaliger Werksmeister Carl Müller.
Als dieser auf Anweisung von Werner Siemens den Apparat
mit der Handkurbel andrehte, war der dadurch erzeugte
Strom wenig später so stark, dass das zur Messung
angeschlossene Galvanometer durchbrannte. Carl Müller
schrieb später: «Blitzartig fühlte jeder die Grösse des
getanen Schrittes, ohne zu ahnen, zu welchen Zielen er
führen wird.»

10
Boom dank Bahnhof
                                                Der Aufstieg von Zürich zum wirtschaftlichen Zentrum der Schweiz
                                                wurde mit der ersten Erweiterung des Bahnhofs beschleunigt.
                                                Der Baustart erfolgte 1867. Zwanzig Jahre nach der Eröffnung der
                                                allerersten Haltestelle war der Bahnhof zu klein geworden, um den
                                                gestiegenen Verkehrsbedürfnissen der Grossstadt gerecht zu werden.

Eigentümerkultur
Um qualifizierte Mitarbeiter an das Unterneh-
men zu binden und einen festen Arbeiter-
stamm zu bilden, führte Siemens schon früh-
zeitig zahlreiche sozialpolitische Massnahmen
ein. Eine der bekanntesten war 1866 die so-
genannte Inventurprämie, eine Erfolgsbeteili-
gung für Lohnarbeiter. Die Beteiligung der
Mitarbeitenden am Unternehmenserfolg ist
auch für die heutige Führung von zentraler
Bedeutung. Weltweit besitzen mehr als
300 000 Mitarbeitende Siemens-Aktien.
                                                Globale Handelsroute
Der Grund für die hohe Beteiligung ist das
                                                Rund zehn Jahre nach dem Baustart wird 1869 der 163 km lange Suezkanal
«Siemens Profit Sharing». Dieses wurde 2015
                                                eröffnet. Die Wasserstrasse ist nach wie vor eine der weltweit wichtigsten
ins Leben gerufen, um möglichst viele Mitar-
                                                Verkehrswege. Laut Schätzungen gehen auch heute noch rund acht Prozent
beitende am Unternehmenserfolg teilhaben
                                                des Welthandels durch den Kanal, der das Mittelmeer über das Rote Meer
zu lassen. Das Programm ermöglicht den
                                                mit dem Indischen Ozean verbindet.
Beschäftigten, nach besonders erfolgreichen
Geschäftsjahren Gratisaktien zu beziehen.
In der Schweiz sind heute rund 4300 Personen                                    Viele Staumauern
nicht nur Siemens-Mitarbeitende, sondern                                        Bei Pérolles südlich von Freiburg beginnen
gleichzeitig auch Siemens-Aktionäre.                                            1869 die Bauarbeiten für die erste betonierte
                                                                                Staumauer in Europa. Ganz in der Nähe bei
                                                                                Montsalvens wurde 50 Jahre später eine
                                                                                Bogenstaumauer errichtet. Auch sie war eine
                                                                                Europapremiere. Dieser Mauertyp kam
                                                                                in der Schweiz in der Folge am meisten zur
                                                                                Anwendung. Heute existieren hierzulande
                                                                                mehr als 200 solche Bauwerke. Damit hat
                                                                                die Schweiz weltweit die höchste Dichte an
                                                                                Talsperren: rund 5 pro 1000 km2.

		                                                                                                                        11
Hartnäckige Schwester
Vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet
Werner am 13. Juli 1869 die 28-jährige Antonie Siemens.
Dass es dazu kommt, ist auch Werners Schwester
Mathilde zu verdanken, die dem Witwer mit Verkupplungs-
versuchen «auf die Nerven geht», wie er seinem Bruder
William schreibt: «Mich quält sie trotz meiner entschie­
denen Bitte, mich in Ruhe zu lassen, doch wieder lustig
mit Heiratsprojekten». Die Schwester will den Bruder
wieder glücklich sehen. Er will hauptsächlich seinen
Kindern ein guter Vater sein und sträubt sich jahrelang
gegen Heiratspläne. Doch bei Antonie ist alles anders,
und der 53-jährige Werner verliebt sich Hals über Kopf
in die junge Schwäbin. Im Mai 1869 schreibt er ihr u. a.
folgende Zeilen: «Du (…) hast aus mir altem vertrockne-
tem, von schwerer Arbeit und langjährigen Sorgen und
Leiden niedergedrücktem Manne mit einem Schlage
einen feurigen, jugendlich fühlenden Liebhaber gemacht.
(…) und ich gestehe gern, dass ich mich der jugend­
lichen Gefühle beinahe schäme, derer ich mich nicht
erwehren kann (…).

Ein Jahr nach der Hochzeit kommt Tochter Hertha
(1870–1939) zur Welt und zwei Jahre später Sohn Carl
Friedrich (1872–1941). Unter dem Einfluss seiner jungen
Frau blüht Werner förmlich auf, wie ein Brief beweist,
den er ihr im Oktober 1870 aus Luzern schreibt. «Mein
Herzensfrauchen! (…) Du mein Abendstern, der den
Rest meines Lebens aus einer dunklen Öde in frisches,
lebendiges Leben umgewandelt hat!»
Im gleichen «Luzerner» Brief stellt er in Aussicht, die
Schweiz im Sommer gemeinsam mit ihr zu besuchen, und
hofft gleichzeitig auf besseres Wetter als beim aktuellen
Ausflug auf die Furka. «(…) Da oben aber wars fürch­
terlich! Der Schnee lag so dick auf dem Wege, dass die
Pferde nicht fortkommen konnten. Zu Fuss, bis über
die Knie im tiefen, frischen Schnee watend, mussten
wir den Berg hinanklimmen.» Auf dieser Reise durch die                 Werner von Siemens als rund 60-jähriger Unternehmer
Schweiz waren auch der 15-jährige Wilhelm und der                      im Kreise seiner engsten Familie. Vorne sitzend mit
17-jährige Arnold, seine beiden Söhne aus erster Ehe,                  seiner zweiten Frau Antonie und ihren gemeinsamen
                                                                       Kindern Hertha und Carl Friedrich. Dahinter die Kinder
mit von der Partie. Die Siemens-Familie musste wenige
                                                                       aus erster Ehe mit Mathilde. Von links nach rechts:
Tage später auch auf einen geplanten Ausflug auf                       Arnold, Käthe, Wilhelm und Anna.
die Rigi verzichten, weil der Berg schneebedeckt war.
«So blieben wir bei Schwytz und machten hübsche
Ascensionen in der Umgegend», wie Werner schreibt.          Es ist anzunehmen, dass der technikbegeisterte Unter-
                                                            nehmer bei seinem damaligen Besuch am Vierwaldstätter-
                                                            see auch Kenntnis hatte vom Zahnradbahn-Projekt auf
                                                            die Rigi. Die aufwändigen Bauarbeiten für die erste euro-
                                                            päische Bergbahn von Vitznau über Kaltbad auf die
                                                            Staffelhöhe waren seit über einem Jahr im Gang, und
                                                            die erste Probefahrt mit der Rigi-Dampflok hatte auch
                                                            schon stattgefunden. Eröffnet wurde das Pionierwerk
                                                            ein Jahr später, am 21. Mai 1871. Ob Werner von Siemens
                                                            später einmal auf der Rigi war, ist nicht überliefert.

12
Die Familie Siemens machte oft Ferien in der Schweiz.
                                                            Beliebtes Reiseziel war die Zentralschweiz, wo auch
                                                            Werner von Siemens mehrfach zu Besuch war.
                                                            Auch seine Söhne Wilhelm und Arnold waren mehrfach
                                                            in der Schweiz. Im Herbst 1875 benutzten die beiden die
Sicherlich nutzten seine Söhne Arnold und Wilhelm           Rigi-Dampfbahn, die vier Jahre vorher als erste Zahnrad-
die Rigi-Dampfbahn im September 1875 während einer          Bergbahn Europas eröffnet worden war.
mehrtägigen Schweizer Reise, während der sie u. a.
auch die brandneue Uetlibergbahn benutzten sowie
den Pilatus bestiegen. Arnold schrieb seinem Vater,
der ihnen dieses Erlebnis ermöglicht hatte: «Gleichzeitig
auch unsern besten Dank für den Reisezuschuss, ohne
den es wohl in der über alle Beschreibung unverschämt
teuren Schweiz nicht gut möglich gewesen wäre,
sehr weit zu kommen.»

		                                                                                                                13
1870–1878

Bedeutende Weichenstellung
in Bern

Nach nur zwei Jahren Bauzeit konnte am 12. April 1870 auf der Indo-     «Das Schicksal der Ind. Linie wird unweigerlich in Bern entschieden.»
Europäischen Telegraphenlinie die erste Depesche verschickt werden.     Siemens logierte mehrere Tage im Bernerhof, einem feudalen Grand
Sie brauchte gerade einmal 1 Minute von London bis Teheran und          Hotel direkt neben dem Bundeshaus. In einem Brief an seine Frau
28 Minuten bis Kalkutta – eine Sensation, denn vorher benötigte eine    Antonie berichtet er über die schwierigen Verhandlungen. «Leider ist
Nachricht von London nach Kalkutta ganze sechs Tage! Die Realisierung   Französisch die Konferenzsprache, und damit steht es schlecht mit
der Telegraphen­­linie war eine wahre Mammut­aufgabe: In teils unweg­   uns allen! Ein Königreich für eine französische Zunge (…). Ich hätte
samen ­Gelände wurden etwa 70 000 Masten aufgestellt und tonnen­        damit hier zehnfachen Wert und wäre ziemlich siegesgewiss».
schweres Baumaterial an seinen jeweiligen Bestimmungsort trans­         Allen Sprachhürden zum Trotz hatte Siemens in Bern Erfolg, und die
portiert. Das Grossprojekt erweist sich als regelrechtes Abenteuer:     Indo-Europäische Linie blieb bis 1931 in Betrieb. Nicht technische
Ausein­ander­setzungen, Materialdiebstähle oder bewaffnete Raubüber-    Mängel bringen letztendlich das Aus, sondern der Aufschwung der draht-
fälle gehören dazu.                                                     losen Funkverbindungen nach dem Ersten Weltkrieg. Dennoch ist
Am 25. September 1871 reiste Werner Siemens an die Internationale       die Indolinie ein grosser Schritt hin zur Verkabelung der Welt und ein
Telegraphische Konferenz in Bern, um unvorteilhafte Tarifanpassungen    bedeutender Meilenstein für Siemens bei seinem Aufstieg zum global
zu verhindern. Kurz davor schrieb er im Brief an seinen Bruder Carl:    agierenden Unternehmen.

                                                                        Volles Risiko
                                                                        Mit der Verlegung des transatlantischen Seekabels nahmen die Siemens-
                                                                        Brüder 1874 ein waghalsiges Projekt in Angriff. Der Markt war hart
                                                                        umkämpft, und die Konkurrenz setzte alles daran, das Monopol zu halten.
                                                                        Immer wieder versuchte sie, das Projekt mit Falschmeldungen und
                                                                        später den Betrieb mit Attacken zu verhindern. Die Siemens-Brüder
                                                                        waren fassungslos. Werner Siemens griff zu anderen Mitteln und
                                                                        beauftragte unabhängige Spezialisten: Das Gutachten diskreditierte
                                                                        die Konkurrenz, und die Angriffe endeten schlagartig.

Bier vom Schloss
Theophil Roniger und Mathias Wüthrich kauften 1876 beim neuen
Bahnhof Rheinfelden die alte Fabrikliegenschaft Gifthüttli und inves-
tierten 365 000 Franken in den Umbau, Brauereieinrichtungen und
Rohmaterial – damals eine ungeheure Summe. Das bekannte Schloss
wurde 1882 gebaut. Über 100 Jahre später sorgt Siemens-Technik
für zuverlässigen Brandschutz und einen automatisierten Brauprozess.

14
Rösslitram                                                                                           Tourismusboom
Der öffentliche Verkehr in Bern                                                                      Fast zeitgleich werden 1873 das Grand Hotel
ist fast 150 Jahre alt: 1871 legten                                                                  auf dem Bürgenstock und der Gletschergarten
die Einwohner von Bern die Strecke                                                                   in Luzern eröffnet. Um mehr Eintritte im
zwischen Bärengraben und Linde                                                                       Naturpark und Museum zu generieren, kauften
erstmals mit Pferde-Omnibussen                                                                       die Luzerner 1896 an der Landesausstellung
zurück.                                                                                              in Genf die dortige Attraktion, das Spiegel­
                                                                                                     labyrinth «Alhambra».

                                                      Internationale Ausstrahlung
                                                      1872 wurde in Genf mit dem
                                                      Alabama-Schiedsgericht weltweit
                                                      erstmals ein Konflikt zwischen zwei
                                                      Nationen (USA und Grossbritannien)
                                                      durch inter­nationale Mediation
                                                      beigelegt. Seitdem hat sich Genf
                                                      zum Zentrum für inter­nationale
                                                      Mediation und Verhandlungen ent-
                                                      wickelt.

Das Telefon kommt in die Schweiz
Mitte November 1877 erreichte eine Aufsehen erregende Nachricht die          Kurz darauf bestellte die Schweizer Behörde einen Sender und Geber
Schweiz: Deutschland hat die erste telefonische Einrichtung erfolg-          für 10,25 Reichsmark bei Siemens & Halske in Berlin. Schon am
reich in Betrieb gesetzt. Schlagartig war das Interesse der Öffentlichkeit   13. Dezember 1877 wurden auf einer Telegraphenleitung zwischen Bern
geweckt. Sofort bittet die Schweizerische Telegraphendirektion beim          und Thun die ersten Telefongespräche ausprobiert. Die Resultate
Deutsche General-Telegraphen-Amt um detaillierte Informationen.              waren so erfolgsversprechend, dass am 17. Dezember mit Thun und
Die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Der Bundesrat erhielt mit     Interlaken weitere Versuche folgten. Das Interesse war derart gross,
einem vom 21. November 1877 datierten Schreiben von Dr. Arnold Roth,         dass die Telegraphendirektion vorsorgliche Massnahmen veranlasste,
dem bevoll­mächtigten Minister beim Deutschen Reich und dem                  um die Telefoneinrichtungen unter das Monopol der Eidgenossenschaft
Königsreich Bayern, einen genauen Bericht über die unglaublichen             zu stellen.
Versuche mit der neuen Erfindung «Telefon».

		                                                                                                                                           15
1879–1885

«Hopp-Sanggale, vüre mitem Balle!»                                                          Bahnhofstrasse 48, Zürich
Am 19. April 1879 wurde im St. Galler Tagblatt ein Aufruf zur Gründung eines Fussball-      Die Jahre um 1880 waren
vereins publiziert. Die Gründungsmitglieder hatten den Sport von ihren englischen           grossartige Jahre für Kinder.
Mitspielern kennengelernt. Heute ist der FC St. Gallen nicht nur der älteste existierende   Johanna Spyri ver­öffentlichte
Fussballverein der Schweiz, sondern auch auf dem europäischen Festland.                     die beiden «Heidi»-Bücher.
                                                                                            Zur selben Zeit entstand auch
Einflussreiche Persönlichkeit                                                               in Zürich eine bei Kindern
Am 6. Dezember 1882 starb Alfred Escher in Zürich. Durch seine zahlreichen Ämter            sehr beliebte Institution.
sowie Gründungs- und Führungstätigkeiten bei der Schweizerischen Nordostbahn,               An der Bahnhofstrasse 48 –
dem Eidgenössischen Polytechnikum, der Schweizerischen Kreditanstalt, der                   genau hier wohnte übrigens
Schweizerischen Lebensver­sicherungs- und Rentenanstalt sowie der Gotthardbahn-             Johanna Spyri ab 1885 für
Gesellschaft verfügte er über eine aussergewöhnliche Machtfülle. Diese Vormacht­            ein Jahr – gründete der Unter-
stellung rief Kritiker auf den Plan, und der Politikerkreis um Alfred Escher, das «System   nehmer Franz Philipp Karl
Escher», wurde erklärtes Feindbild der Demokraten.                                          Friedrich Weber ein Verkaufs-
                                                                                            geschäft für Spielwaren.
Mit Bildung zum Erfolg                                                                      Das Schaukelpferd, auch heute
Mit über 1,7 Millionen Besuchern stellte 1883 die erste Schweizer Landesausstellung         noch Teil des Logos, war eines
in Zürich alle bisherigen Veranstaltungen in den Schatten. Ein wichtiger Platz              der ersten Produkte, das
wurde dem Schulwesen eingeräumt, da dieses als wesentliche Voraussetzung für                «Franz Carl Weber» verkaufte.
die nationale Produktionsstärke erkannt wurde.

16
Meisterwerke der Ingenieurskunst
Es muss ein regelrechtes Abenteuer für die Besucher der               Eng verbunden mit der ersten elektrischen Eisenbahn ist
Mannheimer Gewerbeausstellung gewesen sein: Auf einer                 auch der Gotthardtunnel. 1880 erwähnte Werner in einem
offenen Plattform fuhren sie an einem Aussichtsturm in                Brief an seinen Bruder William: «Aus der Schweiz haben
die Höhe, ohne den hierfür notwendigen Antrieb über-                  wir Anfrage ob wir den electrischen Betrieb des Gotthard
haupt sehen zu können. Erstmals bewegte ein elektrischer              Tunnels einrichten wollten.» Das Vorhaben wurde zwar
Motor einen derartigen «Lift». Entwickelt wurde dieser                nicht verwirklicht, doch im Briefwechsel zwischen der
erste elektrische Aufzug der Welt von Werner Siemens.                 Bahn­gesellschaft und Siemens & Halske beeindruckt das
Nach der Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips galt              von technischen und wirtschaftlichen Überlegungen
seine ganze Aufmerksamkeit der Identifikation praktischer             geprägte Vorgehen des damaligen Oberingenieurs Gustave
Anwendungsmöglichkeiten für die neue Technik.                         Bridel von der Gotthardbahn.
Eine seiner berühmtesten Konstruktionen war die erste
elektrische Eisenbahn, die 1879 anlässlich einer Berliner             Der Gotthardtunnel wurde 1882 in
Industrieausstellung ihre Runden drehte. Weniger                      Betrieb genommen, aber erst vier
bekannt ist, dass als Nebenprodukt dieser Konstruktion                Jahrzehnte später mit elektrischen
die Idee für den elektrischen Lift entstand. Das Publikums-           Lokomotiven befahren. Ein von
interesse am Aufzug war gewaltig, von September bis                   Siemens & Halske entwickeltes
Mitte November 1880 konnten über 8000 Menschen das                    Glockentelegraf-System für die Über-
neue Transportmittel ausprobieren. Ein weiteres Kapitel               mittlung von Anfahrts- und anderen
der Verkehrsgeschichte begann im Mai 1881, als die erste              Meldungen, das sich bereits bei der
Strassenbahn im Berliner Vorort Gross-Lichterfelde                    Deutschen Reichsbahn bewährt
ihre Weltpremiere feierte. Werner Siemens konnte damit                hatte, beeindruckte jedoch offen­-
beweisen, dass elektrische Schienenfahrzeuge im Stadt-                ­sichtlich auch die Direktion der
verkehr technisch und wirtschaftlich einzusetzbar sind.                Gotthardbahn. Bis Ende 1883 wurden
Im ersten Jahr fuhr nur ein Triebwagen. Er war gut vier                auf der 156 Kilometer langen Strecke
Meter lang und fasste maximal 26 Passagiere. Eine zwei-                insgesamt 150 Glockenanlagen in­
polige Oberleitung für Schienenbahnen stellte Werner                   stalliert. Das Spezielle an der Anlage
Siemens im August 1881 an der internationalen Elektrizi-               war, dass von jedem Punkt aus Signale
tätsausstellung in Paris vor.                                          gegeben und sofort auf der ganzen
                                                                       betroffenen Strecke empfangen
Auch auf der Strasse war er ein Elektropionier.                        wer­den konnten. Dieses Glocken­-
Am 29. April 1882 präsentierte er auf einer 540 Meter                  ­­­signal war eines der ersten Bahn-
langen Versuchsstrecke in Berlin die «Elektromote», den               sicherungssysteme in der Schweiz.
weltweit ersten elektrisch betriebenen Oberleitungsbus
und damit eines der ersten Elektromobile der Welt.
                                                                                                    Das von Siemens & Halske entwickelte
                                                                                                    «Universalläutewerk» sicherte den
                                                                                                    Bahnverkehr auf der 1882 eröffneten
                                                                                                    Gotthardstrecke.

Zentrale Steuerung                                                                               Archaeopteryx Siemensii
Eine «bemerkenswerte Neuerung» sei im Mai 1880 im Bahnhof Bern                                   In Bayern wurde ein 150 Millionen Jahre
die zentrale Weichenstellung gewesen, wie die Zürcher Post schrieb.                              alter Urvogel gefunden. Das Exemplar
Der Redaktor führte aus, dass erstmals in der Schweiz alle                                       gilt als das vollständigste Stück. Nach-
Ein­richtungen «von einem Punkte aus und von einem einzigen                                      dem es aufwändig präpariert wurde,
Angestellten bedient würden». Siemens & Halske lieferte die Signal-                              war der Kaufpreis so hoch, dass ihn
und Kontrollapparate für diese Schweizer Premiere.                                               weder die Bayerische Staatssammlung
                                                                                                 noch die Yale-Universität aufbringen
Der Zeit weit voraus                                                                             konnten. 1879 erwarb Werner Siemens
1884 liess Werner Siemens seine Idee von einem induktionsfreien                                  das Exemplar für 20 000 Mark und
Kabel durch ein Patent schützen. Werner Siemens war mit dieser                                   übergab es der Humboldt-Universität
Erfindung seiner Zeit weit voraus. Erst 40 Jahre später kamen die                                in Berlin. Da es sich um eine neue Art
sogenannten Koax- oder Koaxial-Kabel in der Fernsprechtechnik                                    des Urvogels handelte, wurde er zu
zum Einsatz.                                                                                     Ehren seines Mäzens «Archaeopteryx
                                                                                                 siemensii» genannt.

		                                                                                                                                    17
1886–1892

Elektrisches Wasser-Taxi
Auf der Spree in Berlin hat Siemens im Jahr 1886
sein erstes Elektroboot erprobt, das quasi als
Wasser-Taxi das Nah­verkehrs­problem der Metro-
pole lösen sollte. Die «Elektra» konnte 25 Passa-
giere auf­nehmen und fuhr 14 km/h schnell.

              Adelung wider Willen
              Aus der Zeitung erfuhr Werner von Siemens im Mai 1888 von seiner
              Erhebung in den erblichen Adelsstand. Begeistert war er davon nicht,
              stand er dem Adel doch reserviert gegenüber. Nur seine Brüder konnten
              ihn davon abhalten, den Titel abzulehnen. Eine «Flucht» nach England
              hatte die Ernennung trotzdem zur Folge. «Die Geschichte hat viel
              Staub aufgewirbelt», schreibt er in einem Brief an seinen Bruder Carl.
              «Und es ist mir recht, dass ich auf ein paar Wochen verschwinde.»

                                                    Mit der Nobilitierungsurkunde vom 5. Mai 1888 wird
                                                    Werner Siemens von Kaiser Friedrich III. in den erb­
                                                    lichen Adelsstand erhoben. Werner, seine Familie und
                                                    seine Nachkommen dürfen sich seit der Nobilitierung
                                                    «von Siemens» nennen.

                                        350 Teile für ein Geschenk                                         Steiler geht’s kaum mehr
                                        Die Freiheitsstatue war ein Geschenk des französischen             Der Ingenieur Eduard Locher hatte im 19. Jahr-
                                        Volkes an die Vereinigten Staaten und wurde 1886 vom               hundert die Idee, eine Bahn auf den Pilatus
                                        damaligen US-Präsident Grover Cleveland eingeweiht.                zu bauen. Viele hielten ihn für verrückt.
                                        1878 präsentierte man den Kopf noch auf der Weltaus-               Doch 1889 wurde die 4618 Meter lange Bahn-
                                        stellung in Paris. Danach wurde die Statue in 350 Teile            strecke von Alpnachstad nach Pilatus Kulm
                                        zerlegt und trotz stürmischem Wetter über den Atlantik             eröffnet. Sie ist mit 48 % Steigung die steilste
                                        transportiert. Innerhalb von vier Monaten wurde sie                Zahnradbahn der Welt. Daran hat sich seit der
                                        in New York wieder zusammen­gebaut.                                Eröffnung bis heute nichts geändert.

18
Die Konkurrenz schläft nicht
                                                                                                                  Ende des 19. Jahrhunderts boomte
                                                                                                                  der Elektromarkt, und Siemens
                                                                                                                  beschäftigte 1891 bereits rund
                                                                                                                  6000 Mitarbeitende. Da die Nach-
                                                                                                                  frage nach Elektrizität und elek­
                                                                                                                  tro­tech­nischen Geräten laufend
                                                                                                                  zunahm, entstanden in dieser
                                                                                                                  Zeit weitere bedeutende Firmen.
                                                                                                                  1891 wurde in der Schweiz
                                                                                                                  Brown, Boveri & Cie gegründet,
                                                                                                                  ein Jahr später in den USA die
                                                                                                                  General Electric Company.
                                                                                                                  Beide Unternehmen konkurren­
                                                                                                                  zieren Siemens auch heute noch
                                                                                                                  in vielen Geschäftsfeldern.
                                                                                                                  Auch Siemens wagte 1892 erste
                                                                                                                  Geh­versuche in den USA.
                                                                                                                  Die Gesellschaft kämpfte aber
                                                                                                                  von Anfang an mit finan­ziel­len
                                                                                                                  Schwierig­keiten. «Die ameri­
                                                                                                                  kanische Tragödie», wie Carl
                                                                                                                  von Siemens das US-Engagement
                                                                                                                  von Siemens & Halske kurz nach
                                                                                                                  dem Brand der Chicagoer Fabrik-
                                                                                                                  anlagen bezeichnet hatte, fand
                                                                                                                  1904 mit Liquidation der S&H
Ein Tram unter Strom
                                                                                                                  America ihren Abschluss.
Das dichtbesiedelte Gebiet am oberen Genfersee zwischen Vevey und Villeneuve mit den
                                                                                                                  Der Erfolg stellte sich später
unzähligen Hotels und schönen Quais hatte alles, nur noch keine Strassenbahn. Doch das sollte
                                                                                                                  ein: Heute beschäftigt Siemens
sich bald ändern. Bereits acht Jahre vor der Eröffnung gab es erste Pläne zur Erschlie­ssung dieser
                                                                                                                  in den USA fast 60 000 Mitar­
Strecke. Schliesslich entschied man sich für eine Strassenbahn mit Elektromotoren. Die Fahrleitung
                                                                                                                  beitende.
war zweipolig und bestand aus einem aufgehängten, unten geschlitzten Kupferrohr, in dem
ein Kontaktschlitten über eine Leine mit Stromkabel vom Tramwagen mitgezogen wurde.
Die ersten Motor­wagen hatten sogar ein begehbares Dach mit Bänken. Die Fahrleitung stammte
von Siemens aus Berlin, wobei das gesamte Projekt ein Gemeinschaftswerk von SIG Neuhausen,
Miauton Vevey und Siemens war. Das erste Teilstück der Tramlinie Vevey–Montreux–Chillon (VMC)
wurde am 1. Mai 1888 eröffnet. Es war 8951 Meter lang und führte von Vevey-Plan über
La Tour-de-Peilz, Clarens und Montreux bis zum Bahnübergang in Territet. Der reguläre Betrieb wurde
am 4. Juni aufgenommen. Das VMC-Tram war somit die allererste elektrische Bahn der Schweiz.

Fahrende Gummizellen                                                                     Ein Stück Schweiz
Der 1890 eröffnete Streckenabschnitt der City                                            Der schweizerisch-französische
and South London Railway ist die älteste U-Bahn                                          Ingenieur Maurice Koechlin war
der Welt und die erste, die elektrisch betrieben                                         mass­geblich am Bau des Eiffelturms
wurde. Der geringe Durchmesser der beiden ein-                                           beteiligt: Dessen Konstruktionsidee
spurigen Tunnel schränkte die Wagengrösse ein.                                           und statischen Berechnungen
Diese wurden wegen des Fehlens von Fenstern                                              stammten nämlich von ihm.
als «Gummizellen» bezeichnet.                                                            Nach einer zweijährigen Bau­zeit
                                                                                         wurde der Eiffelturm am
                                                                                         31. März 1889 eröffnet.
                                                      Geburtstagsfest für alle           Das Bauwerk wurde für die
                                                      Der Bundesfeiertag wurde           Weltausstellung und zur
                                                      erstmals am 1. August 1891         Erinnerung an den
                                                      gefeiert und wird seit 1899        100. Jahrestag der Fran-
                                                      jährlich in der gesamten           zö­sischen Revolution
                                                      Schweiz zelebriert.                errichtet und sollte nur
                                                                                         20 Jahre stehen
                                                                                         bleiben.

		                                                                                                                                             19
Werner von Siemens
Erst im Alter von 74 Jahren schied
Werner von Siemens als Gesellschafter
aus seiner Firma aus. In den letzten
drei Lebensjahren war er mit seiner
Frau Antonie, seinem Sohn Carl
Friedrich und der jüngsten Tochter
Hertha oft unterwegs. In dieser Zeit
beschäftigte sich Werner von Siemens
intensiv mit dem Verfassen seiner
Erinnerungen. In seiner Autobiografie
stellte er seine Prinzipien und Bot-
schaften zwischen farbigen Schilde-
rungen von Kabelexpeditionen und
Kaukasusreisen dar. Seine Ausfüh-
rungen enden mit der Feststellung:

     «Denn mein Leben war schön, weil es
     wesentlich erfolgreiche Mühe und nütz-
     liche Arbeit war, und wenn ich schliess-
     lich der Trauer darüber Ausdruck gebe,
     dass es seinem Ende entgegengeht, so
     bewegt mich dazu der Schmerz, dass ich
     von meinen Lieben scheiden muss und
     dass es mir nicht vergönnt ist, an der
     ­vollen Entwicklung des naturwissenschaft-
      lichen Zeitalters erfolgreich weiter zu
      arbeiten.»

Eine lange Krankheit blieb Werner
von Siemens erspart. Nachdem die
ersten Exemplare seines Werks am
29. November 1892 ausgeliefert
wurden, liessen seine Kräfte schnell
nach. Er erkrankte, eine Lungen-
entzündung kam hinzu.
Am 6. Dezember 1892, wenige Tage
vor seinem 76. Geburtstag, starb
Werner von Siemens friedlich in
seinem Haus in Charlottenburg im
Kreis der Familie.

20
Johann Georg Halske
                 Die letzten Lebensjahre von Johann
                 Georg Halske verliefen ruhig; nach
                 und nach zog er sich von seinen ehren-
                 amtlichen Aktivitäten zurück oder
                 reduzierte diese auf ein Mindestmass.
                 Sein angeschlagener Gesundheits­
                 zustand schränkte seine Bewegungs-
                 freiheit stark ein, zudem hatten ihm
                 mehrere Schlaganfälle schwer zuge-
                 setzt. Johann Georg Halske starb am
                 18. März 1890 im Alter von 76 Jahren.

                 Am 22. März 1890 fand in seinem Pri-
                 vathaus in der Königgrätzer Strasse
                 eine Trauerfeier statt, in deren An-
                 schluss ein langer Zug von Trauernden
                 dem Verstorbenen das letzte Geleit
                 gab. Zusätzlich zu Freunden und Weg-
                 gefährten folgten zahlreiche Vertreter
                 der Firma Siemens & Halske samt
                 deren Kollegen aus den eng­lischen
                 und russischen Niederlassungen.
                 Auch der gesamte Vorstand der Physika-
                 lischen Gesellschaft sowie zahlreiche
                 Berliner Behörden­mit­glieder erwiesen
                 Halske die letzte Ehre. Der Lokal-­
                 Anzeiger berichtete ausführlich über
                 das bewegende Ereignis, wie der
                 exzellente Mechanikus und engagierte
                 Bürger der Stadt Berlin zu Grabe ge-
                 tragen wurde.

		                                                   21
1893–1896

Es werde Licht!
Am 23. Januar 1896 kurz nach 18 Uhr brannte in Langenthal
erstmals elektrisches Licht. Wie es dazu kam, ist eine
lange Geschichte und zugleich der Anfang von Siemens
in der Schweiz.

Die ursprüngliche Idee für den Bau eines Elektrizitätswerks
hatte der Lotzwiler Kaufmann Robert Müller-Landsmann.
1891 kaufte er bei Wynau an der Aare ein Stück Land und
reichte beim Regierungsstatthalter ein Baugesuch für ein
Kraftwerk ein. Die Planung und Finanzierung überstiegen
jedoch seine Möglichkeiten. So kam das Engagement der
Firma Siemens & Halske aus Berlin zustande.
Für 300 000 Franken kaufte sie von Müller-Landsmann
das Projekt und erhielt vom Kanton Bern die Konzession
für den Betrieb des Kraftwerks.

Schon früh setzte die Schweiz in vielen Bereichen auf
elektrische Energie und auch auf Systeme von Siemens:
ob zur Energieerzeugung, zur Verteilung und Über­
tragung oder für die Netzleittechnik. Die Bauarbeiten für
das Kraftwerk Wynau wurden im November 1894 in                       Jonvalturbinen mit je 750 PS eingebaut. Diese weitsichtige
Angriff genommen. Da Siemens erstmals in der Schweiz                 Planung lohnte sich, denn die elek­trische Energie des
ein Baubüro eröffnete und mit eigenen Leuten präsent war,            Kraftwerks war in den umliegenden Gemeinden rasch sehr
markiert das Jahr 1894 den Start von Siemens in der                  gefragt. Heute noch versorgt die Anlage praktisch alle
Schweiz. 14 Monate später konnte das 2,1 Millionen Franken           Gemeinden im Oberaargau mit Energie. Mittlerweile gehört
teure Kraftwerk mit 3000 PS Leistung den ersten Strom                das Kraftwerk Wynau zur onyx Energie Mittelland AG,
ins Netz speisen. Obschon anfänglich nur wenige Kunden               an der wiederum die BKW Energie AG seit 2006 die Mehr-
vorhanden waren, wurden schon zu Beginn alle fünf                    heit hält.

                            Pumpen für die Tower Bridge
                            Die berühmteste Klappbrücke der Welt
                            funktionierte einst dank Siemens-
                            Technik. Das hydraulische System der
                            1894 in London in Betrieb genom-
                            menen Tower-Bridge stammte vom
                            Industriekonzern. Zwei Kolbendampf-
                            maschinen pumpten dabei Wasser
                            unter Druck in hydraulische Druck-
                            speicher, mit deren Energie die Brücke
                            schon damals innert nur einer Minute
                            geöffnet und geschlossen werden
                            konnte.

                            Revolution in der Medizin
                            Millionen von Menschen verdanken
                            einer Technik ihr Leben, die 1895
                            durch Zufall vom Physiker Wilhelm
                            Conrad Röntgen entdeckt wurde.
                            Mit der Röntgenstrahlung war es
                            erstmals möglich, in das Innere
                            eines Menschen zu blicken, ohne
                            ihn aufschneiden zu müssen – eine        Frierende Tramführer
                            Sensation zur damaligen Zeit.            Im Jahr 1895 lieferte Siemens & Halske sechs Motorwagen für die
                            Siemens & Halske erhielt ein halbes      elektrische Strassenbahn in Basel. Ein Wagen kostete damals stolze
                            Jahr nach der Entdeckung der             13 900 Franken. Die Wagen verfügten auf beiden Seiten über einen
                            Röntgenstrahlen ein erstes Patent        offenen Führerstand, so dass an den Streckenenden keine Wendeschleifen
                            auf eine für medizinische Zwecke         nötig waren. Der Nachteil für den Tramführer: Er war Wind, Wetter und
                            bestimmte Röntgenröhre mit               Kälte ausgesetzt! In den folgenden Jahren wurden zahlreiche weitere
                            regulierbarem Vakuum und begann          Strassenbahnen in Basel in Betrieb genommen, deren elektrische Ausrüs-
                            mit der Fertigung von Röntgen­           tung ebenfalls von Siemens stammte. Und heute müssen die Tramführer
                            apparaten.                               der Combino-Trams in Basel glücklicherweise auch nicht mehr frieren.

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Gefährlicher Unterwasser-Job
Anders als beim Bau von Kanalkraftwerken, bei denen                       den Schlauch pumpen, damit der Taucher atmen konnte.
das Wasser erst nach dem Bau zugeleitet wurde, musste                     Verständigen konnte man sich mit dem Taucher nur über
beim Aare-Kraftwerk Wynau im und unter Wasser gear-                       Ziehbewegungen an einem Seil, das Taucher und Mann-
beitet werden. Dazu brauchte Siemens & Halske einen                       schaft verband.
Taucher. Da es zu jener Zeit noch keine Berufstaucher gab,
schickte die Firma einen ihrer Mitarbeiten nach Hamburg                   Bald sprach sich herum, dass das Kraftwerk Wynau einen
zur Profitaucher-Ausbildung. Die Wahl fiel auf den Italiener              professionellen Taucher beschäftigte. So wurde Erminio
Erminio Armando Felice De Polo – laut seinem Enkel                        auch an Gemeinden, Städte, Polizei und Rettungsdienste
ein «schöner Mann mit eindrücklichem Schnurrbart».                        «verliehen», wo er Diebesgut oder Leichen aus Gewässern
Der gebürtige Italiener war auf Arbeitssuche in die Schweiz               fischte und bei Bauarbeiten weiterer Kraftwerke mithalf.
gekommen und durchlief nun zusammen mit seinem                            Als eine Ironie des Schicksals ertrank Erminios Bruder und
Bruder Arturo als Helfer das Unterwassertraining.                         Tauchhelfer Arturo 1896 beim Baden, während Erminio
Tauchen war zu jener Zeit eine äusserst anstrengende                      sogar seinen Tauchanzug überlebte: Nach dem Ersten
und gefährliche Angelegenheit. So wog die Taucheraus-                     Weltkrieg war der Gummi spröde geworden, der Anzug
rüstung mit Gummianzug, Messinghelm und Bleischuhen                       technisch veraltet und nicht mehr wasserdicht.
um die 70 Kilogramm. Der Taucher war über einen                           Das Elektrizitätswerk Wynau setzte auf Profitaucher aus
langen Gummi-Luftschlauch mit der Mannschaft an Land                      Basel, Erminio jedoch arbeitete bis zu seiner Pensionierung
verbunden. Zwei Helfer mussten konstant Luft durch                        im Leitungsbau des Elektrizitätswerks.

News aus Zürich                                  Zentrum des Weltsports                       Silber für den 1. Platz
Am 2. März 1893 erscheint die erste Ausgabe      1894 wurde das Internationale Olympische     1896 fanden die ersten Olympischen Spiele der
des Tages-Anzeigers. Die älteste heute noch      Komitees (IOC) in Paris gegründet.           Neuzeit in Athen statt. Mit seiner Silbermedaille
erscheinende Tageszeitung der Schweiz ist        IOC-Präsident Thomas Bach war von 2000       (damals 1. Platz) am Seitpferd wurde Louis Zutter
allerdings die NZZ: Sie erschien am 12. Januar   bis 2009 Mitglied des Verwaltungsrates       der erste Olympiasieger der Schweiz. Je eine
1780 zum ersten Mal.                             von Siemens Schweiz. Der IOC-Hauptsitz ist   Bronze­­medaille (zweiter Platz) gewann er am
                                                 seit 1915 in Lausanne angesiedelt.           Barren und im Pferdsprung.

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