DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
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#5 ∙ Dezember 2020 Das Kulturmagazin für Freiburg Der Tod Und dann? Zeitdiagnose: Un = heit Neue Kunstevents: Messe & Biennale Fantastische Bildwelten Stadtjubiläum ausgebremst Aus dem Zypresse Verlag www.zett-magazin.de Bücher // Kunst // Musik // Auslagestellen
Editorial Respekt! W ir kämpfen alle um Haltung in diesen Abstand ausgiebig und in aller Ruhe besichtigt Zeiten, und viele von uns erleben werden darf. zum ersten mal eine Krise, die sehr viel tiefer greift, als wenn beim Frühstück das Kunstschaffende leiden derweil mal mehr, Foto Martin Koswig Nutella alle ist. Die Kultur leidet, und sie leidet mal weniger unter den pandemiebedingten auch darunter, dass sie als Inbegriff ihrer selbst Einschränkungen. Zu denjenigen Künstlern, die immer ein wenig abstrakt daherkam. meines Wissens gerade jeden Euro gebrauchen können, gehören die Fotografin Janine Machie- Durch die Coronakrise ändert sich das gera- do (www.janine-machiedo.de) und der Maler de: Die Kultur gewinnt an Konturen. Formate, Jürgen Kille (www.jo-kille-online-artgalerie. Gesichter, Macher, Künstler und Kunstorte wer- de). Beide sind mit mehreren Arbeiten in die- den deutlicher sichtbar, verschaffen sich Gehör, sem Magazin zu finden. Wenn Sie Kunst online senden Bilder und Meinungen aus. Genau das als Weihnachtsgeschenk direkt bei Freiburger tut dieses Kulturmagazin ZETT. für Freiburg nun Künstlern ordern, so tun Sie doppelt Gutes. wie bisher auch in seiner fünften Ausgabe, kein bisschen weniger umfangreich, eindringlich, Die Kultur lebt jedenfalls, und wie! informativ und eben auch unterhaltend. Und so bedanke ich mich ganz persönlich Unser Titelthema „Der Tod. Und dann?“ ist im bei all jenen, die das Erscheinen dieses fünften Laufe der zurückliegenden Monate gewachsen, ZETT.Magazins im Freiburger Zypresse Verlag um Momente, Facetten, die ins Bewusstsein trotz aller widriger Umstände möglich gemacht und in die Öffentlichkeit rückten – vieles unab- haben: Unsere Grafiker Jutta Schmidt und Frank hängig von der Pandemie. Wir fassen hier zu- Reder, unsere Social-Media-Redakteurin Jen- sammen, was uns wichtig erscheint, und bieten nifer Reyes, unsere Verlegerin Caroline Kross, zur Winterzeit in dieser Ausgabe zudem mehr alle festen und freien Mitarbeiterinnen und Lesetipps als je zuvor. Die Buchhandlungen Mitarbeiter: Respekt! unserer Stadt nehmen Ihre Bestellungen gern entgegen; die Stadtbibliotheken sind geöffnet. Bleiben Sie weiterhin neugierig. Herzlichst Und wieder zeigen wir Ihnen Freiburger Künstler und ihre Arbeiten groß und in Farbe und machen unser Magazin so zu einer Ge- Arne Bicker meinschaftsausstellung, die rund um die Uhr Redaktionsleiter geöffnet ist, und ohne Maske, Anmeldung oder ZETT. – Das Kulturmagazin für Freiburg Impressum „ZETT. – Das Kulturmagazin für Grafik, Layout: Illustration: Jonatan Alcina Segura, Freiburg“ ist eine Magazinpublika- Jutta Schmidt, Frank Reder Klaus Karlitzky, Harald Meyer tion der Zypresse Verlags GmbH, Gestaltung: Schleiner & Partner Für Druckfehler keine Haftung. Berliner Allee 4, 79110 Freiburg. Titelbild: Maike Karrer Das Copyright für Texte und Fotos redaktion@zett-magazin.de Redaktionelle Mitarbeit: Ruth liegt beim Verlag und den Autoren www.zett-magazin.de Engelhardt, Astrid Ogbeiwi, Caterina / Fotografen / Illustratoren. www.zypresse.com Priesner, Jennifer Reyes, Jürgen Ruf, Nachdruck, Vervielfältigungen und Geschäftsführung: Stefan Tolksdorf, Reinhold Wagner elektronische Speicherung nur mit Caroline Kross Fotografie: Janine Machiedo, Lena schriftlicher Genehmigung des Redaktionelle Leitung: Arne Bicker Sterzik, Martin Koswig, Arne Bicker Verlages. zett. Dezember 2020 3
Inhalt Der Tod. Und dann? 6 16 ab Seite 8 Zeitdiagnose Der Tod in der Kunst Editorial Lesestoff – Bücher zum Thema Tod 28 Respekt 3 Schöne Worte und neue Formen – Kreative Grabmäler 30 Zeitdiagnose Kunst im Krematorium – ARTefakte in Eschbach 31 Die Abschaffung der Un = heit 6 Día de los Muertos – Wir sind alle Schädel 32 Der Tod. Und dann? Schwarze Magie und böser Zauber – Lernen vom großen Tabu – Der Tod. Und dann? 8 Geheimnisvolles Voodoo 34 Eine neue Messe in Freiburg – Um Leben und Tod 11 Eine Wette auf die Zukunft – Diakon Hans Salm – Die Konservierung des Menschen 36 Lieber Spätburgunder als Morphium 13 Bei Suizidgefahr – Zuhören und Helfen 37 Eine Familie im Kampf gegen das Virus – Streitgespräch mit dem Tod – Wiederbelebung 38 Corona-Tod in Freiburg 14 Am Sarg knabbern – Kuchen für Mutige 38 Michael Olsen – Bestattungsrad 15 Fotografie Inspiration – Der Tod in der Kunst 16 Alexandre Goebel – Alles außer grau 40 Die große Ungewissheit – Der große Zapfenstreich – Wie nur endgültig einschlafen? 21 Wipfelstürmer im Freiburger Stadtwald 42 Digitale Unsterblichkeit – Für immer online 22 Michelle Wegener – Ewige Momente 44 Klingeling – Wir kratzen ab 23 Janine Machiedo – Always A Dreamer 45 Seelenwanderung und ewiges Leben – Neue Kunstevents Ein unfassbarer Zustand 24 Die neue Kunstmesse – Auftakt geglückt 46 Die heikle Kunst der Trauerredner – Die neue Biennale für Freiburg – Einfühlung und Balance 26 Eine Kunst-Wundertüte 49 Gestorben wird immer – Tödliche Unterhaltung 27 70 77 Disco 3.0 900 Jahre lesen Licht aus, Spot an Bücher zumStadtjubiläum 60 Malen für den Augenblick Maike Karrer 4 zett. Dezember 2020
50 72 Bücher Musik-Tipps Lesefreude pur Lauschangriff 34 Schwarze Magie und böser Zauber Geheimnisvolles Voodoo Bücher Gedanken einer Preisträgerin – Tolle Sachen 67 Cornelius Völker – Buchkanten 50 Kunstbücher – Reibungspunkte und Schriftbilder 68 Gabriele Hennicke – Echte Sch 51 Musik Gottfried Haufe – Auf sie mit Gedöns 51 Eigentlich – Soundcity Freiburg 69 Philipp Brotz – Termitenkönigin 52 Licht aus, Spot an – Disco 3.0 70 Jens Schäfer – Total alles über den Schwarzwald 52 Der Vorwärtsdenker – MERIAN Freiburg und der Breisgau 52 Ralf Schmids „schmutzige Musik“ 71 Roland Weis – Geisterturm 52 Lauschangriff – Musik-Tipps 72 Schöne Geschichten – Stadtjubiläum Buchempfehlungen der Sadtbibliothek 54 Haikus in Freiburg – Plakat-Poesie 74 Dagmar Neumann – Wer-weiß-Geschichte 56 Plakatkampagne – Für mehr Offenheit 75 Humorfeminismus – Witz und Aberwitz 56 Freiburger Geschichte für alle – Stadtchronik als Comic Kunst 76 Jörg Heitz – Kopfstand 57 900 Jahre lesen – Bücher zum Stadtjubiläum 77 kunsthalle messmer – Die Magie der Kunst 59 Gesellschaft Malen für den Augenblick – Sprachatlas und Dialekt-CD – Die lebenden Leinwände der Maike Karrer 60 Knabbern am Pferdezahn 78 Alice Lister – Der Spinner 62 Kulturforum Gabi Obi 78 Lina Leoni – Frutti del Male 63 TV-Projekte – Spannung für 2021 79 Jo Kille – Der KaJo-Künstler 64 Kunst und Kultur auf die Hand – Elisabeth Bereznicki – Vivian Westwood 66 Die ZETT.-Auslagestellen 80 Alexander Jaworski – 100 Köpfe 66 War noch was? – Marke, Radio, Spiel 82 40 74 Alles ausser grau Haikus in Freiburg Alexandre Goebel Plakat-Poesie Unter den Masken 42 werden die Zähne gezeigt Lächeln ist viral Fotografie Wipfelstürmer im Freiburger Stadtwald Findet 12 Plakatmotive an 15 Standorten: Talstr./Falkensteinstr. | Schwarz- Haiku: Laura Baertle (21) · Illustration: Wolli Ruf waldstr. 28 und 82 | Urachstr. 11 | Günterstalstr./Konradstr. | Goethestr. 56 | Diese Plakataktion ist eine Kooperation von Agrikultur e.V., der Jugendschreibwerkstatt „Schreibcouch“ Motiv J Lörracher Str. 8 | Andreas-Hofer-Str./Innsbrucker Str. | Basler Str./Fichtestr. | Markgrafenstraße 39 | Ferdinand-Weiß-Str./Escholzstr. | Engelbergerstr. 28 | des Literaturhauses Freiburg und ILLU Freiburg e.V. mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Freiburg. Stefan-Meier-Str. 2 | Habsburger Str. 74 | Zähringer Str. 32 | #freiburghältzusammen zett. Dezember 2020 5
Zeitdiagnose Zeitdiagnose Die Abschaffung der Un = heit von Arne Bicker Janine Machiedo – NEW WAYS W enn diese Coronakrise etwas ohne Wachstum“ so zusammen: „Wir sind serer politischen, wirtschaftlichen und Gutes hat, dann das, dass wir krisenentwöhnt.“ Wir müssen Probleme steuerpolitischen Systeme drehen. alle mehr nachdenken über auf den Punkt bringen, dann gemeinsame Den Wunsch, sich den Nebenwirkun- unsere Zukunft. Und beim Nachdenken Lösungen erarbeiten und umsetzen. Und gen moderner Selbstoptimierungssyste- allein sollte es nicht bleiben. Wie soll es dies kann nicht allein zivilgesellschaftlich me zu entziehen, hat Heinz Bude in sei- weitergehen? Welche Krisen haben uns geschehen, obwohl hier viele interessante nem Buch „Solidarität – Die Zukunft einer vor der Pandemie bedrückt, in welchen Ansätze zu finden sind. (Googlen Sie doch großen Idee“ festgehalten. Er beschreibt Bereichen sollten wir unser Leben, das wir mal „Ottobahn“.) das Erlangen von Selbstachtung durch schließlich weitgehend selbst in Händen Das Prinzip, dass jeder versucht, sich eine „progressive Solidarität“, die nicht halten, ändern, wo und wie uns als Ge- die Taschen so voll zu stopfen wie nur ir- an Eigeninteressen gekoppelt ist. sellschaft verbessern? gend möglich, egal, wie es den anderen Ganz grundsätzlich kann es vor allem Fest steht: Das Sammeln von Fragen dabei geht, bringt unsere Gesellschaft hilfreich sein, unser gemeinsames Wer- und Hoffnungen allein bringt uns nicht nicht in eine sichere und erstrebenswer- tesystem zu überdenken und an die neuen weiter. Der Autor Meinhard Miegel fass- te Zukunft. Wir müssen dringend an den Erfordernisse anzupassen. Das meint der te das in seinem Buch „Exit – Wohlstand dafür vorgesehenen Stellschrauben un- Philosoph Markus Gabriel (40) in seinem 6 zett. Dezember 2020
Zeitdiagnose Buch „Moralischer Fortschritt in dunklen en aber zugleich auch viel Mist. Corona Davon sind wir so weit entfernt, dass Zeiten“. Er fordert eine neue Aufklärung hat offengelegt, dass unsere etablierten es viel zu vielen Menschen weh tut. Mein und schreibt: „Die sozioökonomische Un- Mechanismen uns weder ausreichend Vater sagte immer: Meckere nicht so viel helfen noch in eine sichere Zukunft füh- rum, schlag‘ vor, wie man es besser ma- ren können. Wir müssen nachbessern, chen kann. Bevor wir uns also verzetteln dringend. und gewollt oder ungewollt in einem Die Autoren Ole Häntzschel und Tobi- as Moorstedt führen uns mit ihrem Buch „What the fact! - Warum wir so oft falsch liegen“ vor Augen, dass die in diesen Ta- Markus Gabriel Foto: Jakob Weber gen oft mit viel zu viel Wut und Hass vor- getragenen, gefühlten Wahrheiten oft nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Sie erklären, wie Vorurteile, Fake News, Desinformationskampagnen, aber auch der schiere Überfluss an Informationen unseren Blick auf die Welt verzerren. Dabei wäre es so wichtig, klar zu se- Markus Gabriel „Moralischer Fortschritt indunklen Zeiten“ hen. Viele wollen offensichtlich dahin zu- Ullstein, 368 Seiten, 22 Euro rück, wo wir vor Corona waren und dann genauso weitermachen. Warum nur? Ole Häntzschel und Tobias Moorstedt gleichheit auf unserem Planeten […] ist Geht es nicht besser? Der amerikanische „What the fact!? - Warum wir so oft falsch liegen“, auf Dauer nicht tragfähig.“ Theologe, Philosoph und Politikwissen- Hoffmann und Campe, 207 Seiten, 26 Euro Diese Meinung vertritt auch ein sin- schaftler Reinhold Niebuhr postulierte gender Philosoph: „Eine Gesellschaft ist einst: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge eine Familie, wir gehören zusammen“, hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, autoritären Regime oder einer Denkdik- sagte Herbert Grönemeyer in der Sendung tatur wieder aufwachen, dass uns derzeit „Aspekte“ vom 13. November. Und: „Wir scheinbar wirkmächtige Populisten auf- haben knapp zwei Millionen Millionäre zuschwatzen trachten, wäre ein Reboot in Deutschland.“ Diese könnten, so Grö- des Bestehenden vielleicht die bessere nemeyer, mit einer einmaligen „Sonder- Lösung. (Ansätze finden sich auch in der zahlung“ fast alle Probleme bedürftiger 3sat-TV-Doku „Krise - Endlich! Zeit für ein Menschen vom Tisch wischen: „Das Geld anderes Leben“.) ist im Übermaß vorhanden.“ Eva Am 24. Oktober 2021 steht die Wahl Man ahnt es schon: So etwas wird von Redecker zum 20. Deutschen Bundestag an. Ich Foto: Paula Winkler nicht passieren. Die Philosophin Eva von persönlich würde mir einen Wahlzettel Redecker sieht derweil in Protestbewe- wünschen, auf dem ich ankreuzen kann, gungen wie Fridays For Future oder Black welche signifikanten Probleme die nächs- Lives Matter „eine einsetzende Revoluti- te Regierung kompetent und zukunftsfä- on für das Leben“. Besitz, Sachherrschaft, hig lösen soll. Ich sehe in unserem Land Verfügungshoheit, Ausbeutung – diese alle Voraussetzungen dafür, eine ruhige Hebel bedürften einer neuen Betrachtung, Eva von Redecker und friedliche, nachhaltig-produktive, Gewichtung und Anordnung, schreibt sie „Revolution für das Leben“ lebensfrohe, glückliche Gesellschaft in S. Fischer, 320 Seiten, 23 Euro. in ihrem Buch. einer stabilen Demokratie auf der Basis Die aktuelle Coronakrise ist ein Weck- unseres Grundgesetzes zu sein. Das Wis- ruf für alle, die nicht frei von Fehlern sind: den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern sen, das Geld und die demokratischen Politik, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft, kann, und die Weisheit, das eine vom an- Werkzeuge haben wir. Was hindert uns? Zivilgesellschaft. Wir alle tun Gutes, bau- deren zu unterscheiden.“ zett. Dezember 2020 7
Der Tod. Und Dann? Lernen vom großen Tabu Der Tod. Und dann? von Arne Bicker I m März dieses Jahres habe ich einen nahen und lieben Was wissen wir über den Tod, welche Rolle spielt er in Kul- Menschen verloren. In den Tagen zuvor lagen und saßen tur und Geschichte? Und sollten wir uns Zeit unseres Lebens sich an einem Krankenhausbett Menschen gegenüber, die schon mit dem Tod beschäftigen, um ihn zu verstehen, um mit ihrem Schicksal haderten, viel mehr noch, die die ihnen irgendwie gewappnet zu sein oder vielleicht weniger Angst vom Leben in diesen Momenten zugewiesenen Rollen von vor ihm zu haben? In diese Richtung dachte wohl auch das ganzem Herzen ablehnten. Freiburger Museum Natur und Mensch, als es von Mai 2017 Alle Beteiligten hatten eine riesengroße Angst vor dem bis Januar 2018 die Ausstellung „Todsicher? Letzte Reise un- Unausweichlichen. Und alle mussten irgendwie damit klar- gewiss“ veranstaltete. kommen. Es war so unglaublich schmerzlich. In jenen Tagen Und an zwei Tagen Ende Oktober dieses Jahres ging in Frei- fragte ich mich wieder und wieder: Der Tod, was ist das? Wozu burg als erstem Ort außerhalb Bremens ein Ableger der dorti- kann das gut sein? Und was kommt danach? gen Messe „Leben und Tod“ über die (virtuelle) Bühne – eine für Am 2. November dieses Jahres Asche zu Asche: Die aktuelle Ausstel- „Am schönsten stirbt sich´s in Wien“ startete an der Universität Regens- lung „Das Letzte“ (bis 28.2.2021) im behauptet das Bestattungsmuseum burg der deutschlandweit erste Kasseler Museum für Sepulkralkultur am Wiener Zentralfriedhof. Im Masterstudiengang „Perimortale zeigt unter anderem diese Urne für angeschlossenen Webshop gibt es Wissenschaften“, den die 41 Studie- spezielle Papierreste der Dresdner diese schwarze Atemmaske („Aus- renden salopp „PeWi“ nennen. Da in Künstlerin Susan Donath. Thema- huastverhüterli“) für 8,90 Euro. Deutschland jährlich etwa 900.000 tisiert wird hier der der Tod eines Renner sind auch die Büchertasche Menschen das Zeitliche segnen, Staates als Sollbruchstelle zwischen „Ich lese, bis ich verwese“ (9,90), werden hier Sterben, Tod und Trauer Geschichte und Gegenwart. Möge er USB-Sticks in Skelettform (15,90) aus vielfältigen interdisziplinären in Frieden ruhen. oder das Zigarettenetui „Rauchen Perspektiven beleuchtet. „Es ist ein Foto: Museum für Sepulkralkultur sichert Arbeitsplätze - Bestattung gesellschaftlicher Trend, sich nach Wien“ (9,90). Jahrhunderten der Verdrängung Sreenshot: www.shop.bestattungsmuseum.at endlich diesem Menschheitsthema zu stellen“, sagte uns der Leiter des Studiengangs, Theologie-Professor und Diakon Rupert M. Scheule am Telefon. „Das zeigt ja allein das gro- ße Interesse – normal wären etwa 15 Studierende“. Foto: Uni Regensburg 8 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und Dann? Die letzte Ruhestätte der Freiburgerin Caroline Christine Walter an der Ost- mauer des Alten Friedhofes ziert das wohl schönste Grabmal Freiburgs. 1866 verstarb die junge Dame im Alter von 16 Jahren an der seinerzeit verbreiteten Tuberkulose. Das Grabmal ist indes eine Kopie; das Original schlummert seit den 90er Jahren friedlich und sicher verwahrt im Lapidarium-Keller des Schwarzen Klosters. Illustration: Jonatan Alcina Segura Sterbehelfer, Psychologen, Philosophen und Palliativmediziner meldet, Nummer 80 am 18. Juli und Nummer 79 am 14. Mai. hochwillkommene Kongressmesse, so mein Eindruck. „Ängste Das Thema holt uns doch immer wieder ein, ob wir das wollen nehmen, zum Nachdenken anregen und Mut machen“ wollte oder nicht. Die Stadt Freiburg richtet auch seit Jahren regel- diese Messe - Auslöser für ZETT. das Thema aufzugreifen. mäßig eine „Trauerfeier für unbedacht Verstorbene“ in der Und es stimmt ja irgendwie: Wir sparen Jahre lang für ein Einsegnungshalle des Hauptfriedhofs aus. Eigenheim, beschäftigen uns mit jeder Fliese, jedem Schrank, Bitte sehen Sie es mir nach, aber mein Sprachverständnis planen akribisch eine Hochzeit, aus der heraus dann vielleicht lässt mich aufgrund der sicher nicht beabsichtigten Doppel- neues Leben entsteht – nur über unser Ende sprechen wollen deutigkeit dieser Formulierung schmunzeln. Wir Menschen wir nicht. Wir verbannen den Tod aus unserem Alltag. Dabei können mit Sprache und Witz aus allem einen Spaß machen gehört das Sterben zum Leben dazu. – eine tolle Eigenschaft, solange wir niemanden damit per- Nicht alle haben eine verständliche Scheu vor dem Tod: sönlich verletzen. Mediziner. Bestatter. Totengräber. Meine Oma. Die alte Dame Dabei ist es im wahrsten Wortsinn todtraurig, dass in Frei- sprach in sehr hohem Alter erstaunlich locker und rational da- burg pro Jahr etwa 50 bis 60 Bestattungen von Amts wegen von, was sein würde und zu tun sei, „wenn ich mal nicht mehr angeordnet werden für Menschen, die vereinsamt gelebt haben bin“. Nun, sie hatte den zweiten Weltkrieg und tausendfaches oder ohne Angehörige sind, die für eine Bestattung aufkom- Sterben erlebt. men. Immerhin nimmt sich die Stadt, also wir, dieser Menschen Freiburg im Jahr 2020: Bis Ende November gab es amtlich an und organisiert eine ökumenische Trauerfeier. 87 Corona-Tote in Freiburg und 86 im Landkreis Breisgau-Hoch- Im Angesicht des Todes werden alltägliche Streitereien schwarzwald. Todesfall Nummer 81 wurde am 26. August ge- zu Nichtigkeiten. Ich habe das erlebt. Vom Tod können wir zett. Dezember 2020 9
Der Tod. Und Dann? lernen uns selbst und unser ganzes Besitztrachten nicht so ernst zu nehmen. Wir können lernen, unsere Zeit, unser Leben, Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900) Zitate unsere Lieben, schöne Momente, unsere Freundschaften, die Natur und unsere Gesellschaft mehr wertzuschätzen, weniger „Der Tod ist nicht der Feind des Lebens Selbstgerechtigkeit, weniger Hass und Gier walten zu lassen. überhaupt, sondern das Mittel, Warum sollen wir damit nicht schon frühzeitig, zum Beispiel durch welches die Bedeutung des Lebens heute, beginnen? Der Tod geht ausnahmslos uns alle etwas offenbar gemacht wird.“ an. Ziehen wir ihn hinter dem Ofen hervor und befassen wir Norman Cousins (1915 – 1990) uns mit ihm. Respektvoll. Neugierig. Offen. Und ja – auch mit „Der Tod ist nicht der größte Verlust im Humor. Leben. Der größte Verlust ist das, was in uns stirbt, während wir leben.“ Woody Allen (*1935) MEDIATHEKTIPP: Endlich „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn es „Wie gehen wir damit um, dass die Hightech-Medizin nicht passiert.“ nur unser Leben, sondern auch unser Sterben verlängert?“, fragt die ZDF-Sendung „aspekte on tour“. Und „was genau Friedrich Schiller (1759 – 1805) passiert in unserem Körper, wenn wir sterben?“ Gespräche „Das Leben ist nur ein Moment, mit Künstlern und Intellektuellen über Tod und Trauer, zu der Tod ist auch nur einer.“ sehen in der ZDF-Mediathek. Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) „Das Leben kann angesehen werden als ein Traum und der Tod als das Erwachen.“ Screenshot: zdf.de Kurt Marti (1921 – 2017) „Wir gehören einer Zivilisation an, die zwar den Tod industriell zu produzieren, nicht aber zu integrieren versteht.“ Michael Richter (*1952) MEDIATHEKTIPP : Was dann? „Erst gehen wir mit der Zeit, dann gehen wir mit der Zeit.“ Wir werden sterben. Jeder von uns. Doch was geschieht, wenn wir tot sind? Und gibt es ein Leben nach dem Tod? Charles Péguy (1873 – 1914) Diesen Fragen folgt der Berliner Bestatter, Buchautor „Man stirbt nicht an einer bestimmten („The End“) und frühere Musikmanager Eric Wrede in der Krankheit, man stirbt an einem 3-sat-Doku „Blick in die Ewigkeit? – Der Tod und das Da- ganzen Leben.“ nach“ durch Europa. Peter Sellers (1925 – 1980) „Der moderne Mensch kennt offenbar kein höheres Ziel als gesund zu sterben.“ Screenshot: 3sat.de Martin Heidegger (1889 – 1976) „Das Wovor des Erschreckens ist zunächst etwas Bekanntes und Vertrautes. Hat dagegen das Bedrohliche den Charakter des ganz und gar Unvertrauten, dann wird die Furcht zum Grauen.“ BUCHTIPP: Redebedarf Niklas Stiller (*1947) Wir müssen über den Tod reden. Es nicht „Den eigenen Tod immer ein bisschen im zu tun, bedeute, die Entscheidung darüber, Auge behalten: das beruhigt und erfrischt wie wir sterben wollen, anderen zu über- zugleich.“ lassen. Das meint der Palliativmediziner Matthias Gockel, der täglich miterlebt, Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) wie sehr Verdrängen und Verschweigen „Wenn wir im Leben vom Tod umgeben sind, einen bewussten Umgang mit dem Ster- so auch in der Gesundheit des Verstands ben blockieren - nicht nur bei Patienten vom Wahnsinn.“ und Angehörigen, sondern auch bei ihren Ärzten. Er fordert deshalb eine neue Art Sacha Guitry (1885 – 1957) der Gesprächskultur und beschreibt offen „Das Fatale am Paradies ist: seinen Berufsalltag. Man kann es nur im Leichenwagen Matthias Gockel – Sterben erreichen.“ berlin Verlag, 272 S., 22 Euro 10 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und Dann? Probeliegen im Sarg hilft manchem Individuelle Sarggestaltung zur Künstlerisch gestaltete Urne. Messebesucher beim Angstabbau. Trauerbewältigung Fotos: Messe Bremen Eine neue Messe in Freiburg Es geht Um Leben und Tod D ie Wege des Herrn sind un- PalliativVerbands Baden-Württem- ergründlich: Dass eine Mes- berg“. se, die sich mit dem Tod und Durch die Corona-bedingte Absa- dem Sterben befasst, im kühlen Nord- ge der physischen Ausstellungsmes- deutschland ankommt – OK. Aber in se rückte der begleitende Kongress in Freiburg, wo die Welt eine sonnige ist Freiburg mit rund 50 Online-Veranstal- 90-Sekunden-Audiostatements und der Tod eingeschüchtert von so viel Lebensfreude hinter dem Ofen hockt? tungen am 23. Und 24. Oktober in den Vordergrund. „In unserer informierten Warum die Messe nach Letztlich tritt der Tod aber überall in und selbstbestimmten Gesellschaft Freiburg kam Erscheinung, und so kann es auch hier ist es sehr wichtig, dieses Thema nicht nicht schaden, wenn Menschen, die auszuklammern, sonst guckt man ganz mehr über den Tod erfahren schön blöd aus der Wäsche, wenn‘s möchten, Butter bei die Bestattungsspielzeug einen dann doch Fische bekommen – für Kinder kann Trauer- trifft“, so Kränz- wie es in Nord- arbeit unterstützen. le, die ein Video- deutschland seminar über heißt. Hospizarbeit Von dort, abhielt. Messeleiterin Andrea Rohde genauer aus Die Messe Bremen, kam zeigt also übli- am vorletzten cherweise nicht Oktober-Wo- nur Särge, Urnen chenende die und Beerdi- Messe „Leben und gungsausstat- Tod“ nach Freiburg, tungen sondern als bislang einziger bringt auch Fach- Ableger der gleich- kräfte wie Palliativme- Bürgermeister Stefan Breiter namigen und seit zehn diziner, Pflegepersonal, Ster- Jahren jährlich an der Weser bebegleiter oder Trauerredner stattfindenden ‚Muttermesse‘. D i e zusammen. Und dieser Aus- neue „Leben und Tod“ in Freiburg wur- tausch ist hochwillkommen. Daneben de bereits im Vorfeld durch Fachleute konnte sich jeder allgemein Interes- begrüßt. „Ich glaube, dass das Thema sierte über Patientenverfügungen, durch die sehr bunte und sehr leben- Friedhofskultur, Trauerarbeit oder To- dige Messe eine gewisse Leichtigkeit desanzeigen informieren - frei nach erfährt“, sagte zum Beispiel Susanne dem Motto der Messe: „Wir müssen Messechef Daniel Strowitzki Kränzle, Vorsitzende des „Hospiz- und mal REDEN…“. zett. Dezember 2020 11
VIELES KANN DER MENSCH ENTBEHREN, NUR DEN MENSCHEN NICHT Ludwig Börne (1786–1837) Arbeitskreis Leben (AKL) Freiburg Beratung und Begleitung in Lebenskrisen, bei Suizidgefahr und für Hinterbliebene Mit freundlicher nach Suizid. Unterstützung der Wilhelm Oberle-Stiftung. Talstraße 29 | Freiburg | Telefon 0761 – 3 33 88 | www.akl-freiburg.de 12 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und Dann? Foto: Martin Koswig Diakon Hans Salm Lieber Spätburgunder als Morphium von Arne Bicker Diakon Hans Salm D iakon Hans Salm tritt mit einem kleinen Wunder in Doch auch umgekehrt würde mancher Todgeweihte sich mein Leben: Eine Viertelstunde vor der verabredeten weiterschleppen, aus Angst, oder, so hat es Salm einmal erlebt, Zeit ruft er mich vom Hauptbahnhof an, sein Zug sei zu um den Stichtag zum Erreichen der Rentenberechtigung für die früh gekommen, ob ich vielleicht jetzt schon Zeit für ihn hätte? Ehefrau noch zu erreichen. Überhaupt sei das Sterben meist Am Bahnhof steigt ein schlanker, offen wirkender Herr mit keine geradlinige Angelegenheit. Phasen zwischen Angst und Lachfalten schwungvoll ins Auto. So sieht also ein 86-Jähriger Einverständnis könnten sich abwechseln, mehrfach sogar. Salm: aus, der seit drei Jahren verwitwet ist, drei Kinder großgezogen „Das wichtigste ist aber, was der Betroffene empfindet und hat und als katholischer Krankenhaus-Seelsorger hunderte Men- wünscht. Danach sollte sich alles andere richten.“ schen in ihren letzten Stunden begleitet hat. Hut ab! Wir sind Besonders schlimm sei es, wenn ein Kind stirbt oder der ei- verabredet über den Tod zu sprechen. gentlich fittere Partner eines Paares oder wenn es einen Todes- Herr Salm, was ist das, der Tod? „In einem Satz?“ Bitte. „Das fall gibt ohne Leiche wie bei einem Flugzeugabsturz über dem Loslassen von der Lebensgeschichte.“ Haben Sie selbst Angst Meer. Oder wenn die Angehörigen nicht zu Besuch kommen vor dem Tod? „Ich habe keine Angst, dass es mich eines Tages dürfen in Zeiten von Corona. „Trotzdem ahnen viele Menschen, erwischt, denn das ist normal. Ich habe höchstens etwas Angst die sich nahe sind, manchmal etwas, auch über tausende von vor dem Wie.“ In dreißig Jahren als Diakon im Lahrer Krankenhaus Kilometern“, so Salm. „Da ist etwas. Es passieren Dinge, die man hat Hans Salm zu viele Arten des Sterbens miterlebt, als dass es weder vorhersehen noch erklären kann.“ ihm gleichgültig sein könnte, auf welche Weise er seine letzten Und nach dem Tod? „Das weiß ich nicht“, erwidert Hans Salm. Atemzüge tut. In Sachen finales Ereignis sei ihm persönlich auch Und was ist mit Himmel und Hölle? „Das ist schwierig. Ich weiß der Gedanke an Morphium kein Trost: „Spätburgunder wäre nur, dass gelassene Menschen oftmals friedlich sterben. Andere, mir lieber.“ die streng kirchlich erzogen sind, haben manchmal panische Salms Oma hatte mit 96 Jahren in einem Dorf an der Obermo- Angst, dass es daneben geht.“ Wo die Reise hingehe, das hän- sel „niemanden mehr zum Klönen“, erzählt Salm. Die alte Dame ge auch von dem Bild ab, das der Sterbende in seinem Kopf habe sich daraufhin beschwert: „Petrus hat mich vergessen.“ Und mit sich trage: „Eine Wegbeschreibung aus dem Navi gibt es hundert Jahre alt wolle auch er selbst auf keinen Fall werden, jedenfalls nicht.“ betont Salm, da sei man dann doch zu allein und das Leben viel Kann so etwas Schweres wie das Sterben auch mit Humor von zu beschwerlich. Überhaupt sei es, wie gesagt, das Loslassen, um statten gehen? „Ein Mann hat mal gesagt, wenn es da oben keine das es beim Sterben in erster Linie gehe: „Viele alte Menschen anständige Kneipe gebe, dann bleibe er eben hier“, erzählt Salm. können nicht loslassen. Sie leben z.B. in einem alten Haus mit „Ich kann nicht sagen, ob das Sarkasmus war oder Galgenhumor, Treppen, wollen aber nicht umziehen.“ Und auch wer Macht Lebenslust oder vielleicht auch, ja, Gnade.“ habe, „wie auch immer“, sei oft nicht gewillt, von dieser zu lassen. „Ich weiß nicht, was nach dem Tod mit der Seele eines Men- Das mit dem Loslassen gelte im Übrigen auch für die Ange- schen geschieht“, knüpft Salm dann nochmal an die Ausgangs- hörigen. „Es gibt Getroffene und Betroffene“, sagt Salm, „und frage an, „ich bin noch nicht gestorben und zurückgekehrt. Ich ich habe im Krankenhaus oft wie ein Löwe kämpfen müssen mit denke aber, da ist noch etwas, eine Bilanzierung der Beziehun- Angehörigen oder Ärzten, die zum Sterbenden gesagt haben: Du gen, ein eindeutiges Erkennen, was gut war und was nicht.“ siehst doch gut aus, das schaffst du schon.“ Wer aber gehen und Nur an eine Wiedergeburt in einem anderen Körper will Hans nicht mehr kämpfen wolle, sei sensibel für Lügen. „Ein Sterben- Salm nicht glauben: „Wenn du es einmal geschafft hast zu der empfindet es oft als Zumutung, fast schon als Erpressung, sterben, dann willst du das nicht noch mehrere Male mitmachen wenn man ihn gegen den eigenen Willen halten will - und sei müssen, das wäre unzumutbar. Der Gedanke reicht mir schon es noch so gut gemeint.“ aus, nicht an eine Reinkarnation zu glauben.“ zett. Dezember 2020 13
Der Tod. Und dann? Kampf gegen das Virus Corona in Freiburg von Arne Bicker Christiane Kolodziej Foto: Arne Bicker 87 Menschen verstarben in Freiburg bis Ende November mein Onkel konnte nach 14 Tagen in der Klinik wieder entlassen an oder mit einer Corona-Infektion. Einer von ihnen werden; ihm geht es wieder soweit gut. war Viktor Kolodziej. Der 90-jährige lebte mit seiner Ich hatte die Symptome erhöhte Temperatur und starken 95-jährigen Frau im eigenen Haushalt in Freiburg-St.-Georgen. Schnupfen, aber keinen Husten, dafür Geruchs- und Geschmacks- Das Rentnerehepaar konnte manches noch alleine bewerkstelli- beeinträchtigungen und musste für 14 Tage in Quarantäne. Die gen, wurde aber von einer Haushaltshilfe, dem Pflegedienst und verbrachte ich im Haus meiner Eltern, weil ich mich da ja zu- der Tochter Christiane unterstützt. letzt aufgehalten hatte, um sie zu betreuen. Die Erkrankung hat Wo sie sich ansteckten, weiß bis heute niemand genau. Auch letztlich sehr viel Leid über unsere Familie gebracht und es mag Viktor Kolodziejs 83-jähriger Bruder infizierte sich, ebenso Tochter sich komisch anhören, aber ich habe die Situation nicht nur als Christiane. Frau und Bruder überlebten nach Krankenhausauf- schrecklich empfunden. enthalten, die Tochter mit leichtem Verlauf nach zweiwöchiger Das lag zum einen daran, dass ich mich während der vier- Quarantäne. Dem Kulturmagazin ZETT. erzählte die 60-jährige zehntägigen Quarantäne im Haus meiner Eltern in aller Ruhe Grundschullehrerin Christine Kolodziej ihre Geschichte. inmitten von Fotos, Alltagsgegenständen und Erinnerungen „Mein Vater hat als Verwaltungsbeamter in Freiburg gear- von meinem Vater verabschieden konnte. Zum anderen habe beitet und war bis ins hohe Alter ein präsenter, neugieriger und ich unglaublich viel Unterstützung von vielen Seiten erfahren. meinungsfreudiger Mann. Er war vorerkrankt, mit zwei Herzin- Auch die Klinikmitarbeiter und Ärzte hatten immer ein offenes farkten und Altersdiabetes. Am Freitag, 20. März, erfuhren wir Ohr für mich, egal wie oft ich angerufen habe, weil ich ja nicht zwei Tage nach einem Abstrich durch den Hausarzt, dass mein zu Besuch kommen durfte. Und unsere Familie ist sehr eng zu- Vater Covid19-infiziert war. Daraufhin wurde mein Vater mit ei- sammengerückt. Das waren auch schöne Erlebnisse. nem Rettungswagen auf die Isolierstation der Uni-Klinik gebracht. Am schwierigsten war es auszuhalten, gleichzeitig um das Aufgrund einer Patientenverfügung sahen die behandelnden Leben dreier Verwandter fürchten zu müssen und sie in dieser Ärzte nach zusätzlicher Rücksprache mit meiner Mutter und mir Zeit nicht besuchen oder verabschieden zu können. Und wenn von einer künstlichen Intensivbeatmung ab; in der Nacht auf den ich von Menschen höre, die Corona leugnen, dann empfinde ich 25. März verstarb mein Vater. Aber auch meine Mutter, trotz eines das als sehr zynisch, nachdem meine Familie so sehr von diesem zunächst fälschlich negativen Tests, mein Onkel und ich waren Virus betroffen war. infiziert, wie sich in jenen Tagen herausstellte. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, mich rechtzeitig mit dem Meine Mutter hatte also meinen Vater verloren und kam jetzt eigenen Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen - mental, selbst mit starken Atembeschwerden ins Krankenhaus. Sie hat emotional und auch ganz praktisch, und darüber zu sprechen. das Gott sei Dank überlebt, und wir fanden mit unendlich viel Und ob ich nun selbst resistent bin? Ich weiß es nicht. Ich habe Mühe einen Heimplatz für sie in Bad Krozingen. Aber sie ist nun gelesen, dass es weltweit 15 Reinfektionen geben soll. Ich werde sehr gebrechlich und hat leider jede Lebenslust verloren. Auch jetzt an einer Antikörperstudie teilnehmen.“ 14 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann? Fotos: Jörg Hemmen Michael Olsens Bestattungsrad Michael Olsen Der Oldenburger Künstler, Bühnenbildner und Zweiradmechaniker Michael Olsen (61) hat 14 Jah- re nach dem Aufkeimen der ersten Idee just in diesem Jahr sein dunkelblaues Bestattungsfahrrad fertiggestellt. Ziel sei es, „das stark verdrängte Thema Sterben, Tod und Endlichkeit zurück in den Lebensalltag zu holen“. Das Bestattungsrad sei somit ein Mittel, auf die Selbstverständlichkeit der Endlichkeit hinzuweisen, denn: „Wo haben wir mehr Interaktion und Kommunikation als im öffentlichen Straßenverkehr?“ www.bestattungsfahrrad.de aktiv bleiben JE T Z T S IC H E R N: und genießen – NUR NOCH BIS JU NI 2020: die besten Tipps 12,00€. Porto 4 Ausgaben inkl rund um ,00€) (ab Juli 2020: 15 Gesundheit, Reisen, Kunst und Kultur ! Als Dankeschön erhalten Sie ein Geschenk GRATIS dazu! Trinkflasche aus Aluminium mit Karabinerhaken, 800 ml Bestellhotline: 0 71 81 / 25 32 31 | Bestellfax: 0 71 81 / 25 88 78 Online-Bestellung: www.aktiv-imleben.de oder per Mail an abo@aktiv-imleben.de | per Post: Baumeister Verlag: Gmünder Straße 65 | 73614 Schorndorf Der Baumeister Verlag ist eine Marke der Kramer Verlags-GmbH & Co. KG. zett. Dezember 2020 15
Der Tod. Und dann? Yulia Vershinskaya – Per aspera ad astra Foto: privat Gratwandlerin „Per aspera ad astra“ nennt die Freiburger Mediengestalterin und Maltrainerin Yulia Vershinskaya ihr Bild einer janusköpfigen Tänzerin. Die lateinische Redewendung heißt auf Deutsch etwa „Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen“. Vershinskaya, die eine schwere Krebserkrankung durchlebt hat, ver- weist damit „auf die Mühen im Kampf gegen den Tod“. Dennoch sei das Bild, in dem sie auch Felsritzungen (Petroglyphe) aus prä- historischer Zeit zitiert, „etwas Positives“. In ihrer sibirischen Geburtsstadt Abakan ist den Menschen der Schamanismus nicht fremd. „Wir alle tragen den Tod in uns - wa- rum sollte man vor etwas so natürlichem Angst haben?“ fragt Yulia Vershinskaya; ihre vielschichtige Darstellung ist auch das Selbstporträt einer Frau im Kampf gegen cervantes‘sche Windmühlen. www.artex-studio.de 16 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann? Piotr Iwicki – Resedual Heat, Restwärme (Freiburg, 2018), Diasec, 67,5 x 100 cm. www.iwicki.com Inspiration Der Tod in der Kunst von Arne Bicker D er Tod kann zum Sterben schön sein - oder seine blu- tigste Fratze zeigen, meist in Form jener unsagbaren Gewalt, die Menschen einander anzutun in der Lage sind. In diesem Spektrum jedenfalls, und selten nur auf halber Strecke, bildete die Kunst in ihrer langen Geschichte zumeist den Tod ab. Wobei: „DIE Kunst“ und „DER Tod“ – geht’s eigentlich noch unpräziser? Längst schon gibt es eine irrwitzige Spannwei- te auf dem Feld ‚Der Tod in der Kunst‘ voller Interpretationen, Visionen, Gedankenspiele. Wobei die Vorstellungskraft sogar in der Kunst begrenzter erscheint als jene des Todes. Oder wer überrascht uns öfter und mehr? Das müsste die Kunstschaffenden eigentlich wurmen. Sind sie am Ende auch nur Menschen? Immerhin verschafften sie dem Tod schon Jahrhunderte vor dem Nachrichtenzeitalter nachhaltige Öffentlichkeit. Kunst und Tod sind seit jeher ein zugkräftiges Gespann. Die Kunst macht den allzu gern verdrängten, sich oft hinter dem Ofen versteckenden Tod in der Gesellschaft sichtbar. Sie überträgt seine Geschichte, seine Rituale, seine Wirkung aus grauer Vorzeit ins Hier und Jetzt. Der menschliche Schlusspunkt nimmt in der Kunst Form an, wird greifbar. Der Künstler als Seis- mograph seiner Zeit will auch den Tod ergründen, ihn bannen. Dieses Bild ohne Titel des Nürnberger Künstlers Werner Knaupp (Kohle auf Papier, ausgebranntes Loch, schwarz Und so kann die Kunst Trost, Erklärung, Halt vermitteln – unterlegt, 62 x 45 cm, 1977) entdeckte das Kulturmagazin im Idealfall. Oder Angst machen, was eben auch nicht selten ZETT. im Bestand der Paul Ege Art Collection (PEAC) in gewollt war, und sei es von den Auftraggebern. Denken>> Freiburg. zett. Dezember 2020 17
Der Tod. Und dann? wir nur an Paul Cézannes Schädelpyramide oder an moderne Zigarettenpackungen. Der Tod braucht ein Gesicht. Oder we- nigstens Symbole. Und die Kunst liefert. Aus den Pestepidemien des Spätmittelalters sind uns al- legorische Totentänze geblieben. Daraus schälte sich immer wiederkehrend, Tanz bleibt Tanz, ein kulturell verbreitetes Gegensatzpaar aus Eros und Tod heraus – die Faszination am Widerspruch zwischen lockender Sinnlichkeit und totaler Leb- losigkeit faszinierte etwa Edvard Munch, Joseph Beuys oder Horst Janssen, die das Thema „Der Tod und das Mädchen“ in platonischen wie körperlichen Liebesakten mit und ohne Skelett variierten. Maler wie Jacques-Louis David, Dante Gabriel Rossetti oder Egon Schiele hielten ihnen wichtig erscheinende Zeitgenossen oder nahe Angehörige auf dem Sterbebett fest, leisteten damit wohl auch Trauerarbeit an sich selbst und ihrem Umfeld. Sie betteten die Gegangenen so zumindest in eine zweidimensi- onale Ewigkeit ein. Die Synergie von Tod und Kunst ist uns auch aus dem mit- telalterlichen Mönchslatein überliefert, in dem unsterblichen Satz „Memento mori“ – „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“. Der umstrittene Präparator Gunter von Hagens griff das mit seinen „Körperwelten“ ebenso auf wie der schwer krebskranke Chris- toph Schlingensief († 2010), der davon beseelt war, die Regie über sein Leben bis zum letzten Atemzug - und am liebsten auch darüber hinaus - zu führen. Oder der Düsseldorfer „Dirigent mit dem Pinsel“ Jörg Immendorff († 2007), der, an der tödlichen Nervenkrankheit ALS leidend, intensiv die Öffentlichkeit suchte. Doch das Sterben, auch das eines Künstlers, ist kein künst- lerischer Akt, sondern blanke Natur. Und je mehr uns die Kunst, übrigens auch die literarische und cineastische, den Tod vor Augen führt, desto mehr gewöhnen wir uns daran? Ja und nein. Jindra Čapek - La Mort / Illustration Zwar verdrängen wir den Tod weiterhin, so gut es geht, schmü- www.jindracapek.cz cken uns aber umso lieber mit seinen Symbolen.>> Verwirrung an der Haustür. Harry der Zeichner / Arne Bicker Auch hierhin hat es ‚die‘ Tod geschafft: Bauzaun-Bild am Augustiner-Museum. Foto: Arne Bicker 18 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann? Totenschädel, Sanduhr oder erlöschende Kerze sind als Sinnbilder des Schreckens nicht länger nur Embleme der Subkultur – sie sind längst als kokette Modeaufdrucke oder Tattoos im Mainstream angekommen. Die Kunst dringt also seit jeher auch in die- sen, eigentlich sehr intimen Gesellschaftsbe- reich ein, was ja ihr Wesensmerkmal ist. Man könnte auch sagen: Sie kann, sie darf gar nicht anders. Andy Warhol († 1987) zum Beispiel arbei- tete sich in gut einem Fünftel seiner Arbeiten am Tode ab. Naturkatastrophen Selbstmorde, Abstürze und Unfälle, elektrischer Stuhl, Gal- Der Tod in der Kunst gen, Atombombe und Attentate – die Kunst verpasst der Mystifizierung des Unbekannten wie stets ihre Ohrfeige und eignet sich an, was sie will: Her damit! Es folgen die Auflösung der Form durch die Abstraktion des Künstlers, die Wandlung von Schrecken in Heiterkeit oder umgekehrt, Deu- tung, Überhöhung, Entkräftung und Einord- nung. Nur an einem kann auch die Kunst nicht rütteln, noch nicht: An der Vergänglichkeit alles irdischen Lebens, der „Vanitas“. Der Tod ist un- ausweichlich und angesichts der Masse Mensch auch erforderlich, als endgültiges Scheitern ei- nes jeden von uns, das keine Ausnahme macht. Die belgische Luftakrobatin Helena Jans am 29. Januar dieses Jahres bei der Wir Menschen sind wie eine Blumenwiese: Kulturbörse in Freiburg. Foto: Arne Bicker Wir werden gepflückt oder vergehen. Und beim Sterben wurde noch niemand vergessen. In einer unperfekten Welt ist also nur eines per- fekt: der Tod. Wahrhaft grenzenloser Optimismus. Kartoon: Klaus Karlitzky Yulia Vershinskaya - Event Horizon zett. Dezember 2020 19
Der Tod. Und dann? Der Tod in der Kunst Janine Machiedo - 2nd Floor 3 a.m. Dies ist ein Taufbecken. Oder eine Eiswürfel-Bar für Champagner-Flaschen. Jedenfalls lässt sich die Schädelde- cke dieses weiblichen Skulls aufklappen zum Zwecke sinniger Nutzung. Produzent Kai Orlob (rechts) hatte die Idee, Künstler Stepan Čapek formte in monatelanger Arbeit diese fast einen Meter hohe Schädelskulptur, die es nun - gegossen in Bronze (200 kg) oder Aluminium (65 kg) - bei „Antik Vintage Design“ in der Engesserstr. 3 in Freiburg zu bewundern gibt. Die beiden Freiburger haben diesen dreizehnteiligen Kunstguss aus der Taufe geho- ben, der, verschweißt und poliert, die Endlichkeit alles Menschlichen als dominanter Blickfang versinnbildlicht. Foto: Arne Bicker 20 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann? Sterbebegleiterin Simone Scheffczyk Foto: privat geht pragmatisch und zugleich sehr einfühlsam an die ihr gestellten Aufgaben heran. Wie nur endgültig einschlafen? Die groSSe Ungewissheit von Astrid Ogbeiwi / Arne Bicker D as mit dem Sterben ist so eine sie, „friedlich und schön verlaufen“, wenn auf der Palliativstation der Uniklinik je- Sache. Kann oder sollte man sich es als ruhiges Loslassen in Zufriedenheit weils nur wenige Plätze gibt, ist Scheff- darauf vorbereiten? Oder schlittert vonstattengehe. Wenn in der verbleiben- czyks Tätigkeit immer wichtiger geworden. man zwangsläufig irgendwie rein in sein den Zeit noch offene Dinge geklärt oder Jeder Sterbeprozess sei individuell. eigenes Ende? „Es gibt da ganz viel Unsi- geordnet, wenn „aus dem Rucksack des Und lediglich bewusst auf den Tod zu cherheit, Überforderung, Angst und Panik“, Lebens die großen, schweren Steine aus- warten, sei verschenkte Zeit, meint Si- sagt Simone Scheffczyk. Die 54-Jährige gepackt werden können“. Mitunter könne mone Scheffczyk. „Manch einer überlegt muss es wissen. Als ehrenamtliche Sterbe- sie auch dabei ein wenig unterstützen. es sich und steigt nochmal aufs Fahrrad begleiterin für den in Freiburg ansässigen Deshalb ist es für Sterbebegleiter wie oder macht sonst etwas, das ihm noch Hospizverein Breisgau-Hochschwarzwald Scheffczyk leichter, wenn sie frühzeitig möglich ist und guttut.“ Was die Art des hat sie in der Hospizgruppe Markgräfler- gerufen werden, den sterbenden Men- Sterbens anbelangt, erfülle sich ein weit land in und um Müllheim vielen Betroffe- schen noch ansprechbar antreffen und verbreiteter Wunsch indes nur selten: „Die nen und ihren Angehörigen auf den letzten kennenlernen können. Dies erleichtert die wenigsten Sterbenden schlafen einfach Metern zur Seite gestanden. Begleitung sehr. Umgekehrt könnten die friedlich ein. Aber die moderne Palliati- Diesen Menschen, die oftmals am Lebenden auch vom Sterben lernen: „Ganz vmedizin kann sie in der verbleibenden Ende ihres Lateins und am Rande ihrer Vieles verliert seine Bedeutung und man Lebenszeit medizinisch begleiten und Kräfte sind, gilt Scheffczyks Aufmerksam- nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig.“ vor Schmerzen und unerträglichem Leid keit und Hingabe: „Meine Hauptaufgabe Die Begleitung ihrer Großmutter, „die bewahren. Auch darüber zu informieren, ist es, ganz viel zuzuhören und zu infor- mein Dreh- und Angelpunkt war“ in ih- gehört zu meinen Aufgaben.“ mieren, was es zum Beispiel bedeutet, ren letzten Tagen und Stunden hat die Nicht immer ist allerdings ein friedli- wenn ein Sterbender nicht mehr essen Studienberaterin zu ihrer für viele eher cher Tod möglich; dies verschweigt sie und trinken will. Unwissenheit erzeugt oft ungewöhnlichen ehrenamtlichen Tätig- nicht. Ein einziges Mal in ihrer Tätigkeit Angst und Ratlosigkeit, vor allem bei An- keit gebracht. Voraussetzung war eine kam es vor, dass ein Mensch, der auch im gehörigen. Für sie ist dies häufig schwer einjährige Ausbildung mit Praktikum zur Leben für sein Umfeld nicht leicht zu er- zu akzeptieren. Doch Sterbende möchten Hospizbegleiterin, die Simone Scheffczyk tragen war, zwei Wochen lang schrie und meist gar nicht mehr so viel. Oft haben sie 2012 absolvierte. tobte. Eine durch Scheffczyk angeregte nur noch kleine Wünsche.“ Wo sich die Sterbenden befinden, spielt Palliativversorgung konnte schließlich in Scheffczyk und ihre 13 Kolleginnen in für ihre Arbeit keine Rolle. Umfragen zufol- den letzten Lebenstagen sein Leid und das der Regionalgruppe übernehmen also ge würden viele Menschen gerne zuhause seiner Angehörigen etwas lindern. Ihr Fa- keine pflegerischen Aufgaben, sondern sterben, tatsächlich jedoch geschieht dies zit: „Man stirbt nicht schneller, aber leich- leisten Beistand und Zuwendung. Bei aller meist in einem Krankenhaus oder einer ter, wenn man keine Probleme mit- Trauer und allem Schmerz könne das Ster- Pflegeeinrichtung. Weil es außerdem nimmt.“ ben ihrer Erfahrung nach auch, hier zögert im stationären Hospiz in Freiburg sowie Infos: www.hospizbewegung-bh.de zett. Dezember 2020 21
Der Tod. Und dann? Digitale Unsterblichkeit Für immer online von Jennifer Reyes Facebook hat auch das Jenseits als aktuellen Status in petto. Foto: Philipp Reyes S chon lange versuchen Menschen den Tod hin- füttere eine künstliche Intelligenz mit den Mailinhalten auszuzögern, ihn förmlich totzuschweigen. Doch und Chatverläufen eines Verstorbenen – danach kann wird ein Mensch heute aus dem Leben gerissen, man sich dann mit dessen „digitaler Seele“ in dessen dann hinterlässt er nicht nur seine Nachkommen, sein Sprachduktus austauschen. Ganz schön spooky. Haus, seine Briefmarkensammlung – er hinterlässt auch Die jungen und quicklebendigen Autoren und Film- digitale Spuren: Einen wahren Kometenschweif aus regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block erklären in digitalem Funkeln, samt Datenwolke. ihrem Buch „Die digitale Seele“ wie mit Hilfe von Algo- Wer will, kann bei Facebook im Menü des eigenen rithmen Spracheigenschaften verstorbener Menschen Accounts unter „Einstellungen für den Gedenkzustand“ simuliert werden. Wer noch einen Schritt weitergehen den Nachlass für seinen Facebook-Account regeln. Der möchte, für den kann auch ein digitales Alter Ego, ein Account kann nach Ableben seines Eigentümers in ei- Avatar mit originalgetreuem Erscheinungsbild, Stimme nen Gedenkzustand gesetzt oder durch einen Nachlass- und Charakterzügen einer verstorbenen Person auf Basis kontakt von einer ausgewählten Person weitergeführt digitaler Datensammlungen erstellt werden. Das ist werden. Natürlich muss der oder die Eigentümer*in des dann so, als wäre Amazons Alexa eine jüngst verstor- Accounts diese Person noch zu Lebzeiten benennen. bene Bekannte. Facebook regelt zudem, wie lange die ausgewählte In der Netflix-Science-Fiktion Serie „Black Mirror“ Person den Account weiterführen soll. Ist dieser Zeitraum lässt eine junge Mutter namens Martha ihren verstor- abgelaufen, wird der Account gelöscht. Dies ist auch mit benen Partner Ash durch einen Avatar wieder zum Leben dem Tod möglich – wenn man das vorher so einstellt. erwecken: künstliche neuronale Netze werden mit un- Stirbt der Accountbesitzer unverhofft und besteht kei- zähligen Daten gespeist und so einem Hirn nachemp- ne vorbestimmte Nachlassregelung, so verbleibt der funden, das menschliche Muster reproduziert. So kann Account in den Händen von Facebook. Einen Zugriff ein Avatar sprechen, denken und sogar handeln wie der darauf zu bekommen, geht dann meist nur über den verstorbene Mensch. juristischen Weg mit Sterbeurkunde und Erbschein. Diese Avatare sind heutzutage nicht mehr nur Fan- Ähnlich sieht es bei E-Mail-Konten, Online-Shop oder tasie von Autoren, sondern seit Februar 2020 Realität: Datingplattformen aus. Findige Bestatter bieten die Mehr als 18 Millionen Menschen schauten ein Youtu- Abwicklung inzwischen als Zusatzservice an. be-Video an, in dem eine Mutter in Südkorea ihre Tochter Aber wie gut täte es doch, wieder mit der Mutter oder drei Jahre nach deren Tod wiedersieht. Das gewagte der besten Freundin sprechen oder sich per Messenger Experiment löste weltweit sehr viel Mitgefühl, aber auch schreiben zu können? Manche Hinterbliebenen gehen Bestürzung aus. deshalb noch einen Schritt über digitale Erinnerungssei- Ist es richtig, den digitalen Klon eines Menschen auf- ten mit Handy-Videos hinaus. So gibt es mittlerweile erstehen zu lassen? Schaffen wir es dadurch doch, den sogenannte ‚Chatbots‘ - Chat-Roboter. Das Rezept: Man Tod zu überwinden, ihn quasi zu besiegen? Können wir 22 zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann? ab nun getrost verlernen zu trauern, zu vermissen und gitaler Wiedergänger wirklich unsterblich? Fakt ist: Die auf der anderen Seite auch einfacher zu sterben, da ein Grenzen zwischen Leben und Tod verwischen zuneh- digitaler Klon von uns die Liebsten tröstet und eine per- mend. Die künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch fekte Version unser Selbst für immer auffindbar bleibt? und der Markt für Online-Erinnerungskultur und digi- Schon längst gibt es digitale Testamente, Friedhöfe tale Unsterblichkeit wächst rasant. Diese Form der Ab- und Grabinschriften, aus Instagram-Accounts zusam- schaffung des Todes hat alles Zeug, Fluch und Segen mengestellte Online-Nachrufe. Aber macht uns ein di- zugleich zu sein. „Die digitale Seele“, Goldmann Verlag, 592 Seiten, 20 Euro. Die Autoren Moritz Riesewiecks und Hans Block haben sich auf die Suche nach der digitalen Seele des Menschen begeben. Foto: Peter von Felbert Klingeling Wir kratzen ab Das Leben ist ein Ge- Die App spricht englisch schenk. Unser Handy vielleicht und ist maximal benutzer- auch. Kein Wunder, wenn sich freundlich; nach Installation beide nun verschworen ha- und Start ist rein gar nichts ben, uns stete Erinnerungen mehr zu tun. Die App sei inspi- an die Freuden des Daseins rierend, motivierend und ver- aufs Brot zu schmieren. Und mittle Weisheit, versprechen zwar täglich fünf Mal, zu ab- die Hersteller, unter anderem solut unregelmäßigen, sprich jene, sich in der verbleibenden überraschenden Zeiten. Lebenszeit nicht zu sehr stres- Die App „WeCroak“ (Wir sen zu lassen und das Handy kratzen ab / aber auch: Wir auch mal zur Seite zu legen. quaken) ist kostenlos und Yes, we can! quakt ihrem Besitzer fünf Mal täglich philosophische Zita- te zur Endlichkeit irdischen Lebens aufs Handy. Schrift- lich. Laut Beschreibung von „WeCroak“ bringt das Glück – zumindest den 740.000 Bewohnern des Königreichs Bhutan, die mehrheitlich den Mahayana-Buddhismus als Staatsreligion praktizieren. Noch 65 % Akkuleistung – Zeit, die Seele aufzuladen. Screenshot der App „We Croak“. zett. Dezember 2020 23
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