DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN

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DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
#5 ∙ Dezember 2020

Das Kulturmagazin für Freiburg

Der Tod
Und dann?
                                                   Zeitdiagnose:
                                                        Un = heit
                                           Neue Kunstevents:
                                            Messe & Biennale
                                                     Fantastische
                                                      Bildwelten
                                                  Stadtjubiläum
                                                    ausgebremst
Aus dem Zypresse Verlag
www.zett-magazin.de              Bücher // Kunst // Musik // Auslagestellen
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Editorial

Respekt!

W
             ir kämpfen alle um Haltung in diesen         Abstand ausgiebig und in aller Ruhe besichtigt
             Zeiten, und viele von uns erleben            werden darf.
             zum ersten mal eine Krise, die sehr
viel tiefer greift, als wenn beim Frühstück das             Kunstschaffende leiden derweil mal mehr,

                                                                                                                                           Foto Martin Koswig
Nutella alle ist. Die Kultur leidet, und sie leidet       mal weniger unter den pandemiebedingten
auch darunter, dass sie als Inbegriff ihrer selbst        Einschränkungen. Zu denjenigen Künstlern, die
immer ein wenig abstrakt daherkam.                        meines Wissens gerade jeden Euro gebrauchen
                                                          können, gehören die Fotografin Janine Machie-
  Durch die Coronakrise ändert sich das gera-             do (www.janine-machiedo.de) und der Maler
de: Die Kultur gewinnt an Konturen. Formate,              Jürgen Kille (www.jo-kille-online-artgalerie.
Gesichter, Macher, Künstler und Kunstorte wer-            de). Beide sind mit mehreren Arbeiten in die-
den deutlicher sichtbar, verschaffen sich Gehör,          sem Magazin zu finden. Wenn Sie Kunst online
senden Bilder und Meinungen aus. Genau das                als Weihnachtsgeschenk direkt bei Freiburger
tut dieses Kulturmagazin ZETT. für Freiburg nun           Künstlern ordern, so tun Sie doppelt Gutes.
wie bisher auch in seiner fünften Ausgabe, kein
bisschen weniger umfangreich, eindringlich,                 Die Kultur lebt jedenfalls, und wie!
informativ und eben auch unterhaltend.
                                                            Und so bedanke ich mich ganz persönlich
  Unser Titelthema „Der Tod. Und dann?“ ist im            bei all jenen, die das Erscheinen dieses fünften
Laufe der zurückliegenden Monate gewachsen,               ZETT.Magazins im Freiburger Zypresse Verlag
um Momente, Facetten, die ins Bewusstsein                 trotz aller widriger Umstände möglich gemacht
und in die Öffentlichkeit rückten – vieles unab-          haben: Unsere Grafiker Jutta Schmidt und Frank
hängig von der Pandemie. Wir fassen hier zu-              Reder, unsere Social-Media-Redakteurin Jen-
sammen, was uns wichtig erscheint, und bieten             nifer Reyes, unsere Verlegerin Caroline Kross,
zur Winterzeit in dieser Ausgabe zudem mehr               alle festen und freien Mitarbeiterinnen und
Lesetipps als je zuvor. Die Buchhandlungen                Mitarbeiter: Respekt!
unserer Stadt nehmen Ihre Bestellungen gern
entgegen; die Stadtbibliotheken sind geöffnet.              Bleiben Sie weiterhin neugierig.
                                                            Herzlichst
  Und wieder zeigen wir Ihnen Freiburger
Künstler und ihre Arbeiten groß und in Farbe
und machen unser Magazin so zu einer Ge-                  Arne Bicker
meinschaftsausstellung, die rund um die Uhr                 Redaktionsleiter
geöffnet ist, und ohne Maske, Anmeldung oder                ZETT. – Das Kulturmagazin für Freiburg

 Impressum
 „ZETT. – Das Kulturmagazin für       Grafik, Layout:                         Illustration: Jonatan Alcina Segura,
 Freiburg“ ist eine Magazinpublika-   Jutta Schmidt, Frank Reder              Klaus Karlitzky, Harald Meyer
 tion der Zypresse Verlags GmbH,      Gestaltung: Schleiner & Partner         Für Druckfehler keine Haftung.
 Berliner Allee 4, 79110 Freiburg.    Titelbild: Maike Karrer                 Das Copyright für Texte und Fotos
 redaktion@zett-magazin.de            Redaktionelle Mitarbeit: Ruth           liegt beim Verlag und den Autoren
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 www.zypresse.com                     Priesner, Jennifer Reyes, Jürgen Ruf,   Nachdruck, Vervielfältigungen und
 Geschäftsführung:                    Stefan Tolksdorf, Reinhold Wagner       elektronische Speicherung nur mit
 Caroline Kross                       Fotografie: Janine Machiedo, Lena       schriftlicher Genehmigung des
 Redaktionelle Leitung: Arne Bicker   Sterzik, Martin Koswig, Arne Bicker     Verlages.

                                                                                                                     zett. Dezember 2020               3
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Inhalt

                                                             Der Tod. Und dann?
    6                           16                           ab Seite 8

Zeitdiagnose                   Der Tod
                               in der Kunst

Editorial                                                   Lesestoff – Bücher zum Thema Tod                    28
   Respekt                                           3     Schöne Worte und neue Formen – Kreative Grabmäler   30
Zeitdiagnose                                                Kunst im Krematorium – ARTefakte in Eschbach         31
   Die Abschaffung der Un = heit                    6      Día de los Muertos – Wir sind alle Schädel          32
Der Tod. Und dann?                                          Schwarze Magie und böser Zauber –
   Lernen vom großen Tabu – Der Tod. Und dann?      8      Geheimnisvolles Voodoo                              34
   Eine neue Messe in Freiburg – Um Leben und Tod   11     Eine Wette auf die Zukunft –
   Diakon Hans Salm –                                       Die Konservierung des Menschen                      36
   Lieber Spätburgunder als Morphium                13     Bei Suizidgefahr – Zuhören und Helfen               37
   Eine Familie im Kampf gegen das Virus –                  Streitgespräch mit dem Tod – Wiederbelebung         38
   Corona-Tod in Freiburg                           14     Am Sarg knabbern – Kuchen für Mutige                38
   Michael Olsen – Bestattungsrad                   15   Fotografie
   Inspiration – Der Tod in der Kunst               16     Alexandre Goebel – Alles außer grau                 40
   Die große Ungewissheit –                                 Der große Zapfenstreich –
   Wie nur endgültig einschlafen?                   21     Wipfelstürmer im Freiburger Stadtwald               42
   Digitale Unsterblichkeit – Für immer online      22     Michelle Wegener – Ewige Momente                    44
   Klingeling – Wir kratzen ab                      23     Janine Machiedo – Always A Dreamer                  45
   Seelenwanderung und ewiges Leben –                     Neue Kunstevents
   Ein unfassbarer Zustand                          24     Die neue Kunstmesse – Auftakt geglückt              46
   Die heikle Kunst der Trauerredner –                      Die neue Biennale für Freiburg –
   Einfühlung und Balance                           26     Eine Kunst-Wundertüte                               49
   Gestorben wird immer – Tödliche Unterhaltung     27

                                                           70                            77

                                                          Disco 3.0                     900 Jahre lesen
                                                          Licht aus, Spot an            Bücher zumStadtjubiläum
    60

    Malen für den Augenblick
    Maike Karrer

4        zett. Dezember 2020
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
50                                      72

Bücher                         Musik-Tipps
Lesefreude pur                 Lauschangriff
                                                                                                                                                                                                                                            34

                                                                                                                                                                                                                                            Schwarze Magie und böser Zauber
                                                                                                                                                                                                                                            Geheimnisvolles Voodoo

Bücher                                                                                                                                                                                                                                      Gedanken einer Preisträgerin – Tolle Sachen          67
  Cornelius Völker – Buchkanten                                                                                                                                                        50                                                  Kunstbücher – Reibungspunkte und Schriftbilder       68
  Gabriele Hennicke – Echte Sch                                                                                                                                                        51                                                Musik
  Gottfried Haufe – Auf sie mit Gedöns                                                                                                                                                 51                                                  Eigentlich – Soundcity Freiburg                      69
  Philipp Brotz – Termitenkönigin                                                                                                                                                      52                                                  Licht aus, Spot an – Disco 3.0                       70
  Jens Schäfer – Total alles über den Schwarzwald                                                                                                                                      52                                                  Der Vorwärtsdenker –
  MERIAN Freiburg und der Breisgau                                                                                                                                                     52                                                  Ralf Schmids „schmutzige Musik“                       71
  Roland Weis – Geisterturm                                                                                                                                                            52                                                  Lauschangriff – Musik-Tipps                           72
  Schöne Geschichten –                                                                                                                                                                                                                    Stadtjubiläum
  Buchempfehlungen der Sadtbibliothek                                                                                                                                                  54                                                  Haikus in Freiburg – Plakat-Poesie                   74
  Dagmar Neumann – Wer-weiß-Geschichte                                                                                                                                                 56                                                  Plakatkampagne – Für mehr Offenheit                   75
  Humorfeminismus – Witz und Aberwitz                                                                                                                                                  56                                                  Freiburger Geschichte für alle – Stadtchronik als Comic
Kunst                                                                                                                                                                                                                                                                                            76
  Jörg Heitz – Kopfstand                                                                                                                                                               57                                                  900 Jahre lesen – Bücher zum Stadtjubiläum            77
  kunsthalle messmer – Die Magie der Kunst                                                                                                                                             59                                                Gesellschaft
  Malen für den Augenblick –                                                                                                                                                                                                                Sprachatlas und Dialekt-CD –
  Die lebenden Leinwände der Maike Karrer                                                                                                                                           60                                                     Knabbern am Pferdezahn                                78
  Alice Lister – Der Spinner                                                                                                                                                        62                                                     Kulturforum Gabi Obi                                  78
  Lina Leoni – Frutti del Male                                                                                                                                                      63                                                     TV-Projekte – Spannung für 2021                      79
  Jo Kille – Der KaJo-Künstler                                                                                                                                                      64                                                     Kunst und Kultur auf die Hand –
  Elisabeth Bereznicki – Vivian Westwood                                                                                                                                            66                                                     Die ZETT.-Auslagestellen                             80
  Alexander Jaworski – 100 Köpfe                                                                                                                                                    66                                                     War noch was? – Marke, Radio, Spiel                  82

40                                       74

Alles ausser grau              Haikus in Freiburg
Alexandre Goebel               Plakat-Poesie
                                         Unter den Masken                                                                                                                                                                                   42
                                         werden die Zähne gezeigt
                                         Lächeln ist viral
                                                                                                                                                                                                                                            Fotografie
                                                                                                                                                                                                                                            Wipfelstürmer im Freiburger Stadtwald
                                          Findet 12 Plakatmotive an 15 Standorten: Talstr./Falkensteinstr. | Schwarz-                                                      Haiku: Laura Baertle (21) · Illustration: Wolli Ruf
                                          waldstr. 28 und 82 | Urachstr. 11 | Günterstalstr./Konradstr. | Goethestr. 56 |
                                                                                                                                 Diese Plakataktion ist eine Kooperation von Agrikultur e.V., der Jugendschreibwerkstatt „Schreibcouch“
                               Motiv J

                                          Lörracher Str. 8 | Andreas-Hofer-Str./Innsbrucker Str. | Basler Str./Fichtestr. |
                                          Markgrafenstraße 39 | Ferdinand-Weiß-Str./Escholzstr. | Engelbergerstr. 28 |        des Literaturhauses Freiburg und ILLU Freiburg e.V. mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Freiburg.
                                          Stefan-Meier-Str. 2 | Habsburger Str. 74 | Zähringer Str. 32 |                                                                                                        #freiburghältzusammen

                                                                                                                                                                                                                                                                             zett. Dezember 2020        5
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Zeitdiagnose

Zeitdiagnose
Die Abschaffung
der Un = heit
von Arne Bicker

     Janine Machiedo – NEW WAYS

W
            enn diese Coronakrise etwas       ohne Wachstum“ so zusammen: „Wir sind          serer politischen, wirtschaftlichen und
            Gutes hat, dann das, dass wir     krisenentwöhnt.“ Wir müssen Probleme           steuerpolitischen Systeme drehen.
            alle mehr nachdenken über         auf den Punkt bringen, dann gemeinsame             Den Wunsch, sich den Nebenwirkun-
unsere Zukunft. Und beim Nachdenken           Lösungen erarbeiten und umsetzen. Und          gen moderner Selbstoptimierungssyste-
allein sollte es nicht bleiben. Wie soll es   dies kann nicht allein zivilgesellschaftlich   me zu entziehen, hat Heinz Bude in sei-
weitergehen? Welche Krisen haben uns          geschehen, obwohl hier viele interessante      nem Buch „Solidarität – Die Zukunft einer
vor der Pandemie bedrückt, in welchen         Ansätze zu finden sind. (Googlen Sie doch      großen Idee“ festgehalten. Er beschreibt
Bereichen sollten wir unser Leben, das wir    mal „Ottobahn“.)                               das Erlangen von Selbstachtung durch
schließlich weitgehend selbst in Händen           Das Prinzip, dass jeder versucht, sich     eine „progressive Solidarität“, die nicht
halten, ändern, wo und wie uns als Ge-        die Taschen so voll zu stopfen wie nur ir-     an Eigeninteressen gekoppelt ist.
sellschaft verbessern?                        gend möglich, egal, wie es den anderen             Ganz grundsätzlich kann es vor allem
    Fest steht: Das Sammeln von Fragen        dabei geht, bringt unsere Gesellschaft         hilfreich sein, unser gemeinsames Wer-
und Hoffnungen allein bringt uns nicht        nicht in eine sichere und erstrebenswer-       tesystem zu überdenken und an die neuen
weiter. Der Autor Meinhard Miegel fass-       te Zukunft. Wir müssen dringend an den         Erfordernisse anzupassen. Das meint der
te das in seinem Buch „Exit – Wohlstand       dafür vorgesehenen Stellschrauben un-          Philosoph Markus Gabriel (40) in seinem

6      zett. Dezember 2020
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Zeitdiagnose

Buch „Moralischer Fortschritt in dunklen            en aber zugleich auch viel Mist. Corona                       Davon sind wir so weit entfernt, dass
Zeiten“. Er fordert eine neue Aufklärung            hat offengelegt, dass unsere etablierten                  es viel zu vielen Menschen weh tut. Mein
und schreibt: „Die sozioökonomische Un-             Mechanismen uns weder ausreichend                         Vater sagte immer: Meckere nicht so viel
                                                    helfen noch in eine sichere Zukunft füh-                  rum, schlag‘ vor, wie man es besser ma-
                                                    ren können. Wir müssen nachbessern,                       chen kann. Bevor wir uns also verzetteln
                                                    dringend.                                                 und gewollt oder ungewollt in einem
                                                        Die Autoren Ole Häntzschel und Tobi-
                                                    as Moorstedt führen uns mit ihrem Buch
                                                    „What the fact! - Warum wir so oft falsch
                                                    liegen“ vor Augen, dass die in diesen Ta-
                                Markus Gabriel
                                Foto: Jakob Weber
                                                    gen oft mit viel zu viel Wut und Hass vor-
                                                    getragenen, gefühlten Wahrheiten oft
                                                    nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.
                                                    Sie erklären, wie Vorurteile, Fake News,
                                                    Desinformationskampagnen, aber auch
                                                    der schiere Überfluss an Informationen
                                                    unseren Blick auf die Welt verzerren.
                                                        Dabei wäre es so wichtig, klar zu se-
 Markus Gabriel
 „Moralischer Fortschritt indunklen Zeiten“         hen. Viele wollen offensichtlich dahin zu-
 Ullstein, 368 Seiten, 22 Euro                      rück, wo wir vor Corona waren und dann
                                                    genauso weitermachen. Warum nur?                           Ole Häntzschel und Tobias Moorstedt
gleichheit auf unserem Planeten […] ist             Geht es nicht besser? Der amerikanische                    „What the fact!? -
                                                                                                               Warum wir so oft falsch liegen“,
auf Dauer nicht tragfähig.“                         Theologe, Philosoph und Politikwissen-                     Hoffmann und Campe, 207 Seiten, 26 Euro
     Diese Meinung vertritt auch ein sin-           schaftler Reinhold Niebuhr postulierte
gender Philosoph: „Eine Gesellschaft ist            einst: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge
eine Familie, wir gehören zusammen“,                hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,                   autoritären Regime oder einer Denkdik-
sagte Herbert Grönemeyer in der Sendung                                                                       tatur wieder aufwachen, dass uns derzeit
„Aspekte“ vom 13. November. Und: „Wir                                                                         scheinbar wirkmächtige Populisten auf-
haben knapp zwei Millionen Millionäre                                                                         zuschwatzen trachten, wäre ein Reboot
in Deutschland.“ Diese könnten, so Grö-                                                                       des Bestehenden vielleicht die bessere
nemeyer, mit einer einmaligen „Sonder-                                                                        Lösung. (Ansätze finden sich auch in der
zahlung“ fast alle Probleme bedürftiger                                                                       3sat-TV-Doku „Krise - Endlich! Zeit für ein
Menschen vom Tisch wischen: „Das Geld                                                                         anderes Leben“.)
ist im Übermaß vorhanden.“                                                              Eva                       Am 24. Oktober 2021 steht die Wahl
     Man ahnt es schon: So etwas wird                                                   von Redecker          zum 20. Deutschen Bundestag an. Ich
                                                                                        Foto: Paula Winkler
nicht passieren. Die Philosophin Eva von                                                                      persönlich würde mir einen Wahlzettel
Redecker sieht derweil in Protestbewe-                                                                        wünschen, auf dem ich ankreuzen kann,
gungen wie Fridays For Future oder Black                                                                      welche signifikanten Probleme die nächs-
Lives Matter „eine einsetzende Revoluti-                                                                      te Regierung kompetent und zukunftsfä-
on für das Leben“. Besitz, Sachherrschaft,                                                                    hig lösen soll. Ich sehe in unserem Land
Verfügungshoheit, Ausbeutung – diese                                                                          alle Voraussetzungen dafür, eine ruhige
Hebel bedürften einer neuen Betrachtung,             Eva von Redecker                                         und friedliche, nachhaltig-produktive,
Gewichtung und Anordnung, schreibt sie               „Revolution für das Leben“                               lebensfrohe, glückliche Gesellschaft in
                                                     S. Fischer, 320 Seiten, 23 Euro.
in ihrem Buch.                                                                                                einer stabilen Demokratie auf der Basis
     Die aktuelle Coronakrise ist ein Weck-                                                                   unseres Grundgesetzes zu sein. Das Wis-
ruf für alle, die nicht frei von Fehlern sind:      den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern                  sen, das Geld und die demokratischen
Politik, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft,          kann, und die Weisheit, das eine vom an-                  Werkzeuge haben wir. Was hindert uns?
Zivilgesellschaft. Wir alle tun Gutes, bau-         deren zu unterscheiden.“                                  

                                                                                                                              zett. Dezember 2020        7
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Der Tod. Und Dann?

Lernen vom großen Tabu
Der Tod. Und dann?
von Arne Bicker

I
    m März dieses Jahres habe ich einen nahen und lieben                    Was wissen wir über den Tod, welche Rolle spielt er in Kul-
    Menschen verloren. In den Tagen zuvor lagen und saßen               tur und Geschichte? Und sollten wir uns Zeit unseres Lebens
    sich an einem Krankenhausbett Menschen gegenüber, die               schon mit dem Tod beschäftigen, um ihn zu verstehen, um
mit ihrem Schicksal haderten, viel mehr noch, die die ihnen             irgendwie gewappnet zu sein oder vielleicht weniger Angst
vom Leben in diesen Momenten zugewiesenen Rollen von                    vor ihm zu haben? In diese Richtung dachte wohl auch das
ganzem Herzen ablehnten.                                                Freiburger Museum Natur und Mensch, als es von Mai 2017
   Alle Beteiligten hatten eine riesengroße Angst vor dem               bis Januar 2018 die Ausstellung „Todsicher? Letzte Reise un-
Unausweichlichen. Und alle mussten irgendwie damit klar-                gewiss“ veranstaltete.
kommen. Es war so unglaublich schmerzlich. In jenen Tagen                   Und an zwei Tagen Ende Oktober dieses Jahres ging in Frei-
fragte ich mich wieder und wieder: Der Tod, was ist das? Wozu           burg als erstem Ort außerhalb Bremens ein Ableger der dorti-
kann das gut sein? Und was kommt danach?                                gen Messe „Leben und Tod“ über die (virtuelle) Bühne – eine für

    Am 2. November dieses Jahres               Asche zu Asche: Die aktuelle Ausstel-                   „Am schönsten stirbt sich´s in Wien“
    startete an der Universität Regens-        lung „Das Letzte“ (bis 28.2.2021) im                    behauptet das Bestattungsmuseum
    burg der deutschlandweit erste             Kasseler Museum für Sepulkralkultur                     am Wiener Zentralfriedhof. Im
    Masterstudiengang „Perimortale             zeigt unter anderem diese Urne für                      angeschlossenen Webshop gibt es
    Wissenschaften“, den die 41 Studie-        spezielle Papierreste der Dresdner                      diese schwarze Atemmaske („Aus-
    renden salopp „PeWi“ nennen. Da in         Künstlerin Susan Donath. Thema-                         huastverhüterli“) für 8,90 Euro.
    Deutschland jährlich etwa 900.000          tisiert wird hier der der Tod eines                     Renner sind auch die Büchertasche
    Menschen das Zeitliche segnen,             Staates als Sollbruchstelle zwischen                    „Ich lese, bis ich verwese“ (9,90),
    werden hier Sterben, Tod und Trauer        Geschichte und Gegenwart. Möge er                       USB-Sticks in Skelettform (15,90)
    aus vielfältigen interdisziplinären        in Frieden ruhen.                                       oder das Zigarettenetui „Rauchen
    Perspektiven beleuchtet. „Es ist ein       Foto: Museum für Sepulkralkultur                        sichert Arbeitsplätze - Bestattung
    gesellschaftlicher Trend, sich nach                                                                Wien“ (9,90).
    Jahrhunderten der Verdrängung                                                                      Sreenshot: www.shop.bestattungsmuseum.at
    endlich diesem Menschheitsthema
    zu stellen“, sagte uns der Leiter des
    Studiengangs, Theologie-Professor
    und Diakon Rupert M. Scheule am
    Telefon. „Das zeigt ja allein das gro-
    ße Interesse – normal wären etwa 15
    Studierende“.
    Foto: Uni Regensburg

8            zett. Dezember 2020
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Der Tod. Und Dann?

                                                                 Die letzte Ruhestätte der Freiburgerin Caroline Christine Walter an der Ost-
                                                                 mauer des Alten Friedhofes ziert das wohl schönste Grabmal Freiburgs. 1866
                                                                 verstarb die junge Dame im Alter von 16 Jahren an der seinerzeit verbreiteten
                                                                 Tuberkulose. Das Grabmal ist indes eine Kopie; das Original schlummert
                                                                 seit den 90er Jahren friedlich und sicher verwahrt im Lapidarium-Keller des
                                                                 Schwarzen Klosters.
                                                                 Illustration: Jonatan Alcina Segura

Sterbehelfer, Psychologen, Philosophen und Palliativmediziner    meldet, Nummer 80 am 18. Juli und Nummer 79 am 14. Mai.
hochwillkommene Kongressmesse, so mein Eindruck. „Ängste         Das Thema holt uns doch immer wieder ein, ob wir das wollen
nehmen, zum Nachdenken anregen und Mut machen“ wollte            oder nicht. Die Stadt Freiburg richtet auch seit Jahren regel-
diese Messe - Auslöser für ZETT. das Thema aufzugreifen.         mäßig eine „Trauerfeier für unbedacht Verstorbene“ in der
   Und es stimmt ja irgendwie: Wir sparen Jahre lang für ein     Einsegnungshalle des Hauptfriedhofs aus.
Eigenheim, beschäftigen uns mit jeder Fliese, jedem Schrank,        Bitte sehen Sie es mir nach, aber mein Sprachverständnis
planen akribisch eine Hochzeit, aus der heraus dann vielleicht   lässt mich aufgrund der sicher nicht beabsichtigten Doppel-
neues Leben entsteht – nur über unser Ende sprechen wollen       deutigkeit dieser Formulierung schmunzeln. Wir Menschen
wir nicht. Wir verbannen den Tod aus unserem Alltag. Dabei       können mit Sprache und Witz aus allem einen Spaß machen
gehört das Sterben zum Leben dazu.                               – eine tolle Eigenschaft, solange wir niemanden damit per-
   Nicht alle haben eine verständliche Scheu vor dem Tod:        sönlich verletzen.
Mediziner. Bestatter. Totengräber. Meine Oma. Die alte Dame         Dabei ist es im wahrsten Wortsinn todtraurig, dass in Frei-
sprach in sehr hohem Alter erstaunlich locker und rational da-   burg pro Jahr etwa 50 bis 60 Bestattungen von Amts wegen
von, was sein würde und zu tun sei, „wenn ich mal nicht mehr     angeordnet werden für Menschen, die vereinsamt gelebt haben
bin“. Nun, sie hatte den zweiten Weltkrieg und tausendfaches     oder ohne Angehörige sind, die für eine Bestattung aufkom-
Sterben erlebt.                                                  men. Immerhin nimmt sich die Stadt, also wir, dieser Menschen
   Freiburg im Jahr 2020: Bis Ende November gab es amtlich       an und organisiert eine ökumenische Trauerfeier.
87 Corona-Tote in Freiburg und 86 im Landkreis Breisgau-Hoch-       Im Angesicht des Todes werden alltägliche Streitereien
schwarzwald. Todesfall Nummer 81 wurde am 26. August ge-         zu Nichtigkeiten. Ich habe das erlebt. Vom Tod können wir

                                                                                                             zett. Dezember 2020             9
DER TOD UND DANN? - ZETT. MAGAZIN
Der Tod. Und Dann?
lernen uns selbst und unser ganzes Besitztrachten nicht so
ernst zu nehmen. Wir können lernen, unsere Zeit, unser Leben,
                                                                           Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900)

                                                                 Zitate
unsere Lieben, schöne Momente, unsere Freundschaften, die
Natur und unsere Gesellschaft mehr wertzuschätzen, weniger                   „Der Tod ist nicht der Feind des Lebens
Selbstgerechtigkeit, weniger Hass und Gier walten zu lassen.                    überhaupt, sondern das Mittel,
   Warum sollen wir damit nicht schon frühzeitig, zum Beispiel             durch welches die Bedeutung des Lebens
heute, beginnen? Der Tod geht ausnahmslos uns alle etwas                            offenbar gemacht wird.“
an. Ziehen wir ihn hinter dem Ofen hervor und befassen wir                       Norman Cousins (1915 – 1990)
uns mit ihm. Respektvoll. Neugierig. Offen. Und ja – auch mit
                                                                            „Der Tod ist nicht der größte Verlust im
Humor.
                                                                          Leben. Der größte Verlust ist das, was in uns
                                                                                  stirbt, während wir leben.“

                                                                                      Woody Allen (*1935)
     MEDIATHEKTIPP: Endlich                                                  „Ich habe keine Angst vor dem Sterben.
                                                                           Ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn es
     „Wie gehen wir damit um, dass die Hightech-Medizin nicht                              passiert.“
     nur unser Leben, sondern auch unser Sterben verlängert?“,
     fragt die ZDF-Sendung „aspekte on tour“. Und „was genau                     Friedrich Schiller (1759 – 1805)
     passiert in unserem Körper, wenn wir sterben?“ Gespräche                   „Das Leben ist nur ein Moment,
     mit Künstlern und Intellektuellen über Tod und Trauer, zu                    der Tod ist auch nur einer.“
     sehen in der ZDF-Mediathek.
                                                                              Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)
                                                                          „Das Leben kann angesehen werden als ein
                                                                            Traum und der Tod als das Erwachen.“
                                  Screenshot: zdf.de

                                                                                   Kurt Marti (1921 – 2017)
                                                                          „Wir gehören einer Zivilisation an, die zwar
                                                                              den Tod industriell zu produzieren,
                                                                             nicht aber zu integrieren versteht.“
                                                                                     Michael Richter (*1952)
     MEDIATHEKTIPP : Was dann?                                                    „Erst gehen wir mit der Zeit,
                                                                                 dann gehen wir mit der Zeit.“
     Wir werden sterben. Jeder von uns. Doch was geschieht,
     wenn wir tot sind? Und gibt es ein Leben nach dem Tod?                      Charles Péguy (1873 – 1914)
     Diesen Fragen folgt der Berliner Bestatter, Buchautor                  „Man stirbt nicht an einer bestimmten
     („The End“) und frühere Musikmanager Eric Wrede in der                   Krankheit, man stirbt an einem
     3-sat-Doku „Blick in die Ewigkeit? – Der Tod und das Da-                          ganzen Leben.“
     nach“ durch Europa.
                                                                                 Peter Sellers (1925 – 1980)
                                                                          „Der moderne Mensch kennt offenbar kein
                                                                             höheres Ziel als gesund zu sterben.“
                                  Screenshot: 3sat.de

                                                                                Martin Heidegger (1889 – 1976)
                                                                           „Das Wovor des Erschreckens ist zunächst
                                                                               etwas Bekanntes und Vertrautes.
                                                                          Hat dagegen das Bedrohliche den Charakter
                                                                          des ganz und gar Unvertrauten, dann wird
                                                                                   die Furcht zum Grauen.“
     BUCHTIPP: Redebedarf
                                                                                     Niklas Stiller (*1947)
     Wir müssen über den Tod reden. Es nicht
                                                                           „Den eigenen Tod immer ein bisschen im
     zu tun, bedeute, die Entscheidung darüber,
                                                                           Auge behalten: das beruhigt und erfrischt
     wie wir sterben wollen, anderen zu über-
                                                                                          zugleich.“
     lassen. Das meint der Palliativmediziner
     Matthias Gockel, der täglich miterlebt,                                   Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951)
     wie sehr Verdrängen und Verschweigen                                 „Wenn wir im Leben vom Tod umgeben sind,
     einen bewussten Umgang mit dem Ster-                                   so auch in der Gesundheit des Verstands
     ben blockieren - nicht nur bei Patienten                                           vom Wahnsinn.“
     und Angehörigen, sondern auch bei ihren
     Ärzten. Er fordert deshalb eine neue Art                                    Sacha Guitry (1885 – 1957)
     der Gesprächskultur und beschreibt offen                                   „Das Fatale am Paradies ist:
     seinen Berufsalltag.                                                     Man kann es nur im Leichenwagen
     Matthias Gockel – Sterben                                                          erreichen.“
     berlin Verlag, 272 S., 22 Euro

10       zett. Dezember 2020
Der Tod. Und Dann?

Probeliegen im Sarg hilft manchem                  Individuelle Sarggestaltung zur                      Künstlerisch gestaltete Urne.
Messebesucher beim Angstabbau.                     Trauerbewältigung                                    Fotos: Messe Bremen

Eine neue Messe in Freiburg
Es geht Um Leben und Tod
D
         ie Wege des Herrn sind un-       PalliativVerbands Baden-Württem-
         ergründlich: Dass eine Mes-      berg“.
         se, die sich mit dem Tod und         Durch die Corona-bedingte Absa-
dem Sterben befasst, im kühlen Nord-      ge der physischen Ausstellungsmes-
deutschland ankommt – OK. Aber in         se rückte der begleitende Kongress in
Freiburg, wo die Welt eine sonnige ist    Freiburg mit rund 50 Online-Veranstal-        90-Sekunden-Audiostatements
und der Tod eingeschüchtert von so viel
Lebensfreude hinter dem Ofen hockt?
                                          tungen am 23. Und 24. Oktober in den
                                          Vordergrund. „In unserer informierten
                                                                                        Warum die Messe nach
Letztlich tritt der Tod aber überall in   und selbstbestimmten Gesellschaft             Freiburg kam
Erscheinung, und so kann es auch hier     ist es sehr wichtig, dieses Thema nicht
nicht schaden, wenn Menschen, die         auszuklammern, sonst guckt man ganz
mehr über den Tod erfahren                schön blöd aus der Wäsche, wenn‘s
möchten, Butter bei die                   Bestattungsspielzeug
                                                                   einen dann doch
Fische bekommen –                         für Kinder kann Trauer- trifft“, so Kränz-
wie es in Nord-                           arbeit unterstützen.     le, die ein Video-
deutschland                                                         seminar über
heißt.                                                              Hospizarbeit
    Von dort,                                                       abhielt.            Messeleiterin Andrea Rohde
genauer aus                                                            Die Messe
Bremen, kam                                                       zeigt also übli-
am vorletzten                                                     cherweise nicht
Oktober-Wo-                                                        nur Särge, Urnen
chenende die                                                        und Beerdi-
Messe „Leben und                                                    gungsausstat-
Tod“ nach Freiburg,                                              tungen sondern
als bislang einziger                                            bringt auch Fach-
Ableger der gleich-                                          kräfte wie Palliativme-    Bürgermeister Stefan Breiter
namigen und seit zehn                                 diziner, Pflegepersonal, Ster-
Jahren jährlich an der Weser                        bebegleiter oder Trauerredner
stattfindenden ‚Muttermesse‘. D i e              zusammen. Und dieser Aus-
neue „Leben und Tod“ in Freiburg wur-     tausch ist hochwillkommen. Daneben
de bereits im Vorfeld durch Fachleute     konnte sich jeder allgemein Interes-
begrüßt. „Ich glaube, dass das Thema      sierte über Patientenverfügungen,
durch die sehr bunte und sehr leben-      Friedhofskultur, Trauerarbeit oder To-
dige Messe eine gewisse Leichtigkeit      desanzeigen informieren - frei nach
erfährt“, sagte zum Beispiel Susanne      dem Motto der Messe: „Wir müssen              Messechef Daniel Strowitzki
Kränzle, Vorsitzende des „Hospiz- und     mal REDEN…“.

                                                                                                            zett. Dezember 2020         11
VIELES KANN DER MENSCH ENTBEHREN,
                                           NUR DEN MENSCHEN NICHT
                                                            Ludwig Börne (1786–1837)

     Arbeitskreis Leben (AKL)
     Freiburg
     Beratung und Begleitung
     in Lebenskrisen, bei Suizidgefahr
     und für Hinterbliebene
                                                                   Mit freundlicher
     nach Suizid.                                                  Unterstützung der
                                                                   Wilhelm Oberle-Stiftung.

     Talstraße 29 | Freiburg | Telefon 0761 – 3 33 88 | www.akl-freiburg.de

12   zett. Dezember 2020
Der Tod. Und Dann?
 Foto: Martin Koswig

                                                                                          Diakon Hans Salm
                                                                                Lieber
                                                                       Spätburgunder
                                                                         als Morphium
                                                                                                                    von Arne Bicker

   Diakon Hans Salm

D
         iakon Hans Salm tritt mit einem kleinen Wunder in                Doch auch umgekehrt würde mancher Todgeweihte sich
         mein Leben: Eine Viertelstunde vor der verabredeten           weiterschleppen, aus Angst, oder, so hat es Salm einmal erlebt,
         Zeit ruft er mich vom Hauptbahnhof an, sein Zug sei zu        um den Stichtag zum Erreichen der Rentenberechtigung für die
früh gekommen, ob ich vielleicht jetzt schon Zeit für ihn hätte?       Ehefrau noch zu erreichen. Überhaupt sei das Sterben meist
  Am Bahnhof steigt ein schlanker, offen wirkender Herr mit            keine geradlinige Angelegenheit. Phasen zwischen Angst und
Lachfalten schwungvoll ins Auto. So sieht also ein 86-Jähriger         Einverständnis könnten sich abwechseln, mehrfach sogar. Salm:
aus, der seit drei Jahren verwitwet ist, drei Kinder großgezogen       „Das wichtigste ist aber, was der Betroffene empfindet und
hat und als katholischer Krankenhaus-Seelsorger hunderte Men-          wünscht. Danach sollte sich alles andere richten.“
schen in ihren letzten Stunden begleitet hat. Hut ab! Wir sind            Besonders schlimm sei es, wenn ein Kind stirbt oder der ei-
verabredet über den Tod zu sprechen.                                   gentlich fittere Partner eines Paares oder wenn es einen Todes-
  Herr Salm, was ist das, der Tod? „In einem Satz?“ Bitte. „Das        fall gibt ohne Leiche wie bei einem Flugzeugabsturz über dem
Loslassen von der Lebensgeschichte.“ Haben Sie selbst Angst            Meer. Oder wenn die Angehörigen nicht zu Besuch kommen
vor dem Tod? „Ich habe keine Angst, dass es mich eines Tages           dürfen in Zeiten von Corona. „Trotzdem ahnen viele Menschen,
erwischt, denn das ist normal. Ich habe höchstens etwas Angst          die sich nahe sind, manchmal etwas, auch über tausende von
vor dem Wie.“ In dreißig Jahren als Diakon im Lahrer Krankenhaus       Kilometern“, so Salm. „Da ist etwas. Es passieren Dinge, die man
hat Hans Salm zu viele Arten des Sterbens miterlebt, als dass es       weder vorhersehen noch erklären kann.“
ihm gleichgültig sein könnte, auf welche Weise er seine letzten           Und nach dem Tod? „Das weiß ich nicht“, erwidert Hans Salm.
Atemzüge tut. In Sachen finales Ereignis sei ihm persönlich auch       Und was ist mit Himmel und Hölle? „Das ist schwierig. Ich weiß
der Gedanke an Morphium kein Trost: „Spätburgunder wäre                nur, dass gelassene Menschen oftmals friedlich sterben. Andere,
mir lieber.“                                                           die streng kirchlich erzogen sind, haben manchmal panische
  Salms Oma hatte mit 96 Jahren in einem Dorf an der Obermo-           Angst, dass es daneben geht.“ Wo die Reise hingehe, das hän-
sel „niemanden mehr zum Klönen“, erzählt Salm. Die alte Dame           ge auch von dem Bild ab, das der Sterbende in seinem Kopf
habe sich daraufhin beschwert: „Petrus hat mich vergessen.“ Und        mit sich trage: „Eine Wegbeschreibung aus dem Navi gibt es
hundert Jahre alt wolle auch er selbst auf keinen Fall werden,         jedenfalls nicht.“
betont Salm, da sei man dann doch zu allein und das Leben viel            Kann so etwas Schweres wie das Sterben auch mit Humor von
zu beschwerlich. Überhaupt sei es, wie gesagt, das Loslassen, um       statten gehen? „Ein Mann hat mal gesagt, wenn es da oben keine
das es beim Sterben in erster Linie gehe: „Viele alte Menschen         anständige Kneipe gebe, dann bleibe er eben hier“, erzählt Salm.
können nicht loslassen. Sie leben z.B. in einem alten Haus mit         „Ich kann nicht sagen, ob das Sarkasmus war oder Galgenhumor,
Treppen, wollen aber nicht umziehen.“ Und auch wer Macht               Lebenslust oder vielleicht auch, ja, Gnade.“
habe, „wie auch immer“, sei oft nicht gewillt, von dieser zu lassen.      „Ich weiß nicht, was nach dem Tod mit der Seele eines Men-
  Das mit dem Loslassen gelte im Übrigen auch für die Ange-            schen geschieht“, knüpft Salm dann nochmal an die Ausgangs-
hörigen. „Es gibt Getroffene und Betroffene“, sagt Salm, „und          frage an, „ich bin noch nicht gestorben und zurückgekehrt. Ich
ich habe im Krankenhaus oft wie ein Löwe kämpfen müssen mit            denke aber, da ist noch etwas, eine Bilanzierung der Beziehun-
Angehörigen oder Ärzten, die zum Sterbenden gesagt haben: Du           gen, ein eindeutiges Erkennen, was gut war und was nicht.“
siehst doch gut aus, das schaffst du schon.“ Wer aber gehen und        Nur an eine Wiedergeburt in einem anderen Körper will Hans
nicht mehr kämpfen wolle, sei sensibel für Lügen. „Ein Sterben-        Salm nicht glauben: „Wenn du es einmal geschafft hast zu
der empfindet es oft als Zumutung, fast schon als Erpressung,          sterben, dann willst du das nicht noch mehrere Male mitmachen
wenn man ihn gegen den eigenen Willen halten will - und sei            müssen, das wäre unzumutbar. Der Gedanke reicht mir schon
es noch so gut gemeint.“                                               aus, nicht an eine Reinkarnation zu glauben.“

                                                                                                            zett. Dezember 2020       13
Der Tod. Und dann?

Kampf gegen das Virus
Corona
in Freiburg
von Arne Bicker

              Christiane Kolodziej
                Foto: Arne Bicker

87
             Menschen verstarben in Freiburg bis Ende November         mein Onkel konnte nach 14 Tagen in der Klinik wieder entlassen
             an oder mit einer Corona-Infektion. Einer von ihnen       werden; ihm geht es wieder soweit gut.
             war Viktor Kolodziej. Der 90-jährige lebte mit seiner         Ich hatte die Symptome erhöhte Temperatur und starken
95-jährigen Frau im eigenen Haushalt in Freiburg-St.-Georgen.          Schnupfen, aber keinen Husten, dafür Geruchs- und Geschmacks-
Das Rentnerehepaar konnte manches noch alleine bewerkstelli-           beeinträchtigungen und musste für 14 Tage in Quarantäne. Die
gen, wurde aber von einer Haushaltshilfe, dem Pflegedienst und         verbrachte ich im Haus meiner Eltern, weil ich mich da ja zu-
der Tochter Christiane unterstützt.                                    letzt aufgehalten hatte, um sie zu betreuen. Die Erkrankung hat
    Wo sie sich ansteckten, weiß bis heute niemand genau. Auch         letztlich sehr viel Leid über unsere Familie gebracht und es mag
Viktor Kolodziejs 83-jähriger Bruder infizierte sich, ebenso Tochter   sich komisch anhören, aber ich habe die Situation nicht nur als
Christiane. Frau und Bruder überlebten nach Krankenhausauf-            schrecklich empfunden.
enthalten, die Tochter mit leichtem Verlauf nach zweiwöchiger              Das lag zum einen daran, dass ich mich während der vier-
Quarantäne. Dem Kulturmagazin ZETT. erzählte die 60-jährige            zehntägigen Quarantäne im Haus meiner Eltern in aller Ruhe
Grundschullehrerin Christine Kolodziej ihre Geschichte.                inmitten von Fotos, Alltagsgegenständen und Erinnerungen
    „Mein Vater hat als Verwaltungsbeamter in Freiburg gear-           von meinem Vater verabschieden konnte. Zum anderen habe
beitet und war bis ins hohe Alter ein präsenter, neugieriger und       ich unglaublich viel Unterstützung von vielen Seiten erfahren.
meinungsfreudiger Mann. Er war vorerkrankt, mit zwei Herzin-           Auch die Klinikmitarbeiter und Ärzte hatten immer ein offenes
farkten und Altersdiabetes. Am Freitag, 20. März, erfuhren wir         Ohr für mich, egal wie oft ich angerufen habe, weil ich ja nicht
zwei Tage nach einem Abstrich durch den Hausarzt, dass mein            zu Besuch kommen durfte. Und unsere Familie ist sehr eng zu-
Vater Covid19-infiziert war. Daraufhin wurde mein Vater mit ei-        sammengerückt. Das waren auch schöne Erlebnisse.
nem Rettungswagen auf die Isolierstation der Uni-Klinik gebracht.          Am schwierigsten war es auszuhalten, gleichzeitig um das
    Aufgrund einer Patientenverfügung sahen die behandelnden           Leben dreier Verwandter fürchten zu müssen und sie in dieser
Ärzte nach zusätzlicher Rücksprache mit meiner Mutter und mir          Zeit nicht besuchen oder verabschieden zu können. Und wenn
von einer künstlichen Intensivbeatmung ab; in der Nacht auf den        ich von Menschen höre, die Corona leugnen, dann empfinde ich
25. März verstarb mein Vater. Aber auch meine Mutter, trotz eines      das als sehr zynisch, nachdem meine Familie so sehr von diesem
zunächst fälschlich negativen Tests, mein Onkel und ich waren          Virus betroffen war.
infiziert, wie sich in jenen Tagen herausstellte.                          Wenn ich etwas gelernt habe, dann, mich rechtzeitig mit dem
    Meine Mutter hatte also meinen Vater verloren und kam jetzt        eigenen Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen - mental,
selbst mit starken Atembeschwerden ins Krankenhaus. Sie hat            emotional und auch ganz praktisch, und darüber zu sprechen.
das Gott sei Dank überlebt, und wir fanden mit unendlich viel          Und ob ich nun selbst resistent bin? Ich weiß es nicht. Ich habe
Mühe einen Heimplatz für sie in Bad Krozingen. Aber sie ist nun        gelesen, dass es weltweit 15 Reinfektionen geben soll. Ich werde
sehr gebrechlich und hat leider jede Lebenslust verloren. Auch         jetzt an einer Antikörperstudie teilnehmen.“

14     zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann?

                                                                                                                            Fotos: Jörg Hemmen
Michael Olsens
Bestattungsrad

                                                                                                                                                  Michael Olsen

  Der Oldenburger Künstler, Bühnenbildner und Zweiradmechaniker Michael Olsen (61) hat 14 Jah-
re nach dem Aufkeimen der ersten Idee just in diesem Jahr sein dunkelblaues Bestattungsfahrrad
fertiggestellt. Ziel sei es, „das stark verdrängte Thema Sterben, Tod und Endlichkeit zurück in den
Lebensalltag zu holen“. Das Bestattungsrad sei somit ein Mittel, auf die Selbstverständlichkeit
der Endlichkeit hinzuweisen, denn: „Wo haben wir mehr Interaktion und Kommunikation als
im öffentlichen Straßenverkehr?“                                     www.bestattungsfahrrad.de

     aktiv bleiben                                                                                                                                 JE T Z T S IC H E R
                                                                                                                                                                       N:

     und genießen –                                                                                                                              NUR NOCH BIS JU
                                                                                                                                                                    NI 2020:

     die besten Tipps
                                                                                                                                                        12,00€. Porto
                                                                                                                                                   4 Ausgaben inkl
     rund um                                                                                                                                                          ,00€)
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     Gesundheit,
     Reisen, Kunst
     und Kultur !

                                                                                                                         Als Dankeschön
                                                                                                                         erhalten Sie ein Geschenk
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       Bestellhotline: 0 71 81 / 25 32 31 | Bestellfax: 0 71 81 / 25 88 78
   Online-Bestellung: www.aktiv-imleben.de oder per Mail an abo@aktiv-imleben.de | per Post: Baumeister Verlag: Gmünder Straße 65 | 73614 Schorndorf
                                                Der Baumeister Verlag ist eine Marke der Kramer Verlags-GmbH & Co. KG.

                                                                                                                                                      zett. Dezember 2020      15
Der Tod. Und dann?

                              Yulia
                    Vershinskaya –
                        Per aspera
                           ad astra

                                Foto: privat

Gratwandlerin

       „Per aspera ad astra“ nennt die Freiburger
     Mediengestalterin und Maltrainerin Yulia
     Vershinskaya ihr Bild einer janusköpfigen
     Tänzerin. Die lateinische Redewendung heißt
     auf Deutsch etwa „Über raue Pfade gelangt
     man zu den Sternen“. Vershinskaya, die eine
     schwere Krebserkrankung durchlebt hat, ver-
     weist damit „auf die Mühen im Kampf gegen
     den Tod“. Dennoch sei das Bild, in dem sie
     auch Felsritzungen (Petroglyphe) aus prä-
     historischer Zeit zitiert, „etwas Positives“.
     In ihrer sibirischen Geburtsstadt Abakan
     ist den Menschen der Schamanismus nicht
     fremd. „Wir alle tragen den Tod in uns - wa-
     rum sollte man vor etwas so natürlichem
     Angst haben?“ fragt Yulia Vershinskaya;
     ihre vielschichtige Darstellung ist auch das
     Selbstporträt einer Frau im Kampf gegen
     cervantes‘sche Windmühlen.
                             www.artex-studio.de

16       zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann?

                                                                                                           Piotr Iwicki –
                                                                                                           Resedual Heat,
                                                                                                           Restwärme
                                                                                                           (Freiburg, 2018),
                                                                                                           Diasec, 67,5 x
                                                                                                           100 cm.
                                                                                                           www.iwicki.com

Inspiration
Der Tod in der Kunst
von Arne Bicker

D
         er Tod kann zum Sterben schön sein - oder seine blu-
         tigste Fratze zeigen, meist in Form jener unsagbaren
         Gewalt, die Menschen einander anzutun in der Lage
sind. In diesem Spektrum jedenfalls, und selten nur auf halber
Strecke, bildete die Kunst in ihrer langen Geschichte zumeist den
Tod ab. Wobei: „DIE Kunst“ und „DER Tod“ – geht’s eigentlich
noch unpräziser? Längst schon gibt es eine irrwitzige Spannwei-
te auf dem Feld ‚Der Tod in der Kunst‘ voller Interpretationen,
Visionen, Gedankenspiele.
    Wobei die Vorstellungskraft sogar in der Kunst begrenzter
erscheint als jene des Todes. Oder wer überrascht uns öfter und
mehr? Das müsste die Kunstschaffenden eigentlich wurmen.
Sind sie am Ende auch nur Menschen? Immerhin verschafften
sie dem Tod schon Jahrhunderte vor dem Nachrichtenzeitalter
nachhaltige Öffentlichkeit. Kunst und Tod sind seit jeher ein
zugkräftiges Gespann.
    Die Kunst macht den allzu gern verdrängten, sich oft hinter
dem Ofen versteckenden Tod in der Gesellschaft sichtbar. Sie
überträgt seine Geschichte, seine Rituale, seine Wirkung aus
grauer Vorzeit ins Hier und Jetzt. Der menschliche Schlusspunkt
nimmt in der Kunst Form an, wird greifbar. Der Künstler als Seis-
mograph seiner Zeit will auch den Tod ergründen, ihn bannen.        Dieses Bild ohne Titel des Nürnberger Künstlers Werner
                                                                    Knaupp (Kohle auf Papier, ausgebranntes Loch, schwarz
    Und so kann die Kunst Trost, Erklärung, Halt vermitteln –       unterlegt, 62 x 45 cm, 1977) entdeckte das Kulturmagazin
im Idealfall. Oder Angst machen, was eben auch nicht selten         ZETT. im Bestand der Paul Ege Art Collection (PEAC) in
gewollt war, und sei es von den Auftraggebern. Denken>>            Freiburg.

                                                                                            zett. Dezember 2020           17
Der Tod. Und dann?
                                                                    wir nur an Paul Cézannes Schädelpyramide oder an moderne
                                                                    Zigarettenpackungen. Der Tod braucht ein Gesicht. Oder we-
                                                                    nigstens Symbole. Und die Kunst liefert.
                                                                        Aus den Pestepidemien des Spätmittelalters sind uns al-
                                                                    legorische Totentänze geblieben. Daraus schälte sich immer
                                                                    wiederkehrend, Tanz bleibt Tanz, ein kulturell verbreitetes
                                                                    Gegensatzpaar aus Eros und Tod heraus – die Faszination am
                                                                    Widerspruch zwischen lockender Sinnlichkeit und totaler Leb-
                                                                    losigkeit faszinierte etwa Edvard Munch, Joseph Beuys oder
                                                                    Horst Janssen, die das Thema „Der Tod und das Mädchen“ in
                                                                    platonischen wie körperlichen Liebesakten mit und ohne Skelett
                                                                    variierten.
                                                                        Maler wie Jacques-Louis David, Dante Gabriel Rossetti oder
                                                                    Egon Schiele hielten ihnen wichtig erscheinende Zeitgenossen
                                                                    oder nahe Angehörige auf dem Sterbebett fest, leisteten damit
                                                                    wohl auch Trauerarbeit an sich selbst und ihrem Umfeld. Sie
                                                                    betteten die Gegangenen so zumindest in eine zweidimensi-
                                                                    onale Ewigkeit ein.
                                                                        Die Synergie von Tod und Kunst ist uns auch aus dem mit-
                                                                    telalterlichen Mönchslatein überliefert, in dem unsterblichen
                                                                    Satz „Memento mori“ – „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“. Der
                                                                    umstrittene Präparator Gunter von Hagens griff das mit seinen
                                                                    „Körperwelten“ ebenso auf wie der schwer krebskranke Chris-
                                                                    toph Schlingensief († 2010), der davon beseelt war, die Regie
                                                                    über sein Leben bis zum letzten Atemzug - und am liebsten
                                                                    auch darüber hinaus - zu führen. Oder der Düsseldorfer „Dirigent
                                                                    mit dem Pinsel“ Jörg Immendorff († 2007), der, an der tödlichen
                                                                    Nervenkrankheit ALS leidend, intensiv die Öffentlichkeit suchte.
                                                                        Doch das Sterben, auch das eines Künstlers, ist kein künst-
                                                                    lerischer Akt, sondern blanke Natur. Und je mehr uns die Kunst,
                                                                    übrigens auch die literarische und cineastische, den Tod vor
                                                                    Augen führt, desto mehr gewöhnen wir uns daran? Ja und nein.
Jindra Čapek - La Mort / Illustration                              Zwar verdrängen wir den Tod weiterhin, so gut es geht, schmü-
www.jindracapek.cz                                                  cken uns aber umso lieber mit seinen Symbolen.>>

                                                                    Verwirrung an der Haustür.                 Harry der Zeichner / Arne Bicker

Auch hierhin hat es ‚die‘ Tod geschafft: Bauzaun-Bild am
Augustiner-Museum.                             Foto: Arne Bicker

18       zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann?
                                                                                                                 Totenschädel, Sanduhr oder erlöschende Kerze
                                                                                                                sind als Sinnbilder des Schreckens nicht länger
                                                                                                                nur Embleme der Subkultur – sie sind längst
                                                                                                                als kokette Modeaufdrucke oder Tattoos im
                                                                                                                Mainstream angekommen.
                                                                                                                    Die Kunst dringt also seit jeher auch in die-
                                                                                                                sen, eigentlich sehr intimen Gesellschaftsbe-
                                                                                                                reich ein, was ja ihr Wesensmerkmal ist. Man
                                                                                                                könnte auch sagen: Sie kann, sie darf gar nicht
                                                                                                                anders. Andy Warhol († 1987) zum Beispiel arbei-
                                                                                                                tete sich in gut einem Fünftel seiner Arbeiten
                                                                                                                am Tode ab. Naturkatastrophen Selbstmorde,
                                                                                                                Abstürze und Unfälle, elektrischer Stuhl, Gal-
Der Tod in der Kunst

                                                                                                                gen, Atombombe und Attentate – die Kunst
                                                                                                                verpasst der Mystifizierung des Unbekannten
                                                                                                                wie stets ihre Ohrfeige und eignet sich an, was
                                                                                                                sie will: Her damit!
                                                                                                                    Es folgen die Auflösung der Form durch die
                                                                                                                Abstraktion des Künstlers, die Wandlung von
                                                                                                                Schrecken in Heiterkeit oder umgekehrt, Deu-
                                                                                                                tung, Überhöhung, Entkräftung und Einord-
                                                                                                                nung. Nur an einem kann auch die Kunst nicht
                                                                                                                rütteln, noch nicht: An der Vergänglichkeit alles
                                                                                                                irdischen Lebens, der „Vanitas“. Der Tod ist un-
                                                                                                                ausweichlich und angesichts der Masse Mensch
                                                                                                                auch erforderlich, als endgültiges Scheitern ei-
                                                                                                                nes jeden von uns, das keine Ausnahme macht.
                       Die belgische Luftakrobatin Helena Jans am 29. Januar dieses Jahres bei der                  Wir Menschen sind wie eine Blumenwiese:
                       Kulturbörse in Freiburg.                                       Foto: Arne Bicker        Wir werden gepflückt oder vergehen. Und beim
                                                                                                                Sterben wurde noch niemand vergessen. In
                                                                                                                einer unperfekten Welt ist also nur eines per-
                                                                                                                fekt: der Tod.

                       Wahrhaft grenzenloser Optimismus.                            Kartoon: Klaus Karlitzky   Yulia Vershinskaya - Event Horizon

                                                                                                                                       zett. Dezember 2020    19
Der Tod. Und dann?

                                                                                                 Der Tod in der Kunst
Janine Machiedo - 2nd Floor 3 a.m.

                                     Dies ist ein Taufbecken. Oder eine Eiswürfel-Bar für
                                     Champagner-Flaschen. Jedenfalls lässt sich die Schädelde-
                                     cke dieses weiblichen Skulls aufklappen zum Zwecke
                                     sinniger Nutzung. Produzent Kai Orlob (rechts) hatte die
                                     Idee, Künstler Stepan Čapek formte in monatelanger
                                     Arbeit diese fast einen Meter hohe Schädelskulptur, die
                                     es nun - gegossen in Bronze (200 kg) oder Aluminium (65
                                     kg) - bei „Antik Vintage Design“ in der Engesserstr. 3 in
                                     Freiburg zu bewundern gibt. Die beiden Freiburger haben
                                     diesen dreizehnteiligen Kunstguss aus der Taufe geho-
                                     ben, der, verschweißt und poliert, die Endlichkeit alles
                                     Menschlichen als dominanter Blickfang versinnbildlicht.
                                     Foto: Arne Bicker

20      zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann?

                                                                                                 Sterbebegleiterin Simone Scheffczyk

                                                                                  Foto: privat
                                                                                                 geht pragmatisch und zugleich
                                                                                                 sehr einfühlsam an die ihr gestellten
                                                                                                 Aufgaben heran.

                                                         Wie nur endgültig einschlafen?
                                Die groSSe Ungewissheit
                                                                                                                  von Astrid Ogbeiwi / Arne Bicker

D
         as mit dem Sterben ist so eine        sie, „friedlich und schön verlaufen“, wenn              auf der Palliativstation der Uniklinik je-
         Sache. Kann oder sollte man sich      es als ruhiges Loslassen in Zufriedenheit               weils nur wenige Plätze gibt, ist Scheff-
         darauf vorbereiten? Oder schlittert   vonstattengehe. Wenn in der verbleiben-                 czyks Tätigkeit immer wichtiger geworden.
man zwangsläufig irgendwie rein in sein        den Zeit noch offene Dinge geklärt oder                      Jeder Sterbeprozess sei individuell.
eigenes Ende? „Es gibt da ganz viel Unsi-      geordnet, wenn „aus dem Rucksack des                    Und lediglich bewusst auf den Tod zu
cherheit, Überforderung, Angst und Panik“,     Lebens die großen, schweren Steine aus-                 warten, sei verschenkte Zeit, meint Si-
sagt Simone Scheff­czyk. Die 54-Jährige        gepackt werden können“. Mitunter könne                  mone Scheffczyk. „Manch einer überlegt
muss es wissen. Als ehrenamtliche Sterbe-      sie auch dabei ein wenig unterstützen.                  es sich und steigt nochmal aufs Fahrrad
begleiterin für den in Freiburg ansässigen         Deshalb ist es für Sterbebegleiter wie              oder macht sonst etwas, das ihm noch
Hospizverein Breisgau-Hochschwarzwald          Scheffczyk leichter, wenn sie frühzeitig                möglich ist und guttut.“ Was die Art des
hat sie in der Hospizgruppe Markgräfler-       gerufen werden, den sterbenden Men-                     Sterbens anbelangt, erfülle sich ein weit
land in und um Müllheim vielen Betroffe-       schen noch ansprechbar antreffen und                    verbreiteter Wunsch indes nur selten: „Die
nen und ihren Angehörigen auf den letzten      kennenlernen können. Dies erleichtert die               wenigsten Sterbenden schlafen einfach
Metern zur Seite gestanden.                    Begleitung sehr. Umgekehrt könnten die                  friedlich ein. Aber die moderne Palliati-
    Diesen Menschen, die oftmals am            Lebenden auch vom Sterben lernen: „Ganz                 vmedizin kann sie in der verbleibenden
Ende ihres Lateins und am Rande ihrer          Vieles verliert seine Bedeutung und man                 Lebenszeit medizinisch begleiten und
Kräfte sind, gilt Scheffczyks Aufmerksam-      nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig.“               vor Schmerzen und unerträglichem Leid
keit und Hingabe: „Meine Hauptaufgabe              Die Begleitung ihrer Großmutter, „die               bewahren. Auch darüber zu informieren,
ist es, ganz viel zuzuhören und zu infor-      mein Dreh- und Angelpunkt war“ in ih-                   gehört zu meinen Aufgaben.“
mieren, was es zum Beispiel bedeutet,          ren letzten Tagen und Stunden hat die                        Nicht immer ist allerdings ein friedli-
wenn ein Sterbender nicht mehr essen           Studienberaterin zu ihrer für viele eher                cher Tod möglich; dies verschweigt sie
und trinken will. Unwissenheit erzeugt oft     ungewöhnlichen ehrenamtlichen Tätig-                    nicht. Ein einziges Mal in ihrer Tätigkeit
Angst und Ratlosigkeit, vor allem bei An-      keit gebracht. Voraussetzung war eine                   kam es vor, dass ein Mensch, der auch im
gehörigen. Für sie ist dies häufig schwer      einjährige Ausbildung mit Praktikum zur                 Leben für sein Umfeld nicht leicht zu er-
zu akzeptieren. Doch Sterbende möchten         Hospizbegleiterin, die Simone Scheffczyk                tragen war, zwei Wochen lang schrie und
meist gar nicht mehr so viel. Oft haben sie    2012 absolvierte.                                       tobte. Eine durch Scheffczyk angeregte
nur noch kleine Wünsche.“                          Wo sich die Sterbenden befinden, spielt             Palliativversorgung konnte schließlich in
    Scheffczyk und ihre 13 Kolleginnen in      für ihre Arbeit keine Rolle. Umfragen zufol-            den letzten Lebenstagen sein Leid und das
der Regionalgruppe übernehmen also             ge würden viele Menschen gerne zuhause                  seiner Angehörigen etwas lindern. Ihr Fa-
keine pflegerischen Aufgaben, sondern          sterben, tatsächlich jedoch geschieht dies              zit: „Man stirbt nicht schneller, aber leich-
leisten Beistand und Zuwendung. Bei aller      meist in einem Krankenhaus oder einer                   ter, wenn man keine Probleme mit-
Trauer und allem Schmerz könne das Ster-       Pflegeeinrichtung. Weil es außerdem                     nimmt.“
ben ihrer Erfahrung nach auch, hier zögert     im stationären Hospiz in Freiburg sowie                        Infos: www.hospizbewegung-bh.de

                                                                                                                          zett. Dezember 2020    21
Der Tod. Und dann?

                                                                   Digitale Unsterblichkeit
                                                                                    Für immer
                                                                                       online
                                                                                                                  von Jennifer Reyes

                                                                                                   Facebook hat auch das Jenseits als
                                                                                                   aktuellen Status in petto.
                                                                                                   Foto: Philipp Reyes

             S
                   chon lange versuchen Menschen den Tod hin-            füttere eine künstliche Intelligenz mit den Mailinhalten
                   auszuzögern, ihn förmlich totzuschweigen. Doch        und Chatverläufen eines Verstorbenen – danach kann
                   wird ein Mensch heute aus dem Leben gerissen,         man sich dann mit dessen „digitaler Seele“ in dessen
             dann hinterlässt er nicht nur seine Nachkommen, sein        Sprachduktus austauschen. Ganz schön spooky.
             Haus, seine Briefmarkensammlung – er hinterlässt auch           Die jungen und quicklebendigen Autoren und Film-
             digitale Spuren: Einen wahren Kometenschweif aus            regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block erklären in
             digitalem Funkeln, samt Datenwolke.                         ihrem Buch „Die digitale Seele“ wie mit Hilfe von Algo-
                 Wer will, kann bei Facebook im Menü des eigenen         rithmen Spracheigenschaften verstorbener Menschen
             Accounts unter „Einstellungen für den Gedenkzustand“        simuliert werden. Wer noch einen Schritt weitergehen
             den Nachlass für seinen Facebook-Account regeln. Der        möchte, für den kann auch ein digitales Alter Ego, ein
             Account kann nach Ableben seines Eigentümers in ei-         Avatar mit originalgetreuem Erscheinungsbild, Stimme
             nen Gedenkzustand gesetzt oder durch einen Nachlass-        und Charakterzügen einer verstorbenen Person auf Basis
             kontakt von einer ausgewählten Person weitergeführt         digitaler Datensammlungen erstellt werden. Das ist
             werden. Natürlich muss der oder die Eigentümer*in des       dann so, als wäre Amazons Alexa eine jüngst verstor-
             Accounts diese Person noch zu Lebzeiten benennen.           bene Bekannte.
                 Facebook regelt zudem, wie lange die ausgewählte            In der Netflix-Science-Fiktion Serie „Black Mirror“
             Person den Account weiterführen soll. Ist dieser Zeitraum   lässt eine junge Mutter namens Martha ihren verstor-
             abgelaufen, wird der Account gelöscht. Dies ist auch mit    benen Partner Ash durch einen Avatar wieder zum Leben
             dem Tod möglich – wenn man das vorher so einstellt.         erwecken: künstliche neuronale Netze werden mit un-
             Stirbt der Accountbesitzer unverhofft und besteht kei-      zähligen Daten gespeist und so einem Hirn nachemp-
             ne vorbestimmte Nachlassregelung, so verbleibt der          funden, das menschliche Muster reproduziert. So kann
             Account in den Händen von Facebook. Einen Zugriff           ein Avatar sprechen, denken und sogar handeln wie der
             darauf zu bekommen, geht dann meist nur über den            verstorbene Mensch.
             juristischen Weg mit Sterbeurkunde und Erbschein.               Diese Avatare sind heutzutage nicht mehr nur Fan-
             Ähnlich sieht es bei E-Mail-Konten, Online-Shop oder        tasie von Autoren, sondern seit Februar 2020 Realität:
             Datingplattformen aus. Findige Bestatter bieten die         Mehr als 18 Millionen Menschen schauten ein Youtu-
             Abwicklung inzwischen als Zusatzservice an.                 be-Video an, in dem eine Mutter in Südkorea ihre Tochter
                 Aber wie gut täte es doch, wieder mit der Mutter oder   drei Jahre nach deren Tod wiedersieht. Das gewagte
             der besten Freundin sprechen oder sich per Messenger        Experiment löste weltweit sehr viel Mitgefühl, aber auch
             schreiben zu können? Manche Hinterbliebenen gehen           Bestürzung aus.
             deshalb noch einen Schritt über digitale Erinnerungssei-        Ist es richtig, den digitalen Klon eines Menschen auf-
             ten mit Handy-Videos hinaus. So gibt es mittlerweile        erstehen zu lassen? Schaffen wir es dadurch doch, den
             sogenannte ‚Chatbots‘ - Chat-Roboter. Das Rezept: Man       Tod zu überwinden, ihn quasi zu besiegen? Können wir

22   zett. Dezember 2020
Der Tod. Und dann?
ab nun getrost verlernen zu trauern, zu vermissen und            gitaler Wiedergänger wirklich unsterblich? Fakt ist: Die
auf der anderen Seite auch einfacher zu sterben, da ein          Grenzen zwischen Leben und Tod verwischen zuneh-
digitaler Klon von uns die Liebsten tröstet und eine per-        mend. Die künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch
fekte Version unser Selbst für immer auffindbar bleibt?          und der Markt für Online-Erinnerungskultur und digi-
   Schon längst gibt es digitale Testamente, Friedhöfe           tale Unsterblichkeit wächst rasant. Diese Form der Ab-
und Grabinschriften, aus Instagram-Accounts zusam-               schaffung des Todes hat alles Zeug, Fluch und Segen
mengestellte Online-Nachrufe. Aber macht uns ein di-             zugleich zu sein.

                                                                        „Die digitale Seele“,
                                                                          Goldmann Verlag,
                                                                         592 Seiten, 20 Euro.

  Die Autoren Moritz Riesewiecks und Hans Block haben sich auf
  die Suche nach der digitalen Seele des Menschen begeben.
  Foto: Peter von Felbert

Klingeling
Wir kratzen ab
    Das Leben ist ein Ge-                 Die App spricht englisch
schenk. Unser Handy vielleicht        und ist maximal benutzer-
auch. Kein Wunder, wenn sich          freundlich; nach Installation
beide nun verschworen ha-             und Start ist rein gar nichts
ben, uns stete Erinnerungen           mehr zu tun. Die App sei inspi-
an die Freuden des Daseins            rierend, motivierend und ver-
aufs Brot zu schmieren. Und           mittle Weisheit, versprechen
zwar täglich fünf Mal, zu ab-         die Hersteller, unter anderem
solut unregelmäßigen, sprich          jene, sich in der verbleibenden
überraschenden Zeiten.                Lebenszeit nicht zu sehr stres-
    Die App „WeCroak“ (Wir            sen zu lassen und das Handy
kratzen ab / aber auch: Wir           auch mal zur Seite zu legen.
quaken) ist kostenlos und             Yes, we can!
quakt ihrem Besitzer fünf Mal
täglich philosophische Zita-
te zur Endlichkeit irdischen
Lebens aufs Handy. Schrift-
lich. Laut Beschreibung von
„WeCroak“ bringt das Glück
– zumindest den 740.000
Bewohnern des Königreichs
Bhutan, die mehrheitlich den
Mahayana-Buddhismus als
Staatsreligion praktizieren.

     Noch 65 % Akkuleistung – Zeit,
   die Seele aufzuladen. Screenshot
               der App „We Croak“.

                                                                                                              zett. Dezember 2020   23
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