New Work & Werte Werteblätter - Zusammengestellt von Susanne Birkner und Peter Fischer - Initiative Gesundheit und ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Werteblätter Elf Werte unter der Lupe iga hat sich mit dem Themenkomplex New Work eingehender Dabei gehen sie auf Chancen und Risiken ein. Abgerundet befasst. Im iga.Expertendialog 2019 beschrieb der Organisa- werden die Ausführungen zu jedem Wert durch eine Auswahl tionsberater Sven Franke unter anderem, dass New Work mit von Anregungen, wie sich eine Umsetzung im Betrieb bewir- veränderten Wertvorstellungen einhergeht. Auf diese Verän- ken lässt. Eine Übersicht über die betrachteten Werte gibt die derungen geht er im iga.Experteninterview näher ein (siehe unten stehende Abbildung. S. 30). Dabei greift er auf seine Erfahrungen aus der Arbeit mit Unternehmen zurück, die den Ansatz von New Work in Zunächst aber grundsätzlich die Frage: Was verstehen wir ihre Organisation tragen wollen. Im Kern beschreibt Sven eigentlich unter Werten? Franke elf Werte, die er verstärkt im Kontext von New Work wahrnimmt – sei es als Haltung in den Unternehmen oder In Übereinstimmung mit dem Dorsch Lexikon der Psycholo- auch als Erwartung der Beschäftigten an das Unternehmen. gie wird in diesem Dokument ein Wert als Maßstab und nicht als Gut interpretiert. Dieser Maßstab wirkt sich darauf aus, In diesem Dokument haben Prof. Peter Fischer und Susanne welche Ziele eine Person verfolgt, für welche Handlung aus Birkner Hintergrundinformationen zu den identifizierten elf dem grundsätzlich verfügbaren Repertoire sie sich in einer Werten zusammengestellt. Sie geben Einblick in die wissen- konkreten Situation entscheidet und welche Mittel sie für die schaftliche Sicht auf die Werte und betrachten für jeden Wert, Ausführung der Handlung wählt. was dessen Umsetzung in einem Unternehmen mit sich bringt. Nachhaltigkeit e 3 S eit Sicherheit e 5 S eit Gleichberechtigung e 7 S eit Vertrauen e 9 S eit Offenheit e 11 S eit Sinn der Arbeit e 13 S eit Mut e 15 S eit Engagement e 17 S eit Selbstentwicklung e 19 S eit Sozialleben und Work-Life-Blending e 21 S eit Individualisierung 2 3 i te Se 2
ng g g g din lun e - B nd gu run it Lif n u len hti ick be sie nt it re c rk- be tw Ar ke ali me it en it Wo i a l l e be rhe te n er du ltig he au ge ich nd ivi fe n lbs he r tr ga z ha t So Gle Ind Mu Si n Sic Ve Se En Of ch Na Theorie Nachhaltigkeit – die Theorie Nachhaltigkeit bedeutet, ökologische, ökonomische und so- ziale Aspekte (= Zieldimensionen) miteinander in Einklang sourcen nachhaltig zu nutzen. Die vollständige Liste mit Icons findet sich unter anderem bei der Bundesregierung unter zu bringen. Zusätzlich werden im Konzept der Nachhaltigkeit www.dieglorreichen17.de. sowohl die zeitliche Dimension (inter- oder transgeneratio- nale Gerechtigkeit) als auch die räumliche Dimension (Ge- Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechtigkeit zwischen verschiedenen Regionen) mitgedacht. stellte fest, dass vor allem sehr jungen Unternehmen (höchs- Unternehmen und Einzelpersonen können vor allem die drei tens zwei Jahre am Markt) und alteingesessenen Unterneh- Zieldimensionen Ökologie, Ökonomie und soziale Einbettung men (mindestens 20 Jahre am Markt) ökologische Nachhal- beeinflussen. tigkeit und Umweltschutz sehr wichtig sind (Bellmann & Koch, 2019). Während der IAB-Bericht zeigt, dass gerade Es wird zwischen schwacher und starker Nachhaltigkeit un- kleinere nachhaltige Unternehmen häufig geringere Löhne terschieden. Bei der schwachen Nachhaltigkeit können die zahlen als Unternehmen mit geringerem Nachhaltigkeitsan- Aspekte gegeneinander aufgerechnet werden – ist ein As- spruch, sinkt dieser Unterschied mit zunehmender Unterneh- pekt beeinträchtigt, kann eine besondere Stärkung oder ein mensgröße. Gleichzeitig werden in nachhaltigen Unterneh- Nutzen in einem der beiden anderen Aspekte die Gesamtbi- men die Beschäftigten stärker vor Überlastung geschützt. lanz der Nachhaltigkeit aufbessern. Die starke Nachhaltigkeit Hannig und Tachkov (2020) stellten allerdings fest, dass ech- setzt die ökologische Nachhaltigkeit als Grundlage für die te Nachhaltigkeit nach wie vor für viele Unternehmen Ne- beiden anderen Aspekte voraus – ist die Ökologie nicht in- bensache ist, obwohl sie sich lohnt. takt, ist keine soziale Stabilität möglich. Und fehlt die soziale Stabilität, ist keine ökonomische Stabilität zu erreichen. Das Zum transgenerationalen Blickwinkel gibt es bisher wenig Ersetzen eines Nachhaltigkeitsaspektes durch einen anderen, psychologische Forschung. In einer aktuellen Statista-Studie ggf. nachgeordneten, ist bei dieser Sichtweise nur in gerin- lehnten beispielsweise 60 Prozent der befragten Personen gem Maße bzw. gar nicht möglich. Anders ausgedrückt: Es ist die Aussage ab, dass ihnen Nachhaltigkeit egal sei (Statista, unumgänglich, ökologische Grenzen einzuhalten, um lang- 2019). Ganz ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch in der Ver- fristig stabile Lebensbedingungen auf der Erde zu sichern. brauchs- und Konsumforschung. Mehr als 70 Prozent von insgesamt über 18.000 befragten Personen gaben an, dass Zur Veranschaulichung der Beziehung der drei Hauptaspekte ihnen Nachhaltigkeit bei Kaufentscheidungen und Marken- der Nachhaltigkeit werden oft das Drei-Säulen-Modell image wichtig seien (Horizont 40/2017). (Triple-Bottom-Line) und das integrative Modell genutzt. Beim Drei-Säulen-Modell tragen die Aspekte als unabhängi- ge Säulen das Dach der Nachhaltigkeit. Im integrativen Mo- dell stellt die Nachhaltigkeit die Schnittmenge dreier gleich- rangiger Kreise dar, die jeweils für einen der Aspekte stehen. Die Vereinten Nationen haben für den Zeitraum 2015 bis 2030 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung formuliert (Agenda 2030). Dazu gehört unter anderem, Frieden zu schaffen und zu erhalten, sauberes Wasser und die sanitäre Versorgung sicher- zustellen, Bildung für alle zu fördern, Armut zu beenden, ein gesundes Leben für alle zu gewährleisten, den Klimawandel durch Sofortmaßnahmen zu bekämpfen oder Meeres- und Landökosysteme zu schützen und die dort vorhandenen Res- 3
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Nachhaltigkeit in der betrieblichen Praxis Nach Münzing (2001) können Unternehmen durch Nachhaltigkeit Loew und Clausen stellten 2010 folgende Wettbewerbsvorteile großen positiven Einfluss erlangen. Er betont zudem, dass Nach- zusammen, die aus freiwilligen Beiträgen von Betrieben zu ökolo- haltigkeit durch Ökoeffizienz unter anderem hilft, Kosten zu spa- gischer und sozialer Nachhaltigkeit resultieren können: Chancen ren, und dass sie durch einen umweltspezifischen Produktfokus – ein Absenken des Risikos bzw. besseres Risikomanagement, Innovationen ermöglicht. Des Weiteren weist er darauf hin, dass – Aufbau und Schutz von Marken und einem guten Ruf, „eine Ausrichtung an Nachhaltigkeit […] einen Rahmen [schafft], – Motivation der Belegschaft, die Zukunftsrolle des Unternehmens zu formulieren und das ge- – das Anlocken und Halten talentierten Personals, stalterische Heft in die Hand zu nehmen“ (Münzing, 2001, S. 412). – die Förderung von Innovationen, Eine Studie der TU Berlin ergab 2014 ebenfalls, dass es sich für Un- – ein festigender Einfluss auf die Beziehungen zur Kundschaft, ternehmen lohnt, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Und das nicht nur – die Entwicklung neuer Produkte bzw. die Erschließung neuer nach außen, sondern auch und gerade gegenüber der eigenen Be- Märkte, legschaft. So stehen Arbeitszufriedenheit, die Bindung an das – die Verbesserung der Investor Relations und Unternehmen und das Commitment zum Unternehmen jeweils in – Kosteneffizienz (Loew & Clausen, 2010, S. 22). engem Zusammenhang mit der Möglichkeit, die eigene, private Und schließlich zeigen die Ziele der Vereinten Nationen deutlich, Nachhaltigkeitsorientierung im Unternehmen einzubringen. Darüber dass auch die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftig- hinaus steigt mit diesen Faktoren auch die Bereitschaft, sich für ten von nachhaltigen Ansätzen profitieren: In Ziel 3 („Ein gesun- das eigene Unternehmen einzusetzen (Harrach et al., 2014). des Leben und Wohlergehen ermöglichen – für alle Menschen je- Die Arbeitgeberattraktivität von Unternehmen, die sich heute den Alters“) heißt es „Gesundheit ist Voraussetzung, Ziel und Motor keine oder nur zu wenige Gedanken machen über ihren ökologi- einer nachhaltigen Entwicklung“ (www.dieglorreichen17.de). Auch schen Fußabdruck und über die Nachhaltigkeit ihrer Produkte und andere Ziele, wie z.B. die Ziele 1 („Keine Armut“), 4 („Hochwertige Prozesse, könnte in der Zukunft deutlich leiden. So stellte das Insti- Bildung“) oder 8 („Menschenwürdige Arbeit und Wirtschafts- tut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung 2019 fest, dass es ökolo- wachstum“), bergen Potenzial zur Förderung von Gesundheit – gisch nachhaltigeren Unternehmen leichter fällt, Stellen zu besetzen z.B. über Lohngestaltung, förderliche Bildungsprozesse oder Teil- (Bellmann & Koch, 2019). habe, wie die WHO bereits 1997 herausstellte (Price et al., 1997). Wird ein Unternehmen nachhaltig gestaltet, müssen die Erwar- Reboundeffekte können nachhaltige Strategien pervertieren: Ef- tungen an das Unternehmen und dessen Verantwortung für fizientere Verfahren sollen eigentlich helfen, Ressourcen zu sparen seine Aktivitäten und seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Ent- oder zu schonen. Ihre Entwicklung führt jedoch oft auch dazu, dass wicklung berücksichtigt werden (Münzing, 2001). die ressourcenschonenderen Verfahren intensiver oder häufiger Risiken Insbesondere auch mit Blick auf den Mittelstand haben Icks et al. genutzt werden, so dass am Ende keine Ressourcen eingespart (2015) zusammengestellt, welche Risiken mit der Unternehmens- wurden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Autos umso häufiger führungsstrategie CSR (Corporate Social Responsibility) verbun- auch für kurze Wege genutzt werden, je sparsamer sie im Ver- den sein können und wie man Risiken wie dem Greenwashing, brauch sind, da die Rechtfertigung der Nutzung durch die Spar- also der Schönfärberei, begegnet oder vorbeugen kann. samkeit leichter fällt. Jacob (2020) listet drei Strategien für Nachhaltigkeit auf: licher Technologien. Auch karitatives Engagement oder Enga- – Effizienz (= Materialien und benötigte Energie ergiebiger nutzen), gement in Produktionsländern erhöhen die Nachhaltigkeit eines – Suffizienz (= weniger Ressourcen verbrauchen), Unternehmens (Facit Research, 2017). Umsetzung – Konsistenz (= naturverträgliche Technologien einsetzen). Holweg und Hermuth-Kleinschmidt (2018) empfehlen, nachhaltiges Facit Research führt seit 2011 Befragungen durch, aus denen unter Verhalten im Unternehmen auf einer eher emotionalen Ebene zu anderem hervorgeht, welche Themen Kundinnen und Kunden mit unterstützen. Sie plädieren unter anderem dafür, die Beschäftigten einem nachhaltigen Unternehmen assoziieren. Es wird deutlich, in ihrer individuellen Situation abzuholen, auf Augenhöhe zu dass es dafür ein Zusammenspiel aller drei Dimensionen der Nach- kommunizieren (siehe Werteblatt zur Gleichberechtigung, S. 7), haltigkeit (Ökologie, Ökonomie und soziale Dimension) braucht. Impulse anzubieten und offen zu sein für Unerwartetes. Wich- Die ökologischen Themen überwiegen jedoch deutlich. Möglichkei- tig sei, dass den Menschen das Gefühl vermittelt wird, dass sie ten für nachhaltiges Handeln sind u.a. ein verantwortungsvoller auch mit kleinen Schritten etwas bewirken können. So können Ge- Umgang mit Ressourcen oder die Verwendung umweltfreund- fühle von Unsicherheit und Machtlosigkeit reduziert werden. 4
ng g g g din lun e - B nd gu run it Lif n u len it hti ick be sie ke nt re c rk- be tw Ar ltig ali me en it Wo i a l l e be te n er du he ha au it ge ich nd rhe ivi fe n lbs ch r tr ga z t So Gle Ind Mu Si n Na Ve Se En Of he Sic Theorie Sicherheit – die Theorie Sicherheit ist ein mehrdimensionaler Begriff. Er leitet sich aus dem lateinischen „s c rit s“ bzw. ursprünglich aus „s c rus“ Selbstbestimmung (Blindert, 2015), so dass Sicherheit nach wie vor als Grundbedürfnis bezeichnet werden muss. ab – zusammengesetzt aus „s d“ = „ohne“ und „c ra“ = „Fürsorge/Sorge“. Er bedeutet also im Ursprung „sorglos“. Bereits in der Ausstellung zum Thema Stress, die iga unter Neben der Abwesenheit von Gefahren umfasst er auch die dem Titel „Für unsere Arbeit brauchen wir…“ von 2014 bis Gewissheit bezüglich eines Sachverhalts. Um die Dimension 2019 verlieh, wurden verlässliche Bedingungen als ein As- der Abwesenheit von Gefahren und des Schutzes vor Gefah- pekt gesunden Arbeitens thematisiert. Und eine dieser Be- ren soll es hier nicht gehen. Dies ist eines der Hauptthemen dingungen ist die Arbeitsplatzsicherheit. für die Unfallversicherungsträger. Dieses Werteblatt fokus- siert vielmehr die Gewissheit, die aus Rahmenbedingungen Relativ jung ist die Diskussion des Konstrukts der psychologi- wie der Dauer und damit z. B. der Planbarkeit eines Arbeits- schen Sicherheit (Kahn, 1990; Edmondson, 2012). Kahn verhältnisses resultiert. Dieser Aspekt von Sicherheit nimmt (1990) thematisierte die Beziehung zwischen der psychologi- mit der sich verändernden Arbeitswelt ab und rückt als Wert schen Sicherheit und dem Engagement des Personals. Er wieder stärker in das Bewusstsein. definiert psychologische Sicherheit als „das Gefühl, sich zei- gen und beschäftigen zu können, ohne Angst vor negativen Die Suche nach Sicherheit ist so alt wie das menschliche Be- Folgen für das Selbstbild, den Status oder die Karriere zu wusstsein und war damals wie heute ein wichtiger Mecha- haben” (Kahn, 1990, S. 705). In Teams resultiert sie daraus, nismus, um mit der Widrigkeit, Unberechenbarkeit und Kom- dass alle Mitglieder das Team als sichere Umgebung betrach- plexität des Lebens auch nur annähernd zurechtzukommen ten, in der auch zwischenmenschliche Risiken eingegangen (Kahneman, 2012). Im New-Work-Kontext tauchen Unbere- werden können, grundsätzlich die Gedanken frei geäußert chenbarkeit und Komplexität im Begriff der „VUCA-Welt“ werden können, die Beziehungen echt sind und Informatio- wieder auf [VUCA = Volatility (Unbeständigkeit) + Uncertainty nen geteilt werden (siehe Werteblatt zur Offenheit, S. 11). Je (Unsicherheit) + Complexity (Komplexität) + Ambiguity stärker sich Unternehmen und Organisationen von starren (Mehrdeutigkeit)]. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Hierarchien entfernen und zu fließenden, teambasierten diese vier Variablen schon immer wirken und unser Denken, Strukturen neigen, desto mehr Bedeutung kommt den kolle- Fühlen und Verhalten im Laufe der Evolution nachhaltig be- gialen Beziehungen zu. einflusst haben. Meist ist keine wirkliche, tatsächliche Sicherheit für Menschen erreichbar; deshalb haben sich Me- Edmondson (2012) sieht in der psychologischen Sicherheit chanismen entwickelt, die uns zumindest eine gefühlte ein Schlüsselelement für ihr Konzept des Teamings. Das Sicherheit „vorspielen“. Taylor und Brown (1994) haben z. B. Teaming ist eine Form des Projektmanagements, bei der gezeigt, dass wir unsere Vergangenheit viel zu optimistisch Teams agil gedacht werden: Sie wachsen mit ihren Heraus- sehen, uns die Zukunft rosiger ausmalen, als sie tatsächlich forderungen, werden weiterentwickelt oder neu geformt. ist, und unsere eigenen Stärken systematisch im Vergleich zu anderen Personen überschätzen (positive Illusionen). In die- sem Zusammenhang kommt die Kontrollillusion (Langer, 1982) zum Tragen: Menschen überschätzen statistisch bei weitem den Einfluss, den sie auf sich, andere Menschen und ihre gesamte Umwelt haben. Das Gefühl von Kontrolle ver- mittelt Struktur und ein Gefühl der Sicherheit. In der Xing- Studie „Kompass Neue Arbeitswelt“ aus dem Jahr 2015 zeig- te sich, dass zwei Dritteln der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (67 Prozent) Sicherheit im Job wichtiger ist als 5
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Sicherheit in der betrieblichen Praxis Wird das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten über ein wechsel- psychischer und physischer Hinsicht: Das Risiko von Gesund- seitig vertrauensvolles Klima und wertschätzende Kommunikati- heitsschäden sei bei Arbeitsplatzunsicherheit um 50 Prozent er- on im Arbeitsalltag erreicht, so steigen damit auch Motivation höht. Wenngleich die Zusammenstellung sich auf Studien aus Chancen und Produktivität bei allen Beteiligten. den USA bezieht, ist eine Übertragbarkeit für die westeuropäi- Eine Stanford-Studie aus dem Jahr 2015 (Goh et al., 2016) stellt sche Arbeitswelt anzunehmen. heraus, dass Arbeitsplatzunsicherheit einer der Top-10-Stresso- Kahn (1990) zeigte, dass psychologische Sicherheit eine Grund- ren in der Arbeitswelt ist mit Konsequenzen für die Gesundheit in voraussetzung für das Engagement der Mitarbeitenden ist. Alle Organisationsmitglieder sollten sich dessen bewusst sein, Ausgang eines Spieles zu kontrollieren, weil sie sich mit beson- dass es absolute Sicherheit nicht geben kann. Es handelt sich deren Fähigkeiten oder Kenntnissen ausgestattet wähnen. Zwar in der Regel nur um ein Gefühl der Sicherheit. Daher müssen alle sind Bandura (1989) zufolge „optimistische Selbsteinschätzun- lernen, wie man auch Situationen der gefühlten Unsicherheit gen der eigenen Fähigkeiten, die nicht unangemessen von dem Risiken konstruktiv nutzen und gesund überstehen kann. Führungskräfte abweichen, was möglich ist, vorteilhaft, während wahrheitsge- können hier als Vorbilder wirken. treue Beurteilungen selbstbegrenzend sein können“ (Bandura, Kontrollillusionen sind in der Bewertung umstritten: So bau- 1989, S. 1177) – Voraussetzung ist jedoch, dass die Situationen en Glücksspiele darauf auf, dass Personen die Illusion haben, den grundsätzlich kontrollierbar sind. Unternehmen und damit die Führungskräfte sollten alles unter- Zudem sollten Führungskräfte einen starken Zukunftsausblick stützen, was das Gefühl von Sicherheit und subjektiver Kontrolle bieten. Zwar ist die Vorhersage der Zukunft immer fehlerbehaf- fördert. Sven Franke stellt im iga.Experteninterview, auf das die- tet, Fehler sind dabei jedoch Teil der organisationalen (Weiter-) Umsetzung se Werteblätter zurückgehen, zwei Strategien heraus, über die Entwicklung. Sicherheit in Unternehmen vermittelt werden kann: die Art der Eine globale Umfrage des Karriereportals Monster aus dem Jahr Führung und Entscheidungsfindung sowie die Lösungskompe- 2017 bestätigt die bedeutende Rolle der Führungskräfte für tenz. Beide Ansätze bauen auf die Beteiligung der Beschäftigten: deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Abweichend – Teams sollten bei möglichst vielen Entscheidungen mit- von der Gesamtstichprobe assoziierten die deutschen Befragten entscheiden und mitdenken können. Durch die Möglichkeit Jobsicherheit am stärksten mit einem guten Verhältnis zur Füh- zur Beteiligung und (Mit-)Entscheidung entwickelt sich bei rungskraft. den Beschäftigten ein Sicherheitsgefühl. – Führungskräfte sollten auch schwere Aufgaben frühzeitig delegieren. Über deren Bearbeitung erwerben die Beschäf- tigten eine Lösungskompetenz für herausfordernde Situatio- nen, die in ähnlichen, unsicheren Situationen Sicherheit vermitteln kann. 6
g g g ng din lun e - B nd run gu it Lif n u len it ick be sie ke nt hti rk- be tw Ar ltig ali me it en it re c Wo i a l l e rhe te n er du he ha au ge nd be ivi fe n lbs he ch r tr ga z t So Ind Mu Si n ich Sic Na Ve Se En Of Gle Theorie Gleichberechtigung – die Theorie Gleichberechtigung impliziert den Gedanken der Gerechtig- keit. Dieses Wort leitet sich aus dem althochdeutschen Adjek- zu tragen – und dass die erforderlichen Anpassungen, z. B. hinsichtlich der Arbeitszeit, individuell und auf Augenhöhe tiv „gireht“ ab, das so viel bedeutete wie gerade, aufrecht, erfolgen müssen (Jürgens et al., 2017, S. 124–125). rein, richtig. Gleichberechtigung sichert allen Menschen die gleichen Rechte zu – unabhängig von individuellen Merkma- McGregor (1960) unterschied zwei Menschenbilder. Nach len wie Geschlecht, Ethnie oder Religion. Organisationale Ge- „Theorie X“ ist der Mensch der Arbeit im Allgemeinen abge- rechtigkeit wurde von Greenberg (1987) als das Ausmaß defi- neigt. Leistungen erbringt er nur unter Zwang und Kontrolle. niert, in dem Ereignisse in der Organisation als gerecht Er will geführt werden, meidet Verantwortung, hat wenig wahrgenommen werden. Dabei werden vier Facetten unter- Ehrgeiz, strebt nach Sicherheit und richtet sein Verhalten schieden (Colquitt et al., 2001): nach der Mehrheitsmeinung. Diese Annahmen wurden unter 1. Distributive Gerechtigkeit (= Ergebnisorientierung: anderem von Kahneman (2012) widerlegt. Vielmehr greift Bewertung dessen, was man am Ende erreicht oder erhält, das von McGregor als „Theorie Y“ bezeichnete Menschen- mit Blick auf das, was man investiert hat – auch im bild: Menschen als im Grunde soziale Wesen wollen koope- Vergleich zu anderen), rieren und Verantwortung übernehmen. Dadurch sind sie der 2. Prozedurale Gerechtigkeit (= Vorgehen bei der Entschei- Arbeit nicht grundsätzlich abgeneigt und können darin dungsfindung; Möglichkeit der Einflussnahme), durchaus Befriedigung finden. Mangelnder Ehrgeiz und das 3. Interpersonale Gerechtigkeit (= respektvoller, einfühlender Streben nach Sicherheit sind Folgen persönlicher Erfahrun- Umgang miteinander) und gen und keine grundsätzlichen Charaktereigenschaften. 4. Informationale Gerechtigkeit (= Verfügbarkeit relevanter Informationen). Damit einher geht die Frage nach Hierarchien. Dass Werte wie Gleichberechtigung und damit auch Partizipation im zwi- Sehr häufig wird das Thema unter dem Aspekt der Geschlech- schenmenschlichen Kontakt an Bedeutung gewinnen, ent- tergerechtigkeit thematisiert mit dem Fokus darauf, dass Frau- spricht modernen arbeits- und organisationspsychologischen en seltener in Führungspositionen sind oder für die gleiche Forschungsbefunden (Deci & Ryan, 2012). Dabei gibt es nach Arbeit zum Teil weniger Lohn erhalten, oder auch darauf, dass wie vor bisweilen große Diskrepanzen zwischen den Erwar- es vermeintlich „typische“ Berufe für Frauen und Männer gibt. tungen der Beschäftigten und der gelebten Unternehmenskul- Im Kontext von New Work zielt das Thema Gleichberechtigung tur (Cloots & Wörwag, 2018). verstärkt auf den Aspekt der Augenhöhe: In welchem Verhält- nis stehen Führungskraft und Team(mitglied) zueinander? Die Forschung zeigt, dass es Aufgaben und Arbeitsbereiche gibt, in denen flache Hierarchien oder sogar überhaupt Wie Sven Franke im iga.Experteninterview verriet, keine Hierarchien zu besseren Ergebnissen führen gilt die Augenhöhe als maßgebliches Element Kommunikation können als stark hierarchisch organisierte Struktu- von New Work, auch wenn der Begriff im Kontext auf Augenhöhe ren. Dies schlägt sich in entsprechenden Handlungs- der Arbeitswelt noch relativ neu ist. Er resultiere empfehlungen nieder (z.B. Luthe, 2000; Frey & Fischer, aus der Diskussion um die Generation Y und deren 2007; Sydow & Möllering, 2009; Bundesministerium Vorstellungen vom Arbeitsleben, die Anfang der des Innern/Bundesverwaltungsamt, 2018; bayme & 2010er Jahre stattgefunden habe. Viele Beschäftigte setz- vbm, 2017). Entscheidend ist dabei, wie die flachen Hierar- ten die gleichberechtigte Behandlung im Unternehmen mitt- chien zustande kommen und wie groß das Team ist, das hand- lerweile voraus. Die Kommission, die die Hans Böckler Stif- lungsfähig sein oder bleiben soll (vgl. z.B. Perret et al., 2019, tung 2015 zum Thema „Arbeit der Zukunft“ einsetzte, geht 2020). Ein einfaches Entfernen mittlerer Managementebenen davon aus, dass es eines grundsätzlichen Wandels im Denken lässt eher Nachteile erwarten (siehe Abschnitt „Risiken“ die- bedarf, um den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung ses Werteblatts, S. 8). 7
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Gleichberechtigung in der betrieblichen Praxis Sobald Partizipation, Augenhöhe etc. in einem Team mit Führungs- Wenn es nicht mehr um Konkurrenzdenken im Entweder-oder- kraft hoch ausgeprägt sind, Modus geht, sondern Partizipation und Eigenverantwortung in – sinkt die Absicht, den Arbeitsplatz zu wechseln, deutlich, den Vordergrund treten, kommt echter Meinungsaustausch Chancen – reduzieren sich motivational bedingte Fehlzeiten (Absentismus), zustande – abseits von Weisungskompetenz und Machtbefugnis- – steigen Kreativität und Identifikation mit der Organisation, sen. Dies eröffnet die Chance, unter Einbezug aller verfügbaren – erhöht sich die Leistung signifikant und Kenntnisse zur bestmöglichen Lösung zu kommen. Gleichzei- – verbessert sich das Wohlbefinden der Beschäftigten tig setzt echter Meinungsaustausch voraus, dass alle einen eige- (Frey & Fischer, 2007). nen Standpunkt haben und bereit sind, diesen mit anderen zu Im Unternehmen vorhandenes Wissen ist breiter verfügbar, teilen. Außerdem braucht der Prozess die Neugier aller Beteilig- wenn Hierarchien an Bedeutung verlieren und auch horizontale ten und deren Bereitschaft, den anderen zuzuhören und bei Un- Kommunikation zwischen unterschiedlichen Bereichen/Abteilungen verständnis nachzufragen. etc. möglich ist. Auf damit in Verbindung stehende Organisationsfor- men wie Holokratie oder Soziokratie geht u.a. der iga.Report 44 ein. Es gibt Tätigkeiten und Aufgaben, die mit Hierarchie besser – In flachen oder fehlenden Hierarchien entfällt die Führungs- und vor allem schneller lösbar sind als ohne Hierarchie (z.B. kraft als Schlichtungsinstanz. Dies kann zu einer Zunahme medizinische Operationen, Feuerwehreinsätze, Polizeieinsätze, etc.). von Mobbing und Stress führen. Risiken Nicht alle sind bereit, alle ihnen verfügbaren Informationen zu Weniger Hierarchie kann ein erhöhtes Maß an Selbstorganisati- teilen. on erfordern. Dies ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Selbst- Bei Umstrukturierungen ist es keine Lösung, einzelne Hierarchie- überlassung. Auch das Einführen neuer Ansätze und Strukturen ebenen abzuschaffen, um die Hierarchie insgesamt abzuflachen: passiert nicht von allein, sondern muss begleitet werden. Erhal- Eine hohe Führungsspanne beeinträchtigt die Beziehungs- ten Beschäftigte mehr Freiraum, können sie diesen nicht von ei- qualität. Einige Risiken hat Schermuly (2016) aufgelistet: nem Moment zum anderen nutzen und ausfüllen – es bedarf ei- – Werden Führungspositionen oder -ebenen abgeschafft, müs- nes Lernprozesses und der klaren Kommunikation, welche sen deren Funktionen anderweitig kompensiert werden. Sonst Erwartungen damit verbunden sind, welche Grenzen es gibt und drohen für die Beschäftigten Schwierigkeiten wie Orientie- welche Strukturen (unternehmens- und führungsseitig) damit rungslosigkeit oder ungelöste Konflikte. einhergehen. Führungskräfte sollten Gerechtigkeit, Transparenz, Augen- – Es geht nicht (mehr) darum, andere zu kontrollieren, alles im höhe, Autonomie und Resilienz fördern. Forschungen aus dem Griff zu haben. Stattdessen sind Führungskräfte Teil des Bereich der Positiven Psychologie (v.a. Seligman, 2015) zeigen, Teams, das wiederum kein überdauernder, fester Rahmen ist, Umsetzung dass dies das beste „Investment“ ins eigene Team ist. Alle sollten sondern immer projektbezogen gebildet wird. für ihre Beiträge geschätzt werden, unabhängig von Geschlecht, – So wird ein Arbeiten in dynamischen Netzwerken möglich. Herkunft, Bildungsniveau oder weiteren denkbaren Unterschei- Diese Netzwerke organisieren sich selbst und werden durch die dungskriterien. Die iga.Fakten 11 bieten vertiefende Informatio- Führungskraft motiviert und mit Impulsen versorgt. Die nen zur Positiven Psychologie (Lück et al., in Druck). Führungskräfte schaffen die Rahmenbedingungen dafür. Sie Gleichberechtigung kann in den verschiedensten Alltagssituatio- koordinieren und moderieren die Arbeit im regelmäßigen nen gelebt werden: z. B. sollten in Besprechungen alle Mitarbeiten- Austausch mit allen Beschäftigten. Impulse werden in beide den Kritik äußern können und es sollten alle Beiträge – zumin- Richtungen möglich, nicht nur von der Führungskraft zu dest initial – gleich geschätzt werden. (einzelnen) Beschäftigten. Sofern ein Unternehmen sich von der klassischen Hierarchie verab- – Beschäftigte können, sofern Expertise und Zeit dies zulassen, schieden will, sollte es nicht einzelne Ebenen oder Rollen ersatzlos auch Mitglieder in mehreren Teams sein. Damit wirken sie streichen, sondern die Rolle der Führungskräfte neu definie- gleichzeitig in verschiedenen Netzwerken. ren. Hinweise hierzu hat Schermuly (2016) zusammengestellt: 8
ng g g g din lun e - B nd gu run it Lif n u len it hti ick be sie ke nt re c rk- be tw Ar ltig ali me it it Wo i a l l e be rhe te n er du he ha ge en ich nd ivi fe n lbs he ch ga z rau t So Gle Ind Mu Si n Sic Na Se En Of rt Ve Theorie Vertrauen – die Theorie Das Wort Vertrauen leitet sich aus dem althochdeutschen „fertr n“ und dem mittelhochdeutschen „vertr wen“ ab. Für Luhmann (1989) ist Vertrauen eine Strategie, um mit der Komplexität der Welt umzugehen. Er sieht darin eine existen- Es beschreibt den vorbehaltlosen Glauben, sich auf jeman- zielle Notwendigkeit. Komplexität birgt die Gefahr der Verun- den oder etwas (auch sich selbst) verlassen zu können. Seine sicherung, und Vertrauen hilft, diese Verunsicherung zu ertra- Entwicklung wird begünstigt und bestärkt durch positive Er- gen oder zu reduzieren. Für zwischenmenschliche Beziehungen fahrungen. heißt das, dass Vertrauen „die generalisierte Erwartung [ist], daß der andere seine Freiheit, das unheimliche Potential seiner Nach Nuissl (2000) braucht eine Person Vertrauen in jemanden Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit hand- oder etwas, wenn folgende Faktoren zusammenkommen: haben wird – oder genauer, im Sinne der Persönlichkeit, die er – Die Person erwartet ein bestimmtes Ereignis, z.B. Anerken- als die seine dargestellt und sozial sichtbar gemacht hat“ (Luh- nung aufgrund einer bestimmten Leistung. mann, 1989, S. 40). Demnach wäre Vertrauen so etwas wie der – Es besteht keine absolute Sicherheit, ob dieses Ereignis soziale „Klebstoff“ menschlicher Beziehungen (vgl. auch Frey & eintritt. Schmalzlried, 2012; Cameron, 2013). – Das Eintreten des Ereignisses kann durch die (vertrauende) Person selbst nicht (vollständig) kontrolliert werden. Aus ökonomischer Perspektive steht das Risiko im Fokus, das – Das Ereignis ist gleichzeitig von Bedeutung für das eigene man bereit ist einzugehen, wenn man Leistungen im Voraus Handeln. erbringt. Hierauf geht Coleman (1991) dezidiert ein. Vertrauen – Aus dem (Nicht-)Eintreten des Ereignisses erwachsen bedeutet also, dass man selbst ein Stück weit ins Risiko geht Konsequenzen für die (vertrauende) Person; das Vertrauen und darauf vertraut, dass der andere Mensch seinen „psycho- birgt also für diese Person ein gewisses Risiko. logischen Vertrag“ erfüllt (z. B. mich fördert, mir das Geliehene wieder zurückgibt oder mich fair behandelt). Umstritten ist in der Forschung die Frage, ob der Verlust, der durch enttäuschtes Vertrauen entsteht, immer höher ist als der Gerade in wirtschaftlich, gesellschaftlich und technologisch Gewinn, mit dem bestätigtes Vertrauen einhergeht. unsicheren Zeiten mit z.T. disruptiven, d.h. die bisherigen Ent- scheidungsvoraussetzungen teilweise komplett in Frage stel- Das Konstrukt „Vertrauen“ kann man aus verschiedenen Rich- lenden organisationalen Veränderungen (z.B. Digitalisierung), tungen betrachten. Thomas (2000) umreißt in seinem Aufsatz wird das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskräften und drei Gruppen von Vertrauensbegriffen: Mitarbeitenden zunehmend wichtiger (vgl. Edmondson & Lei, – Vertrauen in einem Nutzen-Kosten-Konstrukt zu betrach- 2014). Nach Perrone (2020) ist umso mehr Vertrauen erforder- ten bedeutet, man vergibt Vertrauen ausgehend von lich, je flexibler und vernetzter die Strukturen eines Unterneh- erwarteten Ergebnissen (= utilitaristisch) mens sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein Unterneh- – Vertrauen als Ausdruck zwischenmenschlicher Beziehun- men in einem komplexen und/oder instabilen Geschäftsumfeld gen zu betrachten und damit soziale Normen und agiert. Vertrauen kann im Unternehmen, Perrone (2020) zufol- gesellschaftlich akzeptierte Verpflichtungen heranzuziehen ge, auf drei Ebenen zum Tragen kommen: Vertrauen in das bedeutet, die Ursachen von Vertrauen werden fokussiert Team, in das Management und in das Unternehmen an sich (= (= normativistisch) unternehmensinternes Vertrauen). Während die ersten beiden – Vertrauen als elementares Merkmal der menschlichen Formen auf zwischenmenschlichen Beziehungen basieren, Eigenschaft zu verstehen, sich sozial zu verhalten und sich sieht er die letztgenannte Form in Abhängigkeit von einer rein in Gemeinschaften bzw. Gesellschaften zu organisieren rationalen Entscheidung, in die Struktur, Kultur, Praktiken u.ä. bedeutet, dass es um den Prozess der sozialen Herstellung des Unternehmens einfließen. von Vertrauen geht. 9
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Vertrauen in der betrieblichen Praxis Hohes unternehmensinternes Vertrauen geht mit einer starken Vertrauen führt darüber hinaus zu organisationaler Flexibilität. Teamperformance einher. Ein auf Vertrauen basierendes Umfeld Auf Anforderungen kann schneller reagiert werden und die Effi- verbessert sowohl das Engagement der Beschäftigten als zienz steigt. Gleichzeitig fördert eine vertrauensvolle Haltung die Chancen auch die Effektivität der Teams (Perrone, 2020). Weitere unter- (intrinsische) Motivation der Beschäftigten. Das heißt, dass nehmensrelevante Effekte sind die sinkende Wahrscheinlichkeit sie sich ihrer Tätigkeit eher aus eigenem Antrieb widmen und für Machtmissbrauch und unethisches Verhalten sowie die keine äußeren Anreize dafür benötigen. Damit konform sind die mögliche Reduktion der Anzahl von Fehltagen und der Fluk- Erkenntnisse von Brugger und Wahl (2019, Untersuchung vor- tuation von Mitarbeitenden. wiegend mit Personen mit höherer Ausbildung), dass in vertrau- Im IW-Report 51/2020 wird auf Basis verschiedener Studien fest- ensvoller Atmosphäre freiwillig mehr geleistet wird, als die gehalten, dass höheres Vertrauen zwischen Menschen u.a. einher- Mindeststandards vorgeben. geht mit mehr Kooperation, mehr Wohlstand, mehr Lebens- Mit Vertrauen lässt sich Wissen besser erzeugen und vermitteln, zufriedenheit und besserer Gesundheit. Das heißt, Vertrauen und Vertrauen ermöglicht Kreativität und Innovation. fördert die Empathie und die Fairness untereinander, während Leistungseinbußen, Motivationsdefizite, negative Gruppen- dynamiken oder soziale Konflikte verringert werden können. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“? Nicht alle Menschen Vertrauen birgt das Risiko, verletzt oder enttäuscht zu wer- können gleich gut mit Vertrauen umgehen. Wer Vertrauen im Un- den. Aufgrund der „Vorleistung“, die Vertrauen impliziert, bleibt ternehmen aufbauen will, muss auch die Fähigkeit zur Selbstkon- die Möglichkeit, dass das Vertrauen enttäuscht und die erwartete trolle stärken, um die erforderliche Qualität eines Prozesses si- Leistung nicht erbracht wird. Risiken cherstellen zu können. Fremdkontrolle hingegen wird von Kainz Vertrauen kippt bei Enttäuschung schnell in Misstrauen. Die (2015) mit Mechanismen wie Angst, Konkurrenz und Wettbe- Gefahr dabei: Vertrauen entwickelt sich stetig, Misstrauen breitet werb assoziiert. Sie steht demnach einer Vertrauenshaltung ent- sich explosionsartig aus (Zaugg, 2009). gegen. Eine mögliche Zwischenstufe zwischen beiden Polen ist das Vier-Augen-Prinzip, das helfen kann, die Qualität eines Pro- zesses zu sichern. Eine grundlegende Aussage treffen Enste und Kolleginnen: „Damit meinsame Zielerreichung in den Vordergrund stellen. Verschiedene andere Vertrauen schenken, ist zunächst die eigene Vertrauens- Studien zeigten, dass diese auch transformationale Führung ge- würdigkeit gefragt“ (Enste et al., 2020, S. 13). nannte Haltung mehr Vertrauen erzeugt als fehlende Führung oder Umsetzung Eine entscheidende Rolle für eine vertrauensvolle Arbeitsatmo- Führung, die auf reinen sozialen Austausch setzt (siehe z. B. Brug- sphäre kommt den Führungskräften zu. Sie brauchen daher psy- ger & Wahl, 2019). Wie Führung über Distanz gelingen kann, war chologisches Grundwissen und sollten geschult sein im Selbst- unter anderem Thema im dritten iga.Online-Seminar der Reihe „Vir- management und in der Selbstreflexion, um die eigenen tuelle Teamarbeit“, dessen Mitschnitt unter https://www.iga-info. Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen erfolgreich regulieren de/veranstaltungen/igaonline-seminare/virtuelle-teamarbeit/ zur zu können. Darüber hinaus sollten sie sich Zeit für ihre Mitar- Verfügung steht. beiterinnen und Mitarbeiter nehmen. Ziel sollte es sein, alle Unternehmen sollten ihren Teams Zugang zu Informationen, Mitarbeitenden mit ihren Bedürfnissen wahrzunehmen, zu res- Ressourcen und Unterstützung ermöglichen sowie einen be- pektieren und ihre Rechte anzuerkennen. fähigenden, unterstützenden Führungsstil etablieren und för- Führungskräfte, die nicht immer am gleichen Standort wie ihr dern (Perrone, 2020). Team arbeiten, sollten eine attraktive Vision vermitteln und die ge- 10
ng g g g din lun e - B nd gu run it Lif n u len it hti ick be sie ke nt re c rk- be tw Ar ltig ali me it en Wo i a l l e be rhe te n er du ha au ge it ich nd ivi lbs he he ch r tr ga z t So Gle Ind Mu Si n Sic Na Ve Se En fe n Of Theorie Offenheit – die Theorie Das Adjektiv „offan“ bedeutete schon im Althochdeutschen so viel wie „geöffnet, offenbar, klar, einleuchtend, öffentlich“. über die Bearbeitungszeit der eigentlichen Aufgaben hinaus Zeit eingeräumt werden muss, damit es leistungsstark zusam- Daraus abgeleitet wird Offenheit als aufgeschlossene, ehrliche menarbeiten kann. Wesensart verstanden. Dabei muss die Offenheit im Informati- onsaustausch in beide Richtungen gedacht werden: Wird eine Offenheit von Führungskräften und Teams (nach allen Seiten) Nachricht gesandt, steht „offen“ im Kontext von „ehrlich“. bedeutet zugleich, eine professionelle und transparente Kom- Wenn die Nachricht empfangen wird, ist „Offenheit“ mit „auf- munikation zu pflegen (Fischer et al., 2013). Die Prinzipien geschlossen sein“ assoziiert, also der Bereitschaft zur unvor- Offenheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit sind auch im Kon- eingenommenen Auseinandersetzung mit einer Person oder text eines ethischen Führungsstils maßgeblich (Kauffeld, einem Thema – und der Bereitschaft zu neuen Erfahrungen. 2014). In der Persönlichkeitspsychologie ist die Offenheit für neue Er- New Work wird oft mit veränderten Arbeitsweisen, den agilen fahrungen eine der kulturübergreifend wirksamen Persönlich- Methoden, in Verbindung gebracht. Ein bekannter Ansatz da- keitsdimensionen im Fünf-Faktoren-Modell (Big Five, vgl. bei ist Scrum („Gedränge“), das einen formalen Rahmen für Dorsch Lexikon der Psychologie). Personen mit hoher Ausprä- die flexible und dynamische Zusammenarbeit von Teams bie- gung in dieser Dimension zeichnen sich durch intellektuelle tet. Dieser Rahmen, das Framework, wird permanent weiter- Neugier, Flexibilität, Unkonventionalität, Kunstsinn, Kreativität entwickelt (www.Scrum.org). Der Begriff Scrum stammt aus und liberale politische Einstellungen aus. Niedrige Werte auf dem Rugby und verbildlicht das Vorgehen: Die Mitglieder der dieser Skala weisen auf konventionelle, dogmatische, ethno- Gruppe scharen sich um die Aufgabe/das Problem und haben zentrierte Haltungen hin, die durch Vorurteile und Konformität innerhalb des Teams festgelegte Aufgaben/Rollen, die in tägli- gekennzeichnet sind. Es besteht im Übrigen ein Zusammen- chen Treffen abgestimmt werden. Agile Methoden wie Scrum hang zwischen Offenheit und Intelligenz. setzen fünf Werte für die gemeinsame Arbeit voraus. Offenheit ist einer von ihnen, die anderen vier Werte sind Selbstver- Auch in der Sozialpsychologie ist Offenheit von Bedeutung: pflichtung, Mut, Fokus und Respekt. Dabei bedarf es der Of- Soziale Gruppen durchlaufen vom Entstehen bis zum Zerfall fenheit auch zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen, Kul- verschiedene Phasen. Nach Tuckman (1965) ist Offenheit ein turen und Hierarchiestufen. Ein Scrum-Team setzt sich Kriterium für Gruppen in der Arbeitsphase. Diese auch Per- themenbezogen zusammen und ist hierarchielos – es müssen forming genannte Phase ist die produktivste Phase der Grup- sich alle von den in anderen Kontexten gültigen Rollen lösen. pe, in der sie ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht, nachdem Ohne Offenheit ist keine Transparenz möglich, die Sven Franke sie sich erst finden und die eigenen Regeln definieren musste. im iga.Experteninterview als unabdingbar herausstellt, und für Überträgt man den Gruppengedanken auf Arbeitsteams/Be- die Offenheit untereinander braucht es Vertrauen (siehe Wer- legschaften/das Personal eines Unternehmens, folgt daraus, teblatt zum Vertrauen, S. 9). dass Offenheit für ein leistungsfähiges Unternehmen unab- dingbar ist. Gleichwohl müssen Ressourcen geplant und mit- gedacht werden, um der betrachteten Gruppe das Erreichen dieser Phase zu ermöglichen. Denn sowohl bei offenen Teams, bei denen die Mitglieder wechseln, als auch bei Teams mit fes- ter Zusammensetzung können Phasen mehrfach oder immer wieder durchlaufen werden: Entweder weil die Gruppe sich neu finden muss oder weil Rückkopplungen bezüglich der ver- gebenen Rollen oder der zugewiesenen Aufgaben im Team erforderlich werden. Damit wird deutlich, dass einem Team 11
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Offenheit in der betrieblichen Praxis Eine offene Kommunikation bietet die Chance, anhand aller be- Möglichkeiten zu gegenseitigem Lernen. Dies wiederum unter- kannten Fakten tragfähige Lösungen für Probleme zu erar- stützt die Selbstentwicklung (siehe entsprechendes Werteblatt, beiten. Gleichzeitig macht Offenheit für Neues den Raum auf für S. 19). So müssen nicht alle Fehler von allen gemacht werden, denn Chancen Innovationen. So können Unternehmen ihre Zukunftsfähig- aus Fehlern lernen alle – wenn sie davon Kenntnis erhalten. keit gewährleisten. Der offene Umgang mit Informationen, aber auch mit Informati- Transparenz bildet die Grundlage für eine Lernkultur im Unter- onslücken, vermittelt den Beschäftigten Wertschätzung. Darüber nehmen: Ein offener, transparenter Umgang miteinander eröffnet wird unter anderem das Arbeitsklima beeinflusst. Offenheit für Neues ist auch eine Persönlichkeitseigenschaft. Offenheit sollte nicht bedeuten, dass sich alle mit allem befas- Aufgaben, für die diese erforderlich ist, sollten geeigneten Perso- sen. nen übertragen werden. Denn natürlich gibt es auch Menschen, Offenheit macht angreifbar. Wenn das Gegenüber das damit ge- die eher verhalten auf Neues reagieren, weil es ihnen nicht liegt. Risiken zeigte Vertrauen missbraucht, könnten daraus Nachteile entstehen. Sie zu einer Haltung zu drängen, die nicht ihrem Naturell ent- Offenheit kann zu Konflikten führen. Oder um es mit Mark Twain spricht, darf nicht das Ziel sein. zu sagen: „Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Nicht alle wollen alles wissen oder sind in der Lage, mit den da- Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.“ durch zugängigen Informationen umzugehen. Daher kann Offen- heit überfordern. U. a. die Critical-Incident-Methode (Flanagan, 1954) bietet dert Offenheit im Denken und Handeln; eigene Standpunkte wer- Führungskräften eine gute Möglichkeit, in kurzen regelmäßigen den signifikant kritischer hinterfragt und Alternativpositionen Gesprächen mit den Mitarbeitenden individuelle motivierende nicht so stark abgewertet. Umsetzung und demotivierende Faktoren zu erfassen. Dadurch können Of- Die Fähigkeit, Informationen klar und unmissverständlich fenheit und Transparenz gefördert werden. Mit Hilfe der Metho- kommunizieren zu können, ist ein wichtiges, wenn nicht das de werden „kritische“ Ereignisse durch Beobachtungen oder wichtigste „Werkzeug“ jeder Führungskraft. Die besten Ideen Interviews reflektiert und daraus Verbesserungsvorschläge abge- erweisen sich als wenig umsetzbar, sofern eine Führungskraft leitet. Über die Frage „Welche drei Dinge sind in den letzten nicht in der Lage ist, Arbeitsaufträge, Anforderungen oder auch sechs bis zwölf Monaten besonders gut, welche besonders Wünsche und Ziele so zu kommunizieren, dass die Mitarbeiten- schlecht gelaufen?“ lassen sich kurze 5-Punkte-Handlungspläne den den Gedanken folgen und deren Sinn erkennen können (sie- aufstellen, die der positiven persönlichen und organisationalen he Werteblatt zum Sinn, S. 13). Entwicklung dienen. Gerade die Critical-Incident-Methode för- 12
ng g g g din lun e - B nd gu run Lif n u len it hti ick sie ke it nt re c rk- be be tw ltig ali me it en it Wo i a l l e be rhe te n Ar du he ha au ge ich ivi fe n er lbs he ch r tr ga z t So Gle Ind Mu nd Sic Na Ve Se En Of Si n Theorie Sinn der Arbeit – die Theorie Das Wort „Sinn“ hat seinen Ursprung im alt- und mittelhoch- deutschen „sin/sinnan“ und im indogermanischen „sent“, was Im Rahmenmodell von Lips-Wiersma und Morris (2009) werden im Wesentlichen vier Quellen für sinnvolles Arbeiten postuliert, so viel wie „gehen, reisen, sich begeben“ bedeutete. In dieser die sich entlang den Dimensionen „eigene Person – andere Per- Bedeutung drückt sich Dynamik aus. sonen“ sowie „Sein – Tun“ aufspannen: – Sich selbst treu bleiben können bei gleichzeitiger morali- Frankl (1997) stellt heraus, dass Sinn in der Welt an sich vor- scher Entwicklung/persönlichem Wachstum („Developing handen ist, aber jeder und jede selbst Verantwortung dafür and becoming self“) trägt, diesen in der konkreten Situation zu finden. Der Wille – Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, Teilen von Werten, zum Sinn ist nach Frankl sogar die zentrale menschliche fruchtbare Zusammenarbeit („Unity with others“) Handlungsmotivation. In den letzten Jahren werden Sinnfra- – Bedürfnisse anderer Menschen befriedigen, wodurch die gen im Zusammenhang mit der Arbeitswelt häufiger und teil- eigene Arbeit als für etwas Größeres relevant wahrgenom- weise auch anders thematisiert als noch in den 2000er Jah- men wird („Serving others“) ren. Dies wird in Studien wie dem Stepstone Arbeitsreport – Ausdruck individueller Kreativität, Empfinden von Einfluss von 2018, der Vermächtnisstudie von ZEIT, infas und WZB aus auf das, was man tut, Einfluss auf das personale Umfeld dem Jahr 2019 oder dem zweiten Bene Future of Work Re- („Expressing full potential“). port (2020) deutlich. Daraus lassen sich Ansatzpunkte für die Gestaltung sinnvol- ler Arbeit ableiten (siehe Abschnitt „Umsetzung“ dieses Wer- Eine Umfrage des Netzwerkes Xing ergab, dass etwa die teblatts, S. 14). Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereit wäre, für eine erfüllende oder gesellschaftlich verantwortungsvolle Aufgabe weniger zu verdienen (Xing, 2019). Im iga.Barome- ter 2019 mit dem Schwerpunktthema Sinn wird in einer mehrdimensionalen Betrachtung umfangreich hergeleitet, dass Sinn im Arbeitskontext aufgrund der zunehmend unsi- cheren Arbeitsverhältnisse an Bedeutung gewinnt (Well- mann et al., 2020, S. 50 – 58): Langfristige Planungen sind aufgrund der Digitalisierung, demografischer Änderungen oder eben New Work nicht mehr überall möglich. Gleichzei- tig wird aufgezeigt, dass es schwer ist, den Begriff „Sinn“ klar zu definieren, weil er als Synonym für unterschiedliche Deutungsweisen und Konzepte genutzt wird. Eine disziplin- übergreifende Definition gibt es demnach bislang nicht. Organisationspsychologische Forschung der letzten 30 Jahre konnte immer wieder zeigen, dass Menschen in Organisatio- nen wesentlich motivierter, performanter, zufriedener und proaktiver agieren, wenn sie die tiefere Bedeutung ihrer Dienstleistung oder ihres organisationalen Produktes verste- hen und nachvollziehen können (Weick, 1995). 13
Praxis New Work & Werte iga.Werteblätter Sinn der Arbeit in der betrieblichen Praxis Der Fehlzeiten-Report 2018 (Badura et al., 2018) zeigt: Als sinn- bei fast der Hälfte der Befragten. Fehlt hingegen der Sinnbezug, stiftend erlebte Arbeit hat positive Konsequenzen. Beschäftigte wäre dies für ein knappes Drittel der Befragten ein Grund, den Job – fehlen seltener am Arbeitsplatz, zu wechseln. Chancen – haben deutlich weniger arbeitsbedingte gesundheitliche Jachimowicz (2019) macht dabei den feinen Unterschied zwi- Beschwerden und schen Dingen, die man tut, weil man sie liebt, und Dingen, die – halten sich im Krankheitsfall häufiger an die ärztlich man tut, weil sie einem wichtig sind. Wer Sinn in seiner Arbeit verordnete Krankschreibung. sehe, statt „nur“ seiner Leidenschaft zu folgen, sei teilweise er- Im iga.Barometer 2019 äußerte ein großer Teil der Befragten, mit folgreicher. Er oder sie sei nicht darauf fokussiert, dass die Tätig- Arbeitsbelastungen besser umgehen zu können, wenn die ei- keit Spaß bereite, sondern darauf, dass sie im Einklang mit den gene Arbeit als sinnvoll empfunden wird. Zudem wird Sinn als ein eigenen Werten und mit angestrebten Einflussmöglichkeiten ste- wesentlicher Treiber für Arbeitsmotivation herausgestellt. Sinn- he, so dass auch Rückschläge oder andere Herausforderun- volle Arbeit ist demnach Voraussetzung für motiviertes Arbeiten gen eher akzeptiert werden könnten. Nicht in jedem Unternehmen decken sich die Möglichkeiten zur Arbeit oder Beruf sollten nur eine von vielen Quellen sein, Sinnstiftung mit den Erwartungen der Beschäftigten. Führungs- aus denen sich der Sinn des Lebens speist: „Wenn sich die Sinn- kräfte müssen sich dieser Herausforderung stellen und geeignete stiftung allein auf die Arbeit konzentriert, kann dies psychische Risiken Lösungen anbieten. Auch die Art der Tätigkeit kann die Möglich- und organisatorische Konstellationen verfestigen, in denen Men- keiten für einen Sinnbezug begrenzen. Beispielsweise bedarf Ein- schen ihre Anerkennung allein in beruflichen Erfolgen suchen facharbeit eher anderer Konzepte, um Beschäftigten ein sicheres, und sich so erhöhten gesundheitlichen Risiken aussetzen, insbe- gesundes und motiviertes Arbeiten zu ermöglichen. sondere dem Burn-out“ (Freier, 2018, S. 71). Nach Hardering (2015) gibt es drei Dimensionen, über die Sinn in Entscheidende Bedeutung kommt dabei den Führungskräften zu der Arbeit gestiftet werden kann, wobei grundsätzlich die An- (Waltersbacher et al., 2018; Wellmann et al., 2020). Führungs- satzpunkte von Lips-Wiersma und Morris (2009, siehe Ausfüh- kräfte sollten es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer Umsetzung rungen zur Theorie auf diesem Werteblatt, S. 13) Berücksichti- wieder ermöglichen, den tieferen positiven Sinn ihres Handelns gung finden sollten: zu reflektieren. Wird er z. B. in regelmäßigen Reflexionsrunden, 1. Gestaltung von Rahmenbedingungen der Arbeit: Dem Job- Entwicklungsgesprächen oder Teamsitzungen bewusstgemacht, Characteristics-Modell zufolge (Hackman & Oldham, 1980) erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in der Orga- wird Arbeit als bedeutsam erlebt, wenn Merkmale wie nisation das Gefühl haben, an etwas Wichtigem, Bleibendem und Ganzheitlichkeit, Komplexität oder Sinnhaftigkeit einer Überdauerndem zu arbeiten. Aufgabe gut gestaltet sind. Das iga.Barometer 2019 identifizierte dabei als die beiden wich- > Dimension der Arbeitsgestaltung tigsten Quellen für Sinnerleben, dass man authentisch und damit 2. Nutzen des Geleisteten: Berufe, Aufgaben und Tätigkeiten, sich selbst treu bleiben kann und dass die Arbeit es ermög- deren Nutzen für die Gesellschaft offenkundig ist, werden licht, das eigene Potenzial bzw. die eigenen Fähigkeiten voll grundsätzlich als sinnvoll empfunden. Dabei spielen umsetzen zu können. Doch auch die Wünsche nach Gemein- gesellschaftlich geteilte Werte wie Gesundheit, Sicherheit schaft mit anderen, nach der Möglichkeit, anderen zu helfen, oder Ordnung und Sauberkeit eine Rolle. und nach Zeit sowohl für die Reflexion als auch für das Handeln > Dimension der Nützlichkeit bzw. des Gebrauchswerts wurden häufig geäußert. Verantwortlich für die Sinngenerierung 3. Subjektiv wahrgenommene Passung zwischen Arbeitsansprü- sind nach den Ergebnissen der Umfrage sowohl das Unterneh- chen und Arbeitsrealität: Strategien wie das Job Crafting, men (z. B. durch die Vermittlung des Unternehmenszwecks), als bei dem Beschäftigte ihre Arbeitsbedingungen selbstständig auch die Führungskräfte (z. B. durch die Übertragung von Ar- umgestalten und verbessern können (siehe Veranstaltung beitsaufgaben) und die Teams selbst (z. B. durch soziale Unter- iga.Expertendialog 2018 unter https://www.iga-info.de/veran- stützung). staltungen/igaexpertendialog/igaexpertendialog-2018/), helfen u. a., dass eine höhere Passung zwischen der Arbeit und den Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen erreicht wird. > Dimension der subjektiven Bewertung 14
Sie können auch lesen