Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
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75. Jahrgang · Nr. 3 · Weihnachten 2020 Pfarrblatt Schwerpunkt verwandelnde und heilende Kraft von Worten – das Wort Gottes unter uns Dompfarre Echte Feste ∙ PGR-Klausur ∙ Bibelnacht ∙ Reliquie von Papst Johannes Paul II. Spirituelles Die hl. Katharina ∙ Lieblingsgebet: Psalm 23 ∙ Wegzeichen des Glaubens Lesestoff Wege aus der Verlorenheit ∙ Gott finden. Wie geht das? ∙ Entscheide dich und lebe!
Inhalt Editorial ◼ Editorial 2 ◼ Wort des Dompfarrers ◼ Vertraut auf Gottes Geist 3 4 »Halte dich an Gott… ◼ Der Grundwasserspiegel gesellschaftlichen Vertrauens 5 Viel Dankbarkeit und Vertrauen ◼ Die menschliche Solidarität wünscht Ihnen herzlich Ihre unter allen Menschen 6 ◼ Politische Währung der Zukunft 8 ◼ Abraham und das Wagnis Birgit Staudinger des Glaubens 9 ◼ Vertrauenssache 10 ◼ Über das Wasser zu gehen – wer möchte das nicht? 11 ◼ Auf keinen Sand gebaut 12 ◼ »Von guten Mächten wunderbar geborgen …« 13 ◼ Gott ist kein »Lückenbüßer«! 14 ◼ Gott, die liebende Mutter 15 ◼ »Da sein« – ein Auftrag für Seelsorge in Senioren- und Pflegehäusern 17 ◼ Vertrauen – selbstverständlich!? 18 ◼ Covid-19 – Meine ganz persönliche Geschichte 19 ◼ Was lässt mich trotzdem »Ja« zum Leben sagen? 20 ◼ Von der erneuerten Riesenorgel 24 ◼ Ostern feiern im leeren Stephansdom? 25 ◼ Ein Dom im Ausnahmezustand 26 ◼ Eine Pfarre im Ausnahmezustand 28 ◼ Gratulation Lisa Höbart 30 ◼ Auszeichnung für Dom Museum 30 ◼ Vorstellung Matthias Németh 31 ◼ Auf Spurensuche im Dom 32 ◼ In Vorfreude auf das große Fest 34 ◼ IMPULS_St. Stephan 36 ◼ Chronik 36 ◼ Mythos Beethoven im Dom 37 ◼ Mein Lieblingsgebet 38 ◼ Der heilige Sebastian 39 ◼ Die Pestsäule am Graben 41 ◼ Buch: Corona – Gefahr und Chance zugleich? 42 ◼ Buch: hoffentlich. 42 ◼ Steffl 43 ◼ Termine 44 ◼ Wallfahrt nach Maria Grün 46 Martin Staudinger ◼ Zum Nachdenken 48 ◼ Impressum 48 2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Wort des Dompfarrers Liebe Freunde! Mit Vollmacht ein Wort sprechen tel der göttlichen Gegenwart in der Ge- „Herr Pfarrer, jetzt musst du einmal ein stalt des Brotes in die Hand legen. Und Machtwort sprechen!“ Wenn die Schwie- vielen tausenden Jugendlichen im Auftrag rigkeiten mit einem auffälligen und stö- des Bischofs die Hand auflegen und sie renden Gottesdienstbesucher allen über mit dem heiligen Chrisam salben. Damit den Kopf wachsen, muss selten aber im Sakrament der Firmung die Kraft und manchmal doch ein disziplinäres Macht- die vielfältigen Gaben des Heiligen Geis- wort der Grenzziehung gesprochen wer- tes zu erbitten. den, damit das Leben an dieser Grenze Es sind immer wunderschöne Anlässe wieder einen gedeihlichen Verlauf finden und Feiern, die in mir große Dankbarkeit kann. Aber ich gestehe, dass ich das nicht für meinen Dienst als Priester hochstei- gerne mache. gen lassen. Und gleichzeitig bleiben es oft Viel lieber spreche ich Worte in gött- singuläre Erfahrungen der gemeinsamen licher Vollmacht. Ein Kind im Kreis seiner Feiern. Wie viele Kinder und Jugendliche Familie in die große Gemeinschaft der sind mit ihren Familien nach der Feier der Im Advent bereiten wir auf die Be- Kirche aufzunehmen, verschafft mir viel Taufe, Erstkommunion und Firmung nicht gegnung mit dem lebensspenden Wort mehr tiefe Freude und Herzensfrieden. „N. mehr zu sehen in der sichtbaren Gemein- Gottes vor, das Fleisch geworden ist. In ich taufe dich im Namen des Vaters, des schaft der Kirche? Haben wir nur Höhe- der Geburt des Jesuskindes spricht Gott Sohnes und des Heiligen Geistes!“ Über punkte anzubieten verlieren im normalen das unwiderrufliche JA zum Menschsein 2.600 Kindern konnte ich das schon im Alltagsleben der Menschen immer mehr zu. So darf ich selbst immer mehr Mensch Dom in den letzten Jahrzehnten zuspre- an Wichtigkeit? werden, wenn auch Gott diesen Weg der chen und das entsprechende Dokument Menschwerdung gewählt hat. mit der Beglaubigung im Form des Tauf- Ein Wort, das mich Mit den besten Grüßen und Segens- scheines ausstellen und übergeben. schon lang begleitet wünschen für ein friedliches Weihnachts- Noch viel öfter durfte ich hier schon Mit dem Wort des sogenannten ungläubi- fest und ein gesundes neues Jahr Ihr dank- im Namen des Herrn bei der Feier der hei- gen Apostels Thomas finde ich schon seit barer Toni Faber ligen Messe in Vollmacht das Wort Gottes Studententagen zu einer für mich größe- vortragen und es in der Verkündigung aus- ren Form der Gelassenheit. Nachdem er legen und die Wandlungsworte sprechen. bei der Erscheinung des Auferstandenen Fast genau so vielen Kindern konn- nicht dabei war, wollte er unbedingt sel- te ich bei den wunderbaren Feiern der ber sehen und spüren und begreifen, ob Erstkommunion mit dem Wort „Der Leib das nicht nur leeres Geschwätz sei. Und Christi!“ dieses Geschenk und Lebensmit- der Auferstandene kommt wieder und tritt als überwältigende Kraft des Sieges über den Tod vor ihre Augen. Thomas fällt staunend und stammelnd auf die Knie und bekennt damit seinen Glauben: „Mein Herr und mein Gott!“ Darauf spricht Jesus: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig sind vielmehr Gender-Hinweis die, die nicht sehen und doch glauben!“ Wir bitten Autoren und Leser um Wie wichtig ist es für mich in der Kir- Verständnis, dass wir aus Gründen che, in der Gesellschaft, natürlich auch in der besseren Lesbarkeit und der Un- der Politik wie im ganzen Leben glauben versehrtheit der Sprache allgemeine und vertrauen zu können, obwohl mir Bezeichnungen wie zum Beispiel nicht alles klar ist. Aber aus dem vertrau- „Christ“, „Lehrer“ etc. sowie das Titelbild: Harald Schreiber, enden Wort wächst die Hoffnung auf die ebenfalls grammatikalisch maskuli- IM ANFANG WAR DAS WORT, Zukunft des Lebens. ne Wort „Mensch“ als inklusiv (also Mischtechnik auf Papier, 21 × 21 cm Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass geschlechtsneutral) verstehen und Suzy Stöckl Idee: Mettnitzer/Schreiber wir mit Worten eine neue Realität des Ver- verwenden. Die Redaktion. Fotocredit: Harald Schreiber trauens schaffen können. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 3
Im Anfang war das Wort Die Botschaft von Weihnachten: sich täg- lich neu bemühen, die Güte Gottes im eigenen Leben sichtbar werden zu lassen und einander in Liebe zu begegnen Et verbum caro factum est Und das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Wenn Worte zum Lebensprogramm werden – Gedanken von Bischof Alois Schwarz über seinen Wahlspruch und die Botschaft von Weihnachten Es war ein Tag vor dem Heiligen Abend wird, wenn es also Wirklichkeit und Le- Die Liebenswürdigkeit im Jahre 1996, als ich vom Apostolischen bendigkeit wird. Das war emotional für Gottes im persönlichen Leben Nuntius in Österreich gerufen wurde und mich zunächst nicht einordenbar. Es war sichtbar machen er mir mitgeteilt hat, dass der Heilige Va- begleitet von Freude darüber, dass der Die Botschaft an die Menschen sollte ter mich zum Weihbischof in der Erzdi- Heilige Vater mir das zutraut, Dankbar- das göttliche Heilsgeheimnis sein, das özese Wien ernannt hat und, dass diese keit darüber, dass ich das erleben darf, Un- gleichzeitig auch die Grundbotschaft Nachricht am Fest des Heiligen Stepha- sicherheit dabei, ob ich den Erwartungen, des Weihnachtsfestes ist. Im christlichen nus, dem 26. Dezember 1996, im Dom die die Menschen haben werden, genügen Glauben geht es letztlich darum, die Lie- zu St. Stephan in Wien der Öffentlichkeit kann und die große Hoffnung, dass Gott benswürdigkeit unseres Gottes und seine verkündet werden wird. Für mich waren mich auf dem Weg in das Bischofsamt be- Menschenfreundlichkeit im persönlichen das die aufregendsten Weihnachtsfeier- gleiten möge. Leben sichtbar zu machen. Jede und je- tage, die ich bis dahin erlebt hatte. Viel- Aus diesen Emotionen tief berührt, der ist berufen, die Güte Gottes und seine leicht kennen Sie diese Situation, wenn überlegte ich, wie und was ich als Erstes Barmherzigkeit zum Leuchten zu bringen Sie eine Nachricht bekommen, die Sie sich den Medien sagen sollte. Eine der ers- und im vertrauenden Zugehen auf den im Leben niemals hätten träumen lassen. ten Entscheidungen war die Frage, nach Mitmenschen unserem Gott nachzufol- Da bleibt das Gesagte nicht bloß im Ohr, meinem Wahlspruch. In den liturgischen gen, der in der Hingabe seines Sohnes den sondern es manifestiert sich im ganzen Texten des Weihnachtsfestes und in der Weg der äußersten Erniedrigung gegan- Körper – und – je nachdem, wie traurig oben genannten persönlichen Erfahrung gen ist, um uns Menschen und die ganze oder erfreulich eine Nachricht eben sein kam mir das Wort aus dem Johannesevan- Schöpfung aufzurichten und zu erneuern. kann, hat man dann die entsprechenden gelium entgegen, in dem es heißt: „Und Gott ist in Jesus von Nazareth einer von Krippe: Tobias Bosina körperlichen Reaktionen. Das war auch bei das Wort ist Fleisch geworden“ (lateinisch: uns geworden, um uns in die Herrlichkeit mir so. Ich erfuhr am eigenen Leib, wie es Et verbum caro factum est), das ich mir des Himmels zu führen und zwar als je- ist, wenn das gesprochene Wort Fleisch damit zu meinem Wahlspruch machte. ner, der uns bei der Hand nimmt, der die 4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Die Autoren Univ. Prof. Dr. med. Dr. theol. Mag. pharm. Matthias Beck, Inst. Systematische Theologie/ Theologische Ethik, Kath.-Theol. Fakultät Wien Dr. Maria Hildegard Renate Brem OCist, Äbtissin von Mariastern-Gwiggen Thomas Brezina, Kinder- und Jugendbuchautor, Sorgen und Nöte mit uns Menschen teilt Drehbuchautor, Fernsehmoderator, Produzent Mag. Karin Domany, Religionspädagogin in Pens., und der uns nicht hängen oder stecken Pfarrgemeinderätin St. Stephan lässt in unseren Sünden. Da es von Gott Dr. Benno Elbs, Diözesanbischof von Feldkirch Toni Faber, Dompfarrer, St. Stephan her die Grundberufung jedes Menschen Bischof Alois P. Mag. Matthias Felber SVD, Pfarrer der Gemeinde ist, in der Ebenbildlichkeit Gottes seinen Schwarz ist „Zum Göttlichen Wort“, Dechant von Favoriten eigenen Weg zu finden, kann die Bitte um Diözesanbischof Dr. Annemarie Fenzl, ehem. Diözesanarchivarin, Leiterin des Kardinal-König-Archivs Wien die Menschwerdung und damit der Satz von St. Pölten. MMag. Hermann Glettler, Diözesanbischof von „Und das Wort ist Fleisch geworden“ auch Innsbruck Reinhard H. Gruber, Domarchivar von St. Stephan zu einem Gebet werden. Die Botschaft von Weihnachten wird Mag. Josef Grünwidl, Pfarrmoderator von immer dann erfahrbar, wenn jemand als Gießhübl und Perchtoldsdorf, Dechant des Dekanats Perchtoldsdorf Mit Jesus Christus den Mensch dem Menschen begegnet. Des- KR Kan. P. Mag. Amadeus Hörschläger OCist, Menschen nahe sein halb glaube ich, dass Weihnachten nicht emeritierter Bischofsvikar, Ehrenkanoniker des Metropolitan- und Domkapitels zu St. Stephan Diese Grundformel habe ich auch in den auf einige Tage im Jahr reduziert werden Prof. Mag. Johannes Jung OSB, Abt der Benedikti langen Jahren meines Bischofsamtes in kann, sondern jeder Tag von der Heraus- nerabtei „Unserer Lieben Frau zu den Schotten“ Mag. Tarek Leitner, Moderator ORF, Buchautor der Diözese Gurk im dortigen Leitbild „Mit forderung lebt, den Menschen als Mensch Benjamin Raimerth, Angestellter, Jesus Christus den Menschen nahe sein“ zu begegnen. Dann wird die Melodie „Und Pfarrgemeinderat St. Stephan verankert. In unzähligen Begegnungen das Wort ist Fleisch geworden“ ausbuch- MMag. Konstantin Reymaier, Curpiester, Leiter des erzbischöflichen Referates für Kirchenmusik, mit den Menschen und im Ringen um das stabiert in Lebensschicksale von Men- Domorganist Bewusstmachen, dass unser Gott ein lie- schen hinein und wir werden tief berührt, Julia Schnizlein MA, Pfarrerin der Lutherischen Stadtkirche Wien bender, ein barmherziger und gütiger Gott wenn andere uns auch mit ihrem Wort der P. Mag. Andreas Schöffberger COp, ist, habe ich mich bemüht, dieses Leitbild Annahme, der Liebenswürdigkeit begeg- Pfarrmoderator von St. Josef-Reinlgasse Dr. Christoph Kardinal Schönborn OP, Fleisch werden zu lassen. Wir haben es nen. Weihnachten – ein Programmwort Erzbischof von Wien, Metropolit der Wiener gleichsam in lebensspendende Program- für die Liebe zum Leben. Kirchenprovinz Dr. Alois Schwarz, Diözesanbischof von St. Pölten me und Aktivitäten umgewandelt, sodass In der Erfahrung dieser Gemeinsam- Dr. Maria Schwendenwein, Leitung der dieser Satz „Mit Jesus Christus den Men- keit, als von Gott geliebte und von ihm ins Gehörlosenseelsorge der Erzdiözese Wien Mag. Birgit Staudinger, Redaktionsleiterin schen nahe sein“ nicht nur leere Wort- Leben gerufene Menschen, wünsche ich Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Stowasser, hülsen, sondern lebendig werden kann. allen Leserinnen und Lesern eine neue Er- Vizedekan Kath.-Theol. Fakultät Wien, Inst. f. Bibelwissenschaft, Neues Testament Viel Gutes ist daraus entstanden und es fahrung des Lebensgeheimnisses, das uns Sandra Szabo BA, ORF Religion - Fernsehen macht Freude, wenn man das Leben und zu Weihnachten verkündet und geschenkt Folke Tegetthoff, Märchendichter, Erzähler, die Lebendigkeit zum Programm macht. wurde und wird. Buchautor Univ.-Prof. Dr. Jan-Heiner Tück, Inst. für Systematische Theologie und Ethik, Dogmatik und Dogmengeschichte, Kath.-Theol. Fakultät Im Anfang war das Wort … Wien MR. Dr. Hedwig Ücker-Geischläger, Fachärztin für … und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden Dr. Gudula Walterskirchen, ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht Historikerin, Publizistin, Buchautorin, Zeitungsherausgeberin leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein Mensch trat auf, Dr. Melanie Wolfers sds, Seelsorgerin, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzu- Buchautorin KR P. Alfred Zainzinger OSST, Gehörlosenseelsorge legen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst der Erzdiözese Wien das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden emer. O. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner, emer. Prof. f. Pastoraltheologie, Universität Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch Wien ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Redaktion Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, Redaktionsleitung: Mag. Birgit Staudinger Lektorat: Mag. Karin Domany, Reinhard H. Gruber, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Mag. Barbara Masin MA, Daniela Tollmann Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt Redaktionsteam: Dompfarrer Toni Faber, Diakon Schwarz: Foto Kuss Erwin Boff, Mag. Karin Domany, Mag. Heinrich und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes Foglar-Deinhardstein, Reinhard H. Gruber, vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Abschnitt aus dem Johannesprolog Joh 1,1-14) Anneliese Höbart, unter der Mitarbeit von Christian Herrlich MA Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 5
Im Anfang war das Wort Am Anfang war das Wort… Die Einleitung des Johannesevangeliums ist ein fast poetischer, aber schwieriger Text. Der Bibel wissenschaftler Martin Stowasser über den „Logos“, das Wort, das immer schon bei Gott war und in Jesus von Nazaret Fleisch geworden ist. Wer dieses Wort aufnimmt, findet das Leben und: Gott Der Prolog des Johannesevangeliums (Joh big durchschreiten. Das Buch kreist um 1,1-18) bildet ein Portal, durch das man das das Geheimnis eines sich offenbarenden Buch betreten soll. Er wählt eine betont Gottes, der sich in Jesus zu erkennen gibt. christologische Perspektive und bereitet Seine Geschichte beginnt allerdings nicht in beinahe poetischer Sprache auf einen in einer anschaulichen Erzählung vom Martin Stowasser „johanneischen Jesus“ vor, aber auch Kind in einer Krippe, sondern mit einem ist Professor für auf dessen konfliktreiche Geschichte Text voll abstrakter theologischer Begriffe: Neues Testament mit jenen, die dieses Portal nicht gläu- Wort (griech. „Logos“), Licht, Herrlichkeit. und Vizedekan der Kath.-Theol. Das Wort ist mächtig Fakultät Wien. „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.“ (Genesis 1,1) So beginnt der Juden denkt. Den herausragenden Platz intimer wie Christen gemeinsame Teil der Bibel. Nähe und göttlicher Macht von Weisheit Gott spricht – so ruft er die Dinge ins Da- und Logos weist das Johannesevange- sein und schafft heilsame Ordnung im lium in herausfordernder Weise einem bedrohlichen Chaos. In späteren Erzähl- Menschen zu, Jesus von Nazaret. Er ist mustern der Bibel agiert Gott nicht mehr der Logos. alleine, vielmehr ist eine personifiziert ge- dachte „Frau Weisheit“ dabei. Sie ist ihm Das Wort führt zum Leben noch vor aller Schöpfung so nahe, wie Der transzendente und verborgene Gott sonst niemand. Als Gottes „Spielgefähr- gibt sich den Menschen exklusiv durch tin“ wird sie zur Ordnungsmacht der Welt den Logos zu erkennen, da dieser der ein- (Sprichwörter 8,30), was vielleicht bereits zige ist, der an der Brust des Vaters ruh- die Vorstellung einer Schöpfungsmittler- te. Der präexistente Logos wird Fleisch, schaft beinhaltet. Diesen Gedanken wird inkarniert sich und wird so zum Licht der jüdische Philosoph Philo v. Alexan- der Welt. Jesu einzigartiges Verhältnis zu drien um die Zeitenwende mit dem Be- Gott entfaltet das Buch in immer neuen griff des „Logos“ verbinden, wenn er das Anläufen: „Ich und der Vater sind eins.“ Konzept alttestamentlicher Weisheit neu (Joh 10,30) In Jesu Existenz, in seinem ge- samten Weg verherrlicht sich der Vater selbst (Joh 12,28), in der Herrlichkeit des Logos zeigt sich daher Gottes Herrlich- keit. Nur so wird der unsichtbare Gott für die Menschen sichtbar (Joh 17,3-5). Wer sich diesem Geheimnis öffnet, findet das Im Alten Testament wird Frau Heil: „Das ist aber das ewige Leben, dass Weisheit als geliebtes Kind, als sie dich, der du allein wahrer Gott bist, Spielgefährtin Gottes bezeichnet, und den du gesandt hast, Jesus Christus, die noch vor aller Schöpfung Gott erkennen.“ (Joh 17,3) Der Logos wird somit nahe war (Sprichwörter 8). im Johannesevangelium nicht um seiner Sophia wird im Stephansdom mit selbst willen in seiner göttlichen Majestät ihren drei Töchtern dargestellt: bespiegelt, sondern soll Gemeinschaft mit Fides, Spes und Caritas und Gott ermöglichen. Der Weg des Logos zielt symbolisieren: Glaube, Hoffnung auf den Menschen: „Denn Gott hat seinen Sophia: Domarchiv und Liebe sind Frucht der Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er Göttlichen Weisheit und haben die Welt richtet, sondern damit die Welt ihren Ursprung in Gott. durch ihn gerettet wird.“ (Joh 3,17) 6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
in principio erat verbu(m)... – Im Anfang war das Wort. Ausschnitt aus einem Karolingischen Evangeliar aus dem 9. Jahrhundert, das im Dom Museum Wien aufbewahrt wird. Das Wort ist gefährlich Der Logos findet in seinem Eigentum keine Aufnahme. Das Unfassbare ge- schieht, Gottes Wort erfährt ungläubi- ge Ablehnung: „Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen?“ (Joh 6,42) Wer das Portal des Prologs nicht durchschreitet, kann Gottes Wohnen unter uns die Herrlichkeit Gottes in Jesus nicht er- kennen. Das Wort führt zur Spaltung; es deckt auf, was zum Licht und was zur Finsternis gehört. Die johanneischen Die Vorstellung, dass das sion vom Menschensohn, der mit den Wol- Gemeinden erleben diese Ablehnung göttliche Wort Fleisch geworden ken des Himmels kommt und dem Hoch- besonders vonseiten Israels massiv. Es ist, unterscheidet den christlichen betagten auf seinem Thron vorgestellt ist in besonderer Weise, „das Seine“, in vom jüdischen Glauben. Was wird. Ihm werden „Herrschaft, Würde und das der Logos kam. Jesussympathisan- uns dennoch verbindet ist der Königtum gegeben“, seine Herrschaft ist ten werden als Häretiker aus (einigen) Glaube, dass Gott kein rein von ewiger Dauer (Daniel 7,13f). Auch die Synagogen ausgeschlossen (Joh 9,22). philosophisches Gedankengebilde Sprüche Salomos lassen die Weisheit ver- Dem schleudert das Buch einen seiner jenseits von Raum und Zeit ist, künden, dass sie beim Schöpfungswerk düstersten Sätze entgegen: „Ihr habt sondern dass Gott den Menschen anwesend war und „allezeit“ als „gelieb- den Teufel zum Vater“ (Joh 8,44). In einer ganz nahe sein möchte. Der tes Kind“ vor dem Antlitz Gottes spielte traumatisiert verengten Weltsicht, die Dogmatiker Jan-Heiner Tück (Sprichwörter 8,22-30). Zugleich ist es die nur noch Licht oder Finsternis als Alter- über die jüdische Theologie Freude der Weisheit, bei den Menschen zu nativen zulässt, haben diejenigen, die an der Einwohnung und den wohnen (Jesus Sirach 24,8). Bei Philo von den johanneischen Jesus glauben, Gott christlichen Inkarnationsglauben Alexandrien rückt der Logos schon sehr zum Vater, Nichtglaubende den Teufel. nahe an Gott heran, wenn er als „Erstge- „Am Anfang war das Wort und das Wort borener“ und „zweiter Gott“ bezeichnet Das Wort ist und bleibt war bei Gott“, beginnt der Johannes-Pro- wird, der die Menschen schafft und sie mit eine Herausforderung log und bringt damit die Präexistenz Gott verbindet. Die Nähe zum Prolog des Das Wort ist mächtig, es hebt die Schöp- des Logos zum Ausdruck, aus dem alles, Johannesevangeliums ist hier mit Händen fung ins Dasein. Das Wort führt zum was ist, hervorgegangen ist. Wenig spä- zu greifen. Leben, es vermittelt den sich offen- ter folgt die berühmte Spitzenaussage: Stowasser: Universität Wien | Evangeliar: Dom Museum Wien / Leni Deinhardstein, Lisa Rastl barenden Gott und so Lebensgemein- „Und das Wort ist Fleisch geworden und Gott schlägt sein Zelt schaft mit ihm. Das Wort ist gefährlich, hat unter uns gewohnt.“ Gottes Wort ist unter uns auf es bringt Spaltung in die Welt. Dass das Mensch unter Menschen geworden, um Dieser geht nun einen entscheidenden Johannesevangelium den Begriff des ihnen Gott nahezubringen. Im christ- Schritt weiter, wenn er von der Fleischwer- Wortes an seinen Beginn stellt, ist in lich-jüdischen Dialog gelten Präexistenz dung des göttlichen Logos spricht, diese sich bereits Botschaft. „Wort“ zielt auf und Inkarnation als unüberbrückbare Aussage aber sofort durch das Motiv der Mitteilung, auf Kommunikation, auf Differenzen. Martin Buber hat von der Einwohnung ergänzt: „und hat unter uns Auseinandersetzung mit dem Wort. Der „prinzipiellen Inkarnationslosigkeit“ des gewohnt“ (Joh 1,14). Diese Aussage ist im unsichtbare, verborgene Gott wollte sich Judentums gesprochen. Resonanzraum des Alten Testaments zu den Menschen zu deren Heil erschließen. Die Vorstellungen von Präexistenz und lesen. Denn das Wohnen des Wortes unter Dieses johanneische Wort fordert eine Inkarnation sind dem Judentum allerdings uns, wörtlich sein Zelt-Aufschlagen unter nicht leicht zu gebende persönliche Ant- nicht ganz so fremd, wie es auf den ersten uns, spielt an auf das Offenbarungszelt wort: Ist der Jude Jesus von Nazaret, hin- Blick scheint. Dort begegnet die Vorstel- am Sinai, wo sich die Herrlichkeit Gottes gerichtet um 30 n. Chr., dieses Wort, ist lung von „zwei Göttern im Himmel“ (Peter zeigt. Die rabbinische Theologie hat die er der Logos? Schäfer). So gibt es im Buch Daniel die Vi- Vorstellung vom Wohnen Gottes ▶ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 7
Im Anfang war das Wort Ein gutes Wort ▶ durch die Lehre von der Schekhina weitergeführt. Sowohl der Glaube an die Menschwerdung als auch die Lehre von der Schekhina sprengen die Kategorien Nicht nur Bischöfe haben einen Wahlspruch, auch in Ordens der philosophischen Gotteslehre, insofern gemeinschaften sucht sich der neugewählte Abt oder die sie Gott in Verbindung bringen mit der Ge- Äbtissin ein Wort, einen Leitsatz für sein bzw. ihr Amt aus. schichte der Menschen. Anders als Platon Der Benediktiner Johannes Jung entschied sich bei der Wahl und Aristoteles, die das göttliche Eine in zum Abt des Wiener Schottenstiftes für den Spruch: „Verbum Kategorien der Geschichtstranszendenz, bonum“. Über das „gute Wort“ und wie es dazu kam der Unveränderlichkeit und Apathie den- ken, beschreiben christliche Theologen und Im Benediktinergymnasium von Melk sus Sirach: Ein gutes Wort geht über die Rabbinen den Akt der Zuwendung Gottes hängt an der Türe des Sprechzimmers für beste Gabe (18, 17). zu seinem erwählten Volk in Kategorien der Schülerinnen und Schüler eine Tafel, auf Beziehung und des Bundes. Die Vorstellung der es sinngemäß heißt: „Niemand soll Abendliche Gewissens der Schekhina geht von einer geschichtli- diesen Raum traurig verlassen“. Als ich erforschung: Waren die Worte chen Nähe und Präsenz Gottes bei seinem Direktor des Schottengymnasiums wurde, des heutigen Tages „gut“? erwählten Volk aus: im brennenden Dorn- habe ich mir gedacht: Dasselbe wünsche Nach vielen Jahren mit diesem Leitsatz busch, in der Wolken- und in der Feuersäu- ich mir von meiner Direktionskanzlei. Bei ist meine Erfahrung zuerst, dass die Men- le, auf dem Berg Sinai, im Bundeszelt, im der Feier zur Übernahme der Schulleitung schen auf diesen Spruch zurückkommen Tempel, aber auch in der bedrängten und habe ich dann gesagt: Das soll mein Mot- und mich gelegentlich daran erinnern, ich leidenden Gemeinde. Gott bleibt demnach to sein: Ich möchte wenigstens ein gutes müsste doch jetzt auch für sie ein gutes nicht in sich und für sich, er wendet sich Wort für alle haben. Wort haben, da ich doch eben eher der seinem Volk zu, in dem er sich herablässt Nach der Wahl zum Abt habe ich strenge Vorgesetzte als der liebende Vater und sich ihm zuneigt. Der in Jesaja 7,14 er- diesen Satz beibehalten und nur in das für sie war. In manchen Fällen verlangte wähnte Name „Immanu-El“ – Gott mit uns gängige Schema für Prälatendevisen ge- dies einen massiven Perspektivenwechsel, – wurde von den Rabbinen mit Blick auf bracht und dann auch noch auf Latein for- in anderen Situationen war es gar nicht die Einwohnung Gottes umgeschrieben: muliert: Verbum bonum. Die Wendung so schwer, auch Gutes zu sehen und dann „Immanu-Schekhina“. stammt aus der Benediktsregel (RB) und auch zu sagen. Es war erstaunlich zu se- Ohne die jüdische Lehre von der ist nicht auf die Tätigkeit des Abtes ge- hen, dass den Menschen, mit denen ich Schekhina christlich zu vereinnahmen, münzt, sondern auf die des Cellerars, des zu tun habe, dieses „gute Wort“ wirklich lässt sich in ihr doch eine Verwandtschaft Wirtschaftsführers eines Benediktiner- wichtig ist und dass es wirklich tröstet, zum Glauben an die Inkarnation erken- klosters, gilt aber, wie unschwer erkannt aufbaut, vielfach ein Segen ist. Gleichzeitig nen, insofern als sie Gott über das Motiv werden kann, für alle, die Leitungsaufga- ist der Wahlspruch Gegenstand der abend- der Einwohnung mit der Geschichte ver- ben innehaben. Inspiriert ist der heilige lichen Gewissenserforschung: Waren die bindet. Der christliche Inkarnationsglau- Benedikt dabei durch die im Regeltext Worte des heutigen Tages „gut“ oder hätte be kann als Steigerung der Lehre von der auch zitierte Wendung aus dem Buch Je- es nicht mehr davon gebraucht? Einwohnung Gottes in Israel verstanden werden. Weihnachten feiern Christinnen und Christen, dass der unbegreifliche Gott Aus dem 31. Kapitel der Klosterregel Benedikts sich selbst begreiflich gemacht hat und Als Cellerar des Klosters werde aus der Gemeinschaft ein Bruder ausgewählt, uns im menschgewordenen Wort sein An- der weise ist, reifen Charakters und nüchtern. gesicht zugewandt hat. Das ist Anlass zu Er sei nicht maßlos im Essen, nicht überheblich, nicht stürmisch, Freude und Dank! nicht verletzend, nicht umständlich und nicht verschwenderisch. Vielmehr sei er gottesfürchtig und der ganzen Gemeinschaft wie ein Vater. […] Er mache die Brüder nicht traurig. Tück: Universität Wien / Institut für Dogmatik Falls ein Bruder unvernünftig etwas fordert, Jan-Heiner Tück kränke er ihn nicht durch Verachtung, sondern schlage ihm ist Professor für Dogmatik an die unangemessene Bitte vernünftig und mit Demut ab. der Kath.-Theol. Nichts darf er vernachlässigen. Vor allem habe er Demut. Kann er einem Fakultät der Uni- Bruder nichts geben, dann schenke er ihm wenigstens ein gutes Wort. versität Wien. Es steht ja geschrieben: „Ein gutes Wort geht über die beste Gabe.“ (Sir 18,17) 8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Das Buch im Wappen von Abt Johannes Jung OSB verweist dar- auf, dass der Dienst des Abtes in der Verkündigung des Wortes Gottes besteht. Durch das tägliche Lesen, Meditieren und Verinnerlichen der Heiligen Schrift kann man selbst zum guten Wort für den anderen werden. wurde, an Jesus Christus selbst, das Wort, das Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen. Indem er Bild des unsichtbaren Gottes ist (Kol 1, 15), ist es möglich, ihn zu betrachten in seinem Wort und Beispiel und so den Vater zu erkennen: Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh 14,9). Das wirkliche Verbum bonum ist also der richtige Weg für die „Gottsuche“, in der Rechtfertigung und Sinn des mo- nastischen Ordenslebens besteht: Sorg- fältig achte man darauf, ob der Novize (der sich dem Kloster anschließen will) wirklich Gott sucht, formuliert Benedikt (RB 58, 7). Hinter dieses Kriterium dürfen auch die älteren Mönche nicht zurück, und zwar so, dass sie dabei Christus nicht nur wie etwas Fremdes annehmen, sondern dass Heilige Schrift – das gute damit er Bescheid weiß und einen Schatz sie, gleichsam ein zweiter Christus gewor- Wort Gottes für uns hat, aus dem er Neues und Altes hervor- den, Worte finden, die gleichsam Worte Aber der Wahlspruch ist natürlich auch holen kann (RB 64, 9). In unserer täglichen Christi sind, also auch selbst zum guten etwas hintergründig. Auf den ersten Blick Liturgie werden wir stets von neuem an Wort werden. nennt er ein Vorhaben, eine Absicht für diesen Primat des Wortes Gottes erinnert, Wenn dies gelingt, geht nach einer Be- meinen Umgang mit Menschen und ist und in der täglichen Meditation kann sich gegnung wirklich niemand traurig weg. auch eine Bitte um die Fähigkeit dazu. vertiefen, was man gehört und gelesen Doch bezieht er sich auch auf die Heilige hat. Auch dies ist mit dem Verbum bonum Schrift, das gute Wort Gottes für uns, dem gemeint: dass die Schrift unser Inneres jeder und jede, die in der Kirche etwas zu erreicht und es umformt und wandelt; sagen haben, verpflichtet sind. Darauf ver- so kann man selbst zum guten Wort für Abt Johannes weist in meinem Wappen das geöffnete andere werden. Jung ist Abt der Buch am Kreuzstab des Täufers, der mein Benediktinerabtei Namenspatron ist. Dieses Detail sollte Das Wort Gottes anneh- unserer Lieben zeigen, dass der Dienst des Abtes nicht men und weitergeben Frau zu den zuletzt in der Verkündigung der Schrift Schließlich aber und nicht zuletzt sind all Schotten in Wien Jung: Michael Sazel besteht, in ihrer Auslegung im Kreis der die guten Worte, die wir für uns hören und Vors. der Or- Brüder und darüber hinaus: Der Abt muss und die wir für andere finden, geknüpft denskonferenz für daher das göttliche Gesetz genau kennen, an das beste Wort, das uns geschenkt Wien-Eisenstadt. Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 9
Im Anfang war das Wort »Du hast Worte ewigen Lebens…« Seit 25 Jahren arbeitet sie als Was hält mich in der Kirche? Gemeint christlichen Kirchen – und skandalisiert. Ökonomin für die Erzdiözese ist wohl die römisch-katholische Kirche, Mit Recht, und nicht nur mit dem Recht, Wien. Wir haben sie gefragt, was oder gar die Einheit aller Christen, die auch mit der Pflicht zu skandalisieren. Es sie in der Kirche hält und welche den Leib Christi bilden? Und tatsächlich gibt Missstände, die zu benennen, beim Bedeutung der Glaube für sie hat. gehört das Eine zum Anderen. Und die Namen zu nennen, Pflicht ist. Antwort auf die eingangs gestellte Frage ist einfach, Jesus ist ein Freund, er ist Teil Atem der Freiheit meines Lebens. Dabei braucht es eines der großen christ- lichen Charismen – die Unterscheidung. Worte, die in die Tat um- Paulus schreibt „Alles ist erlaubt – aber gesetzt werden müssen nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber Gut, er hat ein paar Herausforderungen nicht alles baut auf“ (1 Korinther 10,23). mitgegeben auf den Weg, Verhaltensre- Dieser Satz atmet die große Freiheit des geln sozusagen. Wir sollen einander lie- Christseins. Es ist an mir, es ist an uns, zu ben (Johannes 15,17), und wir sollen uns entscheiden, wofür ich mich, wir uns ein- aufmachen und Frucht bringen, und die- setzen. Ob wir aufbauen, oder verkommen se Frucht soll von Bestand sein (Joh 15,16). lassen. Und nichts bringt es für mich die Und wenn wir das erfüllen, wird uns der Freiheit schöner zum Ausdruck als „Es Vater alles geben, um was wir im Namen gibt nicht mehr Juden und Griechen, Jesu bitten (Joh 15,16). nicht Sklaven und Freie, nicht männlich Ganz ehrlich, wer hat den Eindruck, und weiblich; denn ihr alle seid einer in dass dies immer zutrifft? Oder öfter? Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus Vielleicht manchmal? Alle diese Sätze in gehört, dann seid ihr Abrahams Nach- der Bibel lesen sich einfach, bringen er- kommen, Erben gemäß der Verheißung“ bauliche Predigten hervor. Und wenn es (Galater 3,28-29). ganz konkret wird, wo ist dann die Liebe? Auch wenn die Organisation hinter Wo ist die Liebe, wenn ich einen Bettler, diesem Bild der Freiheit herhampelt, der zu nahe kommt, zu sehr drängt, etwas keucht und stöhnt bei dem Gedanken, von Meinem abzubekommen, anfahre? den Anmutungen, die sich daraus erge- Wo ist die Liebe in so vielen alltäglichen ben, ist es dieser Atem der Freiheit, der Situationen – im Supermarkt, in der Stra- mich fliegen lässt. ßenbahn, weil es nicht schnell genug geht, weil jemand umständlich tut …? Mensch werden Am besten ist jedoch das Urteil über wie Gott uns gedacht hat die Organisation Kirche. Die Evangelien Der Name unseres Gottes ist Jesus – „Gott sind nicht gerade ein Steinbruch, aus dem rettet“ – die Erinnerungen an alle großen man sich gut bedienen kann, um eine Auf- „Rückholaktionen“ des Alten Testamen- bauorganisation zu schaffen. Am Konkre- tes, der Bibel unserer älteren Brüder und testen ist da Paulus. „Und er setzte die ei- Schwestern, führen uns zur eigentlichen nen als Apostel ein, andere als Propheten, und wichtigsten Befreiung: dem Heil-Wer- Kupka-Baier: ED Wien/Stephan Schönlaub andere als Evangelisten, andere als Hirten den, dem Mensch-Werden, wie Gott uns und Lehrer, …“ (Epheser 4,11). So wirklich gedacht hat. „Zur Freiheit hat Christus Rita Kupka- konkret ist das nicht, würde ich sagen. In uns befreit.“ (Gal 5,1) – hat Paulus den Baier ist Leiterin 2000 Jahren hat die Kirche Strukturen Galatern – und uns – ins Stammbuch ge- der Kontroll- entwickelt, verworfen, wiederentdeckt schrieben. Freiheit und Verantwortung stelle der Erz- – und Vieles davon skandalisierte – des- entstehen so als ein untrennbares Paar, im diözese Wien. halb haben wir so eine bunte Vielfalt von Blick auf die Geschichte von uns selbst… 10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Gott ist ganz konkret zu uns gekommen – und war- Liebe ist konkret tet auf unsere konkrete Faust gehört zu denen, die lieber nicht zu Antwort: unsere Liebe. konkret werden. Und Gretchen entgegnet etwas naiv: „Ungefähr sagt das der Pfarrer auch, nur mit ein bisschen anderen Wor- ten.“ Auch wir Priester denken oft ähn- lich: Nur nicht zu konkret werden! Aber Weihnachten ist ungeheuer konkret, da geht es um ein geschichtliches Ereignis. Da geht es darum, dass Gott ganz konkret wird. Vom Licht reden, dass jeden Men- schen erleuchtet, das können wir alle, das passt gut in ein allgemeines Weltbild. So wie viele sagen: Ich glaube an eine höhere Gott ist konkret Macht, die uns lenkt; oder noch einfacher: Irgendetwas Höheres muss es geben! Doch das Wort, der logos, bleibt nicht abs- trakt, sondern wird „Fleisch“, wird Mensch. Der Johannesprolog hat zu allen Zeiten Künstler und Poeten inspiriert, Er „hat unter uns gewohnt“, wörtlich heißt ein klassisches Beispiel aus der Literatur ist ein Text aus Goethes Faust. es: „Er hat sein Zelt unter uns aufgeschla- Kardinal Schönborn hat dies in einer Weihnachtspredigt näher betrachtet gen“, ganz konkret ist er da. Im Ersten Jo- hannesbrief steht der wunderbare Satz: Der Beginn des Johannes-Evangeliums historischen Ereignissen: „Ein Mann trat „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8). Auch das mag ist zweifellos einer der größten Texte der auf, Johannes war sein Name, von Gott sehr abstrakt klingen. Aber kann Liebe Weltliteratur. Der große deutsche Dichter gesandt, er sollte Zeugnis ablegen.“ Plötz- abstrakt sein? Kann es abstrakt bleiben, Johann Wolfgang von Goethe hat den Text lich ist es nicht mehr dieser Höhenflug, wenn Gott uns so geliebt hat, dass er in seinem Theaterstück „Faust“ themati- sondern es geht konkret um ein Zeugnis, siert: Faust versucht in seiner Studierstu- um eine Geschichte, um etwas, das es zu be das Johannes-Evangelium zu überset- glauben gilt. zen. Im Anfang war der „logos“, heißt es im Licht und Finsternis sind große Sym- griechischen Text des Neuen Testaments. bole, über die sich viel spekulieren lässt. Wie soll er das übersetzen? Im Anfang war Aber beim Zeugnis stellt sich die Frage: das „Wort“. Ja, gewiss! Aber „logos“ heißt Wird es angenommen oder wird es ab- auch „Sinn“, heißt auch „Kraft“. All das ge- gelehnt? Dieses ganz Konkrete kommt Kardinal Chris- nügt Faust nicht und schließlich übersetzt in Goethes Faust mit der berühmten toph Schön- er: „Im Anfang war die „Tat“. Und er hat Frage des Gretchens zum Ausdruck, die born ist Erzbi- damit gar nicht so unrecht. Denn in der sie Faust stellt: „Nun sag, wie hast du’s schof von Wien. Sprache des Alten Testaments, im Hebräi- mit der Religion?“ Zum Weihnachtsfest schen, steht der Ausdruck „dabar“ sowohl – mit all den erhabenen Gefühlen, mit seinen Sohn gesandt hat? Liebe entsteht Maria mit Jesuskind: Thomas Bosina | Schönborn: Erdiözese Wien/Stephan Schönlaub für „Wort“ als auch für „Tat“. So lautet der dem wunderschönen Gottesdienst, der immer zwischen Personen, sie ist konkret. erste Satz der Bibel: „Im Anfang schuf Musik – eine überraschende Frage: Wie Sie fordert Gegenliebe, sie spricht uns an, Gott Himmel und Erde.“ Das ist „Wort hast du’s mit der Religion? Faust weicht sie ist Anspruch. und Tat“ zugleich. aus und antwortet: Gott hat es uns leicht gemacht zu lie- Mein Liebchen, wer darf sagen: ben, er ist nicht als der Allmächtige ge- Licht und Finsternis ich glaub’ an Gott?“ kommen, sondern als Kind. Und was fällt Der Evangelist Johannes lässt uns einen Wer darf ihn nennen? uns leichter, als ein Kind zu lieben? Gott ist wunderbaren Höhenflug erleben, er Und wer bekennen … als Kind zu uns gekommen, ganz konkret. schreibt ein Loblied auf die höchsten gött- Nenn’ es dann, wie du willst, Das Kind wartet darauf, dass wir mit Liebe lichen Geheimnisse: „Das Licht leuchtete Nenn’s Glück! antworten. in der Finsternis. Und die Finsternis hat Herz! Liebe! Gott! Gedanken von Kardinal Christoph es nicht erfasst.“ Aber dann kehrt er auf Ich habe keinen Namen Dafür! Schönborn zum Evangelium den Boden der Wirklichkeit zurück und un- Gefühl ist alles; am Hochfest der Geburt des Herrn, terbricht das Loblied mit ganz konkreten Name ist Schall und Rauch … 25. Dezember 2012 (Joh 1,1-14) Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 11
Im Anfang war das Wort Habt keine Gottesangst! dem Zuviel? Leider haben Kirchenleute solche Ängste gegenüber Gott auch noch verstärkt. Ich habe in meinem seelsorg- Welches Bild von Gott haben die Menschen unserer Gesellschaft lichen Tun Leute getroffen, die eine „Hei- heute? Und welches Wort aus der Heiligen Schrift findet sich so oft, denangst“ vor Gott hatten. Bitter ist, dass dass wir es uns täglich zu Herzen nehmen dürfen? dieses Schüren der Gottesangst den ver- Gedanken in unsicheren Zeiten von Paul M. Zulehner ängstigten Menschen nicht geholfen hat, wohl aber die Macht der Kirche gestärkt Nicht erst in der Zeit der Pandemie treibt hat. Angst sichert Macht: Eine große Ver- immer mehr Zeitgenossinnen und Zeitge- suchung nicht nur in der Kirche, sondern nossen die Frage nach Gott um. Hier sind auch in der Politik. ein paar erhellende Zitate aus den Texten Paul M. Zulehner von Teilnehmenden an der großen Coro- ist emeritierter Jesus hat Angst nicht na-Umfrage, an der sich weltweit über Professor für kleingeredet, sondern 14.200 Menschen beteiligt haben. Einige Pastoraltheologie, „aufgeschultert“ Studienteilnehmende machen zur Gottes- Religions- und Wenn es stimmt, steht in der Bibel 366 frage kritische Anmerkungen: „Das Got- Wertforscher Mal „habt keine Angst!“ oder „Fürchtet tesbild trägt überhaupt nicht mehr.“ „Die und Buchautor. euch nicht“. Jener Gott, für den Jesus Kirchen verharren immer noch in mittel- steht, macht nicht Angst, sondern heilt alterlichen Gottesbildern.“ Eine Frau mitt- wahrzunehmen. Das lehrt die Tiefenpsy- von dieser, indem er in ihr bestehen hilft. leren Alters stellte fest, dass „Kirche und chologin Monika Renz. Es ist die Urangst Jesus hat die Angst nicht kleingeredet. der Glaube an Gott sich nicht mehr be- davor, dass es „zu viel“ ist, was auf uns ein- Vielmehr hat er sie bei seinem Sterben in dingen“. Eine andere schaute besorgt auf strömt, und zugleich „zu wenig“, was wir dramatischer Weise erlitten. Es war, als unsere Kirche und vermerkte: „Kann sich zum eigenständigen Überleben brauchen, ob es eine Art Weltangst gibt, die Jesus das eine Kirche leisten, die als Institution sobald die Nabelschnur abgeschnitten ist. im Sterben aufgeschultert worden ist. ihre Kraft verloren hat? Aber Spiritualität Diese Urangst findet immer wieder neue So hat er uns ein vorgelebt, dass und wie gibt es doch... der Geist weht, wo er will. Gesichter. Zum Beispiel in der Flüchtlings- es möglich ist, selbst in der schwersten Mir wäre lieber, wenn er in meiner Kirche zeit: Da kommen zu viele! Und wenn sie physischen und moralischen Angst in die- spürbarer wäre.“ Nachdenklich macht die kommen, reicht es nicht mehr für uns! ser Welt und vor Gott zu bestehen. Jesus Bemerkung eines Befragten, ihm fehle es Auch in der Coronazeit fühlen viele sich konnte eine Gegenkraft gegen die an- an „positiven Begründungen – außer der ohnmächtig und überfordert zugleich. drängende Angst mobilisieren: ein tiefes Angst: z.B. ein Gottesverständnis in heu- Könnte es sein, dass wir diese Ängste Vertrauen in seinen Gott. In dessen Hände tigen Denkkategorien und eine Kirche, die auch auf Gott projizieren? Steckt nicht in ließ er sich in seiner Todesangst fallen. uns zu glauben hilft.“ uns die Angst, dass Gott zu viel von uns Nun haben alle Menschen Angst, seit verlangt und dass wir es nie schaffen, Fürchtet euch nicht! wir im Schoß der Mutter angefangen ha- seinen Ansprüchen zu genügen – also „Fürchtet euch nicht!“ heißt also für Jesus: ben, uns gegenüber einer fremden Welt wieder die Angst vor dem Zuwenig und „Vertraut auf Gott!“ Ihr könnt euch auf ihn verlassen! Dann könnt ihr in jeder Angst Paul M. Zulehner, Bange Zuversicht. Was bestehen: in der Angst vor der Pandemie, Menschen in der Corona-Krise bewegt, er- vor schutzsuchenden Menschen, mora- scheint Jänner 2021 im Patmos Verlag: lisch vor Gott nicht bestehen zu können, Die Coronapandemie hat das Lebensgefühl der Men- zu wenig das gelebt zu haben, worauf es schen tiefgreifend verändert. Zum Schutz von Risiko- einzig ankommt, ein liebender Mensch gruppen wurde vorübergehend das gesellschaftliche zu werden; in der Angst vor dem Tod und Leben zum Stillstand gebracht – z. T. mit dramatischen der Vergänglichkeit, also davor, dass am Folgen für Wirschaft und Gesellschaft, aber auch für Ende der Tod stärker ist als die Liebe. Das die christlichen Kirchen. Grundsätzliche Fragen werden Einzige, was wir selbst beitragen können aufgeworfen und diskutiert. Was hat Vorrang: Gesund- ist, uns mit der Quelle des Urvertrauens heit und Sicherheit oder Freiheit und Wirtschaft? zu verbinden, die Gott selbst ist. Eine internationale Online-Umfrage in zehn Spra- Das gelingt mehr Menschen, mit de- Zulehner: Franz Reisenhofer chen hat die Meinungslage in den Bevölkerungen nen wir leben, als wir ahnen. Noch einmal eingeholt und tiefe Spaltungen festgestellt. Die Er- aus der Corona-Umfrage: „Ich spüre, wie gebnisse der Studie werden von Paul M. Zulehner Gott für uns sorgt.“ Es ist das „Gottver- präsentiert und pastoraltheologisch interpretiert. trauen, das mir die Angst nimmt“. 12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
▶ Kummer und Sorgen: „Es wird al- les gut“, „Der HERR ist mein Hirte ...“ (Psalm 23), „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir“ (Psalm 130) ▶ Liebeskummer: „Liebste Gottesmutter, ich danke Dir innigst, dass Du meine Bitte nicht erfüllt hast!“ (gelesen auf Votivtafeln in Einsiedeln) ▶ Lieblosigkeit, Kränkung: „Ich liebe dich Hausapotheke gefüllt mit trotzdem und mich auch“ ▶ Hoffnungslosigkeit: „Morgen ist ein neuer Tag, ich schaffe das, ich bin tüch- guten, heilsamen Worten tig“, „Der HERR ist mein Hirte“, „Jesus, Du bist meine Hoffnung“ ▶ Traurigkeit: „Es wird alles wieder „Sprich nur ein Wort und meine Seele ist gesund“ – Die langjährige gut“, „Morgen wird wieder die Sonne Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Hedwig Ücker-Geischläger scheinen!“ bietet einen Einblick in die Erkenntnisse der Hirnforschung und ▶ Enttäuschung: „Wirf Deine Sorge auf wie man sich diese Ergebnisse zunutze machen kann: indem man den Herrn, ER hält dich aufrecht!“ sich eine „Hausapotheke“ an guten Worten anlegt ▶ Verzweiflung: sich folgende Segens- worte zusagen: „Der Herr segne mich, Worte sind wirksam wichtigsten Erkenntnisse ist, dass nicht ER beschütze mich, und wandle das wie Medikamente nur Verhalten zu einer Veränderung der Leid in Freude“ Der Neurobiologe, Professor und Hirn- Gehirnstruktur führt, sondern auch um- ▶ Schlaflosigkeit: „In Frieden lege ich forscher Joachim Bauer an der Univer- gekehrt die Gehirnstruktur eine Änderung mich nieder und schlafe ein; denn du sität Freiburg schreibt in seinem Buch des Verhaltens bewirken kann. Der Schlüs- allein, Herr, lässt mich sorglos ruhen.“ „Selbststeuerung“: „Da unser Gehirn sel dazu sind unsere Gedanken und die (vgl. Psalm 4,9) Kommunikation in Biologie verwandelt, damit verbundene mentale Kraft. ▶ Sehnsucht nach Geborgenheit: Du, können Worte – das lässt sich wissen- Schließlich beschrieb schon vor Jah- Herr umfängst mich von allen Seiten schaftlich einwandfrei nachweisen – auf ren der Hirnforscher Gerald Hüther in und legst Deine Hand auf mich. (vgl. die gleichen biologischen Rezeptoren (Ge- seinem Buch „Bedienungsanleitung für Psalm 139) hirnzellen) einwirken wie Medikamente. ein menschliches Gehirn“, dass wenn wir ▶ (Innerer) Konflikt: „Komm o Geist der Nicht nur die Beobachtung von Taten, etwas Gutes denken, es sich verwirklichen Heiligkeit...“ (Risiken und Nebenwir- sondern auch das Lesen oder Hören von wird. Es ist - wie bei einem Weg - zuerst kungen dazu finden Sie im Liedtext Wörtern zeigt konkrete Wirkung, haben ein Trampelpfad, dann irgendwann eine im Gotteslob) also eine Macht. schöne Straße und irgendwann kann es ▶ Innere Dunkelheit: „Der HERR ist mein Interessantes berichtet auch die Trau- auch zu einer Autobahn werden, auch im Licht und mein Heil“ (aus Psalm 27) matherapeutin Prof. Luise Reddemann, Gehirn. Und weil es dann immer schwerer ▶ Streit: „Heiliger Geist, bitte um Hilfe“ nämlich, dass Vorstellungen unser Ge- fällt, diese eingefahrenen Bahnen (vor al- ▶ Trost: „Zu dir, HERR, erhebe ich meine hirn verändern. Daher sind gute Worte lem, wenn sie Negatives beinhalten) spä- Seele, mein Gott, auf dich vertraue ich“ wirksam wie Medikamente. Die Erkennt- ter wieder einmal zu verlassen, sollte die (aus Psalm 25) nis der Neuroplastizität zeigt uns, wozu Entscheidung, wie und wofür man sein unser Gehirn in der Lage ist und eine der Gehirn benutzt, mit viel Umsicht und Be- Diese Liste ist eine persönliche Aus- dacht gefällt werden. wahl und ich empfehle Ihnen, sich selbst Ücker-Geischläger: Ferdinand Zott | Tim Reckmann_pixelio.de so eine Liste nach Ihren eigenen Bedürf- Hedwig Ücker- Hausapotheke an guten Worten nissen zusammenzustellen. Geischläger, Es empfiehlt sich daher, bei folgenden Wichtig ist, dass Sie positive, auf- Fachärztin für „Beschwerden“ sich nachstehende Sätze bauende und glücklich machende Worte Neurologie und vorzusagen bzw. einzuprägen: wählen. Je mehr ein gutes Wort zum Ohr- Psychiatrie, ist seit ▶ Angst: „Es geht mir gut“, „Ich bin frei wurm wird – desto wirksamer und heil- vielen Jahren als von Angst“, „Ich bin mutig und stark“, samer wird es sein. Psychotherapeu- „Ich kann, was ich will“, „Es kommt zu- Paracelsus schrieb bereits vor langer tin und Psycho- nehmend Friede“, „Freude und Friede Zeit und es ist immer noch gültig: „Der analytikerin tätig. kommen allmählich“ Urquell aller Arznei ist die Liebe! Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 13
Im Anfang war das Wort »Worte, die verwandeln!« Zisterzienserpater Amadeus an die vielen Berufungsworte Jesu „Fol- betes vor der Beichte von uns damaligen Hörschläger kann auf eine ge mir nach!“ oder seine Heilungsworte Kindern: „O Gott, du hassest die Sünde, lange und reiche seelsorgliche „Steh auf und geh!“. du strafest sie strenge und ich habe so viel Tätigkeit zurückblicken und gesündigt…“ Was hatten wir doch manch- weiß: Nur Worte, die authentisch Verkündigung muss mal furchtbare Angst wegen – von heute sind, haben eine verwandelnde authentisch sein aus gesehen – jeder Kleinigkeit gleich in Kraft. Damit die Frohe Botschaft Dass Worte verwandeln können, dessen die Hölle zu kommen! Worte verwandeln von Gott bei den Menschen müssen wir uns, die wir in der Verkündi- nicht nur zum Guten, sie können auch viel ankommt und etwas in ihrem gung stehen, aber stets bewusst sein. Wie Schlimmes bewirken, dessen müssen wir Leben verändert, muss sie in oft habe ich in meinem Priesterleben dies uns auch bewusst sein. Nicht umsonst wird einer Sprache vermittelt werden, auch schon erfahren dürfen, sei es einfach Papst Franziskus nicht müde, immer wieder die auch verstanden wird. nach einer Predigt oder im Zusammenhang auf die Barmherzigkeit Gottes hinzuweisen. mit einer Spendung von Sakramenten, ei- „Worte, die verwandeln!“ – Natürlich nem Begräbnis oder schlicht und einfach Hört auf die Stimme des Volkes! denkt man bei dieser Überschrift als from- bei einem seelsorglichen Gespräch (oft Das Wort Jesu „geht hinaus und verkün- mer Christ sofort an die „Wandlungswor- auch noch Jahre später wenn ich längst det den Menschen die Frohe Botschaft“ te“ bei der Heiligen Messe, aber das ist nicht mehr weiß, was ich damals gesagt ist ein ganz besonderer Auftrag an uns hier, trotz seiner Richtigkeit, wohl nicht habe, aber der Betroffene weiß es bis heu- und dazu gehört es, dass wir die Sprache gemeint. „Worte, die verwandeln“, sind te). Für mich ist es ganz wichtig, dass mein der Menschen nicht nur sprechen, son- Worte, die uns irgendwann im Innersten Reden und Verkünden authentisch ist: nicht dern auch verstehen. „Hört auf die Stim- so betroffen gemacht haben, dass wir un- fromme und salbungsvolles Sprüche ver- me des Volkes!“ hat vor kurzem Kardinal sere Lebensweise, ja vielleicht sogar unser wandeln, sondern wenn der Angespro- Schönborn den neugeweihten Priestern ganzes Leben in einem anderen Licht se- chene davon überzeugt ist, dass das was und Diakonen im Stift Heiligenkreuz hen und damit abändern bzw. verwan- ich sage, auch in meinem eigenen Leben aufgetragen. Aber bereits Martin Luther deln. Sehr oft kommt dies ja im Gespräch seinen Platz hat. „Wasser predigen und hat auch schon gesagt: „man muss dem mit einem Arzt zum Tragen – wenn wir im Wein trinken“ verursacht ganz zu Recht Volk auf’s Maul schauen“. Ich denke hier weltlichen Bereich bleiben – aber gerade gehörigen Unmut. Aber auch herunter- gibt es öfters doch noch einiges zu ver- auch im kirchlich-religiösen Bereich hat es gelesene Predigten aus dem Internet und bessern. Mein Wunsch ist es immer so große Bedeutung und Wirkung. „So kenn leerstehende Phrasen werden kaum je- zu verkünden, dass die Menschen etwas ich dich eigentlich nicht, du hast dich to- manden verwandeln, sie werden vielleicht für ihr Leben mitnehmen können und es tal verwandelt“, ist dann meist die Reak- Zustimmung finden, aber dabei bleibt es. damit dann vielleicht auch zum Besseren tion unserer Umgebung. Die Bedeutung Leider muss ich auch immer wieder erfah- verwandeln. von „Umkehr“, von der Jesus so oft redet, ren, gerade in der älteren Generation, dass findet ihren Ursprung häufig in Worten, in früherer Zeit die Worte mancher Priester die uns dann verwandeln. Wenn wir die durchaus Angst und Schrecken verursach- hl. Schrift hernehmen, so finden wir eine ten, die sich oft bis heute „festgesetzt“ ha- P. Amadeus Hör- unendliche Fülle von Beispielen. Es sind ben. Man hat manchmal die Menschen in schläger OCist Gottes Worte an bestimmte Menschen, wahrsten Sinn des Wortes „abgekanzelt“. ist emeritierter die etwas bewirkt haben, wie es bei Je- Auch viele schulische Aussagen so mancher Bischofsvikar und saja (55,11) heißt: „Mein Wort kehrt nicht Katecheten im Religionsunterricht sind bis Ehrenkanoniker Hörschläger: privat leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was heute noch angstmachend. Da ich ja auch des Metropolitan- ich will und das zu erreichen, wozu ich es schon dieser Generation angehöre, weiß und Domkapitels ausgesandt habe“. Denken wir aber auch ich noch immer den Anfang des Reuege- zu St. Stephan. 14 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
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