Feminismus ist für alle da - Amnesty International

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Feminismus ist für alle da - Amnesty International
AMNESTY                                                  JOURNAL
MAGAZIN FÜR
MENSCHENRECHTE
02/22
MÄRZ / APRIL                                                                    WWW.AMNESTY.DE/JOURNAL

                                             Feminismus
                                             ist für alle da                 Frauenrechte weltweit

     Drecksarbeit für Europa                 Musik ist jetzt verboten
     Wie Geflüchtete in der türkischen        Das Afghan National Institute
     Recyclingindustrie ausgebeutet werden   of Music macht im Exil weiter
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
INHALT                                                                                                       Einen Schritt vor,
                                                                  12                                         zwei zurück.
                                                                                                             Sexismus ist derzeit
                                                                                                             leider nicht totzukrie-
                                                                                                             gen. Dabei würden
                                                                                                             alle Menschen von
                                                                                                             mehr Feminisimus
                                                                                                             und Gleichberechti-
                                                                                                             gung profitieren –
TITEL: FRAUENRECHTE                                                                                          nicht nur in Deutsch-
Diskriminierung: Der lange Weg zur Gleichberechtigung      12                                                land, sondern überall
                                                                                                             auf der Welt.
Porträts: Manuela Haase — Eine, die sich durchsetzt        16
Maria Teresa Rivera — Leider kein Einzelfall               17
Afghanistan: »Kämpfende Frauen« gegen Taliban              18
Kulturtipps: Nicht nur für Frauen                          22
                                                                »Männer sollten lieber
                                                                auf Frauen hören, wenn                                      26
                                                                es um Sexismus geht.«
Periodenarmut: Tasse statt Tabu                            23   Viele Frauen werden
                                                                mehrfach diskriminiert –
Femizide in Mexiko: Das Risiko, eine Frau zu sein          24
                                                                etwa dann, wenn sie
Intersektionalität: Die Politologin Emilia Roig spricht         Rassismus erfahren.
im Interview über Hierarchien und Diskriminierung          26   Die Politologin Emilia
                                                                Roig macht darauf
                                                                aufmerksam, wie sich
POLITIK & GESELLSCHAFT                                          Unterdrückungssysteme
                                                                verschränken.
Ausbeutung von Geflüchteten:
In den Plastikmüllbergen von Adana                         30
Israel-Bericht von Amnesty: Keine einfache Lektüre
Menschenrechte sind universell
                                                           34
                                                           35    36                                          Gold oder Teilhabe?
                                                                                                                  Die Paralympics
                                                                                                               könnten die gesell-
Paralympics in Peking: Behinderte Athlet_innen in China    36                                                 schaftliche Lage von
                                                                                                             Menschen mit Behin-
Indigene bedroht: Bolsonaro gegen die »Terra Indígena«     40
                                                                                                               derung verbessern.
Mine in Guatemala: Die Rechte der Q’eqchi’                 44                                                Beim aktuellen Gast-
                                                                                                              geber China geht es
Graphic Report: Meinungsfreiheit – Mundtot gemacht         46                                                       aber mehr um
                                                                                                                 Medaillen als um
Nordkorea: Datenbanken gegen Erschießungen                 50
                                                                                                                 Menschenrechte.
Internationales Strafrecht: Zeit für eine Bewertung        52

KULTUR                                                          »Musik ist unser Recht.«

Afghanische Musik: Noten verboten                          56
                                                                  Mädchen und Jungen in
                                                                   gemeinsamen Klassen,
                                                                                                                            56
Rechtsextreme Verlage: Verbal aktiv                        60    angesehene Ensembles,
                                                                   Dirigentinnen am Pult:
Kunst auf den Philippinen: Wenig aussprechen, viel sagen   62   Das Afghanistan National
                                                                 Institute of Music schlug
Unternehmerin in Ägypten:                                             auch gesellschaftlich
Die Buchhändlerin und Autorin Nadia Wassef                 64        einen neuen Takt an.
                                                                     Seit der Rückkehr der
Kochen für Diktatoren: Kulinarische und andere Vorlieben   66
                                                                    Taliban ist das Institut
Graphic Novel »Erdoğan«:                                                 in Kabul verwaist.
Gefangen zwischen Moschee und Kaserne                      68
Abiodun Oyewole: Urvater des Rap                           70
                                                                                                    »Dieses Buch ist

RUBRIKEN
                                                                                               66   eine Warnung.«
                                                                                                    Pol Pot, Idi Amin, Saddam
                                                                                                    Hussein, Enver Hoxha und
Panorama 04 Einsatz mit Erfolg 08 Spotlight: Menschenrechte                                         Fidel Castro: In seinem Buch
in Russland 38 Was tun 48 Porträt: Alejandra Ancheita 54                                            »Wie man einen Diktator
Dranbleiben 55 Rezensionen: Bücher 69 Rezensionen: Film &                                           satt bekommt« zeigt der
Musik 71 Briefe gegen das Vergessen 72 Aktiv für Amnesty 74                                         polnische Journalist Witold
Kolumne: Eine Sache noch 75 Impressum 75                                                            Szabłowski, wie viel Essen
                                                                                                    über die Politik oder das
                                                                                                    Regime in einem Land aussagt.

2 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
18                                                               Am Abgrund.
                                                               Seit die Taliban in                    EDITORIAL
                                                                                                      VIEL BEWEGEN,
                                                          Afghanistan wieder an
                                                        der Macht sind, verlieren
                                                            Frauen immer mehr

                                                                                                      VIEL KLICKEN,
                                                             Rechte. Die Gruppe
                                                           »Kämpfende Frauen«
                                                               wehrt sich, so gut

                                                                                                      VIEL LESEN
                                                                         sie kann.

                                                                                                      Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Aber der 8. März
                                                                                                      ist nur einer von vielen Gründen, warum wir uns in dieser
             Sie machen                                                                               Ausgabe den Frauenrechten widmen. In Afghanistan haben
        die Drecksarbeit
             für Europa.
                                                                                30                    sich die Lebensbedingungen vieler Frauen und Mädchen
     Dass der Export von                                                                              seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer vergan-
   europäischem Plastik-                                                                              genen Jahres deutlich verschlechtert. Und im Norden Mexi-
 müll immense Umwelt-
                                                                                                      kos begann das Jahr 2022 mit einem Doppelmord an einem
        probleme in den
  Ländern verursacht, die                                                                             lesbischen Paar. Knapp 20 Seiten umfasst unser Schwer-
 ihn verarbeiten, hat sich                                                                            punkt, der Frauen aus aller Welt, ihre Rechte und Kämpfe,
      herumgesprochen.                                                                                ihre Errungenschaften und Erfolge in den Blick nimmt und
  Kaum bekannt ist, dass
  dabei auch Geflüchtete                                                                              der auch nach dem 8. März noch wichtig bleibt.
    ausgebeutet werden.
                                                                                                      Im Jahr 2020 haben wir unsere Website neu gestaltet. Im
                                                                                                      Jahr 2021 folgte ein Relaunch des Amnesty Journals – so-
                                                              Schutzgebiete, die
 40                                                           nicht mehr schützen.
                                                              In Brasilien setzt
                                                                                                      wohl der gedruckten Ausgabe als auch des E-Papers. Nun
                                                                                                      haben wir auch unsere App für Tablets überarbeitet. Wenn
                                                              die Regierung des                       Sie zu den Leser_innen gehören, die das Journal am liebsten
                                                              rechtsextremen
                                                                                                      auf einem Tablet ansteuern, dann gibt es dort jetzt viel
                                                              Präsidenten Indigene
                                                              zunehmend unter                         Neues zu entdecken. Und wer die kostenlose App, die für
                                                              Druck. Gesetzes-                        alle gängigen Betriebssysteme zur Verfügung steht, noch
                                                              vorhaben, Land-
                                                                                                      nicht kennt: Sie lohnt sich, schauen Sie doch mal in Ihren
                                                              konflikte und
                                                              gewaltsame Angriffe                     App- oder Playstore.
                                                              bedrohen ihre Rechte.
                                                                                                      Und noch ein Tipp für alle, denen die Lektüre des Amnesty
                                                                                                      Journals nicht ausreicht: Am 29. März 2022 erscheint der
                                                                                                      Amnesty Report 2021/22. In 154 Länderkapiteln, fünf Regio-
  Die Toilette
  als Befreiung der Frau.                                                      64                     nalkapiteln und übergreifenden Analysen beleuchtet Am-
                                                                                                      nesty International darin die weltweite Menschenrechtslage
  Nadia Wassef gründete
  den legendären Buchladen                                                                            im Jahr 2021. Wir geben Antworten auf große Fragen: Wel-
  »Diwan« in Kairo. Der ist                                                                           che Auswirkungen hatte das zweite Jahr der Pandemie auf
  vor allem für Frauen zu
  einem Ort der Begegnung                                                                             die Menschenrechte? Wie hat sich die Situation von Frauen
  geworden. Darüber hat sie                                                                           und Mädchen, LGBTI+, Journalist_innen und Menschen-
  ein Buch geschrieben, das                                                                           rechtsverteidiger_innen entwickelt? Auch die Themen
  hilft, Ägypten besser zu
  verstehen.
                                                                                                      Klimawandel, Impfgerechtigkeit, Flucht und Migration so-
                                                                                                      wie Rassismus und Diskriminierung werden unter länder-
                                                                                                      spezifischen Aspekten analysiert. Die einzelnen Kapitel
                                                                                                      werden auf amnesty.de veröffentlicht, können aber auch
                                                                                                      als Buch bestellt werden. Wir wünschen gute Lektüre!

                                    Titelbild: Kundgebung zum                                                        Maik Söhler
                                    Internationalen Frauentag am                                                     ist verantwortlicher Redakteur
                                    8. März 2021 in La Paz, Bolivien.                                                des Amnesty Journals.
                                    Foto: David Mercado / Reuters                                                    Foto: Gordon Welters

Fotos und Zeichnung oben: Joan Amengual / VIEWpress / Getty Images | Ilir Tsouko | André Gottschalk
Emre Çaylak | Yang Shiyao / Xinhua / imago | Nara Nasco | Marcus Yam / Los Angeles Times / Polaris / laif
Basso Cannarsa / Opale / laif | Apic / Getty Images                                                                                          AMNESTY JOURNAL | 02/2022 3
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
PANORAMA

 IM OSTEN DER UKRAINE
      Am 21. Februar 2022 erkannte
der russische Präsident Wladimir
     Putin die von Separatist_innen
  kontrollierten Gebiete im Osten
     der Ukraine als unabhängig an
     und schickte militärische Trup-
         pen in die »Volksrepubliken
      Luhansk und Donezk«. In den
      Wochen zuvor hatte Russland
      seine Einheiten an der Grenze
zur Ukraine massiv verstärkt. Pu-
 tin forderte Sicherheitsgarantien
von der NATO. Das westliche Mi-
   litärbündnis betonte die Souve-
  ränität der Ukraine und verlegte
    seinerseits Truppen in osteuro-
    päische NATO-Mitgliedstaaten.
  Bereits seit 2014 schwelt ein be-
     waffneter Konflikt um die Ost-
    ukraine zwischen Russland und
    der Ukraine. Auf seinem Höhe-
     punkt starben mehr als 13.000
Menschen, mehr als eine Million
     Menschen wurden vertrieben.
     Amnesty International ruft zur
     Achtung des humanitären Völ-
       kerrechts und der Menschen-
    rechte auf. Der Schutz der Zivil-
bevölkerung müsse oberste Prio-
 rität haben. »Es müssen alle An-
strengungen unternommen wer-
  den, um das Leid der Zivilbevöl-
kerung zu minimieren. Dazu sind
alle Parteien gesetzlich verpflich-
tet«, sagte die internationale Ge-
       neralsekretärin von Amnesty
  International, Agnès Callamard.
 Das Bild zeigt ukrainische Solda-
    ten in einem Unterstand in Po-
 pasna, Ostukraine. Aktuelle Ent-
     wicklungen wurden auf diesen
   Seiten bis zum 22. Februar 2022
                      berücksichtigt.
                  Foto: Brendan Hoffman /
            The New York Times / Redux / laif

4 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
AMNESTY JOURNAL | 02/2022 5
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
KEIN DURCHKOMMEN
Immer mehr Menschen aus Mittel- und Südamerika versuchen, vor Armut, Gewalt und
Naturkatastrophen in die USA zu fliehen. Die US-Regierung hat zentralamerikanische
Länder und Mexiko um Hilfe gebeten, um zu verhindern, dass große Gruppen bis an
die US-Grenze gelangen. Doch machen sich weiterhin viele verzweifelte Menschen auf
den beschwerlichen Weg. Das Bild zeigt eine Frau auf der Flucht vor einer Barriere
des guatemaltekischen Militärs im Grenzgebiet zu Honduras.
Foto: Delmer Martinez / AP / pa

6 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
ZURÜCK IN DER SCHULE
Im März 2020 hatten sie ihre Klassenzimmer zuletzt von innen gesehen, jetzt durften
rund 15 Millionen ugandische Schüler_innen wieder in die Schule. Der ostafrikanische Staat
zählt zu den Ländern mit den weltweit längsten Schulschließungen während der Corona-
Pandemie. Kinderhilfsorganisationen kritisierten die Schließungen scharf: Sie befürchten,
dass viele Kinder nicht wieder in den Lernalltag zurückfinden und die Schule abbrechen.
Foto: Esther Ruth Mbabazi /The New York Times / Redux / laif

                                                               AMNESTY JOURNAL | 02/2022 7
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
EINSATZ MIT ERFOLG                                                                                  POLEN
                                                                                                    Am 12. Januar 2022 hat ein Gericht den Frei-
Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen an den                                                   spruch von drei LGBTI-Aktivistinnen bestätigt.
»Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und                                             Ela, Anna und Joanna hatten ein Poster plaka-
an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser                                    tiert, das die Jungfrau Maria mit einem Heili-
Einsatz Folter verhindert, die Freilassung Gefangener bewirkt und                                   genschein in Regenbogenfarben zeigte. Sie wa-
Menschen vor unfairen Prozessen schützt, zeigt unsere Weltkarte.                                    ren deshalb 2019 wegen »Verletzung religiöser
Siehe auch: www.amnesty.de/erfolge                                                                  Gefühle« angeklagt worden, was in Polen mit
                                                                                                    bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden kann.
                                                                                                    Nachdem sie im März 2021 freigesprochen wor-
                                                                                                    den waren, hatte die Staatsanwaltschaft Rechts-
                                                                                                    mittel gegen das Urteil eingelegt. Nach dem
                                                                                                    Sieg der Aktivistinnen im Berufungsverfahren
                                                                                                    bezeichnete Catrinel Motoc vom Europa-Regio-
                                                                                                    nalbüro von Amnesty International das Urteil
                                                                                                    als »eine große Erleichterung«. Es dürfe aber
                                                                                                    nicht darüber hinwegtäuschen, »dass die drei
                                                                                                    Frauen gar nicht erst vor Gericht hätten gestellt
                                                                                                    werden dürfen«.

PERU
Das peruanische Außenministerium informierte
Amnesty International am 17. Dezember 2021,       BRASILIEN
dass 4.244 minderjährige Asylsuchende einen       Ein Richter des Obersten Gerichtshofs hat am
Einwanderungsstatus aus humanitären Grün-         3. Dezember 2021 ein weiteres Ermittlungsver-     ÄGYPTEN
den erhalten hätten. Verschiedene Organisatio-    fahren gegen Präsident Jair Bolsonaro wegen       Am 23. Dezember 2021 wurde die ägyptische
nen hatten kritisiert, dass zwar erwachsene       Verbreitung von Falschinformationen in Zu-        Menschenrechtsaktivistin Sanaa Seif aus dem
Asylsuchende diese befristete Aufenthaltsge-      sammenhang mit der Corona-Pandemie ange-          Gefängnis entlassen, nachdem sie ihre Haftstra-
nehmigung seit Juni 2021 erhalten konnten,        ordnet. Bis Dezember 2021 waren in Brasilien      fe verbüßt hatte. Sie war am 23. Juni 2020 von
Minderjährige jedoch nicht. Ohne dieses Doku-     mehr als 600.000 Menschen im Zusammen-            den Sicherheitskräften abgeführt worden, als
ment haben Asylsuchende in Peru jedoch kei-       hang mit dem Coronavirus gestorben. Viele der     sie bei der Staatsanwaltschaft in Kairo einen
nen Zugang zu Grundrechten wie Gesundheit         Todesfälle wären vermeidbar gewesen, wenn         brutalen Angriff auf sie zur Anzeige bringen
und Bildung. Weltweit hatten Mitglieder und       sich die Regierung konsequent um den Gesund-      wollte. Am 17. März 2021 hatte ein Gericht Sanaa
Unterstützer_innen von Amnesty in Briefen an      heitsschutz gekümmert hätte. Stattdessen spiel-   Seif aufgrund haltloser Vorwürfe wie »Verbrei-
die peruanische Regierung gegen die Diskrimi-     te sie die Auswirkungen der Pandemie herunter     tung von Falschinformationen«, »Missbrauch
nierung der Kinder und Jugendlichen protestiert   und propagierte unwirksame Behandlungsme-         sozialer Medien« und »Beleidigung eines Poli-
und sich für die minderjährigen Asylsuchenden     thoden. Außerdem standen weder genügend           zisten im Dienst« zu 18 Monaten Haft verurteilt.
eingesetzt.                                       Impfstoffe noch medizinische Ausrüstung wie       Mitglieder und Unterstützer_innen von Amnes-
                                                  zum Beispiel Sauerstoffvorräte zur Verfügung.     ty International hatten mit Petitionen und Brie-
                                                  Amnesty hatte eine Untersuchung der Vorwürfe      fen an die ägyptischen Behörden die Freilas-
8 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                       gefordert.                                        sung der Menschenrechtsaktivistin gefordert.
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
TÜRKEI                                                                         BRIEFE GEGEN
Zumindest gilt er nun nicht mehr als »ver-                                     DAS VERGESSEN – UPDATES
schwunden«: Im Oktober 2021 wurde bekannt,
dass sich Hüseyin Galip Küçüközyiğit im Gefäng-                                Mit den Briefen gegen das Vergessen (siehe Seite 72)
nis Sincan nahe Ankara befindet. Der ehemalige                                 können sich alle gegen Unrecht stark machen – allein
Rechtsberater des Premierministers galt seit                                   zu Hause oder gemeinsam mit anderen. In jedem
dem 29. Dezember 2020 als vermisst. Obwohl                                     Amnesty Journal rufen wir dazu auf, an Regierungen
seine Tochter Nursena alles unternahm, um ihn                                  oder andere Verantwortliche zu schreiben und sich für
zu finden, blieb sein Aufenthaltsort 259 Tage                                  Betroffene von Menschenrechtsverletzungen einzu-
lang unbekannt. Hüseyin Galip Küçüközyiğit                                     setzen. Was aus ihnen geworden ist, erfahren Sie hier.
wurde nach dem Putschversuch im Juli 2016 als
Beamter entlassen, seit 2018 strafrechtlich ver-
folgt und im Mai 2019 wegen »Mitgliedschaft in                                 SAUDI-ARABIEN
einer terroristischen Vereinigung« zu sechs Jah-                                                  Die saudische Menschenrechtsvertei-
ren und drei Monaten Haft verurteilt. Das Urteil                                                  digerin Nassima al-Sada ist Ende Juni
wurde in einem Berufungsverfahren bestätigt,                                                      2021 freigelassen worden. Sie setzte
während er als verschwunden galt. Amnesty                                                         sich viele Jahre lang für bürgerliche

                                                     Foto: privat
International hatte im Februar 2021 eine Eil-                                                     und politische Rechte, die Rechte der
aktion für ihn gestartet.                                                                         schiitischen Minderheit und für Frau-
                                                                                                  enrechte ein. Gemeinsam mit ande-
                                                                               ren Frauenrechtlerinnen engagierte sich Nassima al-
                                                                               Sada gegen das Fahrverbot für Frauen und das repressi-
                                                                               ve männliche Vormundschaftssystem in Saudi-Arabien.
                                                                               Sie war im Juli 2018 nach jahrelanger Schikane durch die
                                                                               Behörden willkürlich festgenommen worden – einen
                                                                               Monat nach der Aufhebung des Frauenfahrverbots. Von
                                                                               Februar 2019 bis Anfang 2020 wurde sie in verlängerter
                                                                               Einzelhaft gehalten. Auch danach durfte sie keinen
                                                                               Besuch empfangen. Trotz ihrer Freilassung ist Nassima
                                                                               al-Sada Auflagen unterworfen. So darf sie fünf Jahre
                                                                               lang nicht reisen.
                                                                               (Januar 2021)

                                                                               BURUNDI
                                                                                                   Im Juli 2021 ist der burundische
                                                                                                   Menschenrechtsverteidiger Germain
                                                     Foto: Alexandra Bertels

                                                                                                   Rukuki freigelassen worden – nach
                                                                                                   mehr als vier Jahren Haft. Ein Beru-
                                                                                                   fungsgericht hatte die gegen ihn ver-
                                                                                                   hängte Strafe von 32 Jahren auf ein
                                                                                                   Jahr reduziert. Germain Rukuki hatte
                                                                               für die christliche Anti-Folter-Organisation ACAT-Burun-
IRAN                                                                           di gearbeitet und war im Juli 2017 festgenommen wor-
Nach fünf Jahren Haft ist Atena Daemi seit                                     den. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe »Teilnahme an
24. Januar 2022 wieder in Freiheit. Die Men-                                   einer Aufstandsbewegung«, »Bedrohung der inneren
schenrechtsverteidigerin, die sich unter ande-                                 Sicherheit« und »Angriff auf die staatliche Autorität«
rem gegen die Todesstrafe eingesetzt hatte, war                                waren vollkommen haltlos. »Es ist eine großartige
2015 der »Versammlung und Verschwörung ge-                                     Nachricht, dass Germain endlich frei ist«, sagte Deprose
gen die nationale Sicherheit« sowie der »Ver-                                  Muchena, der Regionaldirektor von Amnesty Interna-
breitung und Propaganda gegen das System«                                      tional für die Region östliches und südliches Afrika.
beschuldigt und zu 14 Jahren Haft verurteilt                                   »Er hätte jedoch gar nicht erst inhaftiert werden dürfen,
worden, die später auf sieben Jahre verkürzt                                   denn er wurde nur wegen seiner Menschenrechtsarbeit
wurden. Weil sie auch im Gefängnis Menschen-                                   festgenommen, angeklagt und verurteilt.«
rechtsverletzungen kritisierte, wurde sie zu wei-                              (Februar 2020)
teren Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis wur-
de Atena Daemi geschlagen, mit Pfefferspray
traktiert und 51 Tage lang in Einzelhaft gehalten.
Obwohl sich ihr Gesundheitszustand in der Haft
dramatisch verschlechterte, verweigerte man
ihr eine angemessene medizinische Versorgung.
Amnesty hatte sich immer wieder für ihre Frei-
lassung eingesetzt, unter anderem beim Brief-
marathon 2018.                                                                                              AMNESTY JOURNAL | 02/2022 9
Feminismus ist für alle da - Amnesty International
TITEL

10 AMNESTY JOURNAL | 02/2022
Frauenrechte
                                         Femizide, Abtreibungsverbote, ungleicher Lohn.
                                          Sexismus hat viele Auswüchse. Frauen erfahren
                                            Diskriminierung, und manchmal verlieren sie
                                         dabei sogar das Leben. In Mexiko werden Morde
                                                    an Frauen in den meisten Fällen nicht
                                                   aufgeklärt. In El Salvador drohen nach
                                                       Schwangerschaftsabbrüchen Jahre
                                                      im Gefängnis. In Afghanistan sollen
                                                      Frauen aus dem öffentlichen Leben
                                                  gänzlich verschwinden. In Deutschland
                                                            werden Frauen für ihre Arbeit
                                                           schlechter bezahlt als Männer.
                                                              Und doch gibt es Lichtblicke,
                                                       immer wieder. Frauen in aller Welt
                                                           zeigen, dass sie nicht aufgeben
                                                             und für ihre Rechte kämpfen.

Mit Herz und vollem Einsatz für Frauenrechte.
Eine Frau am Internationalen Frauentag
(8. März) in Beirut, Libanon, 2021.
Foto: Florient Zwein | Hans Lucas / pa                                      AMNESTY JOURNAL | 02/2022 11
Frauenrechte sind Menschenrechte.
                               Protest in Madrid, Spanien, am 8. März 2021.
12 AMNESTY JOURNAL | 02/2022           Foto: Joan Amengual / VIEWpress / Getty Images
FRAUENRECHTE
                                                                                                    DISKRIMINIERUNG

Einen
Schritt vor,
zwei zurück
Sexismus gibt es nach wie vor überall. Dabei würden alle Menschen von
mehr Gleichberechtigung profitieren – nicht nur in Deutschland,
sondern auf der ganzen Welt. Von Lea De Gregorio

W
                    er hat sie noch nicht    beginnt, setzt sich auf allen Ebenen fort.   Körperverletzung durch Partnerschafts-
                    gehört: Aussagen wie     Es ist eine Unterdrückung, die Frauen        gewalt«, sagte die damalige Bundesfrau-
                    »Heute ist die Lage      überall spüren: zu Hause, am Arbeitsplatz    enministerin Franziska Giffey 2019 und
                    doch schon viel bes-     und am eigenen Körper.                       bezog sich auf Zahlen des Bundeskrimi-
                    ser« oder »Heute sind        Dass sich die Lage für Frauen in eini-   nalamts.
Männer und Frauen doch so gut wie gleich-    gen Aspekten verbessert hat, stimmt. Es          30 Prozent aller Frauen weltweit erle-
berechtigt«. Manche sagen es, wenn ihr       gibt sie: die vielbeschworenen Erfolge. In   ben nach Angaben der Weltgesundheits-
Gegenüber bei sprachlichen Äußerungen        Westdeutschland eröffnete das erste Frau-    organisation (WHO) durch ihren Bezie-
gendert. Andere, wenn es um ungerechte       enhaus 1976, in Indien 1980. In Deutsch-     hungspartner physische oder sexualisier-
Bezahlung geht. Menschen, die auf diese      land verfügen heute 30 Prozent der Frau-     te Gewalt. Die Zahlen haben sich während
Weise diskutieren, haben meistens Frau-      en zwischen 30 und 34 Jahren über einen      der Corona-Pandemie noch erhöht. Dabei
en in Deutschland im Kopf. Und, wer hät-     Hochschulabschluss – und haben damit         zeigt sich, dass sich die Lage von Frauen
te das gedacht, die Aussagen stammen         die Männer überholt. Hierzulande schaff-     in manchen Aspekten verbessert, in an-
meistens von Männern.                        te es eine Frau an die Spitze der politi-    deren aber drastisch verschlechtert hat.
    Und die haben gut reden, zumindest       schen Macht. Und auch anderswo finden            2020 verzeichnete das westafrikani-
dann, wenn sie von den Ungerechtigkei-       sich Frauen in führenden politischen Äm-     sche Liberia in der ersten Jahreshälfte
ten nicht betroffen sind. »Wenn du die       tern. So wird zum Beispiel Honduras seit     einen Anstieg geschlechtsspezifischer
Existenz von diskriminierenden Gesell-       diesem Jahr von einer Frau regiert. Und      Gewalt um 50 Prozent. In Nigeria rief die
schaftsmechanismen infrage stellst, soll-    dennoch gibt es Sexismus und Geschlech-      Regierung aufgrund der steigenden Ver-
test du nun kurz innehalten und dich fra-    terungerechtigkeit weiterhin – und zwar      gewaltigungszahlen während der Corona-
gen, warum du die (Diskriminierungs-)        überall.
Erfahrung anderer Menschen anzweifelst
und was das eventuell über deine eigene      Gewaltverbrechen nehmen zu
Machtposition aussagt«, schreiben die        Weltweit werden Menschenrechte von               »Viele Frauen arbeiten
Autorinnen des Buches »Feminism is for       Frauen verletzt – angefangen beim Recht         im informellen Sektor.«
everyone«.                                   auf körperliche Unversehrtheit. »An fast
    In ihren Augen zeigt sich bereits dann   jedem dritten Tag wird in Deutschland
                                                                                                    Jessica Mosbahi,
das Problem systematischer Unterdrü-         eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Part-             Medica Mondiale
ckung, wenn Diskriminierte Sexismus be-      ner getötet. Und alle 45 Minuten wird –
weisen müssen. Was mit dem Infragestel-      statistisch gesehen – eine Frau Opfer von
len von Diskriminierungserfahrungen          vollendeter und versuchter gefährlicher                     AMNESTY JOURNAL | 02/2022 13
Sie haben Sexismus »satt«.
Frauen protestieren in Monte-
video, Uruguay, 8. März 2021.
Foto: Mariana Greif / Reuters

Pandemie einen Notstand aus. Auch in          sogenannten Care-Arbeit, also der Pflege-      sorgen politisch Verantwortliche sogar
Deutschland nahm häusliche Gewalt in          und Sorgearbeit, werde von Frauen geleis-      dafür, dass ihre Lage noch schwieriger
der Pandemie zu, was sich nicht zuletzt       tet. Dass Frauen weltweit häufiger zu          wird. So verschärfte der US-Bundesstaat
daran zeigt, dass Frauenhäuser überbe-        Hause bleiben und stattdessen ihr Part-        Texas 2021 sein Abtreibungsgesetz und
legt sind – wie etwa derzeit in Bremen.       ner Geld verdient, liegt nicht immer an        verbot Schwangerschaftsabbrüche bereits
                                              individuellen Entscheidungen, sondern          ab der 6. Woche, selbst in Fällen von Ver-
Wirtschaftliche und                           auch am sogenannten Gender-Pay-Gap.            gewaltigung. In Mexiko werden 90 Pro-
soziale Abhängigkeit                          In Europa verdienen Frauen im Schnitt          zent der Gewaltverbrechen an Frauen
Dass viele Frauen weltweit in gewaltsa-       rund 14 Prozent weniger als Männer, in         schlichtweg nicht aufgeklärt, was dafür
men Beziehungen bleiben, liegt unter an-      Deutschland sind es 18 Prozent. Diese Un-      sorgt, dass diese weiter zunehmen.
derem auch daran, dass sie wirtschaftlich     gleichheit setzt sich im Alter fort. Frauen
häufig von Männern abhängig sind. »Die-       sind am Ende ihres Berufslebens stärker        Staaten in die Pflicht nehmen
se Frauen wissen, dass sie ohne den Part-     von Altersarmut betroffen: Sie erhalten in     Dabei können Staaten einiges tun, um
ner wenig Überlebenschancen haben.            Deutschland durchschnittlich 46 Prozent        Frauen stärker vor Menschenrechtsverlet-
Weil sie kein eigenes Einkommen haben,        weniger Rente.                                 zungen zu schützen. Die Anfänge sind ge-
trennen sie sich auch weniger häufig«,             Aber es sind nicht allein wirtschaftli-   legt. 1979 wurde die UN-Frauenrechtskon-
sagt Jessica Mosbahi von der Frauen-          che Aspekte, die dafür sorgen, dass viele      vention (CEDAW) verabschiedet. »Sie ver-
rechts- und Hilfsorganisation Medica          Frauen in Abhängigkeiten verharren.            pflichtet die Vertragsstaaten, auf allen
Mondiale. Sie erklärt, dass viele der Frau-   »Hinzu kommt die Problematik, dass             Ebenen Diskriminierung von Frauen zu
en, die von Gewalt betroffen sind, gleich-    Frauen in vielen Ländern nur sehr schwer       bekämpfen und ihre Gleichstellung zu
zeitig existentielle Nöte haben und sich      alleine leben können, weil das schlichtweg     verwirklichen«, sagt Gunda Opfer von
deshalb nicht aus gewaltsamen Partner-        nicht dem patriarchalen Bild entspricht«,      der Amnesty-Gruppe Frauenrechte. Viele
schaften befreien. Und schon sind wir         sagt Mosbahi. Wollen Frauen sich schei-        Vertragsstaaten hätten jedoch Vorbehalte
beim nächsten Recht, das weltweit ver-        den lassen, geraten sie in einigen Ländern     gegen wichtige Artikel formuliert und
letzt wird, wenn es um Frauen geht: das       bis heute noch an den gesellschaftlichen       seien von der Umsetzung des Überein-
Recht auf faire Bezahlung. »Viele Frauen      Rand. »Selbst wenn Scheidungen erlaubt         kommens weit entfernt.
sind auch deshalb wirtschaftlich abhän-       sind, wird in vielen Ländern das Recht oft         Auf europäischer Ebene soll die soge-
gig, weil viele im informellen Sektor         nicht ausgeübt, weil geschiedene Frauen        nannte Istanbul-Konvention, die Konven-
arbeiten«, sagt Mosbahi. »Das heißt in        mit einem Makel versehen und diskrimi-         tion zur Verhütung und Bekämpfung von
Arbeitssektoren, für die es keine klaren      niert werden«, sagt Mosbahi.                   Gewalt gegen Frauen und häuslicher Ge-
Regeln gibt und die auch schlechter be-            Nicht nur auf gesellschaftlicher und      walt, Frauen schützen. Gunda Opfer be-
zahlt sind.«                                  wirtschaftlicher Ebene werden Frauen           zeichnet auch dieses Übereinkommen als
    Ein großer Teil der Arbeit, die viele     diskriminiert. Auch in der Politik ist das     »wichtiges Signal«. Von den 47 Mitglied-
Frauen verrichten, wird gar nicht ent-        so. Das mag vielleicht auch daran liegen,      staaten des Europarats sind derzeit 34
lohnt. »Die Pflege von Angehörigen, die       dass Entscheider_innenpositionen viel
Sorge für die Kinder, die Hausarbeit, all     häufiger mit Männern besetzt werden.
das wird nicht bezahlt, sodass Frauen oft-    Das ungleiche Machtverhältnis der Ge-
mals keine finanziellen Rücklagen bilden      schlechter zeigt sich in einer Zahl sehr             »Wir kämpfen, weil
können«, sagt Mosbahi. Dreiviertel der        konkret: Laut Interparlamentarischer               wir immer im Training
                                              Union (IPU) sind nur knapp 26 Prozent
                                              aller Parlamentsabgeordneten weltweit
                                                                                                      bleiben müssen.«
14 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                  Frauen. Und anstatt Frauen zu schützen,             Priya Basil, Feministin
LGBTI sichtbar machen.
                                                  Demonstration am 4. Juli 2021
                                                  in Bogota, Kolumbien.
                                                  Foto: Chepa Beltran / VWPics / Redux / laif

               Die Lohnlücke schließen!
      Protest am 8. März 2021 in Berlin.
                    Foto: Stefan Boness / Ipon

Vertragsstaaten der Konvention. Opfer            gang zu Macht.« Sie vertrete dabei einen       waltdelikte. Und das polnische Parlament
moniert jedoch, dass elf Staaten sie unter-      intersektionalen Ansatz und schaue auch        stimmte 2021 für ein Anti-LGBTI-Gesetz,
zeichnet, bisher aber nicht ratifiziert ha-      auf andere Diskriminierungsformen wie          das Pride-Paraden und andere selbstbe-
ben – und die Türkei im Juli 2021 wieder         Rassismus – als Erbe des Kolonialismus.        wusste Demonstrationen der Community
ausgetreten ist. Die neue Bundesregie-                                                          verbieten soll.
rung hat angekündigt, Frauenrechte stär-         Diskriminierung kennt viele Formen
ker in den Fokus zu rücken. Außenminis-          Wenn die feministische Außenpolitik ih-        Ein Feminismus,
terin Annalena Baerbock will sich für            ren Fokus auch auf »andere marginali-          von dem alle etwas haben
eine feministische Außenpolitik stark-           sierte Gruppen« lenken will, heißt das,        Dabei würden letztlich alle von mehr
machen, was Amnesty und andere Orga-             dass sie auch jene Menschen besonders          Feminismus profitieren. »Feminismus
nisationen schon lange fordern. Doch was         schützen will, die nicht mit Uterus gebo-      kämpft für eine Utopie, die in unserer
genau ist »feministische Außenpolitik«?          ren wurden. Auch bei der Diskriminie-          Vorstellung bedeutet: In der anzustreben-
Um zu verstehen, was sich hinter dem Be-         rung von transgeschlechtlichen Men-            den feministischen Gesellschaft gibt es
griff verbirgt, hilft zunächst eine Femi-        schen geht es schließlich oftmals um           keine Diskriminierung, keine einengen-
nismus-Definition der Publizistin Marga-         Machterhalt. Um es mit den Worten der          den Zuschreibungen, keine Ausbeutung
rete Stokowski: »Für mich bedeutet Femi-         Autorin Emilia Roig (siehe auch Interview      und keine Unterdrückung«, schreibt das
nismus, dass alle Menschen unabhängig            Seite 26) zu sagen: »Homo- und Trans-          Autor*innenkollektiv FE.IN in seinem
von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität           feindlichkeit sind Erzeugnisse des Patri-      Buch »Frauen*rechte und Frauen*hass«.
und ihrem Körper dieselben Rechte und            archats, denn queer, Trans, bi- und panse-     »Schließlich würden alle weniger arbei-
Freiheiten haben sollen«, schreibt die           xuelle Menschen, schwule Männer und            ten, sich sicherer und wertgeschätzt füh-
Autorin in ihrem vieldiskutierten Buch           lesbische Frauen bedrohen die männliche        len und Ressourcen, Privilegien, Macht
»Untenrum frei«.                                 Dominanz durch ihre bloße Existenz.«           und Verantwortung wären gerecht unter-
    An der Stelle der gleichen Rechte und            Auch was die Sichtbarkeit von LGBTI        einander aufgeteilt.«
Freiheiten soll eine feministische Außen-        angeht, gibt es Fortschritte. In Deutsch-          Bis all das eintritt, ist Ausdauer gefor-
politik anknüpfen. »Diese Politik stellt         land sitzen seit 2021 erstmals zwei trans      dert. »Wir kämpfen, weil wir wissen, dass
menschliche Sicherheit in den Fokus von          Frauen im Bundestag, und in den USA            wir, selbst wenn es gut läuft, immer im
Entscheidungen statt staatliche Sicher-          kam im selben Jahr erstmals eine trans         Training bleiben müssen«, schreibt die
heit. Sie schaut also zum Beispiel darauf,       Frau in ein hohes Regierungsamt – das          Schriftstellerin Priya Basil in ihrem Buch
welche Auswirkungen politische Ent-              der Vize-Gesundheitsministerin.                »Im Wir und Jetzt. Feministin werden«
scheidungen und internationale Konflik-              Menschen, die von Transfeindlichkeit       über ihren täglichen Kampf als Feminis-
te auf Frauen, Mädchen und andere mar-           unberührt bleiben, mögen jetzt wieder          tin. Um Unterdrückung zu verhindern,
ginalisierte Gruppen haben – und darauf,         sagen: »Na also, da sind die Erfolge           müssen nicht nur politische Allianzen ge-
wie Unterdrückungsmechanismen been-              doch!« Aber was für die Rechte aller Frau-     bildet, sondern auch Einstellungen und
det werden können«, sagt Alexia Knapp-           en weltweit gilt, zeigt sich auch in diesem    Machtpositionen im Privaten hinterfragt
mann, Stabstelle Politik im Generalsekre-        Bereich: Es gibt Rückschläge. Wenn die         werden. Und dabei ist jede und jeder ge-
tariat von Amnesty Deutschland. »Femi-           Auswirkungen des Machismos in man-             fragt. Damit es am Ende zutrifft, wenn es
nistische Außenpolitik ist somit eine            chen Aspekten überwunden scheinen,             heißt, dass die Lage heute schon besser ist
menschenrechtsgeleitete Außenpolitik.            zeigt er sich an anderer Stelle umso dras-     – und das für alle Frauen gilt, auf der gan-
Sie beginnt aber beim Blick auf die Ursa-        tischer. Nach Angaben des Bundesinnen-         zen Welt. ◆
chen und den systemischen Kontext von            ministeriums wurden 2020 in Deutsch-
Menschenrechtsverletzungen und hinter-           land 782 homo- und transphob motivierte
fragt so zum Beispiel den ungleichen Zu-         Straftaten registriert, darunter 154 Ge-                       AMNESTY JOURNAL | 02/2022 15
FRAUENRECHTE
                                                                                                                                                PORTRÄTS

                                                                       Eine, die sich
                                                                         durchsetzt
                                                                                        Frauen verdienen in Deutschland
                                                                                        weniger als Männer – so auch im
                                                                                       Backwarenunternehmen Bahlsen.
                                                                                        Doch dank des Engagements von
                                                                                      Manuela Haase wurden 100 Frauen
                                                                                             den Männern gleichgestellt.
                                                                                                     Von Annette Jensen

                                                                                               Zeichnung: André Gottschalk

O
            hne Zweifel: Manuela Haase               1998 brachte eine Kollegin sie auf die                                  am Band arbeitenden Kolleginnen eine
            ist ein hartnäckiger Mensch.         Idee, für den Betriebsrat zu kandidieren.                                   geeignete Berufsausbildung mitbrachten.
            Sie hat einen starken Sinn für       Sie wurde gewählt, doch erwies sich das                                     Dennoch hatte Bahlsen sie in die unterste
            Gerechtigkeit – und dazu ge-         Gremium als Domäne alteingesessener                                         Lohngruppe A eingestuft, während sämt-
hört, für gleichwertige Arbeit einen             Männer, ein »Geheimhaltungs-Club«, wie                                      liche Männer mindestens zwei Stufen
gleichwertigen Lohn zu verlangen. Laut           Haase sagt. Die Belegschaft über die wirt-                                  höher eingruppiert waren. Haase setzte
Statistischem Bundesamt verdienen Frau-          schaftliche Lage des Unternehmens zu in-                                    durch, dass gemeinsam mit den Ingeni-
en in Deutschland 18 Prozent weniger als         formieren, galt als Tabu, die Interessen                                    euren des Unternehmens ein Ausbil-
Männer. Dass ihre Kolleginnen bei Bahl-          der Frauen am Band spielten überhaupt                                       dungsplan entwickelt wurde und ermu-
sen in Varel nahe Wilhelmshaven jetzt            keine Rolle. Entnervt gab sie zum Ende                                      tigte die Kolleginnen, daran teilzuneh-
monatlich 187,85 Euro mehr bekommen              der Amtszeit auf.                                                           men. Bald bedienten sie mehrere Auto-
und damit ebenso viel wie Männer in ver-             »Vielleicht bin ich danach gereift«,                                    maten und Roboter, beseitigten Störun-
gleichbarer Position, ist Haases Verdienst.      sagt sie, um zu erklären, warum sie vier                                    gen und machten sogar Verbesserungs-
    »Wir konnten durch Dokumentatio-             Jahre später einen zweiten Versuch unter-                                   vorschläge für Arbeitsabläufe.
nen belegen, dass die Frauen viel mehr           nahm und beschloss, sich von den Altge-                                         Haase konfrontierte den Werksleiter
Tätigkeiten übernehmen als ihre Gehalts-         dienten nicht länger ausbremsen zu las-                                     mit den Ergebnissen. Und der Plan ging
gruppe vorsah«, sagt sie. Die Betriebsrats-      sen. Als sie bei der Betriebsratswahl die                                   auf: Ihm blieb nun nichts anderes übrig,
vorsitzende ist stolz auf ihren Erfolg, stellt   mit Abstand meisten Stimmen bekam,                                          als sie den Männern gleichzustellen. »An
ihre Leistung jedoch nicht in den Vorder-        kandidierte sie für den Vorsitz des Gre-                                    anderen Standorten des Unternehmens
grund. Was die 61-Jährige ausstrahlt, ist        miums.                                                                      wollen die Kolleginnen nun dasselbe er-
Freude darüber, Gutes für etwa 100 Frau-             Damit leitete bei Bahlsen nun erst-                                     reichen«, sagt Haase, die inzwischen Ge-
en bewirkt zu haben.                             mals eine Frau einen Betriebsrat. Doch                                      samtbetriebsratsvorsitzende ist. Inner-
    Ihr halbes Leben hat Manuela Haase in        mit der neuen Position kam gleich eine                                      halb ihres Unternehmens ist ihr Engage-
Magdeburg verbracht. Kurz nach der Wen-          große erste Herausforderung auf Haase                                       ment richtungsweisend und gibt anderen
de zog die gelernte Textilfachverkäuferin        zu. Die Kolleginnen, die zum Teil jahr-                                     Frauen Rückenwind. ◆
mit Mann und zwei Töchtern in die Nähe           zehntelang Kekse in Schachteln und Kar-
von Wilhelmshaven. Bald schon fing sie           tons gepackt hatten, sollten im Jahr 2010
bei Bahlsen im Drei-Schicht-Betrieb am           durch Maschinen ersetzt werden.
Fließband an und stieg schnell ins Qua-              Manuela Haases Vorschlag, die Frauen                                              187,85 Euro mehr
litätsmanagement auf.                            als Maschinenführerinnen zu qualifizie-                                                 bekommen ihre
                                                 ren, stieß auf Widerstand. »Die können
                                                 das nicht«, so das Urteil der Werksleitung.
                                                                                                                                     Kolleginnen. Das ist
16 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                     Doch Haase verwies darauf, dass viele der                                            Haases Verdienst.
Leider kein Einzelfall
Wegen der Abtreibungsgesetzgebung sind viele Frauen in El Salvador zu langjährigen
Gefängnisstrafen verurteilt worden. María Teresa Rivera, die eine Fehlgeburt erlitten hatte,
saß vier Jahre lang in Haft. Heute kämpft sie für sexuelle und reproduktive Rechte.
Von Luciana Ferrando

I
      ch wünsche mir, dass nie wieder eine            Maria Teresa Rivera war die erste der      finden keine Arbeit und keine Wohnung«,
      Frau ertragen muss, was ich ertragen        »Las 17«, die freigelassen wurde. »Im Mai      erzählt sie. Als bekannt wurde, dass die
      musste«, sagt María Teresa Rivera am        2016 verkündete der Richter, es gebe kei-      Staatsanwaltschaft gegen ihre Freilassung
      Telefon. Sie ist 38 Jahre alt und wohnt     nen Beweis dafür, dass ich mein Kind tö-       Berufung einlegen wollte, floh Rivera mit
in Schweden. Bis vor fünf Jahren lebte sie        ten wollte«, erzählt sie. Neben zivilgesell-   ihrem Sohn nach Schweden, wo sie Asyl
noch in ihrem Heimatland El Salvador.             schaftlichen und feministischen Gruppen        erhielten. Heute fühlt sie sich frei. Sie hat
Dort war sie im Jahr 2011 zu 40 Jahren            in El Salvador hatte auch Amnesty Inter-       Schwedisch gelernt und macht eine Aus-
Haft verurteilt worden, nachdem sie eine          national ihre Freilassung gefordert. »Der      bildung zur Krankenpflegerin. Außerdem
Fehlgeburt erlitten hatte.                        internationale Druck war wesentlich für        engagiert sie sich für sexuelle und repro-
     Das Urteil ist kein Einzelfall. In El Sal-   meine Freilassung«, sagt Rivera. »Wir dür-     duktive Rechte und für Frauen in El Salva-
vador sind nach Angaben von Amnesty               fen nicht aufhören, damit alle freikom-        dor, die zu Unrecht inhaftiert sind. ◆
International derzeit mindestens zehn             men und sich endlich etwas ändert.«
Frauen inhaftiert, die wegen Kindesmor-               Nach ihrer Freilassung sei ihr schnell     Amnesty hat sich im Jahr 2013 für Beatriz einge-
des verurteilt wurden. Sie hatten in ei-          klar geworden, dass sie nicht länger in El     setzt, der ein Schwangerschaftsabbruch verwei-
nem fortgeschrittenem Stadium der                 Salvador bleiben könne. Frauen mit einer       gert wurde, obwohl eine Erkrankung in der
Schwangerschaft und in häuslicher Um-             derartigen Vorgeschichte hätten dort kei-      Schwangerschaft ihr Leben gefährdete. Im Janu-
gebung eine Fehl- oder Totgeburt erlitten;        ne Chance. »Viele werden von ihren Fami-       ar 2022 überwies die Interamerikanische Men-
die Anklage beschuldigte sie, den Tod des         lien abgelehnt. Sie werden stigmatisiert,      schenrechtskommission ihren Fall an den Inter-
Kindes herbeigeführt zu haben. Seit 1998                                                            amerikanischen Gerichtshof für Menschen-
ist in dem Land ein Schwangerschafts-                                                                       rechte. Mehr Informationen:
abbruch grundsätzlich verboten, selbst                                                                            www.ai-el-salvador.de/
wenn die Schwangerschaft aus einer Ver-                                                                             abtreibungsverbot.html
gewaltigung oder Inzest resultiert oder
das Leben der Schwangeren in Gefahr ist.
Betroffen sind vor allem Frauen aus ar-
men Verhältnissen.
     María Teresa Rivera wurde am 24. No-
vember 2011 von ihrer Schwiegermutter
ohnmächtig und blutend im Badezimmer
gefunden. »Als ich wieder aufwachte, war
ich im Krankenhaus, umgeben von Poli-
zisten. Sie beschuldigten mich, mein Kind
getötet zu haben«, erinnert sie sich. Eine
Angehörige des Krankenhauspersonals
meldete sie bei der Polizei, weil Rivera
                                                  Zeichnung: André Gottschalk

»offenbar eine Abtreibung vorgenom-
men hatte«. Danach wurde sie in ein
Frauengefängnis überstellt.
     Dort wurde sie von anderen Inhaftier-
ten als »Kindesmörderin« beschimpft
und angegriffen. Doch aufgegeben habe
sie nie, erzählt Rivera, denn sie habe ih-
ren damals siebenjährigen Sohn wieder-
sehen wollen. Später lernte sie andere
Frauen kennen, die ebenfalls in der
Schwangerschaft Komplikationen erlitten
hatten, einer Abtreibung bezichtigt und
wegen Mordes verurteilt worden waren.
Sie gründeten die Gruppe »Las 17«, um
auf ihre Fälle und die unfairen Verfahren
aufmerksam zu machen.                                                                                             AMNESTY JOURNAL | 02/2022 17
FRAUENRECHTE
AFGHANISTAN

Am Abgrund
Seit die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht sind, verlieren Frauen
immer mehr Rechte. Die Gruppe »Kämpfende Frauen« wehrt sich, so gut sie kann.
Aus Kabul von Andrea Jeska (Text) und Ilir Tsouko (Fotos)

                                                                        Frauen werden im Stadtbild
                                                                     so gut wie unsichtbar gemacht.
18 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                                                   Kabul, Oktober 2021.
Taliban auf Patrouille.
                                                                                                                Kabul, Oktober 2021.

A
              ls sich Rahil T. und ihre Mit-   auch die 21-jährige Parwana I., die bis vor   um Wege zu finden, nicht zum Schweigen
              streiterinnen aus der Gruppe     Kurzem noch studierte. Sie hat einen You-     verbannt zu sein. Zuerst formulierten sie
              »Kämpfende Frauen« dies-         Tube-Kanal, auf dem sie öffentlich über       ihre Ziele: Recht auf Bildung, Arbeit,
              mal heimlich treffen, tragen     Emanzipation spricht. »Doch diese Videos      Selbstbestimmung, Teilnahme an politi-
              sie ihre schönsten Kleider. In   sind jetzt gefährlich, und ich überlege,      schen Entscheidungen und am sozialen
den Tagen zuvor, Ende November 2021,           sie zu löschen«, sagt sie ernüchtert. Die     Leben. Keine Sharia. Keine Zwangsehen.
waren die Taliban in Kabul in Modege-          19-jährige Zahra M., eine ehemalige Taek-         Anschließend überlegten sie, wie sie
schäfte eingedrungen und hatten Schau-         wondo-Kämpferin, setzte sich gegen ihre       mit ihren Forderungen an die Öffentlich-
fensterpuppen die Köpfe abgesägt. Spätes-      Eltern durch, um diesen Sport betreiben       keit treten können, um Frauen des Wes-
tens da war klar, dass Mode in Afghanis-       zu können, und trainierte heimlich, bis       tens zu erreichen und von dort mögli-
tan wieder als Sünde galt. Klar war damit      sie ihre erste Medaille gewann und Preis-     cherweise Unterstützung zu bekommen.
aber auch, dass das Tragen schöner Klei-       gelder bekam. Als sie nach der Machter-       Parwana sagt, in der Solidarität des Wes-
der nun ein Akt des Widerstands war –          greifung der Taliban im August 2021 wie       tens liege derzeit ihre letzte Hoffnung.
selbst wenn man sie nur im Verborgenen         immer zum Trainingszentrum ging,
trug. »Schönheit kann man nicht verbie-        schickte ihr Trainer sie nach Hause. »Er      Indirekt Druck auf
ten, selbst die Taliban können das nicht«,     sagte, Frauen sei der Sport jetzt verbo-      die Taliban ausüben
sagt Rahil, und die anderen Frauenrechts-      ten.«                                         Die Situation der Frauen in Afghanistan
aktivistinnen um sie herum nicken zu-              In den Frauen hat sich in den vergan-     ist bedrückend. Erwerbstätige Frauen ha-
stimmend.                                      genen Monaten viel Wut angesammelt.           ben mit dem Berufsverbot alles verloren.
    Die »Kämpfenden Frauen« haben sich         »Die Taliban sind dumm und ungebildet,        Künstlerinnen können nicht mehr arbei-
über WhatsApp gefunden – in einer der          sie wissen nicht, wie man sich benimmt«,      ten. Journalistinnen dürfen nicht mehr
vielen Ad-Hoc-Gruppen, die sich nach der       sagt Zahra in die Runde. »Ist es unser Pro-   berichten. Und Mütter fürchten um ihre
Machtergreifung der Taliban formierten,        blem, wenn die Taliban ihre Augen nicht       Töchter. Je höher ihre Bildung, je härter
um Widerstand zu leisten. Sie wollen,          kontrollieren können und uns anstarr-         sie dafür gearbeitet haben, eine Univer-
dass die Errungenschaften aller Frauen         ren?« Die anderen Frauen lächeln. »Unse-      sität zu besuchen, je mehr Abschlüsse
im Land nicht verlorengehen. So wurde          re Wut interessiert sie nur leider nicht«,    und Titel sie erreichten, desto tiefer er-
zum Beispiel die 27-jährige Rahil mit 17       sagt Parwana.                                 scheint ihnen der Abgrund, in den sie
Jahren verheiratet, doch schaffte sie es           Die Gruppe trifft sich in einem Haus,     nun gefallen sind.
trotzdem, Lehrerin zu werden. Mit ihrem        das hinter dicken Mauern liegt und des-           Es ist der düstere Klang eines Re-
Einkommen ermöglichte sie auch ihrer           sen Rollläden heruntergelassen sind, da-      quiems, der sich im November und De-
Schwester einen Schulbesuch. Später ließ       mit kein Blick von außen eindringt. Seit      zember 2021 durch alle Gespräche der
sie sich scheiden und gilt seither, wie sie    die Regierung im Oktober öffentliche
sagt, als »unmoralische Frau«.                 Proteste von Frauen in Kabul untersagte,
    Zu den »Kämpfenden Frauen« zählt           konferieren die Frauen hier jede Woche,                      AMNESTY JOURNAL | 02/2022 19
Konnte später nach
                                                                                                             Pakistan fliehen: Rahil.
                                                                                                               Kabul, Oktober 2021.

»Kämpfenden Frauen« in Kabul zieht.            nistans helfen. Sie muss Druck auf die       die Kleidungsregeln der Taliban zu miss-
»Ich sitze stundenlang zu Hause und wei-       Taliban ausüben.«                            achten. Draußen ist der Lärm der Stadt zu
ne«, sagt Parwana. »Wir haben unseren              Die meisten der jungen Frauen haben      hören. Trotzdem sprechen die Frauen im
Eltern gesagt, wir beweisen ihnen, dass        sich erst aufgrund der neuen Verhältnisse    abgedunkelten Raum mit gedämpften
wir so gut sind wie die Männer. Und nun        politisiert. Sie wissen kaum, was es mit     Stimmen, als könnten sie belauscht wer-
fragen wir uns: wofür?« Kurz nachdem           sich bringt, eine Aktivistin zu sein. Die    den. Bei diesem Treffen soll es darum ge-
die Schaufensterpuppen ihre Köpfe ver-         Frauenrechtlerinnen, von denen sie es        hen, ihre Forderungen zu konkretisieren.
loren, wollten sie sich zusammensetzen,        hätten lernen können und die von Hilfs-          Gut die Hälfte der versammelten
um einmal nur über sich zu sprechen.           organisationen oder Stiftungen gefördert     Frauen will den Schwerpunkt auf das
Über ihre persönliche Lage, ihre Depres-       wurden, haben das Land schon lange mit       Recht auf Bildung und auf Religionsfrei-
sionen, ihre Geldsorgen und darüber, wie       einem der Evakuierungsflüge in Richtung      heit legen, die andere auf Arbeit, auch
die eigenen Familien, ihre Väter, Brüder,      USA oder Europa verlassen. Die »Kämp-        wegen der wirtschaftlichen Not. Parwana
Ehemänner ihnen nun verbieten wollen,          fenden Frauen«, die keine Kontakte in        sorgt sich um die Situation der Frauen auf
Widerstand zu leisten. »Selbst mein klei-      den Westen haben und die niemand             dem Land: »Der Widerstand beschränkt
ner Bruder sagt mir, was ich tun soll«, er-    evakuieren wird, blieben zurück.             sich auf die großen Städte Kabul, Herat
zählt Rahil – und alle Frauen in der Grup-         Nun treten sie die Flucht nach vorn      und Mazar-i-Sharif.« Doch in den Provin-
pe lachen.                                     an. Die Freiheiten, die sich zumindest ei-   zen, in den Dörfern, nehme die häusliche
    Aber dann wird der Nachmittag doch         nige Städterinnen in den vergangenen         Gewalt zu, sagt sie. Es sei notwendig, auch
wieder von der Politik bestimmt. Denn          zwei Jahrzehnten erkämpften, sind verlo-     diese Frauen anzusprechen, aber wie?
alles in ihrem Leben ist politisch, seit die   ren. Auch die ökonomische Grundlage          »Sie haben keine Smartphones und keine
Taliban zurück sind. Da ist die Angst, sich    existiert vielerorts nicht mehr. Rahil und   Computer. Wir müssen herausfinden, wie
in Cafés zu zeigen oder überhaupt in der       Zahra verdienten vor der Herrschaft der      wir sie erreichen können.«
Öffentlichkeit. Da ist das Warten darauf,      Taliban mehr Geld als ihre Brüder. »Das          Aufmerksam hören sie einem Mann
dass die Aufseher der Taliban an ihre Tü-      brachte uns Rechte, wir durften mitbe-       zu, den sie sich als Mentor ausgewählt ha-
ren klopfen, weil sie herausfinden, wer        stimmen. Aber nun, da wir kein Geld          ben. Farid war vor der Machtübernahme
die »Kämpfenden Frauen« sind. Da ist die       mehr verdienen, sollen wir schweigen«,
Frage, welche Zukunft ihnen in Afghanis-       sagt Zahra.
tan bleibt. Auch Rahil betont, es bleibe           Beim nächsten Treffen tragen sie
nur eine Hoffnung: »Die internationale         Jeans und darüber eine lange schwarze         »Wir fragen uns, warum
Gemeinschaft muss den Frauen Afgha-            Abuja. Noch vor wenigen Monaten sah            uns unsere Schwestern
                                               man diese Ganzkörperverhüllungen in
                                               Afghanistans Hauptstadt nur selten, jetzt
                                                                                             im Westen nicht hören.«
20 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                   wagen es die meisten Frauen nicht mehr,                         Rahil
der Taliban Leiter einer Organisation für                                                                     Sorgt sich auch um die
Armutsbekämpfung in Kabul. Jetzt fehlen                                                              Frauen auf dem Land: Parwana.
Unterstützung und Geld aus dem Westen,                                                                          Kabul, Oktober 2021.
und obwohl Armut und Hunger gerade zu
den größten Problemen Afghanistans
zählen, ruht seine Arbeit.

Aufmerksamkeit schützt
und gefährdet zugleich
Die Gruppe der »Kämpfenden Frauen«
hat 217 Mitglieder. Davon sind keine 20
mehr im Land. Auch die wollen weg. Farid
muntert sie auf: »Ihr dürft nicht den Mut
verlieren«. Wenn sie nur laut blieben, vol-
ler Zorn, würden sie so berühmt werden
wie Shukria Barakzai und Fausia Kufi, die
beiden prominentesten Frauenrechtlerin-
nen Afghanistans. »Auch die haben als
Unbekannte angefangen, heute kennt
man ihre Namen«, sagt er. Eine der
»Kämpfenden Frauen« protestiert. Die
beiden ehemaligen Parlamentarierinnen
seien in New York und London und könn-
ten dort ohne Risiko Kritik an den Taliban
äußern. »Wir aber sind dem Leben hier
ausgesetzt und müssen die Angst und
Aussichtslosigkeit ertragen.«
    Die Bevorzugung der sichtbaren, also
gut vernetzten und auf Social-Media-Ka-
nälen aktiven Frauen, hat bei den in Ka-
bul Verbliebenen die Hoffnung geweckt,
auch eine Chance zu bekommen, das             Nachtrag                                     AMNESTY ZU AFGHANISTAN
Land in Richtung Westen verlassen zu          Im Januar 2022 flogen die »Kämpfenden        Zur Lage der Frauen in Afghanistan unter den
können. »Kämpft, solange ihr hier seid«,      Frauen« auf. Bei einem Treffen drangen       Taliban hat Amnesty in den vergangenen Mo-
sagt Farid zu ihnen. »Und wenn ihr Auf-       die Taliban in das Haus ein. Sie nahmen      naten zahlreiche Berichte publiziert. Sie zeigen,
merksamkeit bekommt, findet ihr auch          einige der Frauen mit und verhörten sie.     wie grundlegend afghanische Frauen und Mäd-
einen Weg aus dem Land.« Ein Rat, der         Man warf ihnen vor, sie hätten christliche   chen landesweit in ihrem täglichen Leben und
auch Gefahren birgt. »Leute, die ich nicht    Missionarsarbeit betrieben, was im isla-     in ihren Rechten eingeschränkt werden. Amnes-
kenne, finden meine WhatsApp-Nummer           mischen Emirat Afghanistan verboten ist.     ty kritisiert, dass sich die Regierung dazu ent-
und drohen mir. Ich habe auch Angst,          Dieser Vorwurf wird häufig als Vorwand       schlossen habe, afghanische Frauen von der
dass mich die Taliban anhalten und mein       genutzt, um Menschen festzunehmen.           Teilnahme am öffentlichen Leben auszuschlie-
Telefon durchsuchen«, sagt Rahil.             Die Frauen wurden nach dem Verhör            ßen und sie ihrer Menschenrechte zu berauben.
    Gemeinsam mit zehn anderen Frauen         wieder freigelassen, doch sie waren nun      Agnès Callamard, Internationale Generalsekre-
versammelte sie sich nach dem Demons-         gewarnt, einige von ihnen haben ihre Ar-     tärin von Amnesty International, sagte: »Was
trationsverbot im Oktober in einem Ka-        beit vorerst eingestellt. Rahil und ihrer    wir in Afghanistan erleben, ist eine Tragödie.
buler Park zu einem Protest, den sie zur      Schwester gelang bald darauf die Flucht      Tausende von Afghaninnen, die ernsthaft von
Tarnung zunächst wie eine Geburtstags-        nach Pakistan. »Meine Mutter und meine       Repressalien der Taliban bedroht sind, laufen
party aussehen ließen. Nach einer Viertel-    zwei Brüder sind noch in Afghanistan. Ich    Gefahr, einer zutiefst ungewissen Zukunft über-
stunde kamen die Ordnungshüter der            habe große Angst um sie«, schreibt sie in    lassen zu werden.«
Taliban mit Gewehren. Ein neuer Plan          einer Nachricht.                             Amnesty hat an die Taliban appelliert, die Rech-
musste her: Nur noch an geheimen Orten            Parwana I. nahm am 16. Januar noch       te von Frauen und Mädchen zu respektieren.
protestieren, den Treffpunkt bis zuletzt      einmal an einer öffentlichen Protestver-     Auch die internationale Gemeinschaft sei gefor-
geheim halten und dann Journalist_in-         anstaltung teil. Am 19. Januar verschwand    dert, die afghanischen Frauen zu unterstützen.
nen einladen. Doch diese Aktionen zeig-       sie zusammen mit drei weiteren Aktivis-      »Während sich die Menschen in Afghanistan
ten wenig Wirkung. Die einheimischen          tinnen in Kabul. Lange gab es kein Lebens-   mit einer neuen Realität konfrontiert sehen,
Journalist_innen sind längst einge-           zeichen von ihnen, die Taliban bestritten    muss der UN-Sicherheitsrat auch eine Dringlich-
schüchtert, und die internationale Presse     eine Beteiligung. Mitte Februar kamen        keitsresolution verabschieden, in der die Taliban
verliert das Interesse am Aufstand der        alle Aktivistinnen wieder frei. Vorerst      aufgefordert werden, die internationalen Men-
Frauen. Das Engagement der Frauenbewe-        blieb unklar, unter welchen Umständen        schenrechtsnormen zu achten, die Zivilbevölke-
gungen im Westen, auf das die Aktivistin-     die Freilassung geschah. ◆                   rung zu schützen und Vergeltungsangriffe ein-
nen hoffen, dringt nicht vor bis Kabul.                                                    zustellen«, sagte Callamard.
»Jeden Tag fragen wir uns, warum uns          Diesen Artikel können Sie sich
unsere Schwestern im Westen nicht hö-         in unserer Tablet-App vorlesen lassen:
ren«, sagt Rahil.                             www.amnesty.de/app                                            AMNESTY JOURNAL | 02/2022 21
NICHT NUR FÜR FRAUEN
Jung, engagiert, weiblich                      Eigensinnig und mutig                              Hymnen für die Artenvielfalt
Mit seinem Kinofilmdebüt ist dem erst          Ein Roman über vier Frauengeneratio-               »Bete für die Blutegel!«, singt Tara Nome
22-jährigen Franz Böhm der große Wurf          nen, der an vielen Schauplätzen spielt –           Doyle. »Fütter mich mit Blumen«, bittet
gelungen: Er porträtiert drei junge Akti-      wie so viele palästinensische Familienge-          sie für den »Caterpillar«, die Raupe. Die
vistinnen auf drei Kontinenten. In Chile       schichten in der zweiten Hälfte des 20.            Schnecken bekommen gleich zwei Songs,
begleitet er die Aktivistin Rayen bei Pro-     Jahrhunderts. Naïma flieht 1947 aus Haifa          die zwischendurch sogar richtig Fahrt
testen gegen die Armut: Seit Jahren sorgt      in den Libanon, ihre Tochter Ema verlässt          aufnehmen. Der »Mosquito« schwebt wie
die Oberschicht des Landes für eine Um-        Beirut 1983 im Bürgerkrieg und zieht in            ein Kirchenchoral durch erhabene Hö-
verteilung von unten nach oben. »Chile         die Schweiz. Emas Tochter Dara kehrt in            hen. So geht es fröhlich weiter auf dem
ist reich, aber nicht für alle«, sagt Rayen.   den Libanon zurück, nur um das Land                neuen Album der 24-jährigen Wahlberli-
Viele Demonstrierende erlitten schwere         nach dem Kriegsausbruch 2006 mit ihrer             nerin mit irischen und norwegischen
Verletzungen, die Sicherheitskräfte ziel-      Tochter Lila in Richtung Frankreich zu             Wurzeln, mit dem sie dem »Værmin«,
ten mit Gummigeschossen auf die Augen.         verlassen. Der Autor Jadd Hilal deutet die         dem Ungeziefer, die Ehre erweist. Ob Mot-
     Auch die ugandische Fridays for Futu-     politischen Hintergründe nur an. Im                te oder Krähe, Spinne oder Wurm: All die
re-Gründerin Hilda Flavia Nakabuye             Vordergrund seines Debüts stehen die               nicht wohlgelittenen Lebewesen bekom-
weiß, wie sich Repression anfühlt. Der         vier Frauen, von denen jede auf ihre Art           men ihre eigene Hymne, getragene Songs
Klimawandel ist für ihre Familie eine          eigensinnig und mutig ist und sich ge-             mit wundervollen Melodien, entspannten
konkrete Bedrohung. Bei Überschwem-            walttätigen oder unnützen Vätern und               Beats oder butterweichem Klavier – und
mungen fließt der Boden auf den Feldern        Ehemännern widersetzt. Der Autor er-               vor allem der Stimme von Doyle, die auch
einfach weg, mitsamt der Ernte. Am Frei-       zählt nicht in epischer Breite, sondern in         Brehms Tierleben singen könnte und
tag für das Weltklima Schule schwänzen?        vielen kleinen, gut beobachteten und prä-          man würde an ihren Lippen hängen. Alle
Das erübrige sich, »wenn der Schulweg          zise geschilderten Szenen. Ein reizvoller          Songs funktionieren auch als Liebeslie-
von den Fluten weggerissen wird«.              Roman, der den Nahostkonflikt in unge-             der, aber vor allem feiert das Album die
     Pepper aus Hongkong war gemeinsam                      wöhnlicher Weise behandelt.                             Artenvielfalt – und da-
mit vielen anderen jungen Leuten lange                                                                              mit das Leben selbst.
bei den Protesten gegen den chinesischen                   Jadd Hilal: Flügel in der Ferne. Aus
Einfluss aktiv. Pepper sagt: »Sie glauben                  dem Französischen von Barbara                            Tara Nome Doyle: »Vær-
vielleicht, dass wir zu ihnen gehören,                     Sauser, Lenos, Basel 2021,                               min« (Martin Hossbach/
dass sie uns ›besitzen‹, aber ich komme                    202 Seiten, 22 Euro                                      Modern Recordings/ BMG)
nicht aus China.« Der Kampf für Demo-
kratie und Unabhängigkeit hatte für Pep-
per einen hohen Preis: Sie musste nach         Gegen den Untergang                                Global und divers
Europa fliehen.                                Meer, Palmen, Sandstrand – das Leben auf           Das Festival »Frequenzen – Feminismen
     Die jungen Aktivistinnen eint, dass sie   Tuvalu mutet paradiesisch an. Doch                 Global« wird sich im Mai mit der Vielfalt
von autoritären Strukturen genug haben         längst bekommt der Inselstaat im Südpa-            feministischer Strömungen und Stand-
und dafür auf die Straße gehen. Nicht sel-     zifik die volle Wucht der Klimakrise zu            punkte beschäftigen – global, multiper-
ten erfahren sie staatliche Gewalt, aber       spüren: Der Meeresspiegel steigt, die Bö-          spektivisch, intersektional und divers. Im
sie wissen auch, dass sie nicht allein sind.   den versalzen, Regen bleibt aus, stattdes-         Zentrum stehen dem veranstaltenden
Sie erleben weltweit Unterstützung. Hilda      sen nehmen Stürme und »Monsterwel-                 Goethe-Institut zufolge der Widerstand
sprach auf der Weltklimakonferenz, und         len« zu. Tahnees Vater sieht keinen ande-          und Protest von Frauen weltweit, Fragen
die chilenischen Demonstrierenden ha-          ren Ausweg, als die Heimat zu verlassen.           alternativer Ökonomien und Sorgearbeit,
ben immerhin ein Verfassungsreferen-           Die Teenagerin dagegen schließt sich den           ebenso wie die Rolle von Männern. Mit-
dum erreichen können.                          Climate Warriors und der Fridays for Fu-           wirkende sind Feminist_innen verschie-
     Regisseur Franz Böhm setzt seine          ture-Bewegung an, um etwas gegen die               dener Generationen, Weltregionen und
Hauptdarstellerinnen gekonnt in Szene.         Klimakrise zu tun. »Wir sind keine Opfer!          Strömungen. Geplant ist unter anderem
Mehr als einmal steht er dabei zwischen        Wir gehen nicht unter! Wir kämpfen!«               die Premiere einer Produktion der libane-
Protestzügen und Ordnungsmacht. Die-           Tahnee setzt sich für ihre Ziele, Überzeu-         sischen Performance-Künstlerin Rima
ser Film ist ein Musterbeispiel für enga-      gungen und auch für ihre Liebe zu Malaki           Najdi. Die indische Schriftstellerin, Verle-
giertes Kino.                                  ein, die laut tapu, den Gesetzen ihrer Vor-        gerin und Feministin Urvashi Butalia
                                                            fahren, verboten ist.                 (Amnesty Journal, 05/2020) soll an einer
            »Dear Future Children«.                                                               Diskussion teilnehmen.
            AUT/D/UK 2021. Regie: Franz                    Carolin Philipps: Tuvalu. Bis zum
            Böhm. Informationen über                       nächsten Sturm. Ueberreuter, Ber-      Frequenzen – Feminismen Global: 19. bis
            Kinovorführungen gibt es auf                   lin 2021, 160 Seiten, 12,95 Euro, ab   21. Mai 2022, Pfefferberg-Gelände,
            www.dearfuturechildren.com                     12 Jahren                              Schönhauser Allee 176, 10119 Berlin

22 AMNESTY JOURNAL | 02/2022                                              Tipps: Jürgen Kiontke, Wera Reusch, Thomas Winkler, Marlene Zöhrer
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