PULS Bitte lächeln! Schwerpunkt: Optimismus - Marienhaus-Gruppe

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Bitte lächeln!
Schwerpunkt: Optimismus

 Glaube                   Liebe               Hoffnung
 Worin eine               Eine Hospiz-        Hilfe für
 Ordensschwester          schwester erzählt   Flüchtlinge aus
 Zuversicht findet        aus ihrem Alltag    der Ukraine
PULS Bitte lächeln! Schwerpunkt: Optimismus - Marienhaus-Gruppe
Vorwort

„Auch hier wird gelacht und
es werden Witze gemacht“
Um über das aktuelle Heftthema zu sprechen, trafen sich
Marienhaus-Geschäftsführer Dr. Jochen Messemer und
Kommunikationschef Dietmar Bochert im Franziskus-
Hospiz Hochdahl in Erkrath – nur auf den ersten Blick
eine ungewöhnliche Wahl in Sachen Optimismus.

Bochert: Herr Messemer, sind Sie          dernden Situation spürt man im gan-      und Mitarbeitern, die mit ganzem
Optimist oder Pessimist?                  zen Haus eine Freude und Fröhlich-       Herzen dabei sind.
Messemer: Ich würde mich in der Mit-      keit, die mich beeindruckt. Auch hier
te einsortieren. Wer Verantwortung        wird gelacht und es werden Witze         Bochert: Wie optimistisch schauen
übertragen bekommt, neigt vermut-         gemacht. Für mich ist das auch eine      Sie denn aufs deutsche Gesundheits-
lich dazu, eher die Risiken zu betrach-   Mahnung, glücklich zu sein mit dem,      wesen?
ten. Ich denke aber, Optimismus ist       was man hat. Das vergessen wir lei-      Messemer: Wir sind im Vergleich zu
eine Haltung, an der man arbeiten         der viel zu schnell.                     anderen Ländern gut durch die Pan-
kann – und dieses Gespräch ist ein                                                 demie gekommen. Es gibt in Deutsch-
Impuls für mich, das zu tun.              Bochert: Inwiefern ist dieser Optimis-   land eine tolle Ausbildung – auch
                                          mus in den franziskanischen Werten       wenn man sicher noch mehr machen
Bochert: Wenn Optimismus eine Hal-        verankert, auf die sich Marienhaus       kann, etwa im Hinblick auf die Aka-
tung ist: Lässt sich diese weitergeben?   beruft?                                  demisierung der Pflege. Wir haben
Messemer: Optimismus ist etwas,           Messemer: Es geht um Zugewandt-          hervorragende Ärztinnen und Ärzte
das ausstrahlt. Das merke ich ganz        heit, darum, für die Menschen da zu      und eine tolle wissenschaftliche
stark hier im Hospiz: Die Kolleginnen     sein und auf sie zuzugehen. Wenn         Community; Biontech ist ein gutes
und Kollegen hier betreuen Men-           man anderen helfen kann, gibt einem      Beispiel dafür. Es gibt also viele gute
schen, die auf dem letzten Weg ihres      das enorm viel zurück – das spüre ich    Gründe, optimistisch zu sein.
Lebens sind. Trotz dieser herausfor-      bei unseren 13.000 Mitarbeiterinnen

                                                                                     INFORMATIONEN ZUM
                                                                                     FRANZISKUS-HOSPIZ
                                                                                     HOCHDAHL:
                                                                                     franziskus-hospiz-hochdahl.de

                                                                                     https://www.marienhaus.de/pulsm

                                                                                     VIDEO
Foto: Joachim Gies

                                                                                     Dies ist ein Auszug aus dem
                                                                                     Interview mit Jochen Messemer.
                                                                                     Das komplette „Gespräch im Gang“
                                                                                     können Sie sich im Video ansehen.

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PULS Bitte lächeln! Schwerpunkt: Optimismus - Marienhaus-Gruppe
Ein Heft über
positives Denken –
und seine
Schattenseiten
PULS Bitte lächeln! Schwerpunkt: Optimismus - Marienhaus-Gruppe
Inhalt
Gespräch im Gang                                                              2
Vorwort von Marienhaus-CEO Dr. Jochen Messemer

Gut zu wissen
Wissenswertes und Kurioses zum Thema Optimismus
                                                                              6
                                                                                  50
Jugend in Deutschland                                                         8   Interview
Wir haben zwei junge Menschen gefragt: Wie geht es euch?                          Bestseller-Autorin Juliane Marie
                                                                                  Schreiber verrät, wie Pessimisten
Ratgeber                                                                     12   die Welt retten können.
Viele Tipps, die unsere Sichtweise aufs Leben verändern

Glaube und Zuversicht                                                        17
Gastbeitrag von Schwester Edith-Maria Magar

Organspende                                                                  18
Ein Transplantationsbeauftragter erzählt von seinem Job

Auf Herz und Nieren                                                          20

                                                                                  36
Organspende in Zahlen

Transplantation transparent                                                  22
Interview mit Ana Barreiros von der
Deutschen Stiftung Organtransplantation
                                                                                  Ukraine
                                                                                  Marienhaus-Mitarbeitende
Glück ist ...                                                                24   helfen Flüchtlingen.
Wie Hormone unseren Körper beeinflussen

Eine Hospizschwester im Porträt                                              26
Wenn das Sterben Alltag ist

                                                26
                                                Ein gutes Ende
                                                Ute Keller begleitet Sterbende.

    4                                                                                              PulsM | Optimismus
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Rosas Welt                                                         31
                                       Einblicke in das Leben von Ordensgründerin Margaretha Flesch

                                       Ich sage „Ja“ zu ...                                               32
                                       Geschichten von Mitarbeitenden

                                       Ukraine                                                            36
                                       Zwei Geschichten über gelebte Nächstenliebe

                                       Expertencheck                                                      40
                                       Ist Lachen wirklich die beste Medizin?

                                       Glücksbringer                                                      41
                                       Unterwegs mit Klinikclown Michael Schwan

                                       Irren ist menschlich                                               46
                                       Fehleinschätzungen prominenter Schwarzmaler

                                       Ich möchte lieber nicht                                            50
                                       Interview mit Bestseller-Autorin Juliane Marie Schreiber

                                       News/Stippvisite                                                   54

                       18
                                       In eigener Sache/Impressum                                         58

                                       Zu guter Letzt                                                     59
                                       Die Marienhaus-Gruppe im Überblick
                     Organspende
           Ein Akt der Nächstenliebe

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Wissen

       GLÜCKSGENE
       Forschende gehen davon aus, dass 20 bis 30
       Prozent der optimistischen und pessimistischen
       Neigungen genetisch veranlagt sind. Der Rest
       entsteht durch unsere Lebenserfahrungen. Eine
       behütete Kindheit beispielsweise formt eher
       Optimisten.

                                                                                         OPTIMISTEN LEBEN

                                              Gut zu
                                                                                         LÄNGER
                                                                                         Laut einer US-Studie ist
                                                                                         die Chance, mit einer
                                                                                         zuversichtlichen Lebens-

                                              wissen
                                                                                         einstellung älter als 85
                                                                                         Jahre alt zu werden, bei
                                                                                         Männern 70 Prozent
                                                                                         höher als bei ihren
                                                                                         schwarzmalenden
                                          Voller Zuversicht hat sich die                 Geschlechtsgenossen.
                                           „PulsM“-Redaktion an die
„ET HÄTT NOCH EMMER                       Arbeit gemacht. Wir haben
JOOT JEJANGE.“                           Quellen studiert und Experten
(Es ist noch immer gutgegan-
gen.) Artikel 3 des „Rheinischen
                                         herangezogen. Die Ergebnisse
Grundgesetzes“, einer Zusam-               unserer Recherche belegen
menstellung elf mundartlicher
Redensarten.
                                            glasklar: Alles wird gut!

                                                TEXT: Sonja Hausmanns
                                          ILLUSTRATION: Frauke Leifeld-Janßon

                                                                DON‘T WORRY, BE HAPPY.
                                                                Bobby McFerrin

                                          Täglich entstehen etwa
                                        60.000 Gedanken in
                                      unserem Kopf – doch davon
                                  sind nur etwa 3 Prozent positiv.
                          Die Schwarzmalerei ist quasi ein Erbe
                 aus der Steinzeit: Wer damit rechnet, dass der
                 nächste Säbelzahntiger schon auf ihn lauert,
                 verhält sich vorsichtig.

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Wissen

                                                                                                             GLÜCK, LASS NACH!
                                                                                                                Ob in der Liebe, im Beruf, in
                                                                                                                 der Familie oder einfach nur
                                                                                                                  so: Es gibt Menschen, die
                                                                                                                    Glücksgefühle meiden,
                                                                                                                    weil sie enttäuscht
                                                                                                                    werden könnten. Psycho-
                                                                                                                    logen sprechen dann von
                                                                                                                  „Cherophobie“.

                „DAS HABE ICH NOCH NIE
                VORHER VERSUCHT, ALSO BIN
                ICH VÖLLIG SICHER, DASS ICH ES
                SCHAFFE.“
                Pippi Langstrumpf
                                                                  BLOSS NICHT UNTERGEHEN
                                                                  Beim Segeln sind „Optimisten“
                                                                  Einsteigerboote für Kinder. Entwor-
                                                                  fen wurde diese Jolle 1947 vom ame-
                                                                  rikanischen Bootsbauer Clark Mills.
                                                                  Den Namen für das Boot leitete Mills
                                                                  von seinem heimischen Segelklub
                                                                  „Club Optimist“ ab. Es ging also nicht
                                                                  darum, Eltern zu beruhigen, die ihre
                                                                  Kinder in der Nussschale schon kentern
                                                                  sahen.

                                                                                                           IST DER NAPF HALB VOLL
                                                                                                             ODER HALB LEER?
                                                                                                              Die Verhaltensforscherin
                                                                                                               Melissa Starling machte ein
                                                                                                                Experiment, bei dem Hunde
                                                                                                                lernten, bestimmte Töne mit
                                                                                                                 Leckerli zu verknüpfen.
                                                                                                                 Dann spielte die Forscherin
       „ICH BIN NICHT GESCHEITERT – ICH
                                                                                                                 einen unbestimmten Ton
       HABE 10.000 WEGE ENTDECKT, DIE
                                                                                                                – und nur die optimistischen
       NICHT FUNKTIONIERT HABEN.“
                                                                                                                Hunde freuten sich darauf-
       Thomas Alva Edison                                                                                      hin auf ihr Leckerli.

GESUND UND
BUNT
Einer Harvard-Stu-
die zufolge lassen
sich in Optimisten-
blut höhere Caroti-
noid-Werte nachwei-
sen als bei Pessimisten.
Diese Antioxidantien                                                                „DIE EINZIGEN WIRK-
stammen zum Beispiel aus                                                            LICHEN FEINDE EINES
Lebensmitteln wie Karotten und Paprika,                                             MENSCHEN SIND SEINE
Tomaten und Orangen. Optimisten                                                     EIGENEN NEGATIVEN
ernähren sich also gerne gesund.                                                    GEDANKEN.“
                                                                                    Albert Einstein
Quelle: br.de, Menshealth.de, spiegel.de, wikipedia.de, Zeit.de

PulsM | Optimismus                                                                                                                             7
PULS Bitte lächeln! Schwerpunkt: Optimismus - Marienhaus-Gruppe
Jugend

Stell dir vor,
die Zukunft
wird super und
du bist schuld
daran!
Die Studie „Jugend in Deutschland“ sieht die 14-
bis 29-Jährigen im Dauer-Krisenmodus: Sie fürchten
den Krieg und die Klimakrise und kämpfen mit den
Folgen der Corona-Pandemie. Wir haben zwei junge
Menschen gefragt: Wie geht es euch?
TEXT: Sonja Hausmanns | FOTOS: Joachim Gies

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Jugend

                        Becky/Noah Reusser (25) (links) und
                        Clarissa Zohner (27) haben vergangenes
                        Jahr ihre Ausbildung in Physiotherapie
                        am Rheinischen Bildungszentrum Neu-
                        wied begonnen.

Clarissa stammt aus Limburg und en-
gagiert sich im Netzwerk „Wir sind
mehr“ gegen Rassismus und Hass im
Netz. Zudem ist sie Teil der Klima-
schutzbewegung. Die gelernte Büro-
kauffrau hat zuletzt ein Fitnessstudio
geleitet.                                    erhalten sollte, ist viel zu früh verloren   Clarissa: Ich hätte gedacht, dass wir in
                                             gegangen. Mir, und das habe ich auch         Sachen Geld viel freier sind. Gerade,
Becky/Noah gehört zur queeren Com-           in meinem Freundeskreis so erlebt,           wenn es keine Sicherheit mehr gibt,
munity und identifiziert sich als non-       war es wichtig, aus der Situation auch       lohnt es sich doch, etwas zu suchen,
binär, also nicht ausschließlich einem       etwas Positives zu schöpfen. Ich habe        das Sinn gibt. Nehmen wir den Worst
Geschlecht zugehörig. Sie/er ist in der      die Zeit genutzt, um über mich und           Case und morgen wird meine Stadt
Schweiz geboren und hat zunächst auf         mein Verhalten nachzudenken; ande-           angegriffen: Dann möchte ich nichts
Lehramt studiert.                            re haben die Vorteile des Homeoffice         bereuen müssen.
                                             entdeckt, weil sie mehr Zeit mit der
Laut der Studie hat fast die Hälfte der      Familie verbringen konnten.                  Du spiest auf den Krieg an, der uns alle
jungen Menschen in Deutschland                                                            unvorbereitet getroffen hat. Anders die
Angst, gerade die beste Zeit des Lebens      Clarissa: Bei mir hat sich während der       Klimakrise: Macht ihr der Generation
zu verpassen. Geht euch das auch so?         Lockdowns der Gedanke entwickelt,            vor euch Vorwürfe, dass sie so spät und
Clarissa: Bei meinen Freund*innen und        die Physio-Ausbildung zu machen. Ich         inkonsequent handelt?
meiner jüngeren Schwester ist diese          war vorher sehr eingespannt im Job,          Clarissa: Ich habe generell ein Unver-
Angst sehr präsent. Meine Schwester          mit meinen Freuden, meinen Routi-            ständnis für alle, die jetzt noch kein
ist drei Jahre jünger als ich, hat gerade    nen. In dieser Blase stellte sich gar        Bewusstsein für das Thema aufgebaut
ihren Master gemacht und im Studium          nicht die Frage: Was will ich eigentlich     haben. Mich macht das traurig. Mit
quasi keinen Menschen gesehen. Da            sonst noch? Aber so war ich gezwun-          meinen Freundinnen spreche ich zum
merke ich schon, dass sie nicht glück-       gen, über den Tellerrand zu blicken,         Beispiel häufig darüber, ob es okay ist,
lich ist. Durch Corona haben wir alle        und habe festgestellt, dass die Welt viel    Kinder in diese Welt zu setzen, die
unser Leben beiseite legen müssen.           größer ist und mir noch viel offensteht.     dann die ganze Last tragen müssen.
Und auch die Klimakrise zwingt uns                                                        Wir wissen alle, dass es weit nach 12
dazu, zurückzustecken und zum Bei-           Diese Sinnsuche steht bei vielen eurer       ist, und das macht mich wütend.
spiel seltener in den Urlaub zu fliegen.     Altersgenossen nicht mehr im Vorder-
Dass es keine leichte Zeit ist, würde ich    grund, stattdessen nennen sie erstmals       Becky/Noah: Trotzdem finde ich es
in jedem Fall unterschreiben. Persön-        seit Jahren wieder Geld als den wich-        wichtig, auch andere Sichtweisen zu-
lich bin ich allerdings ziemlich zufrie-     tigsten Leistungsmotor …                     zulassen. Wenn ich als Kind mit mei-
den, was wohl auch daran liegt, dass         Becky/Noah: Ich möchte nach wie vor          nem Vater über das Thema gesprochen
ich schon ein paar Jahre hatte, in denen     einen Job, der mich erfüllt, aber ich        habe, hatte ich einen anderen Zugang
ich viel sehen und machen konnte.            kann das dennoch nachvollziehen.             und überhaupt kein Verständnis da-
Aber 18 möchte ich heute nicht sein.         Wenn man mehr über sein Leben                für, wie man schlecht mit der Umwelt
                                             nachdenkt und das Sicherheitsbedürf-         umgehen kann. Das sind grundsätz-
Becky/Noah: Als die Pandemie be-             nis an vielen Stellen nicht mehr erfüllt     liche Werte, die man als Kind in sich
gann, war ich noch im Lehramtsstu-           wird, sucht man es woanders. Insofern        trägt. Aber das Risiko ist groß, dass
dium und habe erlebt, wie sehr die           überrascht mich das nicht. Ich fühle         sich das im Älterwerden verliert. Wir
Schüler*innen gelitten haben. Die Frei-      mich aber mehr in dem Sinnsuchen-            sind halt eine Leistungsgesellschaft,
heit und kindliche Sorglosigkeit, die        den verhaftet, das ja eigentlich für         was natürlich nicht entschuldigt,
man eigentlich so lange wie möglich          meine Generation charakteristisch ist.       ignorant zu sein. Aber ich habe Ver-

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Jugend

ständnis dafür, wenn man der Debat-        schutz und Nachhaltigkeit ist vorbild-      dem eine Psychotherapie guttun wür-
te noch nicht zugänglich ist. Das Beste,   lich. Persönlich finde ich es eher er-      de. Für mich ist die optimistische Sicht
was wir machen können, ist, in den         strebenswert, für andere ein Vorbild        der Dinge eine Lebensstrategie. Aber
Dialog zu kommen.                          zu sein. Nicht, weil ich besser bin. Aber   der Optimismus, den ich nach außen
                                           wenn andere sehen, dass ich mich für        zeige, spiegelt nicht unbedingt mein
Clarissa: Bei manchen Themen darf es       etwas einsetze, und sie das dann auch       Inneres wider. Trotzdem oder gerade
einfach keine Kompromisse geben.           motiviert, fände ich das super.             deshalb finde ich es wichtig, Men-
Und wer die Klimakrise noch immer                                                      schen ernst zu nehmen, die eine akute
nicht sieht, der hat den Knall nicht ge-   Becky/Noah: Mein Vorbild sind vor-          Lebenskrise haben und sich vielleicht
hört. Ich verstehe, dass nicht jeder Ve-   herige Generationen, die dafür ge-          nicht einmal mehr dazu motivieren
getarier werden will, und auch, dass       kämpft haben, dass ich heute so frei        können, vom Sofa aufzustehen.
man sich auf seinen Urlaubsflug freut.     zu meiner Identität stehen kann.
Aber zu Hause auf dem Esstisch was         Grundsätzlich finde ich Menschen in-        Clarissa: In meinem Freundeskreis gab
zu verändern und die Heizung zwei          spirierend, die herausgefunden haben,       es schon vorher depressive Krank-
Grad runterzudrehen – das sind kleine      wer sie sind, und sich trauen, das dann     heitsbilder, aber in den letzten zwei
Dinge und die haben nichts mit Ver-        auch zu leben. Das ist an sich schon        Jahren ist das noch deutlicher gewor-
zicht zu tun.                              eine großartige Leistung.                   den. Es muss noch einiges getan wer-
                                                                                       den, damit das nicht mehr als persön-
Becky/Noah: Meine Hoffnung ist, dass       Fast jeder zweite junge Mensch sagt,        liches Versagen abgestempelt wird.
bei Menschen, die sich scheinbar ver-      dass seine Psyche durch die Pandemie        Wir brauchen genügend Anlaufstellen
sperren, am Ende doch was ankommt.         gelitten hat. Ist das für euch auch ein     und Therapieplätze. Aber ich habe den
Weil wir doch letztlich alle ein gutes     Thema?                                      Eindruck, dass sich in Sachen „Mental
und glückliches Leben wollen.              Becky/Noah: Ich bin gerade wieder           Health“ mehr bewegt als in vielen an-
                                           dabei, eine Psychotherapie aufzu-           deren Bereichen.
Habt ihr Vorbilder?                        nehmen und habe in meinem Um-
Clarissa: Generell die Schweden: Was       feld einige Menschen, die psychisch         Becky/Noah: Ich nehme da eine neue
die antreiben in Richtung Klima-           belastet sind. Ich glaube aber, dass je-    Offenheit wahr: Durch die Pandemie
                                                                                       werden psychische Tiefs auch von
                                                                                       Menschen verstanden, die das vorher
                                                                                       nicht kannten. Das war heilsam und

     Jugend in Deutschland                                                             hat das Bewusstsein dafür geschärft,
                                                                                       dass psychische Gesundheit genauso
                                                                                       wichtig ist wie physische.
     Die Trendstudie „Jugend in            setzt der Jugend zu. Nach zwei
     Deutschland“ erscheint halbjähr-      Jahren Einschränkungen ihres                Was macht euch Sorgen – und woraus
     lich und greift aktuelle Themen       privaten und schulisch-berufli-             schöpft ihr Zuversicht?
     der Generation Z und Y auf. Zu-       chen Alltags durch die Pandemie             Becky/Noah: In manchen Punkten
     letzt erschien die repräsentative     sind viele von ihnen psychisch              bereitet mir dir digitale Entwicklung
     Studie im Mai 2022; befragt wur-      angespannt. Die Bedrohung durch             Sorgen. Ich habe Angst davor, dass in
     den rund 1.000 junge Menschen         einen Krieg in Europa drückt als            Social Media durch persönliche Un-
     zwischen 14 und 29 Jahren. Deren      eine weitere schwere emotionale             zufriedenheit eine Gegenbewegung
     Grundstimmung beschreibt die          Last auf ihre Stimmung. Viele ma-           zur Offenheit entsteht. Wenn sich
     Studie folgendermaßen: „Die           chen sich große Sorgen um ihre              Leute als homosexuell, queer oder
     dichte Aufeinanderfolge von tief      berufliche, finanzielle und wirt-           was auch immer outen, beobachte
     in das Leben eingreifende Krisen      schaftliche Zukunft.“                       ich, dass das im Netz zunehmend ne-
                                                                                       gativ diskutiert wird. Für die betrof-
                                                                                       fene Person ist es sehr belastend,
                       https://simon-schnetzer.com/blog/                               wenn die eigene Offenheit als Angriff
                       pressemitteilung-zur-trendstudie-sommer-2022/                   verstanden wird. Deshalb versuche
                                                                                       ich, Abstand von Social Media zu
                                                                                       nehmen und im Alltag zu zeigen, dass

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Jugend

man der Mensch sein darf, der man
ist. Ansonsten bin ich aber sehr opti-
mistisch: Ich habe das Gefühl, dass
die Probleme wahrgenommen wer-
den und dass gerade bei Jüngeren die        Physiotherapie-Ausbildung
Lust da ist, aktiv mitzuwirken. Das
finde ich sehr schön.                       bei Marienhaus
Clarissa: Es liegen jetzt alle Themen       Die Physiotherapieschule am           das bedeutet selbstbestimmtes
auf dem Tisch und wir wissen, an wel-       Rheinischen Bildungszentrum           und entdeckendes Lernen, hand-
chen Schrauben wir zu drehen haben:         Neuwied ist fest in das Physiothe-    lungsorientierter Unterricht, fä-
Klimaschutz, Emanzipation – die             rapiezentrum Reha Rhein-Wied          cherübergreifendes Studieren und
wichtiger denn je ist –, Inklusion. Jetzt   und das Marienhaus Klinikum           Selbstevaluation. Ab dem dritten
sind wir es, die etwas verändern müs-       integriert. Daraus ergibt sich eine   Ausbildungsjahr gibt es die Mög-
sen. Wir können uns nicht auf unsere        sehr praxisnahe Ausbildung am         lichkeit, ein duales Studium zu
Eltern oder irgendwelche Babyboomer         Patienten. Als Unterrichtsmetho-      beginnen – in Kooperation mit der
verlassen – es sind nicht deren The-        de wird das in den Niederlanden       Zuyd Hogeschool in Heerlen (Nie-
men, es sind unsere! Ich finde es wich-     gängige Prinzip des Problemorien-     derlande) nahe Aachen.
tig, dass junge Leute wie Greta Thun-       tierten Lernens (POL) eingesetzt,
berg mit klaren Meinungen und Zielen
ans Mikrofon gehen. Dass sich immer
nur wenig bewegt, wissen wir seit 100                         Mehr Informationen zu Ausbildungs-
Jahren. Aber wir schreiten voran und                          inhalten und Vergütung:
es tut sich was. Deshalb glaube ich,                          https://www.rheinisches-bildungszentrum.de/
dass wir in einer besseren Welt leben                         ausbildung-1/physiotherapeut
können.

PulsM | Optimismus                                                                                                    11
Ratgeber

      Immer
      schön
      oben
      bleiben!

      Unzählige Ratgeber versprechen uns, dass wir nur dies oder jenes tun
      müssen, um unsere Sichtweise auf das Leben zu verändern. Wir stellen
      einige der häufigsten oder ungewöhnlichsten Tipps vor – mit einem
      Augenzwinkern, aber ohne Gewähr.
      TEXT: Sonja Hausmanns | ILLUSTRATION: Maamon Alramadan

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Ratgeber

                     SCHREIBEN SIE EIN DANKBARKEITS-
                     TAGEBUCH: Halten Sie jeden Abend
                     fest, wofür Sie in diesem Moment
                     dankbar sind. Das schärft den Blick für
                     die schönen Dinge und gibt Ihnen am
                     Ende des Tages ein positives Gefühl.

                                                               KONDITIONIEREN SIE SICH
                                                               POSITIV: Binden Sie sich ein
                                                               Gummiband um das Handge-
                                                               lenk. Sollten sich dunkle Gedan-
                                                               ken in Ihrem Hirn einnisten,
                                                               ziehen Sie an dem Band und
                                                               lassen Sie es zurückschnellen.
                                                               Die kleine Dosis Schmerz hilft,
                                                               sich negative Denkweisen
                                                               bewusst zu machen – und sie
                                                               zu verändern.

PulsM | Optimismus                                                                                     13
Ratgeber

                                      FÜHREN SIE REGIE IN IHREM KOPFKINO:
                                      Sie malen sich in Gedanken immer wieder
                                      aus, was alles schiefgehen könnte? Versu-
                                      chen Sie stattdessen lieber, ein Happy End
                                      für Ihr Kopfkino zu schreiben: Was kann
                                      Gutes passieren? Was können Sie dafür tun?
                                      Und wie werden Sie sich am Ende fühlen?
                                      Das hilft, die Gedanken zu beruhigen und
                                      ins Handeln zu kommen.

                                                               LEBEN SIE ÜBER DEM DURCH-
                                                               SCHNITT: Wir tendieren dazu,
                                                               uns selbst besser einzuschätzen
                                                               als den Durchschnitt – ob begrün-
                                                               det oder unbegründet. Psycho-
                                                               logen sprechen vom „Above-Aver-
                                                               age-Effekt“. Um ihn zu verstärken,
                                                               können Sie eine Liste anlegen mit
                                                               allen Komplimenten, die Sie im
                                                               Laufe der Zeit bekommen, sei es
                                                               beruflich oder privat.

VERÄNDERN SIE IHRE KÖRPER-
HALTUNG: Nicht nur Gedanken
beeinflussen unser Denken, sondern
auch die Art und Weise, wie wir uns
bewegen. Indem wir aufrecht stehen,
die Schultern breit machen und den
Kopf hochnehmen, lassen sich auch
unsere Gefühle „aufrichten“.

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Ratgeber

                     LÄCHELN SIE FÜR MINDESTENS 60 SEKUNDEN:
                     Wenn Sie eine Minute lang Ihr Gesicht zu einem
                     Lächeln verziehen, bekommt Ihr Gehirn das
                     Signal, dass Sie glücklich sind. Ihr Körper schüttet
                     dann tatsächlich Glückshormone aus und Sie
                     fühlen sich sofort besser.

    DOSIEREN SIE DIE NACHRICHTEN:
    Bei Katastrophenmeldungen auf
    allen Kanälen entsteht schnell der
    Eindruck, dass die Welt nur noch
    schlecht ist. Um dieses Empfinden zu
    mildern, hilft es, den Newskonsum einzu-
    schränken und sich beispielsweise nur noch
    einmal am Tag bewusst und konzentriert zu
    informieren.

PulsM | Optimismus                                                               15
Ratgeber

     ERZÄHLEN SIE VON DEN SCHÖNEN DINGEN:
     Wir neigen dazu, von Dingen zu berichten, die uns
     belasten oder nerven. Versuchen Sie stattdessen,
     mehr über positive Ereignisse zu sprechen. Diese
     erhalten dann automatisch mehr Gewicht und das
     sorgt für gute Stimmung.

                                                         GEWÖHNEN SIE SICH EINE POSITIVE
                                                         SPRACHE AN: Es macht einen Unter-
                                                         schied, ob Sie sagen: „Ich will nicht mehr
                                                         traurig sein“ oder „Ich will fröhlich sein“.
                                                         Unser Gehirn überhört nämlich das
                                                         Wörtchen „nicht“ – und so bleibt nur
                                                         „traurig“ im Gedächtnis hängen. Streichen
                                                         Sie daher negative Begriffe aus Ihrem
                                                         Wortschatz und formulieren Sie positiv.

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Gastbeitrag

An das Gute glauben
Ein Beitrag von Schwester Edith-Maria Magar,
Generaloberin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen.

Krisengeschüttelt präsentiert sich          Der, der uns das zusagt, Jesus, hat als
unsere Zeit. Fürchterliche Kriege in        Mensch auf Erden gezeigt, wie ein Le-
Europa und weltweit legen Wunden            ben in Gewaltverzicht und Liebe zu
offen: Gewalt, Hass, Energie-, Ernäh-       allen Geschöpfen geht. Daran will ich
rungs- und Klimakrise verbunden mit         festhalten und in meinem Lebensum-
Flüchtlingsschicksalen, die beispiellos     feld das mir Mögliche zu einer fried-
sind. Dazu die Pandemie mit ihren           volleren Welt beitragen.
Auswirkungen und die Krise der Kir-
che – all das setzt mir ganz schön zu.
Amokläufe, zunehmende menschen-
verachtende, auch rassistische und
antisemitische Parolen und daraus
nicht selten folgende Gewalttaten
lassen mich zuweilen am gesellschaft-
lichen Zusammenhalt zweifeln. Und
nicht zuletzt hat uns die schreckliche
Flutkatastrophe unsere Verwundbar-
keit und unsere Verwiesenheit auf
dramatische Weise bewusst gemacht.

Und dennoch: Was an solidarischer
Hilfsbereitschaft, an persönlichem
Einsatz, an materieller und finanziel-

                                                                                              Foto: Andrea Schulze
ler Hilfe, auch an Zivilcourage vieler-
orts geschieht, das stimmt mich zu-
versichtlich und lässt mich weiter an
das Gute glauben. Was allein die Mit-
arbeitenden in unseren Einrichtungen
an enormen Belastungen in all diesen

                                                                             i
Geschehnissen auf sich nahmen und
nehmen, ist aller Ehren wert!
                                             Bei den Waldbreitbacher
Für mich als Christin zeigt sich in jeder    Franziskanerinnen liegt
Person, die Gutes tut, das menschliche       der Ursprung der Marienhaus-
und liebende Antlitz Jesu. Es ist ein        Gruppe. 2011 hat der Orden seine
Zeugnis der Menschenfreundlichkeit           Einrichtungen jedoch in die Ma-
Gottes, weil hier Nächstenliebe ganz         rienhaus-Stiftung überführt. Den-
konkret mit Kopf, Herz und Hand in           noch arbeitet die Marienhaus-
die Tat umgesetzt wird. Ja, als Christin     Gruppe nach wie vor im Sinne des
glaube ich an ein Leben nach dem Tod,        Ordens und seiner Gründerin, der
an ein Leben in gelingender Gemein-          seligen Mutter M. Rosa Flesch.
schaft, friedvoll, gerecht und erlöst.

PulsM | Optimismus                                                                                17
Organspende

Wo alle
zusammenlaufen
                                 Fäden
Eine Organspende ist eine Ausnahmesituation. In
erster Linie für die Angehörigen – aber auch für Ärzte
und Pflegende. Wichtigster Ansprechpartner für alle
Beteiligten ist Dr. Johannes Rasbach, Transplantations-
beauftragter am Marienhaus Klinikum Neuwied.
Er nimmt Zweifel und gibt Zuversicht.
TEXT: Sonja Hausmanns | FOTOS: Joachim Gies

Was ist Leben? Was ist Tod? Das The-      die Patientin einen schweren irrepa-
ma Organspende rührt an existenzi-        rablen Hirnschaden erlitten hat. Um
elle Fragen. Und vielleicht liegt es      die Endgültigkeit dieser Diagnose
daran, dass in Deutschland nur 36         deutlich zu machen, spricht Rasbach
Prozent der Menschen einen Organ-         von Menschen, die „im Hirntod ver-
spendeausweis besitzen – obwohl           storben“ sind. In Deutschland betrifft
mehr als doppelt so viele angeben,        das lediglich 1 Prozent aller Todesfäl-
dem Thema positiv gegenüberzuste-         le. „Meistens sind nicht Unfälle die
hen. „Die Auseinandersetzung mit          Ursache, sondern Schlaganfälle oder
dem Tod passt halt nicht so gut zu        Hirnblutungen“, erläutert der Inten-
unserem Lebensstil“, sagt Johannes        sivmediziner. Wenn sich ein Hirntod
Rasbach. Als Transplantationsbeauf-       abzeichnet, holen die behandelnden        ORGANSPENDE: JA ODER NEIN?
tragter betreibt er seit 1997 intensive   Ärztinnen und Ärzte Dr. Rasbach hin-      Zwar ist der Hirntod eine eindeutige
Aufklärungsarbeit, sorgt für rei-         zu. Oft sind es auch Pflegende, denen     medizinische Diagnose (siehe Kas-
bungslose Prozesse und ist zudem die      die ersten Anzeichen für einen Hirn-      ten) – für die Angehörigen ist sie
Schnittstelle zwischen der Klinik und                          tod auffallen.       manchmal dennoch schwer zu be-
der Deutschen Stiftung Organtrans-                                 Etwa, dass       greifen. Denn die Verstorbenen sehen
plantation (DSO), die Organtransplan-                               eine Patien-    aus wie schlafend: Wegen der künst-
tationen koordiniert. Vor allem jedoch                              tin beim Ab-    lichen Beatmung hebt und senkt sich
betreut Rasbach die Angehörigen der                                saugen nicht     der Brustkorb, die Haut ist rosig und
Verstorbenen. Sie erhalten von Ras-                            mehr hustet oder     der Körper fühlt sich warm an. „Oft
bach Antworten – und die Zeit, die sie    die Pupillen eines Patienten durchge-     wirken die Patienten sogar vitaler als
für ihre Entscheidung brauchen. Der       hend geweitet sind. „Wenn der Ver-        zuvor“, beschreibt Rasbach die wider-
Reihe nach:                               dacht auf Hirntod besteht, müssen         sprüchliche Situation, die den Ange-
                                          wir dies mit gezielten klinischen Un-     hörigen zu schaffen macht. Hilfreich
DIAGNOSE HIRNTOD                          tersuchungen einwandfrei belegen“,        seien in dieser Situation Bilder, bei-
Nicht jeder Verstorbene kommt über-       erläutert Rasbach. „Das können wir        spielsweise die Nulllinie der Hirn-
haupt als Organspender infrage. Vor-      aufgrund der Ausstattung und des          ströme aus dem EEG oder eine Szinti-
aussetzung ist, dass der Patient oder     Personals hier vor Ort leisten.“          graphie, mit der sich die fehlende

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Organspende

Durchblutung des Gehirns sichtbar       die für die Zuteilung von Spenderorga-    den Rasbach ins Leben gerufen hat
machen lässt: Was einst die Schalt-     nen in acht europäischen Ländern zu-      und der einmal im Jahr tagt. „Eine
zentrale des Lebens war, sieht nun      ständig ist. Derzeit brauchen allein in   Organentnahme ist auch für uns eine
aus wie eine weiße Wolke. „Selbst       Deutschland etwa 13.500 schwer-           belastende und keineswegs alltäg-
wenn die Diagnose verstanden            kranke Menschen ein Organ – täglich       liche Operation. Gerade dann ist es
wird, braucht es Zeit, das zu verar-    sterben etwa drei von ihnen. Umso                       wichtig, dass alle den
beiten“, betont Rasbach, der gleich     wichtiger ist es, dass zumindest bei                        gleichen Kenntnis-
mit einem weit verbreiteten Irrtum      den wenigen möglichen Transplanta-                          stand haben und
aufräumt: „In Filmen wird oft so        tionen alles reibungslos abläuft. „Wir                      wir Raum geben,
getan, als ginge es von der Straße      tun alles dafür, den Kreislauf auf-                        um den Patienten in
quasi direkt auf den OP-Tisch. Aber     rechtzuerhalten, damit die Organe                     Würde zu verabschie-
der Weg zur Organspende ist ein         bestmöglich versorgt werden. Das ist      den.“
Prozess, der über Tage geht – und der   sozusagen vorgezogene Intensivme-
sich danach richtet, wie die Ange-      dizin für den Empfänger“, erläutert       Durchschnittlich kommt es in Neu-
hörigen reagieren. Sie können nicht     Rasbach.                                  wied einmal im Jahr zu einer Organ-
schneller sein, als die Angehörigen                                               spende. Für die eigentliche Entnahme
mitkommen. Das führt zu nichts.         ABSCHIED IN WÜRDE                         schickt die DSO spezialisierte Ärzte-
                                        Kurz vor der OP zur Organentnahme         Teams. Zuletzt fand eine solche Ope-
               Also geht Rasbach,       treffen sich Dr. Rasbach und seine Kol-   ration am 3. April 2022 statt – sie hat
               dessen sonore Stim-      leginnen und Kollegen dann zu einem       zwei Menschen das Leben gerettet und
               me Vertrauen schafft,    wichtigen Termin: Gemein-                          zwei weitere von der Dialyse
               mit Ruhe und Be-         sam sprechen sie über die                          befreit. Das erfuhr Johannes
dacht an das Thema heran. Er ver-       Vorgeschichte des Patienten,                       Rasbach etwa vier Wochen
sucht, mögliche Zweifel zu entkräf-     Rasbach erklärt, wie der                           später durch einen Brief der
ten, gibt aber auch Raum, zu einer      Hirntod festgestellt wurde                         DSO. Auf Wunsch können
eigenen Entscheidung zu kommen.         und was über den Willen des Verstor-      auch die Angehörigen diese Informa-
Wenn die gegen eine Organspende         benen bekannt ist. Zum Schluss gibt       tion erhalten. Es sind diese Nachrich-
ausfällt, hat er dafür Verständnis.     es eine Gedenkminute. Die Anregung        ten, für die Johannes Rasbach uner-
„Die Menschen sind in einer extrem      für diesen besonderen Termin kam          müdlich im Dauereinsatz ist. Was ihm
belastenden Situation und sollen        aus einem internen Qualitätszirkel,       am meisten hilft? „Wir haben hier im
dann noch eine so schwerwiegende                                                  Haus eine positive Grundeinstellung
Entscheidung treffen. Viele sind da                                               zum Thema Organspende.“
auch überfordert.“ Umso wichtiger
sei es, schon zu Lebzeiten den per-
sönlichen Willen mit einem Organ-
spendeausweis zu dokumentieren.            Was ist der „Hirntod“?
„Für die Verwandten ist es enorm
entlastend zu wissen, was der Ver-         Die Symptome eines unumkehr-           nieren, die für grundlegende Kör-
storbene wollte.“ Obwohl der Or-           baren Ausfalls der gesamten Hirn-      perfunktionen wie das Atmen ver-
ganspendeausweis testamentari-             funktionen („Hirntod“) müssen          antwortlich sind. Anschließend
schen Charakter hat, würden jedoch         zwei erfahrene Intensivmediziner       wird geprüft, ob der Hirntod un-
niemals Organe gegen den Willen            – einer davon Neurologe oder           umkehrbar ist. Dies geschieht
der Angehörigen entnommen, be-             Neurochirurg – feststellen. Dafür      nach einer festgelegten Wartezeit
tont Rasbach.                              wird vor allem untersucht, ob die      von 12 bzw. 72 Stunden.
                                           Hirnstamm-Reflexe noch funktio-
Schon während der Gespräche mit
den Angehörigen steht Dr. Rasbach
in Kontakt mit der Deutschen Stif-
                                                             Ausführliche Informationen zum
tung Organtransplantation (DSO);                             Thema Organspende:
deren Koordinator wiederum infor-                            https://www.organspende-info.de/
miert die Stiftung Eurotransplant,

PulsM | Optimismus                                                                                                    19
Organspende

Auf Herz und Nieren:
Organspende in Zahlen
 Zahl der Organspenden sinkt wieder                                                                                Spitzenreiter Niere
 Postmortal gespendete Organe in Deutschland                                                                       Art der postmortal gespendeten
                                                                                                                   Organe in Deutschland 2021

 3.511
           3.035                                           3.113   2.995
                                                                                                                              57                          5
                     2.989      2.901     2.867                              2.941        2.905                               Pankreas         Dünndarm
                                                  2.594                                                             310
                                                                                                                    Herz

                                                                                                              299                                               1.492
                                                                                                              Lunge                                                 Niere

                                                                                                                                      2.905
                                                                                                                                     insgesamt

 201
    2
            201
               3      201
                         4
                                 201
                                    5
                                           201
                                              6
                                                  201
                                                     7
                                                           201
                                                              8
                                                                   201
                                                                      9
                                                                                 202
                                                                                    0         202
                                                                                                 1                 742
                                                                                                                   Leber

 Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation                                                                    Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation

 Banges Warten

     Transplantierte Organe und Warteliste in Deutschland 2021*

          6.593
                                                                                                                            Warteliste (Stand 31.12.21)
                                                                                                                            Transplantationen

                    1.517

                                 848       780      727
                                                             329           291          283           271
                                                                                                              65

              Niere                  Leber                Herz               Lunge                   Bauchspeichel-
                                                                                                         drüse

 Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation

20                                                                                                                                               PulsM | Optimismus
Organspende

 Wenn die Zeit nicht reicht                                                           Ein Organspender rettet
                                                                                      bis zu sieben Leben
                                       Gesamtzahl Menschen auf                8.730
                                       Warteliste zum 31.12.2021:

                                            Während der Wartezeit             826
                                                 2021 verstorben:

 Quelle: www.organspende-info.de
                                                                                      Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation

 Organspende im
 internationalen Vergleich

 Anzahl Organspender                                                                  Einzel-Spenden sind die
 pro eine Million Einwohner
 im Jahr 2020
                                                                                      Ausnahme
                                                                         23
                                         19                        Finnland           Organentnahmen in Deutschland 2021
                                     Norwegen
                                                     18
                                                 Schweden                                  Einorgan-
                                                                                           entnahme                    11%
                     19                     21
                   Groß-         Dänemark
                britannien 15                                 10
                         Niederlande 11                    Polen
                              24       Deutschland                                     Mehrorgan-
                           Belgien                       11                            entnahme
                                           24 Ungarn
                                        Österreich                                                               89%
                                23                       22
                           Frankreich             Slowenien
                                                                25
                                                   22         Kroatien
                     38                          Italien                              Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation
                  Spanien

 Quelle: GODT (nach DSO)

 Keine Einheit in Europa                                                              Immer mehr Menschen
                                                                                      besitzen einen
     Widerspruchslösung
     Zustimmungslösung
                                                                                      Organspendeausweis
     Entscheidungslösung

                                                                                       2010                  25%

                                                                                       2022                        39%

                                                                                      Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

 Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

PulsM | Optimismus                                                                                                                       21
Organspende

Transplantation
transparent machen
Ana Barreiros hat 20 Jahre als Transplantationsmedizinerin gearbeitet.
Heute ist sie geschäftsführende Ärztin bei der Deutschen Stiftung
Organtransplantation. Ein Gespräch über Aufklärung in Clubs, unser
Bild vom Tod und über Organe aus dem 3-D-Drucker.
TEXT: Sonja Hausmanns | FOTOS: Joachim Gies

Kurz vor diesem Gespräch hat sich die
Schweiz per Volksentscheid für die
Widerspruchslösung ausgesprochen:
Jeder Bürger ist automatisch Organ-
spender, sofern er sich nicht anders
entscheidet. Wünschen Sie sich diese
Regelung auch für Deutschland?
Absolut! Weil das ein Commitment
einer Gesellschaft ist: Wenn wir Men-
schenleben mit Organtransplantation
retten wollen, dann muss es der Nor-
malzustand sein, Organspender zu
sein. Momentan ist das nicht der Fall.
Da ist für mich eine Dissonanz. Des-
halb hätte ich mir gewünscht, der
Bundestag hätte 2020 anders ent-
schieden, als das Thema bei uns auf
der Agenda stand. Zumal auch bei der
Widerspruchslösung die freie Ent-
scheidung erhalten bleibt – aber die
Vorzeichen sind dann andere.

82 Prozent der Deutschen befürwor-
ten die Organspende, doch nicht ein-
mal die Hälfte davon besitzt einen
Organspendeausweis. Wie erklären
Sie sich das?
Sicherlich auch mit vielen Vorurteilen,
die es immer noch über Organspende
gibt. Auch der Glaube kann hierbei
eine Rolle spielen. Fakt ist aber: Alle

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Organspende

Religionen, ob Christentum, Juden-          Warum ist das so wichtig?                  gane aus dem 3-D-Drucker. Das wird
tum oder Islam, sehen die Organspen-        Damit die Angehörigen nicht in eine        kommen! Ob ich das allerdings noch
de als Akt der Nächstenliebe.               Dissonanz kommen: Tod verbinden            erleben werden, weiß ich nicht. Ohne-
                                            wir mit „kalt, starr, blau“ – ein Hirn-    hin wäre schon viel erreicht, jeden
Mit welchen Vorurteilen oder Ängs-          toter sieht aber ganz anders aus. Um       potenziellen Organspender zu erken-
ten sind Sie noch konfrontiert?             abschließen zu können ist es daher         nen. Allein dadurch ließe sich die Zahl
Vor einer Weile habe ich Anrufe erhal-      wichtig, den Toten nach der OP noch        der Transplantationen verdoppeln.
ten, wo Menschen wissen wollten, ob         einmal zu sehen, ihn anzufassen. Die-      Deshalb sind seit 2019 alle Entnahme-
es wirklich stimmt, dass Organspen-         se Erfahrung entspricht dann dem,          kliniken gesetzlich verpflichtet, die
der „ausgestopft“ werden. Natürlich         was wir in unserer Seele und in unse-      Sterbefälle mit Hirnschädigung zu
nicht! Dieser Irrglaube war durch eine      rem Herzen als „tot“ gelernt haben.        analysieren und zu erläutern, warum
Szene in einem Krimi entstanden; das                                                   keine Organspende angestrebt wurde.
sind Bilder, die bleiben haften. Da sind    Der Herztod ist für viele Menschen         Es geht darum, auch das Personal vor
wir in Deutschland leider sehr unge-        der natürlichere Tod und es gibt Län-      Ort zu sensibilisieren. Denn wir se-
schickt. Umso wichtiger ist die früh-       der, die auch in diesen Fällen eine        hen, dass es einen enormen Effekt hat,
zeitige Aufklärung: Mit dem Verein          Organspende ermöglichen …                  wenn sich die gesamte Belegschaft –
„Junge Helden“ gehen wir beispiels-         Die Schweiz, Spanien, Belgien, Frank-      von der Klinikleitung bis zur Pflege
weise in Clubs und auch an Schulen          reich, Niederlande: Quasi alle Länder      – für Organspenden engagiert.
gibt es entsprechende Initiativen. Es       um uns herum haben die Organspen-
ist wichtig, sich schon in jungen Jahren    de nach Herztod, die sogenannte            Was motiviert Sie, trotz Rückschlägen,
mit dem Thema zu befassen, damit            „Non-Heart-Beating-Donor“. Allein in       bei dem Thema am Ball zu bleiben?
man lange Zeit hat, diesen Gedanken         Spanien machen solche Spenden etwa         Als Ärztin habe ich 20 Jahre lang in der
in sich zu tragen und zu einer reifen       60 bis 70 Prozent aus. Wir brauchen        Transplantationsmedizin gearbeitet
Entscheidung zu kommen.                     auch in Deutschland dringend eine          und ich bekomme heute noch Weih-
                                            gesellschaftliche Diskussion zur Or-       nachtskarten – zum Beispiel von einer
Was muss aus Ihrer Sicht noch               ganspende nach Herztod.                    Patientin, die wir kurz vor dem Abitur
passieren?                                                                             ihrer Tochter transplantiert haben.
Wir müssen uns vor allem um die Ärz-        Gibt es Alternativen zu menschli-          Und heute schickt sie mir Fotos vom
te in den Krankenhäusern kümmern.           chen Organspenden?                         Enkelkind. Es gibt mir unglaubliche
Die müssen sehr gut ausgebildet sein        Es werden immer mal wieder Versu-          Kraft zu wissen: Wir haben den Willen
und in der Lage, Angehörige gut aufzu-      che mit tierischen Organen gemacht,        eines Verstorbenen umgesetzt und
fangen. Deshalb ist es so wichtig, dass     aber meist werden mit der Transplan-       dadurch geholfen, Leben zu retten.
man nun politisch die Rolle der Trans-      tation auch Viren übertragen, an de-
plantationsbeauftragten gestärkt hat        nen wir Menschen dann sterben.
und sie freistellt für ihre wichtige Auf-   Woran ich wirklich glaube, sind Or-
gabe. Ich empfehle zum Beispiel im-
mer, dass die Angehörigen bei der Fest-
stellung des Hirntods dabei sind – wenn
sie das möchten. Der Moment im
Krankenhaus ist essenziell und da
brauchen wir Ärzte, die aufklären,             Die DSO organisiert alle Schritte des   sich durch ein Budget, das die DSO
transparent sind und die Angehörigen           Organspendeablaufs von der Mit-         mit den Krankenkassen verhan-
mitnehmen. Deshalb ist im Trans-               teilung eines möglichen Spenders        delt. Den Krankenhäusern, die bei
plantationsgesetz auch vorgeschrie-            im Krankenhaus bis zur Übergabe         einer Organspende mitgewirkt ha-
ben, dass die Angehörigen das Recht            der Organe an die Transplantati-        ben, vergütet die DSO den Aufwand
haben, den Patienten nach der Ent-             onszentren. Die Arbeit finanziert       in Form von Pauschalen.
nahme-OP noch einmal zu sehen, um
sich zu verabschieden. Darauf haben
wir als DSO sehr gedrungen.
                                                                 Mehr Informationen:
                                                                 https://dso.de/

PulsM | Optimismus                                                                                                          23
Infografik

FEINKOST FÜR DIE SYNAPSEN
Auch wenn wir Glück im ganzen Körper
empfinden, entsteht dieses Gefühl vor allem
im Gehirn. Wenn uns etwas Tolles passiert
oder wir etwas Leckeres essen, stößt das
Belohnungszentrum (Amygdala) Glückshor-
mone aus

                                                Streng genommen handelt es sich bei
                                                vielen Glückshormonen nicht um Hormo-
                                                ne, sondern um Neurotransmitter. Diese
                                                Botenstoffe dienen der chemischen Über-
                                                tragung von Informationen zwischen
                                                zwei Synapsen.

             SCHMETTERLINGE
             IM BAUCH
             Wenn wir verliebt sind, durch-
             flutet Phenethylamin unseren
             Körper. Das Hormon sorgt für ein
             berauschendes Glücksgefühl –
             und verhindert klares Denken.

Glück ist ...
ein Picknick im Park
Die Sonne scheint, es gibt gutes Essen und wir sind mit den
Menschen zusammen, die wir lieben. Wenn einfach alles passt,
fühlen wir uns glücklich – und die Hormone tanzen.
TEXT: Sonja Hausmanns | ILLUSTRATION: Anton Hallmann/Sepia

24                                                                                        PulsM | Optimismus
Infografik

                               DIE HELLE FREUDE
                               Wenn die Sonne scheint, produziert der
                               Körper viel Serotonin. Dieser Neuro-
                               transmitter verschafft uns Elan und
                               Motivation. Besonders stark steigt der
                               Serotonin-Spiegel, wenn im Frühjahr die
                               Tage wieder länger werden.

                            KOMM KUSCHELN!
                            Oxytocin wird ausgeschüttet, wenn wir mit
                            Menschen zusammen sind, denen wir vertrau-
                            en. Dank des „Kuschelhormons“ fühlen wir
                            uns weniger ängstlich und gestresst. Außer-
                            dem steigert Oxytocin die Empathie und das             IM FLOW
                            allgemeine Wohlbefinden.                               Endorphine wirken wie ein Rauschmittel.
                                                                                   Ausgestoßen werden sie vor allem, wenn
                                                                                   wir uns stark bewegen. Dann lindern sie
                                     DAS BESTE KOMMT                               unser Hungergefühl und sorgen dafür,
                                     ZUM SCHLUSS                                   dass wir uns trotz der Anstrengung nicht
                                     Der Neurowissenschaftler Daniel Levi-         erschöpft fühlen.
                                     tin sagt, dass wir mit genau 82 Jahren
                                     am glücklichsten sind. Beispielsweise
                                     sei man weniger gestresst, habe nied-
                                     rigere Erwartungen und erkenne, dass
                                     das Leben ziemlich gut ist.

                                                                                       MEHR DAVON!
                                                                                       Dopamin bringt uns dazu, Dinge
                                                                                       zu tun, die uns glücklich machen.
                                                                                       Es sorgt also für die Vorfreude. Der
                                                                                       Neurotransmitter wirkt motivierend,
                                                                                       blutdrucksteigernd und regt die Herz-
                     WAS DIE HORMON-KÜCHE HERGIBT                                      und Nierenfunktion an. Außerdem
                                                                                       funktioniert unser Gehirn unter dem
                     Während Neurotransmitter blitzschnell Signale innerhalb           Einfluss von Dopamin besser.
                     des Nervensystems weitergeben, entfalten Hormone ihre
                     Wirkung langsamer über das Blut. Es gibt auch Botenstoffe,
                     die sowohl Hormon als auch Neurotransmitter sind, zum
                     Beispiel die Endorphine. Unser individueller Glückscocktail
                     setzt sich aus fein abgestimmten Zutaten zusammen.

PulsM | Optimismus                                                                                                       25
Reportage
   Hospiz

   Mit Luft und Liebe
   Als Hospiz- und Palliativpflegekraft begleitet Ute Keller Sterbende
   und deren Angehörige; lindert Schmerzen und Sorgen. Ein Beruf,
   der sie an ihre Grenzen bringt. Und der ihre Einstellung zum Leben
   positiv verändert hat.
   TEXT: Sonja Hausmanns | FOTOS: Joachim Gies

50 26                                                                    PulsM
                                                                           PulsM
                                                                               |PulsM
                                                                                 Optimismus
                                                                                  |Optimismus
                                                                                       | Brüche
Reportage
                                                                                                                    Hospiz

Besuch beim Ambulanten Hospiz- und
Palliativzentrum (AHPZ) in Neustadt
an der Weinstraße. Schon auf dem Weg
dorthin drängen sich Gedanken an
den Tod auf: Es geht vorbei am Hub-
schrauberlandeplatz des nahegelege-
nen Marienhaus Klinikums Hetzel-
stift, wo gerade eine Maschine auf
ihren nächsten – hoffentlich lebens-
rettenden – Einsatz wartet. Anschlie-
                                                                                        Das ambulante Hospiz in Neuwied
ßend führt die Strecke am Friedhof                                                      gibt es seit mehr als 20 Jahren.
vorbei, bevor sich nach ein paar Schrit-
ten durch einen kleinen Park die Tür
zum Hospiz öffnet. Es ist ruhig hier,
denn die eigentliche Arbeit findet wo-
anders statt: in den Wohnungen und                       Für mich ist das der letzte große
Häusern der Sterbenden. Im Umkreis
von 100 Kilometern betreut das Team
                                                         Liebesdienst, den Menschen
derzeit etwa 150 Palliativ- und Hospiz-                  ihren Angehörigen erweisen
patienten. Worin der Unterschied liegt:                  können. Und wir tun alles, um
Ziel der Palliativmedizin ist es, im Ster-
ben die Symptome zu lindern – etwa
                                                         das zu ermöglichen.“
Schmerzen und Erbrechen oder Angst                       Ute Keller
und Unruhe. Sind Patientinnen oder
Patienten hingegen beschwerdefrei,
geht es in der Hospizarbeit um eine Be-      gehörigen erweisen können. Und wir      wird. Wenn ich es schaffe, dass beide
gleitung des Sterbenden. Die Übergän-        tun alles, um das zu ermöglichen“,      Parteien in Kontakt kommen und of-
ge sind fließend; der Zustand eines          beschreibt die Hospiz- und Palliativ-   fen miteinander sind, habe ich schon
Patienten kann sich im Laufe des Ster-       schwester ihre Aufgabe. Die Geschich-   viel erreicht“, betont die 59-Jährige.
beprozesses mehrfach ändern. Umso            ten der Patientinnen und Patienten,     Neben dieser „Seelenarbeit“ steht die
besser, dass im AHPZ Palliativversor-        die Keller betreut, sind sehr unter-    medizinische Versorgung der Patien-
gung und Hospiz nicht wie sonst üb-          schiedlich: Da ist der 95-jährige de-   tinnen und Patienten im Vordergrund.
lich getrennt sind, sondern aus einer        mente Herr ebenso wie die junge Frau,   Im Rahmen der spezialisierten ambu-
Hand kommen.                                 die unheilbar an Krebs erkrankt ist.    lanten Palliativversorgung (SAPV)
                                                                                     verabreicht Keller etwa Schmerzmit-
SANFTE DETEKTIVIN                            „Am Anfang braucht es Detektivar-       tel, hilft bei Luftnot, behandelt Wun-
Eine, die Sterbenden die Hand reicht,        beit, um herauszufinden, was der Ein-   den oder sorgt bei Bedarf dafür, dass
ist Ute Keller. Mit ihren quirligen Au-      zelne benötigt“, erzählt Keller. Denn   ein Patient künstlich ernährt wird.
gen und dem froschgrünen Schal, der          vor ihren Nächsten würden Patientin-    Etwa zwölf Menschen begleitet sie
locker um ihre Schultern liegt, wirkt        nen und Patienten oft nicht zugeben,    kontinuierlich; wie oft die Pflegerin
sie wie jemand, der zupacken kann.           wie stark ihre Beschwerden wirklich     vor Ort ist, hängt von deren individu-
Gleichzeitig vermittelt ihr weicher          sind. Familienangehörige wiederum       ellen Bedürfnissen ab. Manche wollen
pfälzischer Zungenschlag auf Anhieb          tun sich schwer damit auszusprechen,    sie zweimal am Tag sehen, andere zie-
Vertrauen. „Zuhause sterben dürfen:          dass einer ihrer Lieben sterben wird.   hen sich zurück – weil Kellers Besuche
Für mich ist das der letzte große Lie-       „Ich lausche erst einmal und versuche   sie an den eigenen Tod erinnern. „Ich
besdienst, den Menschen ihren An-            auch das zu hören, was nicht gesagt     verstehe, dass sie nicht dauernd ans

PulsM | Optimismus                                                                                                         27   51
Hospiz

Sterben denken wollen. Man darf das         in Neustadt. „Es ist ein toller Beruf,
auch verdrängen. Das ist gut für die        den ich immer mehr zu schätzen und
Psyche.“                                    zu lieben gelernt habe“, sagt Keller
                                            und lobt die guten Bedingungen: „Ich
PLÄNE ÄNDERN SICH                           kenne Teams, die deutlich profitori-
Ute Keller kam über Umwege zur Hos-         entierter arbeiten müssen. Wir hin-
piz- und Palliativpflege. Sie ist 1963      gegen arbeiten menschenorientiert.“
geboren, damals gibt es für junge           So bleibt ihr auch die Zeit, sich inten-
Frauen kaum berufliche Wahlmög-             siv um die Angehörigen zu kümmern.
lichkeiten und Keller weiß, was sie         Ideal sei es natürlich, wenn in den
nicht will: Bank oder Büro. „Blieben        Familien die Last auf mehreren
nur Krankenschwester oder Hebam-            Schultern verteilt wird. „Aber oft ist
me.“ Die junge Pfälzerin entscheidet        es halt der Ehepartner, der sich allein
sich für Ersteres. Später bildet sie sich   kümmert“, erzählt Keller. „Viele sind
als Heilpraktikerin und Homöopa-            am Anfang unsicher, ob sie das schaf-
thin weiter, strebt eine Selbstständig-     fen. Aber gerade die Unsicheren –
keit an – legt diese Pläne jedoch bei-      Männer wie Frauen – sind es, die
seite, als sie Mutter wird. Als ihre drei   später über sich hinauswachsen.“
Kinder im Schulalter sind, beginnt
Keller, ehrenamtlich (siehe Kasten) in      ATMEN!
einem Hospiz zu arbeiten, und er-           „Den Tod in die Tasche stecken“, so
kennt, dass ihr der Umgang mit Ster-        nennt es Ute Keller, wenn sie wie heu-
benden, trotz aller Schwere, großen         te Bereitschaftsdienst hat. Klingelt
Spaß macht. Sie absolviert eine Wei-        dann ihr Handy, ist ein Sterbender
terbildung in Palliativpflege und ar-       oder ein Angehöriger am Apparat, der
beitet seit ihrem beruflichen Wieder-       Hilfe braucht. Vor allem wenn sie
einstieg in diesem Bereich; zunächst        nachts losmuss, ist es Keller wichtig,
in Frankfurt, Speyer und Landau und         dass sie die Patientinnen und Patien-
nun seit drei Jahren bei Marienhaus         ten bereits persönlich kennengelernt

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Hospiz

                                             Man sieht das Leben mit anderen
                                             Augen – als hätte ich ein Fernglas
                                             scharf gestellt. Da ist vieles andere
                                             wurschtegal.“
                                             Ute Keller

                                                                Hospiz
                                                                in Zahlen
                                                                • Seit 1996 hat sich die Zahl der
                                                                   Hospiz- und Palliativdienste in
                                                                   Deutschland verdreifacht.
                                                                • Es gibt 1.500 ambulante
                     hat. Doch wenn sie wie jetzt gerade           Hospizdienste.
                     aus dem Urlaub kommt, gelingt das          • Hinzu kommen 250 stationäre
                     nicht immer. Trotzdem bleibt sie ge-          Hospize für Erwachsene und 18
                                                                   für Kinder und Jugendliche.
                     lassen und versucht, am Telefon erst
                     einmal zu beruhigen und möglichst          • In deutschen Krankenhäusern
                     klare Anweisungen zu geben. „Wäh-            bestehen 340 Palliativstationen.
                     rend der Fahrt rufe ich dann meistens      • 22 Tage beträgt die durch-
                     noch einmal an und wenn ich ankom-           schnittliche Verweildauer in
                                                                  stationären Hospizen.
                     me, hat sich die Situation oft schon
                     entspannt.“ Doch selbst wenn Ange-         • 33.500 Menschen pro Jahr
                     hörige in Panik geraten oder Patienten          werden in stationären Hospi-
                                                                     zen für Erwachsene versorgt.
                     einen Zusammenbruch erleiden, be-
                     wahrt Keller Ruhe. „Ich atme. Ich atme     • 120.000 Menschen unterstüt-
                     ein und atme aus. Ich bin da. Ich gucke,        zen die Versorgung Sterbender
                                                                     ehrenamtlich, bürgerschaftlich
                     was ich tun kann. Manchmal geht es
                                                                     oder hauptamtlich.
                     auch einfach nur ums Aushalten. Der
                                                                • 14.000 Medizinerinnen und
                     Tod ist halt eine brachiale Gewalt. Das
                                                                   Mediziner haben bis 2020 die
                     kann man nicht schönreden.“ Trotz-            Zusatzausbildung zur Palliativ-
                     dem – oder gerade deshalb – hält Ute          medizin absolviert.
                     Keller nichts von Sterbehilfe: „Alles
                                                                • Deutschland belegt bei der
                     hat seinen Weg. Und den vorgegebe-            Palliativversorgung im
                     nen Weg nicht zu gehen, finde ich             Europavergleich Platz 15 von
                     falsch.“                                      49 Ländern.

                     Keller versucht, die Familien so gut
                     wie möglich auf den Tod vorzuberei-
                     ten – zieht sich jedoch zurück, wenn
                     es so weit ist. „Dann müssen die An-
                     gehörigen ans Bett. Ich bin da nicht

PulsM | Optimismus                                                                                   29
Hospiz

                                                        Ich vertraue auf ein Leben nach
                                                        dem Tod. Ich weiß nicht, wie es
                                                        aussieht, aber es gibt ein Danach.“
                                                        Ute Keller

                                           ge geleistet haben, oder bin einfach
                                           dankbar, wenn ich einen besonderen
                                           Menschen kennenlernen durfte.“ Die
                                           Gottesdienste, die das Hospiz zum Ge-
                                           denken feiert, meidet sie dennoch.
                                           Weil dort die Namen aller Verstorbe-
                                           nen vorgelesen werden: Etwa 150
wichtig.“ Und doch bleibt sie auch         Menschen sind es in einem Halbjahr.
nach dem Tod an der Seite der Fami-        Eine Essenz des Sterbens, die Ute Kel-
lien und hilft auf Wunsch bei der          ler kaum aushält. Ohnehin bezeichnet
Trauerbewältigung, individuell oder        sie sich nicht als religiös – aber als
in Gruppen. Wichtig ist ihr zu vermit-     sehr gläubig. „Ich vertraue auf ein Le-
teln, dass alles sein darf – Traurigkeit   ben nach dem Tod. Ich weiß nicht, wie
ebenso wie Depression. „Niemand            es aussieht, aber es gibt ein Danach.“
muss weitermachen wie zuvor oder           Deshalb ist es ihr so wichtig, dass ein
positiv denken“, betont sie. Es gehe       Mensch gut stirbt. Damit es gut wei-
darum, den Weg zu finden, der zu ei-       tergehen kann.
nem passt. Da sei jeder sein eigener
Experte.

WEINEN DÜRFEN
Die ständige Konfrontation mit dem
Tod hinterlässt Spuren. Zwar bleibt
Keller immer handlungsfähig, aber             Feste Größe
manchmal, wenn sie nach einem be-
sonders schweren Hausbesuch im                Ehrenamtlerinnen und Ehren-            es intensive Vorbereitung braucht.
Auto sitzt, brechen die Tränen aus ihr        amtler sind eine feste Größe in der    Daher bietet das Ambulante Hos-
heraus. Trotzdem ist sie dankbar für          Hospizarbeit. Sie begleiten Ster-      piz- und Palliativzentrum Grund-
diese Erfahrungen: „Man sieht das             bende und unterstützen deren           und Aufbauseminare für Interes-
Leben mit anderen Augen – als hätte           Angehörige. Eine Aufgabe, für die      sierte an.
ich ein Fernglas scharf gestellt. Da ist
vieles andere wurschtegal“, sagt sie im
                                                                Ausführliche Informationen zu
Pfälzer Dialekt. Viele der Menschen,
                                                                Inhalten und Ablauf finden Sie hier:
die sie begleitet hat, bleiben ihr noch
Jahre im Gedächtnis. „Ich verspüre                              https://www.hospiz-neustadt.de/hospizseminare
Hochachtung für das, was Angehöri-

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Vita

RosasWelt
Ein starkes Ja!
zum Leben
Mutter Rosa ist die Gründerin der Waldbreitbacher
Franziskanerinnen. Die Werte dieser christlichen Ordens-
gemeinschaft sind bis heute prägend für die Arbeit der
Marienhaus-Gruppe. Wie sah die Welt aus, in der Mutter
Rosa wirkte? In dieser Rubrik begeben wir uns auf
Spurensuche – inspiriert vom jeweiligen Heftthema.

Margaretha Flesch, wie Mutter Rosa        kranken Schwester Marianne in eine
gebürtig hieß, ist in großer Not auf-     der leerstehenden, ärmlichen Klausen
gewachsen. Der Vater, ein einfacher       in der Kreuzkapelle nahe Waldbreit-
Ölmüller, konnte die Familie kaum         bach. Von dort aus betreute sie unent-
ernähren und sie gehörte zu den ärms-     geltlich die Armen und Kranken der
ten des Dorfes. Die Mutter starb, als     Gemeinde. Zusätzlich nahm sie Wai-
Margaretha sechs Jahre alt war. Nach      senkinder bei sich auf. Damals war es
dem Tod des Vaters zehn Jahre später      in einigen Ortschaften noch üblich,
musste Margaretha zusammen mit            Waisenkinder zu versteigern, weil nie-
ihrer Stiefmutter den Unterhalt für       mand für ihren Unterhalt aufkommen
sich und ihre fünf jüngeren Geschwis-     wollte oder konnte. Dieser überzeu-
ter verdienen: Sie arbeitete als Tage-    gende Dienst begeisterte auch andere
löhnerin, sammelte und verkaufte          und so gesellten sich 1856 die ersten

                                                                                          TEXT: Sonja Hausmanns FOTO/BEARBEITUNG: Prof. Elisabeth Wagner/Danuta Laude
Heilkräuter und fertigte Handarbei-       gleichgesinnten Frauen zu Margare-
ten an. Trotz aller Entbehrungen fand     tha. Ihnen sagte sie, woher sie ihre
sie noch die Kraft, sich für die          Zuversicht nahm: „Vor allem, seht in
Schwächsten der Gesellschaft zu en-       jedem Kinde und in jedem Kranken
gagieren: Als sie 25 Jahre alt war, zog   nicht nur den Menschen, sondern seht
sie gemeinsam mit ihrer epilepsie-        in ihnen Gott.“

                 Mehr über Mutter Rosa erfahren Sie hier:
                 https://kurzelinks.de/m416

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Mein Marienhaus

                  Ich sage „Ja“ zu …
                  Mitarbeitende der Marienhaus-Gruppe erzählen, wozu sie
                     ohne Wenn und Aber stehen, was ihnen Zuversicht
                         vermittelt oder einfach gute Laune macht.
                                                                                           Foto: iStock.com/ tolgart

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