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reisemagazin Hannah Greber bei einer Gratwanderung Bergikonen: Damülser Mittagsspitze Ausgabe 22 | € 5,50 | www.bregenzerwald.at sommer 2020 Mountainbike im Bregenzerwald Gratwanderung: Winterstaude Im Dorfmoorteich Alp: Sennen und Singen Sterngucker Handwerk für Gäste Kräuter und Gemüse im Garten Vegetarische Küche reisemagazin bregenzerwald · 1
Raiffeisen. Meine Bank im Bregenzerwald Wenn‘s um unsere Region geht, ist nur eine Bank meine Bank. Als aktiver Teil der Gemeinschaft in unseren Gemein- den sind wir ständig präsent. Direkte, persönliche Nähe, schnelle, kompetente Lösungen aber auch langfristige Strategien sind die Bausteine eines erfolg- reichen Miteinanders.
Editorial Herlinde Moosbrugger ist Geschäftsführerin Reisebegleiter Bregenzerwald von Bregenzerwald Tourismus Parallel zu diesem Magazin erscheint halb jährlich (Winter/Sommer) der Reisebegleiter Bregenzerwald mit allen Informationen zum Gratwanderungen Tourismusangebot der Region. Der Begriff „Gratwanderung“ hat vielerlei Im Sommer von Wandern (inklusive kleiner Bedeutungen. „Eine Gratwanderung“ kann Wanderkarten) über Outdoor-Aktivitäten, Programm mit Kindern, Kultur, Baukunst und heißen, eine Wanderung auf einem Grat zu Kulinarik bis zum Wohlfühlangebot. machen, also auf der obersten Kante eines Im Winter von Ski alpin, Langlauf, Bergrückens zu gehen. Eine Gratwanderung Snowboarding, Winterwandern bis zu Kultur, kann aber auch eine Vorgehensweise sein, bei Baukunst, Kulinarik und Wohlfühlen. der schon der kleinste Fehler großes Unheil Ihr persönliches Exemplar des Reisebegleiters erhalten Sie kostenlos bei auslöst. „Eine Gratwanderung“ beschreibt auch Bregenzerwald Tourismus. eine Situation, bei der man zwei gegensätz- liche Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen AutorInnen dieser Ausgabe hat. Dabei bewegt man sich „auf einem schma- reisebegleiter s omm er 2020 len Grat“, der kein Abweichen nach links oder Markus Curin: Journalist und Kulinarikexperte rechts zulässt. in Vorarlberg Eine Gratwanderung im Gebirge, also eine b regen z erwald Robert Fabach: Architekturpublizist in Wanderung auf der Oberkante eines Bergrü- Vorarlberg ckens, kann als eine Metapher für viele Lebens- Birgit Feierl: Germanistin und Autorin situationen dienen – man könnte sie auch als Walter Fink: Journalist und Autor in Vorarlberg „Lebensübung“ sehen. In jedem Fall erfordert Hannah Greber: Autorin in Wien eine Gratwanderung die volle Konzentration Toni Innauer: Olympiasieger im Skispringen, auf das „Hier und Jetzt“, die Fokussierung auf Sportexperte und Unternehmer den nächsten Schritt, um sicher voranzukom- so m m er 2020 Reinhard Johler: Universitätsprofessor in men. Ablenkungen jeder Art können gefährlich is 17 Uhr erreich Anregungen & Adressen. Ihr Reisebegleiter durch Tübingen sein. Dies ist heute für viele vermeintlich Multi- zerwald.at den Bregenzerwald. Babette Karner: Autorin in Vorarlberg tasking-fähige Menschen die erste Herausfor- 05.12.2019 09:42:35 Miriam Kathrein: Geschäftsführerin des derung – einfach, und womöglich noch schwei- „Werkraum Bregenzerwald“ gend, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die erste Auskunftsstelle Irmgard Kramer: Schriftstellerin in Wien Sichere Gratwanderungen erfordern ein Das Informations- und Service-Center Bartholomäus Natter: Musiker und Autor aus Urteilsvermögen über die eigenen Fähigkei- in Egg berät Sie über alle Belange dem Bregenzerwald ten und Möglichkeiten. Für manche bedeuten des Bregenzerwaldes und über Ihren Peter Natter: Philosoph und Autor in sie das Erkennen, dass die Zeit der Umkehr, des Urlaub. Hier finden Sie u.a. einen frei Vorarlberg Nicht-Weitergehens gekommen ist. Es nicht zugänglichen Internet-Terminal, eine Birgit Rietzler: Dichterin im Bregenzerwald als Schwäche oder Niederlage sehen, sondern Vorverkaufsstelle für den 3Täler Ski- pass sowie eine Ausgabestelle für die Anton Sutterlüty: Käsehändler in Wien als Erkenntnisgewinn, wäre ein vernünftiger Bregenzerwald Gäste-Card. Armin Thurnher: Herausgeber der Wochen- Schluss aus dieser Erfahrung. zeitschrift „Falter“ in Wien In der Gruppe können Gratwanderungen Bregenzerwald Tourismus leichter gelingen als allein. Allerdings erfordert Gerbe 1135, 6863 Egg das Vertrauen in die anderen und Verständnis Vorarlberg, Österreich für ihre Stärken und Schwächen. Eingeschwo- T +43 (0)5512 2365 rene, zumindest aber rücksichtsvolle Gruppen F +43 (0)5512 3010 info@bregenzerwald.at vermögen Großes zu erreichen. www.bregenzerwald.at Gemeinsam bewältigte Gratwanderungen am Berg können das Leben bereichern. Sie las- Öffnungszeiten: sen Menschen manchmal über sich hinaus- Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr wachsen. So kann eine Gratwanderung am Berg zu einer Übung für das Leben werden. www.facebook.com/visitbregenzerwald Urlaubsland Österreich – Feedback geben und www.youtube.com/bregenzerwaldtourism gewinnen! www.instagram.com/visitbregenzerwald Hier geht es zur Umfrage: tmona.at/l7u2 reisemagazin bregenzerwald · 3
München Lindau Bodensee Bregenz Zürich Dornbirn Vorarlberg Bregenzerwald Österreich Austria Vorarlberg – Österreich Feldkirch Bludenz Innsbruck Wien 0 4 20 km www.vorarlberg.travel www.vorarlberg.travel 4 · reisemagazin bregenzerwald
Bregenzerwälder Bergikone 6 Die Damülser Mittagsspitze Inhalt Gratwanderung Die Autorin Hannah G reber wandert mit drei Freundinnen über den Grat auf die Sommer 2020 Winterstaude und erzählt, was mit ihnen dabei geschieht 12 12 Jenseits von Spur und Straße Werkzeug eines Dichters Angebote für Mountainbiker 8 26 Der Philosoph Peter Natter über die „Duineser Elegien“ Im Moorteich von Sulzberg Das von Rainer Maria Rilke und Moorbad, in dem Generationen den Bregenzerwald das Schwimmen lernten 18 Aus dem Wald in die Sterne Singen und Sennen Anton Sutterlüty 28 Paul Baumgartner betreibt über sein Sennen auf der Alpe Untere Falz eine kleine Sternwarte in und seinen Käsekeller in Wien 20 Krumbach 20 28 750 Jahre Gemeinde Schwarzenberg Handwerk und Gestaltung aus dem Ein Dorf feiert sein Jubiläum 36 Bregenzerwald 40 Handwerkskunst in Gastbetrieben Umgang Bregenzerwald Ein Rundgang durch Bezau 38 Zeitgenössische Tradition 42 Werner Benteles Schnapsbrennerei und Imkerei mit Verkaufsraum 42 Kolumnen: Kräuter im Kinderzimmer Aus der Luft gegriffen 17 48 Sonja Schwarzhans produziert G’hörig Wälderisch 25 Bregenzerwälder Kräutersalz Armin Thurnher 34 Alphabet des Waldes 35 Vegetarische Tradition Aus dem Werkraum 41 50 Der Koch Michael Bechter im Felder und Wälder 47 Landhotel Hirschen ist ein Pionier Wälder, weit, weit weg 49 vegetarischer Küche Service: Essen mit Liebe Buchbare Angebote 56 48 54 Feines aus den Wirtshausküchen Tipps der Redaktion 59 des Bregenzerwaldes Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Bregenzerwald Tourismus GmbH, Gerbe 1135, 6863 Egg, Österreich Konzeption/Redaktion: Fuchs & Partner, Wien Konzeption/Gestaltung: Frank Broger Fotoredaktion: Margret Broger Fotografie: Adolf Bereuter Illustrationen: Ligia González Druck: Druckhaus Gössler, Dornbirn reisemagazin bregenzerwald · 5
Bergikonen im Bregenzerwald: Damülser Mittagsspitze (2.095 m) Auf die nahe gelegene Bergstation führt eine Sesselbahn bis 1.820 Meter Seehöhe. Danach heißt es bergsteigen, um auf den Gipfel zu kommen. reisemagazin bregenzerwald · 7
Jenseits von Spur und Straße Er stammt aus dem Land der Dolomiten, seine Leidenschaft gilt den Mountainbike-Routen im Bregenzerwald: Als Mountainbike-Trainer sorgt er für Freude beim Fahren und kümmert sich um die Sicherheit am Berg. Auf den folgenden Seiten stellt er das Wichtigste zu diesem Sport im Bregenzerwald vor 8 · reisemagazin bregenzerwald
Mountainbike-Sport im Bregenzerwald Fahrtechniktraining & geführte E-Bike-, Bike- und E-Bike-Verleih Mountainbike- und Rennradtouren • Sport Fuchs, Au • Die Bike Schule Bregenzerwald • MB Motors, Egg (nur E-Bike-Verleih) www.die-bike-schule.at • Intersport Spettel, Hittisau, Alberschwende • „bikeguide bregenzerwald“ • Sport Gotthard, Hittisau www.bikeguide-bregenzerwald.at • Sport Broger, Mellau • Aktiv-Zentrum Bregenzerwald • Sport Natter, Talstation Mellaubahn www.aktiv-zentrum.at • Sport Madlener, Damüls • Alpinschule Widderstein • Sport Rössle, Faschina www.alpinschulewidderstein.com • Mathias Fritz, Warth-Schröcken Mountainbike-Karte mit 23 Touren-Tipps www.alpinschule-warth.com Detaillierte Informationen zu den Touren fin- • Wendelin Küzler, Langen den Sie in der Mountainbike-Karte Bregenzer- www.e-bikeguide-wendelin.at wald (erhältlich bei Bregenzerwald Tourismus, in den Tourismusbüros und in einzelnen Sport- Bike-Parcours Au-Schoppernau geschäften). Im Bike-Parcours sind drei Lines angelegt mit den Schwierigkeitsgraden „Blau“, „Rot“ und Mountain Bike Holidays Hotels „Pink“. Somit gibt es naturgetreu simulierte • Hotel Hubertus in Mellau Singletrails in den Varianten S0, S1 und S2. www.hotel-hubertus.at Pumptrack, Northshore-Elemente, Wippe und • Hotel Adler in Au kleine Drops sind dort auch anzutreffen. Geeig- www.adler-au.at Johannes Larch schätzt den Bregenzerwald als net für Cross Country, All Mountain und Enduro • Hotel Rössle in Au Mountainbike-Region, denn, so sagt er: Bikes. www.roessle-au.at „Hier im Bregenzerwald stehen Mountainbikern Au-Schoppernau Tourismus insgesamt rund 460 Kilometer an beschilderten www.au-schoppernau.at Road Bike Hotels Routen zur Verfügung. Die 23 Top-Touren führen • Hotel Bären in Mellau durch ausgesucht schöne Landschaften, zu Vor- Mountainbike-Transporte bei den Bergbahnen www.baerenmellau.at säßen und Hochalpen sowie auf aussichtsreiche • Seilbahn Bezau • Hotel & Wirtshaus Gämsle in Schoppernau Gipfel. Rund um die Routen gibt es ein breites • Mellaubahn www.gaemsle.at Angebot an Serviceleistungen und speziellen • Diedamskopf Au-Schoppernau Hotels – einfach ideal!“ • Uga-Express Damüls Mountainbike Package: siehe Seite 56 reisemagazin bregenzerwald · 11
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Die Gratwanderung Eine gemeinsame Wanderung auf einen Berg, zu dessen Gipfel ein schmaler Grat führt, bringt die Beteiligten einander rasch näher und jeder Einzelnen Einblicke in die eigene Persönlichkeit reisemagazin bregenzerwald · 13
Hinter mir höre ich meine Freundinnen zu mir aufschließen … Für vier Schulfreundinnen, nen zu mir aufschließen. Wir sind vier in den letzten Jahren haben sich Treffen durch Leben und Zeit auf junge, wandererfahrene Frauen und auf die Weihnachtszeit beschränkt. trittsicher. Trotzdem machen der leichte Vom Leben in alle Himmelsrichtungen Distanz zueinander gebracht, Nebel und die steilen Abhänge des Grates davongetragen, haben wir uns jetzt viel wird eine gemeinsame Wan- die nächsten hundert Meter zum Nerven- zu erzählen. In Bezau angekommen, derung auf die Winterstaude kitzel. „Positiv blieba, Moatla, es isch allat fahren wir mit der Bergbahn zur Berg- zum Erlebnis, das die alte no ganga“, ermuntert Cathrin die Gruppe. station Baumgarten. Von dort wandern Vertrautheit aus Schultagen Schon auf die morgendliche Anreise wir Richtung Winterstaude. Ohne Eile, wiederbringt aus dem Rheintal haben wir uns gefreut. schließlich haben wir uns den ganzen Wir vier, Natalie, Cathrin, Elisabeth und Tag für einander und den Berg Zeit Vor uns liegen die letzten beiden ich, kennen uns seit der Schulzeit. Doch genommen. Abstiege des sogenannten „Hasenstricks“, und damit der Höhepunkt der Wande- rung. Links stürzt eine Felswand in die Tiefe, rechts fällt eine Wiese ab, ebenso steil wie die Felsen. Jetzt ist höchste Kon- zentration gefordert. Ich bleibe stehen, um den Blick zum heutigen Tagesziel, dem Gipfel der Winterstaude, zu heben. So mystisch habe ich diesen Berg, der mir doch seit meiner Kindheit vertraut ist, noch nie erlebt. Dort, wo man sonst von Schetteregg aus über das hügelige Alpenvorland bis nach Deutschland sieht, hängt jetzt eine dicke Nebelwand. Der Nebel steigt aus dem Kessel zu unserer Linken auf, ein leichter Wind von rechts treibt ihn wieder in den Kessel zurück. Es sieht aus wie eine Welle, die unentwegt bricht, aber sich nicht vorwärts bewegt. Hinter mir höre ich meine Freundin- 14 · reisemagazin bregenzerwald
… Nebel und steile Abhänge machen die nächsten hundert Meter zum Nervenkitzel reisemagazin bregenzerwald · 15
riert. „Vorsicht Moatla, do vorne wird’s rutschig!“, melde ich meinen Freundin- nen den Zustand des schmalen Pfades. Einen Schritt vor den anderen setzend, überqueren wir das schmalste Stück des Kamms. Dann halten wir an, um ein Naturspektakel zu bestaunen. Es spielt sich genau vor unseren Augen ab: Direkt am Grat spüren wir den feuchten Windhauch des aufsteigenden Nebels, ein paar nasse Kügelchen setzen sich auf unseren Haaren ab. Vorsichtig steige ich auf dem Hasen- strick hinunter. Mit der Linken halte ich mich am Seil fest, den Blick stets auf den etwa einen Meter breiten Grat vor mir gerichtet. Bislang ganz auf mich konzentriert, drehe ich mich in der Mitte des Grates zu meinen Freundinnen um: Alle haben die erste Hürde gut gemeis- Der erhöhte Adrenalinspiegel wird uns die Wanderung im Gedächtnis halten … tert. Auch beim zweiten Abstieg gibt es keine Zwischenfälle. Ich bin sicher, die Schritt für Schritt bewegen wir uns Stongerhöhe. Zwischen den Schafen durch den Nebel verursachte Stimmung auf unser Ziel zu. Mit jedem Schritt und Kühen, die hier grasen, bahnen am Grat und der durch die rutschigen schütteln wir etwas mehr von unserem wir uns den Weg zum Höhepunkt der Felsen erhöhte Adrenalinspiegel werden Alltag ab. Abseits der ständigen Hektik Wanderung: dem Hasenstrick. dafür sorgen, dass uns diese Wande- und der Pop-up-Nachrichten auf den Leichter Nebel zieht auf, die Felsen rung im Gedächtnis bleibt. Schließlich Handys senken wir die Augen höchs- des Hasenstricks werden etwas rutschig. lässt die Spannung nach, Erleichterung tens, um die nächsten Tritte sicher zu Beim Betreten des Grates durch das macht sich breit, und wir genießen den setzen. Ist unser Gang zu Beginn noch Drehkreuz ändert sich die Stimmung Moment. ungleichmäßig, stellt sich schnell ein schlagartig. Vorher noch ausgelassen Den letzten steilen Anstieg zum Gipfel Gruppenrhythmus ein: links, rechts, schwätzend, sind wir jetzt konzent- nehmen wir in einem gemeinsamen links, rechts. Ganz automatisch gleichen wir uns an, aus der Truppe wird eine Gruppe mit demselben Ziel. Der Weg schlängelt sich zuerst an der „Niedere“ entlang über Grashügel hinunter zu einem Geröllfeld. Am leicht bewölk- ten Himmel schafft es die Sonne doch immer wieder, sich durchzusetzen und unsere Gesichter zu erwärmen. Am Geröllfeld wartet die erste Auf- gabe. Wir wollen ein Steinmännchen als Gruß für die nächsten Wanderer hinter- lassen. Angeführt von Elisabeth, suchen wir Steine und balancieren sie aufein- ander. Kein Wunder, dass sich immer mehr Teambuilding-Experten mit ihren Gruppen auf den Berg begeben. Pädagogisch wertvolle Gruppenaufga- ben liegen hier am Wegesrand. Als wir mit unserem Steinmännchen zufrieden sind, geht es über den steilen Aufstieg von der Stongerhöhealpe hinauf zur Nach der Euphorie am Gipfel die Erinnerung an Jugendtage … 16 · reisemagazin bregenzerwald
Aus der Luft gegriffen Tempo. Oben angekommen, geht eine sen, die Stille der Natur, unsere rhythmi- Welle der Euphorie durch die Gruppe. schen Schritte und das Körpergefühl des Olympiasieger im Skispringen, Sportexperte und Stolz widmen wir uns dem Gipfelbuch. Wanderns lassen Gespräche schnell sehr Unternehmer (www.innauerfacts.at) – Ein Aufstieg gilt ja erst wirklich durch persönlich und nachdenklich werden. Toni Innauer aus dem Bregenzerwald einen ausführlichen Eintrag. Erinne- In keinem Café der Welt würden wir so rungen an Jugendtage kommen auf. Ein gut über unsere Gegenwart und Zukunft Luftgänger wesentlicher Unterschied zu damals ist sprechen können. unsere mitgebrachte Jause: statt Gum- Am Abend auf einer Wiese auf dem Man braucht ein bestimmtes Alter, damit längst miwürmchen und Chips gibt es Äpfel Sonderdach neben der Mittelstation der Vergangenes auf eine vertiefte Weise nachschwin- und Nüsse, statt Limonade den mittler- Bergbahnen: Es dämmert, und wir vier gen kann. Wenn Erinnerungsvermögen, Vorstel- weile obligatorischen Gipfelschnaps. sitzen im Gras, warten auf den Moment, lungskraft und Emotionalität noch intakt sind, Beim Abstieg zerstreut sich die da die Glut unseres Feuers heiß genug scheint sich dieser Resonanzraum mit der Zeit Gruppe, wir verwickeln uns in Zwei- ist, um unsere vegetarischen Würstchen zu vergrößern. „Im Wald“, umgeben vom mar- ergespräche. Und immer wieder lässt zu grillen. In der Vorfreude auf das Essen kanten Dialekt, bekannten und gemochten Men- sich eine zurückfallen, in Gedanken – Wandern macht hungrig! – lassen schen, liegen für mich Geschichten zum Greifen versunken. Das Wandern mit Freunden wir den Tag Revue passieren. Cathrin in der Luft. Wie lebendig ist mir etwa der Besuch macht es möglich, unsere Bedürfnisse empfand besonders das Feuermachen einer Lehrerin im elterlichen Gasthaus. Sie bedau- in verschiedenen Konstellationen zu als schönen Abschluss. Dazu wurden erte mich halbwegs glaubwürdig, weil ausgerech- erfüllen. Auch persönliches Innehalten Aufgaben verteilt: Die einen waren fürs net ich in den brütend heißen Sommerferien von und das Suchen nach Stille haben auf Holzsammeln und Feuerentfachen Dr. Fink einen Gips am rechten Unterarm verpasst dem Berg Platz. Das gemeinsame Wan- zuständig, die anderen suchten nach bekommen hatte. Der Versuch, eine Astgabel für dern bringt einen zusätzlichen Vorteil: Haselnussruten für die Wurstspieße. Wir eine Steinschleuder von einem hohen Baum zu Die Stille wird von Atmen und Tritten singen Lieder aus unserer Schulzeit und hacken, war schiefgegangen: Ich hatte die Tragfä- begleitet, es gibt keine unbequemen sind wohlig erschöpft. Noch am Vormit- higkeit des letzten, als Stand dienenden Ästchens Gesprächspausen. Das hält uns stets tag ist eine über die Jahre gewachsene überlastet, bzw. mein über den Winter offenbar in der Gegenwart. Der Pfad erfordert Distanz zwischen uns spürbar gewesen. gestiegenes Körpergewicht unterschätzt. Mit der Konzentration auf das Hier und Jetzt, Jetzt, am Ende dieses Wandertages, sind Axt in der Hand, aber ohne die begehrte Astgabel, lässt uns aber auch Spielraum. Unsere wir einander wieder nah. Jahrelang muss es dann aus luftiger Höhe rasant nach unten Aufmerksamkeit richtet sich auf das, haben wir uns nur sporadisch gesehen, gegangen sein. Vom Flug habe ich – aus heutiger was vor und in uns ist: Sinneseindrücke, doch dieser gemeinsame Abend fühlt Sicht die Folge einer retrograden Amnesie durch Gefühle und Gedanken. Die Berge, die in sich an, als wäre die Zeit für uns vor zehn die erlittene Gehirnerschütterung – keinerlei Erin- uns allen ein tiefes Heimatgefühl auslö- Jahren stehengeblieben. Hannah Greber nerung mehr. Der Film setzte erst wieder ein, als ich heulend und schwitzend und mit weggeknick- tem, schmerzendem Unterarm die Leite aufwärts robbte. In einer warmen Sommernacht saß ich fünf Jahre später erneut auf einem Baum, diesmal aber auf einem dicken Ast. Drei Kilometer weiter und 700 Höhenmeter tiefer im Tal lief die Attraktion des Sommers. Ein Artist wollte, auf einem Seil balan- cierend, den Bezauer Kirchturm erklimmen. Ich hatte keinen Ausgang bekommen, um das Spektakel aus nächster Nähe zu erleben. Auf mei- nem Hochsitz war es „stierdunkel“. Im Bildaus- schnitt von Vaters Fernglas zitterte der schwach beleuchtete Turm. Vom verzerrten Lärm aus dem Lautsprecher verstand ich kein Wort und auf der Kirchturmspitze konnte ich niemanden erspähen. Dass ich nichts versäumt hatte und viel Lärm um nichts gemacht worden war, berichtete man mir am nächsten Tag: „Das Seil ging nur bis zur Höhe des heiligen Jodok über dem Eingangsportal und nicht einmal dort ist er hinaufgekommen ...“ Gemeinsam am Feuer erscheint die Zeit wie vor zehn Jahren stehengeblieben reisemagazin bregenzerwald · 17
Moor, Teich, Das Moorbad Oberköhler in Sulzberg ist ein idyllischer, natürlicher Moorweiher Dafür verbinden hier die Erinnerun- gen an unbeschwerte Schwimmnach- mittage und verträumte Sommernächte Sommer, die Generationen von Kindern, Eltern unweit der Sulzberger Dorf- und Großeltern. Etwa Karin Dorner und mitte. Er verbindet Sippen ihren Sohn David: „Natürlich habe ich und Generationen und setzt Sterne im Moorbad Oberköhler schwimmen sich, frisch renoviert, auch gelernt. Denn ein leicht erreichbares gegen Freibäder durch Freibad gab es damals noch nicht. Die Weißach unten im Tal war für uns Kinder zu weit weg“, erinnert sich Karin, Kaum ein Sulzberger Kind, das in Jahrgang 1951. Ihr Sohn David, Jahrgang den schwarzen Wassern des kleinen 1976, ergänzt: „In meiner Jugend war Sees nicht schwimmen gelernt hat. das Moorbad der abendliche Treffpunkt Kaum ein Teenager, die hier nicht seine für alle Jungen, vom sommerlichen ersten aufregenden Stunden unterm Lagerfeuerabend bis zum Klassenab- Sternenhimmel verbracht hat. Seit schlussfest. Hier am See waren wir nie Jahrzehnten ist das Moorbad Oberköh- weit weg von zu Hause und dennoch ler ein Rückzugsort für alle, die für den immer unter uns.“ Spielplatz zu alt und fürs Gasthaus noch Der kleine See ist auch ein Treff- zu jung sind. Anders als in anderen punkt für die drei Sulzberger Sippen: Orten mit natürlichen Moorbädern gab Süd-Sulzberger, Nord-Sulzberger und es in Sulzberg nie Pläne, den Naturteich, „Dörfler“. Mutter und Sohn lachen: Ja, dessen Wasser sich aus einem höherge- diese Unterscheidung nach Hang- und legenen Hochmoor speist, touristisch Sonnenlage gibt es hier tatsächlich. zu erschließen oder ihn in eine private Die beiden sind auf der Schattenseite Hotelanlage einzugliedern. des Dorfes aufgewachsen. Dort erfasst Generationen von Sulzbergern haben im Moorteich Schwimmen gelernt 18 · reisemagazin bregenzerwald
Moore und Wasser Bizau – Wo Wasser an den Zehen kitzelt Im oder am Ulvenbach können Besucher über eine Strecke von rund 1 km barfuß wandern, die natürliche Bild- und Tonkulisse des Baches auf sich wirken lassen und seltene Pflanzen bestaunen. www.bizau-bregenzerwald.com Krumbach – Lebensenergie im Moor Weshalb dienen Moore auch dem Klima- schutz? Welche Pflanzen und Tiere finden wir im Moor? Und wie gewinnen wir Lebens energie? Die MoorführerInnen begleiten die Gäste mit lebendigem Wissen und spannenden Geschichten. Der Moorteich ist ein Treffpunkt für die drei „Sulzberger Sippen“ Geheimtipps: Moorwanderung zwischen 6 und 8 Uhr morgens der Blick Richtung Norden nicht mehr Rechtzeitig zu Beginn der Bade- Angebote: Moorwanderung und Frühstück, den Bregenzerwald, sondern die sanfte saison wurde im Sommer 2019 alles Geführte Moorwanderungen www.krumbach.at Hügellandschaft des Allgäus. Hier liegt fertig: Ausgestattet mit einem neuen, der Hof, den die Familie bereits in naturbelassenen Uferbereich, einer Langen – Witmoos Europaschutzgebiet vierter Generation gemeinsam bewirt- tiefen Schwimm- und einer flachen Die größte Besonderheit des Natura 2000- schaftet. „Man traf als Jugendlicher Kinderzone sowie mit Umkleidehäus- Gebietes ist das ursprüngliche Spirken im Moorbad Oberköhler immer auch chen und einem neuen Grillplatz hochmoor. Dieses stellt gewissermaßen den „Urzustand“ der Langener Moore dar, bevor welche, mit denen man sonst nicht hat das Moorbad Oberköhler eine diese durch Torfabbau, teilweise Entwässe- viel zu tun hatte. Das trägt bis heute Renaissance erlebt – und die nächste rung und Streuenutzung großflächig verän- positiv zum Dorfleben bei“, sagt David. Generation Sulzberger Kinder. „Meine dert wurden. Gemeinsam mit den ausgedehn- „Der Eintritt war immer frei. Es gab nie beiden Töchter“, sagt David Dorner, „die ten „Mooswiesen“ im Westen ist das Witmoos strenge Regeln, was man tun darf und dreizehnjährige Ida und die zehnjährige Standort vieler seltener und teils vom Aus sterben bedrohter bzw. stark gefährdeter was nicht“, erinnert er sich und grinst: Lea, sind im Sommer eifrige Moorbad- Lebensraumtypen und Arten. „Wir waren dennoch immer ziemlich Besucherinnen geworden!“ www.langen.at vernünftig.“ Babette Karner Den ersten Umbau erlebte der kleine Riefensberg – Barfuß-Parcours Moorsee Ende der 1960er Jahre: Damals Auf dem Barfuß- und Fitnessparcours kann man an 22 Stationen Koordination, Ausdauer, fasste man einen Teil des Gewässers mit Kraft, Beweglichkeit und Schnelligkeit trainie- einer Betonmauer ein, eine Holzhütte ren. diente zur Umkleide und als Toilette. www.riefensberg.at In den 1990er Jahren sei die Beliebt- heit des Teichs etwas zurückgegangen, Sibratsgfäll – Moorbad Mitten in der Natur finden sich eine Wasser- erzählt Karin Dorner: Neue Freibäder trete, zwei Moorbecken und ein Natur-Wasser- im Umland machten dem schlichten becken zum Schwimmen (Juni bis Ende Sept.). Moorsee Konkurrenz. 2016 beschloss www.sibra.at die Gemeinde, das Moorbad Oberköhler zu renovieren und den Badeteich nach Sulzberg – Moorbad Oberköhler Plänen des Büros „Landrise“ und des Nicht nur zum Schwimmen lädt dieser idyl- lische Platz am Waldrand ein, sondern auch Architekten Edgar Höscheler behutsam zum Kneippen (Wassertreten), Spielen, Gril- neu zu gestalten. Auch der Sulzberger len (öffentliche Grillstelle) und Verweilen. Der Jugendrat war von Anbeginn an dabei. Schwimmbereich hat Tiefen von 0,5 bis 2 Meter Am Umbau, den 2018/19 zahlreiche und ist also auch für Kinder geeignet. Zur Ein- ortsansässige Firmen vornahmen, war richtung gehören auch ein Umkleidebereich mit WC und Parkplätze. auch David Dorner beteiligt – als alter Öffnungszeiten: Juni bis Ende September Moorbad-Kenner und Teil der Ober www.sulzberg-bregenzerwald.com köhler-Arbeitsgruppe. reisemagazin bregenzerwald · 19
Vom Sennen und Singen Der Autor lebt das Jahr über in Wien. Bis auf die Tage, die er beim Sennen auf einer Alpe im Bregenzerwald verbringt. Diesmal ist auch Astrit aus dem Kosovo dabei 20 · reisemagazin bregenzerwald
Anton Sutterlüty beim Sennen auf der Alpe Untere Falz im Bregenzerwald. Das Ergebnis, den fertigen Käse, lagert er in seinem Keller in der Wiener City reisemagazin bregenzerwald · 21
Astrit wird von den Bregenzerwäldern auf der Alpe Untere Falz „Asterix“ genannt. Sie können sich unter seinem Namen einfach keinen Mann vorstellen … „Abarlong“. Ob die Kühe heute gut „abarlond“? Ich bin gerade am Compu- ter gesessen, habe meine Buchhaltung gemacht, Rechnungen geschrieben, verschickt, und auch welche überwie- sen. Nun liege ich auf der Couch, es ist Abend, aber noch hell. Der Tag war heiß und schwül, gegen halb sieben sind dunkle Wolken über den Häusern der Stadt aufgefahren und ein hefti- ger Regenguss hat eingesetzt. Die fri- schere, feuchte Luft hat etwas Entspan- nung gebracht. Auf der Couch liegend bemerke ich, dass ich überlege, ob der Regen vom Zeitpunkt her noch vor dem Küheho- len z’Alp eingesetzt hat, weil näm- lich die Kühe an schwülen Tagen viel besser „abarlond“, wenn der Regen sie noch erwischt, bevor sie in den Stall kommen. Auch Kühe entspan- nen sich, wenn die Luft frischer wird. Auch sie folgt dem eigenen Tagesrhythmus auf der Alpe … Entspannte Kühe geben ihre Milch lieber her als Kühe, die von der Hitze „Intua“ und der Platz vor dem Stall, Verbundenheit, die ich in diesem und von den Bremsen genervt die an dem immer der Stecken lehnt, ist Moment gespürt hatte, war das, was Schwänze hin und her schlagen. Nein, plötzlich ganz klar und nah vor mei- ich im Grunde suchte. es wäre schon zu spät gewesen, um nem Auge. Mir wird bewusst, wie weit Mein Lehrer Wolfgang Dangl entwi- sechs sind die Kühe bereits angebun- die zwei Welten, Stadt und Alpe, in der ckelte eine Form der Improvisation den an ihren Plätzen. Realität auseinanderliegen, wie eng sie mit mir, bei der die Aufmerksamkeit Draußen sehe ich wieder die Häuser aber doch in meinem Inneren verbun- dem eigenen Körper gegenüber zum und die Straßen des 9. Wiener Gemein- den und gleichzeitig sind. Ausgangspunkt für den Gesang wurde. debezirks. Dennoch denke ich ans Die Wahrnehmungen, die ich dabei Singen. Von 1999 bis 2003 nahm machte, mündeten in einen Ton, einen Worterklärungen ich Gesangsunterricht. Nach den ers- Gesang. Und dieser Ton, dieser Gesang, Abarlong: guten Milchfluss haben ten paar Stunden merkte ich, dass veränderte das Gefüge im Inneren, abarlond: lassen die Milch gut fließen mich nicht unbedingt das Liedersin- und diese Veränderungen im Inneren gen interessiert. Was aber wollte ich veränderten wiederum den Gesang. z'Alp: auf der Alpe vom Singen? Ich nahm mein Inne- Oder er hörte auf und begann wieder Intua: in den Stall treiben res, mich selbst, immer als sehr abge- von neuem. Seagen: Sennsuppe, Molkeneiweiß schlossen von der Welt wahr. Da war Das Singen wurde für mich immer Käsfische: Reste, die beim Käseauszug im ich und dort war die Welt. Natürlich mehr zu einem Zustand der Auf- Kessel zurückblieben wusste ich, dass ich in dieser bin, aber merksamkeit, der Wahrnehmung von Nachfahrt: Nachdem der letzte Käse aus dem die Verbindung war mir vollkommen Bewegungen im Inneren und Äuße- Kessel geholt wurde, bleibt noch ein Rest von Käse, der beim Auszug nicht erwischt wurde, unklar. Jahre zuvor hatte ich einmal ren. Der Gesang ließ sich niemals wie- im Kessel. Dieser wird als Nachfahrt noch her- bei einem Winterspaziergang in der derholen. Gefiel mir einmal, was ich ausgeholt und zum letzten Käse dazu gepresst. Abenddämmerung begonnen zu sin- sang und wollte ich das nächste Mal lochig: paarungsbereit gen, immer lauter, bis der Gesang von damit fortfahren, merkte ich, dass sich Vorsäß: Weide mit Hütte zwischen Tal und Alpe den Bäumen widerhallte und gleich- das nicht machen ließ. Es war nicht zeitig mich selbst ganz ausfüllte. Die das Gleiche. Jeder Moment ist so voll 22 · reisemagazin bregenzerwald
kleinster Bewegungen, die ihn ausma- Milchsäurebakterien, angeregt durch entwickelt seine eigene Art, wie er die chen, dass aus der Aufmerksamkeit die Bakterienkultur, die sich im Holz Balance in der Milch herstellt. Jeder für diese Bewegungen ein Gesang ent- der Gebsen bildet, entwickeln können. hat seine Beziehung zur Milch und steht, der in diesem Moment passend Am Morgen habe ich dann eine vorge- macht seine Erfahrungen, was funk- ist und sich richtig anfühlt. Ich machte reifte Milch. tioniert und was nicht. Zwei verschie- die Erfahrung, dass jeder Moment Von der schöpfe ich erst den Rahm dene Sennen können niemals densel- seine eigene Schönheit hat, sei er nun für die Butter ab. Dann kommt die ben Käse machen, selbst wenn sie es leicht oder schwer, traurig oder freu- vorgereifte, entrahmte Milch in einen versuchen wollten. Milch und Käse dig. Selbst der Moment der Verzweif- Kessel und wird dort mit der frischen sind etwas sehr Lebendiges. Aus sehr lung, der seinen Ton findet, wird zu Morgenmilch vermischt, um zu Käse vielen kleinen und kleinsten Bewegun- etwas Stimmigem. Der Ton ist, wenn er weiterverarbeitet zu werden. Wenn gen zusammengesetzt, die in jedem glückt, immer eine Überraschung. Er das Wetter heiß ist, entwickeln sich die Moment etwas anders sind und sich geschieht, ohne dass ich ihn mir aus- Bakterien schneller, als wenn es kalt immer neu zu dem entwickeln, was denken kann. ist. Diesen Prozess muss ich als Senn aus diesem Moment erwächst. Das aufmerksam beobachten: Wie riecht Lebendige hat immer die Tendenz, sich Sennen. Die Erfahrungen, die ich und schmeckt die Milch am Morgen; zum Guten zu entwickeln – wenn man beim Singen machte, verwoben sich welche Konsistenz hat der Rahm am es lässt und ihm die gebührende Auf- im Laufe der Jahre immer mehr mit Morgen; wie wird die Milch dick; wie merksamkeit schenkt. Mit den Jahren den Erfahrungen, die ich beim Sen- verhält sie sich beim Schneiden; wel- habe ich festgestellt, dass die gleichen nen machte. Z’Alp gibt es einen täg- che Farbe hat die Molke; wie schnell Kräfte auf mich wirken wie auf die lich gleichen Rhythmus, der vom Wei- scheidet sich der Käsebruch von der Milch und auch eine ähnliche Wirkung den der Kühe, dem Melken und dem Molke; wie schnell wird der Käse- haben: Leichtigkeit und Schwere, Fri- Käsemachen bestimmt wird. Inner- bruch nach dem Brennen rösch, also sche und Trägheit, Gereiztheit oder halb dieses Rhythmus ist aber jeder reif zum Ausnehmen; wie kommen Entspanntheit. Tag auch anders. Die Milch ist jeden beim Absennen der Bruch und der Tag anders, abhängig vom Wetter und „Seagen“ …? 31. Mai 2019. Wir sitzen am Tisch dem Futter der Kühe. Ich arbeite beim Aufgrund der Wahrnehmung die- aus hellem Ahorn. Der ist unten am Sennen mit Gebsen, also Holztrögen. ser Zeichen treffe ich meine Entschei- Bach gewachsen, auf den wir von der Milch, die am Abend gemolken wird, dungen: Muss ich das Wachstum der Küche aus hinunterblicken, und von schütte ich frisch und kuhwarm in Bakterien fördern oder bremsen? einem der Bauern, denen die Alpe die Gebsen, damit sich über Nacht die Jeder Senn, der mit Gebsen arbeitet, gehört, gefertigt worden. Dieser Tisch … der natürlich ein ganz anderer ist als jener der Großstadt Wien, in der Anton Sutterlüty seinen Alpkäse lagert reisemagazin bregenzerwald · 23
hat als eines der wenigen Möbel einen seinen Verwandten anwenden kann, verbinden mich mit ihr: Ihr Vater hatte Brand im Jahr 2004 unbeschadet über- die zum Teil noch Kühe haben. in Andelsbuch einen Stall voll Zie- standen. Gerade essen wir zu Mittag. Astrit und ich waren seit fünf Uhr gen, darunter auch einen Ziegenbock, Antonia, die Köchin, Alfred und Seff- früh in der Sennerei, Manuel ist etwas zu dem wir immer gingen, wenn eine tone, die Küher, Astrit, der Untersenn, später dazugekommen. Er ist Service- unserer eigenen zwei Ziegen „lochig“ Manuel, der Unteruntersenn, und ich. leiter im Wiener Restaurant Mraz und war. Für uns Kinder war das ein Aben- Erst essen wir die Sennsuppe, Sefftone Sohn und wollte ein paar Tage mit- teuer. Wir nahmen die Ziege am Strick lobt sie. Antonia fragt, was ich mache, helfen, den Käse zu machen, den er und machten uns auf den Weg. Dabei damit keine Käsfische drinnen sind. auf seinem Käsewagen den Gästen mussten wir auf dem Andelsbucher Feld durch zehn Stacheldrahtzäune. Der alte Herr Gmeiner mit dunklem Bart und einem Stall voll Ziegen war uns ein wenig unheimlich. Wir waren froh, wenn der Bock seine Aufgabe möglichst schnell erledigte und wir wieder gehen konnten. Antonia war irgendwann in den 1950er Jahren als 14-Jährige für ein paar Wochen im großen, akkurat und streng von meiner Großmutter geführ- ten Haushalt beschäftigt und erzählt, wie viel sie in dieser kurzen Zeit von meiner Großmutter lernen konnte. Am Nachmittag kommt Besuch: meine Frau und die Kinder, Astrits Frau und Sohn aus Wien und Frau Caze aus Berlin. Frau Caze, eine Berliner Möbel- designerin, die ihre Möbel bei Anton Mohr in Andelsbuch fertigen lässt, habe ich bei der „Cheese Berlin“ kennenge- lernt, einer Käsemesse für Rohmilch- käse aus kleinen handwerklichen Betrie- Astrit, der Mann aus dem Kosovo, den sie auf der Alpe „Asterix“ nennen ben. Die Frauen und die Kinder beleben für die nächsten paar Tage den Platz vor Ich antworte, dass ich nach der Nach- kredenzt. Währenddessen haben der Hütte, der der Winterstaude und fahrt immer noch einmal in den Kessel Alfred und Sefftone ihre Arbeit mit dem Bullersch zugewandt ist. Am Nach- fahre, um den allerletzten Rest auch den Kühen erledigt und Antonia die mittag, nach getaner Arbeit, gesellen noch zu erwischen. Zwischen Manuel ihre im Haushalt. Sefftone ist Anfang wir uns auch gern dazu, bis es Zeit wird und Antonia rennt der Schmäh. Astrit, siebzig, pensionierter Zimmermann, zum „Intua“. der zwar perfekt Deutsch spricht, aber der immer auch Nebenerwerbsbauer Meine Alpzeit dauert nur zwölf Tage. vom Dialekt so gut wie nichts versteht, war. Mein Vater hat einmal von ihm Die Kühe werden für diese kurze Zeit versinkt ein wenig in sich. eine Kuh gekauft, mit der wir sehr im Mai bis Anfang Juni auf die Untere Astrit ist Schauspieler. Einige Bau- zufrieden waren. Jetzt ist Sefftone den Falz getrieben, um das erste Gras abzu- ern waren so konsterniert, dass ein dritten Frühling als Küher dabei. Alf- weiden. Dann gehen sie in die Egger Mann „Astrit“ heißen kann, dass sie red, Anfang dreißig, ist Biobauer mit Vorsäße Rehenberg, Eggatsberg und den Namen angesichts seines bärti- neun Kühen. Sie sind mit uns auf der Hammeratsberg. Während der Vor- gen Gesichtes nicht aussprechen woll- Alpe Untere Falz. Er ist zum fünften säßzeit wächst das Gras auf der Alpe ten. Sie tauften ihn in „Asterix“ um. oder sechsten Mal mit dabei. nach. Anfang Juli kommen die Kühe für Astrit stammt aus dem Kosovo. Er ist Antonia, Ende siebzig, geht seit unge- die Hauptsaison wieder hinauf. Da ist mit Kühen aufgewachsen. Bei einem fähr 15 Jahren im Frühling mit auf die dann aber ein anderer Senn am Werk. Besuch in meinem Wiener Käsekeller Untere Falz, ist Älplerin durch und Ich widme mich in Wien wieder mei- hat ihn etwas Ähnliches wie ein Alpen- durch. Jedes Jahr wieder freuen wir ner Firma „Anton Macht Ke:s“. Meine drang erfasst. Ob er auch einmal mit uns auf die gemeinsame Zeit. Sie hat Alpzeit ist zwar etwas zu kurz, aber im auf die Alpe kann, um mir beim Käse- viel Humor, weiß mit jedem etwas zu Grunde bin ich froh, dass ich danach machen zu helfen? Und dabei etwas reden und hilft so dem bunten Haufen, wieder gehen kann, damit die Geschich- zu lernen, das er dann im Kosovo bei zusammenzufinden. Alte Geschichten ten nur verbinden und nicht verwickeln. 24 · reisemagazin bregenzerwald
G’hörig Wälderisch Reifung. Im sogenannten „Kipferl- leider geschlossen, was ich sehr haus“, einem mittelalterlichen Haus bedaure. Die ältesten Laibe in meinem hinter dem Stephansdom, in dem der Keller sind vier Jahre alt und haben Birgit Rietzler, Dichterin im Bregenzerwald, Legende nach zur Zeit der zweiten Tür- eine ausgeprägte Kristallstruktur ent- stellt typisches „Wälderisch“ vor kenbelagerung das Kipferl erfunden wickelt. Auf den Märkten, auf denen wurde, wie die Wiener sagen – Vorarl- ich den Käse verkaufe, biete ich ihn in Im Hohsummr berger nennen es „Gipfele“ –, habe ich sieben verschiedenen Reifegraden an. meinen Käsekeller. In ihm lasse ich Jeder Reifegrad ist eine Momentauf- Im Hochsommer Käse, der jung nach Wien kommt, rei- nahme von ein und demselben Käse, fen. Dort liegen Laibe von der Unteren und in jedem Moment hat dieser etwas Im Hohsummr trinkt ma Holdr-Saft und easst Falz, vom Vorsäß Rehenberg, von der Spezifisches zu bieten. Wenn die Men- Hodlbeer-Muos. Sennerei Mühle in Egg, von der Senne- schen, die zum Käsestand kommen, Im Hochsommer trinkt man Holundersaft und rei Kriechere in Bezau und auch noch von den aufgereihten Kostproben pro- isst Heidelbeermus. einige Laibe von der Sennerei Hof/ bieren, merken sie, welcher Käse gerade Winn as schüa ischt, lond Buro und Motorrädlar eare Meßmerreuthe in Egg. Kriechere und der richtige für sie ist. Passt so. Kärra schnello. Hof/Meßmerreuthe haben inzwischen Anton Sutterlüty Wenn’s schön ist, lassen Bauern und Motorrad- fahrer ihre Karren rattern. Alle sand drean as wia d’ Flutisch und d’ Höuschtäffl. Alle freuen sich wie die Schmetterlinge und Grashüpfer. Bim Schaffo muss ma schwitzo, pfnäschto und pfnuso. Beim Arbeiten muss man schwitzen, keuchen und schwer schnaufen. Am Undrats gaut ma is Schweammbad, a d’ Ah odr an an Plunta. Am nächsten Tag geht man ins Schwimmbad, an die Ache oder einen Teich. Döt git as schöa Motla, Mugga, Briama und W assrflöh. Dort gibt es schöne Mädchen, Mücken, Brem- sen und Wasserflöhe. So kriagod atol do Glaarar, an Sunnobrand odr an Hufo Biißbüggl. So bekommen manche Stielaugen, Sonnen- brand oder viele Mückenstiche. Abr d’ F üaß wedod subr und do Häcklar woochat as uf. Aber die Füße werden sauber und alter Schmutz löst sich auf. Winn as schwaaz kunt, muss ma gnot d’ Ise butzo. Wenn es „schwarz kommt“ (ein Gewitter naht), muss man schnell flüchten. För ’s Hohwassr hat ma Karfritags-Oiar i do Naht- käschtleschublad. Gegen Hochwasser hat man Karfreitagseier in der Nachtkästchenschublade. „‚Bathlomä bringt a Krätle voll Schnee“, hat ma frühor gset. Hl. Bartholomäus (24. 8.) bringt ein Körbchen voll Schnee, hat man früher gesagt. Do Summr künnod ou andr Heilige ghörige Pflänz hea. Im Sommer können auch andere Heilige gehö- rige Marotten haben. Anton Sutterlüty vor seinem Käsekeller in der Wiener Innenstadt reisemagazin bregenzerwald · 25
Werkzeug eines Dichters Der Philosoph Peter Natter ohne Nebenschauplätze. Das auch des- nicht nur in Großdorf, nicht nur im nimmt sich im Bregenzer- halb, weil die gestellte Aufgabe, einen Bregenzerwald: zu Hause in mir, in der schönen Text zu schreiben, all das nicht Welt. Vor Jahren habe ich den Versuch wald ein Buch vor und liest mag, nicht verträgt, wenn ich genau gemacht, sie auswendig zu lernen. Ein es mit Blick auf seine unmit- und ehrlich bin. Genau das ist die erste schönes Stück weit bin ich gekommen, telbare Umgebung. Diesmal: Lektion, die mir Rainer Maria Rilke immerhin fast bis zur sechsten. Manch- die „Duineser Elegien“ von (1875–1926) erteilt: „Ich lüge woanders, mal frage ich mich, was geblieben ist Rainer Maria Rilke aber nicht hier, vor mir selbst.“ von diesem Tun. Verdichtungen sind Müssen wir allein sein, um wenigs- geblieben. Verknüpfungen von Orten Wofür es gut ist? Das ist nicht die tens theoretisch dem Lügen zu entge- und Zeiten, wenn mir auf dem Gang Frage. Warum Poesie, warum im Bre- hen? Es schaut ganz so aus. Apropos zum Bäcker oder an einem Bahnsteig genzerwald? Weil es ums Echte geht und Lüge: In Rilkes Gedicht „Jetzt reifen Verse in den Sinn kommen, die ich dort um den unverstellten Blick. Den hat der schon die roten Berberitzen“ ist die vor mich hin und in mich hinein und Dichter als der tatsächlich Kreative und Rede von einer Welt, in der uns alles gleichzeitig in die Welt hinaus gemur- Innovative. „Tatsächlich kreativ“ statt anlügt. Auch die Authentizität einer melt habe: „Liebende könnten, verstün- nur „scheinbar originell“ nenne ich ihn, Region hängt daran, ob es ihr gelingt, den sie’s, in der Nachtluft wunderlich weil er nicht im leeren, wertfreien Raum ehrlich zu sein mit uns, wahrhaftig reden“ (zweite Elegie). Oder: „Fänden agiert, weil er sich weder von Licht blen- und sich selbst gerecht zu werden – auch wir ein reines, verhaltenes, schma- den noch von Schatten einlullen lässt was etwas völlig anderes ist, als selbst- les Menschliches, einen unseren Strei- und weil er Tatsachen, also Werte schafft, gerecht zu sein. Nun zur Sache: „Wer, fen Fruchtlands zwischen Strom und stiftet, wie man das einmal genannt hat. wenn ich schriee, hörte mich denn aus Gestein.“ (ebd.) Ich möchte das verstanden wissen als der Engel Ordnungen?“ So setzt Rainer Was mich motiviert, den „Duineser Gegenströmung und Gegengewicht, als Maria Rilkes Gedichtzyklus der Duine- Elegien“ meine Wald-Auszeit zu widmen, Ausgleich zu all dem bloß Aufgesetzten, ser Elegien ein. So hebt dieser Gesang ist nicht zuletzt die Haltung des Dichters das so viel oder wenig hergibt wie eine an, der in den 1910er und 1920er Jah- seinem eigenen Werk und sich selbst aufgenähte Jackentasche im Vergleich zu ren über einige Jahre hinweg entstan- gegenüber. Ich will diese Haltung die einer richtigen, in der auch etwas Platz den ist. Ihren Namen verdanken sie Werkzeug-Haltung nennen. Es ist eine hat. Zur Erklärung: Ich bin aufgewach- dem Schloss Duino bei Triest, in dem Verbindung aus hervorragender Meister- sen mit und trage immer noch Hosen Rilke 1912 als Gast der Gräfin Marie von schaft, quasi handwerklich-technischem mit richtigen Hosentaschen, in denen Thurn und Taxis-Hohenlohe weilte und Können einerseits und Inspiration, ein Sackmesser Platz hat, ein Sacktuch sich zumindest von der Muse ausgiebig Demut, Überantwortung andererseits. sowieso, und dies und das, was zu finden küssen ließ. So entstand die erste Ele- Da ist er dann wieder, mein Bregenzer- war und ist auf dem Schul- als Lebens- gie. Weil Rilke und wohl auch die Gräfin wald: „Treten Liebende nicht immer- weg: Steine, Holzstücke, Münzen, Regen- sahen, dass es gut war, folgten im Lauf fort an Ränder, eins im andern, die sich würmer oder ein frech gepflückter Apfel, der Jahre neun weitere. versprachen Weite, Jagd und Heimat“, eine Birne vielleicht, nicht gerade aus Wer ihn hört, fragt der Dichter. Nie- steht in der vierten Elegie. Ein Rand, Havelland, aber doch köstlich, weil ein mand hört dich, lautet die Antwort, der gleichzeitig Heimat ist: Man muss bisschen gestohlen. sonst gäbe es die zehn Elegien nicht. nicht unbedingt ein von Ernst Steinin- Wo sonst? Was sonst? möchte ich fra- Auch mich hörte hier und jetzt nie- ger gemaltes Porträt des exemplarischen gen, und schon sitze ich mit dem unver- mand, nicht nur akustisch. Ich schreie Bregenzerwälders Franz Michael Felder meidlichen Buch in meinem Großdorfer auch nicht. Selbst mit dem Erhören täglich vor Augen haben, um hier an Refugium. Um mich herum Bregenzer- ist es nicht weit her, aber das ist eine unseren Dichter zu denken. Aber wenn wald pur und mit mir reine Literatur: andere Sache, und an dieser Stelle noch man’s hat, ist es auch gut. In meinem Lyrik. Dennoch ist es oft ein weiter Weg nicht unser Thema. Lyrik ist schon eher Großdorfer Hüsle gibt es ein weiteres bis zum Naheliegenden. Vieles muss unser Thema und damit auch die Vorur- Felder-Porträt des originellen Bregenzer weggeschaufelt, umgegraben, abgetra- teile, die ihr begegnen, nicht zuletzt in Künstlers, so unscheinbar wie unüber- gen werden, bis zum Vorschein kommt, einer Region des Schaffens und Hand- sehbar platziert und wirkend. was (Tat-)Sache und wesentlich ist. Kon- werkens: für nichts gut zu sein als für Mein Bregenzerwald ist ein Ort und kret bewerkstellige ich diese Distanz- sich selbst oder für den Lyriker, den Hort der Werkzeug-Haltung: Das Sinnli- nahme durch einen kleinen Rückzug, weltfremden, weltfernen Dichter, dem che steht neben dem Sozialen und dem eine Auszeit, 24 Stunden, nicht mehr die Welt ebenso abhandengekommen Spirituellen, das Handwerkliche neben und nicht weniger. 24 sparsam, aber ist wie er oder sie ihr. dem Mystischen. Alles hat seine Zeit und exquisit verproviantierte Stunden, die es Wo es so einfach ist: Ich brauche die vielleicht noch mehr: seinen Raum und in sich haben, in denen nur eines zählt, „Duineser Elegien“ nur aufzuschlagen, seine Sprache sowieso. ohne Ablenkung, ohne Gschaftlhuberei, irgendwo, und schon bin ich zu Hause, Peter Natter 26 · reisemagazin bregenzerwald
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Aus dem Wald in die Sterne Eine Sternwarte im Bregenzerwald? Noch ist es nicht so weit. Aber in den Himmel kann man hier jetzt schon mit einem starken Teleskop schauen: aus Paul Baumgartners Sternbeobachtungsstation in Krumbach Auf einem Hügel in Krumbach steht eine Holzhütte, vier mal vier Meter groß. Das Giebeldach liegt auf Rollen. Schiebt man es zur Seite, kommt ein großes Fernrohr zum Vorschein. Es gehört Paul Baumgartner. Er fühlt sich privilegiert, die Milchstraße mit freiem Auge sehen zu können, was Großstäd- tern wegen massiver Lichtverschmut- zung nicht möglich ist. Auf Wunsch öffnet er sein Sternenhäuschen, organi- siert Vorträge und verkauft in seinem Laden „Himmelklar“ am Krumbacher Dorfplatz Teleskope, Comics, Science- Fiction und Sachbücher. Paul Baumgartner kam in Wien zur Welt, erlebte die Kindergartenjahre in Moskau, die Volksschulzeit im Hatler dorf (Dornbirn) und in Wien und zog als junger Mann nach Mödling, wo seine Großmutter herkam. Es ist kompliziert. Vielleicht sollte man es so erzählen: Paul Baumgartner wurde auf dem Pla- neten Erde geboren und machte gerade eine Buchhändlerlehre, als sein Freund am Dachboden von Großvaters Haus das Zielfernrohr von einem Jagdgewehr fand. Damit fuhren die Buben auf die Perchtoldsdorfer Heide, ließen sich im Federgras unter Föhren nieder, spähten durch das Rohr und entdeckten in wei- ter Ferne den Flughafen in Schwechat. Waren das etwa Gepäckwägelchen? Unglaublich. Als es dämmerte, richtete Paul das Fernrohr auf den Himmel. „Schau, da Den Mond vor dem Auge: ist ein Stern, der hat so einen komi- Paul Baumgartner an seinem schen Ring.“ Natürlich wusste er vom Teleskop in Krumbach Saturn, aber wenn er die Ringe selbst mit diesem alten Gerät sehen konnte, reisemagazin bregenzerwald · 29
Voyager 1, die 1977 losgeschickt wurde, hat erst jetzt unser Sonnensystem ver- lassen, obwohl sie mit 62 000 km/h fliegt. Das sind Distanzen, die wir nie bewältigen können. Wir sind auf der Erde gefangen.“ Das versucht Paul Baumgartner allen klar zu machen. Denn das Klima ändert sich. Zu die- sem Thema hat er viele Bücher in sei- nem Laden. „Weil es so gut passt. Ja, es kann sein, dass Menschen auf den Mars fliegen. Aber das betrifft in zwan- zig Jahren vielleicht drei Personen, die wahrscheinlich nie wieder zurück- kehren. Wir haben nur diese Erde.“ Ein Hobby-Astronom schreibt dazu im Internet: „Je mehr Menschen bereit sind, ins Weltall zu schauen, um sich ihrer Situation auf der Erde bewusst zu werden, desto größer ist die Chance für die Menschheit, zur Vernunft zu kommen.“ Im August, wenn es Sternschnup- Paul Baumgartner, Astronom. Seine Sternwarte in Krumbach sieht wie einer der pen regnet, bietet Paul gemeinsam mit Stadel hier aus, nimmt also die bäuerliche Tradition auf … Rangern aus dem Naturpark Nagel- fluhkette eine Nachtwanderung in was war dann noch möglich? Wild ent- gibt viele Hobby-Astronomen, die sich Sibratsgfäll an. Die Menschen kom- schlossen kaufte er sich mit dem Lehr- fertige Gartenhütten aufstellen. Aber men angesichts der Sternschnuppen lingsgeld sein erstes Teleskop und trat das, was Rene Bechter daraus machte, aus dem Wünschen gar nicht mehr dem Astronomieverein bei. Die Leiden- ist besonders.“ Ende 2015 übersiedel- heraus. Auch Paul hätte einen – und schaft, Himmelskörper zu beobachten ten die Baumgartners endgültig nach er ist nicht der Einzige: „Eine Volks- und zu fotografieren, ließ ihn nie wie- Krumbach. sternwarte, das wär’s. Wir sind ganz der los. Mit Mond, Mars, Jupiter und Zum Tag der offenen Tür „Krumbach am Anfang. Wir reden erst drüber“, Saturn fing es an. Später fand er Deep- goht um“ bat Arnold Hirschbühl sagt er vorsichtig. Aber das Wort stand Sky-Objekte: Plejaden, die Galaxie darum, die Sternwarte zu öffnen. Paul bekanntlich immer schon am Anfang. Andromeda, Kugelsternhaufen, den lachte. „Das interessiert doch keinen.“ Irmgard Kramer Orionnebel. Er täuschte sich gründlich. Fasziniert Paul half seinem Vater in dessen IT- hören ihm die Menschen zu, wenn Firma aus. Er blieb dann in der Bran- er erklärt, dass ein normaler Fotoap- che hängen, programmierte Websei- parat 28, sein Teleskop jedoch 4.000 ten, was er heute noch nebenbei tut, Millimeter Brennweite hat, die sich und lieferte Drucklösungen für Groß- auf 8.000 Millimeter verdoppeln las- raumbüros in ganz Österreich. Seine sen. Nun kommen Schulklassen und Ferien verbrachte er mit seiner Frau Kinder wünschen sich Teleskope zu Martina, die in Wien in der Gemüse- Weihnachten. branche arbeitete, jahrelang in Linge- In die Sterne schaut man üblicher- nau. Die beiden liebten den Bregenzer- weise mit einem Auge. Als Paul ein wald mit seinen Menschen und den Binokular auf ein Teleskop steckt, sieht Sternen. Der Traum, sich hier nieder- er den Mond zum ersten Mal räumlich zulassen, wuchs. Drei Jahre suchten – eine umwerfende, neue Erfahrung. sie, dann konnten sie ein Grundstück „Die Krater sind unglaublich!“ Paul in Krumbach kaufen. Zu ihrem Wohn- hält auch außerirdisches Leben für haus mit Gästezimmer errichteten sie wahrscheinlich. Nur nicht auf der Erde. eine kleine Sternwarte. Der damalige „Unser nächster Stern Proxima Cen- Bürgermeister Arnold Hirschbühl war tauri ist 4,2 Lichtjahre entfernt. Ein … und setzt sie als schlichtes, aber durch- ihnen stets eine Hilfe und empfahl Funksignal würde hin und zurück dachtes Gebäude im Stil der zeitgenös- einen Architekten aus dem Ort. „Es 8,4 Jahre brauchen. Die Raumsonde sischen Vorarlberger Architektur um. 30 · reisemagazin bregenzerwald
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