RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit

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RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
DAS FACHMAGAZIN FÜR ZEITARBEIT   02/2021

RICHTUNGSWAHL
FÜR ZEITARBEIT
RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
2   EDITORIAL

           Zeitarbeitsbranche braucht
           politische Planungssicherheit
           In den vergangenen fünf Legislaturperioden standen
           stets auch Veränderungen des Arbeitnehmerüberlas-
           sungsgesetzes (AÜG) auf der Tagesordnung des Bun-
           destages. Mal ging es um Liberalisierungen, wie die
           Abschaffung der Höchstüberlassungsdauer, mal gab es
           Anpassungen an EU-Richtlinien, dann wurde eine Lohn-
           unterschranke allgemeinverbindlich normiert oder mit
           der letzten AÜG-Reform wieder eine Rolle rückwärts
           mit vormaligen Restriktionen vorgenommen. Selbst ein
           faktisches Einsatzverbot von Zeitarbeit in der Fleischin-
           dustrie war leider kein Tabu mehr – wie bislang nur im
           Bauhauptgewerbe grundsätzlich vorgesehen.

           Dieses Hü und Hott führt dazu, dass die Personaldienst-
           leistungsbranche immer wieder in den Fokus von kon-
           troversen Debatten gerät und der Eindruck vermittelt        Beschäftigungsmarkt und die Gesellschaft insgesamt
           wird, hier gehe es um Akteure, die stets neu gesetzlich     leisten kann, wenn bestimmte Leitplanken beachtet
           eingehegt werden müssten. Anlass für die Aktivitä-          werden. Diese haben wir in Wahlprüfsteinen an die
           ten des Gesetzgebers waren aber nur einzelne krasse         Parteien und Kandidaten für den neuen Bundestag
           Vorfälle, wie etwa bei Schlecker oder Tönnies, die ver-     zusammengefasst.
           allgemeinert wurden, um Handlungsdruck zu rechtfer-
           tigen. Nach dem Motto: mitgehangen, mitgefangen.            Die Bundesregierung steht vor gewaltigen Aufgaben.
           Zum Leidwesen aller anständig arbeitenden Zeitarbeits-      Es geht nicht nur um den Klimawandel, sondern auch
           unternehmen.                                                um den grundlegenden (digitalen) Strukturwandel in
                                                                       der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Eigentlich
           Wird sich diese fatale Ungewissheit in der „Quo-vadis-      wären für solche Probleme die Mehrheiten einer kom-
           Frage“ auch in der nächsten Wahlperiode einstellen?         promissfähigen, großen, aber nicht nur dualen Koalition
           Schaut man in die Programme der Parteien zur Bundes-        nötig. Fest steht aus unserer Sicht: Wer die Wege in die
           tagswahl findet man ein breites Spektrum an Forderun-       Zeitarbeit zukünftig noch schmaler machen will, wer
           gen – vom Verbot der „Leiharbeit“ über Einsatzquoten        Verbotsschilder auf diesen Pfaden aufstellen will oder
           beziehungsweise Entgeltregelungen („Equal pay nebst         Zerrbilder über unsere Branche entwirft, der verspielt
           Flexibilitätsprämien“) und Abschaffung der Tariföff-        die Integrationschancen vieler Menschen und handelt
           nungsklausel bis zum Erhalt des Status quo oder vor-        auch volkswirtschaftlich unverantwortlich. Denn ge-
           sichtigen Reformschritten, wie die Abschaffung der          rade auch in der Corona-Pandemie haben wir wieder
           Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Als Bran-           gezeigt: Wir sind nicht das Problem, sondern wichtiger
           chen-Arbeitgeberverband sind wir parteipolitisch            Bestandteil von Lösungen. Die Branche steht für Fle-
           neutral und rufen nicht zur Stimmabgabe für eine be-        xibilität und (tarifierte) Sicherheit und hat es verdient,
           stimmte Partei auf. Aber wir haben klare Auffassun-         auch von der Politik als (schadstofffreier) Antriebsmotor
           gen, welche positiven Beiträge die Zeitarbeit für den       gefördert, statt gedrosselt zu werden.

                                                                       RA Werner Stolz | iGZ-Hauptgeschäftsführer
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Z direkt! 02/2021                                                                                                                                                     INHALT   3

                                                Inhalt

                                                  EDITORIAL ..................................................................................................... 2

                                                  KOMPAKT ...................................................................................................... 4

                                                  TITELTHEMA
                                                 Richtungswahl für Zeitarbeit – was wäre wenn ........................................... 6
                                                 Zeitarbeit im Bundestagswahlkampf – was der iGZ fordert ........................ 8
                                                 Wahlprogramme im Check – die Rolle der Zeitarbeit ................................ 11
                                                 Kanzlerkandidaten im Check – wer wo überzeugt .................................... 14
                                                 Bundestagswahlkampf 2021 – die Sicht des Wahlforschers ......................18
                                                 Wahlkämpfe der Vergangenheit – Rezzo Schlauch blickt zurück.................... 20
                                                 So funktioniert politisches Engagement ..................................................... 22
                                                 Wahlkampf in der Zeitarbeit – ein Ortsbesuch .......................................... 24
                                                 Vorsicht – Vorurteile gegen die Zeitarbeit .................................................. 26
                                                 Erfolgsmodell Zeitarbeit – mit Bundestagsabgeordneten diskutiert ........ 28

                                                 GASTBEITRAG
                                                 Die Causa Fleisch – wie sie Prof. Thüsing sieht .......................................... 30

                                                 CORONAKRISE
                                                 Optimistisch trotz Umsatzeinbußen ............................................................... 32

                                                  DIGITAL UNTERWEGS
                                                 iGZ-Mitgliederversammlung – Schubert bestätigt ..................................... 35
                                                 iGZ-Bundeskongress – live aus dem Greenscreen-Studio .......................... 36
                                                 iGZ-Bundeskongress – Ich glaub`, mein Schwein pfeift ............................. 38
                                                 iGZ-Forum Personalmanagement – das neue Normal ............................... 40

                                                  BILDUNG
                                                 Zeitarbeit in der Handball-Bundesliga ......................................................... 42
                                                 PDK: Vier neue Azubi-Botschafter .............................................................. 44
                                                 Sommer der Berufsausbildung – Mitmachen gewollt ............................... 46

                                                 AKTIV
                                                 Werbefläche für den guten Zweck – Kunst auf dem Rad ......................... 48
                                                 Matchtime-personal.de – passende Zeitarbeitnehmer finden .................. 50

Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen erfolgen geschlechterunabhängig. Sie werden ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwendet.
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4   KOMPAKT

          Zdirekt! für mediaV-Award nominiert
                                                                     Gleich für zwei Kategorien ist der iGZ für den mediaV-Award
                                                                     nominiert: für die beste Verbandszeitschrift und für das beste
                                                                     Titelbild. In der ersten Hochphase der Pandemie hatte sich
                                                                     der iGZ dazu entschlossen, Lichtblicke für die Zeitarbeit in
                          DAS FACHMAGAZIN FÜR ZEITARBEIT   02/2020   der Coronakrise zu suchen und abzubilden. Das Titelbild der
                                                                     Ausgabe 2/2020 zeigt unter dem Motto „Lichtblicke in der
                       LICHTBLICKE                                   Coronakrise“ echte Gesichter von Zeitarbeitskräften aus der
                       in der Coronakrise                            Kampagne „Zeitarbeit: Eine gute Wahl. In der Krise.“ – ganz
                                                                     so wie unsere Branche ist: vielseitig, kompetent und flexibel.
                                                                     Die Zdirekt! erfüllt den klassischen Anspruch eines Verbands-
                                                                     magazins, über News aus dem Verbandsleben zu berichten.
                                                                     Als Fachmagazin beleuchtet es aber vor allem arbeitsmarkt-
                                                                     politisch relevante Themen und liefert Handlungshilfen für
                                                                     Personaldienstleister.

                                                                     Mit dem mediaV-Award – ausgelobt vom Fachmagazin Ver-
                                                                     bändereport – werden herausragende Kommunikations-
                                                                     projekte von Verbänden und
                        CORONA-SCHATTEN:
                        Kommt ein Verbot der Zeitarbeit              Organisationen geehrt. Die
                        in der Fleischwirtschaft?

                                                                     Verleihung findet am 30. Au-
                                                                     gust statt.
                                                                                                       Nominiert für Beste Zeitschrift /
                                                                                                       Bestes Magazin 2021

          Evaluation der AÜG-Reform
          Vor vier Jahren ist das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehme-
          rüberlassungsgesetzes (AÜG) in Kraft getreten. Gemäß § 20
          AÜG wird es derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für
          Arbeit und Soziales (BMAS) evaluiert und die Wirksamkeit der
          Neuregelung des Gesetzes überprüft. Durchgeführt wird der
          Forschungsauftrag von der Bietergemeinschaft Institut für Ange-
          wandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen
          und dem infas – Institut für angewandte Sozialforschung. Der
          iGZ hat den mitverantwortlichen Kooperationspartner Prof. Dr.
          Lutz Bellmann nach einem Zwischenstand gefragt. Die Antwort:
          „Unser Vertrag mit dem BMAS legt fest, dass die Bearbeiter des
          Forschungsvorhabens bis zu einer Veröffentlichung durch das
          Ministerium zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.“ Ergebnisse aus den Befragungen von Zeitarbeits-
          unternehmen und -kräften, Kundenbetrieben, Branchenexperten sowie Arbeitgeberverbänden und
          Gewerkschaften werden also wohl erst im kommenden Jahr veröffentlicht.
RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
Z direkt! 02/2021                                                                                  KOMPAKT   5

        DER iGZ-PODCAST
        ZUR ZEITARBEIT

                                                 Die neueste Episode des iGZ-Verbandspodcasts steht
                                                 ganz im Zeichen der Veränderung. Auf zu neuen Ufern
                                                 hat sich Marcel Speker gemacht: Der bisherige Leiter
                                                 des iGZ-Fachbereichs Kommunikation verlässt den Ver-
                                                 band nach mehr als zehn Jahren und übernimmt die
                                                 Leitung des Ludwig-Windthorst-Hauses in Lingen, einer
                                                 der größten Heimvolkshochschulen in Niedersachsen.
                                                 Verbandelt-Gastgeberin Sara Schwedmann sprach mit
                                                 ihm über seine Erfahrungen in der Zeitarbeit, darü-
                                                 ber, was die Branche ausmacht und wo er ihre und die
                                                 Zukunft des iGZ sieht. Zu hören auf allen gängigen
                                                 Podcast-Portalen!

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HABEN SIE                                                    KUNDENBINDUNG DURCH INNOVATION

                                                     11A | EINE LÖSUNG FÜR ALLE
EINE FESTE
BEZIEHUNG?
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RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
6   TITELTHEMA

          RICHTUNGSWAHL
          FÜR ZEITARBEIT
                 Richtungswahl – was ist das eigentlich? Per De-
                 finition eine Wahl, von der eine Wende in der
                 politischen Richtung erwartet wird. Wird die
                 Bundestagswahl am 26. September eine Rich-
                 tungswahl sein? Fakt ist: Die Ära Merkel endet.
                 Doch wer schreibt dann neue Geschichte im Bun-
                 deskanzleramt? Und wie steht derjenige – oder
                 diejenige – zur Zeitarbeit?
RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
Z direkt! 01/2021                                                                                                 TITELTHEMA   7

Nicht der Wind bestimmt die Richtung, sondern die           mentierung. Ihre Wahlprogramme überschneiden sich
Stellung der Segel – das wissen nicht nur Könner von        in einigen Punkten, angefangen bei der Forderung nach
Halsen und Wenden. Das Sprichwort dient als Meta-           zwölf Euro Mindestlohn über ein Recht auf Homeoffice
pher für so viele Themen und Herausforderungen un-          und Weiterbildung bis hin zur härteren Regulierung der
serer Zeit – und zeigt gleichzeitig aber auch auf, dass     Zeitarbeit, wie Equal Pay ab dem ersten Tag. Die Union
jeder Einzelne seinen Beitrag leisten kann. Für unsere      von CDU / CSU will flexible Arbeitsverhältnisse wie Zeit-
Zukunft macht es einen Unterschied, welchen Kurs wir        arbeit, Werkverträge und sachgrundlos befristete Jobs
heute setzen – egal, ob uns der Wind ins Gesicht bläst,     weitgehend beibehalten. Die Liberalen der FDP wollen
er von der Seite kommt, er kalt und nass ist oder uns       die Zeitarbeit erleichtern.
im besten Fall von hinten antreibt. Im September wählt
Deutschland eine neue Regierung – und damit eine            Letzteres begrüßt der iGZ natürlich. Denn die Coronakri-
neue Zukunft. Eine Richtungswahl für unsere Branche,        se hat die Zeitarbeitsbranche hart getroffen. So langsam
denn die Mächte an der Entscheidungs-Pinne – um im          geht es wieder aufwärts: Nach dem coronabedingten
Boot zu bleiben – werden danach andere sein.                Rückgang sind derzeit viele Unternehmen wieder ver-
                                                            stärkt auf Mitarbeitersuche, wie das Beschäftigungsba-
Umso wichtiger ist es, im Vorfeld der Wahl allen (po-       rometer des Münchner Forschungsinstituts ifo zeigt. Vor
tenziellen) politischen Beteiligten klarzumachen, was       allem Betriebe aus dem Maschinenbau und der Elekt-
die Zeitarbeit ist und wofür wir als Branche stehen.        roindustrie wollen demnach neue Stellen schaffen und
Zeitarbeit als flexible Beschäftigungsform ist ein unver-   besetzen. Aber auch im Handel macht sich nach ifo-
zichtbares Element in der modernen Arbeitswelt. Sie         Angaben vorsichtig eine positive Tendenz bemerkbar.
ermöglicht es den Unternehmen und der Wirtschaft,
effizient und flexibel auf eine volatile Nachfrage zu       Eine Bundestagswahl ist vor allem auch eine Perso-
reagieren und sich gleichzeitig auch bestmöglich zu         nenwahl. Längst bringen sich die aussichtsreichsten
spezialisieren. Dazu bedarf es aber guter, moderner und     Kandidaten in Stellung – oder versuchen, nicht allzu
kluger Rahmenbedingungen. Unternehmen brauchen              sehr in den Gegenwind aus gegnerischer Richtung zu
Zutrauen und Freiraum, sie brauchen Luft zum Atmen,         geraten. Wie zuletzt die Grünen-Spitzenkandidatin An-
Experimentieren und Wachsen, statt immer neuer Re-          nalena Baerbock, die sich nach den Plagiatsvorwürfen
gularien und Vorschriften.                                  in einer Glaubwürdigkeitsdiskussion wiederfindet. Wie
                                                            die einzelnen Kanzlerkandidaten zum Thema Zeitarbeit
Laut einer Blitzumfrage des Marktforschungsunterneh-        stehen, lesen Sie auf den folgenden Seiten. Aber auch
mens Lünendonk & Hossenfelder zu Beginn dieses Jahres       Wahlforscher Jürgen W. Falter kommt zu Wort und
rechnet ein Drittel der befragten Personaldienstleister     ordnet den Wahlkampf ein – und wir blicken mit dem
mit einer weiteren Regulierung der Zeitarbeit nach der      ehemaligen Grünen-Politiker Rezzo Schlauch – dem Co-
Bundestagswahl. Von einer Liberalisierung gehen hin-        Architekten der Arbeitsmarktreformen unter „Mister
gegen 14 Prozent aus. Dieser „geschäftsfreundlichere“       Zeitarbeit“ Wolfgang Clement – auf die Wahlkämpfe
Ansatz wird vor allem von CDU / CSU und FDP erwartet,       der vergangenen zwanzig Jahre zurück. Der Wahlkampf
wohingegen regulierende Maßnahmen mit einer Regie-          in der Zeitarbeit vor Ort und wie sich Zeitarbeitsunter-
rungsbeteiligung von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Die           nehmen für die Branche politisch engagieren können,
Linke oder SPD in Verbindung gebracht werden.               sind weitere Themen dieser Zdirekt!-Ausgabe. Auf un-
                                                            serer Doppelseite in der Heftmitte räumen wir mit Vor-
Wie stark soll der Staat in den Arbeitsmarkt eingreifen     urteilen gegen die Zeitarbeit auf – plakativ, auch zum
und wie viel überlässt er den Marktkräften sowie den        Aufhängen an jede (Wahl-)Büro-Wand. Nicht der Wind
Tarifparteien und Sozialpartnern? Vor allem an diesem       bestimmt die Richtung, sondern die Stellung der Segel.
Punkt scheiden sich die Ansichten der politischen Par-      Setzen wir die Segel und Leinen los in Richtung beste
teien: SPD und Grüne setzen auf klare staatliche Regle-     Zukunft für die Zeitarbeit. SaS
RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
8   TITELTHEMA

           Zeitarbeit im
           Bundestagswahlkampf
           Im September wird ein neuer Bundestag gewählt – in einer Zeit, in der wirtschaft-
           licher Aufschwung nach der Coronakrise zwingend notwendig ist. Deutschland hat
           den stärksten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts seit Beginn der vierteljährli-
           chen Berechnungen im Jahr 1970 erlebt, die strukturelle Arbeitslosigkeit steigt und
           die Staatsverschuldung hat ein neues Rekordhoch erreicht. Für den Interessenver-
           band Deutscher Zeitarbeitsunternehmen ist klar: Deutschland       muss alle Kräfte
           bündeln, um schnell aus der Rezession zu gelangen und die         Schäden für den
           Arbeitsmarkt, besonders für                                      Geringqualifi-
           zierte, so klein wie möglich                                    zu halten.

                        Vor diesem Hintergrund stellt der iGZ folgende arbeitsmarktpolitische
                        Forderungen für den kommenden Bundestagswahlkampf:

                        Erfolgsmodell Zeitarbeit fördern
                        Im dringend benötigten Wiederaufschwung nach der Coronakrise
                        sind die Unternehmen auf flexible Instrumente angewiesen, um
                        Wachstum abzusichern. Die Zeitarbeit gewährleistet dies mit tariflich
                        geregelter Sicherheit für die Beschäftigten. Dieses Erfolgsmodell muss
                        gefördert werden.

                        Diskussion um sektorale Einsatzverbote beenden
                        Viele Menschen wählen bewusst die Beschäftigungsform Zeitarbeit.
                        Gleichwohl gibt es in politischen Bereichen Tendenzen, sektorale
                        Einsatzverbote für die Arbeitnehmerüberlassung zu fordern. Diese
                        Diskussionen müssen beendet werden.

                        Zeitarbeitsverbot in Bauhauptgewerbe und Fleischindustrie
                        beseitigen
                        Im Bauhauptgewerbe gibt es immer noch ein faktisches Zeitarbeits-
                        verbot, ebenso bei der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen und
                        in der Fleischindustrie. Diese antiquierten und verfassungsrechtlich
                        zweifelhaften Branchenrestriktionen müssen aufgehoben werden.

                        Höchstüberlassungsdauer abschaffen
                        Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft hat ergeben, dass
                        rund ein Drittel der Zeitarbeitskräfte wegen der Höchstüberlassungs-
                        dauer aus ihrem Kundeneinsatz abgemeldet worden ist – verbunden
                        mit Gehaltseinbußen. Die Höchstüberlassungsdauer muss abge-
                        schafft werden.
RICHTUNGSWAHL FÜR ZEITARBEIT - IG Zeitarbeit
Z direkt! 02/2021                                                                                       TITELTHEMA     9

Kurzarbeit generell für die Zeitarbeit öffnen
In der Coronakrise hat sich die monatliche Auszahlung
von Kurzarbeitergeld an bis zu 142.000 Beschäftigte
der Zeitarbeitsbranche als das effektivste Mittel erwie-
sen, um Arbeitsplätze auch in dieser Branche zu erhal-
ten. Das Instrument muss auch regulär für die Zeitarbeit
geöffnet werden.

Schriftform- durch Textformerfordernis ersetzen
Das Schriftformerfordernis im Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetz ist ein Relikt aus analogen Zeiten. Der
Ersatz durch Textform würde jegliche Kontrollmöglich-
keiten erhalten und zugleich enormen bürokratischen
Aufwand beseitigen. Die Schriftform muss durch eine
zeitgemäße Textform ersetzt werden.

(Nach-)Qualifizierung fördern
Zeitarbeit ist eine wichtige Integrationshilfe für Berufs-
einsteiger, Migranten, Flüchtlinge, Geringqualifizierte,
(Langzeit-)Arbeitslose etc. Die (Nach-)Qualifizierung        WAHLPRÜFSTEINE AN
dieser Personenkreise muss intensiv gefördert werden.        PARTEIEN VERSCHICKT
                                                             Der iGZ hat seine Forderungen als Wahlprüf-
Tarifverträge respektieren                                   steine an die Parteien verschickt. Über deren
Die Zeitarbeitsbranche zeichnet sich durch ein flächen-      Reaktionen wird der Verband beizeiten berich-
deckendes, gut austariertes System von Tarifverträgen                              ten. Die Parteien haben
aus. Im Interesse der Tarifautonomie müssen diese Re-                              aber vorab im iGZ-Blog
geln zwischen DGB-Gewerkschaften und den Arbeit-                                   Stellung bezogen – die
geberverbänden iGZ und BAP ohne weitere gesetzliche                                Blogbeiträge sind zu
Eingriffe respektiert werden.                                                      lesen unter w w w.ig -
                                                                                   ze i t a r b e i t .d e / p r e s s e /
                                                                                   blogeintraege. SaS

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                        ann@ig-zeitarbei
 Rohlmann – rohlm

                                           www.zeitarbeit-einegutewahl.de
Z direkt! 02/2021                                                                 TITELTHEMA       11

Bundestagswahl 2021

Was die Parteien wollen
Die Parteien haben ihre Programme für die Bundestagswahl am 26. September be-
schlossen. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen hat sich die
Programme näher angeschaut – mit der Frage: Welche Rolle spielt die Zeitarbeit in
den politischen Planungen? Das Ergebnis: Zeitarbeit nimmt bei allen Parteien eine
wichtige Rolle ein. Bei der Ausgestaltung dieser Rolle gehen die Meinungen aber weit
auseinander. Dass es Veränderungen für die Zeitarbeitsbranche in der kommenden
Legislaturperiode geben wird, steht also fest. Die Richtung jedoch ist offen!

                                                                                               © Deutscher Bundestag | Thomas Trutschel | photothek.net
12 TITELTHEMA

                             Aus Respekt vor deiner Zukunft.
                             Zeitarbeitnehmer sollen ab dem ersten Tag den gleichen Lohn wie Fest-
                             angestellte erhalten. Zudem soll es mehr „echte“ Mitbestimmungsrechte
                             beim Einsatz von Zeitarbeit geben.

                  »Zeitarbeit wird zu Unrecht von der SPD ins
                  Visier genommen. Anstatt die restriktiven
          Schrauben fester zu ziehen, müssten endlich ihre
          nachhaltigen Integrationserfolge anerkannt wer-
          den. Kein anderer Wirtschaftszweig hat im ver-
          gangenen Jahr so vielen Langzeitarbeitslosen den
          Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht wie
          die Zeitarbeitsbranche.«

                                  Das Programm für Stabilität und Erneuerung.
                                  Gemeinsam für ein modernes Deutschland.
                                  Die Union will Zeitarbeit erhalten. Sie betont, dass
                                  Zeitarbeit eine wichtige Brücke in den Arbeitsmarkt
                                  für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose dar-
                                  stellt. Zudem wählen immer mehr Fachkräfte eine
                                  Tätigkeit in der Zeitarbeitsbranche. Konjunkturelle
                                  Schwankungen machen die Zeitarbeit zu einem
                                  wichtigen Flexibilisierungselement auf dem Arbeits-
                                  markt, welches nahezu vollständig tarifvertraglich
                                  geregelt ist.

                 »Es ist erfreulich, dass die CDU die vielfältigen und wichtigen Funktionen
                 von Zeitarbeit auf dem Arbeitsmarkt wertschätzt. Richtig ist, dass in Zeiten
          einer globalisierten Weltwirtschaft und volatiler Märkte, Flexibilisierungsinstrumen-
          te wie Zeitarbeit für deutsche Unternehmen unabdingbar geworden sind. Mit Blick
          auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel braucht es dennoch weitere Dere-
          gulierungsschritte, damit die Zeitarbeit ihr volles Potenzial entfalten kann.«
Z direkt! 02/2021                                                                             TITELTHEMA   13

                                        Deutschland. Alles ist drin.
                                        Zeitarbeitnehmer sollen vom ersten Tag an den gleichen
                                        Lohn für gleiche Arbeit bekommen wie Stammbeschäf-
                                        tigte. Dazu kommt eine Flexibilitätsprämie.

        »Die Vorteile und Errungenschaften von Zeitarbeit für Beschäftigte und
        Unternehmen erkennen die Grünen nicht an. Anstatt dessen reduzieren
sie Zeitarbeit auf das Abdecken von Auftragsspitzen und rechtfertigen damit wei-
tere Regulierungsschritte. Es gibt aber nicht die eine Kernfunktion von Zeitarbeit.
Vielmehr müssen die zahlreichen Funktionen für die unterschiedlichen Akteure –
getreu der iGZ-Vision ›wählen, nutzen, wertschätzen‹ – Grundlage für eine
Entfesselung der Zeitarbeit sein. Wenn die Grünen eine stärkere Eindämmung
flexibler Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit fordern, aber gleichzeitig mehr Ar-
beitszeitsouveränität für Beschäftigte etablieren wollen, entsteht ein Zielkonflikt.
Wahlarbeitszeitmodelle für Arbeitnehmer schaffen Flexibilitäts-Mehrbedarfe bei
Unternehmen. Für diesen Konflikt fehlt den Grünen bisher eine Antwort.«

                                             Nie gab es mehr zu tun.
                                             Die Freien Demokraten wollen die Tarifautonomie
                                             in der Arbeitnehmerüberlassung stärken. Um die
                                             Integrationsfunktion der Zeitarbeit in den Arbeits-
                                             markt zu verbessern, planen sie gesetzliche Son-
                                             dervorschriften, wie die Höchstüberlassungsdauer,
                                             aufzuheben.

                            »Der iGZ begrüßt die Position der FDP, dass Zeitarbeit die-
                            selbe Wertschätzung erfahren sollte, wie jede andere so-
                    zialversicherungspflichtige Beschäftigung auch. Die Einschätzung,
                    dass Zeitarbeit Teilhabe für die Beschäftigten und Flexibilität für
                    die Unternehmen sichert, ist richtig und sollte breitere Anerken-
                    nung erfahren.« DS
14 TITELTHEMA

          Kanzlerkandidaten im Check:
          Wer wo überzeugt
          Am 26. September haben wir alle als Wähler die Qual der Wahl: Wer soll auf Bun-
          deskanzlerin Angela Merkel folgen? Die vier Kanzler-Kandidaten der großen Volks-
          parteien Bündnis 90 / Die Grünen, CDU / CSU, FDP und SPD stellen wir hier kurz vor –
          und beleuchten auch, wie sie zur Zeitarbeit stehen.

          Olaf Scholz

                                                                                                                                   Foto: Bundseministerium für Finanzen
          „Scholzomat“ kann im politischen Geschäft nicht als
          liebevoller Kosename verstanden werden. 2003 be-
          kam Olaf Scholz den Titel, da er Textbausteine auf
          Knopfdruck wiedergab – und zwar erkennbar. Dem
          Hamburger fällt es schwer, eine mitreißende politische
          Story zu erzählen, hinter der sich Massen versammeln
          können. Zwar sind Äußerungen aus seiner Juso-Zeit
          bekannt, die der Jobbeschreibung eines Jungsozialisten
          entsprechen: Die „kapitalistische Ökonomie“ wollte
          er „überwinden“ und die Bundesrepublik kritisierte er
          als „europäische Hochburg des Großkapitals“. Seiner
          Natur entsprach aber eher seine nachfolgende, grund-
          solide Existenz als langjähriger Anwalt und als Politiker,
          der die Tour durch die Parteiinstanzen ohne größere
          Auffälligkeiten durchlief.
                                                                       die SPD Olaf Scholz 2007 für das sozialdemokratische
          Das Rampenlicht erreichte ihn 2002, von Gerhard              Schlüsselressort Arbeit und Soziales im Bund auserkor.
          Schröder zum Generalsekretär ernannt. Schon damals           Hiernach, von 2011 bis 2018, die Regierung des kleinen
          verkündete dieser, Scholz „habe das Zeug zum Kanzler“.       Stadtstaats Hamburg zu führen, entsprach Scholz wohl
          Ausgerechnet in der Hochzeit der Agenda 2010 bekam           sehr. Dennoch zog es ihn 2018 zurück nach Berlin in das
          der Hamburger die Aufgabe, „die Sachentscheidungen           mächtige Amt des Bundesfinanzministers – und zur er-
          der vergangenen Jahre (zu) ideologisieren“, wie er es        folglosen Kandidatur um den SPD-Vorsitz.
          selbst formulierte. Es gab wohl nichts, das ihm weniger
          gelegen hätte. Seine Wiederwahl mit nur 52,6 Prozent         Solide im Hintergrund – so war Olaf Scholz bisher er-
          war die Quittung. Nach dem Rücktritt Gerhard Schröders       folgreich und so wurde er Kanzlerkandidat. Grundsätz-
          als SPD-Vorsitzender 2004 verschwand Scholz wieder           lich dem moderaten SPD-Lager zugehörig, war sein
          von der prominenten Bühne. Überwintert wurde fleißig         arbeitsmarktpolitisches Wirken von der Finanz- und
          und sachkundig in der zweiten Reihe in Bundestagsfrak-       Wirtschaftskrise geprägt. Staatliche Hilfen in schwieri-
          tion und Parteivorstand sowie kurzzeitig als Innensena-      gen Zeiten waren ihm bereits vor Corona vertraut. Die
          tor Hamburgs. Bundeskanzlerin Merkel, die als Synonym        Schröder-Reformen hat er detailorientiert und nüchtern
                                       für Kompromisse hinter          verteidigt. Kürzlich sprach er kritisch von „Leasingkräf-
                                       den Kulissen gelten kann        ten“, „also einer Art Leiharbeit“ in der Pflege. Als Ak-
                                       und deren Sache visionä-        tenwurm sollte er mehr Detailwissen vortragen. BT
                                       re Rhetorik auch nicht ist,
                                       wird es begrüßt haben, als
Z direkt! 02/2021                                                                                                            TITELTHEMA          15

Armin Laschet
„Wir müssen uns nicht nur hinterher in die Augen            Erfahrungen in diesen zentralen Fragen könnten helfen.
schauen, sondern gemeinsam kämpfen.“ Markus Söder           Denn die Nach-Pandemiezeiten werden die alten Fragen
hat verloren. Armin Laschet ist Kanzlerkandidat der Uni-    wieder auf die Tagesordnung setzen: Fachkräfteman-
on. Geht es nach ihm, wird er im September Chef der         gel, Integration der Migranten, Frauenförderung und
Bundesregierung, wie er vorher Ministerpräsident von        das Klima. Hier hält sich Laschet als Ministerpräsent des
Nordrhein-Westfalen und CDU-Parteivorsitzender ge-          größten Bundeslandes mit Kohlebau-Problemen bisher
worden ist. Einfach stehenbleiben, wenn es hart wird.       im Hintergrund. Oder wenn es um Skandale geht: Als
                                                            beim Fleischverarbeiter Tönnies Corona ausbrach, deck-
„Seine große Stärke sind die vielen Ideen, die er tagtäg-   te der breite Rücken seines Arbeits- und Gesundheits-
lich hat, doch mangelt es ihm gelegentlich an Durch-        ministers Karl-Josef Laumann den Chef. Armin Laschet
setzung“, heißt es in seinem Horoskop. Ein Beispiel         ist auf seine Art ein „politisches Phänomen“. Die meis-
gibt der Spitzenkandidat gleich mit dem Brücken-Lock-       ten Politiker hätten ihre Ambitionen bereits begraben,
down, schnell in die TV-Kamera geworfen, doch von           erst musste er Friedrich Merz beim Kampf um die CDU-
der Kanzlerin gestoppt. Typisch für den Wassermann-         Spitze aus dem Weg räumen, dann Söder. Bei seinem
Geborenen, doch er steht auch für Offenheit. „Trans-        Coup, den ambitionierten Bundesgesundheitsminister
parenz“ möchte der 60-Jährige, „Lebendigkeit in der         Jens Spahn zum Verzicht zu bewegen, zeigte er seinen
Demokratie“, den „Dialog“. „Das Leben der Menschen          Machtinstinkt. Laschet ließ den bayerischen Minister-
konkret verbessern!“ – „Nicht nur reden, sondern zu-        präsidenten Söder auf das Berliner Spielfeld laufen, der
hören – entscheiden und handeln.“ Dies seien die drei       riss den Ball an sich. Doch Laschet verzögerte das Spiel,
Leitlinien, die ihn prägen, sagt der Ex-Jurastudent, der    ließ immer wieder quer spielen, bis der Bayer endlich
von seiner Geburt bis heute in Aachen lebt, sein brau-      wieder an die CDU abgab. Dass Laschet Friedrich Merz
nes Reihenhaus nicht tauschen möchte und Bodenstän-         jetzt in sein Team holt, wieder ein Pass in die Tiefe,
digkeit als Image verkauft.                                 diesmal der CDU, denn nur gemeinsam können die
                                                            Unionisten das Spiel noch gewinnen. Abpfiff ist am 26.
„Die Zukunft der Menschen gestalten“ will der ehema-        September um 18 Uhr. AR
lige Integrations- und Familienminister von NRW. Seine

                                                                                                                 Foto: CDU / Laurence Chaperon
16 TITELTHEMA

          Annalena Baerbock
          „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Minis-
          terin.“ Aber die Politik lebe vom Wechsel. „Ich trete an
          für Erneuerung, für den Status quo stehen andere.“ An-
          nalena Baerbock ist selbstbewusst. Negatives kann die
          erste Kanzlerkandidatin von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
          ausblenden und punktet damit: „Sie hat vermutlich die-
          selbe Qualität wie Angela Merkel, immer unterschätzt
          worden zu sein“, schreibt die französische Tageszeitung
          „Liberation“.

          Die Brandenburgerin hält auch nach der historischen
          Kandidatenkür mit – oder gegen – Robert Habeck, den
          charismatischen, regierungserfahrenen Nordländer,
          an ihrem Leitspruch fest: Ehrlichkeit, Transparenz und
          Toleranz. Erst 2005 steigt Baerbock bei den Grünen         deskanzlerin werden. Bis zu 28 Prozent erringen die
          ein, parallel zum Masterstudium an der renommier-          Grünen in Umfragen, da kann es auch einer erfahrenen
          ten Londoner „School of Economics“. 2013 geht es in        Trampolinspringerin schwindelig werden.
          den Bundestag, seit 2018 ist die Mutter zweier Töchter
          Parteichefin – neben Habeck, ehemals Umweltminister        Nur wer das Vertrauen der Bürger genießt, wird ge-
          in Schleswig-Holstein. Jetzt soll die 40-Jährige Bun-      wählt. Nur wer sich auf seine Minister verlassen kann,
                                                                     bleibt Regierungschef. An elf Landesregierungen sind
                                                                     die Grünen beteiligt, die CDU / CSU bringt es nur auf
           © www.gruene.de

                                                                     acht. Kaum eine Machtoption geht ohne die Klima-
                                                                     verfechter, die es vom linken Rand in die bürgerliche
                                                                     Mitte geschafft haben. Vorbei die Zeit als Farbbeutel in
                                                                     Delegiertenversammlungen auf Vordenker wie Joschka
                                                                     Fischer flogen, heute werden linke Krawalle wie am 1.
                                                                     Mai scharf kritisiert. „Barrikaden anzuzünden und ge-
                                                                     waltsam auf Polizistinnen und Polizisten loszugehen, ist
                                                                     kriminell und in keinster Weise akzeptabel“, kommen-
                                                                     tierte Baerbock. Noch setzen die Grünen nicht überall
                                                                     derartige Ausrufezeichen. Das Wahlprogramm kommt
                                                                     unkonkret daher, eine Lernerfahrung aus dem Wahl-
                                                                     kampf 2017, wo die Grünen vorher alles durchgerechnet
                                                                     hatten und jede Zahl zerpflückt wurde. „Deutschland.
                                                                     Alles ist drin“ heißt trotzdem der Titel. Und er ist varia-
                                                                     bel. Als das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mie-
                                                                     tendeckel kippte, rutschte die Forderung gleich auf die
                                                                     Liste der Grünen. Angst, dass unpopuläre Forderungen
                                                                     wie „Fünf Mark für den Liter Benzin“ oder der „Veggie-
                                                                     Day“ den Marsch an die Regierungsspitze noch aufhal-
                                                                     ten kann, weisen die Wahlkampfstrategen von sich. Im
                                                                     Arbeitsmarktprogramm zeigt sich vieles identisch mit
                                                                     der SPD: 12 Euro Mindestlohn, Ende der Befristungen,
                                                                     Eindämmung der Werkverträge und Equal Pay plus Fle-
                                                                     xizulage für Zeitarbeitnehmer. Dieser Punkt wird bei
                                                                     Koalitionsverhandlungen von Annalena Baerbock zu
                                                                     Grün-Rot-Rot sehr kurz werden. AR
Z direkt! 02/2021                                                                                                            TITELTHEMA          17

Christian Lindner
Wer in den 2000er Jahren Politikwissenschaft in Bonn
studiert hat, konnte im Hörsaal auf Christian Lindner
treffen. Um den späteren FDP-Vorsitzenden zu ver-
stehen, dürften neben Porsche und Start-Up andere
Schlaglichter aus dieser Zeit bedeutender sein. In ei-
nem Sammelband über Föderalismustheorien schrieb er
seinerzeit: „Frühere Phasen der Staatenbildung lassen
„institutionelle Sedimente“ zurück, die eine von den
Ausgangsbedingungen unabhängige, selbstreprodukti-
ve Stabilität gewinnen und eo ipso nur Strukturvariati-
onen erlauben.“

Die theoretisch fundierte Vogelperspektive entspricht
seinem Grundwesen und begleitete seinen rasanten
politischen Aufstieg (2004: Landesgeneralsekretär
NRW, 2009: Bundesgeneralsekretär, 2012: Landesvor-
sitzender NRW, 2013: Bundesvorsitzender, 2017: Frak-

                                                                                                                Foto: www.christian-lindner.de
tionsvorsitzender im Bundestag). Der 42-Jährige kennt
den Teich, in dem er schwimmt und spricht mitunter
mehr über den Teich als über dessen kleine Fische. De-
ren Belange kümmern ihn, Faszination lösen sie jedoch
erst über ihre Interaktion mit dem Teich aus. Stets in
Führungspositionen waren die großen Linien seine Ma-
terie, weniger die Detailregelungen.

Zufälle und ein taktisch kluger Rücktritt als Gene-
ralsekretär ließen ihn stets als Retter und nicht als     verhandlungen der Bundesgeschichte endeten sodann
Machtdrängler auftreten. 2012 führte der gebürtige        mit dem Satz: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch
Wermelskirchener seine Partei in NRW gegen einen          zu regieren.“
Krisentrend mit starkem Ergebnis in den Landtag und
2017 gelang ihm als Bundesvorsitzender der Wiederein-     Hier stehen Christian Lindner und die FDP (beide darum
zug in den Bundestag. Die ersten „Jamaika“-Koalitions-    kämpfend, nicht als identisch wahrgenommen zu wer-
                                                          den) nun: Die FDP wurde aus der Versenkung geholt,
                                                          theoretisch wieder grundiert, aber von der Bundes-
                                                          regierung ferngehalten. Lindner wird gegebenenfalls
                                                          zeigen müssen, wie er und seine FDP in Regierungs-
                                                          verantwortung agieren. Die Arbeitsmarktpolitik hat
                                                          Lindner mitunter in seine großen liberalen Linien integ-
                                                          riert: Marx´ großer Fehler sei es gewesen, Arbeit nur als
                                                          Mittel zum Broterwerb zu betrachten, vielmehr könne
                                                          der Mensch durch sie auch zur Persönlichkeit reifen.
                                                          Freiraum, Bildungsmöglichkeiten und Respekt vor jeder
                                                          Leistung verkündet er als Grundprinzipien. Zeitarbeit,
                                                          äußerte er einmal, sei „vor allem ein wichtiges Instru-
                                                          ment zur Arbeitsmarktintegration. […] Insbesondere
                                                          für geringer qualifizierte Bewerber ist dies eine große
                                                          Chance.“ Richtig, aber noch lange nicht alles – es könn-
                                                          te größer gedacht werden. BT
18 TITELTHEMA

          Interview

          Bundestagswahlkampf 2021
          So einen Wahlkampf wie für diese Bundestagswahl hat es zuvor noch nie gegeben:
          Bedingt durch die Coronapandemie können die Parteien ihre Wähler kaum über die
          üblichen Wege und Kanäle erreichen, Wahlkampfveranstaltungen vor Ort finden –
          wenn überhaupt – nur im kleinen Rahmen statt. Der Wahlkampf wird immer digita-
          ler und medialer. Zdirekt!-Chefredakteurin Sara Schwedmann sprach mit Wahlfor-
          scher Professor Jürgen W. Falter über die Bundestagswahl und die Bedeutung der
          Zeitarbeit im Wahlkampf.
                                                        Prof. Falter, Sie haben einige Bundestagswahl-
                                                        kämpfe erlebt. Was für ein Bundestagswahlkampf
                                                        ist 2021 – inmitten der Pandemie – möglich?
                                                        Das wird sehr davon abhängen, wie die Umfrage-Lage
                                                        aussieht – ob sich möglicherweise so etwas wie die
                                                        Chance einer Grün-Rot-Roten Mehrheit abzeichnet.
                                                        Dann werden wir mit Sicherheit einen Lagerwahlkampf
                                                        bekommen: auf der einen Seite CDU, CSU und FDP, auf
                                                        der anderen Seite Grüne, SPD und Linke. Denn eines
                                                        ist sicher, wenn die Grünen die Chance haben, das
                                                        Kanzleramt zu besetzen, dann werden sie diese Chance
                                                        wahrnehmen. Und zwar egal, in welcher Koalition.

                                                        Wie schätzen Sie die Chancen der Grünen ein?
                                                        Werden wir die erste grüne Bundeskanzlerin er-
                                                        leben?
                                                        Das ist heute sehr schwer zu sagen. Generell würde
                                                        ich sagen, die Unionsparteien werden wieder stärkste
                                                        Partei. Das zeichnet sich sehr klar und deutlich ab. Aber
                                                        das heißt ja nicht, dass es nicht Mehrheiten jenseits
                                                        der Union geben könnte. Da könnte ich mir schon vor-
                                                        stellen, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit wenigen
                                                        Prozentpunkten Unterschied gibt – zwischen auf der
                                                        einen Seite Grün-Rot-Rot, auf der anderen Seite die
                                                        anderen Parteien

                                                        Der Klimawandel ist eines der großen Themen die-
                                                        ser Bundestagswahl. Welche Bedeutung messen
                                                        Sie der Zeitarbeit im Bundestagswahlkampf bei?
                                                        In ihrer Verzweiflung greifen SPD und Linke dieses
                                                        Thema auf, weil ihnen nichts anderes einfällt. Aber es
                                                        ist doch eher ein peripheres Thema in der aktuellen
                                                        Debatte-Lage. Hubertus Heil wird sicherlich sein Heil
                                                        darin suchen, das Thema Zeitarbeit zu instrumentalisie-
                                                        ren. Aber das ist etwas, was die Leute eigentlich nicht
                                                        wirklich interessiert im Augenblick. Da sind ganz andere
                                                        Dinge wichtig. Die Folgen der Klimapolitik brennen

                                © JGU | Foto Hartmann
Z direkt! 02/2021                                                                                                 TITELTHEMA   19

den Menschen unter den Nägeln und nagen an den              Dauer einstellen. Da holt man sich die Spezialisten dann
Geldbeuteln. In Sachsen-Anhalt haben wir erlebt, dass       lieber auf diese Weise für zwei Jahre ins Haus.
man mit den Ankündigungen von teureren Kraft- und
Heizstoffen die Wähler verschreckt. Und das wird sie        Fast alle Parteien tun sich im Wahljahr schwer,
viel stärker bewegen als die Frage, ob es Zeitarbeit gibt   auch weil sie am Corona-Krisentisch von Bund
und wie die organisiert ist. Die meisten kapieren gar       und Ländern sitzen. Viele Defizite sind sichtbar
nicht, dass das ein Flexibilitätsmoment in unserem Ar-      geworden. Kann eine Partei trotzdem ein Auf-
beitsmarkt ist, ohne den wir viel schlechter darstünden.    bruchssignal senden?
                                                            Ja, die Grünen versuchen, ein Aufbruchssignal zu sen-
Zur Zeitarbeit haben Viele eine Meinung, aber nur           den, was aber nach hinten losgehen kann, wenn die
Wenige wissen tatsächlich, wie sie funktioniert.            Menschen merken, wie sehr das wirklich in ihr persön-
Wenn man sich die Gesetze der Vergangenheit                 liches Leben eingreift – vor allem auf dem Land. Das
anschaut, hat man den Eindruck, dass sich die               Ende des Verbrennungsmotors bis 2030 oder vielleicht
Politik nicht selten eher an der gesellschaftlichen         noch früher zu fordern, ist technologieblind und ideolo-
Meinung als an den Branchenrealitäten orientiert.           gisch. Vernünftig wäre zu sagen, wir haben bestimmte
Wird Symbolpolitik dieser Art ein Phänomen sein,            Grenzwerte, die bis 2030 eingehalten werden müssen.
an das wir uns alle gewöhnen müssen?                        Liebe Automobilindustrie, wie Ihr das macht, ist uns
Das ist auf jeden Fall nicht weniger geworden als frü-      egal, ob mit dem Verbrenner oder mit der Batterie oder
her. Symbolpolitik haben wir eigentlich immer schon         mit Wasserstoff, aber Ihr müsst es machen. Das wäre
gehabt. Aber es ist auch das blinde Befolgen von Strö-      technologieoffene Politik.
mungen der öffentlichen oder auch der veröffentlichten
Meinung. Denken Sie nur an den zweiten Atomausstieg         Welche Bedeutung kommt bei dieser Bundestags-
nach der Havarie des Kraftwerks in Japan aufgrund der       wahl den Wechselwählern zu? Werden sie noch
durch ein Seebeben ausgelösten Flutwelle. Das war           mehr als in der Vergangenheit das Zünglein an
eine nachträglich gesehen zu schnelle Reaktion auf eine     der Waage sein?
unzweifelhaft gegen die Atomkraft mobilisierte öffent-      Die Zahl der potenziellen Wechselwähler ist gestiegen.
liche Meinung und sicherlich eine Fehlentscheidung, da      Das hat etwas damit zu tun, dass alte Gewissheiten
keinerlei Szenarien zugrunde lagen, wie der Ausstieg im     so nicht mehr existieren – beispielsweise die Gewiss-
Einzelnen bewerkstelligt werden könnte. Wir sind selbst     heit: Ein Gewerkschafter kann nur SPD wählen oder
heute noch nicht so weit, dass wir garantieren können,      ein praktizierender Katholik kann nur CDU wählen.
dass 2022 Bayern auch dann dauerhaft mit Strom ver-         Das ist bestenfalls noch eine unverbindliche Leitlinie.
sorgt wird, wenn die Franzosen ihren Strom selbst brau-     Es gibt mehr Abweichungen davon als früher, und es
chen. Diese Art von Symbolpolitik und das Reagieren         gibt viel weniger Gewerkschafter und praktizierende
der Politik auf Strömungen der öffentlichen Meinung         Katholiken. Das heißt also, das Wechselwählerpotenzial
hat es immer schon gegeben, das wird es auch weiter-        ist größer geworden, die Parteibindungen sind längst
geben. Die Diskussionen in den sozialen Netzwerken          nicht mehr so ausgeprägt. Daher spielen Kandidaten
verstärken dies mittlerweile erheblich. Wenn da einige      und aktuelle politische Streitfragen eine größere Rolle
Hunderttausende einen Shitstorm entfachen, ist das          als früher. Ich rechne durchaus damit, dass die Zahl der
trotz allem nur ein Bruchteil der gesamten Bevölkerung.     Wechselwähler im Vergleich zu früheren Wahlen noch-
Das ist streng genommen kaum wahlrelevant, trotzdem         mals steigt. SaS
springt die Politik regelmäßig darauf an.

So wie in der Fleischindustrie und dem Verbot der           Das gesamte Interview lesen Sie auf
Zeitarbeit.                                                 https://ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/
Ja, aber da gibt es ja zumindest noch etwas Hoffnung,       bundestagswahlkampf-2021
da laufen noch die Verfassungsbeschwerden. Die Zeit-
arbeit hat es auch schon ein paar Mal erlebt, große
Worte und Verbote, und es gibt sie immer noch. Wo es
notwendig ist, wenn Spitzen da sind oder bei vorüber-          Jürgen Falter ist einer der renommiertesten deutschen Politikwis-
gehenden Engpässen, kann man die Leute ja nicht auf            senschaftler. Der 77-Jährige hat eine Forschungsprofessur an der
                                                               Universität Mainz inne und ist durch zahllose Fernsehauftritte als
                                                               Wahl- und Parteienforscher bekannt. Falter bekleidete zuvor Pro-
                                                               fessuren an der Hochschule der Bundeswehr München, der Freien
                                                               Universität Berlin und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
20 TITELTHEMA

          Interview

         Bundestagswahlkämpfe
         1998, 2021 und dazwischen
          In der Zeit der rot-grünen Regierungskoalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder
          prägte er die Politik von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN entscheidend mit: Rezzo Schlauch.
          Von 1998 bis 2002 führte Schlauch gemeinsam mit Kerstin Müller die grüne Bun-
          destagsfraktion, von 2002 bis 2005 war Schlauch Parlamentarischer Staatssekretär
          im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft unter Superminister Wolfgang
          Clement. In mehr als 40 Jahren politischem Engagement hat Schlauch viel erlebt –
          unter anderem die Agenda 2010 mit tiefgreifenden Arbeitsmarktreformen auch für
          die Zeitarbeit. Im Zdirekt!-Interview mit Benjamin Teutmeyer, stellvertretender iGZ-
          Fachbereichsleiter Politische Grundsatzfragen, schaut er zurück – und nach vorn.

                                                                                          Foto: Wilhelm Betz Fotografie

          Sie haben insgesamt elf Bundestagswahlen mit-         im Straßenwahlkampf, in Veranstaltungssälen in Bier-
          erlebt, seitdem Sie 1980 Parteimitglied wurden.       zelten und auf Marktplätzen ist weitgehend einem
          Wie hat sich der Wahlkampf in der Zeit verändert?     medial ausgetragenen Wahlkampf gewichen mit den
          Im Vergleich zu den 80iger Jahren-Wahlkämpfen         Eigendynamiken der elektronischen Plattformen vom
          haben wir es heute mit einer komplett anderen öf-     Shitstorm bis zum anonymen Versuch vom Ausland,
          fentlichen Kommunikation zu tun. Die direkte Kommu-   auf das Wahlkampfgeschehen Einfluss zu nehmen.
          nikation zwischen Kandidat*innen und Bürger*innen
Z direkt! 02/2021                                                                                              TITELTHEMA   21

Die Bundestagswahl 1998 führte zur ersten               Sie waren unter „Mister Zeitarbeit“, wie der Stern
Regierungsbeteiligung von BÜNDNIS 90 / DIE              Superminister Wolfgang Clement nannte, Staats-
GRÜNEN im Bund und erstmals wurde eine Bun-             sekretär und gelten als Co-Architekt von Arbeits-
desregierung vollständig abgewählt. Was ist             marktreformen, wie auch der Tariföffnung für
Ihnen aus diesem Wahlkampf als besonders prä-           die Zeitarbeit. Wie sehen Sie die Entwicklung der
gend in Erinnerung geblieben?                           Branche und welche Bedeutung messen Sie der
Dass überall eine Wechselstimmung zum Greifen war.      Zeitarbeit im Bundestagswahlkampf bei?
Bei allen Verdiensten von Kanzler Kohl um die Wie-      In Zeiten der Nahezu-Vollbeschäftigung, wie sie vor
dervereinigung und die europäische Einigung, die        Beginn der Pandemie über einen langen Zeitraum an-
Leute hatten die Nase von 16 Jahren Kanzlerschaft       hielt, ist die Zeitarbeit naturgemäß nicht so stark im öf-
gestrichen voll, sie wollten den Wechsel. Ähnliches     fentlichen Fokus, es sei denn es kommt in bestimmten
ist mindestens im jetzigen Vorwahlkampf zu spüren;      Bereichen zu arbeitsrechtlich und sozial skandalösen
heute aber nicht in erster Linie an Personen sondern    Zuständen wie in der Fleischindustrie. Es sollte im ur-
an Inhalten wie bspw. dem Klimawandel festgemacht.      eigensten Interesse der in der Zeitarbeit engagierten
                                                        Firmen und der Firmen die Zeitarbeit nachfragen sein,
Wenn Sie ehrlich in sich gehen: 1998 hätte Ihnen        solche Entwicklungen erst gar nicht zu zulassen.
jemand gesagt, im Jahr 2021 wird sich ein be-
achtlicher Teil des Wahlkampfes auf Ihrem Handy         Immer wieder gibt es Versuche, die mit dem Ar-
abspielen – wie hätten Sie reagiert?                    beitnehmerüberlassungsgesetz bewirkte De-
Dieser Jemand*in hätte ich den Vogel gezeigt, ein       regulierung und Flexibilisierung der Zeitarbeit
Wahlkampf ohne direkte Kommunikation mit den            wieder aufzuheben. Inwieweit sollte sie aus Ihrer
Wähler*innen wäre für mich unvorstellbar gewesen        Sicht vielmehr als Medium der Qualifizierung und
und wenn ich es heute nochmal damit zu tun hätte,       Weiterbildung weiterentwickelt anstatt einge-
würde ich alles dran setzen, um diese Ebene der di-     schränkt werden?
rekten Auseinandersetzung so weit wie möglich her-      Wenn Deregulierung und Flexibilisierung in der Praxis
zustellen.                                              für die Betroffenen zu unhaltbaren bis skandalösen
                                                        Strukturen wie in der Fleischindustrie führen, ist der Ge-
Wenn Sie ehrlich bleiben: Und wenn Ihnen 1998           setzgeber gefordert, wie auch geschehen, zu interve-
jemand gesagt, im Jahr 2021 kann eine grüne             nieren. Qualifizierung und Weiterbildung haben einen
Kandidatin Bundeskanzlerin werden – hätten Sie          guten Klang, kommen aber, um beim Beispiel Fleisch-
es geglaubt?                                            industrie zu bleiben, nur für ganz wenige in Betracht
Aus baden-württembergischer Perspektive hatten wir      und sind in diesem Bereich Augenwischerei. In solch
mehrheitlich zu dieser (Macht) Frage schon von früh     problematischen Sparten geht es darum, möglichst
an einen etwas beherzteren Zugang als in anderen Re-    soziale und arbeitsrechtliche vergleichbare Standards
gionen der Republik. Wir hatten „Keine Angst vor der    herzustellen, um prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermei-
Macht“ und haben schon immer das Ziel gehabt, aus       den. Etwas anderes gilt im Bereich, in dem Facharbeiter
der 10 Prozent Zone nach oben auszubrechen.             im Rahmen von Zeitarbeit eingesetzt werden. Dort ist
                                                        Qualifizierung und Weiterbildung ein wichtiger Ansatz
1998 soll ein späterer Bundeskanzler gesagt ha-         um „Zeit- oder Leiharbeit“ zu überwinden und den Be-
ben, zum Gewinnen brauche er „BILD, BAMS und            troffenen, wenn sie es wollen, dauerhafte betriebliche
Glotze“. Lässt sich heute analog sagen: „Zum Ge-        Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen. BT
winnen brauche ich das Internet (sonst nichts)?
Der Spruch war schon damals ein typischer Schröder
und wird in seiner von Ihnen abgewandelten Form
nicht richtiger. Gerade in Zeiten in der die höchste       Rezzo Schlauch ist studierter Rechtsanwalt und Historiker. Der
Währung einer Politiker*in Glaubwürdigkeit und Ver-        73-Jährige ist seit 1980 Mitglied der Partei BÜNDINIS 90 / DIE
trauen ist. Wenn Internetaktivitäten nicht durch per-      GRÜNEN. Von 1984 bis 1994 war er Mitglied der Grünen des
sönliches Engagement für politische Inhalte und das        Landtages von Baden-Württemberg und von 1994 bis 2005
Gemeinwohl und direkte Kommunikation unterfüttert          Mitglied des Bundestages. Er führte die Grünen von 1998 bis
wird, wird es mit dem Gewinnen nichts.                     2002 als Bundesfraktionsvorsitzender an, bevor er 2002 Par-
                                                           lamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium unter
                                                           Wolfgang Clement wurde. Im Jahr 2005 zog sich Schlauch aus
                                                           der Politik zurück.
22 TITELTHEMA

          Tipps für politisches Engagement

          Arbeit statt Rampenlicht
                                                                         Wahlkreisabgeordnete erleben zeitliche und inhaltliche
                                                                         Überforderung als Normalität. Es kann nicht anders sein,
                                                                         denn buchstäblich die ganze Welt ist ihr Arbeitsgebiet.
          DIE ARBEIT EINES                                               Spezialisierung und Filterung sind die Schlüssel, um ar-
                                                                         beitsfähig zu bleiben. Hier können Sie ansetzen, denn
          BUNDESTAGSABGEORDNETEN                                         Wahlkreisabgeordnete sehen Sie als Kunden.

            Parlamentarische Aufgaben

            Wahlkreisaufgaben

          Wahlkreisabgeordnete und Kandidaten für dieses Mandat verwenden einen überwiegenden Teil ihrer Zeit mit Wahl-
          kreisarbeit. Die Tätigkeit in den Parlamenten ist hochspezialisiert, im Wahlkreis sind sie ausnahmslos für alles zuständig.
          Hier sind Abgeordnete mit Bus, Bahn und Jeans unterwegs – Arbeit statt Glamour.

                                          DIE BUNDESTAGSFRAKTION

                                                       FRAKTIONSVORSTAND

                SPRECHER für Themengebiete
                      2–3 Referenten

                 Abgeordneter                                Abgeordneter                                 Abgeordneter
                   Referenten                                  Referenten                                   Referenten

          Der Weg der Information: Vom Wahlkreis zu den Entscheidern
          In Parteien und deren Parlamentsfraktionen sind sehr wenige Experten für Fachfragen zuständig. Wenn Abgeordnete
          Wünsche aus ihren Wahlkreisen bearbeiten müssen, leiten sie die Anliegen an diese Experten weiter – hier werden sie
          in fachliche Zusammenhänge sowie in die Beschlusslage der Partei- und Fraktionsgremien eingeordnet. Wenn diesen
          Experten eine kritische Masse ähnlicher Eingaben auffällt, legen sie die kritischen Punkte den Fachpolitikern auf Füh-
          rungsebene vor. Auf diesem Weg können Anliegen aus der gelebten Praxis aus jedem Wahlkreis über die Filterfunkti-
          onen Druck auf die Entscheidungsträger ausüben. Nehmen auch Sie dieses Recht wahr! DS/BT
Z direkt! 02/2021                                                                                          TITELTHEMA   23

Was Sie sich fragen sollten
Kandidaten und Abgeordnete wollen vor allem eines: gegenüber Medien und Öf-
fentlichkeit ihre eigene Geschichte erzählen. Denn auch sie wissen, mithilfe von Ge-
schichten können Informationen besser aufgenommen und langfristig im Gedächtnis
verankert werden. Damit das gelingt, besteht Ihre Aufgabe in Gesprächen nicht nur
darin, mit Fakten zu glänzen. Mindestens genauso wichtig ist es, Antworten auf die
zentralen Fragen der Politiker zu finden. Die Herausforderung für Sie lautet also: Wie
kann ich mit meinen Anliegen und Botschaften Kandidaten und Abgeordneten hel-
fen, ihre Geschichte besser zu erzählen?

Auf diese Fragen suchen Kandidaten und Abgeordnete   Versuchen Sie im Gespräch, Antworten zu finden, indem
fortlaufend Antworten für ihre eigene Geschichte:    Sie sich bei der Vorbereitung fragen:

                                                      Welche Werte und Überzeugungen hat der Kandidat/
  Wer bin ich?                                        Abgeordnete und welche Anknüpfungspunkte gibt es
                                                      zu meinen Argumenten?

                                                      Welche Maßnahmen hat der Kandidat/Abgeordnete
  Warum tue ich, was ich tue?                         (auch seine Partei) bereits umgesetzt und wie haben
                                                      diese auf mich persönlich und/oder meine Anliegen
                                                      gewirkt?

  Wofür bin ich hier?                                 Welche politischen Ziele hat sich der Kandidat/Abgeord-
                                                      nete gesteckt und welche Rolle spielen meine Anliegen
                                                      dabei?

  Was kannst du von mir lernen?                       Welche neuen Aspekte (auch Erfahrungen) kann ich
                                                      aus dem Gespräch mit dem Kandidaten/Abgeordneten
                                                      mitnehmen?

  Wem habe ich geholfen?                              Wie kann ich dem Kandidaten/Abgeordneten vermit-
                                                      teln, dass er mir mit dem Gespräch oder in der Vergan-
                                                      genheit geholfen hat?
24 TITELTHEMA

          Wahlkampf in der Zeitarbeit
          In Coronazeiten ist auch der Wahlkampf ein anderer. Große Veranstaltungen, zu de-
          nen Menschenmassen zusammenkommen, wird es in diesem Jahr kaum geben. Die
          Parteien konzentrieren sich auf den digitalen Wahlkampf mit Diskussionsrunden,
          Fernsehdebatten nach Vorbild der amerikanischen Elefantenrunden und Infomate-
          rialien auf Websites und per Video. Im kleinen Kreis und immer unter Einhaltung
          aller Corona-Schutzmaßnahmen sind aber auch persönliche Treffen möglich – so
          wie bei iGZ-Mitglied Armon in Rheinland-Pfalz.

            Patrick Schnieder (links) und Bruno Hebel (rechts)

          Pünktlich um 10 Uhr biegt der Kombi auf den Parkplatz      destagsabgeordneter weiß, dass sie nur dann sicher im
          der Zeitarbeitsfirma Armon in Wittlich. Ein Mann im        nächsten Bundestag wieder vertreten sein werden, wenn
          grauen Anzug steigt aus und wird von Niederlassungs-       sie ihren Wahlkreis auch bei der nächsten Bundestags-
          leiter Bruno Hebel begrüßt. Es ist der parlamentarische    wahl direkt gewinnen. Patrick Schnieder nimmt das sehr
          Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion             ernst. Auf seiner Homepage kann man ein „Schwätz-
          Patrick Schnieder. In der Unions-Fraktion läuft so gut     chen mit Schnieder“ vereinbaren. Er sagt: „Der Kontakt
          wie nichts ohne ihn: Als „PGF“ ist er eine der wichtigs-   zu meiner Heimat und den Menschen, die ich in Berlin
          ten Personen innerhalb der Fraktion und enger Mitar-       vertrete, ist mir sehr wichtig. Deshalb nutze ich jede Ge-
          beiter des Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus. In       legenheit, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ken-
          abgedunkelten Limousinen fährt ihn die Fahrbereit-         nenzulernen, gemeinsam nach politischen Lösungen zu
          schaft des Deutschen Bundestags in Berlin von Termin       suchen und diese dann auch in die Realität umzusetzen.“
          zu Termin. In aller Regel sind die Parlamentswochen
          eng durchgetaktet – eine Besprechung jagt die nächste.     Das kann Armon-Niederlassungsleiter Bruno Hebel be-
          Mit so einer wichtigen Persönlichkeit kommt man nicht      stätigen. Über Instagram war er im April dieses Jahres
          „einfach so“ ins Gespräch, sollte man meinen.              mit dem Politiker in Kontakt getreten: „Patrick Schnieder
                                                                     hatte in einem Post dafür geworben, Unternehmens-
          Stimmt aber nicht. Denn das deutsche Wahlsystem sieht      ansiedlungen bei uns vor Ort zu erleichtern. Ich hatte
          mit dem Wahlkreis-Prinzip vor, dass jede Bürgerin und      dann in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass wir
          jeder Bürger einen eigenen regionalen Vertreter in Ber-    schon jetzt viel zu wenige Arbeitskräfte haben und dass
          lin haben. Und ganz egal, wie wichtig sie in Berlin sein   ich ihn gern dazu einmal sprechen würde. Noch am sel-
          mögen: Jede Bundestagsabgeordnete und jeder Bun-           ben Tag hatte ich über Instagram die Gesprächszusage
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