SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.

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 Juli / August 2019
        SFr. 9.–

 SCHO
  NO
SCHÖN
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ABENDKURSE & TAGESKURSE
       MALEREI, FIGUR & AKT, ZEICHNUNG UND
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2019   LAGEN, ADOBE: INDESIGN / PHOTOSHOP /
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                                               Written and Directed by   RITESH BATRA («LUNCHBOX»)

                                                     AB 11. JULI IM KINO
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EDITORIAL

                                 Nach dem Schönen gefragt sind sich Touris und Leser*innen einig: Der Pilatus punktet aus jeder Sicht.

             SCHÖN SO!
                                                                                         •‹ Š†‡•‘‡‰‡–”¡–‡ƒ”‹„‹•–ƒƒ–
                                                                                         ˜‘”•‹‡”‡—‰‡œ—”—ˆ‡Ǥ‘ Šƒ— Š†‡”
                                                                                         ‡„‡•”ƒ—ǡ‹†‡™‹”—•‹ŽŽ–ƒ‰„‡-
                                                                                         wegen, besitzt seine ganz eigene Schönheit,
                        Liebe Leser*innen                                                †‹‡ƒ‘ˆ–ƒ—•Žƒ—–‡” ‡™‘ŠŠ‡‹–‹ Š–
                                                                                         „‡‡”–Ǥ ‘ƒ•›†Ž‡”•’ƒœ‹‡”–†‡•ŠƒŽ„
                         Wer sich umhört, weiss: Wir verwenden den                       ‹–†‡–ƒ†–ƒ” Š‹–‡–‡ ò”‰‡Š•–‡‹-
                         ‡‰”‹ˆˆǼ• ŠÚǽ‰‡”ƒ†‡œ—‹ϐŽƒ–‹‘¡”Ǥ‡––‡”ǡ                  ner durch Luzern und schaut genauer
                         ‘†‡ǡ ‡• Š‹ Š–‡ǡƒŽŽ‡•‡”Š¡Ž–†ƒ•”¡†‹ƒ–                   Š‹Ǥ†‡”‡ϐ‹†‡ ŠÚŠ‡‹–‹’‹‡Ž‹–
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              Pascal Zeder                 ŠÚŠ‡‹–‹‡–ƒ‹Ž•ǡ‡‹‡”                   Ž‡”ǡƒŽ‹ƒ•Š”ƒ•ƒ†‡—”Ǥ†™‹‡†‡”ƒ†‡”‡
              Redaktionsleiter ad interim Farbe, der Kunst, der Sprache                  ‹Š‹Ž‘•‘’Š‹‡”‡ò„‡” Žƒ ‡•‘”–‡ǡ™‹‡
                                          ‘†‡”‡‹‡˜‡”–”ƒ—–‡                         –ƒ†Ǧ’ǦŠ‹Ž‘•‘’Š˜‡•‘••ƒ”–Ǥ
                            ‡•‹ Š–Ǥ‹”• Š‡‹‡†ƒ”ƒ—ˆ’”‘‰”ƒ‹‡”–ǡ                    ŠŽ‹‡••Ž‹ ŠŠƒ„‡•‹ Š—•‡”‡‡†ƒ–‹‘
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                                                                                         ‰‡•–”‡‹–Šƒ–ǤǼͶͺͷȂƒ•—Ž–—”ƒ‰ƒœ‹ǽ‹–†‹‡•œ—Žƒ••ǡ
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Juli/August 2019                           041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                                  3
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INHALTSVERZEICHNIS

    Inselgefühle: die Zentralschweizer Kunstszene in Havanna > Seite 10            Ein Herz und eine Aussicht: der Skulpturenpark im Gütsch > Seite 20

CUBA LIBRE
22 Kunstschaffende reisen in die Karibik – im Gepäck sind Werke
                                                                                Editorial > Seite 3
                                                                                Guten Tag > Seite 5
                                                                                Poliamourös
für ein riesiges Projekt > Seite 10
                                                                                Anna Chudozilov über schöne Formen des Widerstands > Seite 6

                                                                                Kosmopolitour

CITYWALK
                                                                                Samuel Imbach über die lückenhafte Kapellbrücke > Seite 7

                                                                                Stadt – Land
                                                                                Blick durch die Linse aus Luzern und Kriens > Seite 8

Der Luzerner Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner zeigt seine                         Detailverliebt
Lieblingsplätze > Seite 16                                                      Was ist schön? Kleine Beobachtungen aus dem Alltag. > Seite 24

                                                                                Aktuell

ANARCHIE
                                                                                Die IG Kultur durchläuft einen Wandel – ein Zukunftsgespräch > Seite 26

                                                                                Exkurs
                                                                                Stanser Schülerinnen schreiben Kunstporträts > Seite 28
René Gisler und sein Alter Ego: ein neologistisches Interview > Seite 20        Überdacht
                                                                                Urs Bösch und Lisa Schmalzried über die Wichtigkeit von Schönheit
                                                                                in unserem Alltag > Seite 30

ICE ICE BABY
Philosoph Yves Bossart weiss, was die Wahl am Glacestand
                                                                                Nachschlag
                                                                                Stephanie Elmer über das familieneigene Hotel und krumme Rüebli
                                                                                > Seite 32

über uns aussagt > Seite 22                                                     Käptn Steffis Rätsel > Seite 70
                                                                                Gezeichnet > Seite 71
Titelbild: Lina Müller

KULTURKALENDER                                                                  Film > Seite 42
                                                                                Kunst > Seite 44
JULI/AUGUST 2019                                                                Veranstaltungen > Seite 46
Bau > Seite 33                                                                  Ausstellungen > Seite 61
Musik > Seite 34                                                                Ausschreibungen > Seite 66
Wort > Seite 40                                                                 Impressum > Seite 68
Kids > Seite 41                                                                 Adressen A-Z > Seite 68

4                                               041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                             Juli/August 2019
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GUTEN TAG

      GUTEN TAG, LUZERNER BAU- UND                                         GUTEN TAG,
      VERKEHRSKOMMISSION                                                   INFOSCREENCONTENTMANAGER!
     Ihr plant in Reussbühl eine extrabreite Strasse,                    Der Luzerner Bahnhof schmückt sich nun also
die bereits den Zugang zur künftigen Spange Nord                    mit dem längsten Infoscreen der Schweiz – sogar
miteinbezieht? Offenbar war Euch der Unmut der                      überregionale Medien berichteten über diesen
einen Reussseite nicht genug, Ihr sucht den Wider-                  Rekord. Und auch wir wollen diese Anzeigetafel der
stand auf beiden Flussseiten. Wenigstens etwas, das                 Superlative würdigen. Allerdings möchten wir
Ihr im Rahmen dieses Monsterprojekts erreicht habt.                 Euch auch daran erinnern: Es kommt nicht auf die
                                                                    Länge an, sondern auf die zielorientierte und
Ausgeglichen, «041 – Das Kulturmagazin»                             kreative Anwendung.

                                                                    Technikaffin in more than one way,
                                                                    «041 – Das Kulturmagazin»

      GUTEN TAG, RETO WYSS
    Sie verlassen das Bildungs- und Kulturdeparte-
ment zusammen mit der Meldung über ein 2,3-Millio-
nen-Loch in der Kasse der Pädagogischen Hochschule.                        GUTEN TAG, LUZERNER TATORT
Da Ihnen die Qualität der Bildung so am Herzen lag,                      Eigentlich wohl eher guten Sonntagabend und
kürzte Ihr Departement die Beiträge an die PH in vier               bald dann gute Nacht, aber das ist Wortklauberei
Jahren um die Hälfte, sprich vier Millionen Franken.                und wir wollten Dir was ganz anderes noch sagen,
Zum Glück wechseln Sie jetzt zu den Finanzen, dann                  bevor Du ganz verschwindest: Vielleicht hat man ja
schaffen Sie die andere Hälfte bis Weihnachten.                     auch zu Recht an Dir rumgemeckert, Dich und Deine
                                                                    Ästhetik, Dich und Deine hölzernen Dialoge, Dich
Ferienreif, «041 – Das Kulturmagazin»                               und Deine blutleeren Charaktere kritisiert. Aber tief
                                                                    in unseren Herzen waren wir immer auch stolz auf
                                                                    Dich, haben uns jedes Mal gefreut, wenn unsere
                                                                    Stammbeiz kurz im Bild war, das Treppenhaus
                                                                    unserer Universität gekonnt ins Bild gesetzt wurde
      GUTEN TAG, FRAUEN!                                            oder ein Autobahnabschnitt, den wir selber
     Der Frauenstreik war unglaublich. Was für eine                 besonders gut mögen, die Bühne für den Showdown
Vielfalt von Forderungen, was für ein Nebeneinander                 gab. Gib also nochmals alles in der allerletzten Folge.
von widersprüchlichen Emotionen, und vor allem:
was für ein Miteinander. Was für eine enorme Welle                  Bald nostalgisch, «041 – Das Kulturmagazin»
von Gemeinschaft und Solidarität! Ehrlich jetzt,
das war der beste Tag seit Langem. Bitte haltet die
Zentralschweiz weiterhin in Bewegung.

Tief befraut, was auch immer das genau heissen mag,
«041 – Das Kulturmagazin»

Juli/August 2019                   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                              5
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POLIAMOURÖS

            Widerstand ist eine Kunst. Das haben     der Unterschied liegt zwischen dem               tragen. Oft ist es ja vielmehr so, dass
            sich die Leute vom «Zentrum für Poli-    Zerfleischen und dem Ertrinkenlas-               man das Hinsehen kaum aushält.
            tische Schönheit» auf die Webseite ge-   sen im Mittelmeer. Dann war da auch              Weil Leute Fakten und Meinungen
                                  schrieben.         der Aktionsbus, der Jugendliche an               vermischen, Entscheidungen und
Text: Anna Chudozilov             Dieses Credo       das Erbe der Geschwister Scholl                  Zwangsläufiges nicht auseinanderhal-
Illustration: Anja Wicki          setzt das Künst-   mahnte und fürs Flyern in Diktaturen             ten wollen, je nach Grosswetterlage
                                  ler*innenkol-      zu gewinnen vorgab. Oder die akri-               (im wortwörtlichen Sinn) ihre Hal-
            lektiv klug, witzig und immer radikal    bisch geplante Aktion, die zeigte, dass          tung zu wichtigen Fragen unserer Zeit
            um. Als «aggressiven Humanismus»         sich innert weniger Tage Tausende                ändern. Und dann auch noch in einem
            beschreibt das vor allem in Deutsch-     Menschen fanden, die minderjährige               Ton, der definitiv keine Musik macht.
                                                                                                            Schöne Politik also, mehr mora-
                                                                                                      lische Schönheit, politische Poesie

Schöne Politik                                                                                        und menschliche Grossgesinntheit.
                                                                                                      Das wünsche ich mir auch für Luzern,
                                                                                                      gerade für die Kulturpolitik. Umstän-
          land agierende Kollektiv seine Hal-        Flüchtlinge bei sich Zuhause aufneh-             de klar und deutlich machen, Alterna-
          tung, sieht sich als «Sturmtruppe zur      men wollten – die deutschen Politi-              tiven aufzeigen, Forderungen un-
          Errichtung moralischer Schönheit,          ker*innen hingegen machten keine                 missverständlich Nachdruck verlei-
          politischer Poesie und menschlicher        Anstalten, sich für die Kinder einzu-            hen. Das «Zentrum für Politische
          Grossgesinntheit». Grundüberzeu-           setzen.                                          Schönheit» könnte den einen oder an-
          gung sei, so steht es auf der Webseite,          Viele halten die Aktionen für              deren Ableger vertragen.
          dass die Lehren des Holocaust durch        zynisch – eine Perspektive, die aus
          die Wiederholung politischer Teil-         meiner Sicht verpasst, dass zynisch
          nahmslosigkeit, Flüchtlingsabwehr          nicht die Aktion ist, sondern die Um-
          und Feigheit annulliert werden. Und        stände, die angeprangert werden.
          das gilt es zu verhindern.                 Manche sehen nicht, was politisch
                In ihren Aktionen spielen die        sein soll an Tigern, andere nicht, wo
          Humanisten mit den Grenzen des so-         denn die Kunst steckt in einem
          genannt guten Geschmacks, provo-           Aufruf, Flüchtlingskinder aufzuneh-
          zieren durch das Inszenieren, das          men. Ich halte die Aktionen tatsäch-
          Überspitzen von Wirklichkeit,              lich für bestechend schön: klar in
          machen fassbar, was unbegreiflich          Form und Inhalt, oft mit sehr viel
          scheint. Da war zum Beispiel die           Recherche, Organisation und In-
          Arena mitten in Berlin, vier Tiger         szenierung verbunden und den-
          darin und der Aufruf an Geflüchtete,       noch – oder gerade: deswegen? –
          sich von den Tieren zerfleischen zu        extrem nahegehend, anregend,
          lassen, um gegen das Beförderungs-         aufregend.
          verbot für Flüchtlinge zu demonstrie-            Schönheit, so schreibt die Phi-
          ren. Dieses sorgt dafür, dass flüchten-    losophin Lisa Schmalzried weiter
          de Menschen statt ein paar Hundert         hinten in diesem Heft, das ist Wohlge-
          Euro an eine Fluggesellschaft mehre-       fallen, das nicht gesättigt wird durchs
          re Tausend Dollar an Schlepper bezah-      Schauen (etwas arg verkürzt, ich
          len. Wer sich über die Tiger empört,       weiss). Davon könnte die politische
          muss sich die Frage gefallen lassen, wo    Kommunikation zweifellos mehr ver-

6                                             041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                              Juli/August 2019
SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.
KOSMOPOLITOUR

                                                                                                               tete die kleinen Fische, die Luenzli,
                                                                                                               die am Köder schnupperten und nicht
                                                                                                               selten zuschnappten. Und immer
                                                                                                               wieder blickte ich auf die alten, dunk-
                                                                                                               len, dreieckigen Bilder, die von riesi-
                                                                                                               gen, fetten Spinnen und ihren grossen
                                                                                                               Spinnweben umgeben waren.
                                                                                                                     1982, nach der Grafiker-Ausbil-
                                                                                                               dung an der Schule für Gestaltung,
                                                                                                               habe ich Luzern verlassen und bin auf
                                                                                                               Umwegen über London und Amster-
                                                                                                               dam in Düsseldorf gestrandet. Seit
                                                                                                               1984 lebe ich als freischaffender
                                                                                                               Kunstmaler in dieser Stadt. In all den
                                                                                                               Jahren konnte ich in vielen Ausstel-
                                                                                                               lungen in Deutschland, Holland, Ös-
                                                                                                               terreich und der Schweiz meine
                                                                                                               Werke ausstellen.
                                                                                                                      Doch den Bezug zur Heimat
                                                                                                               habe ich behalten. Luzern ist eine
                                                                                                               Stadt der Lebensfreude, des Feierns
                   Samuel Imbach: ein Luzerner im Exil                                                         und der schönen Künste. Existenzia-
                                                                                                               lismus, Purismus, calvinistische oder
                                                                                                               zwinglianische «Bescheidenheit» sind
                                                                                                               keine Luzerner Eigenheiten.
                                                                                                                     Auch der aus Zürich stammende
                                                                                                               Maler Hans Heinrich Wegmann, der
                                                                                                               zusammen mit seinen vier Söhnen
                                                                                                               den     Kapellbrücken-Bilderzyklus

Dreieckige Bilder                                                                                              schuf, und die Luzerner Räte mit dem
                                                                                                               Stadtschreiber Renward Cysat, die
                                                                                                               den Auftrag an den Maler vergaben,
                                                                                                               waren offensichtlich Freunde der Lu-
                     Am Abend des 18. August 1993 verab-          Frage, ob (oder wie) man die durch den       zerner Offenheit und Genussfreudig-
                     redete ich mich mit meinem Luzerner          Brand zerstörten Kapellbrückenbilder         keit. Die Giebel-Lücken leer zu lassen ,
                     Freund Edi in Düsseldorf. Edi kam aus        Bilder endlich ersetzen will. Eine Ant-      ist keine Lösung im Sinne der Luzer-
                     beruflichen Gründen für zwei Tage in         wort auf die Frage war damals nicht in       ner Tradition. Die Brücke wäre ohne
                     die Stadt.                                   Sicht. Da muss man etwas machen,             Bilder ein (historisches) Konstrukt
                           Als wir uns trafen, erzählte er        dachte ich! – nach einem Vierteljahr-        und nicht das Gesamtkunstwerk, das
                     mir etwas aufgeregt, wie er nach dem         hundert! Seit dem schrecklichen              seit Jahrhunderten Gäste aus aller
                     Einchecken im Hotelzimmer den                Brand der Kapellbrücke im Jahr 1993          Welt begeistert.
                     Fernseher anmachte und als erste             und dem dabei erlittenen Verlust der                Diese Überlegungen veranlass-
                     Bilder die brennende Luzerner Kapell-        über 80 Giebel-Bilder stellt sich auch       ten mich im Sommer 2018 dazu, mich
                     brücke sah. Weltweit wurden diese            für mich immer wieder die Frage: Wie         bei der Regierung der Stadt Luzern als
                     Bilder in den Nachrichten gesendet.          wird man mit diesen Giebel-Lücken            Schaffer der neuen Kapellbrückenta-
                     Es war unglaublich! «Unsere» Brücke          umgehen? Lässt man sie offen? Blei-          feln zu bewerben. Ich bin sehr ge-
                     brannte. Wir gingen in die damals an-        ben die verkohlten Bilder als Mahn-          spannt, wie es weitergeht.
                     gesagte Melody-Bar in der Düsseldor-         mal für immer hängen? Werden
                     fer Altstadt und arbeiteten uns trös-        Kopien im Las-Vegas-Stil erstellt?
                     tend durch die Cocktail-Karte.               Gibt es Ersatz aus alten Beständen der
                            25 Jahre später, im Sommer            ehemaligen Hofbrücke oder setzt
                     2018, besuchte ich einige Male Luzern,       man neue Malerei ein?
                     um eine Ausstellung für den Kunst-                 Mein Bezug zur Kapellbrücke            Samuel Imbach stammt ursprünglich
                     raum Hochdorf vorzubereiten. In              geht tief. Als Kind fischte ich oft von      aus Luzern und schloss hier die Grafi-
                                                                                                               kerausbildung an der Schule für Ge-
                     dieser Zeit las ich in der lokalen Tages-    ihr aus in der Reuss. Ich hing über den      staltung ab. Seither lebt und arbeitet
                     zeitung verschiedene Artikel zur             alten Geländer-Balken und beobach-           er in Düsseldorf als Kunstmaler.

Juli/August 2019                               041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                            7
SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.
STADT
           14. JUNI, FREILICHT-THEATER, EWL-AREAL LUZERN

    «Shakespeares Liebeswirrwarr
             auf Schlittschuhen»
                                                           Bild & Wort:   Mo Henzmann

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SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.
LAND
                              13. JUNI, B-SIDES FESTIVAL, SONNENBERG KRIENS

«Wenn die Stadt auf den Sonnenberg pilgert»
Bild & Wort:   Daniela Kienzler

                                                                              9
SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.
FOKUS: KUBA

REVOLUTION
IM ART SPACE
22 Zentralschweizer Künstlerinnen und Künstler
reisten im Juni nach Kuba, um dort an zwei Orten
auszustellen. «Von Insel zu Insel» ist eine
Pionierleistung; noch nie zeigten so viele Schweizer
Kunstschaffende ihre Werke im Karibikstaat.

Text: Nina Laky
Bilder: Nique Nager

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Kunst schafft Verbindungen: Die Ausstellung «Von Insel zu Insel» bietet Raum für Austausch.

                                                                                              11
Claudia Buchers Performance hinterlässt Spuren.

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FOKUS: KUBA

                   Hat das Projekt während drei Jahren geplant: Galeristin Evelyne Walker

                       Die Hängung der Bilder: Ausstellung im «Revolution Art Space»

Juli/August 2019           041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz    13
FOKUS: KUBA

                                                                        F.A.C
                                                                        – diese drei Buchstaben gingen der Luzerner Galeristin
                                                                        Evelyne Walker nach ihrem Kuba-Aufenthalt 2016 nicht
                                                                        mehr aus dem Kopf. «La Fábrica de Arte Cubano», kurz
                                                                        F.A.C, steht im Zentrum Havannas. In der alten Speiseöl-
                                                                        fabrik aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts haben
                                                                        kubanische Künstler und Musikerinnen 2014 einen kul-
                                                                        turellen Referenz- und Treffpunkt geschaffen. Auf dem
                                                                        Areal befindet sich auch der erste Nachtclub der Stadt.
                                                                        «Als ich in der F.A.C stand, dachte ich: Hier drin will ich
                                                                        mit meinen Künstlerinnen und Künstlern ausstellen!»,
                                                                        erzählte Evelyne Walker wenige Tage, bevor sie für die
                                                                        Vernissage ihrer Ausstellung «Von Insel zu Insel» am 7.
                                                                        Juni dorthin flog. Zusammen mit 22 Kunstschaffenden
                                                                        aus dem Raum Zentralschweiz, die meisten stehen im
                                                                        engen Kontakt zur Galerie Vitrine, die Evelyne Walker
                                                                        führt.

                                                                               Ausstellung 1 – Revolution Art Space
                                                                               Nun werden es sogar zwei Vernissagen sein. Die
                                                                        Nachricht, dass die F.A.C für unbestimmte Zeit wegen
                                                                        Renovationsarbeiten am undichten Dach geschlossen
                                                                        wird, erhielt Evelyne Walker Ende Mai. «Ich dachte, es sei
                                                                        ein Scherz. Wie weiter? Alle, die zur Ausstellung reisen,
                                                                        hatten ja bereits ihre Tickets. Was dann passierte, war
                                                                        reine kreative Improvisation», sagt sie erleichtert. Kur-
                                                                        zerhand fand sie mithilfe der Schweizer Botschaft in Ha-
                                                                        vanna einen anderen Ausstellungsort: das Revolution
                                                                        Art Space.
                                                                               Dort hält der bekannte Künstler Nelson Ramírez
                                                                        de Arellano Conde, Direktor des nationalen Fotomuse-
     Maler Beat Bracher (Mitte) vertieft in Gespräche                   ums, am 7. Juni die Laudatio, der Luzerner Jesco Tscho-
                                                                        litsch spielt auf seiner Gitalele und die Künstlerin Clau-
                                                                        dia Bucher zeigt eine Performance. Diese sagte im Vor-
                                                                        feld der Reise: «Ich merke bei den Vorbereitungen, dass
                                                                        alles noch sehr fern ist. Mein Kopf ist voller Bilder, das ist
                                                                        Stress und Reiz zugleich, das möchte ich aushalten.» Der
                                                                        Ort beeinflusse ihre Arbeit: «Mit dem Material Zucker,
                                                                        welches ich für meine Performance oft gebrauche, wäre
                                                                        es im kubanischen Kontext schwierig.»
                                                                               Jesco Tscholitsch hat Einzelteile seiner Arbeiten
                                                                        nach Kuba transportieren lassen, um dort damit zu arbei-
                                                                        ten: «Meine Werke sind biologisch abbaubar und bleiben
                                                                        am Ende der Ausstellung in Havanna.» Der Maler Bruno
                                                                        Müller-Meyer ist an der Vernissage ebenfalls dabei. Er
                                                                        zeigt ein grossformatiges Gemälde vom Matterhorn:
                                                                        «Vor Ort zu arbeiten wäre für mich in so kurzer Zeit un-
                                                                        möglich. Die Zeit würde nicht reichen, die Eindrücke zu
                                                                        verarbeiten.»
                                                                               Es wäre komisch, so meinte Maler Beat Bracher im
                                                                        Vorfeld, dort mit einer «Kuba-Maske» zu produzieren.
                                                                        «Ich war noch nie in Kuba, ich habe mit diesem Land
                                                                        keine Berührungspunkte, darum zeige ich Werke von
                                                                        hier, aus der Schweiz. So kann ich mich voll und ganz auf
           Passiv rauchend: Jesco Tscholitsch
                                                                        die Künstlerinnen und Künstler vor Ort und die hoffent-
             Passiv trinkend: Sylvan Müller                             lich zahlreichen Begegnungen konzentrieren.»

14                                      041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                               Juli/August 2019
FOKUS: KUBA

                                                                                                                                22 Zentralschweizer
                                                                                                                                Kunstschaffende sind
                                                                                                                                am Projekt
                                                                                                                                «Von Insel zu Insel»
                                                                                                                                beteiligt:

                                                                                                                                Thomas Baggenstoss
                                                                                                                                Jürg Benniger
                                                                                                                                Beat Bracher
                                                                                                                                Claudia Bucher
                                                                                                                                Davix
                                                                                                                                Dogan Firuzbay
                                                                                                                                Martin Gut
                                                                                                                                Lucie Heskett-Brem,
                                                                                                                                Felix Kuhn
                                                                                                                                Eve Lene
                                                                                                                                Rochus Lussi
                                                                                                                                Sipho Mabona
                                                                                                                                Sylvan Müller
                                                                                                                                Bruno Müller-Meyer
                                                                                                                                Nique Nager
                                                                                                                                Rob Nienburg
                                                                                                                                Roland Pirk-Bucher
                                                                                                                                Verena Renggli
                                                                                                                                Henri Spaeti
                                                                                                                                Ursula Stalder
                                                                                                                                Pat Treyer
                                                                                                                                Jesco Tscholitsch
                                                                                                                                Stephan Wittmer

                   Tapeten statt Farbe                                         rinnen in Empfang nehmen. Dass nun «Von Insel zu
                     Dass alle Bilder, Leinwände, Schmuckstücke, Foto-         Insel» an zwei Orten gezeigt wird und die Ausstellung im
              grafien, Videos und Skulpturen in Kuba heil angekom-             F.A.C sogar bis Ende September verlängert wurde, be-
              men sind, hat Evelyne Walker der Hilfe der Schweizer             geistert Evelyne Walker: «Die Freude ist nun hoch zwei!
              Botschaft zu verdanken. Diese übernahm zudem Werbe-              In der Fábrica befinden sich von Donnerstag bis Sonntag
              tätigkeiten und unterstützte das Projekt finanziell. «Mir        täglich zwischen 1500 und 2500 Leute. Das ist eine Rie-
              war es wichtig, dass jeder und jede das mitbringt, was           senchance für die Kunstschaffenden, nachhaltige Kon-
              ihm oder ihr am Herzen liegt», so Evelyne Walker.                takte zu knüpfen.»
              Tücken bei der Organisation habe es natürlich viele gege-              Die künstlerische Tätigkeit auf den beiden Inseln
              ben, sie könne gar nicht alle aufzählen: «Der schwarze           unterscheidet sich aber grundlegend. «Nach der Ausbil-
              Kübel Farbe beschäftigt mich aber immer noch! Schwar-            dung ist man in Kuba auf sich allein gestellt, die meisten
              ze Farbe zu importieren, war nicht möglich. Also musste          produzieren und führen gleichzeitig eine Galerie. Das
              ich auf Tapeten ausweichen; das nur als kleines Beispiel.»       kennen wir in der Schweiz kaum», sagt Evelyne Walker.
              Der Objektkünstler Felix Kuhn zeigt genau diese Schwie-          Und Materialien wie Klebeband, Bostitch, Farbstifte
              rigkeiten auf. Er hat 365 Postkarten nach Havanna ge-            oder Pigmente seien im bürokratisch-autoritären Staat
              schickt. Aktuell sind davon 252 angekommen. Daraus               praktisch nicht erhältlich. Wie geht sie mit dieser Diskre-
              entsteht in Kuba ein lückenhaftes Bild.                          panz um? «Wir müssen dorthin, weil die meisten kubani-
                     Lücken gab es auch in der Finanzierung des Pro-           schen Künstlerinnen und Künstler es sich nicht leisten
              jekts; jedenfalls hat die Absage der Stiftung Pro Helvetia       können, zu uns zu kommen. Die Vorfreude ist jedenfalls
              Evelyne Walker hart getroffen: «Ich war sehr enttäuscht,         auf beiden Seiten riesig, und ich bin mir sicher, dass der
              denn das Projekt hat alle Bedingungen erfüllt. Die               Austausch alle bereichern wird», erklärt Evelyne Walker.
              Absage war für mich nicht nachvollziehbar.» Das riesige                Jetzt müssen nur alle noch die letzten Koffer
              Projekt haben am Ende Kantone, Stiftungen und Kultur-            packen. Darin befinden sich Materialien wie Pigmente
              fonds sowie Gönner und Freundinnen der Galerie Vitri-            oder Klebebänder, die auf der Insel schwer erhältlich sind.
              ne mitrealisiert.                                                «Alle Werke warten in Havanna schon auf uns!», sagt
                                                                               Evelyne Walker vor der Abreise. Es kann losgehen.
                   Ausstellung 2 – F.A.C
                    Nach drei Wochen in der Galerie Revolution Art
              Space zügelt die Ausstellung am 18. Juli in die F.A.C, die
              dann wieder offen sein wird. Dort wird Chefkuratorin
              Cristiana Diaz die Werke der Schweizer und Schweize-

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FOKUS: SCHÖNHEIT

                     Ein «Heinz» fürs Quartier: Die Kreiselskulptur am Kreuzstutz hat über Luzern hinaus Berühmtheit erlangt.

WÜRDIGUNG DES
UNGESEHENEN
Die bekannten Sommer-Hotspots am See oder in der Altstadt lassen
wir links liegen. Stadtplaner Jürg Rehsteiner zeigt uns sein sommerliches Luzern.

Text: Jonas Wydler

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FOKUS: SCHÖNHEIT

                                              Idyll trifft Beton: die Autobahnbrücke vor der Museggmauer

              Hinter uns rauscht der Morgenverkehr über die Brücke,              engstem Raum machen für den Stadtarchitekten die
              vor uns blicken wir über die weite Reuss, die von der Au-          Qualität von Luzern aus – man muss sich nur umsehen:
              tobahnbrücke geschnitten wird. Am Horizont der präch-              die Stadt am Wasser, die «30er-Jahre-Ikone» St.-Karli-Kir-
              tige Musegghügel.                                                  che, das über 100-jährige Schulhaus.
                    Wir machten uns mit Jürg Rehsteiner auf eine Tour
              abseits der bekannten Pfade. Seit neun Jahren ist er Lu-                  «Heinz» als Symbol für die Teilhabe
              zerner Stadtarchitekt, sein Blick ist noch frisch. «Wie sich             Jürg Rehsteiner steuert auf eine jüngere Errungen-
              die Stadt verändert, merke ich erst jetzt langsam. Es              schaft zu: den Kreuzstutz-Kreisel mit dem stoischen
              dauert etwa sieben Jahre, bis man die planerischen Ver-            «Heinz», der mit seinen Latten unter dem Arm im dich-
              änderungen sieht.»                                                 ten Verkehr steht. Ihn kennt seit dem Film «Rue de Bla-
                                                                                 mage» die halbe Schweiz.
                    St.-Karli-Brücke: Realitäten prallen                               Die Figur von Künstler Christoph Fischer hat es
                    aufeinander                                                  dem Stadtarchitekten angetan. Es sei ein gutes Beispiel,
                    Auf der Brücke verweilen sonst höchstens die Fi-             wie man mit einem verkehrsgeplagten öffentlichen
              scher, für Rehsteiner ist der Ausblick reizvoll, weil er zwei      Raum umgeht. «Heinz», der langjährige Strassenputzer,
              Realitäten vereint: «Die Museggmauer mit ihrem grünen              ist das Ergebnis der künstlerischen Auseinanderset-
              Vorland ist eine städtische Idylle.» Darunter sticht die           zung mit dem Ort. «Durch die persönliche Verbunden-
              massive Autobahnröhre ins Blickfeld. «Die ist natürlich            heit des Künstlers erhält er eine Bedeutung», sagt
              weniger attraktiv, aber sie gehört genauso zur Stadt», sagt        Rehsteiner.
              er. Ein Stich ins Städteplaner-Herz? «Natürlich würde                    Diese Verbundenheit sei in Luzern spürbar, Be-
              man die Autobahn heute nicht mehr so planen», sagt                 wohner und Bewohnerinnen seien stolz auf ihre Stadt
              Rehsteiner und verweist auf den städtischen Protest                und bringen sich privat ein. «Daraus ergibt sich ein ande-
              gegen die Spange Nord. Aber die Brücke ist ein Abbild der          rer Umgang mit dem öffentlichen Raum, das ist eine Be-
              damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse. «Damit                  reicherung meines Jobs.» Nicht nur professionelle Ent-
              müssen wir Planer heute umgehen», sagt er. Nur pure                wickler prägen die Stadt. «Am Schluss geht’s immer um
              Idylle wäre langweilig. Die Mischung und die Vielfalt auf          Menschen», sagt er.

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FOKUS: SCHÖNHEIT

                                Wird in Zukunft zu reden geben: das Gebiet um das Säli-Schulhaus

          Russischer Skulpturenpark beim                              wald. Hier tut sich überraschend ein riesiges grünes Ge-
          Château Gütsch                                              lände auf. «Ein Ort der Zukunft», sagt Rehsteiner. Die
            Einmal scharf links abbiegen, und man landet von          frühere Deponie ist heute eine Naturlandschaft – und
     der lauten Bernstrasse in der Ruhe des Gütschwaldes.             gleichzeitig eine der grössten städtischen Landreserven.
     Wir erreichen das «Fantasie-Schlösschen», das man von            In zehn bis zwanzig Jahren soll hier eine Wohnüberbau-
     fast überall in Luzern sieht. «Architektonisch nicht gran-       ung realisiert werden. «Bauen auf der grünen Wiese, das
     dios, aber ein Hingucker», sagt Jürg Rehsteiner. Es passe        gibt’s sonst in der Stadt nicht mehr», sagt Stadtarchitekt
     irgendwie zu Luzern – sehr grosszügig, aber auch eigen-          Rehsteiner. Wichtig sei aber die Anbindung an die Luzer-
     willig und speziell. Wir sind wegen des Ausblicks hier.          nerstrasse.
     «Nirgends hat man die Stadt so schön vor sich», sagt er.                Im Zentrum von Littau hat die Zukunft schon be-
     Das gestaffelte Panorama reicht vom Wald über die Alt-           gonnen, links der Strasse schiessen Neubauten in die
     und Neustadt und den See bis zu den Alpen. «In keiner            Höhe. «Im Moment ist es hier noch etwas ‹agglomerativ›,
     anderen Stadt sind diese Qualitäten so nah.»                     daraus versuchen wir, Stadt zu machen», sagt Rehsteiner.
            Den Ort hat sich der russische Hotelbesitzer              Die Stadt Luzern und Littau zusammenzubringen, sei
     Alexander Lebedev für seinen Skulpturenpark ausge-               eine spannende Aufgabe.
     sucht, der vergangenes Jahr etwas unter dem Radar der                   Rehsteiner steuert auf das 60er-Jahre-Zentrum
     Öffentlichkeit eröffnet hat. Nun stehen hier wetterfeste         «Fanghöfli» zu. Eine spannende Schnittstelle zwischen
     Werke aus seiner Sammlung – etwa das grosse rote Herz.           dem ursprünglichen Dorfzentrum mit Beiz und Kirche
     Über die Kunst kann man sich streiten, aber ein solches          und dem neuen Entwicklungsgebiet entlang der Luzer-
     privates Engagement habe auch nicht jede Stadt. Am Ein-          nerstrasse. Der Parkplatz auf der ehemaligen Rückseite
     gang zum Kunstpark steht ein Ticketautomat, den Ein-             des Zentrums soll sich zu einem neuen öffentlichen
     tritt gibt’s zum Aktionspreis von 8 statt 12 Franken.            Raum entwickeln. «Hier sieht man exemplarisch, wie
                                                                      sich die Schwergewichte verändern», sagt Rehsteiner.
          Littau: Hier geht die Post ab                               Für den Stadtentwickler lautet die entscheidende Frage:
         Kurz vor dem Littauer Zentrum erreichen wir das              «Machen die Einheimischen gleich schnell mit wie die
     Quartier Längweier-Udelboden direkt am Zimmeregg-                bauliche Entwicklung?»

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FOKUS: SCHÖNHEIT

                               Himmelrich 3 (Visualisierung): Blick von der Bleicherstrasse in die geplante Marktgasse

                   Säli-Schulhaus als Vorbild                                        Der Entscheid für den Abbruch fiel 2011 in seine
                     Wir sind zurück in der Innenstadt beim Säli-Schul-        Anfangszeit als Stadtarchitekt. «Aufgrund technischer
              haus. Rehsteiner blickt in die Vonmattstrasse. «Hier sind        Mängel waren die Bauten nicht mehr verhältnismässig
              wir am Rand der Stadterweiterung auf der Grundlage des           zu sanieren», so Rehsteiner. Die neue Überbauung er-
              19. Jahrhunderts.» In der Strasse wurde und wird gerade          möglicht zudem mit rund 30 Prozent mehr Wohnfläche
              viel renoviert. Viel Grün säumt die Häuser. Das Stadtkli-        eine substanzielle Verdichtung. «Der klassische Block-
              ma mit Grünflächen sei für die künftige Städteplanung            rand greift den Städtebau der historischen Neustadt auf.»
              ein grosses Thema. «Das ist unglaublich spannend, hier                 Die Architektur besinne sich auf das 19. Jahrhun-
              könnten wir auch irgendwo in Frankreich sein.»                   dert zurück. «Diese hat sich als städtebaulich sehr taug-
                     Die Schulanlage daneben wurde mitten in den               lich erwiesen und ist ästhetisch nachhaltig.» Darum
              Raster der Blockrand-Bauten hineingeplant. Sie ist über          werde sich die Überbauung mit einer hohen Selbstver-
              die Jahrzehnte gewachsen und hat so einen grosszügigen           ständlichkeit in den Stadtkörper einfügen, ist Rehsteiner
              Raum geschaffen. «Neben dem Vögeligärtli ist das eine            überzeugt. «Das Himmelrich 3 will nicht behaupten, dass
              der spannendsten Grünflächen», sagt Rehsteiner.                  es das unglaublichste Wohngebäude der Welt ist, son-
              Wenige Städte hätten Räume von solcher Qualität, dazu            dern es stellt guten Wohnraum und gute Aussenräume
              müsse man Sorge tragen. Die Stadt nehme hier ihre Vor-           zur Verfügung – das ist die Qualität.»
              bildfunktion wahr. «Bildung ist wichtig, darum müssen
              es besondere und qualitätvolle Bauten sein.»

                   «Himmelrich 3»: zurück ins
                   19. Jahrhundert
                    Wir beenden die Tour in der Claridenstrasse, jetzt
              noch eine Baustelle, aber in einigen Jahren ein neuer öf-        Jürg Rehsteiner ist seit 2010 Luzerner Stadt-
              fentlicher Boulevard. Der Städteplaner lobt die                  architekt. Er hat in Zürich und St.Gallen studiert
              ABL-Überbauung «Himmelrich 3», welche die alten Zei-             und hat unter anderem im Amt für Städtebau
              lenbauten ersetzt hat.                                           der Stadt Zürich gearbeitet.

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FOKUS: SCHÖNHEIT

DIE ANARCHIE
DER SPRACHE
Der Luzerner Künstler René Gisler hat mit seinem Werk
«Thesaurus rex» eine Sammlung von Neologismen geschaffen.
Im Interview spricht er mit Phrasardeur, seinem Alter Ego,
in fliessendem «Neutsch» über die Anarchie der Sprache
und die Schönheit von Worterfindungen.

Interview: René Gisler
Illustration: Gabi Kopp

20                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Juli/August 2019
FOKUS: SCHÖNHEIT

                   René Gisler: Herr Phrasardeur, zuerst eine                        Wer sich innen Duden sperren lässt, ist doch nicht
                   Frage zu Ihrer Person. Sie schreiben unter                  ganz dichter. Richticke Vorblinder zumindest gebähren
                   einem Pseudonym. Ist es das, was Sie unter                  sich underst. Wobei es mir (mehr Licht!) gesagt lieber
                   Anarchistentum verstehen: Anonymität?                       wäre, Sie verwendeten den Ausdruck Kofferwort statt
                   Haben Sie etwas zu verbergen? Oder: Wovor                   Wortschöpfung. Schöpfung, das klingt so gewollt.
                   haben Sie Angst?
                   Phrasardeur: Sagten Sie Anarchristentum? Ich                      Mmh. Ok. Gut. Dann halt nun gewolltfrei.
              dachte immer, die glauben an nichts. Mein Pseudonimm                   Braucht es nun aber die Anarchie in der Sprache
              beschränkt sich immerhirn nur auf mein Altar ohn Lein                  überhaupt? Reichen unsere verbalen
              Ego. Andere machen da gefiel Meer pseudo um Allerlei,                  Ausdrucksmöglichkeiten nicht bereits? Oder
              nicht? Und, ja. Was das Verb bergen betrifft, die hab ich              könnte die Anarchie am Ende gar dazu
              eh zugegebenermassen gern. Zudem sind die auf und ab                   beitragen, dass die Menschen einander endlich
              für mein Abundzu ständig.                                              besser verstehen?
                                                                                     Das mit dem Verstand ist so eine leidig Gesachte.
                    Was haben Kofferworte (gemeint sind Worterfin-             Obwohl der Kopf vom Sagen her rund ist, ändern die Ge-
                    dungen, die aus mehreren bestehenden Worten gebildet       denkel nicht das Richttun. Mit Ohnetand bleibt immer-
                    wurden, Anmerkung der Red.) mit Anarchie zu tun?           hin der Vers. Und klingt ein Veilchen mit. Doch wähn wir
                    Und wieso und wie soll nun ausgerechnet dieser             schon mit hehren Habsichten sprechnen, ansterbens-
                    Aspekt der Sprache Schönheit vermitteln?                   wert wär die Gewählt, wo sich die Menschen besser nicht
                    So ein K.O.fferwort, wie zum Breispiel Kung-Food,          verstehen.
              hat dreifelsfrei mehr Zweigenleben. Was man von
              B-Griffen wie Humankapital und Kartoffelstock nicht                   Um nochmals auf Ihre Schreibe zu sprechen zu
              sagen kann. Neben zwischen den Zeilen kommt auch                      kommen: Welchen Beitrag leistet Sprache in
              zwischen den Stuchbaben Interpretationsspiel-Raum                     der Kunst, und was ist aus Ihrer Sicht gute – oder
              hinzundkunzu. Da nun laber alles Spiel Regeln imblüh-                 eben «schöne» – Literatur?
              ziert und das Biegeln der Regen zum Spührball wird, ist               Leisten. Wenn ich das stöhre, dreht sich mein
              das schon ungeschönt schön, gerate auch tsumal die Lee-          Schuhmacher im Rab um. Die Literathur verdingt ihr
              seherin und der Lesehr ohngewollet Komplizen des                 Geild am obstkuren Horten. Die Schöne kriegt viellleich
              Outd’ors werden.                                                 etwas mehr als triviale. Die Macht die Bilder en passant.
                                                                               Wie kann der Künstleer überhaupt noch etwas oder je-
                    Wenn ich Sie richtig verstehe, ziehen Sie                  manden herreichen, wenn nicht munterschwellig? Im
                    Mehrdeutigkeit präzisen Aussagen vor. Statt                Gehheimen quasieg. Können Sie sich noch an Ihre erste
                    Schwarz und Weiss propagieren Sie Grau. Und                Kommunikation erinnern? Eben.
                    Schuld daran sind die Lesenden. Denken
                    Sie nicht, dass diese Haltung selbst die geneigte                Statt «Wirklichkeit» schreiben Sie in einem
                    Leserschaft überfördert?                                         Ihrer Beiträge «Wirkichkeit». Was ist denn nun
                    Womit wir beim Beuys’schen Anarchknie ankä-                      relevanter: das Bild, welches man von sich selbst
              men? Ich geb Ihnen Rächt. Mainsdream ist nicht mein                    hat, oder der Blick der Aussenwelt auf das
              Busyness. Vagemut trifft den Nahgehl eher au’m Kopf.                   Individuum?
              Die Spreche in Verhangenheitsform revanchiert sich be-                 Ist das nun eine Grunzsatz- oder eine Standpauk-
              greiflich am Indiwiedumm.                                        frage oder ein Assist-Dasselbe? Wenn auch nicht mehr
                                                                               unsere Grosselten, so doch zumindest deren Vorfahnen
                   Themawechsel. Können Sie Schönheit mit dem                  betrieben verschwenderischen Saufwand, um sich vor
                   Wortschatz des Thesaurus rex umschreiben?                   dem bösen Blick zu schützen. Glauben Sie selber an Face-
                   Oder inwiefern trägt das Buch aus Ihrer Sicht zu            spuk? Trägt man beim Anschlauen eher etwas auf oder
                   mehr Schönheit bei?                                         unnützen Blicke gar ab?
                   Die Enge macht’s, das wussten schon die alten
              Amerikaner. Und jäh mehr hauf, desto weniger Raun, Sie                  Eine letzte Frage noch. Bei Ihnen heisst
              wissen schon: kritische Masse, Kettenkreation usw. und                  «Schönheit» «Schönheut» und von der
              so Wort. Lottgob lässt siech Anmut beliebig oddieren, an-               «Allgemeinbildung» bleibt die «Allgem. Ein-
              heufen und aufbewähren. Haha! Nur ein Witz. Aber                        bildung». Wenn man nun Ihre Wortkreationen
              ernsthaft: Geht doch nichts über ’ne Tracht Liebreiz. Und               so liest, erhält man den Eindruck, Sie sehen
              dann, ach! Platzhaltleer wo man hinschtaut.                             zunehmend schwarz. Sind Sie ein Revolutionär
                                                                                      oder bloss ein Pessimist?
                   Warum glauben Sie, dass Wortschöpfungen                            Ja.
                   subversiver sind als der ganze Rest der Sprache?

Juli/August 2019                               041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                               21
FOKUS: GLACE

ADORNO
UND DIE RAKETE
Ich sag dir, welcher Glacetyp du bist.
              Endlich. Die Glacesaison ist eröffnet. Doch wie alles im               Die Frage aber, welche Sorte du wählst, hat sich
              Leben hat auch das zwei Seiten. Alle kennen das Problem:         damit noch nicht beantwortet. Schokolade, Vanille, Erd-
              Du stehst am Glacestand und kannst dich nicht entschei-          beere – das war früher. Heute erstreckt sich die Auswahl
                               den. Hinter dir wartet eine Schlange un-        von Crème Brûlée über Tiramisù bis zu Doppel-
Text: Yves Bossart             geduldiger Menschen. Du wirst unruhig.          rahm-Meringue. Alles frei kombinierbar. Die pure Über-
Illustration: Lina Müller      Was tun? Mein philosophischer Rat:              forderung. Aber so ist das mit der Freiheit. Sie gilt es aus-
                               Lass dir Zeit. Eine Glace ist schliesslich      zuhalten – ganz wie es die französischen Existenzialis-
              mehr als gefrorene Flüssigkeit mit Geschmack. Jede               ten fordern. Hauptsache, Du gehst deinen Weg und
              Sorte sagt etwas aus – ganz nach dem Motto: Sag mir,             machst dein Ding. Auch wenn dich vermutlich alle schräg
              welche Glace du magst, und ich sage dir, wer du bist.            anschauen, wenn du eine Crème-Brûlée-Mango-Kombi-
                     Als Erstes musst du dich zwischen Kugel- und Stän-        nation bestellst.
              gel-Glace entscheiden. Mövenpick oder Frisco. Mit der                  Die kombinatorische Überforderung hat natürlich
              Kugel-Glace kaufst du dir das italienische Gelato-Fee-           nicht, wer eine Glace am Stängel bestellt. Hier gibt dir
              ling, gepaart mit einer mediterranen Leichtigkeit des            Frisco eine Auswahl von zwanzig Sorten, fertig: von der
              Seins. Gleichzeitig siehst du, wie das Produkt hergestellt       Rakete über Winnetou zu Twister und Calippo bis hin
              wird. Nach Marx herrscht hier also weniger Entfrem-              zur Pralinato. Aber auch hier gilt: Du meinst, du wählst
              dung. Ausbeutung hast du aber trotzdem. Und die Qual             eine Glace, aber in Wahrheit wählst du einen Lebensent-
              der Wahl auch. Hinzu kommt, bevor du eine bestimmte              wurf, eine Identität, eine Haltung zum Leben – und zum
              Sorte wählst, musst du entscheiden: Cornet oder Becher?          Tod. Stichwort: Löffel abgeben.
              Und wählst du das Cornet, dann fragt sich: mit oder ohne               Magnum-Esser zum Beispiel lieben den perfekten
              Löffel?                                                          Schokoladen-Überzug, ohne Ecken und Kanten. Glatt
                     Spätestens mit dieser Frage stehst du vor der ersten      und hart. Innen die rahmige Masse, monoton und lang-
              existenziellen Entscheidung: Bist du eher ein «Schlecker»        weilig ohne Hülle. Wie die Glace, so der Mensch: Mag-
              oder ein «Löffler»? Sprich: Suchst du den natürlichen, un-       num-Esser sind in der Regel langweilige Poser, glatte
              vermittelten Zungen-Kontakt oder möchtest du zeigen,             Typen ohne Kern.
              wie kultiviert du bist, indem du ein Werkzeug verwen-                  Ganz anders der Pralinato-Liebhaber. Er hat einen
              dest und damit eine gewisse Distanz zwischen dir und             Kern, und was für einen! Da beisst man sich die Zähne
              der Welt aufbaust? Bevorzugst du deine Hände, um allen           aus. Auch die Hülle der Pralinato ist nicht so aalglatt wie
              anderen – und auch dir selbst – klar zu machen, dass du          diejenige der Magnum. Insgesamt verspricht die Pralina-
              kein Tier bist und es einen guten Grund gibt, warum wir          to mehr Echtheit, mehr Authentizität. Auch die eroti-
              Menschen aufrecht gehen, nämlich damit unsere Hände              sche-obszöne Dimension des Glace-Konsums wird nicht
              frei sind? Mit der Frage, ob Löffel oder nicht, stellt sich      verdeckt, anders als bei der politisch korrekten Ovalform
              also die Frage, wie du als Mensch zu deiner Evolutionsge-        der Magnum. Bei der Pralinato weisst du nie genau, wie
              schichte stehst – ob du deine animalische Seite annimmst         du sie in den Mund nehmen sollst – und das ist gut so.
              oder nicht.                                                            Bei der Twister, die aufgrund der Spiralform meist
                     Gleichzeitig nimmst du, ob du willst oder nicht,          mit einer leichten Drehbewegung gelutscht wird, stellt
              Stellung zur Greta-Frage: «Sag, wie hast du’s mit der Öko-       sich das erotische Problem offensichtlich auch. Ebenso
              logie?» Schliesslich sind die Löffel aus Plastik. Und auch       bei der Calippo. Philosophisch interessant an der Calippo
              die Kartonbecher sind ökologisch zweifelhaft. Allein             aber ist die Einladung zur Entschleunigung. Du musst
              schon Greta zuliebe solltest du also das Cornet nehmen –         nie Angst haben, dass sie schmilzt. Du hast Zeit. Auch
              ohne Löffel. Denn tief im Innern weisst du: Alles ist eins.      musst du nicht permanent darauf achten, ob es nicht ir-
              Alles ist Natur. Auch du.                                        gendwo anfängt zu tropfen. Die Calippo will weder deine

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FOKUS: GLACE

              Aufmerksamkeit noch deine Zeit. Damit verspricht sie              sich aber, anders als bei der Hegelschen Dialektik, nicht
              eine Gegenwelt zu unserer Gegenwart und ist die ideale            auf. Er bleibt bestehen. Darum ist die Dialektik negativ.
              Glace für Aussteiger.                                             Die Rakete: das Versprechen einer Versöhnung, von Zu-
                    Mein absoluter Favorit aber ist die Rakete. Und             kunft und Vergangenheit, Schokolade und Wasserglace.
              zwar, weil sie die negative Dialektik von Theodor W.              Ein unlösbares Rätsel. Wie das Leben selbst.
              Adorno vorbildhaft verkörpert: Auf den ersten Blick sind                Was ich mit all dem sagen will? Lass dir beim nächs-
              da die drei Farben. Diese stehen offensichtlich für die drei      ten Glacekauf doch ruhig etwas Zeit. Es gibt vermutlich
              Hegelschen Stadien von These, Antithese und Synthese.             nur wenige Entscheidungen im Leben, die wichtiger
                    Hinzu kommt die Dialektik der Rakete, einerseits            sind.
              als Symbol des Fortschritts, der Zukunft, gleichzeitig
              aber auch als Verkörperung des Retro-Kults, also von Ver-         Yves Bossart ist Philosoph, Autor und Moderator.
              gangenheit. Negativ ist diese Dialektik deswegen, weil            Der Luzerner ist seit 2013 Redaktor und Produ-
              die Spitze der Rakete mit Schokolade überzogen ist: eine          zent bei der Sendung «Sternstunde Philosophie»
              geschmackliche Unmöglichkeit. Dieser Widerspruch                  des SRF, zudem ist er Referent bei der Veranstal-
              zwischen Wasserglace und Schokoladenüberzug löst                  tungsreihe «Standup Philosophy».

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DETAILVERLIEBT

… findet der Art Director
no schön.

           #ISCHNOSCHÖN
                  Wir haben IG Kultur, Redaktion und Leserschaft gebeten, uns
                Kleinigkeiten und Details zu verraten, die unseren Alltag schöner
                 machen. Voilà! Eine kleine Sammlung von Momentaufnahmen.

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DETAILVERLIEBT

          Wenn man nach 15 Jahren wieder mal im                          Wenn man am kleinen runden Stehtisch vor
          Verkehrshaus ist.                                              der Kebab-Bude am Pilatusplatz steht, der einem
                                                                         inmitten der hochgezogenen Betonwände
          Wenn man den Ball auf dem Pingpong-Tisch auf                   das Gefühl von Grossstadt verleiht.
          der Säli-Turnhalle spielt.
                                                                         Wenn man sich die hippe Getränkeauswahl im
          Wenn man von den Chinesen gefragt wird, wo der                 Spar-Quartierladen im Geissenstein reinzieht, die
          nächste Uhrenladen sei.                                        es mit jedem Späti in Berlin aufnehmen könnte.

          Wenn man von einer Schweizer Stadt nach Luzern                 Wenn man auf den aufgewärmten Betontreppen
          fährt und es nicht regnet.                                     am Quai neben der alten Pferderennbahn die
                                                                         letzten Sonnenstrahlen geniesst.
          Wenn vor dem Löwendenkmal keine einzige Person
          steht.                                                         Wenn man den wild bepflanzten Bundesplatz-
                                                                         Kreisel riecht, der so blüht und duftet, dass
          Wenn man den Kultur-Highway entlangfährt                       er sogar den Eindruck des Verkehrs verringert.
          und merkt, dass es nach jahrelanger Diskussion
          doch noch geklappt hat.                                        Wenn man beim Sternenplatz nach oben schaut,
                                                                         wo seit über 100 Jahren eine Familie auf dem
          Wenn der Sommer schon in die Stadt eingezogen                  Balkon auf einen herabblickt.
          ist und der Hausberg noch im Winterschlaf liegt.
                                                                         Wenn man vom Glitzergrün der Reuss an richtig
          Wann man auf der Seebrücke mit dem Velo am                     sonnigen Tagen schon frühmorgens geblendet
          Stau vorbeifährt.                                              wird.

          Wenn auf den Grünzonen immer mehr wildes                       Wenn man sich in der Reuss treiben lässt und
          Gewächs spriesst statt langweilige Blumen.                     am Nordpol dann noch tropfnass ein Bier kippt.

          Wenn man rauchend nächtliche Gespräche in                      Wenn man im Löwencenter mit dem Lift zur Suva
          der Einfahrt bei der Jazzkantine führt.                        hochfährt und den Blick über Berge und See
                                                                         schweifen lässt.
          Wenn man einen Schluck Wasser aus dem
          Wasserspender auf dem Zugsperron trinkt.                       Wenn sich auf dem Inseli Studis mit Touris,
                                                                         Kitakindern und allen anderen mischen, die mitten
          Wenn man sich am Anagramm «Lucerne en recul»                   am Tag frei haben. Und man selbst auch dasitzt.
          am Luzerner Bahnhof freut.
                                                                         Wenn mitten in der Vorlesung ein Schiffshorn
          Wenn man vor dem Kühlregal mit Hunderten                       daran erinnert, dass draussen Sommer ist.
          verschiedenen Bieren im Drinks of the World steht.
                                                                         Wenn man auf den Männliturm hochsteigt und
          Wenn man sich sonntags ab elf Uhr von den Songs                nicht nur auf die Stadt, sondern auch hinten aufs
          im «Kater» auf Radio 3fach berieseln lässt.                    Land runtersieht.

          Wenn man im Winter ins Strandbad Lido geht.                    Wenn man die Bruchstrasse hinunterrast und
                                                                         sich auf dem Velo ein bisschen wie der König der
          Wenn man das neue silbrige Hochhaus in Horw                    Welt fühlt.
          reflektieren sieht.
                                                                         Wenn man im Konsipark auf der vordersten Bank
          Wenn am Morgen die Vögel vor mir aufgestanden                  sitzt und einem die Stadt wie eine Schatzkiste
          sind.                                                          zu Füssen liegt.

          Wenn man der älteren Frau auf ihrem Balkon am                  Wenn im Bourbaki der Drehkranz unerwartet eine
          Neuweg zuschaut, wie sie fürsorglich die Tauben                Runde dreht.
          der Stadt verpflegt.
                                                                         Wenn trotz Verbot drinnen geraucht wird und
          Wenn man sich dem seltsamen Gefühl in der                      es niemanden stört.
          130 Jahre alten Schalterhalle der Post hingibt, wo
          der imposante Neurenaissance-Stil auf eine                     Wenn man ausserhalb der Zentralschweiz mit
          moderne Wegwerf-Ästhetik trifft.                               arbeitsfreien katholischen Feiertagen prahlen
                                                                         kann.
          Wenn im Rebstock zum Brot die gesalzene Butter
          gereicht wird.

Juli/August 2019                         041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                       25
AKTUELL

Keine Zeit für stur
Die IG Kultur im Wandel: Bei Geschäftsstelle wie Magazin
übernehmen neue Köpfe. Ein Gespräch mit An- und Abtretenden
über Selbstverständnis und Zukunftspläne.

Interview: Pascal Zeder
Foto: Gianluca Pardini

                  Gianluca Pardini und Anna Chudozilov, ihr                          Was ist denn heute die Rolle der IG Kultur?
                  tretet die Leitung der IG Kultur, respektive von                   GP: Die IG Kultur ist die zentrale Stimme der Zen-
                  «041 – Das Kulturmagazin» fast zeitgleich an.               tralschweizer Kulturschaffenden. Bei grossen kulturpo-
                  Wird jetzt alles anders?                                    litischen Anliegen ist es wichtig, dass man eine gemein-
                  Gianluca Pardini: Nein. Die IG wird ihre Dienstleis-        same Stimme hat und eine Identität schafft. Wir wollen
           tungen weiterhin erbringen. Da haben meine Vorgänge-               einen breiten Kulturbegriff prägen, uns aktiv vernetzen,
           rinnen sehr gute Arbeit geleistet. Der Grundsatz «Kultur           uns einbringen. Diese Aufgabe kann die IG Kultur noch
           für alle» bleibt bestehen. Wir werden uns intern teilwei-          akzentuierter wahrnehmen, sowohl auf städtischer wie
           se neu organisieren müssen, aber das wird nach aussen              auch auf kantonaler Ebene.
           kaum spürbar. Personelle Wechsel sind meistens überbe-
           wertet.                                                                  Eva Laniado: Die politische Dimension ist wichtig,
                                                                              vor allem, wenn Sparübungen anstehen. Aber die IG
                 Anna Chudozilov: Da schliesse ich mich an. Es kann           Kultur ist auch eine Anlaufstelle für Kulturschaffende,
           eine Riesenchance sein, dass gleich drei Schlüsselpositi-          Institutionen und Kleinveranstalter, die Fragen zu Gesu-
           onen (siehe Box, A. d. R.) neu besetzt werden. Wir müssen          chen oder Marketing haben. Diese Angebote sind aber
           unsere Kompetenzen neu klären, so haben wir die Mög-               leider noch immer zu wenig bekannt.
           lichkeit, das Optimum aus der neuen Konstellation
           herauszuholen. Das ist anspruchsvoller, als sich in beste-              Und welchen Weg geht das Magazin? Werden
           hende Strukturen einzufügen, und wird sicher zu Rei-                    die Schwerpunkte politischer?
           bungen führen. Aber das ist gut so.                                     AC: Kunst ist sowohl in Form wie Inhalt politisch ,
                                                                              und das soll das Magazin auch sein. Was bedeutet Verein-
                                                                              barkeit von Beruf und Familie für Kulturschaffende?
                                                                              Wie lebt man von der einen Förderung zur nächsten,
                                                                              gerade mit Familie? Das sind Beispiele für Bereiche, in
                                                                              denen wir als Magazin klarer politische Positionen bezie-
                                                                              hen können. Ich möchte gleichzeitig bei den Schreiben-

                                                                              «Kosten zu verursachen
                                                                              ist nicht die Hauptfunktion
                 Zwei kommen, eine geht (v. l.): Gianluca Pardini,
                                                                              von Kultur.»
                       Eva Laniado und Anna Chudozilov                        Anna Chudozilov

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AKTUELL

              den eine Haltung fördern, die gesellschaftliche Fragestel-                Regierungsrat gesorgt. Als erste Geste hat
              lungen bei jedem Artikel mitdenkt, auch wenn sie nicht                    ihn nun das B-Sides-Festival auf den
              expliziert im Fokus stehen.                                               Sonnenberg geladen – er nahm die Einladung an.
                                                                                        Ein Schritt aufeinander zu?
                     Die politischen Umstände des Kantons                               EL: Die Frage wird sein, was das Ziel von Marcel
                     bewegen die Kulturschaffenden schon länger,                 Schwerzmann ist. Mit dem Zweckverband und dem The-
                     Stichwort Aktion «Kultur bleibt!». Aber seien               ater stehen wichtige Themen an. Wenn Marcel Schwerz-
                     wir ehrlich: Wie stark bewegt die Kultur die                mann sich für sein Departement einsetzt, hat man mit
                     Politik wirklich?                                           ihm einen stärkeren Vertreter in der Regierung, als man
                     GP: Auf Kantonsebene gibt es sicher Gemeinden,              mit Reto Wyss hatte.
              die sich kaum mit der Frage beschäftigen, was Kultur für
              einen Wert für die Gesellschaft hat. Da müssen wir akti-                 GP: Erinnert man sich an das zynische Applaus-Zi-
              ver sein. Gerade in der Agglomeration gibt es noch Poten-          tat von Reto Wyss, kann eine neue Person in der Leitung
              zial. Nehmen wir das Beispiel der Regionalkonferenz                des Kulturdepartements eine Chance für einen Neuan-
              Kultur RKK: Da müssen wir weiterhin für die Solidarität            fang sein. Es braucht nun einen konstruktiven Dialog
              zwischen den Regionen einstehen. Gleichzeitig müssen               und klare Forderungen – auch seitens der IG Kultur und
              wir aber auch über den Kanton hinausschauen, uns mit               den Kulturschaffenden. Vielleicht können unter
              Kulturorganisationen ausserhalb der Zentralschweiz                 Schwerzmann die durch die Sparübungen angezogenen
              vernetzen, um gemeinsame Strategien zu überlegen. Die              Schrauben wieder gelockert werden.
              Probleme sind ja oft dieselben.
                                                                                        AC: Ich finde, solche Zeichen wie der Besuch des
                     EL: Bleiben wir realistisch: Die Kultur ist für viele       B-Sides sind wichtig – sowohl dass man ihn einlädt wie
              Gemeinderäte nicht das grosse Thema in der Tagespoli-              dass er die Einladung annimmt. Die Kultur hat Marcel
              tik, und das wird sich auch nicht ändern. Darauf hat die           Schwerzmann in der Rolle als Finanzminister kennenge-
              IG nur begrenzt Einfluss – was aber nicht heisst, dass             lernt, jetzt muss sie offen auf ihn in seiner Rolle als Kul-
              man es nicht versuchen soll, dafür ist die IG ja da. Und es        turminister zugehen. Geschirr ist kaputtgegangen, aber
              gilt, mit bestehenden Initiativen zusammenzuarbeiten.              ich glaube, das muss nicht die Beziehung für die nächsten
              Ein Beispiel ist der Verein Kulturlandschaft von Marco             vier Jahre definieren. Da liegt es auch an uns vom Kultur-
              Sieber, der wichtige Arbeit für die Kultur auf dem Land            magazin, einen Dialog zu suchen. Und nicht aufzugeben,
              leistet und mit der IG im Austausch steht.                         auch wenn es einmal schiefgeht.

                    Kommen wir aufs leidige Thema Geld
                    zu sprechen.
                    GP: Wie in vielen anderen Bereichen ist Geld auch
                                                                                                                 Dominik Bienz
              Bestandteil der Kultur. Aber lange nicht der einzige.                                              neuer Verlangsleiter
              Leider wird die Kultur von gewissen – meist bürgerli-                                              Neben Gianluca Pardini und
              chen – politischen Stimmen auf die Diskussion um                                                   Anna Chudozilov wird auch
                                                                                                                 die Stelle der Verlagsleitung
              Förderung reduziert. Das ist eine Haltung, die es über                                             von «041 – Das Kulturmaga-
              Öffentlichkeitsarbeit zu drehen gilt. Wir müssen zeigen,                                           zin» neu besetzt: Dominik
              dass Kultur einen viel höheren Wert hat, als sie in Budget-                                        Bienz tritt am 1. September
                                                                                                                 die Nachfolge von Philipp
              diskussionen zugesprochen bekommt.                                                                 Seiler an. Die Verlagsleitung
                                                                                                                 ist Teil der Geschäftsleitung
                     AC: Es gibt zahlreiche Bereiche, die mit weniger                                            der IG Kultur Luzern. Zuletzt
                                                                                                                 war Dominik Bienz Projekt-
              Aufwand mehr Geld verbraten als die Kultur. Die Bil-                                               leiter und Berater für strate-
              dung verbraucht beispielsweise viel mehr Geld – und das                                            gische Markenführung und
              finden wir zu Recht sinnvoll. Kosten zu verursachen ist                                            Onlinestrategie in einer
                                                                                                                 Agentur für Markenführung,
              aber nicht Hauptfunktion der Kultur. Kultur setzt sich                                             Design und Kommunikation.
              mit unserer Gesellschaft auseinander, nimmt Themen                                                 Mit vielfachen Aktivitäten
                                                                                                                 und Funktionen ist er in der
              auf, reflektiert, verarbeitet, vermittelt. Diese Leistung ist
                                                                                                                 Luzerner Kulturszene ver-
              unverzichtbar.                                                                                     wurzelt und vernetzt. Wir
                                                                                                                 freuen uns, Dominik bei
                                                                                                                 «041 – Das Kulturmagazin»
                    Der ehemalige Finanzdirektor Marcel                                                          begrüssen zu dürfen.
                    Schwerzmann übernimmt in der kommenden                                                       Gleichzeitig verabschieden
                    Legislatur das Kulturdepartement. Die                                                        wir uns von Philipp Seiler und
                                                                                                                 bedanken uns für die tolle
                    Sparpolitik der letzten Jahre hat für eine                                                   Zusammenarbeit und die
                    durchaus belastete Beziehung zum parteilosen                                                 entstandene Freundschaft.

Juli/August 2019                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    27
EXKURS: MEDIENWOCHE

                                                           ROCHUS LUSSI:
                                                           DIE KETTENSÄGE
                                                           LÄUFT
                                                                                    Rochus Lussi ist ein Stanser Bild-
                                                                                    hauer. Schon während seiner
                                                                                    Schulzeit wurde er oft für sein
                                                                                    zeichnerisches Talent gelobt und
                                                                                    fühlte sich zur Kunst hingezogen.
                                                                                    Das liegt bei ihm in der Familie.
                                                                                    Ein Cousin seiner Mutter, Josef
                                                                                    Maria Odermatt, kreierte mit
                                                                                    grossem Erfolg massive Eisenplas-
                                                                                    tiken. Seinem Vater zuliebe lernte
                                                                                    er aber zuerst einen «richtigen
                                                                                    Beruf» und so wurde er Schreiner.
                                                                                    Er besuchte Kurse an der Kunstge-
                                                                                    werbeschule, studierte figurative
                                                                                    Bildhauerei in Prag und schloss die
                                                                                    Bildhauer-Schule in Brienz ab.
                                                                                          Inzwischen verheiratet und
                                                                                    Vater von zwei Söhnen, musste der
                                                                                    54-Jährige neben seiner Tätigkeit
                                                                                    als Künstler lange einer Arbeit
                                                                                    nachgehen, um den Lebensunter-

VON HAND
                                                           halt für die Familie zu bestreiten. Er war mehrere Jahre
                                                           Werk- und Zeichenlehrer in Ennetbürgen. Aufgrund der
                                                           wachsenden Zahl an Projekten konzentrierte er sich
                                                           dann aber voll und ganz auf die Kunst.

GEMACHT
                                                                  Lussi verwandelt Holzstücke mithilfe von Ketten-
                                                           säge, Trennscheibe und Schnitzmesser zu originellen
                                                           Skulpturen. Bekannt wurde er vor allem durch sein Werk
                                                           «Kaninchen», welches aus 144 Albino-Kaninchen be-
                                                           steht. Bei diesem Werk wird besonders gut sichtbar, dass
Im Rahmen einer Kommunikationswoche                        Lussi meist zwei Gegensätze darstellt. Hier stellt er das
des Kollegiums St. Fidelis Stans schreiben                 Schöne und Niedliche dem Bedrohlichen der Kaninchen-
                                                           plage gegenüber.
die drei Schülerinnen Anina Gander,                               Ein Grundthema bei Lussi ist die Haut. Sie ist einer-
Nina Rohrbach und Rosa Henn                                seits Schutz für den Körper, andererseits sehr verletzbar.
über künstlerisches Handwerk ihrer Wahl.                   «Das Gegenteil vom Verletzbaren ist das Wehrhafte.
                                                           Tiere haben dazu Hörner, der Mensch nutzt seine Intelli-
                                                           genz und kann dadurch auch perfide sein.» An diesem
                                                           Beispiel erklärt der Künstler die Spannungsfelder, in
                                                           denen er sich bewegt. Für ein grösseres Projekt hat er
                                                           kürzlich die Haut eines Menschen, die eines Elefanten
                                                           und Baumrinde in grosse Holzwände gesägt, die dann
                                                           später in einem Gebäude montiert wurden.
                                                                  Oft stellt er mehrere ähnliche Stücke her, genau
                                                           gleich sind sie jedoch nie. Schliesslich ist jedes einzelne
                                                           ein Unikat, auch weil es in Handarbeit gefertigt wird.
                                                           Lussi hat schon rund 100 000 Objekte hergestellt. Bei der
                                                           Ausstellung in Kuba, die in diesem Heft besprochen
                                                           wird, stellt er ein paar davon aus.
                                                           Nina Rohrbach

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