SCHO NO SCHÖN - www.null41.ch Juli / August 2019 SFr. 9.
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ABENDKURSE & TAGESKURSE MALEREI, FIGUR & AKT, ZEICHNUNG UND FARBE, DIGITALE FOTOGRAFIE – GRUND- 2019 LAGEN, ADOBE: INDESIGN / PHOTOSHOP / 2020 ILLUSTRATOR, TRICKBOXX. NEUE KREATIVE KURSE FÜR KINDER, JUGENDLICHE UND ER- WACHSENE. G ESTALTEN SIE SICH WEITER: HSLU.CH/ABENDKURSE Written and Directed by RITESH BATRA («LUNCHBOX») AB 11. JULI IM KINO
EDITORIAL Nach dem Schönen gefragt sind sich Touris und Leser*innen einig: Der Pilatus punktet aus jeder Sicht. SCHÖN SO! ¡ Ǥ ǡ- wegen, besitzt seine ganz eigene Schönheit, Liebe Leser*innen Ǥ Wer sich umhört, weiss: Wir verwenden den ò- Ǽ Úǽϐ¡Ǥǡ ner durch Luzern und schaut genauer ǡ ǡ¡¡ Ǥϐ Ú Ǽ ÚǽǤ ǡϐ± - Pascal Zeder Úǡ ǡǤ Redaktionsleiter ad interim Farbe, der Kunst, der Sprache ò ǡ ǦǦǤ Ǥ ǡ "Ǥ ȗ ò Ú Ǥ ò Ú ǡ Úǡ ǡ Ǥ ò Ǥ ¡- Ǥ ǣ Ú ÚǨ "Ǥ ϔǡǡ Ǽ ǽ unsere Korrektorin Petra Meyer am 14. Juni wie viele andere Frauen* ǤǼͶͺͷȂǽǡ ¡ǡ ǡ ò Ǥ Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 3
INHALTSVERZEICHNIS Inselgefühle: die Zentralschweizer Kunstszene in Havanna > Seite 10 Ein Herz und eine Aussicht: der Skulpturenpark im Gütsch > Seite 20 CUBA LIBRE 22 Kunstschaffende reisen in die Karibik – im Gepäck sind Werke Editorial > Seite 3 Guten Tag > Seite 5 Poliamourös für ein riesiges Projekt > Seite 10 Anna Chudozilov über schöne Formen des Widerstands > Seite 6 Kosmopolitour CITYWALK Samuel Imbach über die lückenhafte Kapellbrücke > Seite 7 Stadt – Land Blick durch die Linse aus Luzern und Kriens > Seite 8 Der Luzerner Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner zeigt seine Detailverliebt Lieblingsplätze > Seite 16 Was ist schön? Kleine Beobachtungen aus dem Alltag. > Seite 24 Aktuell ANARCHIE Die IG Kultur durchläuft einen Wandel – ein Zukunftsgespräch > Seite 26 Exkurs Stanser Schülerinnen schreiben Kunstporträts > Seite 28 René Gisler und sein Alter Ego: ein neologistisches Interview > Seite 20 Überdacht Urs Bösch und Lisa Schmalzried über die Wichtigkeit von Schönheit in unserem Alltag > Seite 30 ICE ICE BABY Philosoph Yves Bossart weiss, was die Wahl am Glacestand Nachschlag Stephanie Elmer über das familieneigene Hotel und krumme Rüebli > Seite 32 über uns aussagt > Seite 22 Käptn Steffis Rätsel > Seite 70 Gezeichnet > Seite 71 Titelbild: Lina Müller KULTURKALENDER Film > Seite 42 Kunst > Seite 44 JULI/AUGUST 2019 Veranstaltungen > Seite 46 Bau > Seite 33 Ausstellungen > Seite 61 Musik > Seite 34 Ausschreibungen > Seite 66 Wort > Seite 40 Impressum > Seite 68 Kids > Seite 41 Adressen A-Z > Seite 68 4 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
GUTEN TAG GUTEN TAG, LUZERNER BAU- UND GUTEN TAG, VERKEHRSKOMMISSION INFOSCREENCONTENTMANAGER! Ihr plant in Reussbühl eine extrabreite Strasse, Der Luzerner Bahnhof schmückt sich nun also die bereits den Zugang zur künftigen Spange Nord mit dem längsten Infoscreen der Schweiz – sogar miteinbezieht? Offenbar war Euch der Unmut der überregionale Medien berichteten über diesen einen Reussseite nicht genug, Ihr sucht den Wider- Rekord. Und auch wir wollen diese Anzeigetafel der stand auf beiden Flussseiten. Wenigstens etwas, das Superlative würdigen. Allerdings möchten wir Ihr im Rahmen dieses Monsterprojekts erreicht habt. Euch auch daran erinnern: Es kommt nicht auf die Länge an, sondern auf die zielorientierte und Ausgeglichen, «041 – Das Kulturmagazin» kreative Anwendung. Technikaffin in more than one way, «041 – Das Kulturmagazin» GUTEN TAG, RETO WYSS Sie verlassen das Bildungs- und Kulturdeparte- ment zusammen mit der Meldung über ein 2,3-Millio- nen-Loch in der Kasse der Pädagogischen Hochschule. GUTEN TAG, LUZERNER TATORT Da Ihnen die Qualität der Bildung so am Herzen lag, Eigentlich wohl eher guten Sonntagabend und kürzte Ihr Departement die Beiträge an die PH in vier bald dann gute Nacht, aber das ist Wortklauberei Jahren um die Hälfte, sprich vier Millionen Franken. und wir wollten Dir was ganz anderes noch sagen, Zum Glück wechseln Sie jetzt zu den Finanzen, dann bevor Du ganz verschwindest: Vielleicht hat man ja schaffen Sie die andere Hälfte bis Weihnachten. auch zu Recht an Dir rumgemeckert, Dich und Deine Ästhetik, Dich und Deine hölzernen Dialoge, Dich Ferienreif, «041 – Das Kulturmagazin» und Deine blutleeren Charaktere kritisiert. Aber tief in unseren Herzen waren wir immer auch stolz auf Dich, haben uns jedes Mal gefreut, wenn unsere Stammbeiz kurz im Bild war, das Treppenhaus unserer Universität gekonnt ins Bild gesetzt wurde GUTEN TAG, FRAUEN! oder ein Autobahnabschnitt, den wir selber Der Frauenstreik war unglaublich. Was für eine besonders gut mögen, die Bühne für den Showdown Vielfalt von Forderungen, was für ein Nebeneinander gab. Gib also nochmals alles in der allerletzten Folge. von widersprüchlichen Emotionen, und vor allem: was für ein Miteinander. Was für eine enorme Welle Bald nostalgisch, «041 – Das Kulturmagazin» von Gemeinschaft und Solidarität! Ehrlich jetzt, das war der beste Tag seit Langem. Bitte haltet die Zentralschweiz weiterhin in Bewegung. Tief befraut, was auch immer das genau heissen mag, «041 – Das Kulturmagazin» Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 5
POLIAMOURÖS Widerstand ist eine Kunst. Das haben der Unterschied liegt zwischen dem tragen. Oft ist es ja vielmehr so, dass sich die Leute vom «Zentrum für Poli- Zerfleischen und dem Ertrinkenlas- man das Hinsehen kaum aushält. tische Schönheit» auf die Webseite ge- sen im Mittelmeer. Dann war da auch Weil Leute Fakten und Meinungen schrieben. der Aktionsbus, der Jugendliche an vermischen, Entscheidungen und Text: Anna Chudozilov Dieses Credo das Erbe der Geschwister Scholl Zwangsläufiges nicht auseinanderhal- Illustration: Anja Wicki setzt das Künst- mahnte und fürs Flyern in Diktaturen ten wollen, je nach Grosswetterlage ler*innenkol- zu gewinnen vorgab. Oder die akri- (im wortwörtlichen Sinn) ihre Hal- lektiv klug, witzig und immer radikal bisch geplante Aktion, die zeigte, dass tung zu wichtigen Fragen unserer Zeit um. Als «aggressiven Humanismus» sich innert weniger Tage Tausende ändern. Und dann auch noch in einem beschreibt das vor allem in Deutsch- Menschen fanden, die minderjährige Ton, der definitiv keine Musik macht. Schöne Politik also, mehr mora- lische Schönheit, politische Poesie Schöne Politik und menschliche Grossgesinntheit. Das wünsche ich mir auch für Luzern, gerade für die Kulturpolitik. Umstän- land agierende Kollektiv seine Hal- Flüchtlinge bei sich Zuhause aufneh- de klar und deutlich machen, Alterna- tung, sieht sich als «Sturmtruppe zur men wollten – die deutschen Politi- tiven aufzeigen, Forderungen un- Errichtung moralischer Schönheit, ker*innen hingegen machten keine missverständlich Nachdruck verlei- politischer Poesie und menschlicher Anstalten, sich für die Kinder einzu- hen. Das «Zentrum für Politische Grossgesinntheit». Grundüberzeu- setzen. Schönheit» könnte den einen oder an- gung sei, so steht es auf der Webseite, Viele halten die Aktionen für deren Ableger vertragen. dass die Lehren des Holocaust durch zynisch – eine Perspektive, die aus die Wiederholung politischer Teil- meiner Sicht verpasst, dass zynisch nahmslosigkeit, Flüchtlingsabwehr nicht die Aktion ist, sondern die Um- und Feigheit annulliert werden. Und stände, die angeprangert werden. das gilt es zu verhindern. Manche sehen nicht, was politisch In ihren Aktionen spielen die sein soll an Tigern, andere nicht, wo Humanisten mit den Grenzen des so- denn die Kunst steckt in einem genannt guten Geschmacks, provo- Aufruf, Flüchtlingskinder aufzuneh- zieren durch das Inszenieren, das men. Ich halte die Aktionen tatsäch- Überspitzen von Wirklichkeit, lich für bestechend schön: klar in machen fassbar, was unbegreiflich Form und Inhalt, oft mit sehr viel scheint. Da war zum Beispiel die Recherche, Organisation und In- Arena mitten in Berlin, vier Tiger szenierung verbunden und den- darin und der Aufruf an Geflüchtete, noch – oder gerade: deswegen? – sich von den Tieren zerfleischen zu extrem nahegehend, anregend, lassen, um gegen das Beförderungs- aufregend. verbot für Flüchtlinge zu demonstrie- Schönheit, so schreibt die Phi- ren. Dieses sorgt dafür, dass flüchten- losophin Lisa Schmalzried weiter de Menschen statt ein paar Hundert hinten in diesem Heft, das ist Wohlge- Euro an eine Fluggesellschaft mehre- fallen, das nicht gesättigt wird durchs re Tausend Dollar an Schlepper bezah- Schauen (etwas arg verkürzt, ich len. Wer sich über die Tiger empört, weiss). Davon könnte die politische muss sich die Frage gefallen lassen, wo Kommunikation zweifellos mehr ver- 6 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
KOSMOPOLITOUR tete die kleinen Fische, die Luenzli, die am Köder schnupperten und nicht selten zuschnappten. Und immer wieder blickte ich auf die alten, dunk- len, dreieckigen Bilder, die von riesi- gen, fetten Spinnen und ihren grossen Spinnweben umgeben waren. 1982, nach der Grafiker-Ausbil- dung an der Schule für Gestaltung, habe ich Luzern verlassen und bin auf Umwegen über London und Amster- dam in Düsseldorf gestrandet. Seit 1984 lebe ich als freischaffender Kunstmaler in dieser Stadt. In all den Jahren konnte ich in vielen Ausstel- lungen in Deutschland, Holland, Ös- terreich und der Schweiz meine Werke ausstellen. Doch den Bezug zur Heimat habe ich behalten. Luzern ist eine Stadt der Lebensfreude, des Feierns Samuel Imbach: ein Luzerner im Exil und der schönen Künste. Existenzia- lismus, Purismus, calvinistische oder zwinglianische «Bescheidenheit» sind keine Luzerner Eigenheiten. Auch der aus Zürich stammende Maler Hans Heinrich Wegmann, der zusammen mit seinen vier Söhnen den Kapellbrücken-Bilderzyklus Dreieckige Bilder schuf, und die Luzerner Räte mit dem Stadtschreiber Renward Cysat, die den Auftrag an den Maler vergaben, waren offensichtlich Freunde der Lu- Am Abend des 18. August 1993 verab- Frage, ob (oder wie) man die durch den zerner Offenheit und Genussfreudig- redete ich mich mit meinem Luzerner Brand zerstörten Kapellbrückenbilder keit. Die Giebel-Lücken leer zu lassen , Freund Edi in Düsseldorf. Edi kam aus Bilder endlich ersetzen will. Eine Ant- ist keine Lösung im Sinne der Luzer- beruflichen Gründen für zwei Tage in wort auf die Frage war damals nicht in ner Tradition. Die Brücke wäre ohne die Stadt. Sicht. Da muss man etwas machen, Bilder ein (historisches) Konstrukt Als wir uns trafen, erzählte er dachte ich! – nach einem Vierteljahr- und nicht das Gesamtkunstwerk, das mir etwas aufgeregt, wie er nach dem hundert! Seit dem schrecklichen seit Jahrhunderten Gäste aus aller Einchecken im Hotelzimmer den Brand der Kapellbrücke im Jahr 1993 Welt begeistert. Fernseher anmachte und als erste und dem dabei erlittenen Verlust der Diese Überlegungen veranlass- Bilder die brennende Luzerner Kapell- über 80 Giebel-Bilder stellt sich auch ten mich im Sommer 2018 dazu, mich brücke sah. Weltweit wurden diese für mich immer wieder die Frage: Wie bei der Regierung der Stadt Luzern als Bilder in den Nachrichten gesendet. wird man mit diesen Giebel-Lücken Schaffer der neuen Kapellbrückenta- Es war unglaublich! «Unsere» Brücke umgehen? Lässt man sie offen? Blei- feln zu bewerben. Ich bin sehr ge- brannte. Wir gingen in die damals an- ben die verkohlten Bilder als Mahn- spannt, wie es weitergeht. gesagte Melody-Bar in der Düsseldor- mal für immer hängen? Werden fer Altstadt und arbeiteten uns trös- Kopien im Las-Vegas-Stil erstellt? tend durch die Cocktail-Karte. Gibt es Ersatz aus alten Beständen der 25 Jahre später, im Sommer ehemaligen Hofbrücke oder setzt 2018, besuchte ich einige Male Luzern, man neue Malerei ein? um eine Ausstellung für den Kunst- Mein Bezug zur Kapellbrücke Samuel Imbach stammt ursprünglich raum Hochdorf vorzubereiten. In geht tief. Als Kind fischte ich oft von aus Luzern und schloss hier die Grafi- kerausbildung an der Schule für Ge- dieser Zeit las ich in der lokalen Tages- ihr aus in der Reuss. Ich hing über den staltung ab. Seither lebt und arbeitet zeitung verschiedene Artikel zur alten Geländer-Balken und beobach- er in Düsseldorf als Kunstmaler. Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 7
STADT 14. JUNI, FREILICHT-THEATER, EWL-AREAL LUZERN «Shakespeares Liebeswirrwarr auf Schlittschuhen» Bild & Wort: Mo Henzmann 8
LAND 13. JUNI, B-SIDES FESTIVAL, SONNENBERG KRIENS «Wenn die Stadt auf den Sonnenberg pilgert» Bild & Wort: Daniela Kienzler 9
FOKUS: KUBA REVOLUTION IM ART SPACE 22 Zentralschweizer Künstlerinnen und Künstler reisten im Juni nach Kuba, um dort an zwei Orten auszustellen. «Von Insel zu Insel» ist eine Pionierleistung; noch nie zeigten so viele Schweizer Kunstschaffende ihre Werke im Karibikstaat. Text: Nina Laky Bilder: Nique Nager 10
Kunst schafft Verbindungen: Die Ausstellung «Von Insel zu Insel» bietet Raum für Austausch. 11
Claudia Buchers Performance hinterlässt Spuren. 12
FOKUS: KUBA Hat das Projekt während drei Jahren geplant: Galeristin Evelyne Walker Die Hängung der Bilder: Ausstellung im «Revolution Art Space» Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 13
FOKUS: KUBA F.A.C – diese drei Buchstaben gingen der Luzerner Galeristin Evelyne Walker nach ihrem Kuba-Aufenthalt 2016 nicht mehr aus dem Kopf. «La Fábrica de Arte Cubano», kurz F.A.C, steht im Zentrum Havannas. In der alten Speiseöl- fabrik aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts haben kubanische Künstler und Musikerinnen 2014 einen kul- turellen Referenz- und Treffpunkt geschaffen. Auf dem Areal befindet sich auch der erste Nachtclub der Stadt. «Als ich in der F.A.C stand, dachte ich: Hier drin will ich mit meinen Künstlerinnen und Künstlern ausstellen!», erzählte Evelyne Walker wenige Tage, bevor sie für die Vernissage ihrer Ausstellung «Von Insel zu Insel» am 7. Juni dorthin flog. Zusammen mit 22 Kunstschaffenden aus dem Raum Zentralschweiz, die meisten stehen im engen Kontakt zur Galerie Vitrine, die Evelyne Walker führt. Ausstellung 1 – Revolution Art Space Nun werden es sogar zwei Vernissagen sein. Die Nachricht, dass die F.A.C für unbestimmte Zeit wegen Renovationsarbeiten am undichten Dach geschlossen wird, erhielt Evelyne Walker Ende Mai. «Ich dachte, es sei ein Scherz. Wie weiter? Alle, die zur Ausstellung reisen, hatten ja bereits ihre Tickets. Was dann passierte, war reine kreative Improvisation», sagt sie erleichtert. Kur- zerhand fand sie mithilfe der Schweizer Botschaft in Ha- vanna einen anderen Ausstellungsort: das Revolution Art Space. Dort hält der bekannte Künstler Nelson Ramírez de Arellano Conde, Direktor des nationalen Fotomuse- Maler Beat Bracher (Mitte) vertieft in Gespräche ums, am 7. Juni die Laudatio, der Luzerner Jesco Tscho- litsch spielt auf seiner Gitalele und die Künstlerin Clau- dia Bucher zeigt eine Performance. Diese sagte im Vor- feld der Reise: «Ich merke bei den Vorbereitungen, dass alles noch sehr fern ist. Mein Kopf ist voller Bilder, das ist Stress und Reiz zugleich, das möchte ich aushalten.» Der Ort beeinflusse ihre Arbeit: «Mit dem Material Zucker, welches ich für meine Performance oft gebrauche, wäre es im kubanischen Kontext schwierig.» Jesco Tscholitsch hat Einzelteile seiner Arbeiten nach Kuba transportieren lassen, um dort damit zu arbei- ten: «Meine Werke sind biologisch abbaubar und bleiben am Ende der Ausstellung in Havanna.» Der Maler Bruno Müller-Meyer ist an der Vernissage ebenfalls dabei. Er zeigt ein grossformatiges Gemälde vom Matterhorn: «Vor Ort zu arbeiten wäre für mich in so kurzer Zeit un- möglich. Die Zeit würde nicht reichen, die Eindrücke zu verarbeiten.» Es wäre komisch, so meinte Maler Beat Bracher im Vorfeld, dort mit einer «Kuba-Maske» zu produzieren. «Ich war noch nie in Kuba, ich habe mit diesem Land keine Berührungspunkte, darum zeige ich Werke von hier, aus der Schweiz. So kann ich mich voll und ganz auf Passiv rauchend: Jesco Tscholitsch die Künstlerinnen und Künstler vor Ort und die hoffent- Passiv trinkend: Sylvan Müller lich zahlreichen Begegnungen konzentrieren.» 14 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
FOKUS: KUBA 22 Zentralschweizer Kunstschaffende sind am Projekt «Von Insel zu Insel» beteiligt: Thomas Baggenstoss Jürg Benniger Beat Bracher Claudia Bucher Davix Dogan Firuzbay Martin Gut Lucie Heskett-Brem, Felix Kuhn Eve Lene Rochus Lussi Sipho Mabona Sylvan Müller Bruno Müller-Meyer Nique Nager Rob Nienburg Roland Pirk-Bucher Verena Renggli Henri Spaeti Ursula Stalder Pat Treyer Jesco Tscholitsch Stephan Wittmer Tapeten statt Farbe rinnen in Empfang nehmen. Dass nun «Von Insel zu Dass alle Bilder, Leinwände, Schmuckstücke, Foto- Insel» an zwei Orten gezeigt wird und die Ausstellung im grafien, Videos und Skulpturen in Kuba heil angekom- F.A.C sogar bis Ende September verlängert wurde, be- men sind, hat Evelyne Walker der Hilfe der Schweizer geistert Evelyne Walker: «Die Freude ist nun hoch zwei! Botschaft zu verdanken. Diese übernahm zudem Werbe- In der Fábrica befinden sich von Donnerstag bis Sonntag tätigkeiten und unterstützte das Projekt finanziell. «Mir täglich zwischen 1500 und 2500 Leute. Das ist eine Rie- war es wichtig, dass jeder und jede das mitbringt, was senchance für die Kunstschaffenden, nachhaltige Kon- ihm oder ihr am Herzen liegt», so Evelyne Walker. takte zu knüpfen.» Tücken bei der Organisation habe es natürlich viele gege- Die künstlerische Tätigkeit auf den beiden Inseln ben, sie könne gar nicht alle aufzählen: «Der schwarze unterscheidet sich aber grundlegend. «Nach der Ausbil- Kübel Farbe beschäftigt mich aber immer noch! Schwar- dung ist man in Kuba auf sich allein gestellt, die meisten ze Farbe zu importieren, war nicht möglich. Also musste produzieren und führen gleichzeitig eine Galerie. Das ich auf Tapeten ausweichen; das nur als kleines Beispiel.» kennen wir in der Schweiz kaum», sagt Evelyne Walker. Der Objektkünstler Felix Kuhn zeigt genau diese Schwie- Und Materialien wie Klebeband, Bostitch, Farbstifte rigkeiten auf. Er hat 365 Postkarten nach Havanna ge- oder Pigmente seien im bürokratisch-autoritären Staat schickt. Aktuell sind davon 252 angekommen. Daraus praktisch nicht erhältlich. Wie geht sie mit dieser Diskre- entsteht in Kuba ein lückenhaftes Bild. panz um? «Wir müssen dorthin, weil die meisten kubani- Lücken gab es auch in der Finanzierung des Pro- schen Künstlerinnen und Künstler es sich nicht leisten jekts; jedenfalls hat die Absage der Stiftung Pro Helvetia können, zu uns zu kommen. Die Vorfreude ist jedenfalls Evelyne Walker hart getroffen: «Ich war sehr enttäuscht, auf beiden Seiten riesig, und ich bin mir sicher, dass der denn das Projekt hat alle Bedingungen erfüllt. Die Austausch alle bereichern wird», erklärt Evelyne Walker. Absage war für mich nicht nachvollziehbar.» Das riesige Jetzt müssen nur alle noch die letzten Koffer Projekt haben am Ende Kantone, Stiftungen und Kultur- packen. Darin befinden sich Materialien wie Pigmente fonds sowie Gönner und Freundinnen der Galerie Vitri- oder Klebebänder, die auf der Insel schwer erhältlich sind. ne mitrealisiert. «Alle Werke warten in Havanna schon auf uns!», sagt Evelyne Walker vor der Abreise. Es kann losgehen. Ausstellung 2 – F.A.C Nach drei Wochen in der Galerie Revolution Art Space zügelt die Ausstellung am 18. Juli in die F.A.C, die dann wieder offen sein wird. Dort wird Chefkuratorin Cristiana Diaz die Werke der Schweizer und Schweize- Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 15
FOKUS: SCHÖNHEIT Ein «Heinz» fürs Quartier: Die Kreiselskulptur am Kreuzstutz hat über Luzern hinaus Berühmtheit erlangt. WÜRDIGUNG DES UNGESEHENEN Die bekannten Sommer-Hotspots am See oder in der Altstadt lassen wir links liegen. Stadtplaner Jürg Rehsteiner zeigt uns sein sommerliches Luzern. Text: Jonas Wydler 16 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
FOKUS: SCHÖNHEIT Idyll trifft Beton: die Autobahnbrücke vor der Museggmauer Hinter uns rauscht der Morgenverkehr über die Brücke, engstem Raum machen für den Stadtarchitekten die vor uns blicken wir über die weite Reuss, die von der Au- Qualität von Luzern aus – man muss sich nur umsehen: tobahnbrücke geschnitten wird. Am Horizont der präch- die Stadt am Wasser, die «30er-Jahre-Ikone» St.-Karli-Kir- tige Musegghügel. che, das über 100-jährige Schulhaus. Wir machten uns mit Jürg Rehsteiner auf eine Tour abseits der bekannten Pfade. Seit neun Jahren ist er Lu- «Heinz» als Symbol für die Teilhabe zerner Stadtarchitekt, sein Blick ist noch frisch. «Wie sich Jürg Rehsteiner steuert auf eine jüngere Errungen- die Stadt verändert, merke ich erst jetzt langsam. Es schaft zu: den Kreuzstutz-Kreisel mit dem stoischen dauert etwa sieben Jahre, bis man die planerischen Ver- «Heinz», der mit seinen Latten unter dem Arm im dich- änderungen sieht.» ten Verkehr steht. Ihn kennt seit dem Film «Rue de Bla- mage» die halbe Schweiz. St.-Karli-Brücke: Realitäten prallen Die Figur von Künstler Christoph Fischer hat es aufeinander dem Stadtarchitekten angetan. Es sei ein gutes Beispiel, Auf der Brücke verweilen sonst höchstens die Fi- wie man mit einem verkehrsgeplagten öffentlichen scher, für Rehsteiner ist der Ausblick reizvoll, weil er zwei Raum umgeht. «Heinz», der langjährige Strassenputzer, Realitäten vereint: «Die Museggmauer mit ihrem grünen ist das Ergebnis der künstlerischen Auseinanderset- Vorland ist eine städtische Idylle.» Darunter sticht die zung mit dem Ort. «Durch die persönliche Verbunden- massive Autobahnröhre ins Blickfeld. «Die ist natürlich heit des Künstlers erhält er eine Bedeutung», sagt weniger attraktiv, aber sie gehört genauso zur Stadt», sagt Rehsteiner. er. Ein Stich ins Städteplaner-Herz? «Natürlich würde Diese Verbundenheit sei in Luzern spürbar, Be- man die Autobahn heute nicht mehr so planen», sagt wohner und Bewohnerinnen seien stolz auf ihre Stadt Rehsteiner und verweist auf den städtischen Protest und bringen sich privat ein. «Daraus ergibt sich ein ande- gegen die Spange Nord. Aber die Brücke ist ein Abbild der rer Umgang mit dem öffentlichen Raum, das ist eine Be- damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse. «Damit reicherung meines Jobs.» Nicht nur professionelle Ent- müssen wir Planer heute umgehen», sagt er. Nur pure wickler prägen die Stadt. «Am Schluss geht’s immer um Idylle wäre langweilig. Die Mischung und die Vielfalt auf Menschen», sagt er. Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 17
FOKUS: SCHÖNHEIT Wird in Zukunft zu reden geben: das Gebiet um das Säli-Schulhaus Russischer Skulpturenpark beim wald. Hier tut sich überraschend ein riesiges grünes Ge- Château Gütsch lände auf. «Ein Ort der Zukunft», sagt Rehsteiner. Die Einmal scharf links abbiegen, und man landet von frühere Deponie ist heute eine Naturlandschaft – und der lauten Bernstrasse in der Ruhe des Gütschwaldes. gleichzeitig eine der grössten städtischen Landreserven. Wir erreichen das «Fantasie-Schlösschen», das man von In zehn bis zwanzig Jahren soll hier eine Wohnüberbau- fast überall in Luzern sieht. «Architektonisch nicht gran- ung realisiert werden. «Bauen auf der grünen Wiese, das dios, aber ein Hingucker», sagt Jürg Rehsteiner. Es passe gibt’s sonst in der Stadt nicht mehr», sagt Stadtarchitekt irgendwie zu Luzern – sehr grosszügig, aber auch eigen- Rehsteiner. Wichtig sei aber die Anbindung an die Luzer- willig und speziell. Wir sind wegen des Ausblicks hier. nerstrasse. «Nirgends hat man die Stadt so schön vor sich», sagt er. Im Zentrum von Littau hat die Zukunft schon be- Das gestaffelte Panorama reicht vom Wald über die Alt- gonnen, links der Strasse schiessen Neubauten in die und Neustadt und den See bis zu den Alpen. «In keiner Höhe. «Im Moment ist es hier noch etwas ‹agglomerativ›, anderen Stadt sind diese Qualitäten so nah.» daraus versuchen wir, Stadt zu machen», sagt Rehsteiner. Den Ort hat sich der russische Hotelbesitzer Die Stadt Luzern und Littau zusammenzubringen, sei Alexander Lebedev für seinen Skulpturenpark ausge- eine spannende Aufgabe. sucht, der vergangenes Jahr etwas unter dem Radar der Rehsteiner steuert auf das 60er-Jahre-Zentrum Öffentlichkeit eröffnet hat. Nun stehen hier wetterfeste «Fanghöfli» zu. Eine spannende Schnittstelle zwischen Werke aus seiner Sammlung – etwa das grosse rote Herz. dem ursprünglichen Dorfzentrum mit Beiz und Kirche Über die Kunst kann man sich streiten, aber ein solches und dem neuen Entwicklungsgebiet entlang der Luzer- privates Engagement habe auch nicht jede Stadt. Am Ein- nerstrasse. Der Parkplatz auf der ehemaligen Rückseite gang zum Kunstpark steht ein Ticketautomat, den Ein- des Zentrums soll sich zu einem neuen öffentlichen tritt gibt’s zum Aktionspreis von 8 statt 12 Franken. Raum entwickeln. «Hier sieht man exemplarisch, wie sich die Schwergewichte verändern», sagt Rehsteiner. Littau: Hier geht die Post ab Für den Stadtentwickler lautet die entscheidende Frage: Kurz vor dem Littauer Zentrum erreichen wir das «Machen die Einheimischen gleich schnell mit wie die Quartier Längweier-Udelboden direkt am Zimmeregg- bauliche Entwicklung?» 18 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
FOKUS: SCHÖNHEIT Himmelrich 3 (Visualisierung): Blick von der Bleicherstrasse in die geplante Marktgasse Säli-Schulhaus als Vorbild Der Entscheid für den Abbruch fiel 2011 in seine Wir sind zurück in der Innenstadt beim Säli-Schul- Anfangszeit als Stadtarchitekt. «Aufgrund technischer haus. Rehsteiner blickt in die Vonmattstrasse. «Hier sind Mängel waren die Bauten nicht mehr verhältnismässig wir am Rand der Stadterweiterung auf der Grundlage des zu sanieren», so Rehsteiner. Die neue Überbauung er- 19. Jahrhunderts.» In der Strasse wurde und wird gerade möglicht zudem mit rund 30 Prozent mehr Wohnfläche viel renoviert. Viel Grün säumt die Häuser. Das Stadtkli- eine substanzielle Verdichtung. «Der klassische Block- ma mit Grünflächen sei für die künftige Städteplanung rand greift den Städtebau der historischen Neustadt auf.» ein grosses Thema. «Das ist unglaublich spannend, hier Die Architektur besinne sich auf das 19. Jahrhun- könnten wir auch irgendwo in Frankreich sein.» dert zurück. «Diese hat sich als städtebaulich sehr taug- Die Schulanlage daneben wurde mitten in den lich erwiesen und ist ästhetisch nachhaltig.» Darum Raster der Blockrand-Bauten hineingeplant. Sie ist über werde sich die Überbauung mit einer hohen Selbstver- die Jahrzehnte gewachsen und hat so einen grosszügigen ständlichkeit in den Stadtkörper einfügen, ist Rehsteiner Raum geschaffen. «Neben dem Vögeligärtli ist das eine überzeugt. «Das Himmelrich 3 will nicht behaupten, dass der spannendsten Grünflächen», sagt Rehsteiner. es das unglaublichste Wohngebäude der Welt ist, son- Wenige Städte hätten Räume von solcher Qualität, dazu dern es stellt guten Wohnraum und gute Aussenräume müsse man Sorge tragen. Die Stadt nehme hier ihre Vor- zur Verfügung – das ist die Qualität.» bildfunktion wahr. «Bildung ist wichtig, darum müssen es besondere und qualitätvolle Bauten sein.» «Himmelrich 3»: zurück ins 19. Jahrhundert Wir beenden die Tour in der Claridenstrasse, jetzt noch eine Baustelle, aber in einigen Jahren ein neuer öf- Jürg Rehsteiner ist seit 2010 Luzerner Stadt- fentlicher Boulevard. Der Städteplaner lobt die architekt. Er hat in Zürich und St.Gallen studiert ABL-Überbauung «Himmelrich 3», welche die alten Zei- und hat unter anderem im Amt für Städtebau lenbauten ersetzt hat. der Stadt Zürich gearbeitet. Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 19
FOKUS: SCHÖNHEIT DIE ANARCHIE DER SPRACHE Der Luzerner Künstler René Gisler hat mit seinem Werk «Thesaurus rex» eine Sammlung von Neologismen geschaffen. Im Interview spricht er mit Phrasardeur, seinem Alter Ego, in fliessendem «Neutsch» über die Anarchie der Sprache und die Schönheit von Worterfindungen. Interview: René Gisler Illustration: Gabi Kopp 20 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
FOKUS: SCHÖNHEIT René Gisler: Herr Phrasardeur, zuerst eine Wer sich innen Duden sperren lässt, ist doch nicht Frage zu Ihrer Person. Sie schreiben unter ganz dichter. Richticke Vorblinder zumindest gebähren einem Pseudonym. Ist es das, was Sie unter sich underst. Wobei es mir (mehr Licht!) gesagt lieber Anarchistentum verstehen: Anonymität? wäre, Sie verwendeten den Ausdruck Kofferwort statt Haben Sie etwas zu verbergen? Oder: Wovor Wortschöpfung. Schöpfung, das klingt so gewollt. haben Sie Angst? Phrasardeur: Sagten Sie Anarchristentum? Ich Mmh. Ok. Gut. Dann halt nun gewolltfrei. dachte immer, die glauben an nichts. Mein Pseudonimm Braucht es nun aber die Anarchie in der Sprache beschränkt sich immerhirn nur auf mein Altar ohn Lein überhaupt? Reichen unsere verbalen Ego. Andere machen da gefiel Meer pseudo um Allerlei, Ausdrucksmöglichkeiten nicht bereits? Oder nicht? Und, ja. Was das Verb bergen betrifft, die hab ich könnte die Anarchie am Ende gar dazu eh zugegebenermassen gern. Zudem sind die auf und ab beitragen, dass die Menschen einander endlich für mein Abundzu ständig. besser verstehen? Das mit dem Verstand ist so eine leidig Gesachte. Was haben Kofferworte (gemeint sind Worterfin- Obwohl der Kopf vom Sagen her rund ist, ändern die Ge- dungen, die aus mehreren bestehenden Worten gebildet denkel nicht das Richttun. Mit Ohnetand bleibt immer- wurden, Anmerkung der Red.) mit Anarchie zu tun? hin der Vers. Und klingt ein Veilchen mit. Doch wähn wir Und wieso und wie soll nun ausgerechnet dieser schon mit hehren Habsichten sprechnen, ansterbens- Aspekt der Sprache Schönheit vermitteln? wert wär die Gewählt, wo sich die Menschen besser nicht So ein K.O.fferwort, wie zum Breispiel Kung-Food, verstehen. hat dreifelsfrei mehr Zweigenleben. Was man von B-Griffen wie Humankapital und Kartoffelstock nicht Um nochmals auf Ihre Schreibe zu sprechen zu sagen kann. Neben zwischen den Zeilen kommt auch kommen: Welchen Beitrag leistet Sprache in zwischen den Stuchbaben Interpretationsspiel-Raum der Kunst, und was ist aus Ihrer Sicht gute – oder hinzundkunzu. Da nun laber alles Spiel Regeln imblüh- eben «schöne» – Literatur? ziert und das Biegeln der Regen zum Spührball wird, ist Leisten. Wenn ich das stöhre, dreht sich mein das schon ungeschönt schön, gerate auch tsumal die Lee- Schuhmacher im Rab um. Die Literathur verdingt ihr seherin und der Lesehr ohngewollet Komplizen des Geild am obstkuren Horten. Die Schöne kriegt viellleich Outd’ors werden. etwas mehr als triviale. Die Macht die Bilder en passant. Wie kann der Künstleer überhaupt noch etwas oder je- Wenn ich Sie richtig verstehe, ziehen Sie manden herreichen, wenn nicht munterschwellig? Im Mehrdeutigkeit präzisen Aussagen vor. Statt Gehheimen quasieg. Können Sie sich noch an Ihre erste Schwarz und Weiss propagieren Sie Grau. Und Kommunikation erinnern? Eben. Schuld daran sind die Lesenden. Denken Sie nicht, dass diese Haltung selbst die geneigte Statt «Wirklichkeit» schreiben Sie in einem Leserschaft überfördert? Ihrer Beiträge «Wirkichkeit». Was ist denn nun Womit wir beim Beuys’schen Anarchknie ankä- relevanter: das Bild, welches man von sich selbst men? Ich geb Ihnen Rächt. Mainsdream ist nicht mein hat, oder der Blick der Aussenwelt auf das Busyness. Vagemut trifft den Nahgehl eher au’m Kopf. Individuum? Die Spreche in Verhangenheitsform revanchiert sich be- Ist das nun eine Grunzsatz- oder eine Standpauk- greiflich am Indiwiedumm. frage oder ein Assist-Dasselbe? Wenn auch nicht mehr unsere Grosselten, so doch zumindest deren Vorfahnen Themawechsel. Können Sie Schönheit mit dem betrieben verschwenderischen Saufwand, um sich vor Wortschatz des Thesaurus rex umschreiben? dem bösen Blick zu schützen. Glauben Sie selber an Face- Oder inwiefern trägt das Buch aus Ihrer Sicht zu spuk? Trägt man beim Anschlauen eher etwas auf oder mehr Schönheit bei? unnützen Blicke gar ab? Die Enge macht’s, das wussten schon die alten Amerikaner. Und jäh mehr hauf, desto weniger Raun, Sie Eine letzte Frage noch. Bei Ihnen heisst wissen schon: kritische Masse, Kettenkreation usw. und «Schönheit» «Schönheut» und von der so Wort. Lottgob lässt siech Anmut beliebig oddieren, an- «Allgemeinbildung» bleibt die «Allgem. Ein- heufen und aufbewähren. Haha! Nur ein Witz. Aber bildung». Wenn man nun Ihre Wortkreationen ernsthaft: Geht doch nichts über ’ne Tracht Liebreiz. Und so liest, erhält man den Eindruck, Sie sehen dann, ach! Platzhaltleer wo man hinschtaut. zunehmend schwarz. Sind Sie ein Revolutionär oder bloss ein Pessimist? Warum glauben Sie, dass Wortschöpfungen Ja. subversiver sind als der ganze Rest der Sprache? Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 21
FOKUS: GLACE ADORNO UND DIE RAKETE Ich sag dir, welcher Glacetyp du bist. Endlich. Die Glacesaison ist eröffnet. Doch wie alles im Die Frage aber, welche Sorte du wählst, hat sich Leben hat auch das zwei Seiten. Alle kennen das Problem: damit noch nicht beantwortet. Schokolade, Vanille, Erd- Du stehst am Glacestand und kannst dich nicht entschei- beere – das war früher. Heute erstreckt sich die Auswahl den. Hinter dir wartet eine Schlange un- von Crème Brûlée über Tiramisù bis zu Doppel- Text: Yves Bossart geduldiger Menschen. Du wirst unruhig. rahm-Meringue. Alles frei kombinierbar. Die pure Über- Illustration: Lina Müller Was tun? Mein philosophischer Rat: forderung. Aber so ist das mit der Freiheit. Sie gilt es aus- Lass dir Zeit. Eine Glace ist schliesslich zuhalten – ganz wie es die französischen Existenzialis- mehr als gefrorene Flüssigkeit mit Geschmack. Jede ten fordern. Hauptsache, Du gehst deinen Weg und Sorte sagt etwas aus – ganz nach dem Motto: Sag mir, machst dein Ding. Auch wenn dich vermutlich alle schräg welche Glace du magst, und ich sage dir, wer du bist. anschauen, wenn du eine Crème-Brûlée-Mango-Kombi- Als Erstes musst du dich zwischen Kugel- und Stän- nation bestellst. gel-Glace entscheiden. Mövenpick oder Frisco. Mit der Die kombinatorische Überforderung hat natürlich Kugel-Glace kaufst du dir das italienische Gelato-Fee- nicht, wer eine Glace am Stängel bestellt. Hier gibt dir ling, gepaart mit einer mediterranen Leichtigkeit des Frisco eine Auswahl von zwanzig Sorten, fertig: von der Seins. Gleichzeitig siehst du, wie das Produkt hergestellt Rakete über Winnetou zu Twister und Calippo bis hin wird. Nach Marx herrscht hier also weniger Entfrem- zur Pralinato. Aber auch hier gilt: Du meinst, du wählst dung. Ausbeutung hast du aber trotzdem. Und die Qual eine Glace, aber in Wahrheit wählst du einen Lebensent- der Wahl auch. Hinzu kommt, bevor du eine bestimmte wurf, eine Identität, eine Haltung zum Leben – und zum Sorte wählst, musst du entscheiden: Cornet oder Becher? Tod. Stichwort: Löffel abgeben. Und wählst du das Cornet, dann fragt sich: mit oder ohne Magnum-Esser zum Beispiel lieben den perfekten Löffel? Schokoladen-Überzug, ohne Ecken und Kanten. Glatt Spätestens mit dieser Frage stehst du vor der ersten und hart. Innen die rahmige Masse, monoton und lang- existenziellen Entscheidung: Bist du eher ein «Schlecker» weilig ohne Hülle. Wie die Glace, so der Mensch: Mag- oder ein «Löffler»? Sprich: Suchst du den natürlichen, un- num-Esser sind in der Regel langweilige Poser, glatte vermittelten Zungen-Kontakt oder möchtest du zeigen, Typen ohne Kern. wie kultiviert du bist, indem du ein Werkzeug verwen- Ganz anders der Pralinato-Liebhaber. Er hat einen dest und damit eine gewisse Distanz zwischen dir und Kern, und was für einen! Da beisst man sich die Zähne der Welt aufbaust? Bevorzugst du deine Hände, um allen aus. Auch die Hülle der Pralinato ist nicht so aalglatt wie anderen – und auch dir selbst – klar zu machen, dass du diejenige der Magnum. Insgesamt verspricht die Pralina- kein Tier bist und es einen guten Grund gibt, warum wir to mehr Echtheit, mehr Authentizität. Auch die eroti- Menschen aufrecht gehen, nämlich damit unsere Hände sche-obszöne Dimension des Glace-Konsums wird nicht frei sind? Mit der Frage, ob Löffel oder nicht, stellt sich verdeckt, anders als bei der politisch korrekten Ovalform also die Frage, wie du als Mensch zu deiner Evolutionsge- der Magnum. Bei der Pralinato weisst du nie genau, wie schichte stehst – ob du deine animalische Seite annimmst du sie in den Mund nehmen sollst – und das ist gut so. oder nicht. Bei der Twister, die aufgrund der Spiralform meist Gleichzeitig nimmst du, ob du willst oder nicht, mit einer leichten Drehbewegung gelutscht wird, stellt Stellung zur Greta-Frage: «Sag, wie hast du’s mit der Öko- sich das erotische Problem offensichtlich auch. Ebenso logie?» Schliesslich sind die Löffel aus Plastik. Und auch bei der Calippo. Philosophisch interessant an der Calippo die Kartonbecher sind ökologisch zweifelhaft. Allein aber ist die Einladung zur Entschleunigung. Du musst schon Greta zuliebe solltest du also das Cornet nehmen – nie Angst haben, dass sie schmilzt. Du hast Zeit. Auch ohne Löffel. Denn tief im Innern weisst du: Alles ist eins. musst du nicht permanent darauf achten, ob es nicht ir- Alles ist Natur. Auch du. gendwo anfängt zu tropfen. Die Calippo will weder deine 22 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
FOKUS: GLACE Aufmerksamkeit noch deine Zeit. Damit verspricht sie sich aber, anders als bei der Hegelschen Dialektik, nicht eine Gegenwelt zu unserer Gegenwart und ist die ideale auf. Er bleibt bestehen. Darum ist die Dialektik negativ. Glace für Aussteiger. Die Rakete: das Versprechen einer Versöhnung, von Zu- Mein absoluter Favorit aber ist die Rakete. Und kunft und Vergangenheit, Schokolade und Wasserglace. zwar, weil sie die negative Dialektik von Theodor W. Ein unlösbares Rätsel. Wie das Leben selbst. Adorno vorbildhaft verkörpert: Auf den ersten Blick sind Was ich mit all dem sagen will? Lass dir beim nächs- da die drei Farben. Diese stehen offensichtlich für die drei ten Glacekauf doch ruhig etwas Zeit. Es gibt vermutlich Hegelschen Stadien von These, Antithese und Synthese. nur wenige Entscheidungen im Leben, die wichtiger Hinzu kommt die Dialektik der Rakete, einerseits sind. als Symbol des Fortschritts, der Zukunft, gleichzeitig aber auch als Verkörperung des Retro-Kults, also von Ver- Yves Bossart ist Philosoph, Autor und Moderator. gangenheit. Negativ ist diese Dialektik deswegen, weil Der Luzerner ist seit 2013 Redaktor und Produ- die Spitze der Rakete mit Schokolade überzogen ist: eine zent bei der Sendung «Sternstunde Philosophie» geschmackliche Unmöglichkeit. Dieser Widerspruch des SRF, zudem ist er Referent bei der Veranstal- zwischen Wasserglace und Schokoladenüberzug löst tungsreihe «Standup Philosophy». Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 23
DETAILVERLIEBT … findet der Art Director no schön. #ISCHNOSCHÖN Wir haben IG Kultur, Redaktion und Leserschaft gebeten, uns Kleinigkeiten und Details zu verraten, die unseren Alltag schöner machen. Voilà! Eine kleine Sammlung von Momentaufnahmen. 24 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
DETAILVERLIEBT Wenn man nach 15 Jahren wieder mal im Wenn man am kleinen runden Stehtisch vor Verkehrshaus ist. der Kebab-Bude am Pilatusplatz steht, der einem inmitten der hochgezogenen Betonwände Wenn man den Ball auf dem Pingpong-Tisch auf das Gefühl von Grossstadt verleiht. der Säli-Turnhalle spielt. Wenn man sich die hippe Getränkeauswahl im Wenn man von den Chinesen gefragt wird, wo der Spar-Quartierladen im Geissenstein reinzieht, die nächste Uhrenladen sei. es mit jedem Späti in Berlin aufnehmen könnte. Wenn man von einer Schweizer Stadt nach Luzern Wenn man auf den aufgewärmten Betontreppen fährt und es nicht regnet. am Quai neben der alten Pferderennbahn die letzten Sonnenstrahlen geniesst. Wenn vor dem Löwendenkmal keine einzige Person steht. Wenn man den wild bepflanzten Bundesplatz- Kreisel riecht, der so blüht und duftet, dass Wenn man den Kultur-Highway entlangfährt er sogar den Eindruck des Verkehrs verringert. und merkt, dass es nach jahrelanger Diskussion doch noch geklappt hat. Wenn man beim Sternenplatz nach oben schaut, wo seit über 100 Jahren eine Familie auf dem Wenn der Sommer schon in die Stadt eingezogen Balkon auf einen herabblickt. ist und der Hausberg noch im Winterschlaf liegt. Wenn man vom Glitzergrün der Reuss an richtig Wann man auf der Seebrücke mit dem Velo am sonnigen Tagen schon frühmorgens geblendet Stau vorbeifährt. wird. Wenn auf den Grünzonen immer mehr wildes Wenn man sich in der Reuss treiben lässt und Gewächs spriesst statt langweilige Blumen. am Nordpol dann noch tropfnass ein Bier kippt. Wenn man rauchend nächtliche Gespräche in Wenn man im Löwencenter mit dem Lift zur Suva der Einfahrt bei der Jazzkantine führt. hochfährt und den Blick über Berge und See schweifen lässt. Wenn man einen Schluck Wasser aus dem Wasserspender auf dem Zugsperron trinkt. Wenn sich auf dem Inseli Studis mit Touris, Kitakindern und allen anderen mischen, die mitten Wenn man sich am Anagramm «Lucerne en recul» am Tag frei haben. Und man selbst auch dasitzt. am Luzerner Bahnhof freut. Wenn mitten in der Vorlesung ein Schiffshorn Wenn man vor dem Kühlregal mit Hunderten daran erinnert, dass draussen Sommer ist. verschiedenen Bieren im Drinks of the World steht. Wenn man auf den Männliturm hochsteigt und Wenn man sich sonntags ab elf Uhr von den Songs nicht nur auf die Stadt, sondern auch hinten aufs im «Kater» auf Radio 3fach berieseln lässt. Land runtersieht. Wenn man im Winter ins Strandbad Lido geht. Wenn man die Bruchstrasse hinunterrast und sich auf dem Velo ein bisschen wie der König der Wenn man das neue silbrige Hochhaus in Horw Welt fühlt. reflektieren sieht. Wenn man im Konsipark auf der vordersten Bank Wenn am Morgen die Vögel vor mir aufgestanden sitzt und einem die Stadt wie eine Schatzkiste sind. zu Füssen liegt. Wenn man der älteren Frau auf ihrem Balkon am Wenn im Bourbaki der Drehkranz unerwartet eine Neuweg zuschaut, wie sie fürsorglich die Tauben Runde dreht. der Stadt verpflegt. Wenn trotz Verbot drinnen geraucht wird und Wenn man sich dem seltsamen Gefühl in der es niemanden stört. 130 Jahre alten Schalterhalle der Post hingibt, wo der imposante Neurenaissance-Stil auf eine Wenn man ausserhalb der Zentralschweiz mit moderne Wegwerf-Ästhetik trifft. arbeitsfreien katholischen Feiertagen prahlen kann. Wenn im Rebstock zum Brot die gesalzene Butter gereicht wird. Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 25
AKTUELL Keine Zeit für stur Die IG Kultur im Wandel: Bei Geschäftsstelle wie Magazin übernehmen neue Köpfe. Ein Gespräch mit An- und Abtretenden über Selbstverständnis und Zukunftspläne. Interview: Pascal Zeder Foto: Gianluca Pardini Gianluca Pardini und Anna Chudozilov, ihr Was ist denn heute die Rolle der IG Kultur? tretet die Leitung der IG Kultur, respektive von GP: Die IG Kultur ist die zentrale Stimme der Zen- «041 – Das Kulturmagazin» fast zeitgleich an. tralschweizer Kulturschaffenden. Bei grossen kulturpo- Wird jetzt alles anders? litischen Anliegen ist es wichtig, dass man eine gemein- Gianluca Pardini: Nein. Die IG wird ihre Dienstleis- same Stimme hat und eine Identität schafft. Wir wollen tungen weiterhin erbringen. Da haben meine Vorgänge- einen breiten Kulturbegriff prägen, uns aktiv vernetzen, rinnen sehr gute Arbeit geleistet. Der Grundsatz «Kultur uns einbringen. Diese Aufgabe kann die IG Kultur noch für alle» bleibt bestehen. Wir werden uns intern teilwei- akzentuierter wahrnehmen, sowohl auf städtischer wie se neu organisieren müssen, aber das wird nach aussen auch auf kantonaler Ebene. kaum spürbar. Personelle Wechsel sind meistens überbe- wertet. Eva Laniado: Die politische Dimension ist wichtig, vor allem, wenn Sparübungen anstehen. Aber die IG Anna Chudozilov: Da schliesse ich mich an. Es kann Kultur ist auch eine Anlaufstelle für Kulturschaffende, eine Riesenchance sein, dass gleich drei Schlüsselpositi- Institutionen und Kleinveranstalter, die Fragen zu Gesu- onen (siehe Box, A. d. R.) neu besetzt werden. Wir müssen chen oder Marketing haben. Diese Angebote sind aber unsere Kompetenzen neu klären, so haben wir die Mög- leider noch immer zu wenig bekannt. lichkeit, das Optimum aus der neuen Konstellation herauszuholen. Das ist anspruchsvoller, als sich in beste- Und welchen Weg geht das Magazin? Werden hende Strukturen einzufügen, und wird sicher zu Rei- die Schwerpunkte politischer? bungen führen. Aber das ist gut so. AC: Kunst ist sowohl in Form wie Inhalt politisch , und das soll das Magazin auch sein. Was bedeutet Verein- barkeit von Beruf und Familie für Kulturschaffende? Wie lebt man von der einen Förderung zur nächsten, gerade mit Familie? Das sind Beispiele für Bereiche, in denen wir als Magazin klarer politische Positionen bezie- hen können. Ich möchte gleichzeitig bei den Schreiben- «Kosten zu verursachen ist nicht die Hauptfunktion Zwei kommen, eine geht (v. l.): Gianluca Pardini, von Kultur.» Eva Laniado und Anna Chudozilov Anna Chudozilov 26 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
AKTUELL den eine Haltung fördern, die gesellschaftliche Fragestel- Regierungsrat gesorgt. Als erste Geste hat lungen bei jedem Artikel mitdenkt, auch wenn sie nicht ihn nun das B-Sides-Festival auf den expliziert im Fokus stehen. Sonnenberg geladen – er nahm die Einladung an. Ein Schritt aufeinander zu? Die politischen Umstände des Kantons EL: Die Frage wird sein, was das Ziel von Marcel bewegen die Kulturschaffenden schon länger, Schwerzmann ist. Mit dem Zweckverband und dem The- Stichwort Aktion «Kultur bleibt!». Aber seien ater stehen wichtige Themen an. Wenn Marcel Schwerz- wir ehrlich: Wie stark bewegt die Kultur die mann sich für sein Departement einsetzt, hat man mit Politik wirklich? ihm einen stärkeren Vertreter in der Regierung, als man GP: Auf Kantonsebene gibt es sicher Gemeinden, mit Reto Wyss hatte. die sich kaum mit der Frage beschäftigen, was Kultur für einen Wert für die Gesellschaft hat. Da müssen wir akti- GP: Erinnert man sich an das zynische Applaus-Zi- ver sein. Gerade in der Agglomeration gibt es noch Poten- tat von Reto Wyss, kann eine neue Person in der Leitung zial. Nehmen wir das Beispiel der Regionalkonferenz des Kulturdepartements eine Chance für einen Neuan- Kultur RKK: Da müssen wir weiterhin für die Solidarität fang sein. Es braucht nun einen konstruktiven Dialog zwischen den Regionen einstehen. Gleichzeitig müssen und klare Forderungen – auch seitens der IG Kultur und wir aber auch über den Kanton hinausschauen, uns mit den Kulturschaffenden. Vielleicht können unter Kulturorganisationen ausserhalb der Zentralschweiz Schwerzmann die durch die Sparübungen angezogenen vernetzen, um gemeinsame Strategien zu überlegen. Die Schrauben wieder gelockert werden. Probleme sind ja oft dieselben. AC: Ich finde, solche Zeichen wie der Besuch des EL: Bleiben wir realistisch: Die Kultur ist für viele B-Sides sind wichtig – sowohl dass man ihn einlädt wie Gemeinderäte nicht das grosse Thema in der Tagespoli- dass er die Einladung annimmt. Die Kultur hat Marcel tik, und das wird sich auch nicht ändern. Darauf hat die Schwerzmann in der Rolle als Finanzminister kennenge- IG nur begrenzt Einfluss – was aber nicht heisst, dass lernt, jetzt muss sie offen auf ihn in seiner Rolle als Kul- man es nicht versuchen soll, dafür ist die IG ja da. Und es turminister zugehen. Geschirr ist kaputtgegangen, aber gilt, mit bestehenden Initiativen zusammenzuarbeiten. ich glaube, das muss nicht die Beziehung für die nächsten Ein Beispiel ist der Verein Kulturlandschaft von Marco vier Jahre definieren. Da liegt es auch an uns vom Kultur- Sieber, der wichtige Arbeit für die Kultur auf dem Land magazin, einen Dialog zu suchen. Und nicht aufzugeben, leistet und mit der IG im Austausch steht. auch wenn es einmal schiefgeht. Kommen wir aufs leidige Thema Geld zu sprechen. GP: Wie in vielen anderen Bereichen ist Geld auch Dominik Bienz Bestandteil der Kultur. Aber lange nicht der einzige. neuer Verlangsleiter Leider wird die Kultur von gewissen – meist bürgerli- Neben Gianluca Pardini und chen – politischen Stimmen auf die Diskussion um Anna Chudozilov wird auch die Stelle der Verlagsleitung Förderung reduziert. Das ist eine Haltung, die es über von «041 – Das Kulturmaga- Öffentlichkeitsarbeit zu drehen gilt. Wir müssen zeigen, zin» neu besetzt: Dominik dass Kultur einen viel höheren Wert hat, als sie in Budget- Bienz tritt am 1. September die Nachfolge von Philipp diskussionen zugesprochen bekommt. Seiler an. Die Verlagsleitung ist Teil der Geschäftsleitung AC: Es gibt zahlreiche Bereiche, die mit weniger der IG Kultur Luzern. Zuletzt war Dominik Bienz Projekt- Aufwand mehr Geld verbraten als die Kultur. Die Bil- leiter und Berater für strate- dung verbraucht beispielsweise viel mehr Geld – und das gische Markenführung und finden wir zu Recht sinnvoll. Kosten zu verursachen ist Onlinestrategie in einer Agentur für Markenführung, aber nicht Hauptfunktion der Kultur. Kultur setzt sich Design und Kommunikation. mit unserer Gesellschaft auseinander, nimmt Themen Mit vielfachen Aktivitäten und Funktionen ist er in der auf, reflektiert, verarbeitet, vermittelt. Diese Leistung ist Luzerner Kulturszene ver- unverzichtbar. wurzelt und vernetzt. Wir freuen uns, Dominik bei «041 – Das Kulturmagazin» Der ehemalige Finanzdirektor Marcel begrüssen zu dürfen. Schwerzmann übernimmt in der kommenden Gleichzeitig verabschieden Legislatur das Kulturdepartement. Die wir uns von Philipp Seiler und bedanken uns für die tolle Sparpolitik der letzten Jahre hat für eine Zusammenarbeit und die durchaus belastete Beziehung zum parteilosen entstandene Freundschaft. Juli/August 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 27
EXKURS: MEDIENWOCHE ROCHUS LUSSI: DIE KETTENSÄGE LÄUFT Rochus Lussi ist ein Stanser Bild- hauer. Schon während seiner Schulzeit wurde er oft für sein zeichnerisches Talent gelobt und fühlte sich zur Kunst hingezogen. Das liegt bei ihm in der Familie. Ein Cousin seiner Mutter, Josef Maria Odermatt, kreierte mit grossem Erfolg massive Eisenplas- tiken. Seinem Vater zuliebe lernte er aber zuerst einen «richtigen Beruf» und so wurde er Schreiner. Er besuchte Kurse an der Kunstge- werbeschule, studierte figurative Bildhauerei in Prag und schloss die Bildhauer-Schule in Brienz ab. Inzwischen verheiratet und Vater von zwei Söhnen, musste der 54-Jährige neben seiner Tätigkeit als Künstler lange einer Arbeit nachgehen, um den Lebensunter- VON HAND halt für die Familie zu bestreiten. Er war mehrere Jahre Werk- und Zeichenlehrer in Ennetbürgen. Aufgrund der wachsenden Zahl an Projekten konzentrierte er sich dann aber voll und ganz auf die Kunst. GEMACHT Lussi verwandelt Holzstücke mithilfe von Ketten- säge, Trennscheibe und Schnitzmesser zu originellen Skulpturen. Bekannt wurde er vor allem durch sein Werk «Kaninchen», welches aus 144 Albino-Kaninchen be- steht. Bei diesem Werk wird besonders gut sichtbar, dass Im Rahmen einer Kommunikationswoche Lussi meist zwei Gegensätze darstellt. Hier stellt er das des Kollegiums St. Fidelis Stans schreiben Schöne und Niedliche dem Bedrohlichen der Kaninchen- plage gegenüber. die drei Schülerinnen Anina Gander, Ein Grundthema bei Lussi ist die Haut. Sie ist einer- Nina Rohrbach und Rosa Henn seits Schutz für den Körper, andererseits sehr verletzbar. über künstlerisches Handwerk ihrer Wahl. «Das Gegenteil vom Verletzbaren ist das Wehrhafte. Tiere haben dazu Hörner, der Mensch nutzt seine Intelli- genz und kann dadurch auch perfide sein.» An diesem Beispiel erklärt der Künstler die Spannungsfelder, in denen er sich bewegt. Für ein grösseres Projekt hat er kürzlich die Haut eines Menschen, die eines Elefanten und Baumrinde in grosse Holzwände gesägt, die dann später in einem Gebäude montiert wurden. Oft stellt er mehrere ähnliche Stücke her, genau gleich sind sie jedoch nie. Schliesslich ist jedes einzelne ein Unikat, auch weil es in Handarbeit gefertigt wird. Lussi hat schon rund 100 000 Objekte hergestellt. Bei der Ausstellung in Kuba, die in diesem Heft besprochen wird, stellt er ein paar davon aus. Nina Rohrbach 28 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juli/August 2019
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