Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich

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Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Kanton Zürich

Schulblatt
Bildungsdirektion

                                       1/2022

                    Selbstständigkeit
                              fördern
                      Die verschiedenen Formen
                                    des Lernens

                                   Corona-Studie
                             Schulen engagieren sich
                                für die Wissenschaft

                                Mehr Schulraum
                                 Neue Mittelschulen
                                   und Provisorien:
                                    Was, wann, wo?

                                 Kreativer Beruf
                                Wie wird man heute
                                          Fotograf?
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6               22
                                         Magazin                                            Fokus:                                                  Volksschule
                                                                                            Selbstständigkeit
                                         4                                                  fördern                                                 22
                                         Kommentar                                                                                                  «Ciao Corona»
                                         Bildungsdirektorin                                 12                                                      Ohne den grossen Einsatz
                                         Silvia Steiner über den Schul-                      Projektkurse                                           der Schulen wäre die Studie
                                         raum als dritter Pädagoge                           Schülerinnen und Schüler                               nicht möglich
                                                                                             als Projektmanager
                                         5                                                   oder 3D-Druck-Designer                                 24
                                         Im Lehrerzimmer                                                                                            Stafette
                                         Berufsschule Bülach                                18                                                      In der Sekundarschule
                                                                                             Im Gespräch                                            ­Hüenerweid in Dietlikon
                                         6                                                   Erziehungswissenschafterin
                                         Persönlich                                          Miriam Compagnoni sagt,                                27
                                         Tanzlehrerin Tamara Gassner                         warum selbstständiges                                  In Kürze
                                         arbeitet gerade an ihrem                            ­Lernen geübt werden muss
                                         zweiten Lehrmittel

                                         9
                                         Meine Schulzeit
                                         Michael Hermann,
                                         Meinungsforscher
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Inhalt

                                         Wichtige Adressen                                                   Impressum Nr. 1/2022, 25.2.2022
                                         Bildungsdirektion: www.zh.ch/bi Generalsekretariat: 043 259 23 09   Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs­
                                         Bildungsplanung: 043 259 53 50 Volksschulamt: 043 259 22 51         weise: fünfmal jährlich, 137. Jahrgang, Auflage: 19 000 Ex. Redaktion: jacqueline.olivier@
                                         M                 ­ erufsbildungsamt: 043 259 78 51 Amt für Ju-
                                         ­ ittelschul- und B                                                 bi.zh.ch, 043 259 23 07; pascal.turin@bi.zh.ch, 043 259 23 94; Sekretariat schulblatt@
                                         gend und Berufsberatung: 043 259 96 01 Lehrmittel­verlag Zürich:    bi.zh.ch, 043 259 23 09 Abonnement: ­Lehr­personen einer öffentlichen Schule im Kanton
                                         044 465 85 85 Fachstelle für Schulbeurteilung: 043 259 79 00 Bil-   Zürich können das «­ Schulblatt» in ihrem ­Schulhaus g
                                                                                                                                                                  ­ ratis beziehen (Bestellwunsch an die
                                         dungsratsbeschlüsse: www.zh.ch/bi > Bildungsrat Regierungsrats­     Schulleitung). Bestellung des «Schulblatts» an Privat­adresse s­ owie Abonne­mente für wei­
                                         beschlüsse: www.zh.ch > Organisation > Regierungsrat > Aufgaben     tere Interessierte: a
                                                                                                                                 ­ bonnemente@staempfli.com, 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) O ­ nline:
                                         und Beschlüsse                                                      www.zh.ch/schulblatt G  ­ estaltung: www.bueroz.ch Druck: www.staempfli.com ­Inserate:
                                                                                                             mediavermarktung@staempfli.com, 031 300 63 87 Re­          daktions- und Inserateschluss
                                         Titelbild: Marion Nitsch                                            nächste Aus­gabe: 7.4.2022 Das ­nächste «Schulblatt» erscheint am: 6.5.2022

                                         Weiterbildungsangebote
                                         Unter den nachfolgenden Links finden Sie zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen, Fachlehrpersonen, Schulbehörden und Schul­
                                         leitende: Volksschulamt: www.zh.ch/bi > Volksschulamt > Aus- und Weiterbildungen Pädagogische Hochschule Zürich: www.phzh.ch > Weiterbildung Unter-
                                         strass.edu: www.unterstrass.edu UZH/ETH Zürich: www.webpalette.ch > Sekundarstufe II > Gymnasium > UZH und ETH Zürich, Maturitätsschulen HfH – Inter-
                                         kantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich: www.hfh.ch > Weiterbildung ZAL – Zürcher Arbeits­gemeinschaft für Weiterbildung der Lehrpersonen
                                         des ­Kantons Zürich: www.zal.ch > Kurse EB Zürich, Kantonale Berufsschule für W     ­ eiterbildung: www.eb-zuerich.ch ZHAW Zürcher Hochschule für
                                         ­Angewandte Wissenschaften, Soziale Arbeit: www.zhaw.ch/sozialearbeit > Weiterbildung > Weiterbildung nach Thema > Kindheit, Jugend und Familie
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Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
30                                                                                                                  36
Mittelschule                                           Berufs­bildung                                          41
                                                                                                               Amtliches
28                                                     34
Schulraumentwicklung                                   Kaufmännische                                           48
Mit neuen Schulhäusern                                 Grundbildung                                            Schule+Kultur
und Provisorien gegen den                              Die Wirtschaftsschule
Platzmangel                                            KV Zürich gewährt Einblick                              50
                                                       in die Umsetzung der                                    Agenda
30                                                     KV-Reform
Digitale Unterrichts­
projekte                                               36
Übersetzungstools im                                   Berufslehre heute
Fremdsprachenunterricht                                Fotograf EFZ
sinnvoll einsetzen
                                                       39
33                                                     In Kürze
In Kürze

    Editorial
                                                               Selbstständiges, selbstorganisiertes, selbstgesteuertes, selbstreguliertes Ler-
                                                                                                                                                 Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Inhalt

                                                               nen – es zirkulieren viele Begriffe in den Bildungsinstitutionen und in den
                                                               Köpfen der interessierten Öffentlichkeit. In der Praxis verstehen darunter
     Jacqueline Olivier                                        aber viele dasselbe: Kinder und Jugendliche sollen den eigenen Lernprozess
                                                               vermehrt selbst gestalten, lenken und reflektieren. Aber was heisst das kon-
                                                               kret? Wie kann solches Lernen gelingen? Und wie ist das nun genau mit den
                                                               vielen Begriffen? Antworten liefert eine Erziehungswissenschafterin im Ge-
                                                               spräch in dieser Ausgabe. Der Besuch an einer Kantonsschule sowie weitere
                                                               Beispiele über alle Stufen zeigen ein vielfältiges Bild von Lernformen, die das
                                                               selbstständige Arbeiten und Lernen ­fördern sollen.
                                                                   Zum Lernen braucht es auch ein entsprechendes Raumangebot. Bei den
                                                               Mittelschulen steigt der diesbezügliche Bedarf rasant. Darum plant der Kan-
                                                               ton zurzeit mehrere neue Schulen und Provisorien. Was wann wo gebaut
                                                               wird – auch dazu mehr in diesem «Schulblatt». 
                                                                                                                                                 3

Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das «Schulblatt»: jacqueline.olivier@bi.zh.ch, pascal.turin@bi.zh.ch
Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Kommentar                                                                                                                    Raum der dritte Pädagoge neben den Ler­

       Der Schulraum
                                                                                                                                    nenden und der Lehrperson.
                                                                                                                                        Der dritte Pädagoge wird für den Kan­
                                                                                                                                    ton Zürich in nächster Zeit noch wichti­

       als Pädagoge
                                                                                                                                    ger werden. Denn der Schulraum wird
                                                                                                                                    knapp – gerade im Bereich der Mittel­
                                                                                                                                    schulen. Verschiedene Bauprojekte sind
                                                                                                                                    aufgegleist. Zum Beispiel im stark wach­

       von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin                                                                                       senden Glattal oder in Affoltern am Albis,
                                                                                                                                    wo neue Gymnasien geplant sind. Aus­
                                                                                                                                    serdem erweitern wir zusammen mit der
                                                                                                                                    Baudirektion die Mittelschulen in Urdorf
                                                                                                                                    und Uster. Teil des Ausbaus der gymna­
                                                                                                                                    sialen Infrastruktur bildet die Sanierung
                                          Sie alle kennen vermutlich das Bild «Die                                                  der Militärkaserne in der Stadt Zürich.
                                          Dorfschule von 1848» von Albert Anker.                                                    Dort wird die Erwachsenenbildung ein­
                                          Es zeigt einen Lehrer, der mit dem Rohr­                                                  ziehen. Zudem sanieren wir in den nächs­
                                          stock in der Hand in einer kleinen Stube                                                  ten Jahren die drei grossen Stadtzürcher
                                          vor einer überfüllten Klasse steht. Das ist                                               Gymnasien Rämibühl, Enge und Oerli­
                                          heutzu­ tage an Volksschulen zum Glück                                                    kon. Während der Bauarbeiten erhalten
                                          genauso undenkbar wie an Mittelschulen.                                                   die Schülerinnen und Schüler sowie ihre
                                          Nicht nur die Lehrperson hat eine ganz                                                    Lehrkräfte ein attraktives Provisorium
                                          neue Rolle. Auch der Schulraum gestaltet                                                  auf dem Gelände der Universität Zürich
                                          sich komplett anders. Schülerinnen und                                                    Irchel. Die Universität bietet während fast
                                          Schüler hängen nicht mehr eingepfercht
                                          zwischen engen Bänken und verängstigt
                                                                                              «Raum und                             zehn Jahren nacheinander drei Gymna­
                                                                                                                                    sien Platz.
                                          an den Lippen des Lehrers. Sie haben                 Pädagogik                                Ein Projekt, an das noch vor ein paar
                                          heute mehr Raum, um sich selbstständig
                                          in ­Themen vertiefen zu können.
                                                                                             schaffen neue                          Jahren niemand geglaubt hätte, freut mich
                                                                                                                                    besonders. Der Stadtzürcher Kreis 4 er­
                                               Die offene Art des Lehrens und Ler­
                                          nens widerspiegelt sich in der Art und
                                                                                             Lernformen.»                           hält endlich ein eigenes Gymnasium an
                                                                                                                                    zentraler Lage neben dem neuen Polizei-
                                          Weise, wie wir im Kanton Zürich gerade                                                    und Justizzentrum (PJZ). Ich habe mich
                                          im Bereich der Mittelschulen neuen                                                        persönlich dafür eingesetzt, dass dieses
                                          Schulraum planen. Moderne Bildungs­           nicht nur die Unterrichtsform, welche den   «Filet-Stück» auf dem weitläufigen Areal
                                          bauten sind auf eine flexible Raumnut­        Raum bestimmt, sondern ebenso umge­         unweit der Hardbrücke für Bildungspro­
                                          zung ausgelegt. Die Zimmer müssen für         kehrt. Im günstigsten Fall stehen Raum      jekte genutzt werden kann.
                                          verschiedene Formen von Gruppenarbei­         und Pädagogik in einer Wechselwirkung           Eines ist klar: In der Schulraumpla­
                                          ten genauso geeignet sein wie für indivi­     und schaffen neue Lernformen. Auf den       nung müssen wir flexibel bleiben. Denn
                                          duelles Lernen an unterschiedlichen Ar­       Punkt gebracht hat dies der norditalie­     mit den digitalen Lehr- und Lernformen
                                          beitsplätzen. Dadurch wird der Unterricht     nische Erziehungswissenschafter Loris       hat sich zum dritten Pädagogen bereits
                                          gezwungenermassen anders. Es ist also         Malaguzzi (1920–1994). Für ihn ist der      eine vierte Pädagogin gesellt. 
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Magazin

                                                                                                                                                    Mein
                                                                                                                                                    Traumschulhaus
                                                                                                                                                    Jonas (11),
                                                                                                                                                    5. Klasse,
                                                                                                                                                    Primarschule
                                                                                                                                                    Birmensdorf
4
Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Im Lehrerzimmer

                                 Berufsschule Bülach
                                                                             Ein funktionaler Treffpunkt
                                                                                                                    Fotos: Marion Nitsch

                                                                                                                                      Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Magazin

Der erste Blick fällt auf die grünen Fensterrahmen und die gelben Backsteinmauern – Hightech-Architektur nennt sich der Baustil.
Ein langer Sitzungstisch dominiert den funktional eingerichteten Raum. Auffällig sind die schwarzen Regale mit Postfächern und
das grosse Anschlagbrett. Auch eine kleine Kaffeemaschine fehlt nicht. Die Stimmung ist aufgeräumt, es wird gelacht, auch über
private Themen. «Wir haben eine sehr familiäre Kultur und nutzen die grosse Pause gern für den Austausch», sagt Rektor John
­Coviello. Die Bedeutung der grossen Pause wurde der Schulleitung bewusst, als sie diese aus organisa­torischen Gründen von 30
 auf 20 Minuten kürzen wollte. «Das stiess auf Widerstand», erinnert sich Coviello. Die Pausenlänge blieb unverändert. Die Mehr­
 heit der 75 Lehrpersonen ist männlich. Rund 1200 Lernende aus den Bereichen Maschinenbau, Elektro­installation und Wirtschaft
 besuchen die Berufsschule Bülach (BSB). Unterrichtet werden hier die KV-Lernenden sowie die angehenden Polymechanikerin­
 nen, Konstrukteure und Produktionsmechaniker. Am zweiten Standort ist die Abteilung Elektro angesiedelt. Die Airline Swiss,
 SR Technics und Cessna kooperieren bei der Ausbildung von Flugzeugmechanikerinnen und -mechanikern mit der BSB. [pat]
                                                                                                                                     5
Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Persönlich                                                                                                                  ren mit einer eidgenössisch anerkannten

       Ein Energie­
                                                                                                                                   Ausbildung, aber da gilt es sehr viele Hür­
                                                                                                                                   den zu überwinden», sagt sie. Es ist nicht
                                                                                                                                   die einzige Schwierigkeit, die ihr im

       bündel im Takt
                                                                                                                                   Berufs­alltag begegnet. Das Tanzen werde
                                                                                                                                   schon eher belächelt an den Schulen.
                                                                                                                                   «Dabei lassen sich damit Lernziele genau­
                                                                                                                                   so gut vermitteln wie in anderen ­Fächern.»

       Statt für eine Karriere auf den grossen                                                                                     Körperwahrnehmung, Sozialkompetenz,
                                                                                                                                   räumliche Wahrnehmung und Orientie­
       Tanzbühnen der Welt entschied                                                                                               rung, Rhythmisierung, Musikalität, Krea­

       sich Tamara Gassner, das Tanzen an                                                                                          tivität, beginnt sie aufzuzählen. «Tanzen
                                                                                                                                   ist kein Schwarz-Weiss-Denken, sondern
       die Schulen zu bringen.                                                                                                     verlangt Flexibilität und Improvisation –
                                                                                                                                   Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft
       Text: Sabina Galbiati Foto: Stephan Rappo                                                                                   sehr nützlich sind.» Deshalb wolle sie das
                                                                                                                                   Tanzen an den Schulen präsenter machen
                                                                                                                                   und besser etablieren. «Da ist noch viel
                                                                                                                                   Luft nach oben.»

                                                                                                                                   TikTok, Takt und Jungs
                                          Sie unterrichtet an der Berufsfachschule    sie, und deshalb war für mich schon sehr     Rückenwind erhält Tamara Gassner von
                                          Winterthur Musik und Bewegung, ist          früh klar, dass ich Primarlehrerin werde.»   ziemlich unkonventioneller Seite. Die
                                          Tanzlehrerin, J+S-Gymnastik-und-Tanz-       Doch die Sache hatte einen Haken.            Social-Media-App «TikTok» bringt die
                                                                                                                                   ­
                                          Expertin, hat ihre eigene Tanz-Compagnie         Am Lehrerinnenseminar Menzingen         Kids dazu, in der Freizeit, aber auch auf
                                          und arbeitet gerade an ihrem zweiten        blühte Gassner zwar auf. «Es gab so viel     dem Pausenplatz zu tanzen. «Plötzlich
                                          Lehrmittel für Tanz in Musik und Sport.     Kreativität, in den Fächern Musik, Zeich­    ­interessieren sich auch die Jungs dafür.»
                                          Tamara Gassner ist ein richtiges Energie­   nen, Sport und natürlich das Kreative im      Das sei in dieser Generation neu. «Früher
                                          bündel. Und diese Energie steckt sie in     Lehrberuf selbst bei der Gestaltung von       ist das höchstens mit Breakdance oder
                                          ihre Leidenschaft und vor allem in die      Unterrichtseinheiten», sagt sie. Doch als     Hip-Hop möglich gewesen.» Die Jugend­
                                          Antwort auf die Frage: Wie lernen Lehr­     sie ab dem vierten Schuljahr die obliga­      lichen sehen sich die Videos an und
                                          personen, das Tanzen ihren Schülerinnen     torischen Praktika absolvierte, merkte        ­wollen die Tanzschritte nachmachen. «Sie
                                          und Schülern näherzu­bringen?               sie, dass sie den Job als Primarlehrerin       merken dann, wie schwierig es ist, im
                                              Schon mit fünf Jahren fing Gassner      nicht in Vollzeit ausüben wollte. «Zumin­      Takt zu bleiben, Bewegungen nachzu­
                                          mit dem Tanzen an. «Meine Mutter tanzte     dest nicht mit den hohen Ansprüchen,           machen und zu üben.» Mit der TikTok-
                                          damals hobbymässig Flamenco, und so         die ich an mich selber stelle, und neben­      Generation könne noch viel Veränderung
                                          war das Tanzen irgendwie immer schon        bei dem Tanzen. Ich wusste, das würde          stattfinden, hofft Gassner. Allerdings ist
                                          da», erzählt die 38-Jährige. Angefangen     zu viel werden.»                               sie nicht der Typ Mensch, der abwartet,
                                          hat sie ganz klassisch mit Ballett im zu­                                                  bis Bewegung in die Sache kommt. Dafür
                                          gerischen Hünenberg, wo sie aufgewach­      Der perfekte Mittelweg                         hat sie zu viel Tatendrang.
                                          sen ist und heute noch mit ihrem Mann       Tamara Gassner fand schliesslich den                 Die Zeit während der pandemie­
                                          und den beiden Töchtern lebt. In der        perfekten Mittelweg. Sie arbeitete 40 Pro­     bedingten Kurzarbeit und des Fernunter­
                                          4. Klasse wechselte sie zum Jazzdance in    zent als Primarlehrerin, studierte in Bern     richts am Computer nutzte Gassner
                                          Zug und machte bald in Produktionen auf     Tanzkultur und absolvierte ein Spezia­         ­kurzerhand, um ein Lehrmittel für Tanz
                                          der Bühne mit. «Das Tanzen vermittelte      lisierungsstudium in Theaterpädagogik           in den Fächern Musik und Sport zu ent­
                                          mir Selbstbewusstsein, gab mir Körper­      an der Pädagogischen Hochschule (PH)            wickeln. Es ist für den Kindergarten und
                                          sicherheit in dem Sinne, dass ich meine     Luzern. Mit ihrem Wissen entwickelte sie        die Unterstufe konzipiert. «Da tanzt der
                                          Grenzen kannte und meinen Körper ganz       eine Ausbildung für Tanzpädagoginnen            Bär» ist ein Kartenset mit Tieren. Jede
                                          bewusst wahrnahm», sagt sie – und das       und -pädagogen. Zwar gibt es diese Aus­         Karte vermittelt spezifische Bewegungs­
                                          Tanzen sei etwas gewesen, was sie ganz      bildung in der Schweiz auf professionel­        muster und Fortbewegungsformen sowie
                                          allein geschafft habe. «Für ein Kind sind   ler Stufe, aber nichts Vergleichbares für       die Basis der tänzerischen Kompetenzen.
                                          das alles sehr wichtige Erfahrungen»,       Lehrerinnen und Lehrer, die Tanzpäda­           Die Musik wird mittels Smartphone
                                          sagt Tamara Gassner überzeugt. Darüber      gogik für den Schulunterricht mit Kin­          und QR-Code auf der Karte abgespielt.
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Magazin

                                          hinaus war auch die Selbstwirksamkeit       dern anwenden möchten. «Deshalb wollte          Das Kartenset deckt alle entsprechenden
                                          innerhalb der Gruppe eine prägende          ich eine möglichst gute Ausbildung dafür        Lernziele im Lehrplan 21 ab. Will heissen:
                                          Erfahrung. «Wenn wir miteinander eine
                                          ­                                           entwickeln.» Unterstützung bekam sie
                                                                                      ­                                               Eine Lehrperson kann damit alle Tanz­
                                          Show auf die Beine stellten, war das Er­    von ihrer damaligen Tanzlehrerin. Heute         kompetenzen in Musik und Sport ver­
                                          folgserlebnis nach der Premiere unbe­       leitet Gassner Weiterbildungen für Lehr­        mitteln, die im Lehrplan verlangt werden.
                                          zahlbar.»                                   personen an der PH Luzern, bietet im            Geholfen haben ihr dabei auch die
                                                                                      Rahmen des Schweizerischen Verbandes            Schülerinnen und Schüler der Berufs­
                                                                                                                                      ­
                                          Klassenzimmer statt Weltbühne               für Sport in der Schule (SVSS) Kurse für        fachschule Winterthur. Kurz nach der
                                          Dass Gassner nicht etwa eine Karriere       Tanzpädagogik an, leitet als Expertin Pro­      ­Ver­öffentlichung zeigte der Ingold Verlag
                                          auf den grossen Bühnen anstrebte, ver­      jektwochen an Schulen und unterrichtet           Interesse am Kartenset. Jetzt kann ­Tamara
                                          dankt sie ihrer damaligen Primarlehre­      an der Berufsfachschule Winterthur in            Gassner mithilfe des Verlags das zweite
                                          rin. «Sie war eine grossartige Lehrerin»,   der Weiterbildung die angehenden Fach­           Lehrmittel für Primar- und Oberstufe ent­
                                          schwärmt sie. «Ich war sicher ihr gröss­    personen Säuglinge und Kleinstkindbe­            wickeln. «Es wird ähnlich aufgebaut und
                                          ter Fan und habe ihr fast jeden Tag eine    treuung, die in den Kitas arbeiten.              anwendbar sein», erklärt sie. Sie rechnet
                                          Zeichnung mitgebracht», erzählt sie und          «Eines meiner Ziele ist es, den Beruf       allerdings noch mit ein bis zwei Jahren
                                          muss lachen. «Ich wollte so werden wie      Tanzpädagogin in der Schweiz zu etablie­         Arbeit, bevor es fertig ist. 
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Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Mit dem Tanzen liessen
sich Lernziele genauso
     gut vermitteln wie
   in anderen Fächern,
findet Tamara Gassner,
     die an der Berufs­
 fachschule Winterthur
  Musik und Bewegung
           unterrichtet.

                           Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Magazin
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Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Spannender Unterricht
                                      effizient vorbereitet

                                         FINANZKOMPETENZ IM ZYKLUS 3

                                         Kurse zum
                                         E-Learning-Angebot
                                         «FinanceMission World»
                                         • Einblick in die Aufgaben
                                         • Einführung Dashboard &
                                           Unterrichtsmaterial
                                                                                     Swiss ek
                                         • Inputs zur Fachdidaktik                        We
                                                                                 M o n ey 3 . 2 0 2 2
                                                                                        .0
                                                                                21.–27
                                                                                              n Sie
                                                                                       Buche hren
                                                                                        jetzt I kurs
                                                                                        Impuls
                                         Infos und Kursanmeldung:
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                                      Kultur der Digitalität
                                      CAS Lernreise Volksschule                                                  CAS Lernreise Schulleitung
                                      Gemeinsam gehen wir der Frage nach, wie Schule in                          Die Lernreise lebt von der aktiven Mitarbeit sowie
                                      der Kultur der Digitalität sein könnte. Dabei verlassen                    Neugier der Reisenden und setzt eine Bereitschaft
                                      wir bewusst traditionelle Lehr- und Lernsettings.                          für das Gestalten von Schule voraus. Die Reisenden
                                      Die Präsenztage finden in verschiedenen Schweizer                          arbeiten an einem kollaborativen Projekt.
                                      Städten statt. Wir werden Räume, Schulen und                               Entsprechend der Kultur der Digitalität teilen sie
                                      Institutionen besuchen, in denen der Wandel bereits                        ihren Lernprozess oder das Projekt mit der Schul-
                                      sichtbar ist und mit Personen vor Ort in Dialog treten.                    leittungs-Community.
                                      Dauer: Juli 2022 bis Juni 2023                                             Dauer: September 2022 bis September 2023
                                      Zielgruppe: Lehrpersonen                                                   Zielgruppe: Schulleitungen
                                      Leitung: Rahel Tschopp, Andreas Brugger,                                   Leitung: Rahel Tschopp, Andreas Brugger
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022

                                      Felix Hollenstein

                                                 Weitere Informationen und Anmeldung unter:                              Weitere Informationen und Anmeldung unter:
                                                 https://phsh.ch/lernreise                                               https://phsh.ch/lernreise-schulleitung
                                                 Kontakt lernreise@phsh.ch                                               Kontakt lernreise@phsh.ch

                                                               Pädagogische Hochschule Schaffhausen
                                                               www.phsh.ch
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Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
Welche Schulreise ist Ihnen speziell                                                                                  Meine Schulzeit

                                                                 «Aufgeblüht
in Erinnerung und warum?
Ich kann mich gut an Projekt- und Land­
schulwochen sowie an Skilager erinnern –

                                                           bin ich bei freien
mit all ihrer Intensität und verbunden mit
einem enormen Freiheitsgefühl. Die ein­
tägigen Schulreisen dagegen sind in mei­

                                                                  Projekten»
ner Erinnerung komplett verblasst.
    Welche Lehrperson werden Sie
nie vergessen?
Geschichtslehrer Riccardo Mordasini am
Gymi, der es mit uns zwar von den Rö­                                  Fünf Fragen an Meinungsforscher
mern nur knapp bis zur Französischen
Revolution schaffte, uns dabei aber auf                                               Michael Hermann
tausend Nebengleisen viel mitgab. Etwa
indem er schilderte, wie sich sein Vater
als Tessiner im reformierten Bern be­           eine lineare Abfolge von Wörtern zu über­
haupten musste: Die Konfession, nicht die       setzen und aufs Blatt zu bringen. Beim
Sprache war die Herausforderung. Oder           ersten Deutsch­lehrer war ich miserabel.
indem er uns eine Vernehmlassungsant­           Dank der mir gegönnten Extrazeit wurden
wort auf den Entwurf einer neuen berni­         beim zweiten die Noten immer besser,
schen Verfassung schreiben liess.               und heute ist Schreiben etwas vom Wich­
    Welches war Ihr liebstes Fach               tigsten in meinem Beruf. Ohne diese «un­
und weshalb?                                    gleiche» Behandlung, die mir zuteilwurde,
Geschichte. Am wenigsten mochte ich             hätte ich nie daran geglaubt, dass hier ein
Geografie – beide nicht zuletzt wegen der       Talent in mir schlummert. Und ich hätte
Lehrperson. Und doch habe ich dann aus­         kaum die Laufbahn eingeschlagen, die
gerechnet Geografie studiert.                   mich heute so befriedigt. Am besten war
    Was haben Sie in der Schule                 ich nämlich in Physik, Biologie und im
fürs Leben gelernt?                             Wahrscheinlichkeitsrechnen.
Wahrscheinlichkeitsrechnen und essayis­              Was hat Ihnen in der Schule
tisch schreiben – beides mache ich heute        gar nicht gefallen?                                 Michael
fast täglich. Für Letzteres hat mir ge­         Der vorgegebene Takt des Stundenplans,              Hermann (50)
                                                                                                    wuchs in Huttwil BE
holfen, dass der zweite Deutschlehrer           der gar nicht zu meinem inneren Rhyth­              auf und studierte Geografie,
am Gymi es mir erlaubte, die Aufsätze zu        mus passte. Richtig aufgeblüht bin ich              Volkswirtschaft und Geschichte an der
                                                                                                    ­Universität Zürich (UZH). Er promovierte
Hause fertig zu schreiben. Als schwerer         ­eigentlich nur bei freien Projekten oder            zum Thema «Werte, Wandel und Raum»
Legastheniker hatte ich grosse Mühe, die         in Projektwochen. Dort kam ich erstmals             und war Mitbegründer der Forschungs­
                                                                                                     gruppe Sotomo, die sich später als Meinungs­
Ideen, die sich in meinem Kopf klar und          in die Hyperfokussierung, die eine wich­            forschungsinstitut verselbstständigte.
elegant anfühlten, in geforderter Zeit in        tige Grundlage für meine Arbeit bildet.             Heute ist Hermann Leiter von Sotomo.

Bildungs-Slang
Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Gelingensbedingungen
                                                                                                                                                    Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Magazin
                                                                                                                                                    9
Schulblatt1/2022 Selbstständigkeit fördern - Die verschiedenen Formen des Lernens - Kanton Zürich
10   Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus
Fokus

     Selbst­
ständigkeit
    fördern
     Fotos: Die Fotografin Marion Nitsch hat an der Kantonsschule Enge
                         Eindrücke von zwei Projektkursen festgehalten.

                                                                    Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus
                                                                    11
Im Projektkurs «Entwicklungszusammenarbeit in der Praxis» schlüpfen die Jugendlichen in die Rolle von Prozessmanagerinnen und -managern.

                                        Projektkurse                                                                                  Mittwochnachmittag an der Kantonsschule

                                        Planen,
                                                                                                                                      Enge (KEN). Im Computerraum im Pavil­
                                                                                                                                      lon sind bereits einige Plätze durch Schü­
                                                                                                                                      lerinnen und Schüler belegt, weitere Ju­

                                        organisieren,
                                                                                                                                      gendliche treffen nach und nach ein. Sie
                                                                                                                                      alle sind Drittklässler des Kurzgymna­
                                                                                                                                      siums, besuchen allerdings nicht alle die­

                                        umsetzen,
                                                                                                                                      selbe Klasse. Trotzdem merkt man, dass
                                                                                                                                      sie einander gut kennen: Eintreffende
                                                                                                                                      werden herzlich begrüsst, wer zuerst da

                                        ­reflektieren
                                                                                                                                      war, hat anderen Stühle frei gehalten.
                                                                                                                                      Zum Schluss sind es gut ein Dutzend
                                                                                                                                      ­Jugendliche, die hinter einem aufgeklapp­
                                                                                                                                       ten Laptop sitzen, ein paar weitere sind
                                        Um selbstständiges Lernen zu                                                                   krank­gemeldet.
                                                                                                                                           Heute steht «Projektkurs» auf ihrem
                                        fördern, setzt man an vielen Schulen                                                           Stundenplan. Irene Wenger und Pietro

                                        unter ­anderem auf Projektarbeit.                                                              Tomasini, die beiden Lehrpersonen, be­
                                                                                                                                       grüssen die Gruppe. Und sie haben noch
                                        So auch an der Kantonsschule Enge                                                              einen Gast dabei: Marijan Markotic ist in
                                                                                                                                       der Pfarrei Dreikönigen in Zürich zustän­
                                        in Zürich, wo die Schülerinnen                                                                 dig für Sozialarbeit. In der Kirche Drei­
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

                                        und Schüler der 3. Klassen jeweils                                                             königen sind einige der Schülerinnen und
                                                                                                                                       Schüler kurz vor Weihnachten im Rah­
                                        im Herbst­semester einen Projektkurs                                                           men eines Gottesdienstes aufgetreten und
                                                                                                                                       haben ein Hilfsprojekt vorgestellt, für das
                                        ihrer Wahl besuchen. Was sie dort                                                              sie Geld sammelten. Für die Spenden ha­

                                        ­machen und was es bringt, zeigt ein                                                           ben sich die Jugendlichen bei den Gottes­
                                                                                                                                       dienstbesuchern mit selbst gebackenen
                                         Besuch vor Ort.                                                                               Guetsli bedankt. Und die Kirche hat zur
                                                                                                                                       Kollekte des Tages noch einen grosszügi­
                                        Text: Jacqueline Olivier                                                                       gen Betrag beigesteuert.
                                                                                                                                           Nun möchte Marijan Markotic von
                                                                                                                                       den Jugendlichen wissen, wie sie sich bei
                                                                                                                                       ihrem Auftritt gefühlt hätten. «Es war gar
                                                                                                                                       nicht so schwierig wie erwartet», sagt eine
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                                                                                                                                       Schülerin. Und eine andere: «Die Men­
Die Lehrpersonen wie hier Pietro Tomasini (ganz rechts) begleiten die Jugendlichen als Berater und Coaches.

schen waren sehr herzlich.» Ihr Sitznach­
bar meint: «Ich habe viel gelernt dabei.»
«Und was bleibt euch fürs Leben?», fragt
                                                 Neues Konzept an der Berufs­
der Gast nach. «Mit kleinem Aufwand              fachschule Winterthur
kann man vielen Menschen helfen», lau­           An der Berufsfachschule Winterthur (BFS) wird seit 2021 das neue Konzept
tet die Antwort der ersten Schülerin, «wir       ­«Digitale Lehr- und Lernformen» (dLL) umgesetzt. An der Schule gelte seit
konnten an diesem Anlass 6000 Franken             ­Längerem «Bring your own device» (BYOD), erklärt Rektorin Judith Conrad,
sammeln, die wir nun spenden können.»              das heisst, die Lernenden bringen ihre eigenen Tablets oder Laptops mit in den
Ihr Kollege, der «viel gelernt» hat, fasst         Unterricht. Digitale Lehr- und Lernformen eröffneten neue Gestaltungsräume,
seine Erkenntnis mit den Worten zu­                fährt die Rektorin fort, setzten aber selbstreguliertes Lernen voraus. Gleichzeitig
sammen: «Wenn man etwas erreichen                  könne dieses mit dLL trainiert werden. Darum müsse man dLL immer im
will, schafft man es auch.» Ausserdem              ­Gesamtkontext der Kompetenzförderung betrachten. Gerade im Zusammenhang
werde er sich in Zukunft sicher lockerer            mit neuen Technologien komme den überfachlichen Kompetenzen noch mehr
vor andere Menschen stellen und etwas               Bedeutung zu als bisher, etwa den Kommunikations- oder den Kooperations­
vortragen können.                                   kompetenzen. Um sich in der digitalen Welt sicher zu bewegen, seien aber ebenso
                                                    analytische Fähigkeiten oder kritisches Denken erforderlich. Auch gehe es nicht
Nur Kurse, die Anklang finden                       ohne sprachliche Kompetenzen. Oder anders ausgedrückt: «Die Lernenden
Die Aktion, von der hier die Rede ist,              ­sollen fit werden für die Zukunft. Und angesichts des raschen Wandels im Zuge
war nur eine von vielen. Die Projektkurse            der Digitalisierung ist das lebenslange Lernen ein zentrales Thema.»
für die Drittklässler an der KEN ziehen              Die Erarbeitung des dLL-Konzepts fand in einer Gruppe von Lehrpersonen
sich über das ganze Herbstsemester und               statt, in engem Austausch mit der Schulleitung und dem Konvent. Ausserdem
finden jeweils mittwochnachmittags statt.            ­arbeitete die BFS dafür mit der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung
                                                                                                                                                    Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

Sie sind interdisziplinär und klassen­                (EHB) zusammen. Das Konzept gilt für alle an der BFS angebotenen Berufs­
übergreifend, will heissen: Mindestens zwei           richtungen. Dafür muss es nach und nach in den Schullehrplänen ein­gebaut
Lehrpersonen aus unterschiedlichen Fach­              werden. Die neuen Lernenden werden zunächst in einer Einführungs­woche mit
schaften organisieren gemeinsam e      ­inen          den neuen Methoden vertraut gemacht, danach ist dLL für sie integrativer Teil
Kurs zu einem selbst bestimmten Thema                 des Unterrichts. In regelmässigen Selbstlernphasen recherchieren sie beispiels­
und stellen diesen gegen Ende des Schul­              weise online zu einem Thema oder üben im Präsenzunterricht Vermitteltes. Die
jahres den 2. Klassen vor. Die Schülerin­             Reflexion findet stets im Präsenzunterricht statt. «Dies ist wichtig, da das selbst­
nen und Schüler wählen aus dem Ange­                  ständige, individuelle Lernen Schritt für Schritt angeleitet und begleitet werden
bot drei Kurse aus, die sie interessieren,            muss», erklärt Judith Conrad. Damit dies funktioniere, ­seien auch die Weiter­
und geben bei der Anmeldung an, welcher               bildung und die Zusammenarbeit der Lehrpersonen ein wichtiger Punkt.
für sie erste, zweite oder dritte Priorität           Das Tool «Check In» des ­Digital Competence Framework for ­Educators hilft ihnen
hat. Bei Kursen, die mehr Anmeldungen                 bei der Selbsteinschätzung ihrer eigenen digitalen Kompetenzen. Nach der
als Plätze zählen, hilft diese Priorisierung          ­Beantwortung von 22 Fragen erhalten sie eine detaillierte Rückmeldung mit
bei der Zuteilung. Sind es dann immer                  Tipps für ihre individuelle Weiterentwicklung. [jo]
                                                                                                                                                    13

noch zu viele für den gleichen Kurs, geht                                                                                                       
Zwei Schülerinnen im Projektkurs «3D-Druck» tüfteln an ihrem in Teilen gedruckten Objekt. Ob alles zusammenpasst?

                                                                                                                                       es nach der Reihenfolge des Anmelde­

                                          Selbstständiges Lernen ist Thema                                                             datums. «Kurse, für die nicht genügend
                                                                                                                                       Anmeldungen eingehen, finden hingegen
                                          in der Ausbildung                                                                            nicht statt», erklärt Irene Wenger.
                                          Um selbstständiges Lernen zu fördern, müssen Schulen und insbesondere                            Die Spanischlehrerin spannt schon seit
                                          ­Lehrpersonen ein entsprechendes Unterrichtsumfeld schaffen. An der Pädago­                  vielen Jahren mit Geschichtslehrer Pietro
                                           gischen Hochschule Zürich (PHZH) sind darum Unterrichtsformen, die das                      Tomasini zusammen für den Kurs «Ent­
                                           selbstständige Lernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen, schon lange                wicklungszusammenarbeit in der Pra­xis».
                                           Teil des Studiums. Mit der Einführung des Lehrplans 21 wurde in der Ausbil­                 Dieser sei immer ausgebucht, erzählt sie.
                                           dung der Fokus darauf in allen Stufen verstärkt.                                            Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass
                                           «Die Studierenden setzen sich in pädagogischen Modulen mit Theorien und                     Pietro Tomasini zusammen mit seiner
                                                                                                                                       ­
                                           Wissen zu lern- und entwicklungspsychologischen Grundlagen auseinander                      Lebenspartnerin 1994 eine Organisation
                                                                                                                                       ­
                                           und arbeiten in den fachdidaktischen Modulen an der didaktischen Umsetzung                  für Entwicklungszusammenarbeit mit
                                           spezifischer Themen», sagt Christine Wolfgramm. Sie ist Professorin für Pro­                Schwerpunkt Bildung und Erziehung ge­
                                           fessionsentwicklung mit Schwerpunkt Professionsforschung und Pädagogische                   gründet hat und inzwischen hauptsäch­
                                           Psychologie an der PHZH. In den Studiengängen Kindergarten- und Unterstufe,                 lich für diese tätig ist. An der KEN unter­
                                           Primarstufe sowie Sekundarstufe I werden beispielsweise im Studienbereich                   richtet er nur noch mit einem kleinen
                                           «Bildung und Erziehung» Begriffe und Modelle in den Mittelpunkt gestellt, die               Pensum. An Schulen ist er dennoch viel
                                           helfen, das Verhalten und Lernen von Schülerinnen und Schülern besser zu                    unterwegs, in der ganzen Schweiz. Pro­
                                           ­verstehen. Die angehenden Lehrpersonen lernen unter anderem, geeignete                     jektkurse für Schulklassen wie jener an
                                            ­Unterrichtsinhalte zu wählen und zu unterrichten. Gleichzeitig werden die Stu­            der KEN gehören zum Angebot der Zewo-
                                             dierenden damit vertraut gemacht, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler beim              zertifizierten Organisation «International
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

                                             selbstständigen Lernen begleiten können. Dazu gehören authentische, komplexe              Project Aid» (IPA), denn die Einbindung
                                             Lernaufgaben, die einen Bezug zu den Lernzielen haben. Die PHZH bietet zu­                von Jugendlichen ist eine ihrer Speziali­
                                             dem Wahlmodule zu Themen wie «Lernstrategien», «Selbstreguliertes Lernen»                 täten.
                                             oder «Mentoring: Lernerfahrung und Lernbegleitung».
                                             «Die konkrete Umsetzung erfolgt in der berufspraktischen Ausbildung, also                 Demokratische Entscheide
                                             in den Praktika und im Mentorat», so Christine Wolfgramm. Deshalb seien das               Zweifellos profitieren die Schülerinnen
                                             Coaching und die Erfahrung der Mentorinnen und Mentoren sowie der Praxis­                 und Schüler von der langjährigen Er­
                                             lehrpersonen in den Praxisschulen besonders wichtig. Durch die ­gemeinsame                fahrung und dem grossen Netzwerk des
                                             Reflexion konkreter Unterrichtssituationen gelingt der Transfer aus der Theorie           Lehrers. Aber sie müssen selbst auch viel
                                             in den Schulalltag. Unterrichtsformen, die das selbstständige Lernen fördern,             leisten. Zunächst recherchieren sie im
                                             sind nämlich auch für die Lehrpersonen anspruchsvoll. «Es ist ein Balanceakt.             Internet Hintergrundinformationen über
                                                                                                                                       ­
                                             Die Studierenden müssen lernen, wie sie Verantwortung an die Schülerinnen                 die drei Länder, in denen IPA tätig ist:
                                             und Schüler abgeben können, ohne die Kontrolle zu ver­lieren.» Mittlerweile               ­Kamerun, Malawi, Albanien. Für welches
                                             gebe es dafür viele gute Lehrmittel mit Unterrichtsmaterial. [pat]                         möchten sie am liebsten ein eigenes Hilfs­
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                                                                                                                                        projekt auf die Beine stellen? Im Plenum
wird darüber diskutiert, die Jugendlichen
müssen Argumente für oder gegen ein               Selbstorganisiertes Lernen
Land einbringen. Schliesslich wird ab­
gestimmt. Steht das Land fest, wird das           an den Mittelschulen
gleiche Prozedere erneut durchgespielt,           «Selbstorganisiertes Lernen» – kurz SOL – wurde an den Mittelschulen des
um eines von fünf zur Wahl stehenden              ­Kantons Zürich im Schuljahr 2010/11 eingeführt. Zuvor hatte jede Schule ein
Themen in dem Land auszuwählen, für                ­eigenes Konzept erarbeitet, das SOL fest im Schulprogramm verankern sollte.
das man sich gemeinsam mit den Fach­                Im Laufe ihrer Schulzeit sollten alle Schülerinnen und Schüler verschiedene
leuten vor Ort engagieren möchte. Damit             SOL-Sequenzen durchlaufen, von einfachen ersten Übungen bis zur Matur­
fängt die Arbeit erst richtig an: Ein Pro­          arbeit. Dabei mussten die Schulen das Rad nicht immer neu erfinden, denn es
posal erstellen, in dem das Projekt vor­            bestanden schon verschiedentlich Gefässe, die das selbstorganisierte Lernen
gestellt wird. Sich überlegen, wie man              förderten. Diese wurden in der Regel in die Konzepte eingebaut.
vorgehen will, um das Projekt zu finanzie­          So geschah es auch an der Kantonsschule Enge mit den Projektkursen, die
ren. Stiftungen sowie Hilfsorganisationen           2007/08 eingeführt und später als ein Bestandteil in das schuleigene SOL-Konzept
ausfindig machen, die sich mit dem The­             integriert wurden. Es geht dabei vor allem um ein prozessorientiertes Lernen.
ma des Projekts beschäftigen und die man            Die Schülerinnen und Schüler entwickeln zunächst einen Arbeitsplan, suchen
für Spenden angehen will. Sie kontaktie­            nach Informationen und beschaffen sich das nötige Material. Sie setzen Geplan­
ren und ihnen das Proposal schicken. Ein            tes um und reflektieren ihre Lern- und Arbeitsergebnisse. Die Lehrpersonen,
Budget erstellen und eigene Sammelak­               die den Kurs leiten, stehen ihnen beratend und unterstützend zur Seite.
tionen ins Leben rufen. Und, und, und.              Pionierin in Sachen selbstorganisiertes Lernen war die Kantonsschule Zürcher
     Die Teilnehmenden des aktuellen                Oberland (KZO) in Wetzikon. Dort wurde im Schuljahr 2004/05 das «Selbstlern­
Kurses haben sich für ein landwirtschaft­           semester» (SLS) in Form eines Pilotprojekts gestartet. Jeweils im Herbstsemester
liches Projekt in einer von starker Ar­             gab es für die 5. Klassen in den Fächern Deutsch, Mathematik, Französisch, Eng­
mut betroffenen Gegend in Kamerun ent­              lisch und Sport sowie im jeweiligen Schwerpunktfach (Griechisch, Latein und
schieden. Nach einer Dürre droht dort               Physik) nur ein Minimum an Präsenzunterricht, stattdessen erhielten die Schü­
nun eine Hungerkatastrophe. Die Jugend­             lerinnen und Schüler für jedes dieser Fächer verschiedene Aufträge mit Aufgaben
lichen wollen vor allem die Kinder vor              und Lernzielen, die sie möglichst selbstständig erfüllen sollten, die Lehrpersonen
dem Hungertod bewahren. Mit ihren di­               fungierten als Lernbegleiter. Aufgrund der positiven Ergebnisse wurde das
versen Sammelaktionen haben sie be­                 SLS 2008/09 in den Regelbetrieb überführt. Nur für das Fach Sport bewährte es
reits eine hohe Summe eingenommen.                  sich nicht. 2010/11 führte die KZO im Rahmen von SOL im zweiten Semester
Eine Schülerin hat beispielsweise einen             der 3. und im ersten Semester der 4. Klassen das Gefäss IPSO (interdisziplinär –
Artikel über das Projekt in Kamerun in              ­parallel – selbstorganisiert) ein. In Form von Projekttagen bereiten sich die
der Quartierzeitung «Zürich 2» publiziert.           Schülerinnen und Schüler seither auch auf das SLS vor. Zu diesem gehört mitt­
Kurze Zeit später ging eine Spende von               lerweile auch ein zweiwöchiges, selbst organisiertes Sprachpraktikum. [jo]
10 000 Franken ein. Die Person, von der
sie stammt, kennt im Kurs niemand, auch
die Lehrpersonen nicht. Dass der Artikel
der Auslöser für diesen Geldsegen war,          richtet, vor neun Jahren initiiert, als der   was zum Naschen. «Wir hatten sogar mal
scheint deshalb naheliegend. Ein ganz           3D-Druck gerade aufkam. «Am Anfang            einen Marzipandrucker», sagt Andreas
spezielles Erfolgserlebnis.                     haben wir mit den Schülerinnen und            Haag, «aber der hatte seine Tücken, denn
     Jetzt, kurz vor den Sportferien, ist das   Schülern die Drucker noch selbst zu­          körniges Marzipan verstopft schnell mal
Herbstsemester und damit der Kurs fast          sammengebaut», erzählt Andreas Haag,          die Düse des Druckkopfs.» Wichtig ist den
zu Ende. Aber noch ist die Liste aller ge­      «dabei konnten sie etwas die feinmecha­       beiden Kursleitern so oder so: Die Schüler
planten Aktionen nicht abgearbeitet. Und        nische Welt kennenlernen.» In den letz­       sollen experimentieren dürfen und Spass
die Schülerinnen und Schüler wollen             ten Jahren rückte vermehrt die Frage ins      haben bei dem, was sie tun. Denn das
auch nicht lockerlassen. Für viele von          Zentrum, wie Objekte mithilfe von 3D-         gebe ihnen die nötige Motivation, meint
­ihnen geht es hier um mehr als einfach         Design-Programmen so erstellt werden          Andreas Haag.
 um ein Unterrichtsgefäss. Konzentriert         können, dass sie druckbar sind. «Es geht
 machen sie sich an die Arbeit: Wen muss        auch darum, zu verstehen, wie räumliche       Video statt Live-Event
 man noch anschreiben, wo noch einmal           Modelle in einer Programmiersprache           Vor Corona gehörte jeweils noch eine
 nachhaken, was noch abklären oder noch         beschrieben und daraus während des
                                                ­                                             Exkursion an die Zürcher Hochschule
                                                                                              ­
 organisieren? In den kommenden Wo­             Drucks Schicht um Schicht reale Objekte       für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
 chen werden sie zudem innerhalb ihres          aufgebaut werden.»                            zum Programm. Dort lernten die Jugendli­
 Verwandten- und Freundeskreises Bitt­              Zu Beginn können die Jugendlichen         chen die Einsatzmöglichkeiten eines Pul­
                                                                                                                                           Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

 briefe versenden. Dass sie dafür wie auch      erst einmal mit Variationen eines Themas      verdruckers in der Medizin kennen und
 für die Sammelaktionen teilweise ihre          spielen und so die Technik kennenlernen.      kamen mit der Forschung in Kontakt. Dies
 Freizeit einsetzen, scheint für sie selbst­    In der zweiten Phase wählen sie selbst­       ist zurzeit nicht möglich. Ebenso wenig
 verständlich.                                  ständig ein Thema aus, in das sie eintau­     kann die «3D-Printing-Messe» im Licht­
                                                chen möchten. Beispielsweise Architektur,     hof der Schule stattfinden, die es übli­
Experimentieren und vertiefen                   bei der es um das Entwerfen und Drucken       cherweise zu planen, zu organisieren und
Szenen- beziehungsweise Kurswechsel:            von Modellen geht, oder Anwendungen           durchzuführen galt und an der die Jugend­
Im Naturwissenschaftstrakt gegenüber            in der Medizin, etwa die Produktion von       lichen anderen Schülern ihre Objekte
vom Pavillon geht es etwas «handfester»         Implantaten. Oder die Erstellung eines        präsentieren, den 3D-Druck erklären und
zu und her: Hier wird allerlei Gegen­           Replikats einer historischen Statue. Für      schmackhaft machen mussten. So wie
ständen aus dem 3D-Drucker der letzte           den Druck werden normalerweise Kunst­         eigentlich von jedem Projektkurs die
                                                                                              ­
Schliff verliehen. Auch dieser Kurs hat         stofffilamente verwendet, es steht aber       ­Resultate zum Abschluss live vorgestellt
Tradition, er wurde vom Biologielehrer          auch ein kleiner Schokodrucker zur Ver­        werden sollten. Heuer geht dies zum
Andreas Haag zusammen mit seinem                fügung. Da kann auch mal etwas schief­         zweiten Mal nur virtuell. Die Teilnehmen­
                                                                                                                                           15

­Kollegen Urs Battaglia, der Physik unter­      gehen, man hat doch immerhin noch et­          den des Kurses «3D-Druck» werden ein 
in die Rolle von Projektmanagern, die

                                          Schule Knonau setzt auf offene                                                           jeden Schritt überdenken müssen.» Zu­
                                                                                                                                   ­
                                                                                                                                   dem erhielten sie bei jedem Sammel­
                                          ­Lernformen                                                                              anlass ein Feedback in harter Währung:
                                          An der Schule Knonau mit rund 300 Schülerinnen und Schülern hat selbst­                  «Je besser sie es machen, desto mehr Geld
                                          ständiges Lernen einen hohen Stellenwert. Schon im Kindergarten wird der                 nehmen sie ein.»
                                          ­Unterricht mit geführten Sequenzen und freiem Spiel rhythmisiert. Alle Primar­              Ihr Kurs, fährt der erfahrene Lehrer
                                           klassen werden altersdurchmischt geführt (vier 1./2. Klassen, drei 3./4. Klassen        und Entwicklungshelfer fort, habe eine
                                           und drei 5./6. Klassen). Das hat laut Co-Schulleiter Jörg Berger den Vorteil,           gewisse selektive Wirkung: «Gute und
                                           dass individuell auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand der einzelnen              engagierte Schüler werden noch enga­
                                                                                                                                   ­
                                           Schülerinnen und Schüler eingegangen werden kann.                                       gierter. Es gibt aber auch solche, die auf­
                                           Das Grundprinzip lautet, dass die Primarschülerinnen und Primarschüler                  blühen, weil sie ganz neue Erfahrungen
                                           von Jahr zu Jahr eigenständiger und selbstverantwortlicher arbeiten und lernen          punkto Selbstwirksamkeit machen. Ein
                                           können. Die Schule Knonau setzt dabei auf offene und kooperative Lernformen.            paar wenige schwimmen einfach mit.»
                                           Dazu gehören das Arbeiten mit Wochenplänen, das Ermöglichen von verschie­               Auch dies entspreche aber einer Realität:
                                           denen Lernwegen und das Schaffen von Lernangeboten auf unterschiedlichen                «Das ist in jedem Team so.»
                                           ­Niveaus. «Für den Mathematikunterricht hat das Unterstufenteam eine eigene                 Neben überfachlichen Kompetenzen
                                            Lernlandschaft entwickelt», erzählt Berger. Teil der Lernlandschaft sind Statio­       wie Teamwork oder eine Abstimmung zu
                                            nen und Standorte, um alleine, zu zweit oder als Kleingruppe zu lernen. Auch           verlieren und trotzdem weiter mitzuarbei­
                                            für Projektarbeit und geführten Unterricht hat es an der Schule Knonau Platz.          ten, lernen die Schülerinnen und Schüler
                                            In der fünften und sechsten Klasse erhält das Wochenheft, ein Lernjournal,             laut Irene Wenger auch viel Fachliches.
                                            ­einen hohen Stellenwert. Im Wochengespräch gibt die Lehrperson den Schüle­            Dinge, die im Unterricht vielleicht schon
                                             rinnen und Schülern lernförderliches Feedback.                                        einmal thematisiert wurden, die sie nun
                                             «Die Lehrerinnen und Lehrer müssen ihre Klasse gut kennen», sagt Schulleiter          aber konkret anwenden müssen: In Excel
                                             Berger. Einige Schülerinnen und Schüler könnten sehr selbstständig arbeiten,          ein Budget erstellen, formale E-Mails
                                             andere wiederum bräuchten einfachere, weniger umfangreiche Aufgaben oder              schreiben, den Mail-Eingang laufend che­
                                             engere Betreuung. Eine wichtige Voraussetzung für zeitgemässen Unterricht             cken und rasch auf Nachrichten reagie­
                                             ist laut Berger, dass innerhalb des Stufenteams zusammengearbeitet wird. «Alle        ren. Wenn sie mit den Fachleuten von IPA
                                             Lehrpersonen eines Stufenteams planen die Unterrichtsthemen gemeinsam,                vor Ort kommunizieren, müssen sie dies
                                             stellen füreinander Unterrichtsmaterial her und haben ein gemeinsames Ver­            zudem in Englisch oder Französisch tun,
                                             ständnis der Bewertungskriterien.» [pat]                                              je nach Land.

                                                                                                                                   Erfolgserlebnisse spornen an
                                                                                                                                   Die Schülerin Darina Müller bestätigt,
                                                                                                                                   dass sie in dem Kurs einiges gelernt hat:
                                        ­ideo zusammenstellen. Andreas Haag
                                        V                                            eine gute verdient. Aber es wird hier         «Mich selbst zu organisieren, nach Ideen
                                        findet es zwar schade, dass die Show im      nichts benotet, und das findet Andreas        zu suchen, in der Gruppe zu arbeiten.»
                                        Lichthof ausfällt, meint aber gelassen:      Haag richtig so. «Das Feedback zu ihrer       Dass sie hier sehr selbstständig würde
                                        «Mit der Erstellung des Videos lernen die    Arbeit gibt den Schülerinnen und Schü­        ­arbeiten müssen, war ihr von Anfang an
                                        Schülerinnen und Schüler dafür wieder        lern das Produkt, nicht die Lehrperson»,       klar, sie erlebt dies aber als überaus moti­
                                        anderes.» Übrigens: Videopräsentationen      betont er und erwähnt noch, dass er und        vierend. Umso mehr, als dieser Kurs ihre
                                        waren früher auch schon Thema eines          Urs Battaglia den 3D-Druck-Kurs nächs­         erste Wahl war. «Weil ich etwas Prak­
                                        Projektkurses.                               tes Jahr nicht mehr anbieten werden.           tisches machen wollte, nichts allzu Schu­
                                            Und was lernen die Schülerinnen und      Nach neun Kurswiederholungen habe die          lisches, und etwas, das meinen persönli­
                                        Schüler im Kurs sonst noch? Andreas          Technologie für sie etwas an Reiz verloren.    chen Interessen entspricht.» Ihr Kollege
                                        Haag zählt auf: sich selbst zu organisie­    Nun hätten sie Lust, neue Kursthemen zu        Mauro Tanno sieht dies ähnlich. «Es klang
                                        ren, in Gruppen zu planen und sich mit       gestalten.                                     für mich gut, etwas Positives bewirken zu
                                        auftauchenden Schwierigkeiten auseinan­                                                     können. Dieser Kurs bringt mir sicher viel
                                        derzusetzen, dranzubleiben und neue          Grossraumbüro statt Schule                     fürs Leben.» Er habe in dem Kurs aber
                                        Lösungsansätze zu suchen, wenn etwas
                                        ­                                            Im Fall von Pietro Tomasini und Irene          auch gemerkt, dass es mit der Selbststän­
                                        nicht wie gewünscht verläuft.                Wenger ist dies anders. Die beiden Lehr­       digkeit noch nicht überall so ganz klappe
                                            Nils Kauf ist drangeblieben, unzählige   personen sind nach wie vor Feuer und           und woran er noch arbeiten müsse.
                                        Stunden lang. Der Schüler hat die be­        Flamme, wenn es darum geht, Jugendliche            Ihr Kurs mache viele Schülerinnen
                                        rühmte Büste der Nofretete für den Druck     in die Entwicklungszusammenarbeit ein­         und Schüler stolz, meint Irene Wenger.
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

                                        optimiert, ausgedruckt und minutiös be­      zuführen. In ihrem Kurs sei seitens der        «Sie wissen, dass sie hier anspruchsvolle
                                        malt. Dabei war der 3D-Druck-Kurs gar        Schüler ein hohes Mass an Selbstständig­       Aufgaben erwarten, die viel Einsatz er­
                                        nicht seine erste Wahl, wie er erzählt.      keit gefordert, erklären sie. «Bei uns         fordern. Und merken dann im Laufe der
                                        «Aber ich fand es interessant, einmal        herrscht kein Schul-, sondern ein Gross­       Wochen, dass sie die Erwartungen erfül­
                                        selbst etwas zu designen und die Tools       raumbürobetrieb», bringt es Irene Wenger       len können.» «Wir bestärken die Jugendli­
                                        für den Druck kennenzulernen.» Auch der      auf den Punkt, «die Schülerinnen und           chen in den Anlagen, die sie mitbringen»,
                                        künstlerische Aspekt habe ihn gereizt.       Schüler müssen sich organisieren, die Ar­      fügt Pietro Tomasini hinzu, «die Erfolgs­
                                        Auf Nofretete kam er, weil er «eine Phase    beit untereinander aufteilen, ihr Anliegen     erlebnisse tun ihnen gut.»
                                        hatte, in der mich das alte Ägypten extrem   gegen aussen vertreten, sich immer wie­            Was sie in den Projektkursen gelernt
                                        faszinierte». Viel der investierten Arbeit   der miteinander absprechen und so wei­         haben, vertiefen manche Jugendliche an­
                                        fand zu Hause in seiner Freizeit statt. Er   ter.» Zum Ende des Kurses müssen sie           schliessend in ihrer Maturarbeit. Und bei
                                        habe manchmal lieber gemalt als gelernt,     zudem eine Selbstbeurteilung abgeben,          einigen, so Pietro Tomasini und Irene
                                        gesteht er.                                  doch wie Pietro Tomasini betont: «Die          Wenger, beeinflussten die gemachten Er­
                                            Gäbe es für die Resultate aus den Pro­   Selbstreflexion findet im Grunde laufend       fahrungen später sogar die Studien- be­
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                                        jektkursen Noten, hätte Nils Kauf sicher     und automatisch statt, denn sie schlüpfen      ziehungsweise die Berufswahl. 
17   Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus
Im Gespräch                                                                                                                       Das selbstständige Lernen hat in

       «Lernen zu lernen,
                                                                                                                                     den vergangenen Jahren an Bedeutung
                                                                                                                                     gewonnen – warum ist das so?
                                                                                                                                     Das ist eine spannende Frage, denn

       braucht Zeit»
                                                                                                                                     eigentlich ist das selbstständige Lernen
                                                                                                                                     ­
                                                                                                                                     nichts Neues. Schon die alten Griechen
                                                                                                                                     wussten, dass Lernen durch das aktive
                                                                                                                                     Selbst geschieht. Aufgrund reformpäda­

       Selbstständiges Lernen muss geübt                                                                                             gogischer Ansätze erhielten offene Lern­
                                                                                                                                     formen an Schulen eine neue Bedeutung.
       ­werden, sagt Erziehungswissenschafterin                                                                                      Die Ideen waren nahe am selbstregu­

        Miriam Compagnoni. Sie erklärt, weshalb                                                                                      lierten Lernen. Die grossen Bewegungen
                                                                                                                                     begannen dann mit der Forschung des

        das Thema schon im Kindergarten wichtig                                                                                      Psychologen Albert Bandura ab den
                                                                                                                                     1960er-Jahren. In der Folge beschäftigte
        ist, wie die neue Rolle der Lehrperson                                                                                       sich auch die Psychologie mit den Model­

        ­aussieht und wo es Missverständnisse gibt.                                                                                  len des selbstregulierten Lernens. Einen
                                                                                                                                     Grund dafür, dass der Fokus in den ver­
                                                                                                                                     gangenen Jahren immer mehr auf diese
       Interview: Pascal Turin Foto: Marion Nitsch
                                                                                                                                     gelegt wird, sehe ich in der sich rasch ver­
                                                                                                                                     ändernden Welt. Wir müssen die Kinder
                                                                                                                                     auf Berufe vorbereiten, die es heute noch
                                                                                                                                     gar nicht gibt. Die Idee des lebenslangen
                                                                                                                                     Lernens ist stark kompatibel mit dem
                                                                                                                                     selbstregulierten Lernen. Es geht darum,
                                                                                                                                     dass Menschen ihr eigenes Verhalten und
                                                                                                                                     Lernen steuern können, wenn neue He­
                                                                                                                                     rausforderungen auf sie zukommen. Das
                                                                                                                                     ist auch ein Grund für die Kompetenz­
                                                                                                                                     orientierung im Lehrplan 21.
                                                                                                                                         In der Coronakrise mussten und
                                                                                                                                     müssen immer wieder Schülerinnen
                                                                                                                                     und Schüler zu Hause lernen. Hat
                                        Sie waren selber Primarlehrerin, wie           Motivation beobachten und anpassen, um        dies den Fokus auf das selbstständige
                                        sehr haben Sie in Ihrem Unterricht auf         ihre Ziele besser zu erreichen.               Lernen noch verstärkt?
                                        selbstständiges Lernen gesetzt?                    Und was ist unter selbst­                 Was man beobachten kann, ist, dass die
                                        Ich habe im Jahr 2000 als Lehrerin begon­      organisiertem Lernen zu verstehen?            Themen Digitalisierung und selbstregu­
                                        nen und war damals überhaupt nicht fo­         Der Begriff «selbstorganisiertes Lernen»      liertes Lernen an Bedeutung zugenom­
                                        kussiert auf selbstreguliertes Lernen. Die     wird oft in der Praxis verwendet. An Schu­    men haben. Aktuell wird bei uns am Lehr­
                                        Kinder sollten den Unterricht spannend         len spricht man abgekürzt von SOL und         stuhl in einer trinationalen Studie in
                                        finden und gern zu mir kommen. Später          meint damit oft Projektarbeit oder Lern­      Deutschland, in Österreich und in der
                                        begann ich mit dem Psychologiestudium,         ateliers. Aus wissenschaftlicher Sicht wird   Schweiz untersucht, inwiefern Schulen auf­
                                        weil ich mehr darüber wissen wollte, wie
                                        Kinder lernen. Da wurde mein Interesse
                                        am Thema selbstreguliertes Lernen ge­
                                        weckt. Rückblickend merke ich, dass ich
                                        schon als Lehrerin versucht habe, heraus­                  «Wir müssen die Kinder
                                        fordernde, motivierende ­Lernumgebungen
                                        zu schaffen, die autonome Lernwege zu­
                                                                                                    auf Berufe vorbereiten,
                                        lassen. Damit habe ich wohl unbewusst                 die es heute noch gar nicht gibt.»
                                        das selbstregulierte Lernen gefördert.
                                             Sie reden von selbstreguliertem
                                        Lernen, andere von selbstständigem
                                        oder selbst­organisiertem Lernen.
Schulblatt Kanton Zürich 1/2022 Fokus

                                        Was ist der ­Unterschied?                      selbstorganisiertes Lernen häufig gleich­     grund der Coronakrise das selbstständige
                                        Mit der Erklärung könnte man ein ganzes        gesetzt mit selbstreguliertem Lernen. Für     Lernen fokussieren und umsetzen. Es
                                        Interview füllen. Tatsächlich gibt es unter­   mich ist aber ein wichtiger Punkt, dass       zeigt sich, dass das Thema in den Schulen
                                        schiedliche Begriffe, die Ähnliches m
                                                                            ­ einen.   selbstreguliertes Lernen im Regelunter­       eine sehr hohe Priorität erhalten hat.
                                        In der Praxis werden andere gebraucht          richt stattfindet und auch dort gelernt und        Hat die Pandemie auch die
                                        als in der Forschung. Und auch in der For­     gelehrt werden soll. Je nachdem wie Auf­      ­Grenzen des selbstständigen Lernens
                                        schung gibt es unterschiedliche Defini­        gaben gestellt werden, kann das in jeder       aufgezeigt?
                                        tionen. Wichtig ist immer, dass man klärt,     Lektion integriert werden. Auch beim           Beim Fernunterricht braucht es die Kom­
                                        worüber man spricht. Was wir in der For­       ­Begriff «selbstständiges Lernen», der bei­    petenz des selbstregulierten Lernens noch
                                        schung unter selbstreguliertem Lernen           spielsweise im Lehrplan 21 verwendet          mehr als im Präsenzunterricht. Digitales
                                        verstehen, kommt aus dem Bereich der            wird, gibt es viele Überschneidungen          Lernen bedarf eines grossen Masses an
                                        pädagogischen Psychologie. Dabei geht es        zum selbstregulierten Lernen. Grundsätz­      Selbstregulation, beispielsweise weil man
                                        darum, dass die Lernenden aktiv ihren           lich passiert alles Lernen selbstständig –    schnell abgelenkt ist, und im Fernunter­
                                        Lernprozess steuern. Sie können ihre            mit mehr oder weniger Hilfe und mehr          richt fehlen zusätzlich die Strukturen so­
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                                        Denkstrategien, ihre Emotionen und ihre         oder weniger gut.                             wie die Unterstützung während des Lern­
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