Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc

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Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Kanton Zürich

Schulblatt
Bildungsdirektion

                                  3/2018

                            Lob und
                              Tadel
                             Vom Umgang
                             mit Feedback

                                  Persönlich
                      Bei Jessica Summa lernen
                       Schüler nicht nur tanzen

                      Neue Kantonsschule
                    Rektor Martin Zimmermann
                              über seine Pläne

                              Neue Modelle
                               Berufsmatur soll
                             attraktiver werden
Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
5             24
                                         Magazin                                              Fokus:                                                  Volksschule
                                                                                              Lob und Tadel
                                         4                                                                                                            24
                                         Kommentar                                            12                                                      Projekt ALLE
                                         Bildungsdirektorin Silvia                            Kindergarten                                            Wie sich der Unterricht
                                         Steiner über die Bedeutung                           Gezielte Interventionen                                 in heterogenen Klassen
                                         der schul­ergänzenden                                statt «Schimpfis»                                       verbessern lässt
                                         Betreuung
                                                                                              16                                                      26
                                         5                                                    Montessori-Schule                                       Stafette
                                         Im Lehrerzimmer                                      Von den Interessen                                      Im Einsatz für eine
                                         Kantonsschule Büelrain                               des Kindes her denken                                   saubere Umwelt

                                         6                                                    20                                                      29
                                         Persönlich                                           Im Gespräch                                             In Kürze
                                         Tanzlehrerin Jessica Summa                           Rückmeldungen sollen das
                                         engagiert sich bei                                   Kind weiterbringen, sagt
                                         «Dancing Classrooms»                                 ­Psychologin Irina Kammerer
                                         9
                                         Meine Schulzeit
                                         Simon Enzler, Kabarettist
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Inhalt

                                         Wichtige Adressen                                                    Impressum Nr. 3/2018, 11.5.2018
                                         Bildungsdirektion: www.bi.zh.ch Generalsekretariat: 043 259 23 09    Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs­
                                         Bildungsplanung: 043 259 53 50 Bildungsstatistik: www.bista.zh.ch    weise: sechsmal jährlich, 133. Jahrgang, Auflage: 19 000 Ex. Redaktion: Redaktionsleiter
                                         Volksschulamt: www.vsa.zh.ch, 043 259 22 51 Mittelschul- und         reto.heinzel@bi.zh.ch, 043 259 23 05; Redaktorin jacqueline.olivier@bi.zh.ch, 043 259 23 07;
                                         ­Berufsbildungsamt: www.mba.zh.ch, 043 259 78 51 Amt für Jugend      Sekretariat schulblatt@bi.zh.ch, 043 259 23 14 Journalistische Mitarbeit an dieser ­Aus-
                                         und Berufsberatung: www.ajb.zh.ch, 043 259 96 01 Lehrmittel­         gabe: Walter Aeschimann, Bettina Büsser, Andres Eberhard, Res Minder, Charlotte Spindler
                                          verlag Zürich: www.lmvz.ch, 044 465 85 85 Fachstelle für Schulbe-   Abonnement: Lehr­personen einer öffentlichen Schule im Kanton Zürich können das S     ­ chul-
                                         urteilung: www.fsb.zh.ch, 043 259 79 00 Bildungsrats­beschlüsse:     blatt in ihrem ­Schulhaus ­gratis beziehen (Bestellwunsch an Schulleitung). ­Bestellung des
                                          www.bi.zh.ch > Bildungsrat > Beschluss­archiv Regierungsratsbe-     Schulblatts an ­ Privat­
                                                                                                                                     adresse s­owie Abonne­  ment weiterer Interessierter: abonnemente@
                                         schlüsse: www.rrb.zh.ch                                              staempfli.com, 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) Online: www.schulblatt.zh.ch ­Gestaltung:
                                                                                                              www.bueroz.ch Druck: www.staempfli.com Inserate: inserate@staempfli.com, 031 767 83 30
                                                                                                              Re­daktions- und Inserateschluss nächste Aus­gabe: 24.5.2018 Das n      ­ ächste Schulblatt
                                         Titelbild: Dieter Seeger                                             erscheint am: 29.6.2018
2
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30                 38
Mittelschule                                           Berufs­bildung                                             43
                                                                                                                  Amtliches
30                                                     36
Interview                                              Berufsmaturität                                            47
Wie sich Martin Zimmer­                                Mehr Flexibilität für                                      Weiterbildung
mann, Gründungsrektor                                  Lernende und Betriebe                                      Intensivberatungen
in Uetikon am See, seine                                                                                          am Arbeitsplatz
Schule vorstellt                                       38                                                         Kurse und Module
                                                       Berufslehre heute
32                                                     Drucktechnologe EFZ                                        56
Arbeitsort Mittelschule                                                                                           schule & kultur
Hanspeter Rieder und                                   41
seine Physikexperimente                                In Kürze                                                   58
                                                                                                                  Agenda
35
In Kürze

    Editorial
                                                               «Lob und Tadel» – so haben wir das Fokusthema der vorliegenden Ausgabe
                                                                                                                                                 Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Inhalt

                                                               betitelt. Das Begriffspaar mag in manchen Ohren etwas verstaubt klingen.
                                                               Doch wenn ich Lehrerinnen und Lehrern, aber auch Kindern und Jugendli­
     Reto Heinzel                                              chen zuhöre, wird mir regelmässig in Erinnerung gerufen, wie weit verbreitet
                                                               traditionelle Formen von Feedback an unseren Schulen noch heute sind. So
                                                               hat nicht nur das Lob für die fehlerfreie Prüfung in den Primarschulen einen
                                                               festen Platz, sondern es kommt auch immer wieder vor, dass Kinder getadelt
                                                               oder bestraft werden. Diesem Thema haben wir uns in diesem Heft von ver­
                                                               schiedenen Seiten genähert. Während unserer Recherchen mussten wir aller­
                                                               dings bald feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, die leicht flüchtigen
                                                               Begriffe im schulischen Alltag sichtbar zu machen. Dafür begegneten wir
                                                               ­
                                                               ­vielen motivierten, reflektierten Lehrpersonen, die auf pauschale Formen von
                                                                Lob oder Kritik bewusst verzichten und auf möglichst differenzierte Rück­
                                                                meldungen setzen. 
                                                                                                                                                 3

Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das Schulblatt: reto.heinzel@bi.zh.ch, jacqueline.olivier@bi.zh.ch
Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Tagesstrukturen                                                                                                                Das zeigen nur schon die Zahlen. In den

       Ein gutes Umfeld
                                                                                                                                      letzten zehn Jahren hat sich die ­Anzahl
                                                                                                                                      der Betreuungsplätze im Kanton ­    Zürich
                                                                                                                                      auf 30 000 fast verdoppelt. Dieser Trend

       macht Schule
                                                                                                                                      wird in den nächsten Jahren an­halten. Auf
                                                                                                                                      diese gesellschaftliche Entwicklung sind
                                                                                                                                      wir im Kanton Zürich gut vorbereitet, un­
                                                                                                                                      ter anderem auch mit der Förderung von

       von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin                                                                                         Tagesschulen, die wir im letzten Frühling
                                                                                                                                      angestossen haben.
                                                                                                                                           Für viele Kinder ist heute die schul­
                                                                                                                                      ergänzende Betreuung ein wichtiger Be­
                                          Sicher erinnern Sie sich an Otfried Preuss­                                                 zugsort neben der Familie. Es hat in die­
                                          lers «Kleine Hexe»? Am Mittwochnach­                                                        sen Stunden auch für Themen Platz, die
                                          mittag, dem 23. Mai 2018, werde ich an der                                                  weit über den Schulstoff und das schuli­
                                          Tagesschule Aegerten in Zürich aus die­                                                     sche Lernen hinausgehen. Manchmal hat
                                          sem Kinderbuchklassiker vorlesen. Dann                                                      es sogar Platz für eine Regierungsrätin,
                                          organisiert das Schweizerische Institut für                                                 die am freien Mittwochnachmittag eine
                                          Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) zum                                                        Geschichte vorliest.
                                          ersten Mal einen «Vorlesetag». Dieser soll                                                       In Tagesschulen, Horten oder an Mit­
                                          in Erinnerung rufen, wie wichtig das Vor­                                                   tagstischen werden Haltungen, Wissen
                                          lesen innerhalb und ausserhalb der S ­ chule                                                und Werte vermittelt, die für die persönli­
                                          als «einfachste und wirksamste Form der                                                     che Entwicklung der Kinder zentral sind.

                                                                                          «Die schulergän­
                                          Leseförderung» ist.                                                                         Sie lernen miteinander umzugehen, Re­
                                              Die kleine Hexe möchte zur Walpur­                                                      geln einzuhalten und Grenzen zu akzep­
                                          gisnacht auf den Blocksberg fliegen, ob­
                                          wohl sie noch nicht alt genug ist – nämlich
                                                                                          zende Betreuung                             tieren. Eine ruhige und wertschätzende
                                                                                                                                      Betreuung der Kinder ist eine wichtige
                                          erst 127 Jahre und ein paar zerquetschte.       ist ein wichtiger                           Voraussetzung dafür, dass Kinder im All­
                                          Da nützt auch alles Abraten des klugen
                                          Raben Abraxas nichts. Die kleine Hexe           Bezugsort neben                             tag auf sicherem Boden stehen und die
                                                                                                                                      Herausforderungen, die die Schule und
                                          setzt ihren Kopf durch und die Geschichte
                                          nimmt ihren Lauf.
                                                                                            der Familie.»                             das Leben mit sich bringen, erfolgreich
                                                                                                                                      bewäl­tigen. Deshalb möchte ich an dieser
                                              So wie der kleinen Hexe geht es doch                                                    ­Stelle allen Mitarbeitenden im Bereich der
                                          manchmal auch den Schülerinnen und                                                           Kinderbetreuung herzlich für ihre Arbeit
                                          Schülern in unseren Schulen: Auch sie          Schule jeweils sanfter wieder auf den         danken, die sie jeden Tag leisten, um die
                                          möchten manchmal flügge sein, obwohl           ­Boden der Realität gebracht. Diesen Weg      Schülerinnen und Schüler zu begleiten,
                                          sie es noch nicht sind.                         zum Flüggewerden begleiten in unseren        bis sie flügge sind – oder wie die kleine
                                              Während die kleine Hexe im Kinder­          Schulen die unterschiedlichsten Menschen.    Hexe schliesslich erfolgreich an der Wal­
                                          buchklassiker für ihren jugendlichen            Immer wichtiger werden dabei auch die        purgisnacht teilnehmen. 
                                          Übermut von den alten Hexen hart be­            Fachpersonen in der ausserschulischen        Mehr Informationen zum Vorlesetag auf
                                                                                                                                      Seite 56
                                          straft wird, werden die Kinder in der           Betreuung.
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin

                                                                                                                                                      Mein
                                                                                                                                                      Traumschulhaus
                                                                                                                                                      Seraina Saller
                                                                                                                                                      (11), 4. Klasse,
                                                                                                                                                      Schule Flaachtal,
                                                                                                                                                      Dorf
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Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Im Lehrerzimmer

              Kantonsschule Büelrain,
                          Winterthur
                                                             Provisorium am Rande der Altstadt
                                                                                                                    Fotos: Marion Nitsch

                                                                                                                                      Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin

Lang, schmal, nüchtern und hell: präsentiert sich das Lehrerzimmer am Standort Obertor. Das Gebäude am Rande der Altstadt
dient der Kantonsschule Büelrain während dreier Jahre als einer von zwei Standorten. 2019 wird dann der Neubau an der Rosen­
strasse bezugsbereit sein. Früher: war hier die Winterthurer Stadtverwaltung untergebracht. Heute: werden in den Räumen Wirt­
schaft, Informatik, Geschichte, Geografie und Sprachen unterrichtet. Ein verspieltes Element im Innern: sind die grossflächigen
bunten Dreiecksmuster. Sie zieren den Boden nicht nur des Lehrerzimmers, sondern aller Aufenthaltszonen im nüchtern gehal­
tenen Gebäude. Die lange Tischreihe: in der Mitte des Lehrerzimmers bleibt während der Pause ungenutzt. Vielmehr drängen sich
die Lehrpersonen, die auf einen Kaffee und einen Schwatz vorbeischauen, um die drei kleinen Stehtische nahe der Kaffeemaschine.
Über Mittag: werden die Tische dagegen rege benutzt. Viele wärmen dann ihr mitgebrachtes Essen in der Mikrowelle oder verdrü­
cken ein Sandwich. «Das gemeinsame Essen stärkt das Gemeinschaftsgefühl», ist Rektor Martin Bietenhader überzeugt. Die gross-
zügige Fensterfront: gibt den Blick frei auf den begrünten Innenhof – während der Sommermonate ein beliebter Aufenthaltsort für
viele der rund 600 Schülerinnen und Schüler. [rh]
                                                                                                                                     5
Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Persönlich                                                                                                                      Tanzgruppen dabei, die weltweit als Festi­

       Mehr bewegen
                                                                                                                                       valtänzer unterwegs waren», erzählt die
                                                                                                                                       38-Jährige und strahlt: «Das waren tolle
                                                                                                                                       Erfahrungen, auch sozial, man hat mit

       als die Füsse der
                                                                                                                                       ganz verschiedenen Menschen und Kul­
                                                                                                                                       turen zu tun und spricht die gleiche Spra­
                                                                                                                                       che: Tanz.»

       Kinder
                                                                                                                                            Tanz prägt ihr Leben weiterhin. Als
                                                                                                                                       Kursleiterin bei «Dancing Classrooms»
                                                                                                                                       mit einem 40-Prozent-Pensum und als
                                                                                                                                       ­Inhaberin einer Firma, die auf die Organi­
       Tanzen spielt eine zentrale Rolle in Jessica                                                                                     sation von Events und auf Marketing spe­
                                                                                                                                        zialisiert ist: «Ich arbeite hauptsächlich im
       Summas Leben – ob sie nun selbst tanzt,                                                                                          Mandat für Grossevents im Bereich Musik

       Tanzevents organisiert oder Kindern zum                                                                                          und Tanz und bin seit mehreren Jahren
                                                                                                                                        Mitglied des Organisationskomitees des
       Beispiel Walzer beibringt.                                                                                                       ‹Caliente Latin Music Festival› in Zürich.»
                                                                                                                                        Ausserdem organisiert sie selber Tanz­
       Text: Bettina Büsser Foto: Stephan Rappo                                                                                         events, so jeweils donnerstags die «Salsa­
                                                                                                                                        mania» im Zürcher «X-Tra», ein Tanz­
                                                                                                                                        abend mit DJs und Showgruppen.

                                                                                                                                       Mit Herzblut und viel Energie
                                          «Five, six – please begin!», ruft Jessica    zählt von einem leicht autistischen Jungen      Jessica Summa hat ausserdem mitgehol­
                                          Summa. Aus der Lautsprecheranlage er­        in einem früheren Kurs, der anfänglich          fen, eine Tanzschule für Kinder mit Down-
                                          klingt «Hit the Road Jack», und die «La­     die Turnhalle ängstlich betrat – und sich       Syndrom aufzubauen: «Schweizweit ma­
                                          dies» und «Gentlemen» setzen sich in         dann als guter Tänzer erwies: «Nach dem         chen mittlerweile rund 100 Kinder und
                                          Bewegung. Swing ist angesagt, genauer,
                                          ­                                            Projekt getraute er sich vermehrt, sich mit     Jugendliche mit, diese ‹Special Latin
                                          eine Tanzfigur, bei der der «Gentleman»      den Klassenkameraden zu unterhalten.»           Dancers› sind sehr musikaffin, das ist toll.
                                          unter dem erhobenen Arm seiner «Lady»              Natürlich locken die Tanzstunden          Bei solchen Projekten bin ich mit Herz­
                                          hindurchschreitet und sich dabei einmal      nicht nur das Positivste aus den Schüle­        blut dabei.» Und schliesslich ist die ge­
                                          um sich selbst dreht. Das sieht noch nicht   rinnen und Schülern heraus. Auch bei der        lernte Bankkauffrau auch noch für ihre
                                          überall perfekt aus, aber Summa belohnt      Eglisauer Klasse geht es zwischendurch          Eltern tätig: «Sie haben seit 30 Jahren ein
                                          die Tanzenden mit einem aufmunternden        lebhaft zu, die Schülerinnen und Schüler        eigenes Geschäft in der Modebranche, ich
                                          «sehr gut!».                                 lachen, schwatzen, machen Faxen. «Es            betreue die Homepage und bin für Mar­
                                               Die «Ladies» und «Gentlemen», die in    braucht Energie, sie bei der Stange zu          keting und Buchhaltung zuständig.» Ge­
                                          der Turnhalle des Schulhauses Steinbo­       ­halten», sagt die Kursleiterin. Sie holt die   fragt, wie sie all ihre vielen Tätigkeiten
                                          den in Eglisau das Swing-Element üben,        Kinder immer wieder zurück, nicht zuletzt      aneinander vorbeibringt, winkt Summa
                                          sind Fünftklässlerinnen und Fünftkläss­       dank ihrer körperlichen Präsenz: Ihre          ab. Der Aufwand für die Firma ihrer E­ ltern
                                          ler. Die Klasse nimmt am Projekt «Dan­        Schritte und Bewegungen sind bestimmt,         halte sich in Grenzen, manchmal sei «ein
                                          cing Classrooms» (siehe Kasten) teil, in      strahlen die Autorität einer Tänzerin aus,     bisschen Buchhaltung» fast entspannend.
                                          dem Schülerinnen und Schüler zehn Wo­         was durch ihre eleganten, hochhackigen         Und überhaupt: «Ich habe gelernt: Man
                                          chen lang je zwei Tanz-Lektionen besu­        Tanzschuhe, in die sie vor Anfang der          kann sich immer organisieren. Ich habe
                                          chen. Sie üben dort Gesellschaftstänze,       Lektion geschlüpft ist, zusätzlich unter­      viel Energie. Und ich brauche diese Ab­
                                          nicht nur Swing, sondern auch Walzer,         strichen wird.                                 wechslung.»
                                          Rumba, Tango, Polka, Merengue, Foxtrott            Tanzen spielt eine zentrale Rolle in          Und so steht sie in der Eglisauer Turn­
                                          und Line Dances. Natürlich geht es darum,     ­Jessica Summas Leben: Seit ihrer Kindheit     halle, mitten im Kreis, den die Schülerin­
                                          die Tanzschritte zu erlernen, um sie dann      macht sie Ballett, vor 15 Jahren begann sie   nen und Schüler bilden, klatscht in die
                                          am Abschlussfest den Eltern und dem            mit Paartanz und entdeckte die latein­        Hände und kündigt an, dass jetzt die Polka
                                          übrigen Publikum vorzuführen – doch
                                          ­                                              amerikanischen Tänze: «Salsa – das war        an der Reihe sei. Ein Tanz, bei dem die
                                          «Dancing Classrooms» will noch viel mehr       meine Leidenschaft, Tag und Nacht. Ich        Kinder hüpfen und sich so etwas austoben
                                          bewegen als die Füsse der Kinder.              hatte dann die Möglichkeit, eine Tanz­        können. Die Musik setzt ein. «Five, six –
                                                                                         schule zu leiten, war in verschiedenen        please begin!», ruft Jessica Summa. 
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin

                                          Ein bisschen wie Mary Poppins
                                          «Wenn ich gefragt werde, was ‹Dancing
                                          Classrooms› ist, sage ich jeweils: Kennst      «Dancing Classrooms»
                                          du Mary Poppins?», sagt Kursleiterin Jes­      Das Konzept für «Dancing Classrooms» stammt aus den USA und sieht vor,
                                          sica Summa und lacht über ihren Ver­           dass Schulklassen sieben Gesellschaftstänze sowie zwei bis drei Line Dances
                                          gleich: «Du kommst mit dem Wind, wenn          lernen. Die Kurse sollen die Freude am Tanz, aber auch das Selbstwertgefühl
                                          er dreht, musst du wieder gehen. Ziel ist      der Kinder, das Gemeinschaftsgefühl sowie Respekt, Höflichkeit und Toleranz in
                                          es, etwas Gutes zu hinterlassen.» Das Pro­     der Klasse stärken. Den Unterricht erteilt eine ausgebildete Tanzlehrperson.
                                          jekt fördere nicht nur das Tanzen, sondern     In der Deutschschweiz existiert «Dancing Classrooms» seit 2010, seither haben
                                          auch den respektvollen Umgang der Mäd­         216 Klassen am Programm teilgenommen. Seit 2011 wird das Angebot vom
                                          chen und Jungen miteinander, Höflichkeit       ­Verein Dancing Classrooms Deutschschweiz getragen. Finanziert wird es durch
                                          und Vertrauen. Und: «Die Kinder können          Programmbeiträge der beteiligten Schulgemeinden, Subventionen und Beiträge
                                          sich beim Tanzen öffnen, stärken und            von Stiftungen und Organisationen. Per August 2018 sucht der Verein weitere
                                          durch­atmen. Wer in Mathe nicht gut ist,        tanzbegeisterte Personen mit pädagogischer Erfahrung. [bb]
                                          kann möglicherweise gut tanzen und so           www.dancingclassrooms.ch
                                          etwas Positives mitnehmen.» Summa er­
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Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin

Vom Ballettunterricht
zu Salsa und Co.:
Das Tanzen prägt
Jessica Summas Leben
seit ihrer Kindheit.
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Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Raumsysteme

                                                Heute anrufen,
                                                morgen einziehen.
                                                Effiziente und kostengünstige Lösungen,
                                                Miete, Kauf und Leasing:
                                                – Schulen, Kindergärten, Wohnheime
                                                – Büro- und Verwaltungsgebäude
                                                – Sanitär-, Sport- und Umkleideräume
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018

                                                Condecta AG, Stegackerstrasse 6, CH-8409 Winterthur, Telefon +41 (0)52 234 51 51, info@condecta.ch
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                                  Ins_5_Schule_178x278_d_2018.indd 1                                                                                 27.03.18 11:13
Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
Welche Schulreise ist Ihnen speziell                                                                                    Meine Schulzeit

                                                       «Die Schule ist
in Erinnerung und warum?
Im Gymnasium St.  Antonius in Appenzell
gibt es bis heute die Tradition des Altstät­

                                                    eine Kompromiss-
ter Tages. Jede Klasse bummelt, je nach
Route wird auch gewandert, von Appen­
zell nach Altstätten. Diese Ausflüge fin­

                                                              Fabrik»
den jeweils im Frühling statt. Mir sind die
diversen Varianten, wie man zu Fuss ins
Rheintal gelangt, in bester Erinnerung. Es
waren keine spektakulären Wanderun­
gen, aber wunderschöne «Bluestfahrten».                Fünf Fragen an Simon Enzler, Kabarettist
Wenn der Altstätter Tag da war, wusste
man auch, bald ist Sommer, bald war auch
dieses Schuljahr geschafft. Und dass wir
uns am Abend, wieder zu Hause, meist an          natürlich immer, wenn ein Mitschüler eine
der Sitter noch zum ausserschulischen            Platte von Guschti Brösmeli, Marcocello
Grillplausch trafen, machte diese Tage           oder Emil dabeihatte.
­jeweils perfekt.                                    Was haben Sie in der Schule fürs
       Welche Lehrperson werden Sie              Leben gelernt?
 nie vergessen?                                  Ich habe vor allem gelernt zu lernen. Es
 Alle. Doch speziell in Erinnerung ist mir       spielt weniger eine Rolle, wie viel man
 der Deutschlehrer Pater Ferdinand. Er           zu einem bestimmten Zeitpunkt weiss, als
 weckte meine Liebe zur Sprache. Als             vielmehr, wie lange man braucht, um es zu
 ­Lesemuffel kam mir sehr entgegen, dass         wissen.
  er uns, einige davon immerhin schon                Was hat Ihnen in der Schule gar
  ­volljährige Gymnasiasten, Bücher vorlas.      nicht gefallen?
   Während der zweiten seiner Doppel­            Die Schule ist eine Kompromiss-Fabrik.
   stunden durften, nein: mussten wir ein­       Kinder haben so viele Facetten, Talente
   fach nur zuhören. Der Lehrer stand vor        und natürlich auch Schwächen. Dieser
   uns und las Texte der Weltliteratur vor.      Vielfalt stand meistens ein Lernziel ge­
   Er sagte immer: «Ihr könnt sitzen, liegen,    genüber. Irgendwer blieb da immer auf
   auf dem Boden hocken, ist egal, ich will      der Strecke. Es heisst oft, der oder die
   einfach, dass ihr zuhört.»                    habe erst in der Lehre oder einer an­deren
                                                                                                       Simon Enzler (42) ist seit 1995 hobbymässig
       Welches war Ihr liebstes Fach             Schule den «Knopf aufgemacht». Man                    als Kabarettist unterwegs. Nach der Matura
   und weshalb?                                  schreibt solche Leistungssprünge der nicht            besuchte er zunächst den gestalterischen
                                                                                                       Vorkurs an der Hochschule für Gestaltung,
   Ich habe immer sehr gern gezeichnet.          linearen Entwicklung eines jungen Men­                ehe er an der Universität Zürich Philosophie
   Speziell in der Primarschule war, dass wir    schen zu. Ich glaube jedoch, dass solche              studierte. Seit dem Studienabbruch setzt
                                                                                                       er seit 2002 hauptberuflich aufs Kabarett.
   zum Zeichenunterricht unsere Lieblings­       Menschen das Glück hatten, endlich die                Enzler ist verheiratet und hat zwei Söhne.
   musik mitnehmen durften. Ich freute mich      passende Lehrperson getroffen zu haben.               Er lebt ausserhalb von Appenzell.

Bildungs-Slang
Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Bildungsmobilität
                                                                                                                                                      Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin
                                                                                                                                                      9
Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
10   Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus
Fokus

Lob und
Tadel
Kinder suchen gleichermassen Anerkennung
wie Grenzen. Wie können Lehrpersonen
damit umgehen, wie auf gute Leistungen oder
auf schwieriges Verhalten reagieren?
Ein ­Besuch in einem Kindergarten zeigt
­mögliche Wege. In der Montessori-Pädagogik
 wird auf Lob und Tadel bewusst verzichtet –
 ein Einblick in eine andere Schulwelt. Wie sich
 der Umgang mit Schülerinnen und Schülern
 in den letzten 100 Jahren verändert hat und
 ­welche Art von Rückmeldungen K   ­ inder
  ­brauchen, um zu l­ernen und sich weiter­zu­
   entwickeln, erklärt Kinder- und Jugend­
   psychologin Irina Kammerer im Gespräch.
Fotos: Dieter Seeger hat den Kindergarten Flaach und die Rietberg Montessori Schule in Zürich besucht.

                                                                                                         Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus
                                                                                                         11
Mit spielerischen Interven-
                                                           tionen lenkt Kindergärtnerin
                                                                 Michaela Norrmann die
                                                            Aufmerksamkeit der Kinder
                                                               in eine andere Richtung.

       Kindergarten                                                                                                                        son müsse darauf bedacht sein, Tadel zu

       Schimpfen ist
                                                                                                                                           verhindern. Das dürfte im Alltag nicht im-
                                                                                                                                           mer ganz einfach sein.

       k
       ­ eine Option
                                                                                                                                           Wirksame Interventionen
                                                                                                                                           Wie sieht dieser Alltag im Kindergarten
                                                                                                                                           Flaach aus? Norrmann geht still durch
                                                                                                                                           den Raum, da und dort wird sie um Rat

       Ist Lob und Tadel ein geeignetes                                                                                                    gefragt oder um Unterstützung gebeten,
                                                                                                                                           gelegentlich vermittelt sie auch in Kon-
       ­pädagogisches Mittel? Kindergärtnerin                                                                                              flikten. Eine Bubengruppe hat am Boden

        ­Michaela Norrmann versucht, möglichst                                                                                             ein Spielfeld aus Holzklötzen gebaut und
                                                                                                                                           spielt jetzt «Eishockey». Als nach einigen
         differenzierte Rückmeldungen zu                                                                                                   Minuten der Lärmpegel stark ansteigt,
                                                                                                                                           setzt sich die Kindergärtnerin zu den
         geben. Dafür setzt sie auf Beobachtung                                                                                            Buben auf den Boden. Sie nimmt zwei
                                                                                                                                           ­

         und gezielte Interventionen.                                                                                                      kleine Holzfiguren in die Hand und be-
                                                                                                                                           ginnt damit ein kleines Rollenspiel. Die
                                                                                                                                           Kinder reagieren sofort und steigen ins
       Text: Reto Heinzel
                                                                                                                                           neue Spiel ein. Mit einer kurzen Inter­
                                                                                                                                           vention ist es ihr gelungen, das Spiel in
                                                                                                                                           eine neue Richtung zu lenken. Die Situa­
                                                                                                                                           tion beruhigt sich. Norrmann wird dieses
                                                                                                                                           Mittel im Laufe des Morgens wiederholt
                                                                                                                                           anwenden. Auf diese Weise gelingt es ihr,
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

                                                                                                                                           den Kindern Grenzen zu setzen, ohne
                                                                                                                                           dass sie einzelne Kinder tadeln muss.
                                        Es ist Mittwoch vor Ostern. Kurz nach halb          und stehen bleiben. Er soll einfach mer-            Die gezielten Interventionen, die Norr­
                                        neun herrscht im Kindergarten Flaach be­           ken, dass ich da bin.» Dies nütze meistens.     mann in ihrer Klasse einsetze, seien sehr
                                        reits emsige Betriebsamkeit. Die Klasse            Schimpfen sei aber keine Op­tion, betont sie.   wirksam, sagt Lieger. «Sie ermöglichen,
                                        von Michaela Norrmann ist im Element.              Wenn immer möglich sehe sie davon ab.           dass der Lernprozess gut weiterläuft.»
                                        Viele Kinder spielen in kleineren Grup-                 Catherine Lieger hat Norrmann wäh-         Dazu müsse man wissen: Ein negatives
                                        pen, einige basteln am angefangenen                rend der Ausbildung zur Kindergärtne-           Feedback bleibe viel stärker haften als
                                        ­Osternestli weiter, andere zeichnen oder          rin als Mentorin begleitet. Mit Lob und         ein Lob. Da könne man viel kaputt ma-
                                         bauen Holztürme. Die Kindergärtnerin be­          Tadel erreiche man wenig, sagt sie, es          chen. Anderseits tue ein ehrlich gemein-
                                         obachtet das muntere Treiben aufmerk­             ­seien ­veraltete Konzepte. «Lehrpersonen       tes Lob jedem Menschen gut. «Dafür muss
                                         sam. «Ein Bub ist heute etwas impulsiv»,           sollten heute in der Lage sein, stets eine     auch Platz sein. Wenn das unterdrückt
                                         stellt sie fest, «auf ihn werde ich b
                                                                             ­ esonders     differenzierte Rückmeldung zu geben»,          wird, geht viel Lebensfreude verloren.»
                                         achten müssen.» «Wenn ich sehe, dass er            sagt die Dozentin an der Pädagogischen              Für Lob hat es auch im Flaachemer
12

                                         sich vergisst, werde ich zu ihm hingehen           Hochschule Zürich (PHZH). Die Lehrper-         Kindergarten Platz. Norrmann bemüht
spielen Fangen, verstecken sich im Holz-
                                                                                            häuschen oder klettern auf einen der
                                                                                            ­kleineren Bäume. Norrmann geht herum
                                                                                             und übt die Pausenaufsicht aus. Sich ir-
                                                                                             gendwo hinzusetzen, kommt für sie nicht
                                                                                             infrage. Nach einer knappen halben Stun-
                                                                                             de kehrt die Klasse wieder ins Haus zu-
                                                                                             rück. Den Rest der Stunde verbringt die
                                                                                             Gruppe noch einmal im Kreis. Gemein-
                                                                                             sam werden farbige Eier gefilzt, die dann
                                                                                             im Osternestli Platz finden werden. Die
                                                                                             fertigen Basteleien werden sie morgen
                                                                                             nach Hause nehmen können. Eine kurze
                                                                                             Feedbackrunde, in der die ungewohnten,
                                                                                             glitschig-weichen Filzerfahrungen geteilt
                                                                                             werden, rundet den Vormittag ab.

                                                                                            Klare Grundregeln
                                                                                            Es war ein Morgen, an dem zwar ein­
                                                                                            zelne Kinder ermahnt werden mussten,
                                                                                            sich an Abmachungen zu halten, abgese-
                                                                                            hen davon jedoch kaum ein tadelndes
                                                                                            Wort gefallen ist. Wie ist das möglich?
                                                                                            «Ein Patentrezept habe ich nicht», sagt
                                                                                            Norrmann. «Ich versuche einfach, kon­
                                                                                            sequent zu sein.» Die Grundregeln seien
                                                                                            den Kindern klar. Ganz zentral: Niemand
                                                                                            auslachen, niemand ausschliessen. «Falls
                                                                                            diese Regeln gebrochen werden, bespre-
sich allerdings stets, differenzierte Rück-   r­ uhigen Tonfall, aus dem gleichzeitig Be-   che ich das mit allen Beteiligten. Dabei
meldungen zu geben. Trotzdem entfährt          stimmtheit klingt.                           nehme ich die Rolle als Moderatorin ein,
ihr im Laufe des Morgens durchaus ein-              Während mehr als einer Stunde bleibt    stelle Fragen. Nach Lösungen suche man
mal ein spontanes «super», «sehr gut»          die Atmosphäre lebendig, doch weitge-        grundsätzlich gemeinsam. «Strafen», be-
oder «toll gemacht». Weshalb ist es ihr        hend entspannt. Dann ruft die Lehrerin       tont sie, «gibt es fast nie.»
eigentlich so wichtig, in dieser Hinsicht
­                                              die Kinder zusammen. Die Klasse spricht          Ihre Herangehensweise habe viel mit
Zurückhaltung zu üben? «Mir geht es            einen kurzen Vers, danach wird gemein-       ihrer inneren Haltung zu tun, sagt Norr-
vor allem darum, nicht in stereotype           sam aufgeräumt. Schliesslich finden sich     mann. Sie sieht sich als Leitwölfin, die für
Muster zu verfallen», sagt sie. Sie wolle
­                                              alle im Kreis ein. Zwei Kinder rollen        das Wohl ihrer Jungtiere sorgt. Woher
keine ­unbedachten Äusserungen machen,         das Znünitaxi mit Nüssen und zuvor ge-       kommt das? «Das Gemeinschaftliche war
sondern auf jedes einzelne Kind ein­           schnittenen Früchten herein. Nacheinan-      mir schon immer wichtig, dazu gehört
gehen. «Mein Herzensanliegen ist es, die       der darf sich jedes Kind fünf Stücke         auch ein respektvoller Umgang mitei­
Kinder ganz viel selber machen zu las-         ­nehmen und am Platz essen. Beim nächs-      nander», sagt sie. Zudem habe sie schon
sen. Sie sollen sich als selbstwirksam ­er-     ten Mal werden es sieben Stücke sein.       immer sehr viel über ihr eigenes Tun
leben.»                                         «Ich bemühe mich immer wieder, all­         nachgedacht. Während der Kindergarten-
                                                tägliche Routinen zu nutzen, damit die      ausbildung habe sie dann rasch erkannt,
Spielerische Erkundungen                        Kinder Kompetenzen wie beispielsweise       wie wertvoll das Freispiel sei. «Es braucht
Der Kindergartenalltag in Flaach hat recht      hier das Zählen erwerben können», sagt      manchmal Mut, den Kindern einen sol-
wenig mit dem zu tun, was man sich ge-          Norrmann.                                   chen Freiraum zu geben, aber es lohnt
meinhin unter einem «traditionellen» Ab-                                                    sich», ist Norrmann überzeugt.
lauf vorstellt. Hier steht das freie Spiel    Das Selbstvertrauen stärken                       PH-Dozentin Lieger zeigt sich beein-
im Zentrum. Bereits während der Auf-          In der Morgenmitte folgt eine kleine Kreis­   druckt von der Art und Weise, wie die
fangzeit beginnen die Kinder damit. Die       sequenz. Hier dürfen die Kinder selbst        Quereinsteigerin den Unterricht gestaltet.
Kindergärtnerin verzichtet heute darauf,      Entwickeltes und Gebasteltes vorzeigen,       Die Kindergärtnerin gebe «die richtigen
zu Beginn der Stunde eine Zäsur zu set-       vorspielen oder vorsingen. Heute haben        didaktischen Antworten auf die heutigen
                                                                                                                                           Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

zen, sodass die Kinder ihre spielerischen     zwei Mädchen ein kleines Perkussions­         Fragen», sagt die Dozentin an der Päda­
Erkundungen nahtlos fortsetzen können.        duett eingeübt, ein Bub präsentiert einen     gogischen Hochschule Zürich (PHZH).
«Der Kindergarten ist ein Lernraum. Die       selbst gebastelten Propeller, ein scheues     Lieger denkt vor allem an das von Norr-
Kinder sollen hier möglichst viel Zeit        Mädchen erklärt mit kaum hörbarer Stim-       mann hochgehaltene Freispiel. «Es er-
spielend und entdeckend verbringen kön-       me die Funktionsweise der von ihr erfun-      möglicht, dass das Kind dort gefördert
nen», sagt sie. Die durch den Raum wu-        denen «Eierfärbemaschine». Die Kinder         wird, wo es gerade steht.» Lieger wünscht
selnden Kinder hat sie jederzeit im Blick,    hören einander zu. Es geht nicht darum,       sich, dass das Freispiel wieder an Be­
sie ist bereit, auf Veränderungen zu re-      die einzelnen Darbietungen zu bewerten,       deutung gewinnt. Gerade in unserer heu-
agieren oder Lernimpulse zu geben.            sondern darum, das Selbstvertrauen der        tigen Zeit sei das wichtig. «Viele Kinder,
    Die Augen und Ohren über Stunden          Kinder zu stärken. Jedes soll so genom-       die in den Kindergarten kommen, wissen
permanent nach allen Seiten offen zu hal-     men werden, wie es ist.                       gar nicht mehr, wie man spielt», sagt sie.
ten – das ist anspruchsvoll und anstren-          Nach dem Züni ist es Zeit für die         «Sie können sich kaum mehr spielend be-
gend. Doch die 41-jährige Quereinstei­        ­Pause im Freien. Die munteren «Räupli»       schäftigen. Das ist eine der Hauptschwie-
gerin und frühere Handarbeitslehrerin          und «Summervögeli» flitzen aus dem Haus.     rigkeiten, mit denen heutige Kindergärten
                                                                                                                                           13

bleibt gelassen, spricht stets in einem        Auf dem Vorplatz zeichnen sie mit Kreide,    konfrontiert sind.» 
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Montessori-Schule                                                                                                          gramm, ein Mädchen übt englische Voka-

       Ohne Lob und
                                                                                                                                  beln. Sitzvorschriften gibt es keine. Wer
                                                                                                                                  nicht an einem der frei angeordneten
                                                                                                                                  ­Tische sitzt, räkelt sich am Boden, streift

       ohne Tadel
                                                                                                                                   durch die Räume – ganz nach Belieben
                                                                                                                                   und momentanem Interesse. Man arbeitet
                                                                                                                                   allein oder findet sich in Lerngruppen zu
                                                                                                                                   zweit oder zu dritt zusammen.

       Unterrichten, ohne ein Lob auszusprechen                                                                                        Ein Knabe, der eben noch an einem
                                                                                                                                   Text gefeilt hat, lässt den Bleistift fallen.
       oder ein Kind zu bestrafen. Kann das                                                                                        Er wendet sich einer am Boden kauern-

       funktionieren? Ein Augenschein an der                                                                                       den Dreiergruppe zu, die sich mit Division
                                                                                                                                   beschäftigt. Dass er sein eigenes Tun zwi-
       Rietberg Montessori Schule in Zürich.                                                                                       schendurch unterbricht, ist erlaubt, so­
                                                                                                                                   lange er die anderen Kinder nicht stört.
       Text: Reto Heinzel                                                                                                          Die Ablenkung entspricht einem Grund-
                                                                                                                                   prinzip der Montessori-Pädagogik, da sie
                                                                                                                                   das Kind möglicherweise zur Beschäfti-
                                                                                                                                   gung mit einem neuen Lerninhalt führt.
                                                                                                                                   «Das Kind wählt seine Arbeit frei und
                                                                                                                                   richtet sich dabei nach seinen Bedürfnis-
                                                                                                                                   sen», heisst es in den Informationsunter-
                                        Eine Jugendstilvilla an der Seestrasse in    zu unterstützen und dabei die individu-       lagen zur Schule. Kann das gut gehen?
                                        Zürich Enge. An den Tischen im Gang          elle Entwicklung eines jeden Kindes zu        Lernen Kinder in einer solchen Situation
                                        sitzen an diesem Märzmorgen drei
                                        ­                                            ­respektieren. Dazu gehört auch, dass die     überhaupt noch etwas? Fühlen sie sich
                                        9-­jährige Knaben beisammen. Das Trio         Kinder den Zeitpunkt der morgendlichen       nicht überfordert?
                                        hat sich entschieden, die Vormittagspause     Pause selbst bestimmen dürfen.
                                        gemeinsam zu verbringen. Doch die Jungs                                                   Der Lehrer als Türöffner
                                        toben nicht etwa herum, um lautstark         Nach den eigenen Bedürfnissen                Martin Schmidt ist überzeugt, dass das
                                        Dampf abzulassen. Vielmehr unterhalten       Die Montessori-Pädagogik empfiehlt auch,     von Montessori hochgehaltene Prinzip
                                        sie sich in gedämpftem Ton, während          in der Erziehungsarbeit auf Lob und Tadel    der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
                                        sie ihre mitgebrachten Nüsse und Dörr-       zu verzichten. Doch lässt sich das im All-   kindgerecht ist. Schmidt ist eine von drei
                                        früchte knabbern.                            tag überhaupt umsetzen?                      Lehrpersonen der altersgemischten Un-
                                             Wir befinden uns in der Rietberg Mon­       In den drei angrenzenden, durch of­      terstufenklasse. «Wir denken vom Kind
                                        tessori Schule, wo die drei eine gemischte   fene Türen verbundenen Schulzimmern          aus, von seinen Interessen», sagt er. Hier
                                        Unterstufenklasse besuchen. Seit 1987        herrscht eine konzentrierte Lernatmo-        erhielten die Kinder ständig Lernimpulse
                                        werden Kinder an dieser privaten Tages-      sphäre. Hier arbeiten 35 Kinder zwischen     von ihren Mitschülerinnen und Mitschü-
                                        schule nach den pädagogischen Grund-         6 und 9 Jahren. Sie widmen sich dabei        lern, zudem fänden während der Zusam-
                                        sätzen der italienischen Ärztin Maria        ganz unterschiedlichen Themen: Manche        menarbeit mit anderen wichtige soziale
                                        Montessori unterrichtet. Hauptanliegen       rechnen oder zeichnen geometrische           Lernprozesse statt. «Wir Lehrpersonen
                                        ist es, die Kinder in ihrer Selbstständig-   Figuren, andere beschäftigen sich mit
                                                                                     ­                                            beobachten unterdessen sehr genau, wie
                                        keit, ihrer Bewegungsfreiheit, ihrem Lern-   Grammatik oder lesen ein Buch, ein Bub       sich die Situation im Klassenzimmer ent-
                                        verhalten und ihrem sozialen Verhalten       arbeitet mit einem Computer-Lernpro-         wickelt. Und wir sorgen dafür, dass die
                                                                                                                                  Kinder sich immer wieder neuen Heraus-
                                                                                                                                  forderungen stellen können. Ich verstehe
                                          Das Kind als sein eigener Lehrer                                                        mich als Türöffner», sagt der frühere Pri-
                                          Die Montessori-Pädagogik wurde von der italienischen Ärztin Maria Montessori            marlehrer. «Ich will nur so viele Anstösse
                                          (1870 –1952) begründet. Erste Impulse zur Beschäftigung mit Erziehungsfragen            geben, wie nötig sind, damit das Kind
                                          erhielt sie bei der Arbeit mit behinderten Kindern, die zu jener Zeit kaum ge­          ­eigenständig weiterarbeiten kann. Je nach
                                          fördert wurden. Bald entwickelte sie Lernmethoden und didaktische Materialien.           Kind ist dabei mehr oder weniger Unter-
                                          Im Laufe der Jahre entstand ein eigenes pädagogisches System, die Montessori-            stützung nötig.» Geleitete Sequenzen sind
                                          Pädagogik, die heute auf der ganzen Welt verbreitet ist.                                 rar. Wenn sie stattfinden, dann vor al-
                                          Montessori war davon überzeugt, dass Kinder ihre eigenen Gesetze beim geis-              lem in kleinen Gruppen. Gerade erklärt
                                          tigen und körperlichen Wachstum entfalten und über selbsterzieherische Kräfte            Schmidt einer Dreiergruppe anhand von
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

                                          verfügen, die es zu aktivieren gilt. In einer Zeit, als der autoritäre Erziehungsstil    Deutsch-Lernkärtchen, wie sie die Unter-
                                          die Regel war, rückte sie die Freiheit und Unabhängigkeit des Kindes in den              schiede zwischen Nomen und Artikeln
                                          ­Mittelpunkt. Die Lehrperson agiert dabei als Begleiterin, die dem Kind den Weg          einüben können.
                                           in die Selbstständigkeit ebnet, gemäss dem Leitgedanken Montessoris: «Hilf
                                           mir, es selbst zu tun.» Das Kind ist also nicht einfach Empfänger, sondern sein        Ein Gespür entwickeln
                                           eigener Lehrer.                                                                        Der Erwachsene ist also in erster Linie
                                           Die Rietberg Montessori Schule in Zürich wurde 1987 als Stiftung gegründet.            dazu da, Hilfestellung zu bieten und die
                                           Die Privatschule entspricht den Richtlinien der Assoziation Montessori (Schweiz)       Umgebung gemäss den pädagogischen
                                           AM(S) und steht unter der Aufsicht der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.           Grundsätzen von Montessori zu gestalten.
                                           Die Schülerinnen und Schüler werden in altersgemischten Gruppen (Unter­                Es gehe nicht darum, die Kinder zum Ler-
                                           stufe 6 –9 Jahre / Mittelstufe 9 –12 Jahre) von jeweils 2–3 Lehrpersonen in deut-      nen anzuhalten, sagt Schmidt. «Die Kin-
                                           scher und englischer Sprache unterrichtet und begleitet. Die Primarschule ist          der haben einen inneren Antrieb, Neues
                                           in zwei dreijährige Entwicklungsräume gegliedert. Diese durchläuft das Kind in         zu entdecken und zu lernen.» Wenn die-
                                           seinem eigenen Tempo. [rh]                                                             ser Antrieb durch Erwachsene ab- oder
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                                                                                                                                  umgelenkt und damit gestört werde, finde
etwas statt, was nicht im Sinne des Kindes
sei. Kinder sollen den Wert ihrer Arbeit
selbst erkennen können und nicht auf
­Bestätigung von aussen angewiesen sein.
 «Wer ein Kind lobt oder tadelt, der macht
 das Kind abhängig. Es kann kein Gespür
 dafür entwickeln, was richtig ist und was
 falsch.»
      Belohnungen werden in diesem Rah-
 men als unnötig erachtet. Auch wird in
 der Montessori-Schule auf Noten und
 Zeugnisse verzichtet. Allerdings: Gegen
 Ende der Primarschule muss mit diesem                                                                  In der Rietberg Montessori Schule
                                                                                                           in Zürich entscheidet das Kind,
 Prinzip gebrochen werden. Damit sich das                                                            zu welchem Zeitpunkt es an welchen
                                                                                                                     Themen arbeiten will.
 Leistungsniveau der Schülerinnen und
 Schüler vor dem Übertritt in die Sekun-
 darstufe bestimmen lässt, kommt man um
 die ­Notengebung nicht herum. Die Kinder
 liessen sich dadurch jedoch nicht aus der
 Ruhe bringen, versichert Schmidt. «Sie
 sind dann bereits reif und alt genug, dass   Schüler. Dieser Austausch unter vier Au-        Fall, dass ein Kind etwas dem Lehrer zu-
 sie mit dieser Form der Beurteilung um-      gen dient dem Zweck, die zu Ende gehen-         liebe macht. Das Kind sollte von sich aus
 gehen können.»                               de Woche Revue passieren zu lassen. «Das        zur eigenen Leistung stehen können.»
      Montessorischülerinnen und -schüler     hilft dem Kind dabei, sich selbst einzu-            Kein Zweifel: Der hiesige Alltag unter-
 lernen früh, eigene Lernfortschritte ein-    schätzen.» Allerdings ist Larsson jeweils      scheidet sich stark von jenem an einer
 zuschätzen und selbstverantwortlich zu       auch darum bemüht, den Kindern «das            ­öffentlichen Schule. Die verhältnismässig
 handeln. Im Lernmaterial ist meist eine      zu geben, was sie im Moment brauchen»,          grossen Freiheiten und die Selbstverant-
 Fehlerkontrolle eingebaut, sodass die Kin­   wie sie erklärt. Das dürfe auch einmal ein      wortung, die dem Kind zugestanden res-
 der merken, ob sie bei einer Aufgabe rich-   lobendes Wort sein, denn: «Es ist wichtig,      pektive zugemutet werden, bedeuten aber
 tig liegen oder ob Anpassungen nötig sind.   dass die Kinder mit sich zufrieden sind.»       nicht, dass jedes Tun akzeptiert wird. «Bei
 Wenn sich das Kind in einem Thema                                                            uns werden die Kinder zwar nicht vor
 ­sicher genug fühle, könne es eine Lern-     Nicht dem Lehrer zuliebe                        die Türe geschickt», sagt Urand. Doch de-
                                                                                                                                             Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

  kontrolle machen, erklärt die englisch-     Schulleiterin Christine Urand plädiert da-      struktives Verhalten werde gestoppt, die
  sprachige Lehrerin Anna Larsson. Den        für, als Lehrperson Zurückhaltung an den        Grenzen werden klar aufgezeigt. «Unsere
  Zeitpunkt bestimmt das Kind. Sind die       Tag zu legen. Wenn ein Kind frage: «Ist         Kinder wissen, dass sie nicht tun und las-
  Ergebnisse der Kontrolle lückenhaft, wird   das gut so?», dann könnte man vielleicht        sen können, was sie wollen, und dass sie
  die Lehrperson keine Kritik äussern, son-   zurückfragen: «Ja, was findest denn du,         bei Regelverstössen mit Konsequenzen
  dern offene Fragen stellen. Zum Beispiel:   wie ist es für dich?» Ziel sei es, die Kin-     rechnen müssen.» Wenn ein Kind beim
  «Was meinst du, kannst du dieses Thema      der an eine realistische Selbsteinschät-        Turnunterricht einem anderen gegenüber
  jetzt abschliessen? Oder musst du noch      zung und Selbstbeurteilung heranzufüh-          Gewalt anwendet, kann das beispielsweise
  länger daran arbeiten?»                     ren. «Die Gefühlslage des Kindes sollte         dazu führen, dass es für eine gewisse Zeit
      Nach Ansicht von Larsson ist in jedem   dabei stets positiv sein, damit es mit Freu-    vom Turnen ausgeschlossen wird. Ganz
  Fall eine differenzierte Form von Feed-     de lernen kann.» Das gelte für ein leis-        ohne Strafe funktioniert es also offen-
  back nötig. Eine Möglichkeit dazu bietet    tungsstarkes Kind genauso wie für eines,        sichtlich auch hier nicht. «Wir legen aber
  sich jeden Freitag. Dann findet die soge-   das schulisch weniger erreiche. Und diese       Wert darauf, dass ein Schüler oder eine
  nannte Wochenkonferenz statt, ein kur-      Freude soll nicht von der Lehrperson be-        Schülerin versteht, weshalb sein Handeln
                                                                                                                                             17

  zes Gespräch zwischen Lehrperson und        einflusst werden. «Wir wollen auf keinen        Konsequenzen hat», sagt Urand. 
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Im Gespräch                                                                                                                 Sicher hat sich das Bewusstsein verän-

       «Im Zentrum steht
                                                                                                                                   dert, trotzdem kommt solches Verhalten
                                                                                                                                   in der Schule immer noch häufiger vor,
                                                                                                                                   als wir uns das wünschen.

       der Lernerfolg»
                                                                                                                                       Sind körperliche Strafen in der
                                                                                                                                   Schule inzwischen nicht verboten?
                                                                                                                                   Das kommt ganz darauf an, wo. In den
                                                                                                                                   USA zum Beispiel ist das sogenannte

       Kinder brauchen den Dialog mit Lehrper-                                                                                     «Paddling», bei dem das Kind mit einem
                                                                                                                                   Paddel geschlagen wird, in 19 Staaten
       sonen und Eltern, um in ihrer Entwick-                                                                                      noch immer erlaubt. Auch in Europa sind

       lung Fortschritte zu machen, sagt Kinder-                                                                                   sie bis heute nicht überall ausdrücklich
                                                                                                                                   verboten. In der alten Volksschulverord-

       und Jugendpsychologin Irina Kammerer.                                                                                       nung des Kantons Zürich gab es einen
                                                                                                                                   Passus, laut dem Körperstrafen in Aus-
       Doch was sind sinnvolle Rückmeldungen?                                                                                      nahmesituationen «entschuldbar» waren.

       Und wie reagiert ein Kind auf negative                                                                                      Dies galt bis 1985. Im neuen Volksschul­
                                                                                                                                   gesetz hat der Kanton auf ein ausdrück­
       ­Äusserungen?                                                                                                               liches Züchtigungsverbot im Schulrecht
                                                                                                                                   verzichtet.
       Interview: Jacqueline Olivier Foto: Dieter Seeger                                                                               Wie erklären Sie sich das?
                                                                                                                                   In der Schweiz existiert trotz UNO-Men-
                                                                                                                                   schenrechtscharta und Konvention über
                                                                                                                                   die Kinderrechte, die wir beide unter-
                                                                                                                                   zeichnet haben, kein explizites gesetzli-
                                                                                                                                   ches Verbot von körperlicher Bestrafung
                                                                                                                                   in der Erziehung. Dabei konnten in den
                                                                                                                                   Ländern, in denen ein solches gesetzli-
                                        Ist Ihnen aus Ihrer Schulzeit eine Si­        richt an der Tagesordnung. Denken wir        ches Verbot besteht – etwa in Deutsch-
                                        tuation, in der Sie gelobt oder getadelt      bloss an die Eselsmütze, welche die Kin-     land –, Körperstrafen klar reduziert wer-
                                        wurden, in besonderer Erinnerung?             der anziehen mussten, oder an das Erb-       den. Natürlich ist die Sensibilisierung und
                                        An ein Erlebnis aus der Mittelstufe erin-     senkissen, auf dem sie knien und die         Aufklärung der Bevölkerung ein wichtiger
                                        nere ich mich gut: Unsere ganze Klasse        Schmerzen ertragen mussten, an die «Tat-     Punkt, aber ein explizites Verbot trägt of-
                                        war dem Unterricht ferngeblieben – wir        zen», die der Lehrer austeilte. Damals ist   fenbar durchaus dazu bei, dass weniger
                                        hatten uns versteckt. Der Lehrer suchte       man davon ausgegangen, dass das Kind zu      körperlich bestraft wird.
                                        uns, und als wir alle wieder zum Vor-         Gehorsam erzogen werden musste – jede            Was machen Tadel und körperliche
                                        schein gekommen waren, erklärte er uns,       Aufmüpfigkeit versuchte man mit Härte,       Attacken mit einem Kind?
                                        wie befremdlich diese Situation für ihn       mit Disziplin, mit Strafen «in gesunde       Wenn ein Kind ständig Beschimpfungen,
                                        gewesen war. Dies löste bei uns Betroffen-    Bahnen» zu lenken. Das hat sich mit der      Demütigungen oder gar Körperstrafen
                                        heit aus. Diese Reaktion des Lehrers er-      68er-Bewegung geändert. Man hat in je-       ausgesetzt ist, wirkt sich dies auf sein
                                        achte ich als vorbildlich, weil er mit uns
                                        das Gespräch gesucht hat, statt zu schimp-
                                        fen oder uns zu bestrafen. Erinnern kann
                                        ich mich auch an andere Situationen, etwa
                                        an einen anerkennenden Blick oder an                   «Meines Erachtens kann man
                                        ein Bravo mit Ausrufezeichen unter einer
                                        Prüfung.
                                                                                               bei jedem Kind etwas Positives
                                            Welche Rolle spielen Lob und                              herausstreichen.»
                                        Tadel in der Schule?
                                        Im erzieherischen und schulischen Kon-
                                        text ist das Thema omnipräsent. Lob und
                                        Tadel kann man im Sinne der Lerntheorie       ner Zeit angefangen, das Lehrerverhalten     Selbstwertgefühl negativ aus und es kann
                                        als positive respektive negative Verstärker   zu untersuchen. Tonbandaufnahmen ha-         die Beziehung zwischen dem Kind und
                                        verstehen. Positive Verstärker sind etwa      ben gezeigt, wie Lehrpersonen mit Schü-      dem Erwachsenen negativ beeinflussen.
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

                                        ein verbales Lob, ein Zunicken oder ein       lerinnen und Schülern redeten, und es        Oft entsteht ein Pingpong-Effekt, weil ein
                                        Lächeln. Lob ist letztlich ein Zeichen der    formierten sich entsprechende Gegen­         aversives Verhalten seitens des Erwach-
                                        Anerkennung. Negative Verstärker kön-         bewegungen.                                  senen beim Kind Aggressionen auslösen
                                        nen ein Kopfschütteln oder ein Verdrehen          Heute darf man also voraussetzen,        kann, auf die der Erwachsene umso har-
                                        der Augen sein, aber auch eine verbale        dass Demütigungen im Schulzimmer             scher reagiert, und so weiter. Aus der
                                        Herabwürdigung, sodass das Kind klein         der Vergangenheit angehören?                 ­Forschung wissen wir, dass das strafende
                                        oder lächerlich gemacht wird. Auch, An-       Leider nicht überall. Es ist bedenklich,      Erziehungsverhalten entwicklungsschä-
                                        schreien, Strafaufgaben oder körperliche      wie oft Schüler und Studenten in entspre-     digend ist, solche Kinder haben vermehrt
                                        Strafen gehören dazu. Tadel bedeutet im-      chenden Befragungen nach wie vor über         emotionale Probleme oder Verhaltens-
                                        mer Missbilligung und ist Teil eines stra-    negatives Lehrerverhalten berichten. Das      schwierigkeiten.
                                        fenden Lehrerverhaltens, wie es früher        geht vom harschen Angehen der Schü­               Wie sieht es aus mit Kritik – hat
                                        «normal» war.                                 lerinnen und Schüler über Beschimpfun-        diese Platz im Unterricht?
                                            Wie meinen Sie das?                       gen bis zu körperlichen Attacken – einem      Natürlich, dann sprechen wir aber nicht
                                        Vor 60, 70, 100 Jahren waren Kränkungen,      Kind einen Stoss versetzen, ihm den           mehr von Tadel. Bei einer konstrukti-
20

                                        Demütigungen, Körperstrafen im Unter-         Schlüsselbund anwerfen und Ähnliches.         ven Kritik geht es um eine positive Aus­
Irina Kammerer (43) studierte an der
                                                                                             Universität Zürich und schloss 2003 mit
                                                                                                     dem Doktorat ab. Sie war in einem
                                                                                               ­Kriseninterventionszentrum sowie im
einandersetzung mit dem Kind oder dem          nen die Emotionen der erwachsenen Per-       Schulpsycho­logischen Dienst tätig. Heute
                                                                                                    leitet sie den Bereich Beratung und
Gegenüber. Wenn sie getadelt werden,           son ins Spiel. Man verliert die Geduld,          ­Therapie für Kinder, Jugendliche und
wissen die Kinder oftmals nicht, was sie       man ist gestresst, unter Druck. Und weil           ­Familien am Psychotherapeutischen
                                                                                                                                          Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

                                                                                                        Zentrum der Universität Zürich.
falsch gemacht haben und was sie ändern        man überreagiert, werden unverhältnis-
sollten. Der neuseeländische Bildungsfor-      mässige Strafen angesetzt. Wenn das ein-
scher John Hattie betont in diesem Zu-         mal vorkommt, ist das nicht schlimm, das
sammenhang die Feedback-Kultur, die es         kann jedem passieren, aber es sollte nicht
in der Schule zu leben gelte. Bei uns ist      die Norm sein und zu einem Stil werden.
Kritik oft negativ behaftet, sollte aber im-       Wie kann man als Erwachsener
mer ein Feedback im positiven Sinne sein.      solche Überreaktionen vermeiden?
    Kinder suchen Grenzen, wollen              Indem man versucht, möglichst sachlich
testen, wie weit sie gehen können.             zu bleiben, das Problem zu orten und sich
Muss man da nicht manchmal ener­               zu überlegen, warum das Kind es nicht
gisch werden?                                  schafft, eine Anweisung zu befolgen oder
Etwas klar zu benennen, ist noch keine         eine Regel einzuhalten. Wenn ein Kind
Missbilligung. Das Problem, das wir in der     beispielsweise im Unterricht ständig
Schule oder auch im häuslichen Kontext         dreinredet, sollte sich die Lehrperson mit
                                                                                                                                          21

haben: Oft kommen in solchen Situatio-         ihm zusammensetzen und besprechen, 
warum es ihm so schwerfällt, aufzustre-      nicht ganz korrekt ist. Auch hier zählt      häufig darin, dass man dem Kind Privile-
                                        cken und zu warten, bis es aufgerufen        letztlich der Inhalt der Rückmeldung. Dem    gien entzieht. Man schickt es zum Beispiel
                                        wird. Man kann mit ihm ein Ziel festlegen    Kind gegenüber Anerkennung auszudrü-         in sein Zimmer, das heisst, es darf sich
                                        und einen Weg definieren, wie es dieses      cken für eine bestimmte Leistung, ist        nicht mehr in der Familiengemeinschaft
                                        erreichen kann. Dabei muss klar sein, was    sinnvoll, ihm nur zu sagen: «Du bist gut»,   aufhalten. Oder man auferlegt ihm Haus-
                                        das Kind selbst tun kann und wo es die       bringt es hingegen nicht weiter.             arrest, ein Fernseh- oder Handy-Ver­bot.
                                        Unterstützung der Lehrperson braucht.            Ist es klug, ein Kind vor der ganzen     Man entzieht dem Kind also einen positi-
                                        Entscheidend ist das Miteinander.            Klasse zu loben und es dadurch vor           ven Stimulus. Aus der Forschung wissen
                                            Das ist ein hoher Anspruch.              den anderen auszuzeichnen?                   wir aber schon seit 1932: Bestrafung ist
                                        Ja, aber es lohnt sich. Und es hilft auch,   Wenn eine Lehrperson dies macht, sollte      nicht verhaltensformend.
                                        Kindern klare Anweisungen zu geben.          sie versuchen, möglichst alle Kinder zu          Was heisst das?
                                        Wenn ein Kind im Unterricht herum­           berücksichtigen, auch wenn es bei einigen    Wenn ich ein Kind in sein Zimmer schi-
                                        hampelt, sollte man nicht ausrufen, son-     Kindern vielleicht mehr Möglichkeiten        cke, hilft das vielleicht, die Situation im
                                        dern ihm ruhig, aber bestimmt sagen:         gibt, positive Rückmeldungen zu geben,       Moment zu beruhigen, aber das Kind lernt
                                        «Jetzt setzt du dich bitte an deinen Platz   als bei anderen. Im Zentrum steht der        dadurch nicht, was es anders machen
                                        und arbeitest weiter.» Je nachdem kann       Lernerfolg. John Hattie hat in seinen Stu-   sollte. Es wird also sein Verhalten nicht
                                                                                                                                  ­
                                        man noch anfügen, dass man die Situation     dien die Faktoren herausgearbeitet, die      ändern, sondern höchstens unterdrücken.
                                        nach der Stunde zusammen besprechen          zum Schulerfolg beitragen. Und er kam        Wenn ein Kind aber wiederholt eine Vier-
                                        wird. Dann weiss das Kind, woran es ist      zum Schluss, dass wir das Lehren und         telstunde zu spät nach Hause kommt und
                                        und dass noch ein Gespräch folgt. Letzt-     Lernen sichtbar machen müssen. Wenn          dafür bei einem nächsten Mal eine Vier-
                                                                                                                                  telstunde früher nach Hause kommen
                                                                                                                                  muss, ist dies für das Kind eine nachvoll-
                                                                                                                                  ziehbare Konsequenz aus seinem Fehl-
                                                                                                                                  verhalten. Noch besser ist es, sich mit dem
                                                 «Wenn sie getadelt werden,                                                       Kind zusammenzusetzen und zu erörtern,
                                                                                                                                  welche Hilfe es benötigt, damit es in Zu-
                                               wissen die Kinder oftmals nicht,                                                   kunft pünktlich ist. Und wenn es dies dann

                                               was sie falsch gemacht haben.»                                                     tatsächlich schafft, sollte man ihm dafür
                                                                                                                                  auch Anerkennung zeigen. Man kann es
                                                                                                                                  auch belohnen, denn erwünschtes Verhal-
                                                                                                                                  ten kann mittels positiver Verstärkung
                                                                                                                                  aufgebaut werden.
                                        lich ist dies Teil einer guten Klassenfüh-   eine Lehrperson einem Kind zu verste-            Jeder von uns erinnert sich vermut­
                                        rung: Mit positiv formulierten Anweisun-     hen gibt, was es gut gemacht hat, kann       lich noch an Strafarbeiten in der S ­ chule,
                                        gen kann die Lehrperson Störungen im         daraus ein Dialog mit der Klasse ent­
                                                                                     ­                                            in denen man x-mal den gleichen Satz
                                        Keim ersticken. Da sehe ich in den Schu-     stehen: Gibt die Lehrperson dem Kind         schreiben musste. Eine gute Idee?
                                        len teilweise noch einiges an Potenzial.     zum Beispiel eine positive Rückmeldung       Nein. Auch hier gilt: Das Kind lernt nichts,
                                            Gibt es nicht Kinder, die gezielt        zu einem gewählten Lösungsweg, erklärt       wenn es hundertmal schreiben muss: «Ich
                                        provozieren, um Aufmerksamkeit zu            vielleicht ein anderes, wie es selbst bei    darf im Unterricht nicht schwatzen.» Kon-
                                        erhaschen?                                   der Aufgabe vorgegangen ist, und man be-     struktiver wäre es allenfalls, dem Kind
                                        Der amerikanische Kinderpsychologe Ross      ginnt in der Klasse, verschiedene Heran-     die Aufgabe zu geben, sich schriftlich Ge-
                                        Greene hat den Satz geprägt: «Kids do        gehensweisen zu diskutieren. So wird das     danken darüber zu machen, was nötig
                                        well, if they can.» Das heisst, Kinder       Lernen für die Kinder sichtbar und es        wäre, damit es im Unterricht nicht mehr
                                        machen es grundsätzlich gut, wenn sie
                                        ­                                            profitiert die ganze Klasse davon.           schwatzt. So könnte sich das Kind damit
                                        über die nötigen Kompetenzen verfügen,            In der Montessori-Pädagogik wird        auseinandersetzen, was in der Schule von
                                        sie machen nicht extra etwas Schlechtes,     nicht nur auf Tadel, sondern auch            ihm erwartet wird, warum es ihm nicht
                                        um jemandem zu schaden. Erwachsene           auf Lob bewusst verzichtet – was sagen       gelingt, aufmerksam zu sein, welches die
                                        sollten deshalb stets davon ausgehen,        Sie dazu?                                    Störvariablen sind und was ihm helfen
                                        dass Kinder etwas so gut machen, wie sie     Die Montessori-Pädagogik geht von der        würde, still zu sein.
                                        es können, und dort, wo sie etwas nicht      Haltung aus, dass das Kind seinen indi­          Was ist denn das Wichtigste, was
                                        können, überlegen, welche Unterstützung      viduellen Weg entwickelt und dabei von       Lehrpersonen im Umgang mit den
                                        das Kind benötigt, um weitere Lernfort-      der Lehrperson unterstützt wird. Wenn        Schülerinnen und Schülern beherzigen
                                        schritte zu erzielen.                        ein Kind beispielsweise ein Bild malt,       sollten?
                                            Vielleicht braucht es mehr Lob?          schält die Lehrperson mit ihm heraus, was    Konsistentes Handeln. Damit sind wir
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus

                                        Auch beim Lob geht es um die Frage, was      es gemacht hat, wie es darauf gekommen       wieder bei der Klassenführung. Wenn bei-
                                        sinnvoll ist und was nicht. In den letzten   ist, ohne eine Wertung zu implizieren.       spielsweise während der Stillarbeit nur
                                        Jahren gab es heftige Debatten darüber,      Doch allein die Zeit, die sich die Lehr­     flüstern erlaubt ist oder gar nicht gespro-
                                        ob man überhaupt loben sollte oder ob        person dafür nimmt, ist bereits ein Zei-     chen werden darf, müssen die Kinder das
                                        man das Kind dadurch korrumpiert. Die        chen der Anerkennung – für das Kind          wissen und die Lehrperson muss dafür
                                        Forschung konnte einen solchen Korrum-       steckt darin eine positive Rückmeldung,      sorgen, dass es auch umgesetzt wird. Das
                                        pierungseffekt jedoch nicht eindeutig be-    ohne dass diese explizit formuliert wer-     bedeutet, sie muss jedes Mal, wenn sich
                                        legen. Wenn ein Kind gelobt wird, fühlt es   den muss. Was in den Montessori-Schulen      ein Kind nicht an diese Regel hält, kon­
                                        sich wahrgenommen und wertgeschätzt.         klar keinen Platz hat, sind der Tadel und    sistent reagieren – nicht einmal reagieren
                                        Und meines Erachtens kann man bei je-        die Bestrafung.                              und einmal nicht oder einmal schimpfen
                                        dem Kind etwas Positives herausstreichen.         Soll man Kinder und Jugendliche         und einmal ein Kind vor die Türe schi-
                                        Vielleicht betrifft es den Weg, etwa, dass   denn bestrafen?                              cken. Eine solche Konsistenz tagtäglich zu
                                        es im Unterricht besser mitmacht oder für    Die Frage ist doch: Lernt das Kind etwas     leben, ist etwas vom Anspruchsvollsten
                                        eine Aufgabe einen spannenden Lösungs-       dabei? Die Antwort lautet: nein. Im häus-    im Lehrberuf. Aber auch etwas vom Wir-
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                                        weg gewählt hat, obwohl das Resultat         lichen Kontext besteht die Bestrafung        kungsvollsten. 
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