Schulblatt3/2018 Lob und Tadel - Vom Umgang mit Feedback - Edudoc
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Kanton Zürich Schulblatt Bildungsdirektion 3/2018 Lob und Tadel Vom Umgang mit Feedback Persönlich Bei Jessica Summa lernen Schüler nicht nur tanzen Neue Kantonsschule Rektor Martin Zimmermann über seine Pläne Neue Modelle Berufsmatur soll attraktiver werden
5 24 Magazin Fokus: Volksschule Lob und Tadel 4 24 Kommentar 12 Projekt ALLE Bildungsdirektorin Silvia Kindergarten Wie sich der Unterricht Steiner über die Bedeutung Gezielte Interventionen in heterogenen Klassen der schulergänzenden statt «Schimpfis» verbessern lässt Betreuung 16 26 5 Montessori-Schule Stafette Im Lehrerzimmer Von den Interessen Im Einsatz für eine Kantonsschule Büelrain des Kindes her denken saubere Umwelt 6 20 29 Persönlich Im Gespräch In Kürze Tanzlehrerin Jessica Summa Rückmeldungen sollen das engagiert sich bei Kind weiterbringen, sagt «Dancing Classrooms» Psychologin Irina Kammerer 9 Meine Schulzeit Simon Enzler, Kabarettist Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Inhalt Wichtige Adressen Impressum Nr. 3/2018, 11.5.2018 Bildungsdirektion: www.bi.zh.ch Generalsekretariat: 043 259 23 09 Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs Bildungsplanung: 043 259 53 50 Bildungsstatistik: www.bista.zh.ch weise: sechsmal jährlich, 133. Jahrgang, Auflage: 19 000 Ex. Redaktion: Redaktionsleiter Volksschulamt: www.vsa.zh.ch, 043 259 22 51 Mittelschul- und reto.heinzel@bi.zh.ch, 043 259 23 05; Redaktorin jacqueline.olivier@bi.zh.ch, 043 259 23 07; Berufsbildungsamt: www.mba.zh.ch, 043 259 78 51 Amt für Jugend Sekretariat schulblatt@bi.zh.ch, 043 259 23 14 Journalistische Mitarbeit an dieser Aus- und Berufsberatung: www.ajb.zh.ch, 043 259 96 01 Lehrmittel gabe: Walter Aeschimann, Bettina Büsser, Andres Eberhard, Res Minder, Charlotte Spindler verlag Zürich: www.lmvz.ch, 044 465 85 85 Fachstelle für Schulbe- Abonnement: Lehrpersonen einer öffentlichen Schule im Kanton Zürich können das S chul- urteilung: www.fsb.zh.ch, 043 259 79 00 Bildungsratsbeschlüsse: blatt in ihrem Schulhaus gratis beziehen (Bestellwunsch an Schulleitung). Bestellung des www.bi.zh.ch > Bildungsrat > Beschlussarchiv Regierungsratsbe- Schulblatts an Privat adresse sowie Abonne ment weiterer Interessierter: abonnemente@ schlüsse: www.rrb.zh.ch staempfli.com, 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) Online: www.schulblatt.zh.ch Gestaltung: www.bueroz.ch Druck: www.staempfli.com Inserate: inserate@staempfli.com, 031 767 83 30 Redaktions- und Inserateschluss nächste Ausgabe: 24.5.2018 Das n ächste Schulblatt Titelbild: Dieter Seeger erscheint am: 29.6.2018 2
30 38 Mittelschule Berufsbildung 43 Amtliches 30 36 Interview Berufsmaturität 47 Wie sich Martin Zimmer Mehr Flexibilität für Weiterbildung mann, Gründungsrektor Lernende und Betriebe Intensivberatungen in Uetikon am See, seine am Arbeitsplatz Schule vorstellt 38 Kurse und Module Berufslehre heute 32 Drucktechnologe EFZ 56 Arbeitsort Mittelschule schule & kultur Hanspeter Rieder und 41 seine Physikexperimente In Kürze 58 Agenda 35 In Kürze Editorial «Lob und Tadel» – so haben wir das Fokusthema der vorliegenden Ausgabe Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Inhalt betitelt. Das Begriffspaar mag in manchen Ohren etwas verstaubt klingen. Doch wenn ich Lehrerinnen und Lehrern, aber auch Kindern und Jugendli Reto Heinzel chen zuhöre, wird mir regelmässig in Erinnerung gerufen, wie weit verbreitet traditionelle Formen von Feedback an unseren Schulen noch heute sind. So hat nicht nur das Lob für die fehlerfreie Prüfung in den Primarschulen einen festen Platz, sondern es kommt auch immer wieder vor, dass Kinder getadelt oder bestraft werden. Diesem Thema haben wir uns in diesem Heft von ver schiedenen Seiten genähert. Während unserer Recherchen mussten wir aller dings bald feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, die leicht flüchtigen Begriffe im schulischen Alltag sichtbar zu machen. Dafür begegneten wir vielen motivierten, reflektierten Lehrpersonen, die auf pauschale Formen von Lob oder Kritik bewusst verzichten und auf möglichst differenzierte Rück meldungen setzen. 3 Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das Schulblatt: reto.heinzel@bi.zh.ch, jacqueline.olivier@bi.zh.ch
Tagesstrukturen Das zeigen nur schon die Zahlen. In den Ein gutes Umfeld letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Betreuungsplätze im Kanton Zürich auf 30 000 fast verdoppelt. Dieser Trend macht Schule wird in den nächsten Jahren anhalten. Auf diese gesellschaftliche Entwicklung sind wir im Kanton Zürich gut vorbereitet, un ter anderem auch mit der Förderung von von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin Tagesschulen, die wir im letzten Frühling angestossen haben. Für viele Kinder ist heute die schul ergänzende Betreuung ein wichtiger Be Sicher erinnern Sie sich an Otfried Preuss zugsort neben der Familie. Es hat in die lers «Kleine Hexe»? Am Mittwochnach sen Stunden auch für Themen Platz, die mittag, dem 23. Mai 2018, werde ich an der weit über den Schulstoff und das schuli Tagesschule Aegerten in Zürich aus die sche Lernen hinausgehen. Manchmal hat sem Kinderbuchklassiker vorlesen. Dann es sogar Platz für eine Regierungsrätin, organisiert das Schweizerische Institut für die am freien Mittwochnachmittag eine Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) zum Geschichte vorliest. ersten Mal einen «Vorlesetag». Dieser soll In Tagesschulen, Horten oder an Mit in Erinnerung rufen, wie wichtig das Vor tagstischen werden Haltungen, Wissen lesen innerhalb und ausserhalb der S chule und Werte vermittelt, die für die persönli als «einfachste und wirksamste Form der che Entwicklung der Kinder zentral sind. «Die schulergän Leseförderung» ist. Sie lernen miteinander umzugehen, Re Die kleine Hexe möchte zur Walpur geln einzuhalten und Grenzen zu akzep gisnacht auf den Blocksberg fliegen, ob wohl sie noch nicht alt genug ist – nämlich zende Betreuung tieren. Eine ruhige und wertschätzende Betreuung der Kinder ist eine wichtige erst 127 Jahre und ein paar zerquetschte. ist ein wichtiger Voraussetzung dafür, dass Kinder im All Da nützt auch alles Abraten des klugen Raben Abraxas nichts. Die kleine Hexe Bezugsort neben tag auf sicherem Boden stehen und die Herausforderungen, die die Schule und setzt ihren Kopf durch und die Geschichte nimmt ihren Lauf. der Familie.» das Leben mit sich bringen, erfolgreich bewältigen. Deshalb möchte ich an dieser So wie der kleinen Hexe geht es doch Stelle allen Mitarbeitenden im Bereich der manchmal auch den Schülerinnen und Kinderbetreuung herzlich für ihre Arbeit Schülern in unseren Schulen: Auch sie Schule jeweils sanfter wieder auf den danken, die sie jeden Tag leisten, um die möchten manchmal flügge sein, obwohl Boden der Realität gebracht. Diesen Weg Schülerinnen und Schüler zu begleiten, sie es noch nicht sind. zum Flüggewerden begleiten in unseren bis sie flügge sind – oder wie die kleine Während die kleine Hexe im Kinder Schulen die unterschiedlichsten Menschen. Hexe schliesslich erfolgreich an der Wal buchklassiker für ihren jugendlichen Immer wichtiger werden dabei auch die purgisnacht teilnehmen. Übermut von den alten Hexen hart be Fachpersonen in der ausserschulischen Mehr Informationen zum Vorlesetag auf Seite 56 straft wird, werden die Kinder in der Betreuung. Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin Mein Traumschulhaus Seraina Saller (11), 4. Klasse, Schule Flaachtal, Dorf 4
Im Lehrerzimmer Kantonsschule Büelrain, Winterthur Provisorium am Rande der Altstadt Fotos: Marion Nitsch Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin Lang, schmal, nüchtern und hell: präsentiert sich das Lehrerzimmer am Standort Obertor. Das Gebäude am Rande der Altstadt dient der Kantonsschule Büelrain während dreier Jahre als einer von zwei Standorten. 2019 wird dann der Neubau an der Rosen strasse bezugsbereit sein. Früher: war hier die Winterthurer Stadtverwaltung untergebracht. Heute: werden in den Räumen Wirt schaft, Informatik, Geschichte, Geografie und Sprachen unterrichtet. Ein verspieltes Element im Innern: sind die grossflächigen bunten Dreiecksmuster. Sie zieren den Boden nicht nur des Lehrerzimmers, sondern aller Aufenthaltszonen im nüchtern gehal tenen Gebäude. Die lange Tischreihe: in der Mitte des Lehrerzimmers bleibt während der Pause ungenutzt. Vielmehr drängen sich die Lehrpersonen, die auf einen Kaffee und einen Schwatz vorbeischauen, um die drei kleinen Stehtische nahe der Kaffeemaschine. Über Mittag: werden die Tische dagegen rege benutzt. Viele wärmen dann ihr mitgebrachtes Essen in der Mikrowelle oder verdrü cken ein Sandwich. «Das gemeinsame Essen stärkt das Gemeinschaftsgefühl», ist Rektor Martin Bietenhader überzeugt. Die gross- zügige Fensterfront: gibt den Blick frei auf den begrünten Innenhof – während der Sommermonate ein beliebter Aufenthaltsort für viele der rund 600 Schülerinnen und Schüler. [rh] 5
Persönlich Tanzgruppen dabei, die weltweit als Festi Mehr bewegen valtänzer unterwegs waren», erzählt die 38-Jährige und strahlt: «Das waren tolle Erfahrungen, auch sozial, man hat mit als die Füsse der ganz verschiedenen Menschen und Kul turen zu tun und spricht die gleiche Spra che: Tanz.» Kinder Tanz prägt ihr Leben weiterhin. Als Kursleiterin bei «Dancing Classrooms» mit einem 40-Prozent-Pensum und als Inhaberin einer Firma, die auf die Organi Tanzen spielt eine zentrale Rolle in Jessica sation von Events und auf Marketing spe zialisiert ist: «Ich arbeite hauptsächlich im Summas Leben – ob sie nun selbst tanzt, Mandat für Grossevents im Bereich Musik Tanzevents organisiert oder Kindern zum und Tanz und bin seit mehreren Jahren Mitglied des Organisationskomitees des Beispiel Walzer beibringt. ‹Caliente Latin Music Festival› in Zürich.» Ausserdem organisiert sie selber Tanz Text: Bettina Büsser Foto: Stephan Rappo events, so jeweils donnerstags die «Salsa mania» im Zürcher «X-Tra», ein Tanz abend mit DJs und Showgruppen. Mit Herzblut und viel Energie «Five, six – please begin!», ruft Jessica zählt von einem leicht autistischen Jungen Jessica Summa hat ausserdem mitgehol Summa. Aus der Lautsprecheranlage er in einem früheren Kurs, der anfänglich fen, eine Tanzschule für Kinder mit Down- klingt «Hit the Road Jack», und die «La die Turnhalle ängstlich betrat – und sich Syndrom aufzubauen: «Schweizweit ma dies» und «Gentlemen» setzen sich in dann als guter Tänzer erwies: «Nach dem chen mittlerweile rund 100 Kinder und Bewegung. Swing ist angesagt, genauer, Projekt getraute er sich vermehrt, sich mit Jugendliche mit, diese ‹Special Latin eine Tanzfigur, bei der der «Gentleman» den Klassenkameraden zu unterhalten.» Dancers› sind sehr musikaffin, das ist toll. unter dem erhobenen Arm seiner «Lady» Natürlich locken die Tanzstunden Bei solchen Projekten bin ich mit Herz hindurchschreitet und sich dabei einmal nicht nur das Positivste aus den Schüle blut dabei.» Und schliesslich ist die ge um sich selbst dreht. Das sieht noch nicht rinnen und Schülern heraus. Auch bei der lernte Bankkauffrau auch noch für ihre überall perfekt aus, aber Summa belohnt Eglisauer Klasse geht es zwischendurch Eltern tätig: «Sie haben seit 30 Jahren ein die Tanzenden mit einem aufmunternden lebhaft zu, die Schülerinnen und Schüler eigenes Geschäft in der Modebranche, ich «sehr gut!». lachen, schwatzen, machen Faxen. «Es betreue die Homepage und bin für Mar Die «Ladies» und «Gentlemen», die in braucht Energie, sie bei der Stange zu keting und Buchhaltung zuständig.» Ge der Turnhalle des Schulhauses Steinbo halten», sagt die Kursleiterin. Sie holt die fragt, wie sie all ihre vielen Tätigkeiten den in Eglisau das Swing-Element üben, Kinder immer wieder zurück, nicht zuletzt aneinander vorbeibringt, winkt Summa sind Fünftklässlerinnen und Fünftkläss dank ihrer körperlichen Präsenz: Ihre ab. Der Aufwand für die Firma ihrer E ltern ler. Die Klasse nimmt am Projekt «Dan Schritte und Bewegungen sind bestimmt, halte sich in Grenzen, manchmal sei «ein cing Classrooms» (siehe Kasten) teil, in strahlen die Autorität einer Tänzerin aus, bisschen Buchhaltung» fast entspannend. dem Schülerinnen und Schüler zehn Wo was durch ihre eleganten, hochhackigen Und überhaupt: «Ich habe gelernt: Man chen lang je zwei Tanz-Lektionen besu Tanzschuhe, in die sie vor Anfang der kann sich immer organisieren. Ich habe chen. Sie üben dort Gesellschaftstänze, Lektion geschlüpft ist, zusätzlich unter viel Energie. Und ich brauche diese Ab nicht nur Swing, sondern auch Walzer, strichen wird. wechslung.» Rumba, Tango, Polka, Merengue, Foxtrott Tanzen spielt eine zentrale Rolle in Und so steht sie in der Eglisauer Turn und Line Dances. Natürlich geht es darum, Jessica Summas Leben: Seit ihrer Kindheit halle, mitten im Kreis, den die Schülerin die Tanzschritte zu erlernen, um sie dann macht sie Ballett, vor 15 Jahren begann sie nen und Schüler bilden, klatscht in die am Abschlussfest den Eltern und dem mit Paartanz und entdeckte die latein Hände und kündigt an, dass jetzt die Polka übrigen Publikum vorzuführen – doch amerikanischen Tänze: «Salsa – das war an der Reihe sei. Ein Tanz, bei dem die «Dancing Classrooms» will noch viel mehr meine Leidenschaft, Tag und Nacht. Ich Kinder hüpfen und sich so etwas austoben bewegen als die Füsse der Kinder. hatte dann die Möglichkeit, eine Tanz können. Die Musik setzt ein. «Five, six – schule zu leiten, war in verschiedenen please begin!», ruft Jessica Summa. Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin Ein bisschen wie Mary Poppins «Wenn ich gefragt werde, was ‹Dancing Classrooms› ist, sage ich jeweils: Kennst «Dancing Classrooms» du Mary Poppins?», sagt Kursleiterin Jes Das Konzept für «Dancing Classrooms» stammt aus den USA und sieht vor, sica Summa und lacht über ihren Ver dass Schulklassen sieben Gesellschaftstänze sowie zwei bis drei Line Dances gleich: «Du kommst mit dem Wind, wenn lernen. Die Kurse sollen die Freude am Tanz, aber auch das Selbstwertgefühl er dreht, musst du wieder gehen. Ziel ist der Kinder, das Gemeinschaftsgefühl sowie Respekt, Höflichkeit und Toleranz in es, etwas Gutes zu hinterlassen.» Das Pro der Klasse stärken. Den Unterricht erteilt eine ausgebildete Tanzlehrperson. jekt fördere nicht nur das Tanzen, sondern In der Deutschschweiz existiert «Dancing Classrooms» seit 2010, seither haben auch den respektvollen Umgang der Mäd 216 Klassen am Programm teilgenommen. Seit 2011 wird das Angebot vom chen und Jungen miteinander, Höflichkeit Verein Dancing Classrooms Deutschschweiz getragen. Finanziert wird es durch und Vertrauen. Und: «Die Kinder können Programmbeiträge der beteiligten Schulgemeinden, Subventionen und Beiträge sich beim Tanzen öffnen, stärken und von Stiftungen und Organisationen. Per August 2018 sucht der Verein weitere durchatmen. Wer in Mathe nicht gut ist, tanzbegeisterte Personen mit pädagogischer Erfahrung. [bb] kann möglicherweise gut tanzen und so www.dancingclassrooms.ch etwas Positives mitnehmen.» Summa er 6
Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin Vom Ballettunterricht zu Salsa und Co.: Das Tanzen prägt Jessica Summas Leben seit ihrer Kindheit. 7
Raumsysteme Heute anrufen, morgen einziehen. Effiziente und kostengünstige Lösungen, Miete, Kauf und Leasing: – Schulen, Kindergärten, Wohnheime – Büro- und Verwaltungsgebäude – Sanitär-, Sport- und Umkleideräume Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Condecta AG, Stegackerstrasse 6, CH-8409 Winterthur, Telefon +41 (0)52 234 51 51, info@condecta.ch 8 Ins_5_Schule_178x278_d_2018.indd 1 27.03.18 11:13
Welche Schulreise ist Ihnen speziell Meine Schulzeit «Die Schule ist in Erinnerung und warum? Im Gymnasium St. Antonius in Appenzell gibt es bis heute die Tradition des Altstät eine Kompromiss- ter Tages. Jede Klasse bummelt, je nach Route wird auch gewandert, von Appen zell nach Altstätten. Diese Ausflüge fin Fabrik» den jeweils im Frühling statt. Mir sind die diversen Varianten, wie man zu Fuss ins Rheintal gelangt, in bester Erinnerung. Es waren keine spektakulären Wanderun gen, aber wunderschöne «Bluestfahrten». Fünf Fragen an Simon Enzler, Kabarettist Wenn der Altstätter Tag da war, wusste man auch, bald ist Sommer, bald war auch dieses Schuljahr geschafft. Und dass wir uns am Abend, wieder zu Hause, meist an natürlich immer, wenn ein Mitschüler eine der Sitter noch zum ausserschulischen Platte von Guschti Brösmeli, Marcocello Grillplausch trafen, machte diese Tage oder Emil dabeihatte. jeweils perfekt. Was haben Sie in der Schule fürs Welche Lehrperson werden Sie Leben gelernt? nie vergessen? Ich habe vor allem gelernt zu lernen. Es Alle. Doch speziell in Erinnerung ist mir spielt weniger eine Rolle, wie viel man der Deutschlehrer Pater Ferdinand. Er zu einem bestimmten Zeitpunkt weiss, als weckte meine Liebe zur Sprache. Als vielmehr, wie lange man braucht, um es zu Lesemuffel kam mir sehr entgegen, dass wissen. er uns, einige davon immerhin schon Was hat Ihnen in der Schule gar volljährige Gymnasiasten, Bücher vorlas. nicht gefallen? Während der zweiten seiner Doppel Die Schule ist eine Kompromiss-Fabrik. stunden durften, nein: mussten wir ein Kinder haben so viele Facetten, Talente fach nur zuhören. Der Lehrer stand vor und natürlich auch Schwächen. Dieser uns und las Texte der Weltliteratur vor. Vielfalt stand meistens ein Lernziel ge Er sagte immer: «Ihr könnt sitzen, liegen, genüber. Irgendwer blieb da immer auf auf dem Boden hocken, ist egal, ich will der Strecke. Es heisst oft, der oder die einfach, dass ihr zuhört.» habe erst in der Lehre oder einer anderen Simon Enzler (42) ist seit 1995 hobbymässig Welches war Ihr liebstes Fach Schule den «Knopf aufgemacht». Man als Kabarettist unterwegs. Nach der Matura und weshalb? schreibt solche Leistungssprünge der nicht besuchte er zunächst den gestalterischen Vorkurs an der Hochschule für Gestaltung, Ich habe immer sehr gern gezeichnet. linearen Entwicklung eines jungen Men ehe er an der Universität Zürich Philosophie Speziell in der Primarschule war, dass wir schen zu. Ich glaube jedoch, dass solche studierte. Seit dem Studienabbruch setzt er seit 2002 hauptberuflich aufs Kabarett. zum Zeichenunterricht unsere Lieblings Menschen das Glück hatten, endlich die Enzler ist verheiratet und hat zwei Söhne. musik mitnehmen durften. Ich freute mich passende Lehrperson getroffen zu haben. Er lebt ausserhalb von Appenzell. Bildungs-Slang Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Bildungsmobilität Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Magazin 9
Fokus Lob und Tadel Kinder suchen gleichermassen Anerkennung wie Grenzen. Wie können Lehrpersonen damit umgehen, wie auf gute Leistungen oder auf schwieriges Verhalten reagieren? Ein Besuch in einem Kindergarten zeigt mögliche Wege. In der Montessori-Pädagogik wird auf Lob und Tadel bewusst verzichtet – ein Einblick in eine andere Schulwelt. Wie sich der Umgang mit Schülerinnen und Schülern in den letzten 100 Jahren verändert hat und welche Art von Rückmeldungen K inder brauchen, um zu lernen und sich weiterzu entwickeln, erklärt Kinder- und Jugend psychologin Irina Kammerer im Gespräch. Fotos: Dieter Seeger hat den Kindergarten Flaach und die Rietberg Montessori Schule in Zürich besucht. Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus 11
Mit spielerischen Interven- tionen lenkt Kindergärtnerin Michaela Norrmann die Aufmerksamkeit der Kinder in eine andere Richtung. Kindergarten son müsse darauf bedacht sein, Tadel zu Schimpfen ist verhindern. Das dürfte im Alltag nicht im- mer ganz einfach sein. k eine Option Wirksame Interventionen Wie sieht dieser Alltag im Kindergarten Flaach aus? Norrmann geht still durch den Raum, da und dort wird sie um Rat Ist Lob und Tadel ein geeignetes gefragt oder um Unterstützung gebeten, gelegentlich vermittelt sie auch in Kon- pädagogisches Mittel? Kindergärtnerin flikten. Eine Bubengruppe hat am Boden Michaela Norrmann versucht, möglichst ein Spielfeld aus Holzklötzen gebaut und spielt jetzt «Eishockey». Als nach einigen differenzierte Rückmeldungen zu Minuten der Lärmpegel stark ansteigt, setzt sich die Kindergärtnerin zu den geben. Dafür setzt sie auf Beobachtung Buben auf den Boden. Sie nimmt zwei und gezielte Interventionen. kleine Holzfiguren in die Hand und be- ginnt damit ein kleines Rollenspiel. Die Kinder reagieren sofort und steigen ins Text: Reto Heinzel neue Spiel ein. Mit einer kurzen Inter vention ist es ihr gelungen, das Spiel in eine neue Richtung zu lenken. Die Situa tion beruhigt sich. Norrmann wird dieses Mittel im Laufe des Morgens wiederholt anwenden. Auf diese Weise gelingt es ihr, Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus den Kindern Grenzen zu setzen, ohne dass sie einzelne Kinder tadeln muss. Es ist Mittwoch vor Ostern. Kurz nach halb und stehen bleiben. Er soll einfach mer- Die gezielten Interventionen, die Norr neun herrscht im Kindergarten Flaach be ken, dass ich da bin.» Dies nütze meistens. mann in ihrer Klasse einsetze, seien sehr reits emsige Betriebsamkeit. Die Klasse Schimpfen sei aber keine Option, betont sie. wirksam, sagt Lieger. «Sie ermöglichen, von Michaela Norrmann ist im Element. Wenn immer möglich sehe sie davon ab. dass der Lernprozess gut weiterläuft.» Viele Kinder spielen in kleineren Grup- Catherine Lieger hat Norrmann wäh- Dazu müsse man wissen: Ein negatives pen, einige basteln am angefangenen rend der Ausbildung zur Kindergärtne- Feedback bleibe viel stärker haften als Osternestli weiter, andere zeichnen oder rin als Mentorin begleitet. Mit Lob und ein Lob. Da könne man viel kaputt ma- bauen Holztürme. Die Kindergärtnerin be Tadel erreiche man wenig, sagt sie, es chen. Anderseits tue ein ehrlich gemein- obachtet das muntere Treiben aufmerk seien veraltete Konzepte. «Lehrpersonen tes Lob jedem Menschen gut. «Dafür muss sam. «Ein Bub ist heute etwas impulsiv», sollten heute in der Lage sein, stets eine auch Platz sein. Wenn das unterdrückt stellt sie fest, «auf ihn werde ich b esonders differenzierte Rückmeldung zu geben», wird, geht viel Lebensfreude verloren.» achten müssen.» «Wenn ich sehe, dass er sagt die Dozentin an der Pädagogischen Für Lob hat es auch im Flaachemer 12 sich vergisst, werde ich zu ihm hingehen Hochschule Zürich (PHZH). Die Lehrper- Kindergarten Platz. Norrmann bemüht
spielen Fangen, verstecken sich im Holz- häuschen oder klettern auf einen der kleineren Bäume. Norrmann geht herum und übt die Pausenaufsicht aus. Sich ir- gendwo hinzusetzen, kommt für sie nicht infrage. Nach einer knappen halben Stun- de kehrt die Klasse wieder ins Haus zu- rück. Den Rest der Stunde verbringt die Gruppe noch einmal im Kreis. Gemein- sam werden farbige Eier gefilzt, die dann im Osternestli Platz finden werden. Die fertigen Basteleien werden sie morgen nach Hause nehmen können. Eine kurze Feedbackrunde, in der die ungewohnten, glitschig-weichen Filzerfahrungen geteilt werden, rundet den Vormittag ab. Klare Grundregeln Es war ein Morgen, an dem zwar ein zelne Kinder ermahnt werden mussten, sich an Abmachungen zu halten, abgese- hen davon jedoch kaum ein tadelndes Wort gefallen ist. Wie ist das möglich? «Ein Patentrezept habe ich nicht», sagt Norrmann. «Ich versuche einfach, kon sequent zu sein.» Die Grundregeln seien den Kindern klar. Ganz zentral: Niemand auslachen, niemand ausschliessen. «Falls diese Regeln gebrochen werden, bespre- sich allerdings stets, differenzierte Rück- r uhigen Tonfall, aus dem gleichzeitig Be- che ich das mit allen Beteiligten. Dabei meldungen zu geben. Trotzdem entfährt stimmtheit klingt. nehme ich die Rolle als Moderatorin ein, ihr im Laufe des Morgens durchaus ein- Während mehr als einer Stunde bleibt stelle Fragen. Nach Lösungen suche man mal ein spontanes «super», «sehr gut» die Atmosphäre lebendig, doch weitge- grundsätzlich gemeinsam. «Strafen», be- oder «toll gemacht». Weshalb ist es ihr hend entspannt. Dann ruft die Lehrerin tont sie, «gibt es fast nie.» eigentlich so wichtig, in dieser Hinsicht die Kinder zusammen. Die Klasse spricht Ihre Herangehensweise habe viel mit Zurückhaltung zu üben? «Mir geht es einen kurzen Vers, danach wird gemein- ihrer inneren Haltung zu tun, sagt Norr- vor allem darum, nicht in stereotype sam aufgeräumt. Schliesslich finden sich mann. Sie sieht sich als Leitwölfin, die für Muster zu verfallen», sagt sie. Sie wolle alle im Kreis ein. Zwei Kinder rollen das Wohl ihrer Jungtiere sorgt. Woher keine unbedachten Äusserungen machen, das Znünitaxi mit Nüssen und zuvor ge- kommt das? «Das Gemeinschaftliche war sondern auf jedes einzelne Kind ein schnittenen Früchten herein. Nacheinan- mir schon immer wichtig, dazu gehört gehen. «Mein Herzensanliegen ist es, die der darf sich jedes Kind fünf Stücke auch ein respektvoller Umgang mitei Kinder ganz viel selber machen zu las- nehmen und am Platz essen. Beim nächs- nander», sagt sie. Zudem habe sie schon sen. Sie sollen sich als selbstwirksam er- ten Mal werden es sieben Stücke sein. immer sehr viel über ihr eigenes Tun leben.» «Ich bemühe mich immer wieder, all nachgedacht. Während der Kindergarten- tägliche Routinen zu nutzen, damit die ausbildung habe sie dann rasch erkannt, Spielerische Erkundungen Kinder Kompetenzen wie beispielsweise wie wertvoll das Freispiel sei. «Es braucht Der Kindergartenalltag in Flaach hat recht hier das Zählen erwerben können», sagt manchmal Mut, den Kindern einen sol- wenig mit dem zu tun, was man sich ge- Norrmann. chen Freiraum zu geben, aber es lohnt meinhin unter einem «traditionellen» Ab- sich», ist Norrmann überzeugt. lauf vorstellt. Hier steht das freie Spiel Das Selbstvertrauen stärken PH-Dozentin Lieger zeigt sich beein- im Zentrum. Bereits während der Auf- In der Morgenmitte folgt eine kleine Kreis druckt von der Art und Weise, wie die fangzeit beginnen die Kinder damit. Die sequenz. Hier dürfen die Kinder selbst Quereinsteigerin den Unterricht gestaltet. Kindergärtnerin verzichtet heute darauf, Entwickeltes und Gebasteltes vorzeigen, Die Kindergärtnerin gebe «die richtigen zu Beginn der Stunde eine Zäsur zu set- vorspielen oder vorsingen. Heute haben didaktischen Antworten auf die heutigen Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus zen, sodass die Kinder ihre spielerischen zwei Mädchen ein kleines Perkussions Fragen», sagt die Dozentin an der Päda Erkundungen nahtlos fortsetzen können. duett eingeübt, ein Bub präsentiert einen gogischen Hochschule Zürich (PHZH). «Der Kindergarten ist ein Lernraum. Die selbst gebastelten Propeller, ein scheues Lieger denkt vor allem an das von Norr- Kinder sollen hier möglichst viel Zeit Mädchen erklärt mit kaum hörbarer Stim- mann hochgehaltene Freispiel. «Es er- spielend und entdeckend verbringen kön- me die Funktionsweise der von ihr erfun- möglicht, dass das Kind dort gefördert nen», sagt sie. Die durch den Raum wu- denen «Eierfärbemaschine». Die Kinder wird, wo es gerade steht.» Lieger wünscht selnden Kinder hat sie jederzeit im Blick, hören einander zu. Es geht nicht darum, sich, dass das Freispiel wieder an Be sie ist bereit, auf Veränderungen zu re- die einzelnen Darbietungen zu bewerten, deutung gewinnt. Gerade in unserer heu- agieren oder Lernimpulse zu geben. sondern darum, das Selbstvertrauen der tigen Zeit sei das wichtig. «Viele Kinder, Die Augen und Ohren über Stunden Kinder zu stärken. Jedes soll so genom- die in den Kindergarten kommen, wissen permanent nach allen Seiten offen zu hal- men werden, wie es ist. gar nicht mehr, wie man spielt», sagt sie. ten – das ist anspruchsvoll und anstren- Nach dem Züni ist es Zeit für die «Sie können sich kaum mehr spielend be- gend. Doch die 41-jährige Quereinstei Pause im Freien. Die munteren «Räupli» schäftigen. Das ist eine der Hauptschwie- gerin und frühere Handarbeitslehrerin und «Summervögeli» flitzen aus dem Haus. rigkeiten, mit denen heutige Kindergärten 13 bleibt gelassen, spricht stets in einem Auf dem Vorplatz zeichnen sie mit Kreide, konfrontiert sind.»
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Montessori-Schule gramm, ein Mädchen übt englische Voka- Ohne Lob und beln. Sitzvorschriften gibt es keine. Wer nicht an einem der frei angeordneten Tische sitzt, räkelt sich am Boden, streift ohne Tadel durch die Räume – ganz nach Belieben und momentanem Interesse. Man arbeitet allein oder findet sich in Lerngruppen zu zweit oder zu dritt zusammen. Unterrichten, ohne ein Lob auszusprechen Ein Knabe, der eben noch an einem Text gefeilt hat, lässt den Bleistift fallen. oder ein Kind zu bestrafen. Kann das Er wendet sich einer am Boden kauern- funktionieren? Ein Augenschein an der den Dreiergruppe zu, die sich mit Division beschäftigt. Dass er sein eigenes Tun zwi- Rietberg Montessori Schule in Zürich. schendurch unterbricht, ist erlaubt, so lange er die anderen Kinder nicht stört. Text: Reto Heinzel Die Ablenkung entspricht einem Grund- prinzip der Montessori-Pädagogik, da sie das Kind möglicherweise zur Beschäfti- gung mit einem neuen Lerninhalt führt. «Das Kind wählt seine Arbeit frei und richtet sich dabei nach seinen Bedürfnis- sen», heisst es in den Informationsunter- Eine Jugendstilvilla an der Seestrasse in zu unterstützen und dabei die individu- lagen zur Schule. Kann das gut gehen? Zürich Enge. An den Tischen im Gang elle Entwicklung eines jeden Kindes zu Lernen Kinder in einer solchen Situation sitzen an diesem Märzmorgen drei respektieren. Dazu gehört auch, dass die überhaupt noch etwas? Fühlen sie sich 9-jährige Knaben beisammen. Das Trio Kinder den Zeitpunkt der morgendlichen nicht überfordert? hat sich entschieden, die Vormittagspause Pause selbst bestimmen dürfen. gemeinsam zu verbringen. Doch die Jungs Der Lehrer als Türöffner toben nicht etwa herum, um lautstark Nach den eigenen Bedürfnissen Martin Schmidt ist überzeugt, dass das Dampf abzulassen. Vielmehr unterhalten Die Montessori-Pädagogik empfiehlt auch, von Montessori hochgehaltene Prinzip sie sich in gedämpftem Ton, während in der Erziehungsarbeit auf Lob und Tadel der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sie ihre mitgebrachten Nüsse und Dörr- zu verzichten. Doch lässt sich das im All- kindgerecht ist. Schmidt ist eine von drei früchte knabbern. tag überhaupt umsetzen? Lehrpersonen der altersgemischten Un- Wir befinden uns in der Rietberg Mon In den drei angrenzenden, durch of terstufenklasse. «Wir denken vom Kind tessori Schule, wo die drei eine gemischte fene Türen verbundenen Schulzimmern aus, von seinen Interessen», sagt er. Hier Unterstufenklasse besuchen. Seit 1987 herrscht eine konzentrierte Lernatmo- erhielten die Kinder ständig Lernimpulse werden Kinder an dieser privaten Tages- sphäre. Hier arbeiten 35 Kinder zwischen von ihren Mitschülerinnen und Mitschü- schule nach den pädagogischen Grund- 6 und 9 Jahren. Sie widmen sich dabei lern, zudem fänden während der Zusam- sätzen der italienischen Ärztin Maria ganz unterschiedlichen Themen: Manche menarbeit mit anderen wichtige soziale Montessori unterrichtet. Hauptanliegen rechnen oder zeichnen geometrische Lernprozesse statt. «Wir Lehrpersonen ist es, die Kinder in ihrer Selbstständig- Figuren, andere beschäftigen sich mit beobachten unterdessen sehr genau, wie keit, ihrer Bewegungsfreiheit, ihrem Lern- Grammatik oder lesen ein Buch, ein Bub sich die Situation im Klassenzimmer ent- verhalten und ihrem sozialen Verhalten arbeitet mit einem Computer-Lernpro- wickelt. Und wir sorgen dafür, dass die Kinder sich immer wieder neuen Heraus- forderungen stellen können. Ich verstehe Das Kind als sein eigener Lehrer mich als Türöffner», sagt der frühere Pri- Die Montessori-Pädagogik wurde von der italienischen Ärztin Maria Montessori marlehrer. «Ich will nur so viele Anstösse (1870 –1952) begründet. Erste Impulse zur Beschäftigung mit Erziehungsfragen geben, wie nötig sind, damit das Kind erhielt sie bei der Arbeit mit behinderten Kindern, die zu jener Zeit kaum ge eigenständig weiterarbeiten kann. Je nach fördert wurden. Bald entwickelte sie Lernmethoden und didaktische Materialien. Kind ist dabei mehr oder weniger Unter- Im Laufe der Jahre entstand ein eigenes pädagogisches System, die Montessori- stützung nötig.» Geleitete Sequenzen sind Pädagogik, die heute auf der ganzen Welt verbreitet ist. rar. Wenn sie stattfinden, dann vor al- Montessori war davon überzeugt, dass Kinder ihre eigenen Gesetze beim geis- lem in kleinen Gruppen. Gerade erklärt tigen und körperlichen Wachstum entfalten und über selbsterzieherische Kräfte Schmidt einer Dreiergruppe anhand von Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus verfügen, die es zu aktivieren gilt. In einer Zeit, als der autoritäre Erziehungsstil Deutsch-Lernkärtchen, wie sie die Unter- die Regel war, rückte sie die Freiheit und Unabhängigkeit des Kindes in den schiede zwischen Nomen und Artikeln Mittelpunkt. Die Lehrperson agiert dabei als Begleiterin, die dem Kind den Weg einüben können. in die Selbstständigkeit ebnet, gemäss dem Leitgedanken Montessoris: «Hilf mir, es selbst zu tun.» Das Kind ist also nicht einfach Empfänger, sondern sein Ein Gespür entwickeln eigener Lehrer. Der Erwachsene ist also in erster Linie Die Rietberg Montessori Schule in Zürich wurde 1987 als Stiftung gegründet. dazu da, Hilfestellung zu bieten und die Die Privatschule entspricht den Richtlinien der Assoziation Montessori (Schweiz) Umgebung gemäss den pädagogischen AM(S) und steht unter der Aufsicht der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Grundsätzen von Montessori zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler werden in altersgemischten Gruppen (Unter Es gehe nicht darum, die Kinder zum Ler- stufe 6 –9 Jahre / Mittelstufe 9 –12 Jahre) von jeweils 2–3 Lehrpersonen in deut- nen anzuhalten, sagt Schmidt. «Die Kin- scher und englischer Sprache unterrichtet und begleitet. Die Primarschule ist der haben einen inneren Antrieb, Neues in zwei dreijährige Entwicklungsräume gegliedert. Diese durchläuft das Kind in zu entdecken und zu lernen.» Wenn die- seinem eigenen Tempo. [rh] ser Antrieb durch Erwachsene ab- oder 16 umgelenkt und damit gestört werde, finde
etwas statt, was nicht im Sinne des Kindes sei. Kinder sollen den Wert ihrer Arbeit selbst erkennen können und nicht auf Bestätigung von aussen angewiesen sein. «Wer ein Kind lobt oder tadelt, der macht das Kind abhängig. Es kann kein Gespür dafür entwickeln, was richtig ist und was falsch.» Belohnungen werden in diesem Rah- men als unnötig erachtet. Auch wird in der Montessori-Schule auf Noten und Zeugnisse verzichtet. Allerdings: Gegen Ende der Primarschule muss mit diesem In der Rietberg Montessori Schule in Zürich entscheidet das Kind, Prinzip gebrochen werden. Damit sich das zu welchem Zeitpunkt es an welchen Themen arbeiten will. Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler vor dem Übertritt in die Sekun- darstufe bestimmen lässt, kommt man um die Notengebung nicht herum. Die Kinder liessen sich dadurch jedoch nicht aus der Ruhe bringen, versichert Schmidt. «Sie sind dann bereits reif und alt genug, dass Schüler. Dieser Austausch unter vier Au- Fall, dass ein Kind etwas dem Lehrer zu- sie mit dieser Form der Beurteilung um- gen dient dem Zweck, die zu Ende gehen- liebe macht. Das Kind sollte von sich aus gehen können.» de Woche Revue passieren zu lassen. «Das zur eigenen Leistung stehen können.» Montessorischülerinnen und -schüler hilft dem Kind dabei, sich selbst einzu- Kein Zweifel: Der hiesige Alltag unter- lernen früh, eigene Lernfortschritte ein- schätzen.» Allerdings ist Larsson jeweils scheidet sich stark von jenem an einer zuschätzen und selbstverantwortlich zu auch darum bemüht, den Kindern «das öffentlichen Schule. Die verhältnismässig handeln. Im Lernmaterial ist meist eine zu geben, was sie im Moment brauchen», grossen Freiheiten und die Selbstverant- Fehlerkontrolle eingebaut, sodass die Kin wie sie erklärt. Das dürfe auch einmal ein wortung, die dem Kind zugestanden res- der merken, ob sie bei einer Aufgabe rich- lobendes Wort sein, denn: «Es ist wichtig, pektive zugemutet werden, bedeuten aber tig liegen oder ob Anpassungen nötig sind. dass die Kinder mit sich zufrieden sind.» nicht, dass jedes Tun akzeptiert wird. «Bei Wenn sich das Kind in einem Thema uns werden die Kinder zwar nicht vor sicher genug fühle, könne es eine Lern- Nicht dem Lehrer zuliebe die Türe geschickt», sagt Urand. Doch de- Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus kontrolle machen, erklärt die englisch- Schulleiterin Christine Urand plädiert da- struktives Verhalten werde gestoppt, die sprachige Lehrerin Anna Larsson. Den für, als Lehrperson Zurückhaltung an den Grenzen werden klar aufgezeigt. «Unsere Zeitpunkt bestimmt das Kind. Sind die Tag zu legen. Wenn ein Kind frage: «Ist Kinder wissen, dass sie nicht tun und las- Ergebnisse der Kontrolle lückenhaft, wird das gut so?», dann könnte man vielleicht sen können, was sie wollen, und dass sie die Lehrperson keine Kritik äussern, son- zurückfragen: «Ja, was findest denn du, bei Regelverstössen mit Konsequenzen dern offene Fragen stellen. Zum Beispiel: wie ist es für dich?» Ziel sei es, die Kin- rechnen müssen.» Wenn ein Kind beim «Was meinst du, kannst du dieses Thema der an eine realistische Selbsteinschät- Turnunterricht einem anderen gegenüber jetzt abschliessen? Oder musst du noch zung und Selbstbeurteilung heranzufüh- Gewalt anwendet, kann das beispielsweise länger daran arbeiten?» ren. «Die Gefühlslage des Kindes sollte dazu führen, dass es für eine gewisse Zeit Nach Ansicht von Larsson ist in jedem dabei stets positiv sein, damit es mit Freu- vom Turnen ausgeschlossen wird. Ganz Fall eine differenzierte Form von Feed- de lernen kann.» Das gelte für ein leis- ohne Strafe funktioniert es also offen- back nötig. Eine Möglichkeit dazu bietet tungsstarkes Kind genauso wie für eines, sichtlich auch hier nicht. «Wir legen aber sich jeden Freitag. Dann findet die soge- das schulisch weniger erreiche. Und diese Wert darauf, dass ein Schüler oder eine nannte Wochenkonferenz statt, ein kur- Freude soll nicht von der Lehrperson be- Schülerin versteht, weshalb sein Handeln 17 zes Gespräch zwischen Lehrperson und einflusst werden. «Wir wollen auf keinen Konsequenzen hat», sagt Urand.
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Im Gespräch Sicher hat sich das Bewusstsein verän- «Im Zentrum steht dert, trotzdem kommt solches Verhalten in der Schule immer noch häufiger vor, als wir uns das wünschen. der Lernerfolg» Sind körperliche Strafen in der Schule inzwischen nicht verboten? Das kommt ganz darauf an, wo. In den USA zum Beispiel ist das sogenannte Kinder brauchen den Dialog mit Lehrper- «Paddling», bei dem das Kind mit einem Paddel geschlagen wird, in 19 Staaten sonen und Eltern, um in ihrer Entwick- noch immer erlaubt. Auch in Europa sind lung Fortschritte zu machen, sagt Kinder- sie bis heute nicht überall ausdrücklich verboten. In der alten Volksschulverord- und Jugendpsychologin Irina Kammerer. nung des Kantons Zürich gab es einen Passus, laut dem Körperstrafen in Aus- Doch was sind sinnvolle Rückmeldungen? nahmesituationen «entschuldbar» waren. Und wie reagiert ein Kind auf negative Dies galt bis 1985. Im neuen Volksschul gesetz hat der Kanton auf ein ausdrück Äusserungen? liches Züchtigungsverbot im Schulrecht verzichtet. Interview: Jacqueline Olivier Foto: Dieter Seeger Wie erklären Sie sich das? In der Schweiz existiert trotz UNO-Men- schenrechtscharta und Konvention über die Kinderrechte, die wir beide unter- zeichnet haben, kein explizites gesetzli- ches Verbot von körperlicher Bestrafung in der Erziehung. Dabei konnten in den Ländern, in denen ein solches gesetzli- Ist Ihnen aus Ihrer Schulzeit eine Si richt an der Tagesordnung. Denken wir ches Verbot besteht – etwa in Deutsch- tuation, in der Sie gelobt oder getadelt bloss an die Eselsmütze, welche die Kin- land –, Körperstrafen klar reduziert wer- wurden, in besonderer Erinnerung? der anziehen mussten, oder an das Erb- den. Natürlich ist die Sensibilisierung und An ein Erlebnis aus der Mittelstufe erin- senkissen, auf dem sie knien und die Aufklärung der Bevölkerung ein wichtiger nere ich mich gut: Unsere ganze Klasse Schmerzen ertragen mussten, an die «Tat- Punkt, aber ein explizites Verbot trägt of- war dem Unterricht ferngeblieben – wir zen», die der Lehrer austeilte. Damals ist fenbar durchaus dazu bei, dass weniger hatten uns versteckt. Der Lehrer suchte man davon ausgegangen, dass das Kind zu körperlich bestraft wird. uns, und als wir alle wieder zum Vor- Gehorsam erzogen werden musste – jede Was machen Tadel und körperliche schein gekommen waren, erklärte er uns, Aufmüpfigkeit versuchte man mit Härte, Attacken mit einem Kind? wie befremdlich diese Situation für ihn mit Disziplin, mit Strafen «in gesunde Wenn ein Kind ständig Beschimpfungen, gewesen war. Dies löste bei uns Betroffen- Bahnen» zu lenken. Das hat sich mit der Demütigungen oder gar Körperstrafen heit aus. Diese Reaktion des Lehrers er- 68er-Bewegung geändert. Man hat in je- ausgesetzt ist, wirkt sich dies auf sein achte ich als vorbildlich, weil er mit uns das Gespräch gesucht hat, statt zu schimp- fen oder uns zu bestrafen. Erinnern kann ich mich auch an andere Situationen, etwa an einen anerkennenden Blick oder an «Meines Erachtens kann man ein Bravo mit Ausrufezeichen unter einer Prüfung. bei jedem Kind etwas Positives Welche Rolle spielen Lob und herausstreichen.» Tadel in der Schule? Im erzieherischen und schulischen Kon- text ist das Thema omnipräsent. Lob und Tadel kann man im Sinne der Lerntheorie ner Zeit angefangen, das Lehrerverhalten Selbstwertgefühl negativ aus und es kann als positive respektive negative Verstärker zu untersuchen. Tonbandaufnahmen ha- die Beziehung zwischen dem Kind und verstehen. Positive Verstärker sind etwa ben gezeigt, wie Lehrpersonen mit Schü- dem Erwachsenen negativ beeinflussen. Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus ein verbales Lob, ein Zunicken oder ein lerinnen und Schülern redeten, und es Oft entsteht ein Pingpong-Effekt, weil ein Lächeln. Lob ist letztlich ein Zeichen der formierten sich entsprechende Gegen aversives Verhalten seitens des Erwach- Anerkennung. Negative Verstärker kön- bewegungen. senen beim Kind Aggressionen auslösen nen ein Kopfschütteln oder ein Verdrehen Heute darf man also voraussetzen, kann, auf die der Erwachsene umso har- der Augen sein, aber auch eine verbale dass Demütigungen im Schulzimmer scher reagiert, und so weiter. Aus der Herabwürdigung, sodass das Kind klein der Vergangenheit angehören? Forschung wissen wir, dass das strafende oder lächerlich gemacht wird. Auch, An- Leider nicht überall. Es ist bedenklich, Erziehungsverhalten entwicklungsschä- schreien, Strafaufgaben oder körperliche wie oft Schüler und Studenten in entspre- digend ist, solche Kinder haben vermehrt Strafen gehören dazu. Tadel bedeutet im- chenden Befragungen nach wie vor über emotionale Probleme oder Verhaltens- mer Missbilligung und ist Teil eines stra- negatives Lehrerverhalten berichten. Das schwierigkeiten. fenden Lehrerverhaltens, wie es früher geht vom harschen Angehen der Schü Wie sieht es aus mit Kritik – hat «normal» war. lerinnen und Schüler über Beschimpfun- diese Platz im Unterricht? Wie meinen Sie das? gen bis zu körperlichen Attacken – einem Natürlich, dann sprechen wir aber nicht Vor 60, 70, 100 Jahren waren Kränkungen, Kind einen Stoss versetzen, ihm den mehr von Tadel. Bei einer konstrukti- 20 Demütigungen, Körperstrafen im Unter- Schlüsselbund anwerfen und Ähnliches. ven Kritik geht es um eine positive Aus
Irina Kammerer (43) studierte an der Universität Zürich und schloss 2003 mit dem Doktorat ab. Sie war in einem Kriseninterventionszentrum sowie im einandersetzung mit dem Kind oder dem nen die Emotionen der erwachsenen Per- Schulpsychologischen Dienst tätig. Heute leitet sie den Bereich Beratung und Gegenüber. Wenn sie getadelt werden, son ins Spiel. Man verliert die Geduld, Therapie für Kinder, Jugendliche und wissen die Kinder oftmals nicht, was sie man ist gestresst, unter Druck. Und weil Familien am Psychotherapeutischen Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus Zentrum der Universität Zürich. falsch gemacht haben und was sie ändern man überreagiert, werden unverhältnis- sollten. Der neuseeländische Bildungsfor- mässige Strafen angesetzt. Wenn das ein- scher John Hattie betont in diesem Zu- mal vorkommt, ist das nicht schlimm, das sammenhang die Feedback-Kultur, die es kann jedem passieren, aber es sollte nicht in der Schule zu leben gelte. Bei uns ist die Norm sein und zu einem Stil werden. Kritik oft negativ behaftet, sollte aber im- Wie kann man als Erwachsener mer ein Feedback im positiven Sinne sein. solche Überreaktionen vermeiden? Kinder suchen Grenzen, wollen Indem man versucht, möglichst sachlich testen, wie weit sie gehen können. zu bleiben, das Problem zu orten und sich Muss man da nicht manchmal ener zu überlegen, warum das Kind es nicht gisch werden? schafft, eine Anweisung zu befolgen oder Etwas klar zu benennen, ist noch keine eine Regel einzuhalten. Wenn ein Kind Missbilligung. Das Problem, das wir in der beispielsweise im Unterricht ständig Schule oder auch im häuslichen Kontext dreinredet, sollte sich die Lehrperson mit 21 haben: Oft kommen in solchen Situatio- ihm zusammensetzen und besprechen,
warum es ihm so schwerfällt, aufzustre- nicht ganz korrekt ist. Auch hier zählt häufig darin, dass man dem Kind Privile- cken und zu warten, bis es aufgerufen letztlich der Inhalt der Rückmeldung. Dem gien entzieht. Man schickt es zum Beispiel wird. Man kann mit ihm ein Ziel festlegen Kind gegenüber Anerkennung auszudrü- in sein Zimmer, das heisst, es darf sich und einen Weg definieren, wie es dieses cken für eine bestimmte Leistung, ist nicht mehr in der Familiengemeinschaft erreichen kann. Dabei muss klar sein, was sinnvoll, ihm nur zu sagen: «Du bist gut», aufhalten. Oder man auferlegt ihm Haus- das Kind selbst tun kann und wo es die bringt es hingegen nicht weiter. arrest, ein Fernseh- oder Handy-Verbot. Unterstützung der Lehrperson braucht. Ist es klug, ein Kind vor der ganzen Man entzieht dem Kind also einen positi- Entscheidend ist das Miteinander. Klasse zu loben und es dadurch vor ven Stimulus. Aus der Forschung wissen Das ist ein hoher Anspruch. den anderen auszuzeichnen? wir aber schon seit 1932: Bestrafung ist Ja, aber es lohnt sich. Und es hilft auch, Wenn eine Lehrperson dies macht, sollte nicht verhaltensformend. Kindern klare Anweisungen zu geben. sie versuchen, möglichst alle Kinder zu Was heisst das? Wenn ein Kind im Unterricht herum berücksichtigen, auch wenn es bei einigen Wenn ich ein Kind in sein Zimmer schi- hampelt, sollte man nicht ausrufen, son- Kindern vielleicht mehr Möglichkeiten cke, hilft das vielleicht, die Situation im dern ihm ruhig, aber bestimmt sagen: gibt, positive Rückmeldungen zu geben, Moment zu beruhigen, aber das Kind lernt «Jetzt setzt du dich bitte an deinen Platz als bei anderen. Im Zentrum steht der dadurch nicht, was es anders machen und arbeitest weiter.» Je nachdem kann Lernerfolg. John Hattie hat in seinen Stu- sollte. Es wird also sein Verhalten nicht man noch anfügen, dass man die Situation dien die Faktoren herausgearbeitet, die ändern, sondern höchstens unterdrücken. nach der Stunde zusammen besprechen zum Schulerfolg beitragen. Und er kam Wenn ein Kind aber wiederholt eine Vier- wird. Dann weiss das Kind, woran es ist zum Schluss, dass wir das Lehren und telstunde zu spät nach Hause kommt und und dass noch ein Gespräch folgt. Letzt- Lernen sichtbar machen müssen. Wenn dafür bei einem nächsten Mal eine Vier- telstunde früher nach Hause kommen muss, ist dies für das Kind eine nachvoll- ziehbare Konsequenz aus seinem Fehl- verhalten. Noch besser ist es, sich mit dem «Wenn sie getadelt werden, Kind zusammenzusetzen und zu erörtern, welche Hilfe es benötigt, damit es in Zu- wissen die Kinder oftmals nicht, kunft pünktlich ist. Und wenn es dies dann was sie falsch gemacht haben.» tatsächlich schafft, sollte man ihm dafür auch Anerkennung zeigen. Man kann es auch belohnen, denn erwünschtes Verhal- ten kann mittels positiver Verstärkung aufgebaut werden. lich ist dies Teil einer guten Klassenfüh- eine Lehrperson einem Kind zu verste- Jeder von uns erinnert sich vermut rung: Mit positiv formulierten Anweisun- hen gibt, was es gut gemacht hat, kann lich noch an Strafarbeiten in der S chule, gen kann die Lehrperson Störungen im daraus ein Dialog mit der Klasse ent in denen man x-mal den gleichen Satz Keim ersticken. Da sehe ich in den Schu- stehen: Gibt die Lehrperson dem Kind schreiben musste. Eine gute Idee? len teilweise noch einiges an Potenzial. zum Beispiel eine positive Rückmeldung Nein. Auch hier gilt: Das Kind lernt nichts, Gibt es nicht Kinder, die gezielt zu einem gewählten Lösungsweg, erklärt wenn es hundertmal schreiben muss: «Ich provozieren, um Aufmerksamkeit zu vielleicht ein anderes, wie es selbst bei darf im Unterricht nicht schwatzen.» Kon- erhaschen? der Aufgabe vorgegangen ist, und man be- struktiver wäre es allenfalls, dem Kind Der amerikanische Kinderpsychologe Ross ginnt in der Klasse, verschiedene Heran- die Aufgabe zu geben, sich schriftlich Ge- Greene hat den Satz geprägt: «Kids do gehensweisen zu diskutieren. So wird das danken darüber zu machen, was nötig well, if they can.» Das heisst, Kinder Lernen für die Kinder sichtbar und es wäre, damit es im Unterricht nicht mehr machen es grundsätzlich gut, wenn sie profitiert die ganze Klasse davon. schwatzt. So könnte sich das Kind damit über die nötigen Kompetenzen verfügen, In der Montessori-Pädagogik wird auseinandersetzen, was in der Schule von sie machen nicht extra etwas Schlechtes, nicht nur auf Tadel, sondern auch ihm erwartet wird, warum es ihm nicht um jemandem zu schaden. Erwachsene auf Lob bewusst verzichtet – was sagen gelingt, aufmerksam zu sein, welches die sollten deshalb stets davon ausgehen, Sie dazu? Störvariablen sind und was ihm helfen dass Kinder etwas so gut machen, wie sie Die Montessori-Pädagogik geht von der würde, still zu sein. es können, und dort, wo sie etwas nicht Haltung aus, dass das Kind seinen indi Was ist denn das Wichtigste, was können, überlegen, welche Unterstützung viduellen Weg entwickelt und dabei von Lehrpersonen im Umgang mit den das Kind benötigt, um weitere Lernfort- der Lehrperson unterstützt wird. Wenn Schülerinnen und Schülern beherzigen schritte zu erzielen. ein Kind beispielsweise ein Bild malt, sollten? Vielleicht braucht es mehr Lob? schält die Lehrperson mit ihm heraus, was Konsistentes Handeln. Damit sind wir Schulblatt Kanton Zürich 3/2018 Fokus Auch beim Lob geht es um die Frage, was es gemacht hat, wie es darauf gekommen wieder bei der Klassenführung. Wenn bei- sinnvoll ist und was nicht. In den letzten ist, ohne eine Wertung zu implizieren. spielsweise während der Stillarbeit nur Jahren gab es heftige Debatten darüber, Doch allein die Zeit, die sich die Lehr flüstern erlaubt ist oder gar nicht gespro- ob man überhaupt loben sollte oder ob person dafür nimmt, ist bereits ein Zei- chen werden darf, müssen die Kinder das man das Kind dadurch korrumpiert. Die chen der Anerkennung – für das Kind wissen und die Lehrperson muss dafür Forschung konnte einen solchen Korrum- steckt darin eine positive Rückmeldung, sorgen, dass es auch umgesetzt wird. Das pierungseffekt jedoch nicht eindeutig be- ohne dass diese explizit formuliert wer- bedeutet, sie muss jedes Mal, wenn sich legen. Wenn ein Kind gelobt wird, fühlt es den muss. Was in den Montessori-Schulen ein Kind nicht an diese Regel hält, kon sich wahrgenommen und wertgeschätzt. klar keinen Platz hat, sind der Tadel und sistent reagieren – nicht einmal reagieren Und meines Erachtens kann man bei je- die Bestrafung. und einmal nicht oder einmal schimpfen dem Kind etwas Positives herausstreichen. Soll man Kinder und Jugendliche und einmal ein Kind vor die Türe schi- Vielleicht betrifft es den Weg, etwa, dass denn bestrafen? cken. Eine solche Konsistenz tagtäglich zu es im Unterricht besser mitmacht oder für Die Frage ist doch: Lernt das Kind etwas leben, ist etwas vom Anspruchsvollsten eine Aufgabe einen spannenden Lösungs- dabei? Die Antwort lautet: nein. Im häus- im Lehrberuf. Aber auch etwas vom Wir- 22 weg gewählt hat, obwohl das Resultat lichen Kontext besteht die Bestrafung kungsvollsten.
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