Schwerpunkt Stadt-Land-Beziehungen Interviews: Gerd Sonnleitner
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A G R A R S O Z I A L E G E S E L L S C H A F T E. V. Schwerpunkt Stadt-Land-Beziehungen Interviews: Gerd Sonnleitner UN-Sonderbotschafter für das Internationale Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft Wolfgang Ehrenlechner Katholische Landjugendbewegung ASG-Frühjahrstagung in Münster H 20781 | 65. Jahrgang | 01/2014 | www.asg-goe.de
Inhaltsverzeichnis ASG 1 Am Rande notiert – ASG-Vorsitzender Dr. Martin Wille 2 LandSchau 2014: „Lust aufs Land“ – Ländliche Entwicklung in Europa - Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen - Bürger engagieren sich gemeinsam - Jugend und Bildung 8 Preisträger im Wettbewerb: Kernige Dörfer 12 Tagungsregion Münsterland 14 Programm der ASG-Frühjahrstagung Agrarpolitik 15 Neues von der agrarpolitischen Bühne: Fachpresse statt heute show Landwirtschaft 17 Interview mit Gerd Sonnleitner: Landwirtschaft ist anders als die Produktion von Kugelschreibern Ländlicher Raum 20 Interview mit Wolfgang Ehrenlechner: Erneuerbare Energien einzige Alternative 22 Mädchenbilder in Männerdomänen 24 Ausbildung zur Equal-Pay-Beraterin im ländlichen Raum 24 Herausforderung Leerstand: Einfamilienhausgebiete der 1950er bis 1970er Jahre 27 Engagiert mitgestalten! 27 Fragen zum Ehrenamt an Ute Göpel Schwerpunkt Stadt-Land-Beziehungen 28 MORO-Forschungsprojekt: Stadt-Land-Partnerschaften zum Nutzen der Regionen 30 Europäische Metropolregion Nürnberg – eine Heimat für Kreative 32 MORO Nord – Großräumige Partnerschaft Norddeutschland/Metropolregion Hamburg 35 Landbevölkerung der Region Naturgarten Kaiserstuhl initiiert Partnerschaften mit Freiburger Stadtteilen 38 Regiopolregion Rostock 40 Neue EU-Förderperiode: Impulse zur Entwicklung von Stadt-Umland-Partnerschaften 41 STADT-LAND-ILE? Potenziale der Integrierten Ländlichen Entwicklung zur Stärkung der Kooperation von Stadt und Land 43 Die spätmittelalterliche Stadt und ihr Umland am Beispiel Lüneburgs 46 Lesetipps: Metropolregionen und Regionalplanung Peripherisierung, Stigmatisierung, Abhängigkeit? Kleine Städte in peripheren Regionen Diskussionspapier: Stadt.Land.Europa. Personalien 47 Christian Schmidt neuer Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft 47 Arnd Spahn Vorsitzender im SVLFG-Vorstand 47 Hermann Kroll-Schlüter 75 Jahre 47 Christel Hoffmann 65 Jahre 47 Michael Busch und Ines Fahning neue Geschäftsführer der ASG Termin 47 Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen – Innovationen querfeldein“ Für Sie gelesen 47 eurotopia-Verzeichnis 2014 – Gemeinschaften und Ökodörfer in Europa Aus der Forschung 48 Lebensgrundlage Land 48 Zukunftschancen bedarfsgerechter Nahversorgung in ländlichen Räumen Niedersachsens 48 Initiativkreis deutscher Regionen in grenzüberschreitenden Verflechtungsräumen – Abschlussbericht des Modellvorhabens der Raumordnung (MORO) Foto Titelseite: M. Busch | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Am Rande notiert 1 „Gemeinsam für den ländlichen Raum“, unter diesem Motto stand das 7. Zukunftsforum ländliche Entwicklung im Rahmen der Grünen Woche 2014. „Partnerschaften nachhaltig stärken“ war eine Europäische Konferenz über- schrieben, die im Juni 2012 vom damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin veranstaltet wurde. In einem Diskussions- papier zu dieser Konferenz heißt es, dass Stadt-Land-Partnerschaften zahl- reiche Vorteile für die Regionalentwicklung aufweisen. Sie würden die ver- schiedenen lokalen und regionalen Akteure in funktionalen Räumen zum gegenseitigen Nutzen zusammenbringen. Ist das so? Finden auch ländliche Räume in einer solchen Partnerschaft eine adäquate Berücksichtigung? Zweifel sind angebracht. Sie werden jedoch in diesem Heft zerstreut: In zwei Modellvorhaben der Raumordnung (MORO), die zwischen 2008 und 2013 vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) durchgeführt wurden, hat sich beispielsweise gezeigt, dass ländliche Räume ihre Poten- ziale in Partnerschaften einbringen könnten. Zu diesem Ergebnis kommen grundsätzlich auch die Kooperationspartner der MORO Nord-Region. „Stadt und Land in gemeinsamer Verantwortung“ heißt es in der „Bad Bevenser Er- klärung“, deren große Bedeutung für das Selbstverständnis und die Wahrneh- mung der ländlichen Räume herausgestellt wird. „Wie geht es weiter?“ wird am Schluss der Erklärung gefragt. Man wolle die begonnene Kooperation fortsetzen. Allerdings fehle nach dem Auslaufen des Modellprojekts MORO Nord vor allem den peripher gelegenen ländlichen Regionen eine Plattform. Ist damit etwa ein Grundsatzproblem der inzwischen zahlreichen Modellpro- jekte in und für ländliche Räume angesprochen? Was geschieht in der Region nach Auslaufen des Modellprojekts? Haben diese Projekte etwas von Dauer bewegen und bewirken können? Es wäre wirklich schade, wenn sich gerade Modellvorhaben von Stadt-Land-Partnerschaften als ländliche Strohfeuer erwei- sen würden. Und trotzdem: Gemeinsam und partnerschaftlich zwischen Stadt und Land – das könnte Leitfaden für die ländliche Entwicklungspolitik der Zukunft werden. Auch für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das sich im neuen Regierungsgefüge als Wirtschaftsministerium im ländlichen Raum verstanden wissen will. Es werde, so Staatssekretär Robert Kloos in seiner Rede zur Eröffnung des 7. Zukunftsforums in Berlin, die Verantwortung für die ganzheitliche ländliche Entwicklung übernehmen, bürgerschaftliches Engage- ment unterstützen und gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen Pers- pektiven für ländliche Regionen mit einer hohen Lebensqualität schaffen. Das klingt sehr gut und es ist zu hoffen, dass das Vorhaben der von einer großen Koalition getragenen Bundesregierung gelingt, nämlich die derzeitige Ge- meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur“ grundlegend neu zu gestalten. Sie solle, so Staatssekretär Kloos, als Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ zu einem „zentralen Bund-Länder-Förderinstrument für starke ländliche Regionen“ entwickelt werden. Ihr StS a.D. Dr. Martin Wille Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Fotos: M. Busch 2 ASG LandSchau 2014: „Lust aufs Land“ – Ländliche Entwicklung in Europa Im Zentrum der Eröffnungsveranstaltung der LandSchau standen Veränderungen der europäischen Förderpolitik ab 2014. Helir-Valdor Seeder, Landwirtschaftsminister der Im Vergleich zur letzten Förderperiode gäbe es bei Republik Estland, diesjähriges Partnerland der Inter- der Förderung der ländlichen Räume in drei Haupt- nationalen Grünen Woche Berlin, begrüßte aus- bereichen neue Ansätze, so Peter Kaltenegger, drücklich die Angleichung der Mittelvergabe, die in EU-Kommission. Erstens werde eine Zusammenar- der neuen Förderperiode der GAP erfolgen werde, beit der verschiedenen Fonds (Landwirtschafts- da heute die Fördermittel innerhalb Europas sehr fonds, Regionalfonds, Sozialfonds, Fischereifonds) unterschiedlich verteilt seien. Obwohl die Zahl der in den Regionen im Rahmen eines gemeinsamen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft auch in Estland strategischen Rahmens eingefordert, zweitens solle stetig abnehme, sei die Landwirtschaft für das dörf- die Politik der ländlichen Entwicklung sehr stark auf liche Leben und die Kultur im ländlichen Raum sehr Klima, Umwelt und Innovation fokussiert werden wichtig. Die Esten lebten in und mit der Natur und und drittens erfolge eine grundsätzliche Vereinfa- die Erzeugung gesunder Lebensmittel habe einen chung der Förderung für kleine Projekte. Als Bei- hohen Stellenwert. Deshalb komme dem ökologi- spiel nannte er LEADER-Projekte mit einem Finanz- schen Landbau auch eine besondere Bedeutung zu. bedarf von etwa 15 000 €. Landwirtschaftsminister Johannes Remmel, NRW, StS a.D. Dr. Martin Wille, Vorsitzender der ASG, bezeichnete den Klimawandel, den Umgang mit Tie- wies auf den lt. Koalitionsvertrag vorgesehenen ren und Natur sowie den Erhalt der Artenvielfalt in neuen Schwerpunkt für ländliche Räume, Demogra- der Fläche als besondere Zukunftsherausforderung fie und Daseinsvorsorge hin. Hier sei, ebenso wie für den ländlichen Raum. Erfreut zeigte er sich da- bei der Kooperation der Fonds, eine Zusammenar- rüber, dass die Mittel ab 2014 etwas stärker in die beit über die Grenzen der Ressortzuständigkeiten 2. Säule fließen und so den ländlichen Raum stär- hinaus erforderlich, was voraussichtlich nicht ein- ken würden. Es sei sinnvoll, mehr Geld für Prozesse fach werde. und Strukturen einzusetzen als bisher und weniger für Direktzahlungen. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 3 ← Helir-Valdor Seeder Landwirtschaftsminister der Republik Estland Johannes Remmel Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW Peter Kaltenegger EU-Kommission, GD Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Dr. Martin Wille StS a.D., Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. Dr. Ralf Niermann, ← Landrat, Kreis Minden-Lübbecke Tõnis Korts Landkreis Viljandimaa Moderatorin Heike Götz Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen schule in Tipu im Nationalpark Soomaa wurde mit Unterstützung des Vereins „Partner für Estland e.V.“ Internationale Kooperation verwirklicht. Sehr viele Kontakte hätten sich auch auf sportlicher Ebene ergeben und das estnische Vorreiter einer deutsch-estnischen Zusammenar- Folk-Festival in Viljandi sei Bestandteil eines regen beit sind die Kreise Minden-Lübbecke und Viljandi- deutsch-estnischen Kulturaustauschs. maa, die sich gemeinsam auf der LandSchau-Büh- ne und am Stand des Deutschen Landkreistages Interkommunale Kooperation (DLT) präsentierten. Während zu Beginn der seit über 20 Jahren bestehenden Partnerschaft Hilfslie- Zur Sicherung der Lebensqualität in den Dörfern ferungen im Mittelpunkt der Beziehungen standen, müssen angesichts des demografischen Wandels praktizieren die beiden Landkreise heute eine gleich- neue Wege gegangen werden, so Dr. Markus Mem- berechtigte Zusammenarbeit, z. B. bei LEADER-Pro- pel, Deutscher Landkreistag. Zwar sei dies noch jekten. Natur- und Landschaftsschutz seien immer nicht bei allen Verantwortlichen angekommen, aber ein wichtiges Thema gewesen, so Dr. Ralf Niermann immer mehr Kreise würden nicht nur auf förderfähige und Tõnis Korts, Landkreis Viljandimaa. Die Natur- Investitionen setzen, sondern neue Leitbilder und Dr. Jürgen Römer, Frederik Otto, Moderatorin Petra Schwarz, Till Eulenspiegel, Andreas Memmert, Dr. Markus Mempel | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
4 ASG Wege entwickeln. Ein Beispiel hierfür sei die inter- Kommunen und Wirtschaft gemeinsam kommunale Zusammenarbeit. Es könne nicht mehr in jedem Dorf „das eigene Süppchen gekocht werden“, Um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, wie es Dr. Jürgen Römer, Fachdienstleiter Dorf- und wurde 2006 der Verein „Wachstumsregion Ems- Regionalentwicklung Landkreis Waldeck-Franken- Achse“ von den Landkreisen Aurich, Wittmund, berg, ausdrückte. Da der Markt in Bezug auf die Breit- Leer, Emsland und Grafschaft Bentheim sowie der bandversorgung total versage, hätten sich z. B. in Stadt Emden zusammen mit Wirtschaftsunterneh- Nordhessen fünf Landkreise zusammengeschlossen, men, Kammern und Verbänden der Region gegrün- die mit Unterstützung des Landes 150-250 Mio. € in- det. War die Arbeitslosenquote in der dünn besiedel- vestieren werden, um jeden Ort an das Glasfasernetz ten Region im Nordwesten Niedersachsens Mitte anzuschließen. der 1990er Jahre noch überdurchschnittlich hoch, so hat sich die Region heute zum Jobmotor entwi- „Die Kunst ist, über Kreise und Landesgrenzen ckelt. Haupttätigkeitsfeld des Vereins mit heute hinaus zusammenzuarbeiten“, betonte Andreas 1 500 Mitgliedern ist inzwischen die Fachkräfteinitia- Memmert, Bürgermeister der Einheitsgemeinde tive. Sie soll dem heutigen und künftigen Fachkräf- Schladen-Werla. Seine Heimatgemeinde habe temangel entgegenwirken, indem sie mit dem Pro- sich mit sieben anderen Gemeinden aus zwei Land- jekt „Junge Ems-Achse mit Zukunftsideen“ Maßnah- kreisen und der Stadt Salzgitter zusammengetan. men zur Berufswahlorientierung und Kooperationen Mit 200 Partnern aus allen Bereichen seien Ideen zwischen Schulen und Unternehmen fördert, mit Hil- entwickelt und Masterpläne erstellt worden. Eines fen für die Kinderbetreuung in der „Familien-Achse“ von 170 – auch mit Hilfe von EU-Fördermitteln – den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert, als umgesetzten Projekten sei der touristische Master- „Ems-Achse Mobil“ auf Jobmessen um Fachkräfte plan. Jetzt könne die Region europaweit als „Nördli- wirbt und in sieben Fachkräfteservicestellen die An- ches Harzvorland“ vermarktet werden. Frederik Otto, siedlung der „Neuen“ erleichtert: Ob Kindergarten- Wirtschaftsförderung Landkreis Ostprignitz-Ruppin, platz, Wohnungssuche oder Job für den Lebens- betonte, dass auch für die Fachkräftesicherung das partner, die Servicestellen helfen. gemeinsame Standortmarketing sehr wichtig sei. Dr. Dirk Lüerßen und Moderatorin Heike Götz | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 5 Bürger engagieren sich gemeinsam Foto: Bürgerbahnhof Bürgerbahnhof Mehrere Jahrzehnte war das 1889 erbaute Bahnhofs- gebäude in Leutkirch im Allgäu bereits ungenutzt und der vor knapp 15 Jahren geplante Umbau zur Stadthalle war wegen der hohen Kosten von 5 Mio. € bereits geschei- tert, da entwickelten fünf junge Leutkirchner eine Idee, deren Umsetzung 2013 im Wettbewerb „Menschen und Erfolge“ ausgezeichnet wurde. Unter dem Motto „Bürger kaufen den Bahnhof, Bürger sanieren den Bahnhof, Bür- ger beleben den Bahnhof“ wurde 2010 eine Genossen- schaft gegründet und von heute 700 Genossenschafts- mitgliedern über 1 Mio. € Bürgerkapital aufgebracht. In Rekordbauzeit von 16 Monaten wurde das Gebäude von 17 ehemals arbeitslosen Personen und Handwerksbe- Gastronomie mit Hausbrauerei im Bereich des ehemaligen trieben aus der Region saniert. Der denkmalgeschützte Bahnhofsrestaurants und der Warteräume Bahnhof beherbergt heute eine Gaststätte mit Brauerei, fünf Unternehmen und das Informationszentrum Nach- Foto: nlv haltige Stadt. Hereinspaziert ... Unter dem Motto „Hereinspaziert – LandFrauen öffnen ihre Dörfer und Gärten“ stand der erste niedersachsen- weite Aktionstag der LandFrauen im Juni 2013. Unter- stützt vom NDR, wurde an mehr als 100 Orten gezeigt, wie attraktiv, zukunftsfähig und lebenswert der ländliche Raum sein kann. Den LandFrauen sei wichtig gewesen, so Brigitte Scherb, erste Vorsitzende des Niedersäch- sischen LandFrauenverbands Hannover, dass unter- schiedliche Vereine und Organisationen wie die Frei- willige Feuerwehr oder die Landjugend an den Aktionen beteiligt gewesen seien und den Gästen Einblicke in Dorfgärten, Bauerngärten und Landwirtschaft gewährt hätten. Die breit gestreuten Angebote seien von 30 000 ... LandFrauen öffnen ihre Gärten Besuchern genutzt worden. Lage und willens ist, auch kleine Läden zu beliefern. Dorfläden Sein Familienunternehmen beliefere in Süddeutsch- Das Dorfladen-Netzwerk stellte einige der mittlerweile land 400 meist kleine Lebensmitteleinzelhandels- über 200 Dorfläden in Deutschland vor. Wolfgang Gröll, geschäfte. Seit etwa 15 Jahren nehme die Zahl der Unternehmensberater und bundesweiter Dorfladen-Bera- bürgerschaftlich geführten Läden darunter zu. ter, betonte, dass weniger die Einwohnerzahl als bürger- schaftliches Engagement und Identifikation mit dem La- den Bedingung für den Erfolg eines Dorfladens seien. Jugend und Bildung Bei Informations- und Motivationsveranstaltungen frage „hier sind wir! Mobil“ er als erstes die Bürger nach ihren Wünschen. Claudia Fromligt, Mitarbeiterin im Dorfladen Heising, berichtete Im Rahmen der Entwicklung einer eigenständigen über die persönliche Beziehung zu den Kunden, die dazu Jugendpolitik förderte das Bundesministerium für führt, dass alle sich mit dem Laden identifizieren und Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) dass ihre eigene Tätigkeit mehr als ein Job sei. Für das Projekte durch einen Innovationsfonds im Kinder- Gelingen eines Dorfladenkonzepts sei darüber hinaus und Jugendplan des Bundes. Eines von 45 Modell- ein Großhändler wie Rainer Utz, Geschäftsführer des projekten in Brandenburg ist das „hier sind wir! Mobil“, Utz-Lebensmittel-Großhandels, notwendig, der in der welches von Fabian Brauns, Kreis-Kinder- und | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
6 ASG „HEIMVORTEIL – Punktsieg für‘s Land!“ ... Foto: hier sind wir - MOBIL! ... hieß eine von der Katholischen Landjugend- bewegung (KLJB) Bayern von 2011 bis 2013 durchgeführte Kampagne, die ländliche Räume mit ihren Entwicklungspotenzialen und Chancen in den Mittelpunkt stellte und die Schwerpunkte politische Beteiligung, Umwelt, Wirtschaft und Soziales hatte. Als einen Höhepunkt bezeichneten die anwesenden Mitglieder der KLJB die Land- tagsaktion, während der bei Muffins, Bowle und Postkarten-Aktionen viele Gespräche mit Abgeord- neten geführt werden konnten. So hätte beispiels- Das Mobil bei der „langen Nacht in Buckow“ weise durch das Engagement der KLJB verhindert werden können, dass aus dem Gesetz zur Lan- Jugendring Märkisch-Oderland e.V., vorgestellt wur- desplanung und aus dem Landesentwicklungs- de. Unter fachkundiger Leitung haben Kinder und programm (LEP) Ziele und Grundsätze in den Jugendliche einen Bauwagen zum Treff- und Veran- Bereichen Bildung, Kultur und Soziales gestrichen staltungsort umgebaut, der seit Sommer 2013, wurden. Nicht durchgesetzt werden konnte hinge- ebenfalls von den Jugendlichen organisiert, den gen die Forderung nach konsequenter Jugend- Landkreis Märkisch-Oderland „bereist“. Das 8 m² beteiligung und verbindlichen Zielen für eine Ener- kleine „hier sind wir! Mobil“ kann dank Verstärkeran- giewende im LEP. Aber auch die Aktionen der lage und eingebauter Küche auch als Musikbühne Jugendlichen auf Diözesanebene seien ein voller fungieren oder die Verpflegung von Workcamps Erfolg gewesen: Beispielsweise die Renovierung sicherstellen. Ziel des Projektes ist, die Jugend- eines Kindergartens in einer 72-Stunden-Aktion, beteiligung zu stärken und Akteure intensiver zu eine Theateraufführung für das Dorf oder die Aus- vernetzen. Nicht immer sei die Verwirklichung von einandersetzung von Dorfgruppen im Diözesan- guten Ideen einfach, so Anett Bauer, Landesarbeits- verband mit ihrem Lebensraum und ihrer Dorf- gemeinschaft Mobile Jugendarbeit/Streetwork Bran- kirche unter dem Motto „Landgewitter – Frischer denburg e.V. Regionalmanager und Bürgermeister Wind für Kirche und Land“. Die inzwischen er- verstünden die Anliegen der Jugendlichen oft nicht schienene Dokumentation zur Kampagne soll gleich. In diesem Fall sei es wichtig, dass „Überset- Ideen, Erkenntnisse und Erfahrungen für zukünf- zer“ tätig würden, damit ein echter Ideenaustausch tige Landjugendgenerationen sichern (weitere und eine Vernetzung stattfinden könnten. Infos unter www.kljb-bayern.de). Die Katholische Landjugend befragt das Publikum. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 7 Ingwer Seelhoff, Moderatorin Petra Schwarz, Günter Möller und Uta-Maria Kern diskutieren über Bildung auf dem Lande. Bildung als Standortfaktor Lernort Bauernhof Gerade in kleinen Ortschaften würden Bildungsein- Annette Müller-Clemm, Vorstandsmitglied der richtungen geschlossen und deshalb die Attraktivität Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof der Dörfer und damit auch die Immobilienwerte sin- e.V. (BAGLoB), beschrieb den Bauernhof als einen ken, so Ingwer Seelhoff, ews group Lübeck. Bildung Ort, an dem Kinder alle Kompetenzen erwerben dürfe jedoch nicht auf Schule reduziert werden, es können, die sie zum Leben brauchen. Viele Land- gehe auch um außerschulische Lernangebote wie wirte würden sich in diesem Bereich engagieren, Volkshochschulkurse und die Primarbildung, etwa den um der Gesellschaft zeigen zu können, wie reale Kindergarten. Der Zusammenarbeit von unterschiedli- Landwirtschaft funktioniere und welche Mühe die chen Bildungsträgern und zwischen den Kommunen Nahrungsmittelproduktion mache. Wenn die Zu- käme eine immer größere Bedeutung zu. Das Jahr sammenhänge deutlicher würden, steige auch die 2014 sei in Schleswig-Holstein zum Jahr der ländli- Wertschätzung für Nahrungsmittel. In Bayern sei chen Räume erklärt worden, einer der Schwerpunkte es erklärtes Ziel der Staatsregierung, jedes Schul- sei Bildung, erläuterte Günter Möller, Regionalmana- kind mindestens einmal auf einen Bauernhof zu ger der LAG AktivRegion Schwentine-Holsteinische schicken, weshalb dies auch finanziell unterstützt Schweiz. Dies gelte auch für die jetzt beginnende werde. Zusätzlich würden den Landwirten Qualifi- neue EU-Förderperiode, allerdings sei das Thema kationskurse angeboten, so Dr. Victoria Lofner- Bildung für die LEADER-Gruppen zunächst neu. Auch Meir, Bayerisches Staatsministerium für Ernäh- müssten noch viele Zuständigkeiten im Bildungsbe- rung, Landwirtschaft und Forsten. 300 Anbieter reich geklärt werden. Bei der Suche nach Partnern hätten bereits an der 120-stündigen Fortbildung sei nicht nur das Bildungsangebot selbst wichtig, teilgenommen und ein pädagogisches Konzept für sondern ebenfalls die Finanzierung der Anfahrt. ihren Bauernhof erarbeitet. Friedrich König, Vor- Durch die Zusammenarbeit mit der Sparkassen- standsmitglied der Interessengemeinschaft Lernort stiftung wäre diese z. B. für den außerschulischen Bauernhof – Erlebnishöfe in Bayern, beschrieb an- Lernort „Erlebnis Bungsberg“, der zum Projekt Bil- schaulich, wie Schulkinder aber auch Erwachsene dungsspaß Ostholstein gehöre, langfristig gesichert. auf seinem Hof in einem kurzen Zeitraum sowohl Im Kontext der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ die Kuh im Stall sehen als auch das Käsemachen bestehe beim Bildungsspaß Ostholstein mittelfristig durch eigenes Tun erfahren könnten. Er sei über- das Ziel, Kindern aus Grundschulen und Kindergärten zeugt, dass die authentische Lernumgebung auch einmal im Jahr kostenfrei den Besuch einer solchen eine besondere Lernqualität mit sich bringe. Mehr- Bildungseinrichtung zu ermöglichen. Uta-Maria Kern, tägige Aufenthalte im Rahmen von Klassenfahrten Geschäftsführerin des Verbandes der Bildungszent- stünden im Fokus der Initiative Schulbauernhof ren im ländlichen Raum, wies darauf hin, dass Koope- Havel-Aue e.V., so Mitinitiatorin und Vorstand des rationen dann besonders gut funktionierten, wenn die Vereins Tina Lüneburg. Der in Hohen Neuendorf, Partner unterschiedliche Kompetenzen mitbrächten nördlich von Berlin, entstehende Schulbauernhof und sich ergänzten. Die Bildungszentren seien mit werde das intensive Eintauchen ein großes Spek- ihren Übernachtungs- und Verpflegungsangeboten trum der landwirtschaftlichen Arbeit zeigen. auf längere Aufenthalte spezialisiert. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Fotos: Claudia Busch Foto: Gemeinde Fraunberg 8 ASG Fraunberg ... Goldenstedt ... Siedlungsdruck im Großraum München Modell für eine neue Dorfmitte Tunnelwirkung durch enge Bebauung Preisträger im Wettbewerb: Kernige Dörfer Claudia Busch Viele Dörfer bemühen sich intensiv um eine Belebung ihrer Kerne und den sorgsamen Umgang mit Flächen. Im bundesweiten Wettbewerb „Kerniges Dorf! Ortsgestaltung durch Innenentwicklung“ ha- ben sechs von ihnen eine Auszeichnung für besonders vorbildliche Ideen und Strategien zur Innen- entwicklung erhalten. Der von der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. (ASG) 2013 durchgeführte Wett- bewerb wurde durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Preise in Höhe von 10 000 € für die Inanspruchnahme von Beratungs- und Imageleistungen stellte die Land- wirtschaftliche Rentenbank zur Verfügung. Die ASG entwickelte ein Fraunberg – dörflichen nen stehen soll. Nicht weit davon Punktesystem, mit dem sie Charakter in Wachstums- entfernt wurde bereits ein Kinder- die Ausrichtung von Innenent- region erhalten zentrum ausgebaut, damit Krippe, wicklungsstrategien auf das Kindergarten, Hort und Spielplätze gesamte Dorf ebenso bewer- Der knapp 700 Einwohner um- direkt im Ort integriert sind. tete wie den Umsetzungsgrad fassende Altort Fraunberg in und die Bevölkerungsbeteili- Oberbayern steht vor allem vor Als lebendigen Impuls will Fraun- gung. Orte mit besonders der Herausforderung, auf Ein- berg auch die vorhandene Durch- kreativen oder innovativen wohnerzuwachs und eine starke gangsstraße nutzen. Statt weitere Ansätzen konnten zusätzliche Fluktuation in der Großregion Flächen über den Bau einer Umge- Punkte erwerben. Alle Bewer- München zu reagieren. Trotz des hungsstraße zu versiegeln, bevor- ber wurden nach Ortsgröße großen Siedlungsdrucks soll der zugt der Ort, mit kleinen Maßnah- und Schrumpfungsprozessen dörfliche Charakter über Kommu- men die Durchfahrtsgeschwindigkeit in verschiedene Kategorien nikations- und Begegnungsmög- zu verringern. Auch soll der Verkehr eingeteilt, um Chancenge- lichkeiten erhalten bleiben. Ge- als Kundenpotenzial für den Einzel- rechtigkeit herzustellen. Die meinsam mit einem Architektur- handel im Ort genutzt werden. Um besten Bewerber einer Kate- büro wurde ein Modell für eine diesen zu fördern, kauft die Gemein- gorie wurden der Fachjury neue Dorfmitte erarbeitet, in de- de Gebäude entlang der Hauptstra- vorgestellt, die nach mehreren ren Zentrum ein Bürgerhaus mit ße, in denen kleine Geschäfte und Sitzungen und Bereisungen verschiedenen Nahversorgungs- Werkstätten mit Wohnnutzung ver- die Gewinner bestimmte. angeboten und betreutem Woh- bunden werden können. Mitglieder der Fachjury im Wettbewerb „Kerniges Dorf!“ Claudia Busch Arthur Arnold, Bürgermeister der bayerischen Gemeinde Euerbach und Sprecher ist Leiterin des Projektbü- der Interkommunalen Allianz Oberes Werntal, Dr. Peter Dehne, Professor für Pla- ros Ländliche Räume und nungsrecht/Baurecht an der Hochschule Neubrandenburg, Mecklenburg-Vorpom- hat den Wettbewerb „Ker- mern, Nathalie Franzen, „Dorfplanerin“ in Rheinland-Pfalz, Klaus-Dieter Karweik, niges Dorf! Ortsgestaltung Innenentwicklungsexperte beim Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung durch Innenentwicklung“ Niedersachsen, Dr. Angela Kunz, Referatsleiterin im Sächsischen Landesamt für für die ASG betreut. Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dr. Renate Vogelsang, Referat 416 (Entwick- Tel. (0561) 988 03 72 lung ländlicher Räume) im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft info@proLR.de | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 9 Kyllburg ... Verbindungen durch neue Wege Kunst im Leerstand Ausstellung im ehemaligen Ladenlokal Dabei legt das Dorf stets viel Für Senioren sollen auch Wohn- regionaler Unternehmer wurden Wert darauf, die Ideen der Be- möglichkeiten im Zentrum ge- Schaufenster zu Galerien umge- wohner zu integrieren. Als Beson- schaffen werden. Die zeilenartige baut und Werke verschiedener derheit kann der mit dem bayeri- Bebauung an der Hauptstraße Künstler ausgestellt. Vier ver- schen Gütesiegel „Nachhaltige wird für die Gestaltung barriere- schiedene Zyklen ermöglichten Bürgerkommune“ ausgezeichnete freier Räume aufgebrochen. Die viele Vernissagen, die Kyllburger Ort auf seinen Gemeindeentwick- Straße gilt als Garant für Leben- und Besucher in die Ausstellungen lungsverein verweisen. Dieser digkeit – so kann das Geschehen lockten. Mit diesem und weiteren fungiert als Schnittstelle zwischen im Ort beobachtet werden. An ei- Projekten kam wieder Schwung Bürgerschaft und Gemeinderat. ner Reduzierung des LKW-Verkehrs in den Ort. Neben den Ausstellun- wird jedoch weiter gearbeitet. gen veranstalteten die Kyllburger Krimilesungen, führten ein Kin- Goldenstedt – lebendige Durch den Umzug der älteren derkunstprojekt durch und eröff- Mitte durch Gestaltung Generation werden die in den neten einen genossenschaftlich neuer Wege 1950er und -60er Jahren ausge- geführten Kunsthandwerkerladen. Der gut 3 000 Einwohner große wiesenen Baugebiete frei. Sie Die Übernahme ehrenamtlicher Ort in der Weser-Ems-Region hat können heutzutage dichter be- Arbeit – auch in der Pflege von sich durch Neubaugebiete am baut werden, weil sich die An- Straßen und Anlagen – wurde Ortsrand in den letzten Jahren sprüche an Grundstücksgrößen wieder zur Selbstverständlichkeit. räumlich stark ausgedehnt. Ent- deutlich verringert haben. Damit lang der Hauptstraße gaben viele junge Familien auch Altbauten Inzwischen ist die Initiative auf Geschäfte auf, weil es ein großes im Kern nutzen, hat Goldenstedt 20 Engagierte angewachsen. Ge- Einkaufszentrum am Ortsrand eine Richtlinie zu deren finanziel- meinsam arbeiten sie an neuen gibt. Gleichzeitig hat sie strecken- ler Förderung erarbeitet. Ideen, um Kyllburg als Kunststadt weise einen tunnelartigen Cha- weiter zu etablieren. Dabei wird rakter, weil die ursprüngliche zei- Wert darauf gelegt, dass immer Kyllburg – mit Kunst lenartige Bebauung nah an der wieder Möglichkeiten für Men- und Kreativität gegen durch den Ort führenden Landes- schen entstehen, die sich nur die Tristesse straße kaum Verbindungen zur punktuell oder zeitlich begrenzt sog. „zweiten Reihe“ zulässt. Kyllburg in der Eifel hat in den engagieren wollen. Kyllburg ist letzten Jahrzehnten durch die wieder so lebendig geworden, Unabhängig von ihrer jeweiligen periphere Lage viele Einwohner dass sich selbst für das zentrale Parteizugehörigkeit entwickelten verloren; aktuell wohnen etwa Hotel ein neuer Nutzer fand; daher mehrere Goldenstedter in 900 Menschen dort. Als vor ebenso wie für einige Ladenlokale. der Arbeitsgemeinschaft „Orts- 15 Jahren zudem ein großes Denn die schönen Ausblicke ins kernentwicklung“ die Vision „Gol- Hotel im Zentrum schloss, zog Land machen diese auch als denstedt 2020“, die als Rahmen sich der Einzelhandel immer wei- Galerien und Ateliers attraktiv. für zukünftige Investitionen gilt. ter zurück und Leerstand verbrei- Durch neue Plätze und Fußwege tete sich wie eine Krankheit. Der LeerstandsOFFENSIVE – werden Verbindungen geschaf- äußerliche Verfall führte zu einer ein lernendes Netzwerk fen. Rund um die öffentlichen pessimistischen Grundhaltung für frische Ideen Einrichtungen der Gemeinde wur- der Bewohner. de bereits der „Neue Markt“ ge- Gemeinsam haben die zwölf staltet, der auch die Schulgebäu- 2012 gründeten zunächst drei oberpfälzischen Gemeinden de integriert. Über den Skulptu- Interessierte die „Offensive gegen Altendorf, Eslarn, Guteneck, renpark führen abwechslungs- Leerstand“, die als ersten Schritt Niedermurach, Oberviechtach, reich gestaltete Wege zum das Modellprojekt „Kunst – Kultur Schwarzach, Schönsee, Stadlern, Mehrgenerationenpark und – Kyllburg“ ins Leben rief. Mit Un- Teunz, Thanstein, Weiding und -haus. terstützung der Eigentümer und Winklarn die „LeerstandsOFFEN- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Foto: u.m.s. Leipzig 10 ASG LeerstandsOFFENSIVE ... Otersen ... Gemeinsam anpacken in der Oberpfalz Bürgerbeteiligung für neue Ideen Straßendorf mit vielen Baudenkmälern SIVE“ ins Leben gerufen. Grund- zung von traditionellen Familien- Knechten als Unterkunft diente, gerüst dieser Offensive sind mo- unternehmen, damit sie beste- wurde vom Sportverein saniert natliche Treffen der Bürgermeis- hende Gebäude im Kern ausbau- und zu einem Fitness-Studio um- ter und des eingebundenen Pla- en und gewerblich nutzen. So gebaut, zusätzlich wurde hier ein nungsbüros urban management können lokale Identitäten erhalten Jugendraum eingerichtet. Der systems GmbH. Das Netzwerk werden, während bei Problemen, Dorfladen w. V. erwarb ein Grund- diskutiert über Projektideen, lädt die im Zuge der Innenentwicklung stück im Ortszentrum und baute Experten zu Schwerpunktthemen auftauchen – beispielsweise die das dortige Häuslingshaus mit ein oder bereitet gemeinsame teils schwierige Kommunikation viel Eigeninitiative und -mitteln Exkursionen vor. Von Anfang an mit Alt-Eigentümern – Lösungs- zu einem Dorfladen mit Café um. waren sich die Beteiligten einig, ansätze gemeinsam in der Leer- Auch eine Wohnung wurde im dass sie sich nach außen öffnen standsOFFENSIVE diskutiert Dachgeschoss eingerichtet. Auf und frische Ideen in ihre Region werden können. der Grundstücksfläche sollen in holen wollen. Zukunft barrierefreie Wohnungen entstehen. Privat wurden ein Otersen – Baukultur Gemeinsam luden sie vier junge Fachwerk-Doppelhaus, eine zukunftsorientiert nutzen Hochschulabsolventen unterschied- denkmalgeschützte Durchfahrts- licher Disziplinen ein, für zehn Das gut 500 Einwohner umfas- Scheune und ein alter Schweine- Monate in eine Wohngemein- sende Dorf am Rand der Lüne- stall zu Wohnhäusern umgebaut schaft in einem zuvor eigenstän- burger Heide hat 34 Baudenk- sowie zwei Fachwerkspeicher dig renovierten leerstehenden mäler auf 15 Hofstellen, viele umgesetzt, um sie zu bewahren. Haus zu ziehen. Von dort aus ortsbildprägende Gebäude stan- sollten diese die Leerstände in den leer. Seit den 1990er Jahren Die Otersener renovieren ihr allen Orten kartieren, Ideen für läuft ein Bewusstseins- und Sen- baukulturelles Erbe mit Herzblut Neunutzungen entwickeln, die sibilisierungsprozess im Ort. Die und handwerklichem Geschick. In Eigentümer ansprechen und mit Dorf- und Vereinsgemeinschaft besonderem Maße wird hier die Partizipationsmethoden wie z. B. e.V. hat die Innenentwicklung als Dorfgemeinschaft als Ressource Zukunftswerkstätten die Dorfbe- Satzungsziel aufgenommen. Ge- gepflegt und genutzt, was sich in wohner sensibilisieren. Umnut- meinsam mit den Bürgern wurde einem großen ehrenamtlichen zungsideen sollen sich am Bedarf zudem ein Dorfentwicklungskon- Engagement zeigt. der Bevölkerung (Nahversorgung, zept erarbeitet, in dem die For- Seniorenwohnungen etc.) orien- mulierung „Neues Leben in alten Stiftung Landleben – tieren oder über touristische oder Gebäuden – Ortskern erhalten lebenswerten Wohnraum Mietwohnangebote zusätzlich und beleben“ als Ziel aufgenom- schaffen und erhalten Personen in die Orte locken. men ist. Die vier nordthüringischen Orte In den einzelnen Orten gibt es Sowohl privat als auch durch Blankenburg, Kirchheilingen, verschiedene Umsetzungsprojek- örtliche Vereine wurden bereits Sundhausen und Tottleben haben te, z. B. den Umbau einer Scheu- zahlreiche Hofanlagen in neue 2011 gemeinsam die „Stiftung ne zu einer Veranstaltungshalle Nutzungen überführt. Ein altes Landleben“ gegründet, deren Ziel und einem Museum unter aktiver Schulhaus wurde von der Ge- im Bau von seniorengerechten Beteiligung der Bevölkerung, die meinde zum Kindergarten und Wohneinheiten besteht. Hierfür umfassende Neugestaltung der zur Mini-Sporthalle umgebaut. werden freie Flächen in den Orts- Ortsmitte und den Aufbau eines Auch hat sie eine ehemals land- zentren genutzt. Der Grundge- Dorfladens in einer ehemaligen wirtschaftliche Fläche mit einem danke ist, dass das ursprüngliche Sparkasse in einem zweiten Ort, Häuslingshaus gekauft und zum Wohneigentum – oftmals vom die Umnutzung eines ehemaligen Dorfplatz mit Sport- und Rastan- Verfall bedrohte Hofanlagen – zur Brauhauses für seniorengerechte lagen umgebaut. Das Häuslings- Finanzierung der Wohnmiete in Wohnungen und die Unterstüt- haus, das einst Tagelöhnern oder die Stiftung eingebracht werden | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 11 Stiftung Landleben ... Engagiertes Anpacken in Otersen Baukultur im Zentrum erhalten Barrierefreies Wohnen im Ortskern kann. Ziel ist es gleichzeitig, die Dörfern ist auch die Frage nach mer stehen, gemeinsam bleibt alten Gebäude so umzubauen Rückbau und Abriss zu stellen. ihnen, dass Innenentwicklung und zu sanieren, dass sie wieder- Wie kann ein solch destruktiv eine Daueraufgabe ist. Sie ist die um an junge Familien vermietet oder pessimistisch erscheinender planerische und bauliche Antwort werden können. Akt gestaltet werden, ohne eine auf soziale Veränderungen, bei der ebensolche Stimmung nach sich es immer um das Ziel geht, den Mit dem Bau barrierefreier Bun- zu ziehen? Innenentwicklung im Ortskern als Herz des Dorfes mit galows wird es Senioren ermög- Dorf heißt, dass sich Menschen Leben zu erfüllen. Mit dem bundes- licht, ihren Lebensabend im Dorf mit diesen Fragen beschäftigen, weiten Wettbewerb „Kerniges Dorf!“ zu verbringen. Teilweise wohnten die möglicherweise die nötige wurden Ideen prämiert, die sich diese vorher in schlecht gedämm- Sensibilität im Umgang mit den dieser Aufgabe vorbildlich ange- ten Gebäuden, in denen Treppen Bewohnern haben, für ihre eh- nommen haben. bewältigt und Kohleöfen versorgt renamtliche Tätigkeit aber nicht werden mussten. zwangsläufig den fachlichen Hin- tergrund eines Architekten, Pla- Nähere Informationen zum Wettbewerb und Die Bungaloweinheiten passen ners, Quartiersmanagers oder den Gewinnern finden sich in einer Broschüre, sich baukulturell unauffällig in die Psychologen mitbringen. die unter www.asg-goe.de/wettbewerb Dörfer ein. Durch die Lage in der heruntergeladen oder bei der ASG-Ge- Ortsmitte können die älteren Be- Widersprüchliche Gesetze und schäftsstelle bestellt werden kann. wohner direkt am Gemeindeleben Förderrichtlinien behindern den teilhaben. Die Außenanlagen der Prozess Innenentwicklung oft zu- Bungalows sind so gestaltet, dass sätzlich. Während das Denkmal- auch Pflegedienste umstandslos schutzamt etwa eine historische vor der Haustür parken könnten. Geschosshöhe vorschreibt, Und die Stiftung Landleben denkt nimmt die Bauaufsicht diese nicht bereits weiter. Unter dem Projekt- ab, weil sie aktuellen Sicherheits- namen „Landengel“ sollen zu- auflagen nicht entspricht. Bei der sätzlich Gebäude in den Dorfker- Gestaltung des Dorfzentrums nen zu Dienstleistungszentren mit stören Bundes-, Landes- oder medizinischen und Beratungsan- Kreisstraßen und Genehmigungs- geboten umgebaut werden. behörden auf übergeordneten Ebenen vertreten möglicherweise andere Interessen als das Dorf Innenentwicklung im Dorf selbst. Bis alle gesetzlichen Auf- bleibt eine Herausforderung lagen erfüllt und in den entspre- Innenentwicklung ist ein durch- chenden Ämtern bearbeitet wur- aus noch neuer Gedanke in vie- den, sind manchmal Fristen in len Dörfern, wie die Bewerbun- Förderprogrammen verstrichen. gen zeigten. Mit wenigen Ausnah- Oder dem dörflichen Arbeitskreis, men waren fast alle Orte in der der mit viel Enthusiasmus und Anfangsphase neuer Strategien Energie ein neues Projekt geplant und hatten gerade mit ersten Um- hatte, ist inzwischen die Luft aus- setzungen ihrer Planungen be- gegangen … gonnen. Die Vernetzungsmöglich- keiten allein über den Wettbe- Innenentwicklung im Dorf ist werb zeigten den Bedarf nach nur vor den spezifischen Hinter- Information und Vorbildern. Innen- gründen jedes einzelnen Ortes entwicklung ist nicht konfliktfrei, möglich. Vor welchen Heraus- denn in stark schrumpfenden forderungen die Dörfer auch im- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Prinzipalmarkt mit Rathaus Münster Fotos: Presseamt Münster / Tilman Roßmöller 12 ASG Tagungsregion Münsterland Das Münsterland, mit Münster im Zentrum, liegt in Nordrein-Westfalen, eingebettet zwischen dem Teutoburger Wald im Nordosten, der Lippe im Süden und der niederländischen Grenze im Westen. Es besteht aus den Kreisen Borken, Coesfeld, Warendorf und Steinfurt sowie der Stadt Münster. Stadt Münster den. Darüber hinaus sind in der Region viele alte Schlösser und Burgen sehenswert, wie Die Tagungsstadt kann auf eine etwa 1 200-jährige der ehemalige Wohnsitz von Annette von Geschichte zurückblicken. Besonders bedeutend Droste-Hülshoff. war die Schließung des Westfälischen Friedens 1648 im Rathaus Münster. Auch heute noch kann Derzeit beherbergt die Fahrradstadt Münster der gotische Bau besichtigt werden, ebenso wie vie- etwa 300 000 Menschen und 500 000 Fahrräder. le andere historische Gebäude in der Altstadt, die In Relation zur Stadtgröße hat Münster, auch nach einer fast gänzlichen Zerstörung im 2. Welt- dank der vielen Studierenden, überdurchschnitt- krieg nach altem Stadtbild wieder aufgebaut wur- lich viele kulturelle Angebote, Cafés und Kneipen. Zu den Attraktionen, die jährlich etwa 5 Mio. Tou- risten nach Münster locken, gehören auch etliche Grünanlagen und ein vielfältiger Wochenmarkt. Landwirtschaft im Münsterland Das Münsterland ist einer der leistungsfähigsten Agrarwirtschaftsräume der Erde und Zentrum der Veredelungswirtschaft. Die Landwirtschaft stellt mit rund 2 Mrd. € Umsatz und etwa 35 000 Arbeits- kräften auf 12 300 Betrieben einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor im Münsterland dar. Von den knapp 600 000 ha Katasterfläche werden 370 000 ha landwirtschaftlich genutzt. Dies entspricht 62 % und liegt damit über dem Durchschnitt von NRW mit 50 %. Lambertikirchplatz in Münster | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG 13 Trotz der teilweise sandigen Böden ist das Münster- Foto: M. Busch land wegen seines Klimas ein agrarischer Gunst- standort. Das Weserbergland und der Teutoburger Wald wirken als Kältesperre und sorgen für milde Winter, bei jährlich mehr als 1 500 Sonnenstunden. Aufgrund der geringen Fruchtbarkeit der Böden, der Flächenknappheit und der günstigen Importmöglich- keiten für Futter setzte sich die Tierproduktion durch. 33 % der Rinder, 36 % des Geflügels und 55 % des Schweinebestandes Nordrhein-Westfalens werden im Münsterland gehalten, obwohl dieses nur 17 % der nordrhein-westfälischen Fläche um- fasst. Auch auf Bundesebene ist die große Bedeu- tung der Tierhaltung im Münsterland zu erkennen: Trotz eines Flächenanteils von lediglich 1,6 % an Bio-Energiepark Saerbeck – Solaranlage auf Bunkern der Bundesfläche, werden im Münsterland 14 % aller Schweine in Deutschland gehalten. Schulmelkstand mit zwei Melksystemen, als auch ei- nen Melkroboter auf. Außerdem gibt es verschiedene Haus Düsse Prüfungen, wie die Eigenleistungsprüfung für Bullen Das Versuchs- und Bildungszentrum Haus Düsse (LPA), Herkunftsprüfungen und Futterwertleistungs- verdankt seinen Namen Adrian van der Düssen, der prüfungen für Broiler, Qualitäts- und Leistungsprüfung das Rittergut 1641 zu einem Wasserschloss umbau- für Ferkel oder im Ackerbau Werteprüfungen, Sorten- te. Im Jahr 1950 wurde es von der Landwirtschafts- und Pflanzenschutzversuche. kammer übernommen und dient seitdem mit 278 ha Betriebsfläche als zentrale Lehr- und Versuchsan- Kreis Steinfurt stalt für Tier- und Pflanzenproduktion. Hier werden praxisnahe, wirtschaftliche, umweltverträgliche und Mitten im Kreis Steinfurt liegt die NRW-Klimakommune tiergerechte Produktionsverfahren erarbeitet und der Zukunft: Saerbeck. Eines von vielen Projekten diese Erkenntnisse dann in Aus- und Fortbildungen des Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzeptes ist weiter vermittelt. ein Bioenergiepark. Seit 2011 wurde ein 90 ha großes ehemaliges Munitionsdepot Stück für Stück in einen Auf dem Betrieb werden im Bereich der Tierhaltung Energiepark mit sieben Windkraftanlagen, Biomasse- (Zuchtsauen, Ferkelaufzucht, Mastschweine, Milch- kraftwerken und der größten auf Bunkern errichteten kühe, Kälber, Mastbullen, Legehennen, Masthähn- Solaranlage Europas umgewandelt. Ende letzten Jah- chen, Puten, Mutterschafe – oft mit mehreren Ras- res wurde der Energiepark fertig gestellt und inzwi- sen) verschiedene Stallsysteme, Fütterungs- und schen hat die Gemeinde Saerbeck ihr Ziel, sich selbst Klimatechniken erprobt. So werden die Bullen in ei- mit Strom zu versorgen, nicht nur erreicht, sondern nem Offenstall mit alternativem Tretmistsystem ge- sogar übertroffen: Die Gemeinde erzeugt nun doppelt halten und der Milchviehstall weist sowohl einen so viel Strom wie sie mit ihren Einwohnern und Betrie- ben verbraucht. Bemerkenswert ist auch, dass das Projekt durch örtliche Investoren finanziert wurde. Foto: L. Bütfering So gehört der Park allen Saerbeckerinnen und Saer- beckern, die hier ihren eigenen regenerativen Strom erzeugen. Aber auch anderswo im Kreis Stein- furt können sich Personen an einem sowohl ökologisch als auch ökono- misch nachhaltigen Projekt betei- ligen: Sie können ihre Hecken pflegen lassen. Im Rahmen des Euregioprojekts Energiequelle Wallhecke wird das Heckenma- terial, das bei der Pflege entsteht, als Hackschnitzel weiterver- Freilauf Abferkelbucht wendet. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
ASG-Frühjahrstagung 14 2014 in Münster ASG Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung hat Zukunft! Aber welche? Mittwoch, 21. Mai 2014 9.00 – 10.30 Uhr Führungen a) Münsters Altstadt und ihre Merkwürdigkeiten b) „Zwischen Traum und Tradition“ – Führung rund ums Schloss 11.00 – 17.30 Uhr Vortragstagung und Diskussionen In den Vorträgen werden folgende Themen angesprochen: Tierhaltung, Tierschutz und Tiergesundheit im Koalitionsvertrag – Umsetzung durch die Bundesregierung Aktivitäten der Bundesländer zur Verbesserung der Haltungsbedingungen, der Gesundheit und Robustheit landwirtschaftlicher Nutztiere Die Nutztierstrategie der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) Das zweistufige Label „Für mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes Die branchenweite Initiative für mehr Tierwohl in der Schweine- und Geflügelproduktion Vorstellungen der nordrhein-westfälischen Ökoverbände zu höchstem Tierwohl und ihre Erwartungen an die geplante Novelle der EU-Bioverordnung 19.00 Uhr Empfang der Landesregierung am Aasee Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucher- schutz des Landes Nordrhein-Westfalen Hilal Sezgin, Autorin des Buches „Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen“ Donnerstag, 22. Mai 2014 8.00 Uhr Fachexkursionen Fachexkursion A: Zukunft der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Düsse: Tierwohl und Tierschutz in der Schweinemast, Tierverhalten, Möglichkeiten zur Steigerung des Tierwohls, Kosten, Haltungssysteme Schweine erfolgreich tiergerecht halten – Besuch eines Bio-Ferkelerzeugungs- und Schweinemastbetriebes „Artgerecht“ erfolgreich vermarkten – Vorstellung einer regionalen Bio-Erzeugergenossen- schaft mit Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung Besichtigung eines konventionellen Tierhaltungsbetriebes Fachexkursion B: Regionale Entwicklung und Energiewende im Kreis Steinfurt Die Energiewende als Herausforderung und Chance für ländliche Räume – Besuch einer NRW-Klimakommune mit „Gläserner Heizzentrale“ und eigenem Bioenergiepark Regionale Vernetzung durch Konfektionierung und Vertrieb einer Präsentkiste mit regionalen Produkten Besichtigung eines NEULAND-Betriebes mit Legehennen und Mastschweinen und einer qualitätsorientierten, tiergerechten und umweltschonenden Tierhaltung Energetische Nutzung von Wallhecken mit Hilfe des onlinebasierten Wallhecken- Informations-Systems „WallIS“ Das vollständige Tagungsprogramm Gefördert vom: und Online-Anmeldung im Internet unter www.asg-goe.de | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
Agrarpolitik 15 Neues von der agrarpolitischen Bühne: Fachpresse statt heute show Von alten Zirkuspferden, neuen Arbeitstieren, interessantem Politiker-Casting, hohen Erwartungen und der Kunst, in der Berliner Agrarpolitik aus der Not eine Tugend zu machen Sie soll gut gefüllt gewesen nicht mehr gekannte mediale Auf- schlossen und mit einiger Wahr- sein, die CSU-Lostrommel mit merksamkeit vor. Zumindest ließ scheinlichkeit auch dazu in der dem Hauptgewinn „Bundesland- Gauweilers diesjähriger Auftritt Lage ist, die 59 Tage dauernde wirtschaftsminister“ und mit Horst beim Politischen Aschermittwoch Amtszeit seines Vorgängers zu Seehofer als Glücksfee und der in Passau mit fundierter Kritik an toppen. Immerhin acht Jahre war Lizenz zum offenen Ziehen mit der Europäischen Kommission er Parlamentarischer Staatsse- Zurücklegen. Dass der eine – („Flaschenmannschaft“) ahnen, kretär in dem einer Schlangen- Gerd Müller – nicht wollte, dürfte dass die Agrarpolitik unter seiner grube nicht unähnlichen Bundes- insbesondere in Teilen der minis- Führung kein Nischendasein ge- verteidigungsministerium, und teriellen Beamtenschaft mit eini- führt, stattdessen aber einen ge- das unter Lichtgestalten wie ger Erleichterung aufgenommen sicherten Platz in der allwöchent- Karl-Theodor zu Guttenberg und worden sein. Dass eine andere lichen heute show gehabt hätte … Franz-Josef Jung. Das spricht ne- – Marlene Mortler – trotz Erfüllung ben einem gewissen Beharrungs- der Mehrfachquote – Frau, Fränkin, Vom „alten Zirkuspferd“ Gauwei- vermögen für die Fähigkeit zu vom Fach – nicht sollte, könnte in ler führte die Kandidatensuche rechtzeitiger kritischer Distanz. berufsständischen Verbänden für den Großen Vorsitzenden auf di- Zudem ist Schmidt offenbar in der gewisse Enttäuschung gesorgt rektem Weg zu dessen Gegen- Lage, politische Schlingen und haben. Die ohnehin bereits mit modell Christian Schmidt. Der sonstige Fallstricke als solche zu dem Amt der Drogenbeauftragten 56-jährige Jurist gilt in Berlin nicht erkennen und elegant zu umge- entschädigte Agrarierin führt ihre unbedingt als „Mann der Manege“ hen. Zumindest in diesem Punkt Nicht-Berücksichtigung auf „die in oder gar „Rampensau“, eher scheint er seinem Parteifreund der Politik herrschenden eigenen schon als Arbeitstier. Zur Bestäti- Friedrich doch einiges voraus- Gesetze“ zurück. Gemeint haben gung betonte der „nette Mann zuhaben. dürfte sie dabei in erster Linie die aus Franken“ bei seinem Amtsan- Eigenheiten ihres Parteivorsitzen- tritt in der Wilhelmstraße sogleich, Interessant dürfte werden, wel- den. Der war selbst schon einmal er sei „kein Talkshow-Fuzzi“. Im che von den Pflöcken, die Fried- „Minister für Kartoffeln und Bana- Übrigen sei er „fränkischer luthe- rich in nahezu atemberaubender nen“ in Berlin und weiß um die rischer Protestant und dennoch Geschwindigkeit und befördert Anforderungen des Amtes. begeisterungsfähig“ – alles in al- von der Bühne „Grüne Woche“ lem keine guten Voraussetzun- eingeschlagen hat, sein Nachfol- Daher verwundert nicht, dass gen für größere Präsenz jenseits ger stecken lässt und welche er Seehofer dem Vernehmen nach der Fachpresse. Dazu passend selbst gedenkt hinzuzufügen. außer der CSU-Landesgruppen- wurde der neue Chef in seinen Es war nicht ohne Chuzpe, dass vorsitzenden Gerda Hasselfeldt ersten Dienstwochen kaum au- Friedrich für sein Ressort die Be- dem unlängst schon zum stellver- ßerhalb der eigenen Bürowände zeichnung des „Wirtschaftsminis- tretenden Parteivorsitzenden wie und abseits von Aktenbergen ge- teriums für den ländlichen Raum“ Phönix aus der politischen Asche sichtet. Dabei soll es im aufgereg- kreierte. Wahrscheinlich wusste aufgestiegenen Peter Gauweiler ten Berliner Politikbetrieb schon sein damaliger Kabinettskollege das Ministeramt angeboten hat. Leute in herausgehobenerer Po- und Vizekanzler Gabriel bis dato Der nach Auffassung der gewöhn- sition gegeben haben, die nicht noch gar nicht, dass sein Ein- lich gut informierten Frankfurter der Meinung waren, dass sich ei- flussbereich an den Stadtmauern Allgemeinen Zeitung „amtlich be- ner oder eine erst ins sein Metier endet. Ohnehin hätte man eher stellte Quertreiber und Bayerns einarbeiten sollte, bevor er oder erwarten können, Friedrich ver- ranghöchster Störenfried“ lehnte sie seine Meinung zu diesem stehe sich angesichts eines An- aus guten Gründen die ministe- oder jenem kundtut. teils von 70 % seines Budgets für riellen Fesseln ab und enthielt die agrarsoziale Sicherung weni- möglicherweise damit dem Minis- Kein Zweifel besteht daran, ger als Wirtschaftsminister, son- teramt eine seit Künasts Zeiten dass Schmidt willens, fest ent- dern mehr als der Sozialminister | ASG | Ländlicher Raum | 01/2014 |
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