SMART CITY ANALYSEN ÜBERWACHUNG UND KONTROLLE IN DER "INTELLIGENTEN STADT" - ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Analysen Kultur und Medien Smart City Überwachung und Kontrolle in der «intelligenten Stadt» Jathan Sadowski und Frank Pasquale
Inhalt Einleitung 2 Was ist eine «Smart City»? 4 Die Ideologie der «Smart City» 8 «Smart Citys» in Kontrollgesellschaften 15 Die sanfte Gewalt biometrischer Überwachung 20 Die brutale Gewalt von Polizeitechniken 24 Cyborg-Urbanisierung und verschwommene Grenzen 29 Die Zurückeroberung der Kontrolle 32 Literatur 36
2 Einleitung Die Vorstellung von Städten als Orten, machen und entsprechende Unterlagen in denen wir uns zugleich daheim und beibringen, während die Bank dagegen fremd fühlen können, hat einen gewis- keiner vergleichbaren Pflicht unterliegt. sen Reiz. Man kennt die Straßen und Niemand verlangt von Finanzinstituten, Geschäfte, die Alleen und Gassen, kann Details ihrer internen Entscheidungspro- aber dennoch ganze Tage dort verbrin- zesse offenzulegen (Pasquale 2015). Eine gen, ohne erkannt zu werden. Städte ähnliche Dynamik entfaltet sich auch im werden jedoch zunehmend von den Eli- Internet der Dinge: Mächtige Akteure zie- ten mit «intelligenten» oder «smarten» hen zentripetal eine immer größere Men- Technologien versehen und damit zu ge von Nutzerdaten an sich, verweigern Plattformen für das «Internet der Dinge» den NutzerInnen sowie den Aufsichts- gemacht: für in physische Objekte einge- behörden aber den Zugang zu diesen bettete Sensoren und Rechner, die sich Informationen, selbst in höchst proble- über das Internet miteinander verbinden, matischen Fällen der Datenverwendung kommunizieren und Informationen über- oder des -missbrauchs. Es ist heute nicht tragen. Es gibt kaum mehr Möglichkei- mehr sinnvoll, sich «das Internet» als et- ten, sich diesem umfassenden Netz der was vorzustellen, worauf man über ei- Überwachung und der damit einherge- nen Computer zugreift, denn wir befin- henden Machtverhältnisse zu entziehen den uns längst in einer Situation, in der (vgl. Hollands 2008; Townsend 2014; die Stadt selbst als Plattform und Knoten- Neirotti u. a. 2014). In nicht allzu ferner punkt vernetzter Informations- und Kom- Zukunft werden Geschäfte oder Gale- munikationstechnologien gedacht und in rien mehr über ihre KundInnen und Be- diese Richtung umgestaltet wird. sucherInnen wissen als diese über die In der Zeitschrift Wired wurde in einem Läden, in die sie gehen (Arnsdorf 2010). Leitartikel über das Internet der Dinge fol- Software zur Gesichtserkennung und gende Frage gestellt: «Haben Sie jemals Smartphone-Signale geben Hinweise in Ihrer Wohnung einen Gegenstand ver- auf unsere Identität, unsere Konsumge- loren und sich gewünscht, Sie könnten wohnheiten und Reputation: Sind wir La- einfach einen Suchbegriff eingeben, um dendiebe oder sitzt bei uns das Geld eher ihn wiederzufinden, wie Sie es auch bei locker, sind wir «Dauerschuldner» oder einem auf Ihrer Festplatte verschwun- «Goldbarone»? Um nur zwei Bezeich- denen Dokument tun würden?» (Wasik nungen zu nennen, die unter Marketing- 2013) Das ist, so wird uns weisgemacht, expertInnen durchaus verbreitet sind bereits möglich, dank einer Startup-Fir- (Castle Press 2010). ma namens StickNFind Technologies, «Big Data» ist die neue Währung der die günstige kleine «Sticker-Sensoren» Handelswelt, doch es verhält sich damit vertreibt. Was, wenn Ihr Kind im Ein- wie mit dem Geld: Manche haben hier- kaufszentrum verloren geht? Smart-Fa- zu einen viel besseren Zugang als ande- shion-RFID-Etiketten sorgen dafür, dass re. Wer als Privatperson bei einer Bank es von einem Netzwerk erfasst ist und einen Kredit beantragt, muss in der Re- seine Spuren jederzeit zu verfolgen sind. gel umfangreiche persönliche Angaben Und warum sollte man mit Signaltechnik
ausgestattete Bekleidung nur für Kinder sen zur umfassenden Überwachung und 3 verwenden? Bald werden Ihr Auto, Ihr Kontrolle städtischer Räume vonseiten Haus, Ihre Haushaltsgeräte und jeder an- der Technokraten in verzerrter Form wie- dere Teil Ihres Umfelds dauerhaft mitei- dergegeben. Außerdem sind ihre Evalu- nander vernetzt sein und ständig mitein- ierungsinstrumente, mit denen sie gern ander kommunizieren. Bezogen auf die eine «Zustimmung» der BürgerInnen zur Stadt bedeutet dies, dass diese zu einem Überwachung nachweisen, derart mani- Kokon der Konnektivität wird, der uns pulierbar, dass damit selbst die fragwür- verschlingt, oder zu einem Netz, in dem digsten Kontrolltechnologien – etwa die wir gefangen sind, je mehr «intelligente» drohnengestützte Überwachung von Technologien in unseren Alltag integriert Menschenmengen bei Großdemonstra- werden. Diese Technologien werden uns tionen oder beim Autoverleih einsetzba- als Mittel angepriesen, mit denen wir et- re Technologien, mit denen ein Pkw bei was (auf-)finden können oder mit denen verspäteter Zahlung binnen Minuten still- wir mobiler werden. Es handelt sich um gelegt werden kann – als Ausdruck des Suchtechnologien (wenn wir uns ihrer demokratischen Willens und der Ratio- bedienen) und um «Reputationstechno- nalität des Marktes befürwortet werden logien» (wenn sie verwendet werden, um können. uns zu bewerten) (Pasquale 2015). Mit ih- Da es sich die Technokraten in der Re- nen wird kartografiert, kategorisiert und gel bequem machen und sich einfach klassifiziert – und was könnte harmloser blind stellen gegenüber den besorgnis- daherkommen als reine Informationen? erregendsten Aspekten der «Smart City», Die Kosten und Nutzen dieser Innova bedarf es eines ausgewogeneren theo- tion zu kalkulieren ist überaus mühsam retischen Ansatzes, um darauf zu reagie- und hat viel mit ideologischen Überzeu- ren. Dieser sollte unseres Erachtens die gungen zu tun. Wir wissen nicht, wel- Eigenschaften und Folgen der vorherr- che üblen und abstrusen Formen der schenden sozialpolitischen Logik offen- Anwendung sich noch ergeben werden. legen, die viele der zahlreichen mit der Daher könnten Analysen und Projek- «Smart City» im Zusammenhang stehen- tionen, die sich mit Zukunftsszenarien den Praktiken und Ideologien durchzieht befassen, eine wertvolle Alternative zu und miteinander verbindet. Wir beginnen Kosten-Nutzen-Studien sein (Verchick mit einem Überblick zu den Hintergrün- 2010), insofern sie anerkennen, dass es den und Protagonisten der «Smart City», ein Spannungsverhältnis gibt zwischen der sich auf eine Reihe aktueller analyti- dem Zuwachs an Möglichkeiten und An- scher Arbeiten zum Thema stützen kann. nehmlichkeiten, die uns das Internet der Es folgt eine kritische Einführung in die Dinge bietet, und dem damit einherge- Ideologie der «Smart City», wobei wir uns henden Verlust an Privatsphäre. Unter- auf die Erklärungen und Bestrebungen nehmen oder Regierungen tendieren da- einiger ihrer bedeutendsten wirtschaft- zu, mögliche negative Auswirkungen des lichen, politischen und akademischen Internets der Dinge herunterzuspielen BefürworterInnen konzentrieren. Dem und Studien dazu als paranoide Projek- stellen wir unsere Deleuze’sche Alterna- tionen abzutun. Oftmals werden sozial- tive gegenüber, indem wir eine Gesell- wissenschaftliche oder politische Analy- schaftstheorie der «Smart City» skizzie-
4 ren, in der sie als eine Form der Kontrolle tisiert, die mit dieser weitreichenden In- (und nicht etwa als Emanzipation) ihrer tegration von Mensch, Maschine und BewohnerInnen interpretiert wird. Als Stadt in unserer «postdigitalen Ära» (Jur- Beispiele des sich hieraus ergebenden genson 2012) einhergehen. Der Aufsatz «Spektrums der Kontrolle» gehen wir nä- endet mit normativen Überlegungen, her auf die biometrische Überwachung wie mit diesen allgegenwärtigen Über- als Form des Monitorings und auf die au- wachungs- und Kontrollmechanismen, tomatisierte Polizeiarbeit als besonders die dabei sind, eine entscheidende Infra- brutale und zielgenaue Form der Ma- struktur für die «Smart City» zu konstitu- nipulation ein. Im vorletzten Abschnitt ieren, umgegangen werden soll. werden die Herausforderungen thema- Was ist eine «Smart City»? Die Bewegung für «Smart Citys» hat in den nächsten fünf bis zehn Jahren in ei- den letzten Jahren weltweit rasant an Be- ner Größenordnung von mehreren Billio- deutung gewonnen – das gilt für ihren nen US-Dollar bewegen, wobei der Markt Marktwert, das ihr zur Verfügung stehen- für das Internet der Dinge noch stärker de Kapital, die technischen Entwicklun- wachsen soll. Interessant ist in diesem gen und auch für ihren gesellschaftlichen Zusammenhang auch die Ankündigung Einfluss. In einem 2013 vom britischen von IBM, in den nächsten vier Jahren drei Ministerium für Wirtschaft, Innovation Milliarden US-Dollar in den Aufbau einer und Qualifikation veröffentlichten Bericht neuen Abteilung, die ausschließlich für wird der «weltweite Markt für mit Smart das Internet der Dinge zuständig sein soll, Citys zusammenhängende Problemlö- stecken zu wollen (Reuters 2015) – eine sungen und für die zu ihrer Umsetzung Investition, die sicherlich auch eine ande- erforderlichen zusätzlichen Dienstleistun- re, bereits jetzt lukrative und milliarden- gen für 2020 auf 408 Milliarden US-Dol- schwere Initiative von IBM, das «Smar- lar» geschätzt. Die exponenzielle Ausdeh- ter-Planet-Programm«, befördern wird. nung des Internets der Dinge hängt mit Die auf Stadtplanung und Governance- diesem Wachstum zusammen. Laut häu- Aspekte fokussierte Bewegung hat be- fig zitierten Zahlen von Cisco – einem Rie- reits viel unternommen, um die Werbe- sen in der Telekommunkationsbranche, trommel zu rühren für mehr «Intelligenz» die für den Bereich des Internets der Din- und um die Implementierung entspre- ge und den Ausbau von «Smart Citys» be- chender Maßnahmen voranzutreiben. sonders wichtig ist – waren im Jahr 2010 Das zeigen die Bestrebungen der wich- bereits «mehr als 12,5 Milliarden Geräte» tigsten corporate players, «Intelligenz» miteinander vernetzt, für 2015 wird die als Ideal zu verkaufen und kommunale Zahl auf 25 Milliarden Geräte geschätzt, Entscheidungsträger und Investoren für 2020 soll sie 50 Milliarden betragen.1 We- den Smartness-Hype zu begeistern. Die- niger konservativen Schätzungen zufolge wird sich der Markt für «Smart Citys» in 1 Vgl. http://share.cisco.com/internet-of-things.html.
se Unternehmen reagieren nicht einfach werden, sind Verbraucherprodukte – et- 5 auf die Nachfrage in einem bereits exis- wa der allgegenwärtige intelligente Kühl- tierenden Markt, sondern haben viel da- schrank, der dem Geschäft meldet, wann für getan, diesen Markt überhaupt erst zu die Milch ausgeht. Bruce Sterling (2014: schaffen und ihn auf bestimmte Weise zu 68) zufolge handelt es sich dabei jedoch gestalten. um ein «Märchen»: «Das tatsächliche In- Trotz massiven Wachstums der Bewe- ternet der Dinge will in den Kühlschrank gung und beeindruckender Investiti- eindringen, ihn vermessen, instrumenta- onssteigerungen bleibt weiterhin völ- lisieren, jegliche Interaktion mit ihm be- lig unklar, was unter einer «Smart City» obachten; es würde mit Freuden einen eigentlich zu verstehen ist. Es gibt kei- Kühlschrank zum Selbstkostenpreis ab- ne allgemein akzeptierte Definition, auf geben.» Wenn wir den Blick allein auf die man zurückgreifen könnte (Hollands Konsumgüter und Haushaltsgeräte rich- 2008). Diese Uneindeutigkeit arbeitet den ten, dann führt uns das auf eine falsche BefürworterInnen und VerkäuferInnen Fährte. Wir verbleiben an der Oberfläche der Smart-City-Idee in die Hände. Die Be- und fragen nicht, was eigentlich hinter zeichnung wird wie ein flottierender Sig- dieser absurden Farce von immer neu- nifikant gehandhabt, dessen Bezug sich en Innovationen und der fast schon hys- je nach Bedarf ändern lässt. So entsteht terischen Technikbegeisterung steckt. eine Dynamik und eine Situation, die für «Diese großen weltweiten Zusammen- eine Vielzahl von Produkten, Praktiken schlüsse [von Unternehmen] gibt es und Politiken anschlussfähig ist. Die Für- nicht deswegen, um den Menschen ei- sprecherInnen der «Smart City» verfügen nen intelligenten Kühlschrank zu verkau- so stets über die Möglichkeit, sich he- fen. Die meisten von ihnen würden es rauszureden oder sich zu distanzieren, tatsächlich gern sehen, dass die Men- sollte etwas schiefgehen oder eines ihrer schen in einer ‹Smart City› leben, deren vielen Versprechen gebrochen werden. ‹Intelligenz› sie selbst und zu ihren Bedin- Die verschiedenen im Umlauf befind- gungen liefern. An der Zustimmung der lichen Smart-City-Konzepte haben – Bewohner in ihrer Rolle als Bürger sind zumindest aus Sicht der Befürworte- sie kaum interessiert» (ebd.). Die «Smart rInnen – den Vorteil, dass sie alle die City» ist nicht einfach eine linear verklei- digitalen Informations- und Kommunika- nerte Version eines «intelligenten Hau- tionstechnologien mit positiven Verände- ses», in dem all unsere persönlichen und rungen und Innovationen in Verbindung alle Haushaltsgeräte vernetzt, automati- bringen. Im Wesentlichen zielen sie dar- siert und gute Kommunikatoren sind. Es auf ab, auf der städtischen Ebene ein In- geht um ganz grundsätzliche Dinge wie ternet der Dinge aufzubauen, und zwar infrastrukturelle und gesellschaftliche über die Installierung von vernetzten, Anwendungsbereiche – also um all das, verschiedenen Zwecken dienenden Ge- was die technopolitische Ordnung einer genständen im gesamten urbanen Raum Gesellschaft ausmacht und bestimmt –, (und selbst in menschlichen Körpern). und es geht um die Kontrollmacht und Die Beispiele, die typischerweise zur Ver- die Daten, die aus diesen Anwendungen anschaulichung einer vom Internet der hervorgehen. Selbstverständlich werden Dinge geprägten Welt herangezogen nicht alle «Smart Citys» auf die gleiche
6 Weise geschaffen. Es lässt sich grob zwi- Anwendung kommt. Dabei geht es um schen drei Typen unterscheiden. die schnelle und großräumige Umset- Die erste und größte Gruppe ist die der zung «intelligenter» Ideale, Technologi- «real existierenden Smart Citys», die en und Politiken und um ihre möglichst durch technische Umrüstungen und Er- umfassende Integration in die bestehen- neuerungen den Übergang von «dumm» de städtische Landschaft. Bislang ist die- zu «smart» vollziehen sollen. Die Zahl der ser Ansatz noch in keiner Stadt wirklich Groß- und Kleinstädte, die solche «Intel- in Gänze zur Anwendung gekommen, ligenz-Initiativen» aufgelegt haben, wird aber es lassen sich Beispiele nennen, in weltweit auf mehrere Zehntausend ge- denen der Übergang zur «Smart City» schätzt, manche gehen von Hunderttau- wesentlich schneller erfolgte und weit- senden aus. In diesen Fällen erfolgt der reichender war als beim typischen Fall Ausbau hin zur «Smart City» eher unko- der Nach- oder Umrüstung. Das bes- ordiniert «in einzelnen unabgestimmten te Beispiel ist vielleicht das sogenannte Schritten, was eine Integration in beste- Intelligent Operations Center, das IBM hende Governance-Strukturen und die 2010 für Rio de Janeiro eingerichtet hat. bauliche Umwelt erschwert» (Shelton Dort laufen «Datenströme aus 30 Behör- u. a. 2015: 16). In der Regel sind die zu- den, die unter anderem für den Straßen- grunde liegenden Motive politökono- verkehr, den öffentlichen Nahverkehr, mischer Natur. Man folgt zunehmend kommunale Versorgungsleistungen, dem Konzept der unternehmerischen Rettungsdienste und die Wettervorher- Stadt, demzufolge es die Aufgabe loka- sage zuständig sind, in einem einzigen ler Regierungen ist, ihre Stadt zu einem Analysezentrum zusammen. Hinzu kom- wettbewerbsfähigen (regionalen oder men Informationen, die städtische Ange- globalen) Zentrum von wirtschaftlichen stellte und die allgemeine Öffentlichkeit Aktivitäten und Wachstum zu machen über Telefon, Internet und Radio liefern.» (Harvey 1989). «Intelligent werden» er- (Kitchin 2014: 6) Mit diesem an die NASA scheint als ein bequemes Allheilmittel, erinnernden Kontrollzentrum ist die Stadt um Austerität zu überwinden, die Ver- Rio in ein «Optimierungs- und Sicher- waltung des städtischen Systems zu heitssystem» verwandelt worden. Es er- verbessern und um zu einem attraktiven möglicht eine präzisere Überwachung Investitionsstandort zu werden – alles und Regulierung bestimmter Stadtteile mittels «vernetzter Infrastrukturen, die und verstärkt damit bereits gängige Prak- die wirtschaftliche und politische Effizi- tiken militaristischer urbaner Kontrolle enz steigern sowie soziale, kulturelle und (Wacquant 2008). IBM und andere Tech- städtische Entwicklung ermöglichen sol- nologiefirmen haben anderswo ähnliche len» (Hollands 2008: 307). «Intelligenz- Zentren für einzelne städtische Ämter Initiativen», so das Versprechen, geben und Einrichtungen wie Polizeibehörden den Stadtverwaltungen die Mittel an die aufgebaut, aber keines von ihnen hat bis- Hand, um sich wirtschaftlich behaupten lang die Größenordnung des Intelligent zu können. Operations Center in Rio erreicht. Vieles Die zweite Gruppe von Städten ist die, spricht jedoch dafür, dass Rio eine Vor- bei denen die Methode der «Schockthe- reiterfunktion einnimmt und wir auch in rapie» oder des «Intelligenz-Schocks» zur anderen Städten mit der Einrichtung und
dem Einsatz von ähnlichen Systemen de (Scott 1998). Nach Adam Greenfield 7 rechnen können. (2013: 1274) «begehen die Konstrukteu- Drittens gibt es das «idealistische Mo- re von Songdo, Masdar und PlanIT Valley dell» der «Smart City». Dabei handelt [alles klassische Beispiele für Smart Ci- es sich um Projekte, die von Grund auf tys] mehr oder minder die gleichen Feh- neu gebaut werden, an Orten, an de- ler wie die Erbauer von Chandigarh und nen vorher nichts Städtisches existier- Brasília – überdimensionierte und groß- te. Ein Paradebeispiel hierfür ist New spurige Planungen, angeleitet von szien- Songdo in Südkorea, das als globales tistischem und autoritärem Denken, was Testfeld (Halpern u. a. 2013) oder urba- sich unter anderem im Bau von gewalti- nes Laboratorium (Gieryn 2006) gilt, um gen Hauptverkehrsachsen zeigt –, ohne im großen Maßstab die Umsetzung von dass man sagen könnte, ob dies aus Ig- «intelligenten Systemen in der Wildnis» noranz, Geschichtsvergessenheit, Acht- zu erproben. Die Kosten dieses Projekts losigkeit oder Selbstüberschätzung ge- belaufen sich auf etwa 40 Milliarden US- schieht.» Dollar; seine Unterstützer in Wirtschaft Wir halten es trotz der Vielfältigkeit der und Regierung hoffen, dass New Song- Methoden und Motive für möglich und do als die erste richtige «Smart City» in notwendig, die sozialpolitischen Logi- die Geschichte eingehen wird. Christine ken, die unseres Erachtens allen diesen Rosen (2012) schreibt dazu: «Songdos Smart-City-Initiativen zugrunde liegen, Anspruch, besonders intelligent zu sein, herauszuarbeiten und zu benennen. Zur- hat nichts mit der Intelligenz seiner Ein- zeit sieht es nicht danach aus, als wäre die wohner zu tun, sondern basiert auf den Entwicklung hin zu «Smart Citys» noch Millionen drahtloser Sensoren und Mi- aufzuhalten. Die auf unterschiedliche krorechner, die überall in der Stadt in Weise umgesetzten Ideale und Praxen Oberflächen und Gegenstände einge- der Smart-City-Bewegung dominieren baut sind.» Diese Art der Umsetzung des inzwischen die stadtentwicklungspoliti- Smart-City-Konzepts stellt wohl die Zu- schen Auseinandersetzungen und «ko- kunft dar, zumindest gibt sie uns einen lonisieren» das Denken der politisch Ver- Eindruck von den Möglichkeiten und den antwortlichen. Angesichts des knappen ehrgeizigen Plänen für die Stadtentwick- Raums, der uns hier zur Verfügung steht, lung der Zukunft. Allerdings verweist können wir zu den ideologischen Aspek- dieser Typus der «Smart City» auch auf ten nur einen Überblick geben. Dieser frappierende Ähnlichkeiten zwischen dient zur Erläuterung unserer kritischen der Ideologie der «Smart City» und der Gesellschaftstheorie, die für uns im Zent- Ideologie, die der modernistischen Ar- rum dieses Aufsatzes steht. Eine ausführ- chitektur des 20. Jahrhunderts zugrun- lichere genealogische Analyse der vor- de lag. Man denke nur an Brasília, die herrschenden Diskurse und Ideologien Hauptstadt Brasiliens, Verkörperung und (vor allem die der wichtigsten Akteure auf Monument modernistischer Ideale und Unternehmerseite wie IBM, Cisco und technokratischer Verwaltung, die in nur Siemens), die diese sozialtechnischen 41 Monaten (1956–1960) mitten im Re- Systeme und Politiken vorantreiben, fin- genwald des Amazonas auf einem zuvor den interessierte LeserInnen in Adam gerodeten Gelände hochgezogen wur- Greenfields gründlich recherchiertem
8 Buch «Against the Smart City» (2013). Wir hoffen vielmehr aufzeigen zu können, Wir möchten an dieser Stelle zudem be- dass scheinbar voneinander unabhängi- tonen, dass wir die Bezeichnung «Smart ge Technologien und Techniken einen ge- City» im Folgenden auch als Kürzel für alle meinsamen Ursprung in bestimmten ge- Technologien und Techniken verwenden, sellschaftspolitischen Logiken haben und die im Zusammenhang mit den Praktiken dass sie diese Logiken reproduzieren. Um und Ideologien des Labels «Smart City» dies deutlich zu machen, werden wir nä- stehen – unabhängig davon, wie und in her auf einige ausgewählte Initiativen ein- welchem Umfang diese tatsächlich zum gehen. Der folgende Abschnitt jedoch, Einsatz kommen. Es geht uns nicht dar- der auf Greenfields Studie basiert und de- um, die Unterschiede bei den Bedeutun- ren Ergebnisse in gewisser Weise vertieft gen, die das Konzept der «Smart City» und aktualisiert, stellt zunächst einmal die für verschiedene Städte, politische Ent- Ideologie vor, die hinter den Smart-City- scheidungsträger und Unternehmen ein- Initiativen steht und von diesen verbreitet nimmt, einzuebnen oder zu ignorieren. wird. Die Ideologie der «Smart City» Dort, wo unmittelbar Einfluss auf die gigen Neujustierung von Governance- Politik genommen wird, dominieren Strategien und Anpassungen bei der bestimmte liberale und vom Melioris- Auftragsvergabe im Bereich der Infor- mus2 geprägte Vorstellungen vom Fort- mationstechnologien (IT). Erstens müsse schritt, der durch die Informations- und «die Welt neu über IT-Investitionen nach- Kommunikationstechnologien angeb- denken, Abstand nehmen vom Einkauf lich ermöglicht wird. So preisen zwei isolierter Dienstleistungen und sich statt- Vorstandsmitglieder von Cisco in einem dessen auf End-to-End-Lösungen kon- vielfach zitierten Artikel der Zeitschrift zentrieren, um disparate und parzellierte Foreign Affairs die Vorteile des «Inter- Systeme zusammenzuführen». Zweitens nets of Everything» an und propagieren komme es auf «eine besonders intensive seine Anwendung auf nahezu sämtliche Abstimmung und Zusammenarbeit zwi- Bereiche städtischer Infrastruktur und schen dem öffentlichen und dem priva- Governance (Chambers/Elfrink 2014). Ihr ten Sektor» an, wobei die «Einhaltung Versprechen: eine «intelligente und effizi- von festgelegten Vertragsregeln und ente Verwaltung der wachsenden Städ- -fristen entscheidend» sei. Die beiden te», die dabei helfen kann, Probleme wie Autoren, die «Smart Citys» zur «Norm» «verstärktes Verkehrsaufkommen, Park- machen wollen, fordern in einem ihrer platzmangel, Umweltverschmutzung, im Aufsatz formulierten Grundsätze «die wachsenden Energieverbrauch und Kri- Welt» dazu auf, «sich Technologien auf minalität» in den Griff zu bekommen. neue Weise anzueignen». Dabei müssten Wer könnte etwas dagegen haben? Der einzige Preis, so versichern Chambers 2 Eine theoretische Strömung, die davon ausgeht, dass die so- zialen Verhältnisse durch fortgesetzte Steuerung besser wer- und Elfrink, bestehe in einer geringfü- den (Anm. d. Ü.).
der «Vertrag mit den Bürgern» sowie die ger einem wirtschaftsfreundlichen und 9 Dienstleistungen, die IT-Unternehmen unternehmerischen Konzept städtischer und Regierungen diesen zur Verfügung Entwicklung verschrieben haben» (Hol- stellen, neu überdacht werden (ebd.). lands 2015: 70). Wenn wir die Absichten, die sich hinter Selbstverständlich verfolgt Cisco hier dieser technokratisch daherkommen- kommerzielle Interessen: Der Entwurf, den Agenda der «Smart Citys» verber- die Herstellung und Installierung der für gen, begreifen wollen, ist es wichtig, die anvisierten Netzwerke erforderlichen darauf zu achten, wie hier eine subtile Hardware sind das Kerngeschäft von Cis- Verschiebung im politischen Vokabu- co. Dessen zukünftigen Gewinnmargen lar stattgefunden hat – an die Stelle ei- dürften nicht zuletzt davon abhängen, nes Gesellschaftsvertrags tritt tendenzi- inwieweit es dem Unternehmen gelingt, ell ein neuer Vertrag zwischen Staat und überzeugende Narrative der «Smart- Unternehmen (vgl. Sadowski/Selinger ness» zu entwickeln. Eine Vielzahl von 2014). Das erklärt auch, weshalb sechs LokalpolitikerInnen und gemeinnützigen der von Chamber und Elfrink formulier- Organisationen ist inzwischen ebenfalls ten Grundsätze «die politischen Ent- auf den fahrenden Zug aufgesprungen. scheidungsträger in den Kommunen» Auch hier dürften materielle Anreize eine dazu drängen, den von der IT-Branche Rolle spielen. Darauf verweisen politöko- neu entwickelten Produkten und Dienst- nomische Analysen zu Drehtüreffekten leistungen (noch) mehr Bedeutung bei- auf dem Arbeitsmarkt, womit gemeint zumessen. Den Autoren, beides gewief- ist, dass es inzwischen eine gewisse te Geschäftsleute, ist die Asymmetrie in Durchlässigkeit zwischen dem privaten, den Public-private-Partnerships im Zeit- dem öffentlichen und dem sogenann- alter des Neoliberalismus nicht entgan- ten Dritten Sektor gibt. Wenn Beamte ihr gen. Wenn Topmanager ein Vielfaches Gehalt jederzeit um ein Vielfaches erhö- des Gehalts eines hochrangigen Beam- hen können, indem sie sich gefügig und ten erhalten, dann darf man sich nicht kooperativ verhalten und bei einem ent- darüber wundern, wenn Letztere es dem sprechenden Angebot ihre Anstellung Privatsektor bereitwillig erlauben, den in einer Behörde gegen ein Firmenbüro öffentlichen Sektor nach dessen Vorbild eintauschen, dann verwundert es nicht, umzugestalten. Firmen können sich ei- dass nur wenige unangenehme Fragen nen ganzen Stab von Betriebswirten, stellen (Carpenter/Moss 2013). Galt frü- Entwicklerinnen, Designern, Anwältin- her eine Beratungstätigkeit für Privat- nen und PR-Spezialisten leisten, die al- unternehmen unvereinbar mit der Aus- le darauf geschult sind, eine bestimm- übung eines öffentlichen Amtes, so sind te städtische Entwicklung und Zukunft auch hier die Barrieren heute viel gerin- als technokratische pensée unique dar- ger. zustellen. Was fehlt, sind wirkliche «Al- Genauso wichtig wie materielle Anreize ternativentwürfe», die man dem von und Karriereüberlegungen dürfte jedoch Großkonzernen vertretenen Smart-Ci- sein, dass mit auf technologische As- ty-Modell entgegensetzen könnte, was pekte fokussierten Smart-City-Erzählun- unter anderem damit zusammenhängt, gen bestimmte urbane Entwicklungen «dass sich die meisten Städte schon län- und Veränderungen gerechtfertigt wer-
10 den können (Söderström u. a. 2014). Vorwurf, etwas sei «ideologisch», gehört Der Geograf Rob Kitchin betrachtet die zu einem der gängigsten Tricks moder- Forschung zu ‹Smart Citys› – egal ob ner Rhetorik, mit dem diejenigen, die ih- sie regierungsnahen Kreisen oder dem re Gegner der Ideologie bezichtigen, ihre Unternehmenslager zuzuordnen ist – eigenen anfechtbaren Werte und Annah- deswegen als kritisch, weil «ein Großteil men dethematisieren wollen. Wenn wir dessen, was über ›Smart Citys‹ geschrie- selbst im vorliegenden Aufsatz den Be- ben oder gesagt wird, als unideologisch griff der Ideologie verwenden, dann nicht und pragmatisch daherkommt, als Aus- a priori im Sinne einer Anschuldigung, druck des gesunden Menschenver- sondern in seiner beschreibenden Funk- stands» (Kitchin/Dodge 2011: 131). Es tion. Manchmal steckt dahinter auch ei- ist aber vielmehr Auswuchs einer neoli- ne ironische Absicht, weil so viele Tech- beralen technologiebesessenen Ideolo- niker und Neoliberale derart viel Energie gie sowie einer allgemeineren politöko- darauf verwenden, ihr Handeln als Er- nomischen Haltung, der es vor allem um gebnis wertfreier Entscheidungen so- Gewinnmaximierung und höhere Steuer- wie fortschrittsorientierter und außer- einnahmen geht. BefürworterInnen von menschlicher Überlegungen und Kräfte Smart-City-Konzepten tun so, als wollten (etwa der Technik oder des Marktes) zu sie nur ganz nüchtern Probleme lösen, verkaufen. als seien sie über eine bestimmte Null- Es lohnt sich, an dieser Stelle kurz auf summenpolitik erhaben, die sooft zu ei- die Überlegungen des Philosophen und nem Reformstau führt. Sie neigen dabei Rechtstheoretikers Lawrence Solum ein- allerdings schnell zu einer Einstellung, zugehen, der ein Gedankenexperiment die Clifford Geertz (1973: 194) in einem zu «Smart Citys» vorgeschlagen hat. Dies berühmt gewordenen Satz zugespitzt zu- hilft uns dabei, besser den politischen sammengefasst hat: »Ich vertrete eine Charakter der Smart-City-Rhetorik zu Gesellschaftsphilosophie, Sie vertreten verstehen. Solum schreibt über Singa- politische Ansichten, er vertritt eine Ideo- pur: Diese Stadt verfügt über «intelligen- logie.» Mit dem «Ich» könnte ein Unter- te Kreuzungen, deren Ampelschaltungen nehmer gemeint sein, der mit Smart-City- je nach Verkehrslage variieren» (Baum Technologien sein Geld verdient, mit dem 2001), und es sind noch viel ausgefeilte- «Sie» eine städtische Entscheidungsträ- re Methoden zur Kontrolle des Autover- gerin, und das «Er» könnte auf die ver- kehrs denkbar. Solum (2014: 75) erwägt schiedenen Interessengruppen bezogen die Entwicklung einer «Artificially Intelli- sein, die grundlegende Bedenken gegen gent Traffic Authority», die sich an «Ver- die ausufernde Überwachung und Zu- änderungen des Fahrverhaltens und des sammenführung von Daten äußern. Eine Verkehrsflusses anpassen würde». Das Zitat aus einer Rede von Samuel Palmi- System wäre in der Lage, «jederzeit Än- sano (2010), ehemaliger Vorstandsvor- derungen vorzunehmen und kontrollierte sitzender, Präsident und Geschäftsführer Experimente durchzuführen, um auszu- von IBM, illustriert diese Haltung: «Der werten, wie sich verschiedene Kombi- Plan, eine intelligentere Erde zu schaf- nationen auf die Verkehrsentwicklung fen, ist deswegen realistisch, weil er so auswirken» (ebd.) – was an Jim Manzis erfrischend unideologisch ist.» Doch der (2012) Empfehlung an Verwaltung und
Politik erinnert, diese müssten grund- in, mehrere Spannungen oder gar offene 11 sätzlich experimentierfreudiger werden. Widersprüche, die ihr Idealtypus der un- Das von Solum (2014: 75) vorgestellte ternehmerischen Governance aufweist, System hätte jedoch keine Toleranz ge- aufzulösen oder zumindest abzuschwä- genüber Experimenten Einzelner, ins- chen. Wer wird letztlich verantwortlich besondere dann, wenn diese auf die sein für die geforderten «hyperkollabo- Übertretung seiner Regeln hinausliefen. rativen Partnerschaften zwischen dem Vielmehr würden, so seine Vorstellung, öffentlichen und dem Privatsektor»? Mit «Verstöße durch ein ausgefeiltes System welchen Sanktionen soll beispielswei- elektronischer Überwachung ermittelt», se die Nichteinhaltung von festgelegten die «Zuwiderhandelnden identifiziert und Fristen bestraft werden? Wer verhängt durch an wichtigen Kreuzungen statio- diese Sanktionen? Und welche Probleme nierten Kränen augenblicklich aus dem sollen eigentlich mit den sogenannten Verkehr gezogen». End-to-End-Lösungen behoben werden, Solum bedient sich dieses Beispiels, um und wie würde die Umsetzung solcher die übliche juristische Unterscheidung «Lösungen» aussehen? zwischen menschlicher und künstlicher Sollten etwa, um einige weitere nahelie- Intelligenz aufzuheben. Es geht ihm we- gende Fragen und Beispiele zu nennen, niger darum, tatsächlich das Verkehrs- neue Formen der Überwachung vor al- system zu verbessern. Sein Szenario eig- lem bei der Verfolgung von Drogende- net sich auch, um auf die rechtlichen und likten Verwendung finden? Oder wol- politischen Probleme automatisierter len wir sie nutzen, um Hinweisen auf Strafverfolgung aufmerksam zu machen, Wirtschaftsverbrechen nachzugehen die selbst in einem scheinbar rein techni- oder um illegales Arbeitgeberverhal- schen Bereich wie der Verkehrsführung ten zu sanktionieren? Lohndiebstahl et- unweigerlich auftreten. Würden die von wa ist ein massives Problem, wird aber Solum angedachten Kräne mit der glei- von den Behörden selten ernst genom- chen chirurgischen Genauigkeit auch men (Bobo 2011). Sollen in Restaurants Demonstranten aus dem öffentlichen installierte Kameras und Sensoren vor Raum entfernen, wenn diese, wie etwa allem dazu dienen, die Beschäftigten in Ferguson geschehen, Straßen blockie- zu kontrollieren und sie davon abzuhal- ren (Harcourt 2012)? Würden Personen ten, Lebensmittel zu entwenden? Oder mit abgelaufenem Führerschein oder Au- ist es wichtiger, Lebensmittelvergiftun- tokennzeichen ebenfalls herausgegriffen gen zu verhindern oder Verstöße gegen werden? Dass dieses Szenario schon zur Sicherheitsauflagen zu ahnden? Ge- Hälfte Realität ist, zeigen Erfahrungen hört zu den Zielen der «Verkehrskontrol- aus den USA: Dort sorgen auf besonders le» auch, die gesundheitsgefährdende einkommensschwache Kunden speziali- nächtliche Lärmbelästigung durch Mo- sierte Kreditunternehmen dafür, dass de- torräder in vielen Stadtvierteln zu redu- ren Pkw per Fernbedienung lahmgelegt zieren? Oder betrachtet man dies als Lap- wird, wenn Zahlungen ausbleiben (Sa- palie, für die es keine computerbasierte dowski/Pasquale 2014). Überwachung braucht? Jedes Jahr wer- Die Herausforderung für die Befürwor- den Millionen solcher Verkehrsvergehen terInnen von «Smart Citys» besteht dar- von der Polizei mit großer Kulanz behan-
12 delt, während sich in der Öffentlichkeit Auch wenn man solche ideologischen aufhaltende AfroamerikanerInnen unter Ansichten vor allem mit der Wall Street dem Vorwand, «Gehwege zu blockie- und Silicon Valley in Verbindung bringt, ren», regelmäßig von Sicherheitskräften sind sie selbst in unseren wichtigsten ge- schikaniert werden (Taibbi 2014). Hätte setzgebenden Körperschaften präsent. für automatisierte Autoüberwachungs- Im Februar 2015 fand im Senat des US- systeme Priorität, den Tod von Fußgän- Kongresses eine Anhörung unter dem gern zu verhindern, oder wäre das Ziel Titel «Die vernetzte Welt: Untersuchung eher die Gewährleistung eines gleichmä- des Internets der Dinge» statt, 3 wo eine ßigen Verkehrsflusses in Richtung Stadt Reihe von SenatorInnen und fünf Exper- und aus der Stadt heraus, um Autofah- tInnen zu Wort kamen. Fast alle zeigten rern Zeit zu ersparen? sich begeistert von dem Versprechen Basierend auf fragwürdigen Kosten-Nut- eines «intelligenteren Lebens», das wir zen-Rechnungen bietet die neoliberale angeblich dank des Internets der Din- Ideologie viel zu häufig und vorschnell ge demnächst alle führen werden. Zwar «naheliegende» und kaum hinterfragte wurde gelegentlich auf grundlegen- Antworten an. Zu den wichtigsten Ziel- de Probleme wie Gefährdungen der Si- setzungen des Neoliberalismus zäh- cherheit und der Privatsphäre verwie- len die Verbesserung des wirtschaftli- sen, doch galten die meisten Sorgen der chen Umfelds sowie die Übertragung «Überregulierung». In seiner Erklärung von Marktlogiken auf alle Bereiche des brachte der demokratische Senator Co- menschlichen Lebens. Doch selbst wenn ry Booker aus New Jersey recht anschau- man diese neoliberalen Vorgaben akzep- lich die politökonomische Ideologie, die tiert, sind die Probleme kaum zu über- in dieser Anhörung allgegenwärtig war, sehen, die sich etwa ergeben, wenn zum Ausdruck. Bookers Position, die er von staatlichen Akteuren erwartet wird, mit besonders viel Enthusiasmus und be- wirtschaftliche Ziele zu verfolgen (und sonders klaren Worten vorbrachte, ist in umgekehrt). Der Staat selbst sieht sich gewisser Weise repräsentativ, sodass wir gezwungen, die «Emanzipation» sei- ihn hier ausführlich zitieren: ner Untertanen von seinen Strukturen «Wir haben heute die ungewöhnliche voranzutreiben und diesen Vorgang zu- Chance, parteiübergreifend und aus zu- gleich koordinieren zu müssen. Philip Mi- tiefst patriotischen Motiven heraus ein rowksi (2013: 58) beschreibt dies als eine Programm zu entwickeln für etwas, das Tendenz des Neoliberalismus, alles auf zu einem explosiven Wachstum unserer einmal haben zu wollen: «Es wird laut- Wirtschaft beitragen kann. Es geht um hals vor den Gefahren einer Ausweitung Billionen von Dollar, um die Schaffung staatlicher Zuständigkeiten gewarnt, zu- zahlloser Arbeitsplätze, um die Ver- gleich aber stellt man den starken Staat, besserung der Lebensqualität und um der ihnen zusagt, als zahnlos dar.» Sol- die Demokratisierung unserer Gesell- che Spannungen sind ein formales Merk- schaft. Damit entstehen neue Möglich- mal ideologischen Denkens: Dabei wird 3 Vgl. www.commerce.senate.gov/public/index.cfm?p= versucht, in Theorie oder Praxis wider- Hearings&ContentRecord_id=d3e33bde-30fd-4899-b30d- sprüchliche Verpflichtungen abzuschwä- 906b47e117ca&ContentType_id=14f995b9-dfa5-407a- 9d35-56cc7152a7ed&Group_id=b06c39af-e033-4cba-9221- chen und anzupassen (vgl. Geertz 1973). de668ca1978a.
keiten für marginalisierte, an den Rand ama, also sein Parteichef, vorsichtig an- 13 gedrängte Menschen und können Ras- gedeutet hatte, es sei an der Zeit, über die sen- und Klassenschranken eingeris- Schließung von Steuerschlupflöchern sen werden. Auch wenn uns vielleicht für Private-Equity-Fonds nachzudenken. die Vorstellungskraft fehlt, um uns die- Für die Kapitalmärkte ist die Überbewer- se Zukunft mit all ihren Verheißungen tung der «Smart City» von entscheiden- auszumalen, sollten wir diese Zukunft der Bedeutung, da die extrem ungleiche mit offenen Armen begrüßen. […] Des- Vermögensverteilung Rentiers erlaubt, wegen teile ich das Anliegen, das mei- von den geringfügigen Zinsen auf nahe- ne Kollegen von der Republikanischen zu risikofreie Staatsschulden gut zu le- Partei bereits angesprochen haben. Wir ben. Nimmt man Expertenwarnungen sollten alles tun, um diese Entwicklung vor den jetzt bereits im Internet der Din- zu fördern, und alles unterlassen, was ge grassierenden Sicherheitsproblemen sie einschränken könnte. […] Alles, was ernst, dann wird das «smarte Kapital» die einen solchen Sprung nach vorn für die «Smart City» demnächst wohl noch stär- Menschheit behindern könnte, ist ab- ker als eine lukrative spekulative Anlage- zulehnen. […] Und ich meine, dass hier möglichkeit betrachten. (Bruce Schnei- eine Public-private-Partnership ange- er [2014] hat darauf hingewiesen, dass bracht ist. Wir alle haben hier eine Auf- mit der Einbettung von Rechenleistun- gabe zu übernehmen.» gen in Hardware, was auf einen Groß- Die Auffassung, die Booker vorgetragen teil des Internets der Dinge zutrifft, Sen- hat, mag radikal klingen, ist sie aber nicht. soren und Router «besonders anfällig für Er vertritt hier vielmehr Mainstream-An- Manipulierungen werden, ohne dass es sichten. Das Mindeste, was man dem- ein gutes Mittel gibt, diese Sicherheitslü- nach von uns erwarten kann, ist, die Ent- cken zu schließen».) Je riskanter die In- faltung der Innovationskräfte nicht zu vestition, umso spektakulärer muss der behindern. Aber eigentlich will man uns potenzielle Gewinn sein: Daher werden dazu verpflichten, Innovationen wie das Smart-City-Technlogien immer häufiger Internet der Dinge und diejenigen, die die- als epochal, bahnbrechend oder weltver- ses erfunden haben und propagieren, je- ändernd beworben. de erdenkliche rechtliche, materielle und Die Rhetorik ist natürlich nicht immer ideologische Unterstützung zukommen so vollmundig. Es gibt auch gegenläufi- zu lassen. Wer kritische Fragen zur Zu- ge Tendenzen, bei der Beschreibung von kunft stellt oder gar die Absicht hat, tech- Technologien einen eher nüchternen, nische Entwicklungen zu entschleunigen analytischen und mechanisch-objekti- und zu regulieren, blockiert in dieser Sicht ven Ton anzuschlagen. Nichtssagende nicht nur Chancen enormen wirtschaft- Überparteilichkeit ist ein weiteres belieb- lichen Wachstums, sondern auch eine tes rhetorisches Mittel. Smart-City-Be- Kraft, die mehr Demokratie und soziale fürworter schreiben Manifeste, Handbü- Gerechtigkeit verspricht. cher und Aufrufe und führen hier immer Bookers Sprache erinnert an die Markt- wieder die gleichen offensichtlichen schreierei des Finanzkapitals – just an je- Probleme an, bei denen wir uns alle ei- ne Interessengruppe, die er 2012 nach nig sind, dass sie gelöst werden müssen Kräften verteidigte, nachdem Barack Ob- (Newsom 2013; Townsend 2014). Da-
14 mit wird unter anderem aber verschlei- wird, eine «Plattform» einzurichten, «mit- ert, was bei der automatisierten Über- tels derer sich Bürger über SMS- und wachung und Reglementierung eines Mailboxnachrichten, soziale Netzwerke jeden Augenblicks und eines jeden Ortes und verschiedene Apps mit der Stadt- auf dem Spiel steht. So mag uns eine vor verwaltung sowie miteinander verstän- Schlaglöchern warnende App zu mehr digen können» (ebd.: 4), steht nicht für Informationen über ein für Autos schädli- die Aufklärung darüber zur Verfügung, ches Übel verhelfen (wenn es auch nicht wie die Steuerhinterziehung der Wohl- die Beseitigung dieses Übels garantieren habenden erst jenen Personalmangel kann). Aber nicht jeder ist mit der Ein- herbeigeführt hat, zu dessen Behebung schätzung einverstanden, wir bräuchten «Smart Citys» durch die «Kräftebünde- «postprogressive» Stadtverwaltungen, lung» der verbliebenen städtischen An- die sich «auf Ergebnisse und nicht auf gestellten dann beitragen sollen (Win- Regeleinhaltung» konzentrieren (Gold ters 2011; Bady 2013). Die Schulen von smith/Crawford 2014: 6) – jedenfalls Newark in New Jersey bräuchten Mark dann nicht, wenn mit den angestrebten Zuckerbergs Spende über 100 Millionen «Ergebnissen» weitaus mehr gemeint ist US-Dollar nämlich gar nicht, wenn sich als nur eine zügige Müllentsorgung oder nicht so viele andere Milliardäre erfolg- Straßen ohne Schlaglöcher. Tatsächlich reich dafür eingesetzt hätten, die Steu- ist bereits die Entscheidung, Ressourcen ern für Reiche zu senken, und wenn sie für die Planierung von Fahrbahnen einzu- sich nicht dafür entschieden hätten, ihr setzen (und nicht etwa für die Belüftung Vermögen im Ausland zu parken und den von Zügen und Bussen oder für Grünflä- Regulierungsbehörden die Zähne zu zie- chen) eine grundsätzlich politische. So hen. Jedes Mal, wenn ein Unternehmer feiern Goldsmith und Crawford ein neues und mehrfacher Milliardär den Einsatz «intelligentes» Verfahren zur Erkennung innovativer neuer Methoden vorschlägt, von Fingerabdrücken als hilfreiches In- um den «Output» von Regierungsange- strument der Verbrechensbekämpfung stellten zu messen und zu maximieren, (ebd.: 112), ohne auch nur zu erwähnen, sollten kritische BürgerInnen aufmerken dass mit solchen Fingerabdruck-Daten- und fragen: Warum sind wir überhaupt banken neue Unterklassen von Perso- an diesem Punkt angelangt? Woher nen produziert werden, die de facto keine kommt der Druck, ständig «aus weniger Chance mehr auf eine Anstellung haben. mehr» zu machen? Konzentriert man sich Smart-City-BefürworterInnen könnten auf die technischen Herausforderungen einwenden, dass in jedem politischen des «Mehrmachens», dann verhindert System um die Mittelverteilung gestrit- man dadurch eine kritische Auseinander- ten wird und dass man von ihren Sen- setzung darüber, weshalb es überhaupt soren, Apps, offenen Datenbanken und «weniger» staatliche Ressourcen und Verlaufsberichten nicht erwarten dann, Angestellte gibt. dass sie solche Konflikte beseitigen. Aber Die hinter dem Ideal der «Smart City» es gibt noch weitere Sachzwänge: So stehenden Akteure aus Wirtschaft und benötigen etwa politische Auseinander- Politik haben mit zwei Strategien zur ei- setzungen, Reflexionen und Aktivitäten ner Verzerrung der Debatte beigetra- Zeit. Die Zeit, die etwa damit zugebracht gen: Erstens ist ihr einseitiger Fokus auf
Transparenz- und Effizienzsteigerungen unruhigende – Perspektive auf «Smart 15 zu nennen, der die revolutionären Verän- Citys». Selbst an dem Ende des vom In- derungen bei der Strafverfolgung (hin- ternet der Dinge geschaffenen «Spek- sichtlich Intensität und Reichweite) und trums der Kontrolle», an dem die Ein- die negativen Auswirkungen außer Acht griffe am geringfügigsten sind, steht lässt, die mit dem Ausbau von umfassen- weitaus mehr auf dem Spiel, als dass den Überwachungssystemen verbun- dies einige nebulöse Bedenken in Bezug den sind, auch deswegen weil man sie so auf die Wahrnehmung und Reputation leicht in ein Regime räumlichen Rechts von Menschen, die üblicherweise un- einbetten kann. Zweitens reduzieren sie ter dem Begriff der «Privatheit» zusam- die vielen politischen und ethischen Fra- mengefasst werden, vermuten lassen. gen, die die über das Internet der Din- Und am anderen Ende des Spektrums ge vorangetriebene Digitalisierung des geht es um wirklich viel. Das Internet der Raums aufwirft. Für sie sind, wenn über- Dinge ist nicht einfach eine Möglichkeit, haupt, nur nachträgliche Korrekturen Menschen zu beobachten und zu über- und Beschränkungen technischer Sys- wachen, sondern mit ihm können auch teme denkbar, und auch dann nur, um bestimmte Interaktionsmuster erzeugt die «Privatsphäre» in einem individualis- und reproduziert werden (Bogard 1996). tischen Sinne zu schützen, nämlich als Sobald genügend Daten über die Men- Recht auf eine Kontrolle über die Samm- schen gesammelt und diese dann in ei- lung von Informationen über sich selbst. ner Maschine, die ihr Verhalten simulie- Denkt man in Kategorien einer Herme- ren kann, gespeichert worden sind, wird neutik des Verdachts, dann ergibt sich es irgendwann möglich sein, Menschen eine umfassendere – und äußerst be- durch Roboter zu ersetzen. «Smart Citys» in Kontrollgesellschaften Was erfordert eine Gesellschaftstheorie verhältnissen Umverteilung/Extraktion, der «Smart City»? Anders als die Ideolo- Unterdrückung/Emanzipation sowie An- gie ihrer BefürworterInnen ist eine Ge- erkennung/Missachtung (Fraser 1995). sellschaftstheorie eine «systematische, Eine genauere Untersuchung dessen, von historischen Kenntnissen unterfüt- was es bedeutet, ein überwachtes Sub- terte und empirisch ausgerichtete Theo- jekt oder ein Datensubjekt zu sein, wür- rie, die das Wesen des ‹Sozialen› zu er- de zeigen, wie schutzlos jede und jeder klären versucht», wobei das Soziale «zu in der «Smart City» Extraktion, Unterdrü- verstehen ist als das ganze Spektrum ckung und Missachtung ausgesetzt ist. wiederkehrender Formen, Muster und Foucaults Begriff der Biomacht ist gut Merkmale von zwischenmenschlichen geeignet, um hier einige Aspekte zu klä- Interaktionen und Beziehungen» (Cot- ren. Eine Form der Biomacht ist, wie Fou- terell 2006: 15). Im städtischen Raum cault (1986: 134 f.) schreibt, «um den und Umfeld sind die Interaktionen ide- Körper als Maschine zentriert […]. Seine altypisch geprägt von den Spannungs- Dressur, die Steigerung seiner Fähigkei-
16 ten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das Computernetzwerke eine entscheidende parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit Rolle (Deleuze 1993). Nun verschwinden und seiner Gelehrigkeit, seine Integra durch die Herausbildung einer neuen Art tion in wirksame und ökonomische Kon- der Machtausübung die anderen nicht trollsysteme – geleistet haben all das die einfach aus der Welt. Die Frage ist daher, Machtprozeduren der Disziplinen: poli- welche davon heute die dominante Funk- tische Anatomie des menschlichen Kör- tionslogik ist. Bezogen auf Informations- pers.» Im Gegensatz zu den Wirkungs- und Kommunikationstechnologien und weisen der souveränen Macht, die das insbesondere auf die vernetzten Techno- Recht ausübte, «sterben zu machen oder logien der «Smart Citys» verdeutlicht der leben zu lassen» (ebd.: 134), ist die dis- von Deleuze vorgeschlagene Deutungs- ziplinierende Biomacht darauf aus, Kör- rahmen die Logiken, die all diesen Prak- per und Bevölkerungen zu verwalten und tiken und Ideologien zugrunde liegen. Im zu steuern. In der «Smart City» wird mit Folgenden wollen wir skizzieren, was die- Menschen genau auf diese Weise um- se Gesellschaftstheorie mit Blick auf die gegangen – wenn BürgerInnen etwa als «Smart City» leisten kann. analoge und digitale Informationsschnitt- Die Deleuze’sche «Kontrollgesellschaft» stellen oder gar als «Bürger-Sensoren» hat mindestens drei zentrale Kompo- betrachtet werden (Gabrys 2014: 32). nenten – Dividuen, Rhizome und Pass- Darüber hinaus wird die Stadt als solche wörter – die zusammen genommen eine aber auch neu erfunden und rekonstru- anhaltend wirkmächtige Logik hervor- iert, nämlich als Maschine, die verwaltet bringen. Wenn eine Person eine andere und gemanagt werden kann und muss. Person beobachtet, dann liefert deren Ein von Foucaults Begriff der Gouverne- elementarer Wahrnehmungsapparat mentalität inspirierter Theoretiker hat die- (Augen und Sehvermögen) zumindest se Art von Disziplinierung als smartmen eine oberflächliche ganzheitliche Bewer- tality bezeichnet (Vanolo 2014). tung dieser Person. Es ist beispielsweise Der Begriff Biomacht ist zweifellos hilf- schwer vorzustellbar, dass man bei der reich, erhellt aber nur einen Ausschnitt Betrachtung der Kleidung nicht auch zu- des Gesamtgeschehens. Wir stützen gleich das Geschlecht wahrnimmt oder uns bei unserem Versuch, die «Smart den Umstand, dass jemand hinkt, schnell City» zu ergründen, daher auf eine wei- geht, groß oder klein ist. Hinzu kommen teren theoretischen Ansatz, der expli- noch Hunderte anderer impliziter Infor- zit den Anspruch formuliert hat, über mationen, die das Auftreten einer Person die Focault’sche Disziplinargesellschaft vermitteln kann. Werden Menschen da- hinauszugehen, so wie Foucaults Mo- gegen von Sensoren überwacht, dann dell bereits das Konzept der «Gesell- werden aus Individuen «Dividuen»: Enti- schaften der Souveränität» hinter sich täten, die jederzeit in eine beliebige An- gelassen hatte. Die Rede ist von Gilles zahl von Teilaspekten aufgespalten wer- Deleuzes’ (1993) Theorie der «Kontrollge- den können, wobei einzelne gesondert sellschaft». War das Symbol der souverä- untersucht und überwacht werden. Was nen Macht Foucault zufolge das Schwert eine Person tut, wird weniger wichtig als und das der Disziplinarmacht die Fabrik, das, was eventuell nach der Auswertung dann spielen in der Kontrollgesellschaft der von ihr ausgesandten Datenströme
passiert. So können die Metadaten eines georäumliche Koordinaten. Das Cell-All- 17 Telefonanrufs viel weitreichendere Fol- Programm des US-amerikanischen Mi- gen haben als das eigentliche Gespräch, nisteriums für Innere Sicherheit ist in der obwohl dies doch gewöhnlich als Sinn Lage, «tödliche» Chemikalien zu iden- und Zweck eines Telefonanrufs erachtet tifizieren. Ein RFID-Lesegerät wieder- wird. um interessiert sich nur für den Chip in Durch digitale Technologien wird das In- meiner Geldbörse. Für die biometrische dividuum atomisiert und in Datenströme Türverriegelung zählen nur meine Finger- aufgelöst, die dann in Prozessoren einge- abdrücke oder meine Iris. Die Liste der speist werden. Je mehr die direkte Steu- Instrumente und Programme, mit de- erung von materiellen Gegenständen wie nen Menschen dividualisiert werden, ist Türen, Zäunen und Autos um sich greift, inzwischen recht lang. Es handelt sich desto mehr verliert der kommunikative hierbei um «synekdochische» Identitä- Dialog, das Kennzeichen menschlicher ten: Ein bestimmter Faktor (welcher, das Interaktion, an Bedeutung. Diese Bezie- hängt vom System ab) steht stellvertre- hungen sind im Kern nicht mehr kom- tend für das Ganze und wird zum Einzi- munikativ, sondern strategisch, um eine gen, was von Bedeutung ist.4 von Habermas (1987) eingeführte Unter- Die vielen technischen Systeme, die die- scheidung aufzugreifen. Es ist nicht län- sen Prozessen zugrunde liegen und häu- ger der «zwanglose Zwang des besseren fig unserem Blick entzogen sind, lassen Arguments», der Wirkung entfaltet, auch sich nach Deleuze als «Rhizom» bezeich- nicht gutes Zureden oder andere Über- nen: Wie die Wurzeln und Triebe von zeugungsmittel, sondern es ist allein die sich schnell ausbreitenden und äußerst Macht der Programme, die Manager und robusten Pflanzen scheinen sie überall Software-Entwickler meist zeitlich und präsent zu sein. Rhizome sind Assem räumlich fernab der konkreten Umset- blages von Begriffen, Beziehungen, Ma- zung einzelner Programmregeln entwor- terialien und Handlungen. Sie haben fen haben (Habermas 2014: 316). keine klaren Grenzen, sie sind fließend, Weitere Beispiele: Software zur Ge- immer aktiv, eine pulsierende Kraft, die sichtserkennung erfasst neben dem Ge- mit unterschiedlicher Intensität von ver- sicht implizit die ganze Person, die damit schiedenen Richtungen aus wirksam ist. verbunden ist, und speist die diesbezüg- Der vernetzte, «intelligente» technologi- lichen Informationen in ein Netzwerk sche Apparat der Stadt kann gleichzeitig ein, unabhängig davon, ob dies von der Chemikalien in der Atmosphäre regist- Person gewollt ist oder nicht. Es gibt Ha- rieren, sich im Raum bewegende Körper ckerInnen, die behaupten, sie könnten verfolgen, Gesichter von Menschen auf mittlerweile anhand von Fotos Finger- der Straße erkennen und diese überwa- abdrücke identifizieren (Santus 2014), chen, Polizeikräfte entsenden, um uner- was für die Strafverfolgung ein gewalti- wünschte Personen zu entfernen, den ger Fortschritt wäre. Über den Einsatz Straßenverkehr steuern und vieles mehr. von Gesundheitsarmbändern und die Selbst wenn man diesen sich heraus- Sammlung und Auswertung körperspe- zifischer Daten entstehen ganz neue Bil- 4 Synekdochisch bezieht sich auf eine rhetorische Figur, wobei ein Wort durch einen Begriff weiterer oder engerer Bedeutung der des Selbst. Ortungsgeräte ermitteln ersetzt wird (Anm. d. Ü.).
Sie können auch lesen