SMART CITY ANALYSEN ÜBERWACHUNG UND KONTROLLE IN DER "INTELLIGENTEN STADT" - ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG

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Analysen

Kultur und Medien

Smart City
Überwachung und Kontrolle
in der «intelligenten Stadt»

Jathan Sadowski und Frank Pasquale
Inhalt

Einleitung                                       2

Was ist eine «Smart City»?                       4

Die Ideologie der «Smart City»                    8

«Smart Citys» in Kontrollgesellschaften          15

Die sanfte Gewalt biometrischer Überwachung      20

Die brutale Gewalt von Polizeitechniken          24

Cyborg-Urbanisierung und verschwommene Grenzen   29

Die Zurückeroberung der Kontrolle                32

Literatur                                        36
2   Einleitung

    Die Vorstellung von Städten als Orten,        machen und entsprechende Unterlagen
    in denen wir uns zugleich daheim und          beibringen, während die Bank dagegen
    fremd fühlen können, hat einen gewis-         keiner vergleichbaren Pflicht unterliegt.
    sen Reiz. Man kennt die Straßen und           Niemand verlangt von Finanzinstituten,
    Geschäfte, die Alleen und Gassen, kann        Details ihrer internen Entscheidungspro-
    aber dennoch ganze Tage dort verbrin-         zesse offenzulegen (Pasquale 2015). Eine
    gen, ohne erkannt zu werden. Städte           ähnliche Dynamik entfaltet sich auch im
    werden jedoch zunehmend von den Eli-          Internet der Dinge: Mächtige Akteure zie-
    ten mit «intelligenten» oder «smarten»        hen zentripetal eine immer größere Men-
    Technologien versehen und damit zu            ge von Nutzerdaten an sich, verweigern
    Plattformen für das «Internet der Dinge»      den NutzerInnen sowie den Aufsichts-
    gemacht: für in physische Objekte einge-      behörden aber den Zugang zu diesen
    bettete Sensoren und Rechner, die sich        Informationen, selbst in höchst proble-
    über das Internet miteinander verbinden,      matischen Fällen der Datenverwendung
    kommunizieren und Informationen über-         oder des -missbrauchs. Es ist heute nicht
    tragen. Es gibt kaum mehr Möglichkei-         mehr sinnvoll, sich «das Internet» als et-
    ten, sich diesem umfassenden Netz der         was vorzustellen, worauf man über ei-
    Überwachung und der damit einherge-           nen Computer zugreift, denn wir befin-
    henden Machtverhältnisse zu entziehen         den uns längst in einer Situation, in der
    (vgl. Hollands 2008; Townsend 2014;           die Stadt selbst als Plattform und Knoten-
    Neirotti u. a. 2014). In nicht allzu ferner   punkt vernetzter Informations- und Kom-
    Zukunft werden Geschäfte oder Gale-           munikationstechnologien gedacht und in
    rien mehr über ihre KundInnen und Be-         diese Richtung umgestaltet wird.
    sucherInnen wissen als diese über die         In der Zeitschrift Wired wurde in einem
    Läden, in die sie gehen (Arnsdorf 2010).      Leitartikel über das Internet der Dinge fol-
    Software zur Gesichtserkennung und            gende Frage gestellt: «Haben Sie jemals
    Smartphone-Signale geben Hinweise             in Ihrer Wohnung einen Gegenstand ver-
    auf unsere Identität, unsere Konsumge-        loren und sich gewünscht, Sie könnten
    wohnheiten und Reputation: Sind wir La-       einfach einen Suchbegriff eingeben, um
    dendiebe oder sitzt bei uns das Geld eher     ihn wiederzufinden, wie Sie es auch bei
    locker, sind wir «Dauerschuldner» oder        einem auf Ihrer Festplatte verschwun-
    «Goldbarone»? Um nur zwei Bezeich-            denen Dokument tun würden?» (Wasik
    nungen zu nennen, die unter Marketing-        2013) Das ist, so wird uns weisgemacht,
    expertInnen durchaus verbreitet sind          bereits möglich, dank einer Startup-Fir-
    (Castle Press 2010).                          ma namens StickNFind Technologies,
    «Big Data» ist die neue Währung der           die günstige kleine «Sticker-Sensoren»
    Handelswelt, doch es verhält sich damit       vertreibt. Was, wenn Ihr Kind im Ein-
    wie mit dem Geld: Manche haben hier-          kaufszentrum verloren geht? Smart-Fa-
    zu einen viel besseren Zugang als ande-       shion-RFID-Etiketten sorgen dafür, dass
    re. Wer als Privatperson bei einer Bank       es von einem Netzwerk erfasst ist und
    einen Kredit beantragt, muss in der Re-       seine Spuren jederzeit zu verfolgen sind.
    gel umfangreiche persönliche Angaben          Und warum sollte man mit Signaltechnik
ausgestattete Bekleidung nur für Kinder     sen zur umfassenden Überwachung und          3
verwenden? Bald werden Ihr Auto, Ihr        Kontrolle städtischer Räume vonseiten
Haus, Ihre Haushaltsgeräte und jeder an-    der Technokraten in verzerrter Form wie-
dere Teil Ihres Umfelds dauerhaft mitei-    dergegeben. Außerdem sind ihre Evalu-
nander vernetzt sein und ständig mitein-    ierungsinstrumente, mit denen sie gern
ander kommunizieren. Bezogen auf die        eine «Zustimmung» der BürgerInnen zur
Stadt bedeutet dies, dass diese zu einem    Überwachung nachweisen, derart mani-
Kokon der Konnektivität wird, der uns       pulierbar, dass damit selbst die fragwür-
verschlingt, oder zu einem Netz, in dem     digsten Kontrolltechnologien – etwa die
wir gefangen sind, je mehr «intelligente»   drohnengestützte Überwachung von
Technologien in unseren Alltag integriert   Menschenmengen bei Großdemonstra-
werden. Diese Technologien werden uns       tionen oder beim Autoverleih einsetzba-
als Mittel angepriesen, mit denen wir et-   re Technologien, mit denen ein Pkw bei
was (auf-)finden können oder mit denen      verspäteter Zahlung binnen Minuten still-
wir mobiler werden. Es handelt sich um      gelegt werden kann – als Ausdruck des
Suchtechnologien (wenn wir uns ihrer        demokratischen Willens und der Ratio-
bedienen) und um «Reputationstechno-        nalität des Marktes befürwortet werden
logien» (wenn sie verwendet werden, um      können.
uns zu bewerten) (Pasquale 2015). Mit ih-   Da es sich die Technokraten in der Re-
nen wird kartografiert, kategorisiert und   gel bequem machen und sich einfach
klassifiziert – und was könnte harmloser    blind stellen gegenüber den besorgnis-
daherkommen als reine Informationen?        erregendsten Aspekten der «Smart City»,
Die Kosten und Nutzen dieser Innova­        bedarf es eines ausgewogeneren theo-
tion zu kalkulieren ist überaus mühsam      retischen Ansatzes, um darauf zu reagie-
und hat viel mit ideologischen Überzeu-     ren. Dieser sollte unseres Erachtens die
gungen zu tun. Wir wissen nicht, wel-       Eigenschaften und Folgen der vorherr-
che üblen und abstrusen Formen der          schenden sozialpolitischen Logik offen-
Anwendung sich noch ergeben werden.         legen, die viele der zahlreichen mit der
Daher könnten Analysen und Projek-          «Smart City» im Zusammenhang stehen-
tionen, die sich mit Zukunftsszenarien      den Praktiken und Ideologien durchzieht
befassen, eine wertvolle Alternative zu     und miteinander verbindet. Wir beginnen
Kosten-Nutzen-Studien sein (Verchick        mit einem Überblick zu den Hintergrün-
2010), insofern sie anerkennen, dass es     den und Protagonisten der «Smart City»,
ein Spannungsverhältnis gibt zwischen       der sich auf eine Reihe aktueller analyti-
dem Zuwachs an Möglichkeiten und An-        scher Arbeiten zum Thema stützen kann.
nehmlichkeiten, die uns das Internet der    Es folgt eine kritische Einführung in die
Dinge bietet, und dem damit einherge-       Ideologie der «Smart City», wobei wir uns
henden Verlust an Privatsphäre. Unter-      auf die Erklärungen und Bestrebungen
nehmen oder Regierungen tendieren da-       einiger ihrer bedeutendsten wirtschaft-
zu, mögliche negative Auswirkungen des      lichen, politischen und akademischen
Internets der Dinge herunterzuspielen       BefürworterInnen konzentrieren. Dem
und Studien dazu als paranoide Projek-      stellen wir unsere Deleuze’sche Alterna-
tionen abzutun. Oftmals werden sozial-      tive gegenüber, indem wir eine Gesell-
wissenschaftliche oder politische Analy-    schaftstheorie der «Smart City» skizzie-
4   ren, in der sie als eine Form der Kontrolle   tisiert, die mit dieser weitreichenden In-
    (und nicht etwa als Emanzipation) ihrer       tegration von Mensch, Maschine und
    BewohnerInnen interpretiert wird. Als         Stadt in unserer «postdigitalen Ära» (Jur-
    Beispiele des sich hieraus ergebenden         genson 2012) einhergehen. Der Aufsatz
    «Spektrums der Kontrolle» gehen wir nä-       endet mit normativen Überlegungen,
    her auf die biometrische Überwachung          wie mit diesen allgegenwärtigen Über-
    als Form des Monitorings und auf die au-      wachungs- und Kontrollmechanismen,
    tomatisierte Polizeiarbeit als besonders      die dabei sind, eine entscheidende Infra-
    brutale und zielgenaue Form der Ma-           struktur für die «Smart City» zu konstitu-
    nipulation ein. Im vorletzten Abschnitt       ieren, umgegangen werden soll.
    werden die Herausforderungen thema-

    Was ist eine «Smart City»?

    Die Bewegung für «Smart Citys» hat in         den nächsten fünf bis zehn Jahren in ei-
    den letzten Jahren weltweit rasant an Be-     ner Größenordnung von mehreren Billio-
    deutung gewonnen – das gilt für ihren         nen US-Dollar bewegen, wobei der Markt
    Marktwert, das ihr zur Verfügung stehen-      für das Internet der Dinge noch stärker
    de Kapital, die technischen Entwicklun-       wachsen soll. Interessant ist in diesem
    gen und auch für ihren gesellschaftlichen     Zusammenhang auch die Ankündigung
    Einfluss. In einem 2013 vom britischen        von IBM, in den nächsten vier Jahren drei
    Ministerium für Wirtschaft, Innovation        Milliarden US-Dollar in den Aufbau einer
    und Qualifikation veröffentlichten Bericht    neuen Abteilung, die ausschließlich für
    wird der «weltweite Markt für mit Smart       das Internet der Dinge zuständig sein soll,
    Citys zusammenhängende Problemlö-             stecken zu wollen (Reuters 2015) – eine
    sungen und für die zu ihrer Umsetzung         Investition, die sicherlich auch eine ande-
    erforderlichen zusätzlichen Dienstleistun-    re, bereits jetzt lukrative und milliarden-
    gen für 2020 auf 408 Milliarden US-Dol-       schwere Initiative von IBM, das «Smar-
    lar» geschätzt. Die exponenzielle Ausdeh-     ter-Planet-Programm«, befördern wird.
    nung des Internets der Dinge hängt mit        Die auf Stadtplanung und Governance-
    diesem Wachstum zusammen. Laut häu-           Aspekte fokussierte Bewegung hat be-
    fig zitierten Zahlen von Cisco – einem Rie-   reits viel unternommen, um die Werbe-
    sen in der Telekommunkationsbranche,          trommel zu rühren für mehr «Intelligenz»
    die für den Bereich des Internets der Din-    und um die Implementierung entspre-
    ge und den Ausbau von «Smart Citys» be-       chender Maßnahmen voranzutreiben.
    sonders wichtig ist – waren im Jahr 2010      Das zeigen die Bestrebungen der wich-
    bereits «mehr als 12,5 Milliarden Geräte»     tigsten corporate players, «Intelligenz»
    miteinander vernetzt, für 2015 wird die       als Ideal zu verkaufen und kommunale
    Zahl auf 25 Milliarden Geräte geschätzt,      Entscheidungsträger und Investoren für
    2020 soll sie 50 Milliarden betragen.1 We-    den Smartness-Hype zu begeistern. Die-
    niger konservativen Schätzungen zufolge
    wird sich der Markt für «Smart Citys» in      1 Vgl. http://share.cisco.com/internet-of-things.html.
se Unternehmen reagieren nicht einfach       werden, sind Verbraucherprodukte – et-         5
auf die Nachfrage in einem bereits exis-     wa der allgegenwärtige intelligente Kühl-
tierenden Markt, sondern haben viel da-      schrank, der dem Geschäft meldet, wann
für getan, diesen Markt überhaupt erst zu    die Milch ausgeht. Bruce Sterling (2014:
schaffen und ihn auf bestimmte Weise zu      68) zufolge handelt es sich dabei jedoch
gestalten.                                   um ein «Märchen»: «Das tatsächliche In-
Trotz massiven Wachstums der Bewe-           ternet der Dinge will in den Kühlschrank
gung und beeindruckender Investiti-          eindringen, ihn vermessen, instrumenta-
onssteigerungen bleibt weiterhin völ-        lisieren, jegliche Interaktion mit ihm be-
lig unklar, was unter einer «Smart City»     obachten; es würde mit Freuden einen
eigentlich zu verstehen ist. Es gibt kei-    Kühlschrank zum Selbstkostenpreis ab-
ne allgemein akzeptierte Definition, auf     geben.» Wenn wir den Blick allein auf
die man zurückgreifen könnte (Hollands       Konsumgüter und Haushaltsgeräte rich-
2008). Diese Uneindeutigkeit arbeitet den    ten, dann führt uns das auf eine falsche
BefürworterInnen und VerkäuferInnen          Fährte. Wir verbleiben an der Oberfläche
der Smart-City-Idee in die Hände. Die Be-    und fragen nicht, was eigentlich hinter
zeichnung wird wie ein flottierender Sig-    dieser absurden Farce von immer neu-
nifikant gehandhabt, dessen Bezug sich       en Innovationen und der fast schon hys-
je nach Bedarf ändern lässt. So entsteht     terischen Technikbegeisterung steckt.
eine Dynamik und eine Situa­tion, die für    «Diese großen weltweiten Zusammen-
eine Vielzahl von Produkten, Praktiken       schlüsse [von Unternehmen] gibt es
und Politiken anschlussfähig ist. Die Für-   nicht deswegen, um den Menschen ei-
sprecherInnen der «Smart City» verfügen      nen intelligenten Kühlschrank zu verkau-
so stets über die Möglichkeit, sich he-      fen. Die meisten von ihnen würden es
rauszureden oder sich zu distanzieren,       tatsächlich gern sehen, dass die Men-
sollte etwas schiefgehen oder eines ihrer    schen in einer ‹Smart City› leben, deren
vielen Versprechen gebrochen werden.         ‹Intelligenz› sie selbst und zu ihren Bedin-
Die verschiedenen im Umlauf befind-          gungen liefern. An der Zustimmung der
lichen Smart-City-Konzepte haben –           Bewohner in ihrer Rolle als Bürger sind
zumindest aus Sicht der Befürworte-          sie kaum interessiert» (ebd.). Die «Smart
rInnen – den Vorteil, dass sie alle die      City» ist nicht einfach eine linear verklei-
digitalen Informations- und Kommunika-       nerte Version eines «intelligenten Hau-
tionstechnologien mit positiven Verände-     ses», in dem all unsere persönlichen und
rungen und Innovationen in Verbindung        alle Haushaltsgeräte vernetzt, automati-
bringen. Im Wesentlichen zielen sie dar-     siert und gute Kommunikatoren sind. Es
auf ab, auf der städtischen Ebene ein In-    geht um ganz grundsätzliche Dinge wie
ternet der Dinge aufzubauen, und zwar        infrastrukturelle und gesellschaftliche
über die Installierung von vernetzten,       Anwendungsbereiche – also um all das,
verschiedenen Zwecken dienenden Ge-          was die technopolitische Ordnung einer
genständen im gesamten urbanen Raum          Gesellschaft ausmacht und bestimmt –,
(und selbst in menschlichen Körpern).        und es geht um die Kontrollmacht und
Die Beispiele, die typischerweise zur Ver-   die Daten, die aus diesen Anwendungen
anschaulichung einer vom Internet der        hervorgehen. Selbstverständlich werden
Dinge geprägten Welt herangezogen            nicht alle «Smart Citys» auf die gleiche
6   Weise geschaffen. Es lässt sich grob zwi-    Anwendung kommt. Dabei geht es um
    schen drei Typen unterscheiden.              die schnelle und großräumige Umset-
    Die erste und größte Gruppe ist die der      zung «intelligenter» Ideale, Technologi-
    «real existierenden Smart Citys», die        en und Politiken und um ihre möglichst
    durch technische Umrüstungen und Er-         umfassende Integration in die bestehen-
    neuerungen den Übergang von «dumm»           de städtische Landschaft. Bislang ist die-
    zu «smart» vollziehen sollen. Die Zahl der   ser Ansatz noch in keiner Stadt wirklich
    Groß- und Kleinstädte, die solche «Intel-    in Gänze zur Anwendung gekommen,
    ligenz-Initiativen» aufgelegt haben, wird    aber es lassen sich Beispiele nennen, in
    weltweit auf mehrere Zehntausend ge-         denen der Übergang zur «Smart City»
    schätzt, manche gehen von Hunderttau-        wesentlich schneller erfolgte und weit-
    senden aus. In diesen Fällen erfolgt der     reichender war als beim typischen Fall
    Ausbau hin zur «Smart City» eher unko-       der Nach- oder Umrüstung. Das bes-
    ordiniert «in einzelnen unabgestimmten       te Beispiel ist vielleicht das sogenannte
    Schritten, was eine Integration in beste-    Intelligent Operations Center, das IBM
    hende Governance-Strukturen und die          2010 für Rio de Janeiro eingerichtet hat.
    bauliche Umwelt erschwert» (Shelton          Dort laufen «Datenströme aus 30 Behör-
    u. a. 2015: 16). In der Regel sind die zu-   den, die unter anderem für den Straßen-
    grunde liegenden Motive politökono-          verkehr, den öffentlichen Nahverkehr,
    mischer Natur. Man folgt zunehmend           kommunale Versorgungsleistungen,
    dem Konzept der unternehmerischen            Rettungsdienste und die Wettervorher-
    Stadt, demzufolge es die Aufgabe loka-       sage zuständig sind, in einem einzigen
    ler Regierungen ist, ihre Stadt zu einem     Analysezentrum zusammen. Hinzu kom-
    wettbewerbsfähigen (regionalen oder          men Informationen, die städtische Ange-
    globalen) Zentrum von wirtschaftlichen       stellte und die allgemeine Öffentlichkeit
    Aktivitäten und Wachstum zu machen           über Telefon, Internet und Radio liefern.»
    (Harvey 1989). «Intelligent werden» er-      (Kitchin 2014: 6) Mit diesem an die NASA
    scheint als ein bequemes Allheilmittel,      erinnernden Kontrollzentrum ist die Stadt
    um Austerität zu überwinden, die Ver-        Rio in ein «Optimierungs- und Sicher-
    waltung des städtischen Systems zu           heitssystem» verwandelt worden. Es er-
    verbessern und um zu einem attraktiven       möglicht eine präzisere Überwachung
    Investitionsstandort zu werden – alles       und Regulierung bestimmter Stadtteile
    mittels «vernetzter Infrastrukturen, die     und verstärkt damit bereits gängige Prak-
    die wirtschaftliche und politische Effizi-   tiken militaristischer urbaner Kontrolle
    enz steigern sowie soziale, kulturelle und   (Wacquant 2008). IBM und andere Tech-
    städtische Entwicklung ermöglichen sol-      nologiefirmen haben anderswo ähnliche
    len» (Hollands 2008: 307). «Intelligenz-     Zentren für einzelne städtische Ämter
    Initiativen», so das Versprechen, geben      und Einrichtungen wie Polizeibehörden
    den Stadtverwaltungen die Mittel an die      aufgebaut, aber keines von ihnen hat bis-
    Hand, um sich wirtschaftlich behaupten       lang die Größenordnung des Intelligent
    zu können.                                   Operations Center in Rio erreicht. Vieles
    Die zweite Gruppe von Städten ist die,       spricht jedoch dafür, dass Rio eine Vor-
    bei denen die Methode der «Schockthe-        reiterfunktion einnimmt und wir auch in
    rapie» oder des «Intelligenz-Schocks» zur    anderen Städten mit der Einrichtung und
dem Einsatz von ähnlichen Systemen           de (Scott 1998). Nach Adam Greenfield          7
rechnen können.                              (2013: 1274) «begehen die Konstrukteu-
Drittens gibt es das «idealistische Mo-      re von Songdo, Masdar und PlanIT Valley
dell» der «Smart City». Dabei handelt        [alles klassische Beispiele für Smart Ci-
es sich um Projekte, die von Grund auf       tys] mehr oder minder die gleichen Feh-
neu gebaut werden, an Orten, an de-          ler wie die Erbauer von Chandigarh und
nen vorher nichts Städtisches existier-      Brasília – überdimensionierte und groß-
te. Ein Paradebeispiel hierfür ist New       spurige Planungen, angeleitet von szien-
Songdo in Südkorea, das als globales         tistischem und autoritärem Denken, was
Testfeld (Halpern u. a. 2013) oder urba-     sich unter anderem im Bau von gewalti-
nes Laboratorium (Gieryn 2006) gilt, um      gen Hauptverkehrsachsen zeigt –, ohne
im großen Maßstab die Umsetzung von          dass man sagen könnte, ob dies aus Ig-
«intelligenten Systemen in der Wildnis»      noranz, Geschichtsvergessenheit, Acht-
zu erproben. Die Kosten dieses Projekts      losigkeit oder Selbstüberschätzung ge-
belaufen sich auf etwa 40 Milliarden US-     schieht.»
Dollar; seine Unterstützer in Wirtschaft     Wir halten es trotz der Vielfältigkeit der
und Regierung hoffen, dass New Song-         Methoden und Motive für möglich und
do als die erste richtige «Smart City» in    notwendig, die sozialpolitischen Logi-
die Geschichte eingehen wird. Christine      ken, die unseres Erachtens allen diesen
Rosen (2012) schreibt dazu: «Songdos         Smart-City-Initiativen zugrunde liegen,
Anspruch, besonders intelligent zu sein,     herauszuarbeiten und zu benennen. Zur-
hat nichts mit der Intelligenz seiner Ein-   zeit sieht es nicht danach aus, als wäre die
wohner zu tun, sondern basiert auf den       Entwicklung hin zu «Smart Citys» noch
Millionen drahtloser Sensoren und Mi-        aufzuhalten. Die auf unterschiedliche
krorechner, die überall in der Stadt in      Weise umgesetzten Ideale und Praxen
Oberflächen und Gegenstände einge-           der Smart-City-Bewegung dominieren
baut sind.» Diese Art der Umsetzung des      inzwischen die stadtentwicklungspoliti-
Smart-City-Konzepts stellt wohl die Zu-      schen Auseinandersetzungen und «ko-
kunft dar, zumindest gibt sie uns einen      lonisieren» das Denken der politisch Ver-
Eindruck von den Möglichkeiten und den       antwortlichen. Angesichts des knappen
ehrgeizigen Plänen für die Stadtentwick-     Raums, der uns hier zur Verfügung steht,
lung der Zukunft. Allerdings verweist        können wir zu den ideologischen Aspek-
dieser Typus der «Smart City» auch auf       ten nur einen Überblick geben. Dieser
frappierende Ähnlichkeiten zwischen          dient zur Erläuterung unserer kritischen
der Ideologie der «Smart City» und der       Gesellschaftstheorie, die für uns im Zent-
Ideologie, die der modernistischen Ar-       rum dieses Aufsatzes steht. Eine ausführ-
chitektur des 20. Jahrhunderts zugrun-       lichere genealogische Analyse der vor-
de lag. Man denke nur an Brasília, die       herrschenden Diskurse und Ideologien
Hauptstadt Brasiliens, Verkörperung und      (vor allem die der wichtigsten Akteure auf
Monument modernistischer Ideale und          Unternehmerseite wie IBM, Cisco und
technokratischer Verwaltung, die in nur      Siemens), die diese sozialtechnischen
41 Monaten (1956–1960) mitten im Re-         Systeme und Politiken vorantreiben, fin-
genwald des Amazonas auf einem zuvor         den interessierte LeserInnen in Adam
gerodeten Gelände hochgezogen wur-           Greenfields gründlich recherchiertem
8   Buch «Against the Smart City» (2013).         Wir hoffen vielmehr aufzeigen zu können,
    Wir möchten an dieser Stelle zudem be-        dass scheinbar voneinander unabhängi-
    tonen, dass wir die Bezeichnung «Smart        ge Technologien und Techniken einen ge-
    City» im Folgenden auch als Kürzel für alle   meinsamen Ursprung in bestimmten ge-
    Technologien und Techniken verwenden,         sellschaftspolitischen Logiken haben und
    die im Zusammenhang mit den Praktiken         dass sie diese Logiken reproduzieren. Um
    und Ideologien des Labels «Smart City»        dies deutlich zu machen, werden wir nä-
    stehen – unabhängig davon, wie und in         her auf einige ausgewählte Initiativen ein-
    welchem Umfang diese tatsächlich zum          gehen. Der folgende Abschnitt jedoch,
    Einsatz kommen. Es geht uns nicht dar-        der auf Greenfields Studie basiert und de-
    um, die Unterschiede bei den Bedeutun-        ren Ergebnisse in gewisser Weise vertieft
    gen, die das Konzept der «Smart City»         und aktualisiert, stellt zunächst einmal die
    für verschiedene Städte, politische Ent-      Ideologie vor, die hinter den Smart-City-
    scheidungsträger und Unternehmen ein-         Initiativen steht und von diesen verbreitet
    nimmt, einzuebnen oder zu ignorieren.         wird.

    Die Ideologie der «Smart City»

    Dort, wo unmittelbar Einfluss auf die         gigen Neujustierung von Governance-
    Politik genommen wird, dominieren             Strategien und Anpassungen bei der
    bestimmte liberale und vom Melioris-          Auftragsvergabe im Bereich der Infor-
    mus2 geprägte Vorstellungen vom Fort-         mationstechnologien (IT). Erstens müsse
    schritt, der durch die Informations- und      «die Welt neu über IT-Investitionen nach-
    Kommunikationstechnologien angeb-             denken, Abstand nehmen vom Einkauf
    lich ermöglicht wird. So preisen zwei         isolierter Dienstleistungen und sich statt-
    Vorstandsmitglieder von Cisco in einem        dessen auf End-to-End-Lösungen kon-
    vielfach zitierten Artikel der Zeitschrift    zentrieren, um disparate und parzellierte
    Foreign Affairs die Vorteile des «Inter-      Systeme zusammenzuführen». Zweitens
    nets of Everything» an und propagieren        komme es auf «eine besonders intensive
    seine Anwendung auf nahezu sämtliche          Abstimmung und Zusammenarbeit zwi-
    Bereiche städtischer Infrastruktur und        schen dem öffentlichen und dem priva-
    Governance (Chambers/Elfrink 2014). Ihr       ten Sektor» an, wobei die «Einhaltung
    Versprechen: eine «intelligente und effizi-   von festgelegten Vertragsregeln und
    ente Verwaltung der wachsenden Städ-          -fristen entscheidend» sei. Die beiden
    te», die dabei helfen kann, Probleme wie      Autoren, die «Smart Citys» zur «Norm»
    «verstärktes Verkehrsaufkommen, Park-         machen wollen, fordern in einem ihrer
    platzmangel, Umweltverschmutzung,             im Aufsatz formulierten Grundsätze «die
    wachsenden Energieverbrauch und Kri-          Welt» dazu auf, «sich Technologien auf
    minalität» in den Griff zu bekommen.          neue Weise anzueignen». Dabei müssten
    Wer könnte etwas dagegen haben? Der
    einzige Preis, so versichern Chambers         2 Eine theoretische Strömung, die davon ausgeht, dass die so-
                                                  zialen Verhältnisse durch fortgesetzte Steuerung besser wer-
    und Elfrink, bestehe in einer geringfü-       den (Anm. d. Ü.).
der «Vertrag mit den Bürgern» sowie die     ger einem wirtschaftsfreundlichen und       9
Dienstleistungen, die IT-Unternehmen        unternehmerischen Konzept städtischer
und Regierungen diesen zur Verfügung        Entwicklung verschrieben haben» (Hol-
stellen, neu überdacht werden (ebd.).       lands 2015: 70).
Wenn wir die Absichten, die sich hinter     Selbstverständlich verfolgt Cisco hier
dieser technokratisch daherkommen-          kommerzielle Interessen: Der Entwurf,
den Agenda der «Smart Citys» verber-        die Herstellung und Installierung der für
gen, begreifen wollen, ist es wichtig,      die anvisierten Netzwerke erforderlichen
darauf zu achten, wie hier eine subtile     Hardware sind das Kerngeschäft von Cis-
Verschiebung im politischen Vokabu-         co. Dessen zukünftigen Gewinnmargen
lar stattgefunden hat – an die Stelle ei-   dürften nicht zuletzt davon abhängen,
nes Gesellschaftsvertrags tritt tendenzi-   inwieweit es dem Unternehmen gelingt,
ell ein neuer Vertrag zwischen Staat und    überzeugende Narrative der «Smart-
Unternehmen (vgl. Sadowski/Selinger         ness» zu entwickeln. Eine Vielzahl von
2014). Das erklärt auch, weshalb sechs      LokalpolitikerInnen und gemeinnützigen
der von Chamber und Elfrink formulier-      Organisationen ist inzwischen ebenfalls
ten Grundsätze «die politischen Ent-        auf den fahrenden Zug aufgesprungen.
scheidungsträger in den Kommunen»           Auch hier dürften materielle Anreize eine
dazu drängen, den von der IT-Branche        Rolle spielen. Darauf verweisen politöko-
neu entwickelten Produkten und Dienst-      nomische Analysen zu Drehtüreffekten
leistungen (noch) mehr Bedeutung bei-       auf dem Arbeitsmarkt, womit gemeint
zumessen. Den Autoren, beides gewief-       ist, dass es inzwischen eine gewisse
te Geschäftsleute, ist die Asymmetrie in    Durchlässigkeit zwischen dem privaten,
den Public-private-Partnerships im Zeit-    dem öffentlichen und dem sogenann-
alter des Neoliberalismus nicht entgan-     ten Dritten Sektor gibt. Wenn Beamte ihr
gen. Wenn Topmanager ein Vielfaches         Gehalt jederzeit um ein Vielfaches erhö-
des Gehalts eines hochrangigen Beam-        hen können, indem sie sich gefügig und
ten erhalten, dann darf man sich nicht      kooperativ verhalten und bei einem ent-
darüber wundern, wenn Letztere es dem       sprechenden Angebot ihre Anstellung
Privatsektor bereitwillig erlauben, den     in einer Behörde gegen ein Firmenbüro
öffentlichen Sektor nach dessen Vorbild     eintauschen, dann verwundert es nicht,
umzugestalten. Firmen können sich ei-       dass nur wenige unangenehme Fragen
nen ganzen Stab von Betriebswirten,         stellen (Carpenter/Moss 2013). Galt frü-
Entwicklerinnen, Designern, Anwältin-       her eine Beratungstätigkeit für Privat-
nen und PR-Spezialisten leisten, die al-    unternehmen unvereinbar mit der Aus-
le darauf geschult sind, eine bestimm-      übung eines öffentlichen Amtes, so sind
te städtische Entwicklung und Zukunft       auch hier die Barrieren heute viel gerin-
als technokratische pensée unique dar-      ger.
zustellen. Was fehlt, sind wirkliche «Al-   Genauso wichtig wie materielle Anreize
ternativentwürfe», die man dem von          und Karriereüberlegungen dürfte jedoch
Großkonzernen vertretenen Smart-Ci-         sein, dass mit auf technologische As-
ty-Modell entgegensetzen könnte, was        pekte fokussierten Smart-City-Erzählun-
unter anderem damit zusammenhängt,          gen bestimmte urbane Entwicklungen
«dass sich die meisten Städte schon län-    und Veränderungen gerechtfertigt wer-
10   den können (Söderström u. a. 2014).            Vorwurf, etwas sei «ideologisch», gehört
     Der Geograf Rob Kitchin betrachtet die         zu einem der gängigsten Tricks moder-
     Forschung zu ‹Smart Citys› – egal ob           ner Rhetorik, mit dem diejenigen, die ih-
     sie regierungsnahen Kreisen oder dem           re Gegner der Ideologie bezichtigen, ihre
     Unternehmenslager zuzuordnen ist –             eigenen anfechtbaren Werte und Annah-
     deswegen als kritisch, weil «ein Großteil      men dethematisieren wollen. Wenn wir
     dessen, was über ›Smart Citys‹ geschrie-       selbst im vorliegenden Aufsatz den Be-
     ben oder gesagt wird, als unideologisch        griff der Ideologie verwenden, dann nicht
     und pragmatisch daherkommt, als Aus-           a priori im Sinne einer Anschuldigung,
     druck des gesunden Menschenver-                sondern in seiner beschreibenden Funk-
     stands» (Kitchin/Dodge 2011: 131). Es          tion. Manchmal steckt dahinter auch ei-
     ist aber vielmehr Auswuchs einer neoli-        ne ironische Absicht, weil so viele Tech-
     beralen technologiebesessenen Ideolo-          niker und Neoliberale derart viel Energie
     gie sowie einer allgemeineren politöko-        darauf verwenden, ihr Handeln als Er-
     nomischen Haltung, der es vor allem um         gebnis wertfreier Entscheidungen so-
     Gewinnmaximierung und höhere Steuer-           wie fortschrittsorientierter und außer-
     einnahmen geht. BefürworterInnen von           menschlicher Überlegungen und Kräfte
     Smart-City-Konzepten tun so, als wollten       (etwa der Technik oder des Marktes) zu
     sie nur ganz nüchtern Probleme lösen,          verkaufen.
     als seien sie über eine bestimmte Null-        Es lohnt sich, an dieser Stelle kurz auf
     summenpolitik erhaben, die sooft zu ei-        die Überlegungen des Philosophen und
     nem Reformstau führt. Sie neigen dabei         Rechtstheoretikers Lawrence Solum ein-
     allerdings schnell zu einer Einstellung,       zugehen, der ein Gedankenexperiment
     die Clifford Geertz (1973: 194) in einem       zu «Smart Citys» vorgeschlagen hat. Dies
     berühmt gewordenen Satz zugespitzt zu-         hilft uns dabei, besser den politischen
     sammengefasst hat: »Ich vertrete eine          Charakter der Smart-City-Rhetorik zu
     Gesellschaftsphilosophie, Sie vertreten        verstehen. Solum schreibt über Singa-
     politische Ansichten, er vertritt eine Ideo-   pur: Diese Stadt verfügt über «intelligen-
     logie.» Mit dem «Ich» könnte ein Unter-        te Kreuzungen, deren Ampelschaltungen
     nehmer gemeint sein, der mit Smart-City-       je nach Verkehrslage variieren» (Baum
     Technologien sein Geld verdient, mit dem       2001), und es sind noch viel ausgefeilte-
     «Sie» eine städtische Entscheidungsträ-        re Methoden zur Kontrolle des Autover-
     gerin, und das «Er» könnte auf die ver-        kehrs denkbar. Solum (2014: 75) erwägt
     schiedenen Interessengruppen bezogen           die Entwicklung einer «Artificially Intelli-
     sein, die grundlegende Bedenken gegen          gent Traffic Authority», die sich an «Ver-
     die ausufernde Überwachung und Zu-             änderungen des Fahrverhaltens und des
     sammenführung von Daten äußern. Eine           Verkehrsflusses anpassen würde». Das
     Zitat aus einer Rede von Samuel Palmi-         System wäre in der Lage, «jederzeit Än-
     sano (2010), ehemaliger Vorstandsvor-          derungen vorzunehmen und kontrollierte
     sitzender, Präsident und Geschäftsführer       Experimente durchzuführen, um auszu-
     von IBM, illustriert diese Haltung: «Der       werten, wie sich verschiedene Kombi-
     Plan, eine intelligentere Erde zu schaf-       nationen auf die Verkehrsentwicklung
     fen, ist deswegen realistisch, weil er so      auswirken» (ebd.) – was an Jim Manzis
     erfrischend unideologisch ist.» Doch der       (2012) Empfehlung an Verwaltung und
Politik erinnert, diese müssten grund-       in, mehrere Spannungen oder gar offene      11
sätzlich experimentierfreudiger werden.      Widersprüche, die ihr Idealtypus der un-
Das von Solum (2014: 75) vorgestellte        ternehmerischen Governance aufweist,
System hätte jedoch keine Toleranz ge-       aufzulösen oder zumindest abzuschwä-
genüber Experimenten Einzelner, ins-         chen. Wer wird letztlich verantwortlich
besondere dann, wenn diese auf die           sein für die geforderten «hyperkollabo-
Übertretung seiner Regeln hinausliefen.      rativen Partnerschaften zwischen dem
Vielmehr würden, so seine Vorstellung,       öffentlichen und dem Privatsektor»? Mit
«Verstöße durch ein ausgefeiltes System      welchen Sanktionen soll beispielswei-
elektronischer Überwachung ermittelt»,       se die Nichteinhaltung von festgelegten
die «Zuwiderhandelnden identifiziert und     Fristen bestraft werden? Wer verhängt
durch an wichtigen Kreuzungen statio-        diese Sanktionen? Und welche Probleme
nierten Kränen augenblicklich aus dem        sollen eigentlich mit den sogenannten
Verkehr gezogen».                            End-to-End-Lösungen behoben werden,
Solum bedient sich dieses Beispiels, um      und wie würde die Umsetzung solcher
die übliche juristische Unterscheidung       «Lösungen» aussehen?
zwischen menschlicher und künstlicher        Sollten etwa, um einige weitere nahelie-
Intelligenz aufzuheben. Es geht ihm we-      gende Fragen und Beispiele zu nennen,
niger darum, tatsächlich das Verkehrs-       neue Formen der Überwachung vor al-
system zu verbessern. Sein Szenario eig-     lem bei der Verfolgung von Drogende-
net sich auch, um auf die rechtlichen und    likten Verwendung finden? Oder wol-
politischen Probleme automatisierter         len wir sie nutzen, um Hinweisen auf
Strafverfolgung aufmerksam zu machen,        Wirtschaftsverbrechen nachzugehen
die selbst in einem scheinbar rein techni-   oder um illegales Arbeitgeberverhal-
schen Bereich wie der Verkehrsführung        ten zu sanktionieren? Lohndiebstahl et-
unweigerlich auftreten. Würden die von       wa ist ein massives Problem, wird aber
Solum angedachten Kräne mit der glei-        von den Behörden selten ernst genom-
chen chirurgischen Genauigkeit auch          men (Bobo 2011). Sollen in Restaurants
Demonstranten aus dem öffentlichen           installierte Kameras und Sensoren vor
Raum entfernen, wenn diese, wie etwa         allem dazu dienen, die Beschäftigten
in Ferguson geschehen, Straßen blockie-      zu kontrollieren und sie davon abzuhal-
ren (Harcourt 2012)? Würden Personen         ten, Lebensmittel zu entwenden? Oder
mit abgelaufenem Führerschein oder Au-       ist es wichtiger, Lebensmittelvergiftun-
tokennzeichen ebenfalls herausgegriffen      gen zu verhindern oder Verstöße gegen
werden? Dass dieses Szenario schon zur       Sicherheitsauflagen zu ahnden? Ge-
Hälfte Realität ist, zeigen Erfahrungen      hört zu den Zielen der «Verkehrskontrol-
aus den USA: Dort sorgen auf besonders       le» auch, die gesundheitsgefährdende
einkommensschwache Kunden speziali-          nächtliche Lärmbelästigung durch Mo-
sierte Kreditunternehmen dafür, dass de-     torräder in vielen Stadtvierteln zu redu-
ren Pkw per Fernbedienung lahmgelegt         zieren? Oder betrachtet man dies als Lap-
wird, wenn Zahlungen ausbleiben (Sa-         palie, für die es keine computerbasierte
dowski/Pasquale 2014).                       Überwachung braucht? Jedes Jahr wer-
Die Herausforderung für die Befürwor-        den Millionen solcher Verkehrsvergehen
terInnen von «Smart Citys» besteht dar-      von der Polizei mit großer Kulanz behan-
12   delt, während sich in der Öffentlichkeit     Auch wenn man solche ideologischen
     aufhaltende AfroamerikanerInnen unter        Ansichten vor allem mit der Wall Street
     dem Vorwand, «Gehwege zu blockie-            und Silicon Valley in Verbindung bringt,
     ren», regelmäßig von Sicherheitskräften      sind sie selbst in unseren wichtigsten ge-
     schikaniert werden (Taibbi 2014). Hätte      setzgebenden Körperschaften präsent.
     für automatisierte Autoüberwachungs-         Im Februar 2015 fand im Senat des US-
     systeme Priorität, den Tod von Fußgän-       Kongresses eine Anhörung unter dem
     gern zu verhindern, oder wäre das Ziel       Titel «Die vernetzte Welt: Untersuchung
     eher die Gewährleistung eines gleichmä-      des Internets der Dinge» statt, 3 wo eine
     ßigen Verkehrsflusses in Richtung Stadt      Reihe von SenatorInnen und fünf Exper-
     und aus der Stadt heraus, um Autofah-        tInnen zu Wort kamen. Fast alle zeigten
     rern Zeit zu ersparen?                       sich begeistert von dem Versprechen
     Basierend auf fragwürdigen Kosten-Nut-       eines «intelligenteren Lebens», das wir
     zen-Rechnungen bietet die neoliberale        angeblich dank des Internets der Din-
     Ideologie viel zu häufig und vorschnell      ge demnächst alle führen werden. Zwar
     «naheliegende» und kaum hinterfragte         wurde gelegentlich auf grundlegen-
     Antworten an. Zu den wichtigsten Ziel-       de Probleme wie Gefährdungen der Si-
     setzungen des Neoliberalismus zäh-           cherheit und der Privatsphäre verwie-
     len die Verbesserung des wirtschaftli-       sen, doch galten die meisten Sorgen der
     chen Umfelds sowie die Übertragung           «Überregulierung». In seiner Erklärung
     von Marktlogiken auf alle Bereiche des       brachte der demokratische Senator Co-
     menschlichen Lebens. Doch selbst wenn        ry Booker aus New Jersey recht anschau-
     man diese neoliberalen Vorgaben akzep-       lich die politökonomische Ideologie, die
     tiert, sind die Probleme kaum zu über-       in dieser Anhörung allgegenwärtig war,
     sehen, die sich etwa ergeben, wenn           zum Ausdruck. Bookers Position, die er
     von staatlichen Akteuren erwartet wird,      mit besonders viel Enthusiasmus und be-
     wirtschaftliche Ziele zu verfolgen (und      sonders klaren Worten vorbrachte, ist in
     umgekehrt). Der Staat selbst sieht sich      gewisser Weise repräsentativ, sodass wir
     gezwungen, die «Emanzipation» sei-           ihn hier ausführlich zitieren:
     ner Untertanen von seinen Strukturen         «Wir haben heute die ungewöhnliche
     voranzutreiben und diesen Vorgang zu-        Chance, parteiübergreifend und aus zu-
     gleich koordinieren zu müssen. Philip Mi-    tiefst patriotischen Motiven heraus ein
     rowksi (2013: 58) beschreibt dies als eine   Programm zu entwickeln für etwas, das
     Tendenz des Neoliberalismus, alles auf       zu einem explosiven Wachstum unserer
     einmal haben zu wollen: «Es wird laut-       Wirtschaft beitragen kann. Es geht um
     hals vor den Gefahren einer Ausweitung       Billionen von Dollar, um die Schaffung
     staatlicher Zuständigkeiten gewarnt, zu-     zahlloser Arbeitsplätze, um die Ver-
     gleich aber stellt man den starken Staat,    besserung der Lebensqualität und um
     der ihnen zusagt, als zahnlos dar.» Sol-     die Demokratisierung unserer Gesell-
     che Spannungen sind ein formales Merk-       schaft. Damit entstehen neue Möglich-
     mal ideologischen Denkens: Dabei wird
                                                  3 Vgl. www.commerce.senate.gov/public/index.cfm?p=
     versucht, in Theorie oder Praxis wider-      Hearings&ContentRecord_id=d3e33bde-30fd-4899-b30d-
     sprüchliche Verpflichtungen abzuschwä-       906b47e117ca&ContentType_id=14f995b9-dfa5-407a-
                                                  9d35-56cc7152a7ed&Group_id=b06c39af-e033-4cba-9221-
     chen und anzupassen (vgl. Geertz 1973).      de668ca1978a.
keiten für marginalisierte, an den Rand         ama, also sein Parteichef, vorsichtig an-      13
gedrängte Menschen und können Ras-              gedeutet hatte, es sei an der Zeit, über die
sen- und Klassenschranken eingeris-             Schließung von Steuerschlupflöchern
sen werden. Auch wenn uns vielleicht            für Private-Equity-Fonds nachzudenken.
die Vorstellungskraft fehlt, um uns die-        Für die Kapitalmärkte ist die Überbewer-
se Zukunft mit all ihren Verheißungen           tung der «Smart City» von entscheiden-
auszumalen, sollten wir diese Zukunft           der Bedeutung, da die extrem ungleiche
mit offenen Armen begrüßen. […] Des-            Vermögensverteilung Rentiers erlaubt,
wegen teile ich das Anliegen, das mei-          von den geringfügigen Zinsen auf nahe-
ne Kollegen von der Republikanischen            zu risikofreie Staatsschulden gut zu le-
Partei bereits angesprochen haben. Wir          ben. Nimmt man Expertenwarnungen
sollten alles tun, um diese Entwicklung         vor den jetzt bereits im Internet der Din-
zu fördern, und alles unterlassen, was          ge grassierenden Sicherheitsproblemen
sie einschränken könnte. […] Alles, was         ernst, dann wird das «smarte Kapital» die
einen solchen Sprung nach vorn für die          «Smart City» demnächst wohl noch stär-
Menschheit behindern könnte, ist ab-            ker als eine lukrative spekulative Anlage-
zulehnen. […] Und ich meine, dass hier          möglichkeit betrachten. (Bruce Schnei-
eine Public-private-Partnership ange-           er [2014] hat darauf hingewiesen, dass
bracht ist. Wir alle haben hier eine Auf-       mit der Einbettung von Rechenleistun-
gabe zu übernehmen.»                            gen in Hardware, was auf einen Groß-
Die Auffassung, die Booker vorgetragen          teil des Internets der Dinge zutrifft, Sen-
hat, mag radikal klingen, ist sie aber nicht.   soren und Router «besonders anfällig für
Er vertritt hier vielmehr Mainstream-An-        Manipulierungen werden, ohne dass es
sichten. Das Mindeste, was man dem-             ein gutes Mittel gibt, diese Sicherheitslü-
nach von uns erwarten kann, ist, die Ent-       cken zu schließen».) Je riskanter die In-
faltung der Innovationskräfte nicht zu          vestition, umso spektakulärer muss der
behindern. Aber eigentlich will man uns         potenzielle Gewinn sein: Daher werden
dazu verpflichten, Innovationen wie das         Smart-City-Technlogien immer häufiger
Internet der Dinge und diejenigen, die die-     als epochal, bahnbrechend oder weltver-
ses erfunden haben und propagieren, je-         ändernd beworben.
de erdenkliche rechtliche, materielle und       Die Rhetorik ist natürlich nicht immer
ideologische Unterstützung zukommen             so vollmundig. Es gibt auch gegenläufi-
zu lassen. Wer kritische Fragen zur Zu-         ge Tendenzen, bei der Beschreibung von
kunft stellt oder gar die Absicht hat, tech-    Technologien einen eher nüchternen,
nische Entwicklungen zu entschleunigen          analytischen und mechanisch-objekti-
und zu regulieren, blockiert in dieser Sicht    ven Ton anzuschlagen. Nichtssagende
nicht nur Chancen enormen wirtschaft-           Überparteilichkeit ist ein weiteres belieb-
lichen Wachstums, sondern auch eine             tes rhetorisches Mittel. Smart-City-Be-
Kraft, die mehr Demokratie und soziale          fürworter schreiben Manifeste, Handbü-
Gerechtigkeit verspricht.                       cher und Aufrufe und führen hier immer
Bookers Sprache erinnert an die Markt-          wieder die gleichen offensichtlichen
schreierei des Finanzkapitals – just an je-     Probleme an, bei denen wir uns alle ei-
ne Interessengruppe, die er 2012 nach           nig sind, dass sie gelöst werden müssen
Kräften verteidigte, nachdem Barack Ob-         (Newsom 2013; Townsend 2014). Da-
14   mit wird unter anderem aber verschlei-       wird, eine «Plattform» einzurichten, «mit-
     ert, was bei der automatisierten Über-       tels derer sich Bürger über SMS- und
     wachung und Reglementierung eines            Mailboxnachrichten, soziale Netzwerke
     jeden Augenblicks und eines jeden Ortes      und verschiedene Apps mit der Stadt-
     auf dem Spiel steht. So mag uns eine vor     verwaltung sowie miteinander verstän-
     Schlaglöchern warnende App zu mehr           digen können» (ebd.: 4), steht nicht für
     Informationen über ein für Autos schädli-    die Aufklärung darüber zur Verfügung,
     ches Übel verhelfen (wenn es auch nicht      wie die Steuerhinterziehung der Wohl-
     die Beseitigung dieses Übels garantieren     habenden erst jenen Personalmangel
     kann). Aber nicht jeder ist mit der Ein-     herbeigeführt hat, zu dessen Behebung
     schätzung einverstanden, wir bräuchten       «Smart Citys» durch die «Kräftebünde-
     «postprogressive» Stadtverwaltungen,         lung» der verbliebenen städtischen An-
     die sich «auf Ergebnisse und nicht auf       gestellten dann beitragen sollen (Win-
     Regeleinhaltung» konzentrieren (Gold­        ters 2011; Bady 2013). Die Schulen von
     smith/Crawford 2014: 6) – jedenfalls         Newark in New Jersey bräuchten Mark
     dann nicht, wenn mit den angestrebten        Zuckerbergs Spende über 100 Millionen
     «Ergebnissen» weitaus mehr gemeint ist       US-Dollar nämlich gar nicht, wenn sich
     als nur eine zügige Müllentsorgung oder      nicht so viele andere Milliardäre erfolg-
     Straßen ohne Schlaglöcher. Tatsächlich       reich dafür eingesetzt hätten, die Steu-
     ist bereits die Entscheidung, Ressourcen     ern für Reiche zu senken, und wenn sie
     für die Planierung von Fahrbahnen einzu-     sich nicht dafür entschieden hätten, ihr
     setzen (und nicht etwa für die Belüftung     Vermögen im Ausland zu parken und den
     von Zügen und Bussen oder für Grünflä-       Regulierungsbehörden die Zähne zu zie-
     chen) eine grundsätzlich politische. So      hen. Jedes Mal, wenn ein Unternehmer
     feiern Goldsmith und Crawford ein neues      und mehrfacher Milliardär den Einsatz
     «intelligentes» Verfahren zur Erkennung      innovativer neuer Methoden vorschlägt,
     von Fingerabdrücken als hilfreiches In-      um den «Output» von Regierungsange-
     strument der Verbrechensbekämpfung           stellten zu messen und zu maximieren,
     (ebd.: 112), ohne auch nur zu erwähnen,      sollten kritische BürgerInnen aufmerken
     dass mit solchen Fingerabdruck-Daten-        und fragen: Warum sind wir überhaupt
     banken neue Unterklassen von Perso-          an diesem Punkt angelangt? Woher
     nen produziert werden, die de facto keine    kommt der Druck, ständig «aus weniger
     Chance mehr auf eine Anstellung haben.       mehr» zu machen? Konzentriert man sich
     Smart-City-BefürworterInnen könnten          auf die technischen Herausforderungen
     einwenden, dass in jedem politischen         des «Mehrmachens», dann verhindert
     System um die Mittelverteilung gestrit-      man dadurch eine kritische Auseinander-
     ten wird und dass man von ihren Sen-         setzung darüber, weshalb es überhaupt
     soren, Apps, offenen Datenbanken und         «weniger» staatliche Ressourcen und
     Verlaufsberichten nicht erwarten dann,       Angestellte gibt.
     dass sie solche Konflikte beseitigen. Aber   Die hinter dem Ideal der «Smart City»
     es gibt noch weitere Sachzwänge: So          stehenden Akteure aus Wirtschaft und
     benötigen etwa politische Auseinander-       Politik haben mit zwei Strategien zur ei-
     setzungen, Reflexionen und Aktivitäten       ner Verzerrung der Debatte beigetra-
     Zeit. Die Zeit, die etwa damit zugebracht    gen: Erstens ist ihr einseitiger Fokus auf
Transparenz- und Effizienzsteigerungen      unruhigende – Perspektive auf «Smart         15
zu nennen, der die revolutionären Verän-    Citys». Selbst an dem Ende des vom In-
derungen bei der Strafverfolgung (hin-      ternet der Dinge geschaffenen «Spek-
sichtlich Intensität und Reichweite) und    trums der Kontrolle», an dem die Ein-
die negativen Auswirkungen außer Acht       griffe am geringfügigsten sind, steht
lässt, die mit dem Ausbau von umfassen-     weitaus mehr auf dem Spiel, als dass
den Überwachungssystemen verbun-            dies einige nebulöse Bedenken in Bezug
den sind, auch deswegen weil man sie so     auf die Wahrnehmung und Reputation
leicht in ein Regime räumlichen Rechts      von Menschen, die üblicherweise un-
einbetten kann. Zweitens reduzieren sie     ter dem Begriff der «Privatheit» zusam-
die vielen politischen und ethischen Fra-   mengefasst werden, vermuten lassen.
gen, die die über das Internet der Din-     Und am anderen Ende des Spektrums
ge vorangetriebene Digitalisierung des      geht es um wirklich viel. Das Internet der
Raums aufwirft. Für sie sind, wenn über-    Dinge ist nicht einfach eine Möglichkeit,
haupt, nur nachträgliche Korrekturen        Menschen zu beobachten und zu über-
und Beschränkungen technischer Sys-         wachen, sondern mit ihm können auch
teme denkbar, und auch dann nur, um         bestimmte Interaktionsmuster erzeugt
die «Privatsphäre» in einem individualis-   und reproduziert werden (Bogard 1996).
tischen Sinne zu schützen, nämlich als      Sobald genügend Daten über die Men-
Recht auf eine Kontrolle über die Samm-     schen gesammelt und diese dann in ei-
lung von Informationen über sich selbst.    ner Maschine, die ihr Verhalten simulie-
Denkt man in Kategorien einer Herme-        ren kann, gespeichert worden sind, wird
neutik des Verdachts, dann ergibt sich      es irgendwann möglich sein, Menschen
eine umfassendere – und äußerst be-         durch Roboter zu ersetzen.

«Smart Citys» in Kontrollgesellschaften

Was erfordert eine Gesellschaftstheorie     verhältnissen Umverteilung/Extraktion,
der «Smart City»? Anders als die Ideolo-    Unterdrückung/Emanzipation sowie An-
gie ihrer BefürworterInnen ist eine Ge-     erkennung/Missachtung (Fraser 1995).
sellschaftstheorie eine «systematische,     Eine genauere Untersuchung dessen,
von historischen Kenntnissen unterfüt-      was es bedeutet, ein überwachtes Sub-
terte und empirisch ausgerichtete Theo-     jekt oder ein Datensubjekt zu sein, wür-
rie, die das Wesen des ‹Sozialen› zu er-    de zeigen, wie schutzlos jede und jeder
klären versucht», wobei das Soziale «zu     in der «Smart City» Extraktion, Unterdrü-
verstehen ist als das ganze Spektrum        ckung und Missachtung ausgesetzt ist.
wiederkehrender Formen, Muster und          Foucaults Begriff der Biomacht ist gut
Merkmale von zwischenmenschlichen           geeignet, um hier einige Aspekte zu klä-
Interaktionen und Beziehungen» (Cot-        ren. Eine Form der Biomacht ist, wie Fou-
terell 2006: 15). Im städtischen Raum       cault (1986: 134 f.) schreibt, «um den
und Umfeld sind die Interaktionen ide-      Körper als Maschine zentriert […]. Seine
altypisch geprägt von den Spannungs-        Dressur, die Steigerung seiner Fähigkei-
16   ten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das         Computernetzwerke eine entscheidende
     parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit        Rolle (Deleuze 1993). Nun verschwinden
     und seiner Gelehrigkeit, seine Integra­        durch die Herausbildung einer neuen Art
     tion in wirksame und ökonomische Kon-          der Machtausübung die anderen nicht
     trollsysteme – geleistet haben all das die     einfach aus der Welt. Die Frage ist daher,
     Machtprozeduren der Disziplinen: poli-         welche davon heute die dominante Funk-
     tische Anatomie des menschlichen Kör-          tionslogik ist. Bezogen auf Informations-
     pers.» Im Gegensatz zu den Wirkungs-           und Kommunikationstechnologien und
     weisen der souveränen Macht, die das           insbesondere auf die vernetzten Techno-
     Recht ausübte, «sterben zu machen oder         logien der «Smart Citys» verdeutlicht der
     leben zu lassen» (ebd.: 134), ist die dis-     von Deleuze vorgeschlagene Deutungs-
     ziplinierende Biomacht darauf aus, Kör-        rahmen die Logiken, die all diesen Prak-
     per und Bevölkerungen zu verwalten und         tiken und Ideologien zugrunde liegen. Im
     zu steuern. In der «Smart City» wird mit       Folgenden wollen wir skizzieren, was die-
     Menschen genau auf diese Weise um-             se Gesellschaftstheorie mit Blick auf die
     gegangen – wenn BürgerInnen etwa als           «Smart City» leisten kann.
     analoge und digitale Informationsschnitt-      Die Deleuze’sche «Kontrollgesellschaft»
     stellen oder gar als «Bürger-Sensoren»         hat mindestens drei zentrale Kompo-
     betrachtet werden (Gabrys 2014: 32).           nenten – Dividuen, Rhizome und Pass-
     Darüber hinaus wird die Stadt als solche       wörter – die zusammen genommen eine
     aber auch neu erfunden und rekonstru-          anhaltend wirkmächtige Logik hervor-
     iert, nämlich als Maschine, die verwaltet      bringen. Wenn eine Person eine andere
     und gemanagt werden kann und muss.             Person beobachtet, dann liefert deren
     Ein von Foucaults Begriff der Gouverne-        elementarer Wahrnehmungsapparat
     mentalität inspirierter Theoretiker hat die-   (Augen und Sehvermögen) zumindest
     se Art von Disziplinierung als smartmen­       eine oberflächliche ganzheitliche Bewer-
     tality bezeichnet (Vanolo 2014).               tung dieser Person. Es ist beispielsweise
     Der Begriff Biomacht ist zweifellos hilf-      schwer vorzustellbar, dass man bei der
     reich, erhellt aber nur einen Ausschnitt       Betrachtung der Kleidung nicht auch zu-
     des Gesamtgeschehens. Wir stützen              gleich das Geschlecht wahrnimmt oder
     uns bei unserem Versuch, die «Smart            den Umstand, dass jemand hinkt, schnell
     City» zu ergründen, daher auf eine wei-        geht, groß oder klein ist. Hinzu kommen
     teren theoretischen Ansatz, der expli-         noch Hunderte anderer impliziter Infor-
     zit den Anspruch formuliert hat, über          mationen, die das Auftreten einer Person
     die Focault’sche Disziplinargesellschaft       vermitteln kann. Werden Menschen da-
     hinauszugehen, so wie Foucaults Mo-            gegen von Sensoren überwacht, dann
     dell bereits das Konzept der «Gesell-          werden aus Individuen «Dividuen»: Enti-
     schaften der Souveränität» hinter sich         täten, die jederzeit in eine beliebige An-
     gelassen hatte. Die Rede ist von Gilles        zahl von Teilaspekten aufgespalten wer-
     Deleuzes’ (1993) Theorie der «Kontrollge-      den können, wobei einzelne gesondert
     sellschaft». War das Symbol der souverä-       untersucht und überwacht werden. Was
     nen Macht Foucault zufolge das Schwert         eine Person tut, wird weniger wichtig als
     und das der Disziplinarmacht die Fabrik,       das, was eventuell nach der Auswertung
     dann spielen in der Kontrollgesellschaft       der von ihr ausgesandten Datenströme
passiert. So können die Metadaten eines      georäumliche Koordinaten. Das Cell-All-                          17
Telefonanrufs viel weitreichendere Fol-      Programm des US-amerikanischen Mi-
gen haben als das eigentliche Gespräch,      nisteriums für Innere Sicherheit ist in der
obwohl dies doch gewöhnlich als Sinn         Lage, «tödliche» Chemikalien zu iden-
und Zweck eines Telefonanrufs erachtet       tifizieren. Ein RFID-Lesegerät wieder-
wird.                                        um interessiert sich nur für den Chip in
Durch digitale Technologien wird das In-     meiner Geldbörse. Für die biometrische
dividuum atomisiert und in Datenströme       Türverriegelung zählen nur meine Finger-
aufgelöst, die dann in Prozessoren einge-    abdrücke oder meine Iris. Die Liste der
speist werden. Je mehr die direkte Steu-     Instrumente und Programme, mit de-
erung von materiellen Gegenständen wie       nen Menschen dividualisiert werden, ist
Türen, Zäunen und Autos um sich greift,      inzwischen recht lang. Es handelt sich
desto mehr verliert der kommunikative        hierbei um «synekdochische» Identitä-
Dialog, das Kennzeichen menschlicher         ten: Ein bestimmter Faktor (welcher, das
Interaktion, an Bedeutung. Diese Bezie-      hängt vom System ab) steht stellvertre-
hungen sind im Kern nicht mehr kom-          tend für das Ganze und wird zum Einzi-
munikativ, sondern strategisch, um eine      gen, was von Bedeutung ist.4
von Habermas (1987) eingeführte Unter-       Die vielen technischen Systeme, die die-
scheidung aufzugreifen. Es ist nicht län-    sen Prozessen zugrunde liegen und häu-
ger der «zwanglose Zwang des besseren        fig unserem Blick entzogen sind, lassen
Arguments», der Wirkung entfaltet, auch      sich nach Deleuze als «Rhizom» bezeich-
nicht gutes Zureden oder andere Über-        nen: Wie die Wurzeln und Triebe von
zeugungsmittel, sondern es ist allein die    sich schnell ausbreitenden und äußerst
Macht der Programme, die Manager und         robusten Pflanzen scheinen sie überall
Software-Entwickler meist zeitlich und       präsent zu sein. Rhizome sind Assem­
räumlich fernab der konkreten Umset-         blages von Begriffen, Beziehungen, Ma-
zung einzelner Programmregeln entwor-        terialien und Handlungen. Sie haben
fen haben (Habermas 2014: 316).              keine klaren Grenzen, sie sind fließend,
Weitere Beispiele: Software zur Ge-          immer aktiv, eine pulsierende Kraft, die
sichtserkennung erfasst neben dem Ge-        mit unterschiedlicher Intensität von ver-
sicht implizit die ganze Person, die damit   schiedenen Richtungen aus wirksam ist.
verbunden ist, und speist die diesbezüg-     Der vernetzte, «intelligente» technologi-
lichen Informationen in ein Netzwerk         sche Apparat der Stadt kann gleichzeitig
ein, unabhängig davon, ob dies von der       Chemikalien in der Atmosphäre regist-
Person gewollt ist oder nicht. Es gibt Ha-   rieren, sich im Raum bewegende Körper
ckerInnen, die behaupten, sie könnten        verfolgen, Gesichter von Menschen auf
mittlerweile anhand von Fotos Finger-        der Straße erkennen und diese überwa-
abdrücke identifizieren (Santus 2014),       chen, Polizeikräfte entsenden, um uner-
was für die Strafverfolgung ein gewalti-     wünschte Personen zu entfernen, den
ger Fortschritt wäre. Über den Einsatz       Straßenverkehr steuern und vieles mehr.
von Gesundheitsarmbändern und die            Selbst wenn man diesen sich heraus-
Sammlung und Auswertung körperspe-
zifischer Daten entstehen ganz neue Bil-     4 Synekdochisch bezieht sich auf eine rhetorische Figur, wobei
                                             ein Wort durch einen Begriff weiterer oder engerer Bedeutung
der des Selbst. Ortungsgeräte ermitteln      ersetzt wird (Anm. d. Ü.).
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