TAN RAMA - Ein Bild in vielen Farben: Integrierte Sozialplanung und kommunales Bildungsmanagement
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TAN RAMA Das Magazin der Transferagentur Nord-Ost 1 | 2020 Ein Bild in vielen Farben: Integrierte Sozialplanung und kommunales Bildungsmanagement
Editorial Wer an der Stellschraube „Bildung“ in der Gesellschaft drehen und Chancengerechtigkeit schaffen will, kommt nicht umhin, die Schnitt- mengen zu anderen gesellschaftlichen Faktoren wie sozialräumlichen Entwicklungen, sozialer Infrastruktur, individuellen Lebenslagen sowie gesundheitlicher Versorgung zu berücksichtigen: Es braucht eine fach- bereichsübergreifende, integrierte strategische Planung. Und das vor allem in Landkreisen und kreisfreien Städten, die – neben Bund und Ländern – u.a. als Trägerinnen von Kindergärten, Schulen und Jugend- hilfeeinrichtungen in erheblichem Maße für das regionale Bildungs- angebot Verantwortung tragen und z.B. durch Museen und Theater umfassende lebensortnahe kulturelle und non-formale Bildungser- fahrungen vermitteln. Diese aktuelle Ausgabe unseres Magazins „TANORAMA“ widmet sich daher fachübergreifenden Ansätzen der kommunalen Bildungspla- nung von ihrer theoretischen und vor allem auch praktischen Seite. Hierfür konnten wir – für Sie hoffentlich spannende – Expertinnen und Experten aus Forschung und Kommunen gewinnen, die Ihnen die Grundlagen einer fachbereichsübergreifenden Planung näherbringen und aus ihrem Arbeitsalltag in den Kommunen berichten. Und davon, wie durch die Integration verschiedener Fachbereiche neue Chancen zur Vernetzung und zum Austausch der kommunalen Akteure und zum Aufbau effektiver Angebots- und Versorgungsstrukturen vor Ort entstehen bzw. bereits entstanden sind. Sprechen Sie uns bei Fragen und Anregungen gerne an. Darauf freut sich Maja Hornberger Leiterin Transferagentur Nord-Ost 2 | TANORAMA
TANORAMA 1 | 2020 Inhalt 04 Integrierte Sozialplanung als Voraussetzung für Bildungsgerechtigkeit 07 Produktive (Un-)Ordnung: Soziale Räume in der kommunalen Planung 08 Integrierte Sozialplanung als Herausforderung in und zwischen Kreisen, Städten und Gemeinden 12 Interkommunale Zusammenarbeit in der Sozialplanung am Beispiel der Landeshauptstadt Schwerin und des Landkreises Ludwigslust-Parchim 14 „Fachübergreifende Planung braucht vor allem Kommunikation“ 18 Automatisierte Analysen der Integrierten Sozialplanung für kommunale Quartiersentwicklung 20 BOARD als Werkzeug der Integrierten Sozialplanung 21 Für zwischendurch: Suchrätsel zum datenbasierten kommunalen Bildungsmanagement 22 Blick in die Praxis - Berufsbilder im DKBM: Jugendhilfe- und Sozialplaner/-innen 24 Datenbasiertes Arbeiten in der Landeshauptstadt Schwerin 26 Integrierte Sozialplanung im Kreis Segeberg 28 Schneller, schlauer, digitaler: Business Intelligence Flensburg geht in die nächste Phase 30 Literaturtipps 31 Impressum TANORAMA | 3
INTEGRIERTE SOZIALPLANUNG ALS VORAUSSETZUNG FÜR BILDUNGSGERECHTIGKEIT VON PROF. DR. JÖRG FISCHER Einleitung sehr unterschiedlich sein kann. So nähert Eine Wahrnehmung aus der Praxis Bildungsgerechtigkeit ist kein ausschließlich sich zum Beispiel der philosophische Zugang Es ist eine immer wiederkehrende Situation: statischer Zustand, sondern vielmehr als ein normativ der Frage an, was vom moralischen Die bundesweit angelegten Studien zu unter- Prozess zu begreifen, in dem fortwährend Standpunkt aus gerecht sein könnte und was schiedlichen Lebensbedingungen und Bil- Fragen der Bildungszugänge, der Bildungs- demnach Gerechtigkeit erfordern würde. Da- dungschancen malen ein homogenes Bild. bedingungen, Bildungsabschlüsse und da- gegen präferiert der empirische Ansatz eher Trotz aller Fortschritte gibt es in Deutschland mit Bildungschancen generell so beantwortet die Frage, was in einer Gesellschaft tatsäch- manifeste Formen von sozialer Ungleichheit – werden sollen, dass sie den demokratischen lich als gerecht erlebt wird, welche Gerech- gerade auch im Bildungsbereich. Die meisten und sozialstaatlichen Grundprinzipien unse- tigkeitsvorstellungen die Menschen beein- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rer Gesellschaft entsprechen. Unter dem Be- flussen und wie sich diese auf ihr Verhalten sehen sich bei der Präsentation neuer Er- griff der Bildungsgerechtigkeit können nach auswirken. kenntnisse in ihren bereits vorliegenden Be- Bourdieu (1992) mit der Chancengerechtig- funden bestärkt. Die Fachkräfte fühlen sich keit, Chancengleichheit und Teilhabegleich- An dieser Stelle kann die notwendige Diskus- zum Weiterhandeln ermutigt und die Politik heit mindestens drei gängige Auslegungen sion um Bildungsgerechtigkeit nicht geführt nimmt viele Ideen auf, um Bildungsunge- von Gerechtigkeit subsumiert werden, die in werden. Doch lassen sich mit Blick auf das rechtigkeiten abzubauen. Gleichwohl ändert Fragen der Bildung gleichzeitig Verwendung Beitragsthema wichtige Ableitungen treffen, sich in der Realität nur wenig; die Unterschie- finden. Im konkreten Fall bedarf es jeweils die für die Planung von Bildung von höchster de in den Bildungschancen bleiben hartnä- einer Begründung, warum gerade diese spe- Bedeutung sind. Denn ohne Planung ist Bil- ckig bestehen. Nach wie vor zeigen sich auch zifische Auslegung von Gerechtigkeit zur An- dungsgerechtigkeit nicht denkbar und kann Widerstände und eigeninteressenbezogene wendung kommt – und nicht etwa ein an- demnach auch nicht erreicht werden. Was Befindlichkeiten. Erfolge stellen sich nur in deres weitergehendes oder kürzer gefasstes aber macht Planung zu einem unverzicht- Minimalgeschwindigkeit ein. Der beträcht- Gerechtigkeitsverständnis. baren Bestandteil, ja zu einer Bedingung im liche Aufwand und die geringen faktischen Streben nach Bildungsgerechtigkeit? Auf die- Veränderungen auf Bundesebene und im Hinzu kommt, dass die Herangehensweise se Frage soll nachfolgend knapp eingegangen Austausch mit den Bundesländern lassen zur Bestimmung von Bildungsgerechtigkeit werden. selbst Wohlmeinende unbefriedigt zurück. 4 | TANORAMA
Eine andere Beobachtung: Wenn Sozialraum- stark aufgeladene und kontroverse Feld der oder wenn ein eigener Handlungsauftrag und analysen und Strategien zur Armutspräventi- Bildung ist dafür ein Paradebeispiel. Gestaltungsspielraum negiert wird. on auf der lokalen Ebene von Stadtteilen, Ge- » Mittels kommunaler Planung lassen sich meinden und Sozialräumen in kommunalen stärkere lokale Bezüge bei häufig abstrakt Sozialplanung als Schlüssel zur Bildungsge- Ausschüssen vorgestellt werden, macht sich diskutierten Themen wie der Bildungsfrage rechtigkeit regelmäßig eine große Betroffenheit breit, herausarbeiten und somit auch eine indivi- Der Ansatzpunkt von Sozialplanung liegt etwa wenn die völlig unterschiedlichen Rück- duelle Betroffenheit herstellen, die für poli- in der Verwirklichung der kommunalen Da- stellungsquoten beim Übergang in die Schule tische Willensbildungsprozesse notwendig seinsvorsorge und begründet sich mit dem oder die Gymnasialquote in benachbarten ist. Anspruch, empirische Wissensbestände zum sozialen Räumen thematisiert werden. Es » Planung beeinflusst diese Willensbil- Ausgangspunkt fachlichen und politischen geht dann um die eigenen Kinder, das Pro- dungsprozesse im Gegensatz zu öffentli- Handelns zu machen. Gerade im Bereich der blem ist unmittelbar greifbar, die Auswirkun- chen Kampagnen einzelner Akteursgrup- Bildungspolitik stoßen sehr viele Perspekti- gen auf den eigenen Sozialraum sind spürbar pen nicht mit dem Ziel, eigene Interessen ven mit konträren Absichten aufeinander, die und die Verbindungen zu anderen Themen durchzusetzen. Vielmehr ist sie dem Ge- einer sachlichen Herangehensweise bedürfen offensichtlich. meinwohl verpflichtet und an eigene Qua- und nicht abhängig sein sollten von den lau- litätsstandards und fachliche Prinzipien testen Minderheitenpositionen, klassischem Dies ist der Punkt, an dem Sozialplanung sei- gebunden. Eigennutz, milieubedingten Befürchtungen ne Legitimation erfährt und Entscheidungs- » Integrierte Planung schwächt nicht – wie und ideologischen Widerständen. Sozialpla- tragenden klar wird, dass es im Streben nach häufig angenommen – die Fachplanung nung kann und sollte dazu beitragen, Zugän- Bildungsgerechtigkeit einer langfristigen, stra- etwa in der Jugendhilfe, sondern stärkt die- ge zu Bildung zu erleichtern und Bildungsge- tegischen, strukturell verankerten, kompetent se. Nur durch das Zusammentragen und rechtigkeit zu befördern. Mittels transparenter agierenden und gut ausgestatteten Planung Zusammendenken von Befunden der ein- und fundierter Methoden werden dabei Wis- bedarf, die in einer übergreifenden Sozialpla- zelnen Fachplanungen kann eine integrier- sensbestände geschaffen, die in einem fach- nung zusammengefasst wird. Daraus folgt, te Sozialplanung wirken. Gleichzeitig birgt lichen und politischen Aushandlungsprozess dass nicht die allgemeine Erkenntnis, son- der integrierte Ansatz die Möglichkeit, syn- münden können. dern die fachlich fundierte Verbindung von ergetisch einen Basissatz an Datenbestän- Wissensbeständen mit dem lokalen Lebens- den in abgestimmter Form zu erheben, der Es wurde bereits angesprochen, dass So- umfeld, dem eigenen Erfahrungszusammen- ansonsten von den Fachplanungen jeweils zialplanung dabei – im Gegensatz zu den hang und den aktuellen Herausforderungen einzeln erhoben werden müsste. meisten anderen Akteuren – den politischen vor Ort Betroffenheit erzeugt. Daraus entste- » Integrierte Planung schafft also von der Willensbildungsprozess mit fachlicher Exper- hen Räume für öffentliche Debatten, an die Zielentwicklung über die Bedarfsanalyse tise zu begleiten versucht und dabei auch an sich die Suche und Umsetzung von geeigne- und Angebots(fort)entwicklung bis hin zur fachliche Standards gebunden ist. Nur durch ten Lösungen anschließen kann. Genau das Evaluation eine gemeinsame Wahrneh- hohe Fachlichkeit und ein transparentes Vor- ist der Ansatz für Sozialplanung und genau mung der beteiligten Akteure. Diese erhöht gehen kann sich Sozialplanung die notwendi- darin liegt der Auftrag für ein möglichst integ- den Stellenwert von Planung allgemein, ge Akzeptanz und damit Legitimität verschaf- ratives Vorgehen begründet. vermag eher auf die Belange von Politik fen. Fürst (1995) hat diese Aufgaben in einer einzugehen und befördert das eingangs Funktionszuweisung schlüssig formuliert. Ableitungen für ein Verständnis von (integ- erwähnte Zusammendenken von Gefühls- Aus seiner Sicht obliegt die Sozialplanung auf rierter) Sozialplanung lagen und empirischen Wissensbeständen. kommunaler Ebene folgenden Funktionen: Aus dem Beispiel lassen sich folgende Ab- leitungen für eine integrative Sozialplanung Bei aller Sinnhaftigkeit sozialplanerischen » Frühwarnfunktion: Planung will rechtzei- herauslesen: und integrativ-sozialplanerischen Denkens: tig auf Probleme Einfluss nehmen, indem Oftmals geschieht es, dass Daten zuständig- sie auf Basis der ihr zur Verfügung stehen- » Angesichts ganzheitlich auftretender Be- keitsübergreifend zusammengelegt werden den Informationen bestehende Probleme darfe ist analog dazu eine systemisch ver- und die Befunde in der Wucht ihrer Aussage- wahrnimmt, definiert und dann versucht, schränkte Planung notwendig. Diese ver- kraft überraschen. Wenn es dann gelingt, die einen möglichen Problemlösungsraum mag über Zuständigkeiten hinaus Bedarfe Befunde nicht in der Schublade zu verges- vorzustrukturieren. und Angebote zusammenzufassen, um die sen, sondern diese zum Anlass zu nehmen, » Orientierungsfunktion: Planung verlängert operative Verinselung (vgl. Schubert 2008, um themenspezifisch und fachübergreifend die Zeitachse des Handelns in der Zukunft. S. 21) zu überwinden. die Ursachen und Auswirkungen zu deu- » Koordinationsfunktion: Planung will Kon- » Planung umfasst den zirkulär verlaufenden ten, ist der erste Schritt getan. Wenn daraus flikte frühzeitig ausräumen, indem sie Prozess von der Definition des Planungs- anschließend noch gemeinsame fachliche sachliche Interdependenzen und deren in- ziels über die räumliche Analyse, die Er- Handlungsschritte abgeleitet und in politi- teressenabhängige Bewertung aufzeigt. stellung von Programmen, Produkten und sche Entscheidungsprozesse überführt wer- » Moderationsfunktion: Planung will Vertei- Prozessen bis hin zur Evaluation und Be- den, ist es möglich, mehr Bildungsgerechtig- lungs- und Interessenkonflikte zwischen wertung (vgl. Böhmer 2015). keit zu erreichen. Sozialplanung ist somit kein Beteiligten und Betroffenen entschärfen » Planung kann Gefühlslagen und Themen technischer Vorgang, sondern mit bestimm- und diese zur Gestaltung gemeinwohl- mit einem hohen Ideologisierungsgrad ten Werten verbunden. Genau diese Werte orientierter, kooperativer Lernprozesse er- oder hoher Emotionalität versachlichen, in- müssen verteidigt werden, wenn bestimmte mutigen (Fürst 1995, S. 709). dem eine Debatte auf der Basis empirischer Themen etwa in der Verteilung knapper Res- Wissensbestände geführt wird. Ein solches sourcen oder aufgrund lautstarker Partikular- Genau mit diesem Funktionsverständnis Vorgehen kann auch zu einer höheren Lö- interessen im Interesse des Gemeinwohls ge- kann Sozialplanung Bildungsgerechtigkeit sungsfähigkeit beitragen. Das emotional rade nicht öffentlich diskutiert werden sollen ermöglichen und in diesem Prozess selbst- TANORAMA | 5
bewusst eine eigene Rolle einnehmen. Das Die große Aufgabe für eine Sozialplanung im Literatur konkretisierende, strategische, methodenge- Rahmen der Public Governance liegt nun- Böhmer, A. (2015): Konzepte der Sozial- leitete und klar am Gemeinwohl ausgerich- mehr darin, den spezifischen Auftrag im Rah- planung. Wiesbaden: Springer VS. tete Vorgehen, die fachliche Untersetzung men dieser Verortung zu finden, zu definie- und die Fokussierung auf den Prozess sind ren und fortzuentwickeln. Dies beinhaltet für Bourdieu, P. (1992): Die verborgenen wichtige Besonderheiten. In manchen beob- Planung eine ansteigende Steuerungs- und Mechanismen der Macht. Hamburg. achteten kommunalen Diskussionen um Bil- Koordinierungsfunktion im Umgang mit den Fürst, D. (1995): Planung. In: ARL, S. dung sind es sogar Alleinstellungsmerkmale, gesellschaftlichen Akteuren, indem Externe 708-711. mit denen sich Sozialplanung konstruktiv methodisch gut untersetzt eingebunden wer- und wohltuend vom Agieren anderer Akteure den und gleichzeitig die eigene fachliche und Lange, S./Schimank, U. (2004): Gover- unterscheidet. strukturelle Identität und Expertise sicherge- nance und gesellschaftliche Integration. stellt wird. Demnach bedeutet eine Planung In: Lange, S./Schimank, U. (Hrsg.): Sozialplanung in der Entwicklung zur Public unter Ansprüchen der Governance die Ko- Governance und gesellschaftliche Integ- Governance ordination und hierarchische Steuerung im ration. Wiesbaden: Springer, S. 9-46. Integrierte Sozialplanung entspringt einer Sinne einer Interdependenzbewältigung, also Schubert, H. (2008): Netzwerkkoopera- Verwaltungslogik, die sich als Teil der Gesell- im Wissen der gegenseitigen Abhängigkeit tion – Organisationen und Koordination schaft versteht – und sich weniger aus sich der Akteure Gleichzeitig beruht sie auf insti- von professionellen Vernetzungen. In: heraus mit hoher Selbstfokussierung betrach- tutionalisierten Regelsystemen, die das Han- ders. (Hrsg.): Netzwerkmanagement. tet. Im Rahmen des vormals dominierenden deln der involvierten Akteure lenken. Dabei Koordination von professionellen Ver- Public Managements lag der Fokus auf einer können üblicherweise verschiedene Regel- netzungen – Grundlagen und Praxis- Optimierung des Verwaltungshandelns im systeme (Hierarchie, Polyarchie, Netzwerk, beispiele. Wiesbaden: VS Verlag für Rahmen wirtschaftlicher Dimensionen und Gemeinschaft, Markt und weitere Formen der Sozialwissenschaften, S. 7-105. damit war der Blickwinkel auf sich selbst vor- Beobachtung, Beeinflussung oder Verhand- Schubert, H. (2018): Netzwerkmanage- herrschend. Inzwischen ist eine Öffnung nach lung) kombiniert werden. Dieser Ansatz birgt ment in Kommune und Sozialwirtschaft. außen, eine Hinwendung zur gesellschaftli- somit Chancen und ist zugleich mit Heraus- Eine Einführung. Wiesbaden: Springer chen Umwelt feststellbar. Die Logik des Pu- forderungen verbunden, wenn er erfolgreich VS. blic Managements mit einem Menschenbild umgesetzt werden soll. des rational, egoistisch und autonom han- delnden Homo Oeconomicus befindet sich Gelingende integrierte Sozialplanung als Teil Zugang zu begreifen und die Vorteile integ- in einer schleichenden Ablösung durch eine von Bürgerorientierung rierter Sozialplanung zu nutzen. Dabei wird Governancelogik mit einem stärkeren Blick Innerhalb des kommunalen Handelns sind nicht nur innerhalb von professioneller Ver- auf das Individuum, dessen Entscheidungen mannigfaltige Überlegungen und Strategien waltung und lokaler Politik nach Lösungen von seiner sozialen Einbettung abhängig sind zur Weiterentwicklung des Planungsgedan- gesucht, sondern die gesellschaftlichen Res- (Schubert 2018, S. 11). Damit ist kein Aus- kens vorhanden. Die Modernisierungsbemü- sourcen – das Engagement der Bürgerinnen schließlichkeitsanspruch verbunden, sondern hungen sind in der Regel von der Einsicht und Bürger – werden vernetzt eingebunden. vielmehr eine Tendenz in der Blickrichtung geprägt, dass eine Veränderung der Pla- enthalten, die aber dennoch das Selbstver- nungspraxis nicht nur eine Fortentwicklung Die zentrale Herausforderung besteht darin, ständnis von Verwaltung im Kern berührt. von technischen Verfahren darstellt und sich die Fähigkeit auszubilden, lokale Erfolgsfak- auch nicht darin erschöpft, in der kommu- toren zu identifizieren, örtlich gebundenes Sozialplanung und gerade eine integrierte So- nalen Verwaltung einzelne neue Instrumente Wissen und spezifische Erfahrungen in die zialplanung sind davon unmittelbar betroffen einzuführen. Vielmehr zeigen sich im ange- eigene Kommune zu transferieren sowie den und werden in den Kommunen häufig zu wandten integrativen und strategischen Pla- jeweiligen kulturellen Kontext bei der Einbin- einem Motor im Übergang zu einem anderen nungshandeln Konsequenzen für das Wirken dung von Bürgerinnen und Bürgern zu be- Selbstverständnis von Verwaltung. Gover- von Verwaltung und Politik, es wird aber auch rücksichtigen und ein räumlich angepasstes nance umfasst in diesem Verständnis hete- generell ein anderes Verhältnis zu den Bürge- Verständnis von Bildungsgerechtigkeit zu rogene gesellschaftliche Koordinations- und rinnen und Bürgern sichtbar. Allerdings kann entwickeln. Eine integrierte Sozialplanung Steuerungskonstellationen und verweist zu- nicht vorausgesetzt werden, dass diese Kon- kann hierbei ein wirksames Instrument zur nächst ganz allgemein auf Muster der Inter- sequenzen flächendeckend Teil eines umfas- umfassenden Modernisierung kommunalen dependenzbewältigung zwischen Akteuren senden, a priori ganzheitlichen konzeptionel- Handelns darstellen und dabei helfen, neue (Lange/Schimank 2004, S. 18). Das Wissen len Handelns darstellen und in ihrer Wirkung Wege im Streben nach Bildungsgerechtigkeit um die gegenseitige Abhängigkeit in der Er- von vornherein intendiert sind. zu gehen. reichung eigener Ziele und die Nutzung ver- schiedener Handlungsrelationen jenseits des Dennoch lassen sich viele Kommunen an- hierarchischen Bestimmens ist demzufolge gesichts nicht zu übersehender Verände- für Planung im Rahmen von Governance ent- rungsbedarfe in der Wahrnehmung und Be- scheidend. Der Schwerpunkt von Governance arbeitung von kommunalen Aufgaben wie als neuer Steuerungslogik beruht daher vor der Bildungspolitik bewusst auf eine Verän- allem auf Prozessen der Abstimmung und derung ein, die nicht nur operativ angelegt Prof. Dr. Jörg Fischer ist Professor für Koordination verschiedener Akteure sowie der ist, sondern eine strategische Tiefe umfasst. Bildungs- und Erziehungskonzepte an der Einsicht, dass öffentliche Verwaltung ihre Zie- In einem evolutionären Prozess gelingt es Fakultät für Angewandte Sozialwissen- le nur erreichen kann, wenn sie ihr Handeln in diesen Kommunen, bei der Suche nach Ant- schaften der Fachhochschule Erfurt und den gesellschaftlichen Kontext einbettet und worten zur Sicherstellung der kommunalen Leiter des dortigen Instituts für kommunale mit gesellschaftlichen Ressourcen verknüpft. Daseinsvorsorge Planung als einen zentralen Planung und Entwicklung (IKPE). 6 | TANORAMA
PRODUKTIVE (UN-)ORDNUNG: SOZIALE RÄUME IN DER KOMMUNALEN PLANUNG VON ROBERT RÖMER, M.A. Als der Autor mit Freude zusagte, einen es sich im Blick auf den kommunalen Raum Literatur kurzen Beitrag über den Begriff des „Sozial- um etwas sozial Hergestelltes und nicht etwa Bengesser, Andreas (2019): Sozial- raums“ zu verfassen, wähnte er sich noch um etwas natürlich Gegebenes zu handeln monitoring – ein steuerungsrelevantes in dem Glauben, dass es ein nervenscho- scheint (Schroer 2019). Instrument als Basis für die SRO-Pla- nendes Unterfangen werden würde. Wenig nung. In: Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang später fand er sich inmitten einer seit vielen Hinzu kommt: unabhängig von den adminis- (Hrsg): Sozialraumorientierung. Ein Jahren andauernden, auf unzähligen „histo- trativen, historisch gewachsenen, geografi- Studienbuch zu fachlichen, institutio- rischen“ und aktuellen Artikeln, Monografien schen Raumgrenzen, finden vor Ort (soziale) nellen und finanziellen Aspekten. Wien: und Handbüchern fußenden Fachdebatte Interaktionen zwischen Menschen statt. Die- Facultas. wieder, deren Ende bis zum heutigen Tage se Interaktionen bringen, ebenso wie raum- Einstein, Albert (1960): Vorwort von noch nicht abzusehen ist. Spätestens seit Al- bezogene Aneignungsprozesse durch die Be- Albert Einstein. In: Jammer, Max: Das bert Einstein ringen Physiker, Mathematiker, völkerung, eigene Grenzziehungen und damit Problem des Raumes. Die Entwicklung Soziologen, Stadtplaner, Ökonomen, Sozial- weitere soziale Räume hervor. Sie verleihen der Raumtheorien. Darmstadt: Wissen- pädagogen und Gesundheitswissenschaftler aus Perspektive der Kommunalverwaltung schaftliche Buchgesellschaft. (und wahrscheinlich noch zahlreiche weitere den administrativ definierten Räumen ihr Schroer, Markus (2019): Räume der Angehörige akademischer und fachprakti- „typisches Gesicht“. Gesellschaft. Soziologische Studien. scher Disziplinen jedweder Couleur) um die Wiesbaden: Springer VS. terminologische Deutungshoheit des Raum- Nicht selten ist die Beschreibung kommuna- begriffs. Obwohl sich die Positionen bis- ler Sozialräume daher einerseits stark an die weilen diametral gegenüberstehen, ist die in ihnen befindlichen strukturellen Elemen- rausforderungen: Raumgrenzen müssen Debatte im Kern auf eine wesentliche Kon- te gekoppelt: Stehen ausreichend nutzbare Fachbereichs- und Ämterübergreifend abge- troverse zurückzuführen: „Ist der Raum Be- Schulgebäude für Grund- und Regelschulen stimmt werden, Daten müssen in einer ho- hälter aller körperlichen Objekte, oder ist er zur Verfügung? Sind die Kapazitäten in der hen Qualität vorliegen und entsprechend der die Lagerungsqualität der körperlichen Ob- Kindertagesbetreuung hinreichend bemes- Raumgrenzen erhoben worden sein. Kurzum: jekte?“ (Einstein 1960) Im ersten Falle im- sen? Ermöglicht die bauliche Struktur ein hier sollen mehrdimensionale gesellschaft- pliziert die Vorstellung des Raumes eine den barrierefreies Fortkommen im Alltag? Ist die liche Prozesse räumlich abgebildet werden, in ihm befindlichen Dingen übergeordnete, Anbindung an den ÖPNV gewährleistet? die sich üblicherweise einer direkten Mes- (vor)strukturierte Realität. Im zweiten Falle Stehen genügend Versorgungsmöglichkeiten sung entziehen. Es bedarf daher der Konst- ist ein Raum ohne seine spezifischen Inhalte und Erholungsflächen bereit? Andererseits ruktion von Indikatoren und eines generellen gar nicht zu denken. Was zunächst wie eine besteht weitgehend Einigkeit darin, dass (so- Konsenses, mithilfe welcher Daten soziale wissenschaftlich-abstrakte Formulierung zialräumliche) Lebenslagen der Bevölkerung Lagen räumlich abgebildet werden sollen des „Henne-Ei-Problems“ klingt, ist in der anhand von Daten zu Alter, Geschlecht, Fa- (Bengesser 2019, 50). Mehr noch: Es bedarf Praxis der integriert angelegten, kommuna- milienzusammensetzung, Einkommen, Bil- einer gezielten Erhebung von Daten jenseits len (Sozial-)Planung folgenreich. dungsstand sowie nationaler Zugehörigkeit pragmatischer (zufälliger) Verfügbarkeit. Die- zwar nicht abschließend bestimmt, jedoch se Herausforderung kann und sollte dazu Die Wahl einer den Planungszwecken ange- zumindest treffend charakterisiert werden genutzt werden, in einen gemeinsamen, pro- messenen, raumbezogenen Beobachtungs- können. Kommunale Planung greift bei der duktiven Austausch mit kommunalen Fach- perspektive kann einiges an Kopfzerbrechen Raumbestimmung somit auf beide Raum- akteuren unterschiedlicher Disziplinen und bereiten. Allein die statistische Unterschei- vorstellungen zurück. Einerseits werden Verwaltungsstrukturen zu treten. Eine Ver- dung kommunaler Räume sorgt im Alltag der Räume anhand von Objekten aus ihrer phy- ständigung über Raumvorstellungen kann Verwaltung für Unordnung: Schuleinzugs- sisch-materiellen Umwelt geografisch lokali- letztlich auch dabei helfen, Raumgrenzen bezirke, Planungsräume der Jugendhilfe, siert (z.B. entlang von Straßenzügen, Plätzen innerhalb der Verwaltung zu verschieben und Stadtteile in der Quartiersentwicklung – sel- und/oder Gemeindegrenzen), anderseits den „administrativen Blick“ zu schärfen. ten liegen diese geografisch betrachtet auf- wird versucht, unter Zuhilfenahme von In- einander. Gemeinsam ist ihnen oftmals nur, dikatoren die soziale Lage der Bevölkerung dass sie, wie alle Räume, das Ergebnis einer innerhalb dieser Raumgrenzen zu umreißen Grenzziehung sind und diese Konstruktionen und Grenzen auf Basis charakteristischer Robert Römer ist wissenschaftlicher Mit- bisweilen mehr über die Gruppe derjenigen Unterschiede zu definieren. arbeiter an der Fachhochschule in Erfurt aussagen, die sie vornehmen, als über die und Mitgründer von SOFOKLES. Er berät Bevölkerung, welche sich in diesen geogra- Im Blick auf die Beschreibung sozialer Räu- kommunale Akteure aus dem Bildungs- und fisch definierten Räumen überwiegend auf- me in der kommunalen Planungspraxis Sozialbereich zu Themen der Netzwerkarbeit hält. Daran lässt sich bereits ablesen, dass ergibt sich daraus eine ganze Reihe an He- und (Sozial-)Planung: www.sofokles.org TANORAMA | 7
INTEGRIERTE SOZIALPLANUNG ALS HERAUSFORDERUNG IN UND ZWISCHEN KREISEN, STÄDTEN UND GEMEINDEN VON PROF. DR. HOLGER WUNDERLICH Unsere Gesellschaft wird immer komplexer nung auf und soll dazu beitragen, das sozial- Im Folgenden werden drei Ebenen von So- und dynamischer. Die damit verbundenen planerische Rollenverständnis zu reflektieren zialplanung unterschieden (vgl. Wunderlich Veränderungen zeigen sich trotz Globali- und sich der eigenen Stärke(n) bewusst zu 2019): sierung und Digitalisierung zu einem großen werden. Aus einer wirkungsorientierten Pers- Teil im direkten Wohnumfeld oder zumin- pektive gilt es auch den Blick auf interkom- 1. Handlungsfeldorientierte Sozialplanung, dest innerhalb der Städte bzw. Gemeinden. munale Kooperationen in der Sozialplanung die sich an den einzelnen Fachplanungen Die Bedeutung kommunaler Bezüge bei der zu lenken, denn die angesprochenen Heraus- und Fachpolitiken orientiert Bearbeitung dieser Folgen steigt daher und forderungen orientieren sich nicht an kom- 2. Strategisch-integrative Sozialplanung, die ein zentraler Akteur in diesem Kontext ist die munalen Grenzen. Für eine Sozialplanung, erstens als integrative Klammer der einzel- kommunale Sozialplanung. die sich explizit als Steuerungsunterstützung nen handlungsfeldorientierten Sozialpla- von Politik und Verwaltungsspitze versteht, nungszugänge verstanden werden kann Aufgrund der Interdependenz der Herausfor- gilt es zudem die strategische Rolle von So- und die zweitens das Scharnier darstellt zur derungen ist es folgerichtig, dass immer stär- zialplanung zu diskutieren. Beiden Aspekten dritten Planungsebene ker über integrierte Sozialplanung diskutiert wird daher im vorliegenden Beitrag besonde- 3. Integrative kommunale Entwicklungspla- wird. Hier zeigt sich eine weitere Professio- re Beachtung geschenkt. nung, welche sich auf die Stadt-/Gemein- nalisierung der Sozialplanung. Eine Heraus- de-/Kreisentwicklung bezieht (vgl. unten forderung dabei scheint das mitunter sehr Ebenen und Phasen von (integrierter) Sozial- Abbildung 1) unterschiedliche Verständnis von Ebenen, planung Funktionen und Aufgaben von Sozialplanung Den Begriff „Soziale Planung“ bezeichne- Zwar muss auch die handlungsfeldorientierte zu sein. Dies ist problematisch, da es den te Nimmermann (1971: 85) schon vor einem Sozialplanung strategisch ausgerichtet und konzeptionell-methodischen Fachdiskurs er- halben Jahrhundert als „schillernd und viel- integrativ angelegt sein, allerdings bezieht schwert und in der Praxis zu Enttäuschungen deutig“, der viele Interpretationen ermögliche. sich eine so verstandene Sozialplanung pri- führen kann. Der vorliegende Text zeigt aus- „Die Reichweite des Begriffs geht von der Ko- mär auf die Planung in den einzelnen Hand- gehend von unterschiedlichen Ebenen von ordination sozialer Dienste bis hin zu allum- lungsfeldern wie der Jugendhilfeplanung, der Sozialplanung Herausforderungen, Dilemma- fassender Gesellschaftsplanung“ (ebd.). Gesundheitsplanung etc. Eine strategisch-in- ta und Chancen einer integrierten Sozialpla- tegrative Sozialplanung hingegen bezieht die Abbildung 1: Ebenen Integrative Kommunale Entwicklungsplanung und Funktionen von Scharnierfunktion Sozialplanung Quelle: Wunderlich Handlungsfeld- Handlungsfeld- 2019, 96 Orientierte Orientierte Sozialplanung(en) Planungs- Sozialplanung(en) anlass Evaluation Bestands- Klammerfunktion Klammerfunktion erhebung Maß- Integrative nahmen- durch- Sozial- führung Planung Bedarfs- ermittlung Maßnahmen- Ziel- planung entwicklung 8 | TANORAMA
einzelnen handlungsfeldorientierten Fach- Planungswissen planungsprozesse aufeinander. Dies ist von Erkenntnis- großer Bedeutung, da viele Themen in der dilemma Überblickswissen Sozialplanung Querschnittsthemen sind und 1 mehrere Politik- und Handlungsfelder berüh- ren. Eine die einzelnen handlungsfeldorien- tierten Planungen koordinierende Planungs- Informations- Diskurs- Netzwerk- Kooperations- aufgabe aufgabe aufgabe 3 aufgabe instanz scheint daher dringend notwendig. Zudem kann eine solche strategisch-integra- Umsetzungs- tive Sozialplanung soziale Themen und Inter- Zielformulierung dilemma essen im Kontext einer übergreifenden integ- Diskurs- 2 rativen kommunalen Planung vertreten. dilemma Maßnahmenplanung/-umsetzung Die Klärung der unterschiedlichen Ebenen ist mit Blick auf ein einheitliches Verständnis in Zu überlegen ist vor diesem Hintergrund, ob den Kommunen wichtig, aber auch mit Blick Abbildung 2: Aufgaben und Dilem- es insbesondere für Sozialberichterstattungs- auf die Identifikation von Herausforderungen, mata im Prozess integrativer Sozial- aktivitäten außerhalb von kreisfreien Städten die im Zuge einer integrierten Sozialplanung planung alternative Formen von Sozialberichterstat- auftreten können. Sozialplanung im hier skiz- Quelle: eigene Abbildung Wunderlich tung zu entwickeln gilt. Empirisch beleg- und zierten Sinne soll erstens Informationen be- begründbare Anknüpfungspunkte für sozial- reitstellen, zweitens auf dieser Basis Diskurse politisches Handeln im Sinne der traditionel- anstoßen, drittens auf vernetztes Handeln und sich ggf. widersprechenden (politischen) len Sozialberichterstattung sind unerlässlich, hinwirken und viertens konkrete Koopera- Interessen stehen einer gelingenden integ- aber es sollte geprüft werden, ob es ausge- tionen initiieren (vgl. ausführlicher Wunder- rierten Sozialplanung nicht selten diametral hend von (belegbarem) Theorie-, Praxis- und lich 2019). Ausgehend von dieser Logik lassen entgegen. Wahrscheinlich ist hier sogar die Erfahrungswissen auch andere Formen von sich verschiedene Dilemmata identifizieren, zentrale Herausforderung für integrierte So- kommunaler Sozialberichterstattung geben die bei der Umsetzung integrierter Sozialpla- zialplanung zu sehen. Bezogen auf interkom- kann. Ein Anknüpfungspunkt könnte dabei nung eine Rolle spielen können (vgl. rechts munale Kooperationen in der Sozialplanung beispielsweise die stärkere Berücksichtigung Abbildung 2). ist in diesem Zusammenhang zu denken an von Umgangswissen der Sozialen Arbeit sein politisch häufig komplizierte Konstellationen (vgl. Böhnisch 2018: 129). Das Erkenntnisdilemma zwischen (Nachbar-)Kommunen bzw. zwi- Entgegen der häufig aufgestellten These, schen Kreisen und ihren kreisangehörigen Das Diskursdilemma dass es kein Erkenntnis-, sondern ein Um- Städten und Gemeinden. Sozialplanerische Diskurse haben in der Pra- setzungsproblem gibt, wird hier eine andere xis nicht selten den Charakter von Betroffen- These vertreten. Wir haben ein Erkenntnispro- Weitere Auffälligkeiten mit Blick auf viele So- heits- und Selbstvergewisserungsdiskursen! blem! Zwar liegt entlang politischer und ad- zialberichterstattungsaktivitäten sind zum Fertige Sozialberichte werden im Rahmen ministrativer Zuständigkeiten eine Fülle von Beispiel die engführende Dominanz quanti- großer Tagungen oder in Arbeitsgruppen vor- relevanten Informationen über die Lebens- tativer Daten und die unzureichende Reflekti- gestellt und mit der Erwartung verknüpft, situation der Menschen vor Ort vor, allerdings on über einen thematisch adäquaten Raum- jetzt möge man sich doch auf Maßnahmen werden diese isolierten Wissensbestände bezug (vgl. Wunderlich 2020). Unabhängig verständigen und „zur Tat schreiten“. Häufig (aus unterschiedlichen Gründen) nach wie vor von der notwendigen Differenzierung zwi- bleibt es dann aufgrund mangelnder Verstän- zu selten aufeinander bezogen. Zusammen- schen Sozialräumlichkeit und Kleinräumigkeit digung, fehlender Ressourcen, Zuständig- hangswissen ist aufgrund des Querschnitts- gilt es mit Blick auf eine wirkungsorientierte keitsgerangel etc. bei (durchaus gut gemein- charakters sozialer Themen jedoch unerläss- Sozialplanung beispielsweise auf eine inter- ten) Absichtserklärungen. lich. Verstärkt wird dieses Defizit dadurch, kommunale Sozialplanung hinzuwirken (So- dass auf der strategischen Ebene Überblicks- zialraumstrukturen halten sich nicht an die Mitunter entsteht sogar der Eindruck, dass die wissen für politische Entscheidungen und auf kommunale Gebietskörperschaftsgrenzen) Sensibilisierungsfunktion von bestimmten der operativen Ebene detailliertes Planungs- und bei der Sozialberichterstattung von Krei- Akteuren als ausreichend empfunden und wissen benötigt wird. Sozialberichterstattung sen eine Bezugsgröße zu wählen, die sowohl ein ernstgemeinter Diskurs über Ableitungen muss diese divergierenden Verwendungszu- für den Kreis als auch die Gemeinden sinn- gar nicht stattfinden soll. Unter Umständen sammenhänge berücksichtigen. voll ist. auch, weil Ableitungen in der Regel Kompro- misse bedeuten, Geld kosten und hinsichtlich Mit Blick auf die Sozialberichterstattung muss Bezüglich der Themen wird häufig nur auf der Umsetzungszuständigkeit nicht im Vagen zudem konstatiert werden, dass die Datenla- Probleme fokussiert und vorhandene Res- bleiben dürfen und damit überprüfbar sind. ge für eine integrierte Sozialberichterstattung sourcen bleiben unberücksichtigt, was für häufig nicht gegeben ist, weil die Daten nicht eine umsetzungsorientierte Sozialplanung Andererseits enthalten Sozialberichte ge- zur Verfügung stehen oder nicht zur Verfügung zu einseitig ist. Zudem orientiert sich die legentlich bereits differenzierte Handlungs- gestellt werden (selbst innerhalb von Verwal- Sozialberichterstattung auch in den Kreisen empfehlungen, die im Prozess der Berich- tungen werden Daten aus diversen Gründen und kleinen Kommunen in der Regel an den terstellung nicht mit den für die Umsetzung nicht immer von den datenhaltenden Stellen Themen kreisfreier Städte, womit die Beson- einzubindenden (örtlichen) Akteuren disku- weitergeben). Die arbeitsteilig-hierarchische derheiten dieser Gebietskörperschaftstypen tiert wurden. Trotzdem wird dann erwartet, Organisation von Verwaltungen und die da- bzw. des ländlichen Raumes unberücksich- dass diese sich den Empfehlungen anschlie- mit einhergehenden Machtkonstellationen tigt bleiben oder nur partiell zu erfassen sind. ßen. TANORAMA | 9
Die Entkoppelung von Sozialberichterstat- kommunale Zusammenhängen übertragbar. ist die partizipativ-diskursive Entwicklung tung und Handlungsebene ist problematisch, Interkommunale Zusammenarbeit im Be- von Zielen und die konsequente Ausrichtung wenn keine Verständigung über die Befunde reich der Sozialplanung ist erfahrungsgemäß an diesen Zielen auf der Maßnahmenebene. der Sozialberichterstattung erfolgt und keine ungleich schwieriger, wenn die politische Ver- Die zentrale Aufgabe in diesem Zusammen- gemeinsamen Zielsetzungen formuliert wer- ortung der kommunalen Spitzen eine unter- hang ist es, die häufig in Form von (explizi- den. schiedliche ist bzw. die politischen Mehrhei- ten oder impliziten) Leitbildern existierenden ten sich in den beteiligten Kommunen bzw. abstrakten Zielsetzungen mit den Ergebnis- Finden ernstgemeinte Diskurse statt, so sind zwischen dem Kreis auf der einen Seite und sen der Sozialberichterstattung über Mittler- diese hinsichtlich der Beteiligten mitunter den kreisangehörigen Städten und Gemein- und Handlungsziele zu verbinden (vgl. Lober- recht selektiv und exkludieren weite Teile den auf der anderen Seite unterscheiden. Be- meier/Wunderlich 2020). der (professionellen) Akteure. Auch die Be- züglich der Themen gilt es zu berücksichtigen, teiligung von bzw. der Diskurs mit den Bür- dass (unabhängig von unterschiedlichen Pla- Mit Blick auf das Umsetzungsdilemma sei an gerinnen und Bürgern ist häufig „simulierte“ nungskulturen und politischen Ausrichtun- dieser Stelle auf das Kohäsionsdilemma, das Beteiligung. Wohlwissend, dass Beteiligung gen) manche Zuständigkeiten beim Kreis und Dilemma der verhandlungsbasierten Koope- schwierig ist, darf dies kein Argument dafür andere bei den kreisangehörigen Städten und rationsbildung und das Dilemma der Vertrau- sein, sich dem Schicksalsspruch „Es betei- Gemeinden verortet sind und damit auch ensbildung verwiesen (vgl. Duschek/Wetzel/ ligten sich immer dieselben und dann meist unterschiedliche Zugriffe auf Ressourcen und Aderhold 2005: 155). Zu Gunsten des Fokus die, um die es uns gar nicht geht“ zu ergeben. Finanzen berücksichtigt werden müssen. Mit auf die strategische Ebene von Sozialplanung Ohne Diskurse und ohne ernst gemeinte Be- Blick auf das Thema Vernetzung muss be- wird an dieser Stelle darauf nicht weiter ein- teiligung kann es sich aus wirkungsorientier- rücksichtigt werden, dass es ggf. weniger bzw. gegangen und stattdessen die (mögliche) ter Perspektive nur um „Sozialplanung light“ räumlich distanzierter verortete Akteure gibt Rolle strategischer Sozialplanung in der So- handeln. und dies Vernetzung erschwert. Diskursive zialpolitik vor Ort skizziert. Elemente müssen hier anders als beispiels- In Landkreisen und zwischen Kommunen weise in kreisfreien Städten gestaltet werden. Welche Rolle kann eine strategisch-integrati- ist das Diskursdilemma noch einmal größer, Und dies gilt nicht nur mit Blick auf die pro- ve Sozialplanung in der Sozialpolitik spielen? denn die häufig vorbehaltlose Orientierung fessionellen Akteure, sondern auch bezogen Wird strategisch-integrative Sozialplanung an betriebswirtschaftlichen Steuerungslogi- auf die Bürgerinnen und Bürger. als Klammer zwischen den einzelnen Fach- ken ist nicht nur für kreisfreie Städte kritisch planungen und als Scharnier zur übergreifen- zu sehen. Aufgrund der in der Regel kom- Viele der vorab skizzierten Herausforderun- den kommunalen Planung verstanden (siehe plexeren politischen Konstellationen ist dies gen lassen sich durch eine wirkungsorientierte oben), so kann sie eine wichtige Rolle dabei noch einmal weniger auf Kreise und inter- Sozialplanung angehen. Entscheidend hierfür spielen, dass sozialpolitische Probleme auf 10 | TANORAMA
die kommunalpolitische Agenda gelangen Allerdings, und das weist in Richtung einer Literatur und letztlich politische Entscheidungen ge- günstigen Problemstruktur, können sie eine Böhnisch, Lothar (2018): Die Verteidi- troffen werden. Politikwissenschaftlich sind große symbolische Bedeutung haben. Hin- gung des Sozialen. Ermutigungen für dafür drei Voraussetzungen relevant, wobei sichtlich ihrer Attraktivität scheinen soziale die Soziale Arbeit, Beltz Juventa. die Sozialplanung eine jeweils spezifische Themen für Politiker damit einen ambiva- Rolle spielen kann: lenten Charakter zu haben. Die stadtgesell- Duschek, Sigrid/Wetzel, Ralf/ schaftliche Relevanz bestimmter Themen Aderhold, Jens (2005): Probleme mit 1. Eine Bedingung dafür, dass ein sozia- herauszuarbeiten und damit für Politiker dem Netzwerk und Probleme mit dem les Problem bearbeitet wird bzw. auf die „attraktiv“ zu machen, kann auch Aufgabe Management. Ein neu justierter Blick auf relevante Dilemmata und auf Konse- Agenda kommt, ist die Definition und Ar- der Sozialplanung sein. quenzen der Steuerung. In: Aderhold, J./ tikulation dieses Problems (Jann/Wegrich Meyer, M./Wetzel, R. (Hg.): Modernes 2009: 85). Schneider/Janning (2006: 51) Das Zusammentreffen der drei Ströme öffnet Netzwerkmanagement. führen hierzu an, dass die Abweichung ei- Politikfenster für politische Entscheidungen nes Ist-Zustandes von einer sozialen Norm, (Kingdon 1995: 197ff.). Das Agenda-Setting Jann, Werner/Wegrich, Kai (2009): einem Erwartungsniveau oder einer techni- ist dabei in einem hohen Maße situativ: Nicht Phasenmodelle und Politikprozesse: Der schen Notwendigkeit erst dann zum sozia- jedes Problem mit einem (hohen) Hand- Policy-Cycle. In: Schubert, Klaus/Ban- delow, Nils C. (Hg.): Lehrbuch der Politik- len Problem wird, wenn sie sich auf die Le- lungsdruck und günstiger Problemstruktur feldanalyse 2.0. München: Oldenbourg, benschancen von Menschen auswirkt, von gelangt auf die politische Agenda und nicht S. 75–113. diesen wahrgenommen und als Problem jedes Problem, mit dem sich Politik befasst, definiert wird. Eine zweite Voraussetzung hat einen hohen Handlungsdruck. Sozial- Kingdon, John W. (1995): Agendas, dafür, dass ein Problem Handlungsdruck planung kann mithelfen, dass Probleme mit Alternatives, and Public Policies. New erzeugt, ist die gesellschaftliche Akzeptanz einer ungünstigen Problemstruktur sichtbar, York: Longman. dieses Problems. Kingdon (1995: 197ff.) diskutiert und politisch verhandelbar werden Lobermeier, Olaf/Wunderlich, Holger spricht bezogen auf den durch soziale (Wunderlich 2019). (2020): Tagungsdokumentation der Probleme entstehenden Handlungsdruck Tagung „Wirkungsorientierte Prävention vom problem stream. Die Rolle kommu- Fazit und Plädoyer im Sozialraum“ am 29.11.2019 (im Er- naler Sozialplanung ist es, problematische Das strategische Potenzial einer integrierten scheinen) Strukturen und Missstände aufzudecken Sozialplanung, so der Ausgangspunkt des Nimmermann, Peter (1971): Sozial- und für die individuellen und gesellschaft- vorliegenden Beitrags, wird bisher nicht aus- planung in den USA, In: Müller, Carl lichen Implikationen zu sensibilisieren. geschöpft. Unter der Voraussetzung politi- Wolfgang/Nimmermann, Peter (1971): scher Akzeptanz und mit der Rückendeckung Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit, 2. Die zweite Voraussetzung dafür, dass ein der Verwaltungsspitze kann Sozialplanung Juventa. Problem bearbeitet werden kann, ist das nicht nur eine wichtige Planungsfunktion für grundsätzliche Vorliegen von Lösungs- einzelne Handlungs- und Politikfelder ha- Schneider, Volker/Janning, Frank möglichkeiten. Diese entstehen häufig ben, sondern als strategisch-integrative So- (2006): Politikfeldanalyse. Akteure, Dis- ohne akuten Problembezug bzw. ohne zialplanung auch eine wichtige Funktion im kurse und Netzwerke in der öffentlichen Politik. Wiesbaden: VS-Verlag. konkreten (politischen) Auftrag und kön- Rahmen nachhaltiger Stadt-/Gemeinde-/ nen bei Bedarf aus der Schublade geholt Kreisentwicklung erfüllen. Sie soll diese dabei Wunderlich, Holger (2019): Kommunale werden. Kingdon (ebd.) bezeichnet diesen ebenso wenig ersetzen, wie die differenzierte Sozialpolitik, strategische Sozialplanung Strom als policy stream. Bestandteil der Planung in den zuständigen Fachämtern. und politisches Agenda-Setting, In: wirkungsorientierten Sozialplanung kann Kolhoff, L. (Hg.): Aktuelle Diskurse der und sollte es sein, solches (Problem-) Die Herausforderungen der Sozialplanung Sozialwirtschaft II, S. 77-120, Reihe „Per- Lösungswissen zu generieren, zu syste- sind groß und werden noch einmal größer, spektiven Sozialwirtschaft und Sozial- management, Springer VS. matisieren und zu kommunizieren. Vor- wenn sie auf interkommunale Kooperationen aussetzung dafür ist unter anderem die bezogen werden. Sowohl auf der operativen Wunderlich, Holger (im Erscheinen): interkommunale Vernetzung von Sozial- Ebene als auch auf der strategischen Ebene, Sozialraumorientierung, Sozialraum- planerinnen und Sozialplanern, damit trotz also mit Blick auf das sozialpolitische Agen- analyse und Soziale Arbeit, in: Aktuelle lokaler Besonderheiten die Welt nicht in je- da-Setting, gilt es Sozialplanung partizipa- Diskurse der Sozialwirtschaft III, Reihe der Kommune immer wieder neu erfunden tiv auszurichten und diskursive Räume zu „Perspektiven Sozialwirtschaft und So- werden muss. organisieren. Gelingt dies, übernimmt eine zialmanagement“, Springer VS. integrierte Sozialplanung gesellschaftliche 3. Die dritte Voraussetzung dafür, dass ein Verantwortung vor Ort. Dieser Rolle gerecht Thema auf die Agenda gelangt, wird von zu werden erfordert Ressourcen, die Rücken- Kingdon (ebd.) als political stream be- deckung von Politik und Verwaltungsspitze zeichnet und bezieht sich auf die Attrak- sowie einen langen Atem. tivität von sozialpolitischen Themen für Politikerinnen und Politiker. Die Attrak- tivitäten des Themas definiert sich, so Prof. Dr. Holger Wunderlich lehrt an der Schneider/Janning (2006: 56), über die Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia Hoch- Problemstruktur, wobei diese bei sozialen schule für angewandte Wissenschaften Themen tendenziell eher ungünstig zu sein in Braunschweig / Wolfenbüttel und ist scheint. Sie sind häufig mehrdeutig und wissenschaftlicher Leiter der Faktor Familie komplex und keine Routineangelegenheit. GmbH in Bochum. TANORAMA | 11
INTERKOMMUNALE ZUSAMMENARBEIT IN DER SOZIALPLANUNG AM BEISPIEL DER LANDESHAUPTSTADT SCHWERIN UND DES LANDKREISES LUDWIGSLUST-PARCHIM VON LISA MANHART UND CHRISTIAN TIEDE Seit vielen Jahren tauschen sich die Sozialplanerinnen und -planer in Meck- Bericht zur Pflegesozialplanung lenburg-Vorpommern fachlich miteinander aus. In Kleingruppen oder bilate- Nach dem Landespflegegesetz Mecklen- ral werden Themen, fachpolitische Diskussionen und Vorhaben gegenseitig burg-Vorpommern (LPflegeG M-V) haben die vorgestellt, diskutiert und methodisch abgestimmt. Darüber hinaus werden Landkreise und kreisfreien Städte die Aufga- verschiedene Methoden, Verfahren und weitere Elemente der Sozialplanung be, alle fünf Jahre Planungen für ambulante, präsentiert. Die Treffen – die selbständig von den Sozialplanenden organi- teilstationäre und stationäre Pflegeeinrich- siert werden – dienen vor allem der themenspezifischen Vertiefung und Wei- tungen zu erstellen (§ 5 Abs. 2 LPflegeG M-V). terentwicklung der Sozialplanung vor Ort. Die Pflegesozialplanung untersucht die be- stehende Versorgungsstruktur und schätzt Die Landeshauptstadt Schwerin liegt umgeben von den beiden Landkrei- ab, welche pflegerischen und pflegeergän- sen Nordwestmecklenburg und Ludwigslust-Parchim. Da es sich bei beiden zenden Angebote derzeit und in Zukunft er- Landkreisen um große Flächenlandkreise handelt, ist davon auszugehen, forderlich sind. Damit wird das Ziel verfolgt, dass diese teilweise auch die städtische Infrastruktur und die gesundheitlich- eine grundlegende Analyse bedarfsgerech- pflegerische Angebotsstruktur der Landeshauptstadt Schwerin als regionales ter Unterstützungsangebote in ambulanten, Oberzentrum mit nutzen. teil- und vollstationären sowie darüber hi- nausgehenden Versorgungsbereichen unter Im Folgenden wird anhand einiger ausgewählter Beispiele die Zusammen- Berücksichtigung der Lebenssituation der arbeit zwischen dem Landkreis Ludwigslust-Parchim und der Landeshaupt- älteren Bevölkerung und des fortlaufenden stadt Schwerin vorgestellt: demografischen Wandels durchzuführen. Auch werden auf der Basis der empirischen Beispiel 1: Pflegesozialplanung Erhebungen und Analysen in der Pflege- Der demografische Wandel stellt nicht nur das Land Mecklenburg-Vorpom- sozialplanung Handlungsempfehlungen zur mern, sondern auch die Landeshauptstadt Schwerin und den Landkreis Lud- Weiterentwicklung einer zukunftsfähigen und wigslust-Parchim vor große Herausforderungen. Schon jetzt sind in beiden realisierbaren pflegerischen und pflegeergän- Regionen die Anteile älterer Menschen höher als im Landes- und deutlich zenden Versorgungsstruktur in der Kommune höher als im Bundesdurchschnitt. Aktuell ist etwa ein Drittel der Bevölkerung abgeleitet. Dazu gehören auch Empfehlun- Schwerins (33,0 Prozent) und Ludwigslust-Parchims (32,6 Prozent) 60 Jahre gen, z.B. zu geeigneten Wohnangeboten und und älter. Und diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren noch zuneh- zur Entwicklung eines Netzes ehrenamtlich men. Für Schwerin wird erwartet, dass sich der Anteil der Menschen ab 60 Helfender. Jahren bis zum Jahr 2040 auf 34,3 Prozent erhöht. Im Landkreis Ludwigs- lust-Parchim wird er auf 40,7 Prozent stark ansteigen. Ausgehend von diesen Neben seiner Funktion als Informations- und Entwicklungen ergibt sich die Frage, wie viele Menschen jetzt und in Zukunft Planungsinstrument stellt der Bericht gleich- Pflegeleistungen benötigen und wer diese Pflegeleistungen erbringen kann. zeitig ein Angebot an die Bevölkerung, In- 12 | TANORAMA
vestoren sowie Handelnde aus dem Bereich INTERAKTIVE PFLEGEKARTE Fachkräfte. Aktuelle Zahlen im Rahmen der Pflege dar, sich in den Gestaltungsprozess Die interaktive Pflegekarte finden Sie Pflegesozialplanung zeigen, dass der Fach- aktiv einzubringen und diesen zu beglei- auf der Internetseite der Landeshaupt- kräftemangel in der Pflege noch weiter zu- ten. Herausforderungen, die der zunehmen- stadt Schwerin unter ... nehmen wird. Um einer weiteren Verknap- de Pflegebedarf mit sich bringt, können auf https://www.schwerin.de/mein- pung der pflegerischen Ressourcen und somit kommunaler Ebene nur in enger Kooperation schwerin/leben/gesellschaft-soziales/ einer Verschlechterung der Pflegequalität bis von Pflegesozialplanung, Pflegeberatung, senioren-pflege/pflege/pflegekarte/ hin zur Gefährdung der Versorgungssicherheit Pflegekassen und Anbietern erörtert werden. entgegenzuwirken, bedarf es einer zielgerich- teten Analyse der Problemfelder sowie nach- Zur Gewährleistung einer einheitlichen Heran- haltiger Lösungsstrategien. gehensweise sowie vergleichbarer Ergebnisse in der Erarbeitung und Umsetzung der Pfle- Die Sozialplanerin der Landeshauptstadt gesozialplanung müssen die Landkreise und Schwerin, Lisa Manhart, hatte gemeinsam mit kreisfreien Städte in Mecklenburg-Vorpom- dem Sozialplaner aus dem Landkreis Lud- mern seit 2019 einen Berichtsstandard sowie wigslust-Parchim, Christian Tiede, im März einen festgeschriebenen Indikatoren-Katalog 2020 das erste interkommunale Symposium verwenden, der im Auftrag des Ministeriums zum Thema „Fachkräftemangel in der Pfle- für Soziales, Integration und Gleichstellung ... bzw. auf der Internetseite des Land- ge“ geplant. Die Veranstaltung richtete sich Mecklenburg-Vorpommern von der Hoch- kreises Ludwigslust-Parchim unter: an Fachkräfte und Experten mit Bezügen schule Neubrandenburg entwickelt wurde. https://www.kreis-lup.de/leben-im- zum pflegerischen Bereich und zum Thema landkreis/gesundheit-soziales/pflege- Fachkräftemangel sowie weitere Interessierte. Parallel zu den Treffen mit der Hochschu- portal/pflegekarte/ Die an diesem Tag eigentlich stattfindenden le Neubrandenburg fand ein regelmäßiger Impulsvorträge sollten eine Grundlage für Fachaustausch zwischen den Sozialplanen- einen Fachaustausch zum Thema bieten. den in Mecklenburg-Vorpommern statt. Die- Gemeinsam mit den Teilnehmern sollten die ser Austausch wird auch nach Ende der Arbeit verschiedenen Blickwinkel des Pflegenot- regelmäßig fortgeführt. stands beleuchtet, Praxisbeispiele kennen- gelernt und Anregungen für die eigene Arbeit Pflegekarte (siehe Infobox rechts) gegeben werden. Aufgrund der Corona-Pan- Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hat die demie musste die Veranstaltung aber leider Grundlage dafür geschaffen, dass seit 2016 verschoben werden – ein Nachholtermin ist Daten und Informationen zu Pflege- und derzeit noch nicht bekannt. Wohneinrichtungen kartenbasiert im Geo- gemeinsamen fachlichen Austausch zum datenportal sowie mittels einer interaktiven konkreten Thema „Bedarfs- und Zielwert- Beispiel 2: Ausbau und Weiterentwicklung Pflegekarte in beiden Kommunen online ab- ermittlung“ im Rahmen der Pflegesozialpla- der Beratungslandschaft in Mecklenburg- rufbar sind. Die Pflegekarte ermöglicht Bür- nung gab. Vorpommern gerinnen und Bürgern, aber auch Fachkräften Darüber hinaus findet ein regelmäßiger Aus- und Beratungspersonen im Pflegebereich, Das Seminar, das von Herrn Prof. Dr. phil. tausch der Sozialplanerinnen und -planer in z.B. im Pflegestützpunkt, eine zielgenaue Bernhard Rohde, emeritierter Professor an Mecklenburg-Vorpommern über Methoden Suche nach Pflege- und Wohneinrichtungen der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaf- zur Ermittlung von Bedarfen in Bezug auf die und hält weitere Detaildaten wie z.B. Betreu- ten der HTWK Leipzig geleitet wurde, richte- Planung von Beratungsangeboten statt. Das ungskapazitäten und Ansprechpersonen vor. te sich an alle Sozialplanerinnen und -planer Land Mecklenburg-Vorpommern hatte im Die Karte lässt sich nach Kategorien filtern des Landes Mecklenburg-Vorpommern ein- November 2019 ein Gesetz über die Finan- und ermöglicht eine Umkreissuche sowie die schließlich interessierter Vorgesetzter, Pflege- zierung und Transparenz in der freien Wohl- Berechnung der Anfahrtswege zu den Ein- kassen sowie Mitarbeitender des Sozialmi- fahrtspflege in Mecklenburg- Vorpommern richtungen. Die Grundlage für die interaktive nisteriums. Es zielte darauf ab, gemeinsam (WoftG M-V) beschlossen. Das Ziel des Ge- Kartenanwendung bildet eine Versorgungs- einheitliche Kriterien und Qualitätsstandards setzes ist, im Rahmen der Weiterentwicklung datei aus der Pflegesozialplanung. zu entwickeln, welche die Kommunen bei der Beratungslandschaft ein bedarfsgerech- der Bedarfsanalyse und damit einher bei tes Angebot an sozialer und Gesundheits- Fachtag zum Thema „Bedarfsdefinition und der Zielwertermittlung im Rahmen von Pla- beratung in den Landkreisen und kreisfreien Methoden zur Bedarfsermittlung, Zielwerte nungsprozessen unterstützen können. Infol- Städten vorzuhalten. Auch dieses Thema im Rahmen der Pflegesozialplanung“ ge der Abstimmung der dafür notwendigen wird u.a. von der Sozialplanung in Mecklen- Die Sozialplanerin der Landeshauptstadt Maßnahmen sollte langfristig eine höhere burg-Vorpommern behandelt. Dazu gehört Schwerin hatte Ende 2016 – in sehr enger Vergleichbarkeit der Planungen erzielt wer- die Entwicklung aussagekräftiger Bestands- Abstimmung mit den Verantwortlichen für den. Das Seminar bildete den Auftakt für den und Bedarfsanalysen zur Beratungsland- Sozialplanung der kreisfreien Stadt Ros- weiteren Fachaustausch der Sozialplanenden schaft vor Ort. tock, der Landkreise Ludwigslust-Parchim, in Mecklenburg-Vorpommern. Mecklenburgische Seenplatte sowie Nord- Lisa Manhart ist Sozialplanerin in der westmecklenburg – ein Tagesseminar zum Fachtag zum Thema „Fachkräftemangel in Fachstelle Planung und Controlling in der Thema „Bedarfsdefinition und Methoden zur der Pflege“ Landeshauptstadt Schwerin. Christian Tiede Bedarfsermittlung, Zielwerte im Rahmen der Die Entwicklungen in der Pflegebranche er- ist Sozialplaner im Fachdienst für Sozial- Pflegesozialplanung“ entwickelt. Im Vorfeld fordern ein intensives Zusammenarbeiten. management und Entgelte des Landkreises war festgestellt worden, dass es noch keinen Bereits heute fehlen in allen Pflegeberufen Ludwigslust-Parchim. TANORAMA | 13
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