Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017
3/2017

umwelt
Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Anpassung
an den Klimawandel
Dossier:   Risiken und Chancen im Klima der Zukunft > Hitze in den Städten > Wasserknappheit
           > Gemeinde Guttannen: Leben mit Naturgefahren

Weitere Die alten Lasten im Griff > Neue Karten für die Hochwasserprävention > Wenn der Lärm
Themen: im Stadion nervt > Freiwillige auf Pflanzensuche > Bahn 2000 im Artencheck
Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 3/2017

                In grösseren Zeiträumen
                denken und handeln

                             Die Folgen des Klimawandels sind schneller sicht- und spür-
                             bar, als es uns lieb sein kann. Davon habe ich mir kürzlich
                             auf einer Reise in die Arktis selbst ein Bild gemacht: Das
                             Eis schmilzt in rasantem Tempo; ein so milder Winter wie
                             der vergangene wurde dort noch nie beobachtet. Daher
                             befürchten Klimaforscher, der erste meereisfreie Sommer
                             am Nordpol könnte bereits in wenigen Jahren Tatsache sein.
                             Das wäre zwei Jahrzehnte früher als bisher angenommen.
                Auch in der Schweiz ist der Klimawandel längst im Gang. Wenngleich
                die Folgen hier nicht derart dramatisch sind wie am Nordpol: Schwer
                wiegen sie allemal. Doch zeigen sie sich mitunter erst in den kom-
                menden Jahrzehnten. Das macht es so schwierig, den Menschen die
                Tragweite des Klimaproblems vor Augen zu führen. Weshalb sollten
                uns Dinge kümmern, die wir uns kaum vorstellen können und die erst
                nachfolgende Generationen wirklich betreffen?
                  Beim Klimaschutz ist Denken und Handeln in grösseren Zeiträumen
                nötig. Die Folgen des Klimawandels gehen uns alle an. Verantwortlich
                sind wir für unser Tun, aber auch für das Nichtstun. Die Schweiz hat
                schon viel unternommen; auch mit wirkungsvollen Massnahmen im
                Ausland. Der Bundesrat wird im Herbst die nationale Umsetzung des
                Pariser Abkommens bis 2030 präsentieren. Die Schweiz will nochmals
                weniger Treibhausgase ausstossen. Deshalb setzen wir auf techno-
                logische Fortschritte, strengere technische Vorschriften und griffige
                Gesetze. Aber wir stehen gleichzeitig vor der Herausforderung, die
                Gesellschaft auf nicht mehr zu vermeidende Klimaschäden und -risiken
                vorzubereiten. Die Anpassungsstrategie des Bundesrates und der
                dazugehörige Aktionsplan helfen dabei – aufbauend auf den langen
                Erfahrungen der Schweiz im Umgang mit Naturgefahren. Inzwischen
                sind viele Kantone aktiv geworden und haben eigene Strategien ent-
                wickelt. Die Schweiz tut gut daran, bereits heute konkrete Massnahmen
                für das Leben in einem veränderten Klima vorzusehen. Auch bei der
                Anpassung gilt: Vorbeugen ist besser als heilen. Wir werden so oder so
                mit den neuen klimatischen Realitäten leben müssen. Warten wir un-
                nötig länger zu, werden uns die Anpassungen teuer zu stehen kommen.

                      Doris Leuthard, Bundespräsidentin und Vorsteherin des Eidgenössischen
                     Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)

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umwelt 3/2017

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                                                                                      an den Klimawandel
                                                                                      4    Gewinner und Verlierer im Klima der Zukunft
                                                                                           Welche Risiken und Chancen kommen auf die Schweiz zu?
                                                                                      8    Die Geschichte vom Mann, der mit seiner Insel versinkt
                                                                                           Anpassung an den Klimawandel in den Kantonen
                                                                                      11 «Die Risikoanalysen trugen wesentlich zur Sensibilisierung bei»
                                                                                         Interview zur föderalen Zusammenarbeit bei der Klimaanpassung

                                                                    14        ____    Mehr Grün und Blau als Grau
                                                                                      Städte und Agglomerationen leiden besonders unter der Klimaerwärmung.

                                                                                      18 Was tun, wenn das Wasser knapp wird?
                                                                                         Baselland plant den Umgang mit Trockenheit
                                                                                      21 Ein Dorf macht sich Gedanken über den Klimawandel
                                                                                         Guttannen und die Naturgefahren der Zukunft

                                                                    26        ____    Trockenstress verändert den Schweizer Wald
                                                                                      Folgen des künftigen Klimas für die Forstwirtschaft

                                                                                      29 Trotz erhöhter Temperatur gesund
                                                                                         Die Schweiz ist gegen Gesundheitsrisiken gewappnet.
                                                                                      33 «Unser Gehirn ist auf das unmittelbare Überleben programmiert»
                                                                                         Der Zürcher Hirnforscher Martin Meyer im Gespräch

                                                                                      Weitere Themen
                                                                                      39 Der Mehrfachschlüssel zum Sanierungserfolg
                                                                                         Bewältigung von grossen Altlasten
                                                                                      42 Quantensprung für die Prävention von Wasserschäden
                                                                                         Gefährdungskarte für den Oberflächenabfluss
                                                                                      46 Bei Sportanlässen stört vor allem das Drumherum
                                                                                         Überarbeitete Vollzugshilfe zum Sportlärm
                                                                                      48 Ein unglaubliches Citizen-Science-Projekt

                                                                    52
                                                                                         Rote Liste der Pflanzen

                                                                               ____   Ein Grossprojekt auf dem Prüfstand
                                                                                      Ökologische Erfolgskontrolle an der Bahn-2000-Strecke
                                                                   Documenta Natura

Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU • 3003 Bern • +41 58 462 93 11 • www.bafu.admin.ch • info@bafu.admin.ch
Gratisabo: www.bafu.admin.ch/leserservice • Das Magazin im Internet: www.bafu.admin.ch/magazin2017-3

Titelbild:                                                             Rubriken       36__   Vor Ort                       60__   Tipps
Damit die Schweizer Landwirtschaft auch im künftigen                                  38__   International                 61__   Impressum
Klima gedeiht, braucht es unter anderem eine gute
Bodenstruktur. In Feldversuchen haben Forschende von                                  57__   Bildung                       62__   Aus dem BAFU
Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für land-                                  58__   Recht                         63__   umwelt unterwegs
wirtschaftliche Forschung, bodenschonende Bewirtschaf-                                58__   Publikationen
tungspraktiken untersucht.
      Alle Bilder im Dossier: Flurin Bertschinger/Ex-Press/BAFU,
                                            ausser wo angegeben

                                                                                                                                                              3
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RISIKEN ÜBERWIEGEN CHANCEN

Gewinner und Verlierer
im Klima der Zukunft
Welche Risiken und Chancen kommen mit dem sich ändernden Klima auf die Schweiz zu?
Fallstudien aus allen Gebieten des Landes liefern ein differenziertes Bild. Doch eines steht
fest: Obwohl der Klimawandel auch Chancen eröffnet, überwiegen die Risiken bei Weitem.
Daher hat ein wirksamer Klimaschutz erste Priorität. Text: Kaspar Meuli

Wir sind vielseitigen Risiken ausgesetzt. Und wir     und die zu erwartende Entwicklung bis ins Jahr       Der Klimawandel be-
leben in einer Gesellschaft, die erwartet, dass wir   2060. Die Liste umfasst einige Chancen und rund      günstigt die Ausbreitung
uns so gut wie möglich dagegen absichern. Auch        20 prioritäre Klimarisiken – von bereits länger      bislang unbekannter
der Klimawandel bringt Unsicherheiten mit sich.       diskutierten Auswirkungen der zunehmenden            Schädlinge, die für unsere
Nur folgerichtig also, dass seine Auswirkungen        Hitze und Trockenheit bis zu weniger bekann-         Kulturpflanzen zum
ebenfalls aus einer nüchternen Risikoperspek-         ten Risiken wie der Ausbreitung von invasiven        Problem werden. Im
tive betrachtet werden – etwas, was zum Bei-          gebietsfremden Arten. Als prioritär gelten ins-      Kanton Genf werden
spiel Rückversicherer wie Swiss Re seit Längerem      besondere Risiken, die im Vergleich zu heute         Methoden und Instrumen-
tun.                                                  in den kommenden 45 Jahren besonders stark           te entwickelt, die auf-
  Nun hat auch das BAFU in einer gross ange-          zunehmen könnten.                                    zeigen, welche Pflanzen
legten Studie Klimarisiken systematisch eruiert.        «Bis anhin hat man die Folgen des Klimawan-        und Insekten in
Nach England ist die Schweiz erst das zweite          dels vor allem für einzelne Sektoren wie Wasser-     der Landwirtschaft
Land, das dies getan hat. Der Bericht, der Ende       wirtschaft, Tourismus, Naturgefahren oder            künftig grossen Schaden
2017 veröffentlicht wird, befasst sich mit den        Gesundheit beurteilt», so Pamela Köllner, «in        anrichten könnten.
klimabedingten Risiken und Chancen in der             unserer Untersuchung wollen wir hingegen eine
Schweiz. Die Analyse soll im Sinne des Risi-          gesamtheitliche Sicht auf die Schweiz bieten.»
komanagements als Grundlage dafür dienen,             Dazu wurden in 8 Kantonen Fallstudien zu
Klimastrategien zu entwickeln und Anpas-              Grossräumen durchgeführt. Sie betreffen den
sungsmassnahmen zu priorisieren. «Wir haben           Jura, das Mittelland, die Voralpen, die Alpen, die
Risiken für ausgewählte Schweizer Grossräume          Südschweiz und die grossen Agglomerationen.
systematisch bestimmt», erklärt Pamela Köllner,       Untersucht wurden die Kantone Jura, Aargau,
die Leiterin des Projekts. «Zudem haben wir die       Freiburg, Uri, Graubünden, Tessin, Basel-Stadt
Chancen analysiert, die sich für die Schweiz aus      und Genf.
dem Klimawandel ergeben könnten.»                       Um die angestrebte gesamtheitliche Sicht zu
                                                      erreichen, war ein einheitliches methodisches
Gesamtheitliche Sicht auf die Schweiz                 Vorgehen gefragt. Dazu gehören auch die An-
Das Resultat dieser Analyse, in die unter ande-       nahmen über die Klimaänderung selbst: Sie
rem mehr als 400 Experten und Expertinnen             stützen sich auf ein Szenario mit einer mittleren
aus der Praxis und von kantonalen Fachstellen         Erwärmung, die in der Schweiz bis 2060 einem
miteinbezogen waren, ist ein Überblick über           Anstieg der Temperaturen im Sommer um
die bereits spürbaren Folgen des Klimawandels         3,5 Grad gleichkommt (Referenzperiode ist

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DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

                      1980–2009). Die mittlere Niederschlagsmen-              um über 5 Prozent. Drei Viertel der Verstorbenen
                      ge dürfte in diesem Zeitraum im Sommer um               waren über 75 Jahre alt. Verschärft wird das Ri-
                      20 Prozent ab- und im Winter um 20 Prozent zu-          siko dadurch, dass die Bevölkerung immer älter
                      nehmen. Dies im Vergleich zur Referenzperiode           wird und immer mehr Leute in dicht besiedelten
                      1980 bis 2009. Ebenfalls einheitliche Annahmen          Gebieten leben, die am stärksten von der Hitze-
                      wurden in Bezug auf die sozioökonomischen und           belastung betroffen sind (siehe Seite 29 ff.)
                      demografischen Veränderungen getroffen, die               Dieses Risiko ist eine Folge davon, dass mit dem
                      für das Ausmass der klimabedingten Schäden              Klimawandel nicht nur die Durchschnittstempe-
                      mitbestimmend sind. Mit anderen Worten: Fakto-          raturen, sondern auch die Extreme zunehmen.
                      ren wie das zu erwartende Wirtschaftswachstum           Im Jahr 2060 könnte es in Basel so warm sein wie
                      und die sich abzeichnende Überalterung der              heute in Lugano und Locarno. In Genf könnten
                      Gesellschaft.                                           Verhältnisse herrschen wie heute in Mailand,
                                                                              und in Lugano dürften die Temperaturen auf
                      Klimarisiken wirken sich regional unterschiedlich aus   Werte steigen, wie sie heute Florenz und Rom
                      Die 6 untersuchten Grossräume (siehe Grafik auf         kennen.
                      Seite 7) sind unterschiedlich stark von den iden-
                      tifizierten Risiken betroffen. Waldbrände etwa          Steigende Konkurrenz ums Wasser
                      werden vor allem das Tessin vor Probleme stellen,       Die zunehmende Sommertrockenheit könnte
                      wo ihre Zahl bis 2060 um ein Viertel zunehmen           künftig auch im Wasserschloss Schweiz vermehrt
                      dürfte. In der übrigen Schweiz könnten sich in          zu lokaler, zeitlich begrenzter Wasserknappheit
                      Zukunft insbesondere Regionen mit grösseren             führen, wie das 2003, 2006 und 2015 der Fall
                      Herausforderungen konfrontiert sehen, die bis           war, und so Nutzungskonflikte verschärfen.
                      anhin von Waldbränden verschont geblieben               Knapp wird das Wasser dann, wenn das Ange-
                                                                              bot die Nachfrage nicht mehr decken kann. Der
                                                                              Klimawandel wirkt sich auf beide Schalen dieser
    Während von einer Zunahme von Hitzewellen                                 Waage aus. Zum einen könnte die Wasserverfüg-
    auszugehen ist, lässt sich bislang nicht sagen, ob                        barkeit aufgrund häufigerer Trockenperioden ab-
    Hagel- und Sturmschäden zu- oder gar abnehmen                             nehmen, zum andern ist die Nachfrage gerade in
                                                                              Trockenperioden zum Beispiel für Bewässerung
    werden.                                                                   besonders gross. In Zeiten der Knappheit dürfte
                                                                              sich die Konkurrenz ums Wasser verstärken –
                      waren, sich jedoch aufgrund des Klimawandels            etwa zwischen Skigebieten, die im Sommer
                      auch mit diesem Risiko auseinandersetzen müs-           Reserven für die künstliche Pistenbeschneiung
                      sen. Zum Beispiel Regionen nördlich der Alpen.          anlegen wollen, und der Landwirtschaft, die
                      Aber nicht bei allen Aspekten des Klimawandels          bewässern möchte. In gewissen Fällen betrifft
                      ist der Wissensstand gleich gross. Während von          der Konflikt auch das Trinkwasser. Im Kanton
                      einer Zunahme von Hitzewellen auszugehen                Graubünden etwa ist heute ein Drittel des zum
                      ist, lässt sich bislang nicht sagen, ob Hagel- und      Bewässern benötigten Wassers Trinkwasser. Und
                      Sturmschäden zu- oder gar abnehmen werden.              in der Unterengadiner Gemeinde Scuol entspricht
                         Doch wie sehen die Klimarisiken in der Schweiz       das zum Beschneien verwendete Wasser gegen
                      im Einzelnen aus? Hier einige Erkenntnisse: Be-         40 Prozent des lokalen Trinkwasserverbrauchs.
                      sonders in tiefen Lagen und grossen Agglomera-
                      tionen, wo die meisten Menschen leben, werden           Klimawandel belastet Allergiker
                      im Sommer häufigere und intensivere Hitzepe-            Auch mit Blick auf die Umwelt bringen klima-
                      rioden zur Belastung. Ein Risiko stellt die zu-         bedingte Veränderungen Risiken mit sich –
                      nehmende Hitze vor allem für die Gesundheit             angefangen bei der steigenden Waldgrenze
                      dar. Unter allen Naturereignissen verursachten          und höheren Wassertemperaturen bis hin zur
                      Hitzewellen in Europa in den vergangenen Jahr-          Ausbreitung exotischer Pflanzen und Tiere. Be-
                      zehnten die meisten Todesfälle. Und auch in der         reits heute zählt man in der Schweiz 800 nicht
                      Schweiz wirkten sie sich auf die Sterblichkeit aus:     heimische Arten, von denen rund 100 als beson-
                      Zwischen Juni und August 2015 starben rund              ders invasiv oder potenziell gefährlich gelten.
                      800 Personen mehr als in einem normalen Som-            Dazu gehört zum Beispiel der Riesen-Bärenklau,
                      mer. Das entspricht einer Zunahme der Todesfälle        der nach Hautkontakt verbrennungsartige Ent-

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

zündungen verursacht. Der Klimawandel kann
dazu führen, dass die gebietsfremden Arten
günstige Bedingungen für das Überleben und
die Fortpflanzung in der Schweiz vorfinden und
heimische Arten verdrängen.
  Gebietsfremde allergene Pflanzen etwa haben
sich bereits in den vergangenen Jahren in der
Schweiz verbreitet. So zum Beispiel das Bei-
fussblättrige Traubenkraut (Ambrosia), das bei
10 Prozent der Schweizer Bevölkerung allergische
Reaktionen oder Asthma verursacht. Ganz allge-
mein dürfte der Klimawandel zu einem früheren
Beginn und einer Verlängerung der Pollensai-
son führen. Diese Entwicklung betrifft immer
mehr Menschen, zeigen doch bereits heute rund
15 Prozent der Erwachsenen eine allergische
Reaktion auf Pollen.

Risiken überwiegen Chancen
Die neue Studie will nicht nur Klimarisiken be-       Um eine gesamtheitliche Sicht auf die Folgen des Klimawandels zu haben,
leuchten, sondern auch Chancen aufzeigen, die         wurden in den 6 Grossräumen Fallstudien durchgeführt.             Quelle: BAFU
sich aus dem sich wandelnden Klima ergeben.
Doch Pamela Köllner stellt klar: «Auffallend ist,     Für zentrale Fragen wie «Welche Massnahmen
dass weit mehr prioritäre Risiken als Chancen         haben das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis?» bie-
identifiziert wurden.» Tatsächlich ergeben sich in    tet der Bericht zwar eine umfassende Grundlage.
der Praxis klimabedingte Chancen vor allem der        Sie müssen jedoch anhand weiterer Analysen
steigenden mittleren Temperaturen wegen. Von          beantwortet werden. «Bei gewissen Risiken lohnt
dieser Entwicklung könnte die Landwirtschaft          es sich, Massnahmen jetzt zu ergreifen», erklärt
profitieren, da sich die Vegetationsperiode verlän-   Pamela Köllner. So würden beispielsweise schon
gern und die Ernteerträge zunehmen dürften –          heute Hitzewarnungen und Verhaltensempfeh-
allerdings nur, wenn genügend Nährstoffe und          lungen bei Hitzewellen ausgesprochen. «Wo die
Wasser vorhanden sind. Auch für die Winzer            Unsicherheiten noch sehr gross sind, gilt es, ein
könnte die Temperaturveränderung positive Fol-        Monitoring aufzubauen, um die Entwicklung der
gen haben, da sich künftig eine breitere Palette      Risiken genau zu beobachten.»
von Traubensorten anbauen lässt. Die zunehmen-           Eines allerdings steht fest, nämlich dass die
de Trockenheit schafft in den Rebbergen aber          Schweiz dem Klimawandel nicht nur mit Anpas-
auch Probleme, zum Beispiel mit der Qualität          sungsmassnahmen begegnen kann. Nötig sind
der Trauben. Dem Sommertourismus wiederum             vor allem Anstrengungen, um die klimatischen
winken neue Gäste, falls die alpine Sommerfri-        Veränderungen abzuschwächen. Der Weg dazu
sche auf Kosten der Strandferien am Mittelmeer        ist klar. Wir müssen viel weniger Treibhausgase
beliebter wird. Und nicht zuletzt darf sich die       ausstossen als bis anhin und somit unseren Bei-
ganze Schweizer Bevölkerung der milderen Win-         trag zur Reduktion leisten. Nur so lassen sich die
ter wegen auf tiefere Heizkosten freuen.              Klimarisiken langfristig vermindern.

Hitzewarnungen und Verhaltensempfehlungen
bei Hitzewellen
                                                      Weiterführende Links zum Artikel:
So weit die Analyse, doch welche Taten müs-
                                                      www.bafu.admin.ch/magazin2017-3-01
sen folgen, um die Schweiz für das Leben mit
Klimarisiken tauglich zu machen? Der Bericht                        KONTAKT
beschränkt sich auf eine Analyse der Risiken                        Pamela Köllner
                                                                    Sektion Klimaberichterstattung und -anpassung
und Chancen. Auf konkrete Massnahmen, die                           BAFU
der Schweiz eine Anpassung an den Klimawandel                       +41 58 462 06 34
ermöglichen sollen, geht er nur am Rande ein.                       pamela.koellner@bafu.admin.ch

                                                                                                                                       7
Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

ANPASSUNG IN DEN KANTONEN

Die Geschichte vom Mann,
der mit seiner Insel versinkt
Neben dem Bund beschäftigen sich auch die Kantone mit den Folgen des Klimawandels; sie entwickeln
zunehmend eigene Strategien und Anpassungsmassnahmen. Besonders wichtig dabei ist, dass auch die
Regionen und Gemeinden miteinbezogen werden. Text: Lukas Denzler

Der Klimawandel wird immer mehr sicht- und           habe, liege wohl an der Bedrohung durch Na-
spürbar: schmelzende Gletscher, schneearme           turgefahren, den unterschiedlichen Klimazonen
Winter, Hitzewellen und Trockenheit. An diese        und der Abhängigkeit des Wintertourismus vom
Entwicklungen gilt es sich anzupassen. 2012 ver-     Schnee, sagt Georg Thomann vom kantonalen
abschiedete der Bundesrat deshalb seine Strategie    Amt für Natur und Umwelt. 2015 veröffentlichte
zur Anpassung an den Klimawandel. Zwei Jahre         der Kanton je eine Studie zur Klimaanpassung,
später folgte mit dem Aktionsplan der zweite         zum Klimaschutz und zu den mit dem Klima-
Teil. «Wichtig ist nun, dass auch die Kantone sich   wandel verbundenen Risiken und Chancen. Die
Gedanken machen und Massnahmen einleiten,            Synthese dieser drei Studien führte zur kanto-
                                                     nalen Klimastrategie. Darin sind 10 Handlungs-
                                                     schwerpunkte enthalten.
    Die Bündner Regierung ent-                         Die Bündner Regierung entschied, einen
    schied, einen Lenkungsausschuss,                 Lenkungsausschuss, ein Klimaforum sowie ein
    ein Klimaforum sowie ein                         Klimasekretariat zu schaffen. «Im Klimaforum
                                                     sind 12 kantonale Ämter sowie die Gebäudever-
    Klimasekretariat zu schaffen.                    sicherung Graubünden vertreten», sagt Georg
                                                     Thomann, der für das Klimasekretariat und das
                                                     Klimaforum verantwortlich ist. Dort laufen die
um die Folgen abzufedern und sich bietende           Fäden zusammen. Es sei wichtig, betont er, die      «Der Klimawandel findet
Chancen zu nutzen», sagt Roland Hohmann,             Regionen und Gemeinden in den Prozess der           statt. Heute und vor un-
Sektionschef Klimaberichterstattung und -an-         Bewältigung des Klimawandels einzubinden. So        serer Haustür.» Diese Bot-
passung beim BAFU. «Weil sich die Herausforde-       wurde zum Beispiel im Rahmen eines durch den        schaft will die Gemeinde
rungen je nach Region unterscheiden, müssen          Bund unterstützten Pilotprojekts für die Region     Davos im Rahmen einer
die Kantone ihre eigenen Handlungsfelder und         Surselva eine Klima-Toolbox entwickelt – ein        Sensibilisierungskampa-
Ziele definieren.» Der Bund biete ihnen dabei        Werkzeugkoffer zum Umgang mit dem Klima-            gne ihren Bürgerinnen
vielfältige Unterstützung, so Roland Hohmann         wandel auf regionaler Ebene. Er enthält unter       und Bürgern vermitteln.
(siehe Interview Seite 11 ff.). Mehrere Kantone      anderem Informationsmaterial dazu, wie sich die     Genauso wie den Touris-
haben das Thema bereits aufgegriffen. Nach-          klimatischen Änderungen auf den Lebens-, Wirt-      ten. Dazu wurde ein Film
folgend vier Beispiele mit den jeweiligen Schwer-    schafts- und Naturraum der Surselva auswirken.      produziert, der die lokalen
punkten.                                             Die Unterlagen und Ideen unterstützen regio-        Folgen des Klimawan-
                                                     nale Entscheidungsträger dabei, in einem mo-        dels aufzeigt – von der
Graubünden entwickelt Werkzeugkoffer für Regionen    derierten Prozess einen gemeinsamen Massnah-        Gletscherschmelze bis zur
Bereits 2009 liess die Bündner Regierung einen       menplan zu entwickeln. Die Erfahrungen seien        Verlängerung der Pollen-
ersten kantonalen Klimabericht erarbeiten. Dass      positiv, und man wolle dieses Instrument für alle   saison. Ein Teaser läuft
sich der Gebirgskanton vergleichsweise früh mit      Regionen des Kantons weiterentwickeln, ergänzt      auf den Infobildschirmen
den Folgen des Klimawandels auseinandergesetzt       Georg Thomann.                                      in den Ortsbussen.

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 3/2017 - Bundesamt für Umwelt
umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

Die Waadt identifiziert klimabedingte                  tes Ergebnis ist dabei ein Leitfaden zum «Klima­
Herausforderungen                                      wandel­Check» für das Biodiversitätsmanagement
Der Kanton Waadt orientierte sich bei seiner Risi­     wertvoller Schutzgebiete entwickelt worden. «Ein
koanalyse weitgehend an der Strategie des Bun­         weiteres Hilfsmittel ist ein Merkblatt zum Thema
des. «Mithilfe von Experteninterviews ermittelten      ‹Natur im Siedlungsraum und Klimawandel› für
wir die wichtigsten Herausforderungen», erläutert      die Gemeinden», erläutert Norbert Kräuchi. Hier
Tristan Mariethoz von der Direction générale de        würden Möglichkeiten aufgezeigt, wie den Folgen
l’environnement des Kantons Waadt. Von den             des Klimawandels mit zusätzlichen Grün­ und
85 ermittelten Problemen sind 10 als prioritär         Freiflächen begegnet werden könne. Dabei soll
eingestuft worden. Dazu zählt unter anderem die        einerseits ein angenehmeres Lokalklima für
schon länger erkannte Problematik von Bewässe­         die Menschen geschaffen und andererseits die
rung und Wasserknappheit.                              Biodiversität gefördert werden (siehe Seite 14 ff.).
   Eher überraschend betreffen 6 der 10 prioritä­
ren Herausforderungen die Biodiversität. Die Öko­      Solothurn setzt auf Information
systeme und Arten würden mit zunehmendem               Der Kanton Solothurn stützt sich bei der An­
Klimawandel noch stärker unter Druck geraten,          passung an das sich wandelnde Klima ebenfalls
sagt Tristan Mariethoz. Und zwar nicht nur wegen       vorwiegend auf die Bundesstrategie ab – und er
der Klimaveränderung, sondern auch weil das            nutzt dabei die im Aargau durchgeführte Studie.
Risiko bestehe, dass Anpassungsmassnahmen in           «Der Auslöser, uns mit dem Klimawandel und
anderen Bereichen die Situation der Biodiversität      seinen Folgen für den Kanton zu befassen, war
weiter verschlechterten. Dies kann zum Beispiel        eine Interpellation im Parlament», erklärt Mar­
der Fall sein, wenn Wintersportorte im grossen         tin Heeb vom kantonalen Amt für Umwelt. In
Stil Anlagen zur künstlichen Beschneiung bauen         der Folge wurden in Solothurn die wichtigsten
oder wenn die Waldwirtschaft vermehrt auf an           Bereiche identifiziert, in denen die kantonale
Trockenheit angepasste, aber gebietsfremde             Verwaltung im Klimabereich selbst aktiv werden
Baumarten setzt. Eine Gesamtbetrachtung sei            kann. Die Spannweite des Aktionsplans reicht
deshalb unerlässlich, betont Tristan Mariethoz.        von einer angepassten Wassernutzung über eine
In einem nächsten Schritt werden nun Schwer­           verbesserte Warnung bei Waldbrandgefahr bis
punkte für eine Roadmap ausgearbeitet. Über die        hin zum Schutz der Bevölkerung bei Hitzewellen.
Umsetzung wird anschliessend die neu gewählte          Gleichzeitig legt man einen speziellen Fokus auf
Regierung befinden.                                    die Information. Entscheidend, davon ist Martin
                                                       Heeb überzeugt, sei dabei die Sensibilisierung
Der Aargau fokussiert auf Biodiversität                der Menschen für den Klimawandel und dessen
Auch im Kanton Aargau ist die Biodiversität als        Folgen. Dafür werden auch nicht alltägliche
wichtige Herausforderung erkannt worden – dies         Mittel eingesetzt: humorvolle Postkarten mit
ergab unter anderem die Chancen­Risiko­Analyse,        bedenkenswerten Botschaften, Tischsets in den
die im Auftrag des BAFU erarbeitet wurde (siehe        Restaurants, die die Auswirkungen des Klima­
Seite 4 ff.). Bereits heute leiden viele Arten unter   wandels thematisieren, und Klimageschichten,
übermässigen Nährstoff­ und Schadstoffeinträ­          in denen unterschiedliche Menschen zu Wort
gen sowie dem steigenden Nutzungsdruck auf             kommen und sich Gedanken über unseren Um­
die Lebensräume. «Der Klimawandel verschärft           gang mit dem Klimawandel machen. Darunter
das Problem zusätzlich», sagt Norbert Kräuchi,         etwa der Schriftsteller Franz Hohler. In einer
der Leiter der kantonalen Abteilung Landschaft         Kurzgeschichte erzählt er von einem Mann, der
und Gewässer. Da sich die Lebensräume mit fort­        mit seiner Insel im Meer versinkt und dessen
schreitendem Wandel weiter verändern, ist es für       letzter Gedanke war, dass er vielleicht doch mehr
zahlreiche Arten überlebenswichtig, dass sie in        für seine Insel hätte tun sollen.
nahe gelegene andere Lebensräume ausweichen
können. Dazu müssen diese heute oft isolierten                                                                KONTAKT
Biotope besser vernetzt werden.                                                                               Roland Hohmann
  Eine vertiefte Analyse im Bereich Biodiversität                                                             Sektionschef Klimabericht-
                                                                                                              erstattung und -anpassung
ermöglichte im Aargau das vom Bund unter Fe­
                                                                                                              BAFU
derführung des BAFU lancierte Pilotprogramm            Weiterführende Links zum Artikel:                      +41 58 465 58 83
zur Anpassung an den Klimawandel. Als konkre­          www.bafu.admin.ch/magazin2017-3-02                     roland.hohmann@bafu.admin.ch

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DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

FÖDERALE ZUSAMMENARBEIT

«Die Risikoanalysen trugen wesentlich
zur Sensibilisierung bei»
Roland Hohmann ist Chef der Sektion Klimaberichterstattung und -anpassung beim BAFU und koordiniert
die Strategie zur Anpassung an den Klimawandel. Im Gespräch erläutert er, wie der Bund und die Kantone
dabei zusammenarbeiten. Interview: Lukas Denzler

umwelt: Herr Hohmann, weshalb ist die Anpassung       der Umgang mit Sommertrockenheit, instabilen
an den Klimawandel ein Gebot der Stunde?              Hängen, grösseren Hochwasserrisiken usw. Und
Roland Hohmann: Auch wenn es der Staatenge-           bei 4 Herausforderungen geht es um Grund-
meinschaft gelingt, die Treibhausgasemissionen        lagenbeschaffung, das Schliessen von Wissens-
künftig massiv zu reduzieren, wird die Schweiz        lücken, um Monitoring, Koordination sowie
mit weiteren klimatischen Veränderungen               Finanzierung.
konfrontiert sein. Wir müssen uns Gedanken
machen, wie wir damit umgehen. 2015 erlebten          Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit den Kantonen?
wir nach 2003 den zweiten Hitzesommer. Damit          Der Bund übernimmt eine koordinierende
verbundene gesundheitliche Probleme ergaben           Funktion. In den Sektorpolitiken ist die Umset-
sich vor allem in den Städten. Und das ist nur        zung integriert in die normale Zusammenarbeit
ein Themenbereich von vielen, bei denen Hand-         zwischen Bund und Kantonen. Hier sind die
lungsbedarf besteht.                                  Programmvereinbarungen ein zentrales Steue-
                                                      rungselement. Beim Wald wurde beispielsweise
2012 verabschiedete der Bundesrat die Strategie zur   kürzlich das Waldgesetz mit Bestimmungen zur
Anpassung an den Klimawandel, zwei Jahre später       Anpassung an den Klimawandel ergänzt. So ist
den Aktionsplan. Welchen Stellenwert haben diese      etwa bei der Jungwaldpflege und der Baumarten-
Dokumente auf Bundesebene?                            wahl die Klimaentwicklung zu berücksichtigen.
Im CO2-Gesetz ist der Auftrag an den Bund for-        Im sektorenübergreifenden Bereich sind wir
muliert, Anpassungen an den Klimawandel zu            daran, ein Netzwerk aufzubauen. Zusammen
koordinieren und dafür zu sorgen, dass die dafür      mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone
nötigen Grundlagen bereitgestellt werden. Die         entwickelten wir einen Leitfaden, wie die Kanto-
Anpassungsstrategie und der Aktionsplan setzen        ne die Bundesstrategie auf ihr Gebiet herunter-
den Rahmen zur Erfüllung dieses Auftrags. Die         brechen können. Mehrere Kantone haben diesen
beiden Dokumente sind partizipativ mit meh-           Ball aufgenommen (siehe Seite 8 ff.).
reren Partnerämtern in der Bundesverwaltung
erarbeitet worden. Am Anfang verwendeten wir          Welche Rolle spielten die 8 in der ganzen Schweiz
relativ viel Zeit, um ein gemeinsames Verständnis     durchgeführten Risikostudien zu den Folgen des
zu entwickeln. Dadurch fand auch ein Sensibili-       Klimawandels?
sierungsprozess statt.                                Die Studien sind so angelegt, dass sie die ganze
                                                      Schweiz in ihrer Vielfalt abdecken. Die Risiko-
Welche Themen deckt die Anpassungsstrategie ab?       analysen trugen in den Kantonen wesentlich
In dieser Strategie sind 9 Sektoren und Politik-      zur Sensibilisierung bei. Oft waren Kantone
felder abgebildet, angefangen bei der Wasser-         beteiligt, die bezüglich der Auswirkungen des
wirtschaft über die Land- und Waldwirtschaft          Klimawandels und der damit verbundenen Ri-
bis zur Raumentwicklung. Zusätzlich zu den            siken und Chancen bisher wenig bis gar nichts
Sektorstrategien sind 12 sektorenübergreifende        unternommen hatten. Dank der Studien wurde
Herausforderungen beschrieben. 8 knüpfen              ein Prozess angestossen, der Klimawandel wurde
direkt an Folgen des Klimawandels an – etwa           zu einem Thema.

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umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

Führten diese Studien auch zu konkreten Projekten?   Wahrscheinlich sind Bergkantone und städtische
Zum Teil ja. Dafür ist aber vor allem auch das       Kantone vom Klimawandel stärker betroffen als
Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel»         eher ländliche Gebiete in etwas erhöhter Lage.
gedacht. Wir möchten damit Impulse setzen, und       Deshalb muss jeder Kanton, jede Region eigene
dabei helfen, Fragen zu beantworten: Wie lässt       Antworten auf die neuen Herausforderungen
sich die Umsetzung initiieren? Wie entstehen         finden. Die gesetzlichen Vorgaben des Bundes
Projekte auf lokaler, regionaler oder kantonaler     verpflichten die Kantone grundsätzlich nicht,
Ebene?

Ist das Pilotprogramm zur «Anpassung an den Klima­                          «Im CO2-Gesetz ist der Auftrag an
wandel» auf Interesse gestossen?
Nach der Ausschreibung im Jahr 2013 erhielten                               den Bund formuliert, Anpassungen
wir über 100 Projektanträge; davon konnten wir                              an den Klimawandel zu koordinieren
schliesslich 31 unterstützen. Die Projekte dau-
erten 2 bis 3 Jahre. Die Hälfte der Projektkosten
                                                                            und dafür zu sorgen, dass die dafür
finanzierten Bundesstellen, die andere Hälfte                               nötigen Grundlagen bereitgestellt
steuerten Kantone, Gemeinden oder die Regionen                              werden.»              Roland Hohmann, BAFU
bei. Derzeit evaluieren wir das Programm. Und
es finden Gespräche für eine Fortsetzung statt.
Für Anfang 2018 ist eine Ausschreibung geplant.
Läuft alles wie vorgesehen, erfolgt die Auswahl      selber aktiv zu werden. Wir spürten bei vielen
der neuen Projekte bis Ende 2018, ab 2019 beginnt    Kantonen aber stets ein grosses Interesse. Dank
dann deren Realisierung.                             eines Vertrauensverhältnisses zu den Akteuren
                                                     auf den verschiedenen Ebenen wurden in den
Können Sie einige Beispiele aus der ersten Phase     letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt. Und
nennen?                                              das ist eine gute Voraussetzung für eine erfolg-
Im Kanton Aargau ist erkannt worden, dass die        reiche Zusammenarbeit. Letztlich geht es darum,
Biodiversität noch stärker unter Druck gerät.        dass die Kantone, Regionen und Gemeinden den
Ein Pilotprojekt beschäftigte sich deshalb mit       Wandel bewältigen können.
der Frage, wie im Naturschutz auf lokaler Ebene
damit umgegangen werden kann. Ein Projekt im         Was braucht es, damit sich die Gesellschaft den     Um mit den Folgen des
Berner Oberland fokussierte auf Murgänge und         Anpassungsfragen stellt?                            Klimawandels fertig zu
Felsstürze im Grimselgebiet. Treibende Kraft war     Wenn etwas geschieht, passen wir uns sowieso an.    werden, muss die Natur
neben den Naturgefahrenfachleuten die Regio-         Doch es gibt bessere und schlechtere beziehungs-    möglichst widerstandsfä-
nalkonferenz Oberland-Ost. Die gemeinsam ent-        weise schmerzvollere Wege der Anpassung. Wir        hig sein – auch in über-
wickelte Klimaanpassungsstrategie geht deutlich      wollen mögliche Probleme frühzeitig erkennen,       bauten Gebieten. Grün-
über die Naturgefahren hinaus: Sie berücksichtigt    aber auch die Chancen nutzen, die sich da und       räume und Wasserflächen
die nachhaltige Entwicklung im Grimselgebiet         dort bieten. Dabei handelt es sich primär um eine   im Siedlungsgebiet
unter den Vorzeichen eines sich ändernden Kli-       politische Aufgabe. Wenn die Menschen jedoch        bieten vielfältige Nischen
mas. In Davos entstanden unter dem Titel «Davos      für den Klimawandel und die damit verbundenen       für Pflanzen und Tiere;
+ 1,7 Grad» kurze Filmsequenzen. In 2 Minuten        Probleme sensibilisiert werden, erreicht man        entsprechend gross ist
werden klimabedingte Änderungen, die in der          vielleicht auch, dass sie selber einen Beitrag      dort die Artenvielfalt. Der
Landschaft Davos bereits heute sichtbar sind,        zum Klimaschutz leisten und ihre Treibhausgas-      Kanton Aargau hat einen
aufgezeigt – mit dem Ziel, die Menschen für          emissionen reduzieren. Der Kanton Solothurn         Klimawandel-Check entwi-
den Klimawandel zu sensibilisieren. Auch die         beschreitet bei der Kommunikation diesbezüglich     ckelt, der den Gemeinden
lokalen Politikerinnen und Politiker reagierten      neue Wege, die ich sehr spannend finde.             dabei hilft, klimagerechtes
positiv auf das Projekt.                                                                                 Biodiversitätsmanagement
                                                                                                         zu betreiben. Wie hier in
                                                     Weiterführende Links zum Artikel:
Wie weit fortgeschritten ist die Arbeit                                                                  Villmergen sollen künftig
                                                     www.bafu.admin.ch/magazin2017-3-03
in den Kantonen?                                                                                         an möglichst vielen Orten
Die Kantone sind unterschiedlich weit. Zum                                                               Flächen zur Förderung der
Teil widerspiegelt dies auch den Umstand, dass       KONTAKT                                             Artenvielfalt im Siedlungs-
nicht alle Kantone gleich stark exponiert sind.      Siehe Seite 10.                                     raum geschaffen werden.

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DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

                                                  13
umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

HITZE IN DEN STÄDTEN

Mehr Grün und Blau
als Grau
Städte und Agglomerationen leiden besonders unter der Klimaerwärmung. Immer mehr von ihnen ergreifen aber
Massnahmen, um die Auswirkungen dieser Entwicklung zu mildern. Im Wallis ist die Stadt Sitten/Sion ganz
speziell von diesem Phänomen betroffen. Sie hat ein ehrgeiziges Projekt mit dem Namen ACCLIMATASION lanciert
und will andere Städte von ihren Erfahrungen profitieren lassen. Text: Cornélia Mühlberger de Preux

                       Sitten ist die Schweizer Stadt, in der sich das    jekt am Pilotprogramm «Anpassung an den
                       Klima am stärksten erwärmt. Innerhalb von          Klimawandel» des Bundes teilgenommen hat.
                       20 Jahren ist die Temperatur im Kantonshauptort    Dieses unterstützte zwischen 2014 und 2016
                       um 1 °C gestiegen, während die Niederschläge       31 Projekte, um die besten Ansätze zur Mini-
                       um 10 Prozent abgenommen haben. «Im Stadt-         mierung der klimabedingten Schäden und zur
                       zentrum, wo Beton und Asphalt am dichtesten        Erhaltung der Lebensqualität der Bevölkerung zu
                       sind, erstickt man im Sommer fast. Hier manifes-   eruieren. Die Projekte dieses Programms beschäf-
                       tiert sich das berühmte Phänomen der urbanen       tigten sich auch mit Themen wie Biodiversität,
                       Hitzeinseln», erklärt Lionel Tudisco. Der junge    landwirtschaftliche Produktion oder Funktionen
                       Sittener Stadtplaner vergleicht diesen Effekt      des Waldes in einem sich verändernden Klima.
                       mit der Wirkung eines Specksteinofens, der die     Sitten wurde für die Umsetzung eines Projekts im
                       Temperatur speichert und bis am Abend auf-         Bereich klimaangepasste Stadtentwicklung aus-
                       rechterhält. Die Klimaerwärmung verwandelt         gewählt. Das Credo des Projekts ACCLIMATASION
                       Agglomerationszentren tatsächlich in Glutöfen.     fasst Lionel Tudisco wie folgt zusammen: «Mehr
                       Dichte Bebauung, wenig Vegetation, ein hoher       Grün und Blau als Grau.»
                                                                            Deshalb fördert die Stadt die Vegetation auf
                                                                          ihrem Gebiet, und zwar nicht nur im öffentlichen
       Die Stadt fördert die Vegetation auf ihrem                         Raum, sondern auch durch die Unterstützung
                                                                          privater Vorhaben. Jedes Jahr werden über
       Gebiet, und zwar nicht nur im öffentlichen                         100 Bäume und Büsche ersetzt und gepflanzt.
       Raum, sondern auch durch die Unterstützung                         Indem sie Wasser verdunsten und Schatten
                                                                          spenden, kühlen sie die Luft. Mehrjährige Pflan-
       privater Vorhaben.                                                 zen und Grasflächen stehen ebenfalls hoch im
                                                                          Kurs, so etwa rund um die Kindertagesstätte von
                                                                          St-Guérin. Hügelbeete, auf denen Iris, Federgräser
                       Anteil an versiegelten Flächen, Luftschadstoffe,   und Sonnenhut gedeihen, haben dort einen Teil
                       Abwärme von Gebäuden und Verkehr sowie             des ehemaligen betonierten Parkplatzes ersetzt.
                       immer häufigere Hitzewellen verstärken das Phä-    Neben der Kirche wurde eine Böschung neu be-
                       nomen zusätzlich. Dies alles kann dazu führen,     pflanzt und das Dach eines kleinen Gebäudes be-
                       dass die Temperatur in städtischen Zonen bis zu    grünt. Rundherum wachsen heute diverse Bäume
                       6 °C höher ist als in den umliegenden Regionen.    wie etwa Fichten, Eiben oder auch Judasbäume.
                                                                            Die Stadt Sitten ist allerdings bereits vor dem
                       Grün und Pflanzen, wo es nur geht                  Projekt ACCLIMATASION aktiv geworden. Dies
                       Angesichts seiner klimatischen Geschichte          beweist die Strasse Espace des Remparts direkt
                       erstaunt es nicht, dass Sitten mit einem Pro-      vor dem Stadthaus, wo auch das Städtische Amt

14
DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

für Raumplanung angesiedelt ist. Wo früher ein        ebene ist eine eigentliche Kiesgrube, es steht nur
Parkplatz war, breitet sich heute eine eigentliche    wenig Boden zur Verfügung, und die Zone ist von
städtische Lounge aus – mit Bäumen, Sitzgele-         zwei Mikroklimata geprägt: einem kontinentalen
genheiten, einem Wasserspiel und einem hellen,        und einem mediterranen am Sonnenhang. Hinzu
durchlässigen Boden. Dieser Platz diente zudem        kommt der Stress aufgrund des Klimawandels.
als Modell für andere Gestaltungen wie etwa den       Philippe Quinodoz musste feststellen, dass einige
Boulevard Cours Roger Bonvin, wie Lionel Tudis-       der vorhandenen Arten leiden. Deshalb führt
co betont. Wir schwingen uns auf unsere Velos         er nun zahlreiche Tests durch, um genau die
und machen uns auf Entdeckungstour.                   Pflanzen zu finden, die unter den aktuellen
  Wir pedalen in Richtung westlicher Stadtrand        Bedingungen überleben können.
zur Landwirtschaftsschule Châteauneuf, wo               «Wir siedeln beispielsweise die Hopfenbuche
zwei neue Einrichtungen entstanden sind: ein          an – einen Baum aus der Provence, der Hitze,
japanischer Garten auf dem Dach der Schule            Trockenheit und kalkreiche Böden sehr gut er-
und ein Teich, der in einer grossen Wiese vor         trägt – und führen Versuche mit verschiedenen
dem Nordeingang des Gebäudes angelegt wurde.          Eichenarten, wie zum Beispiel Steineiche, Zerr-
«Mehrere Studien zeigen, dass eine Kombination        Eiche oder auch Ungarischer Eiche, durch.» Den
verschiedener Massnahmen wie Wasserquellen,           richtigen Baum am richtigen Ort zu pflanzen, be-
Schatten, Begrünung, angepasster Materialien          deutet zudem weniger Unterhalt und damit auch
oder Wiederherstellung der Durchlässigkeit die        weniger Kosten. Für den Place du Midi wurden
Hitze in Städten deutlich vermindern kann»,           Gleditschien gewählt. Sie haben den Vorteil, dass
erklärt Melanie Butterling vom Bundesamt für          sie sommergrün sind, ihre Blattentwicklung erst
Raumentwicklung (ARE).                                spät im Frühling einsetzt und sie ihre Blätter im
                                                      Herbst rasch verlieren. «Hinsichtlich Vegetation
Wasser und Albedo                                     hat jede Stadt ihre Besonderheiten. Was für Sitten
Was uns bei unserer Tour quer durch Sitten            gilt, ist nicht unbedingt auch für Genf, Zürich
ebenfalls auffällt, sind die Anstrengungen zum        oder Bern richtig», bemerkt Melanie Butterling.
Schutz und zur Optimierung des Wasserkreislau-          In Bern hat die Studie Urban Green & Climate
fes. Dazu gehört nicht nur die Einrichtung von        Bern – ebenfalls ein Pilotprojekt des Programms
Brunnen, Wasserflächen und Versickerungsmul-          «Anpassung an den Klimawandel» – die extre-
den oder die Freilegung eingedolter Wasserläufe.      men Bedingungen deutlich gemacht, denen der
Wo immer möglich wird auch der Boden durch-           städtische Baumbestand unterworfen ist, so etwa
lässiger gemacht, damit das Regenwasser besser        Bodenversiegelung, Streusalz, Luftverschmut-
versickern kann und der Hochwasserabfluss bei         zung oder auch mangelnder Wurzelraum. Zudem
Starkniederschlägen vermindert wird. Die Stadt        wurde der Gesundheitszustand von mehr als der
setzt deshalb beim Bau von neuen Parkflächen          Hälfte der inventarisierten Strassenbäume als
auf Rasengitter. Auf Plätzen oder rund um Bäume       schlecht beurteilt. Diese Studie identifiziert die
kommt heller Kies statt Beton zum Einsatz, und        klimatischen Ansprüche verschiedener Arten,
bei Neugestaltungen wird heller Asphalt dem           formuliert Empfehlungen und schlägt neue
gewohnten dunklen Bodenbelag vorgezogen.              Finanzierungsmöglichkeiten etwa durch Paten-
«Eine schwarze Strasse speichert viermal mehr         schaften für «klimafitte Baumarten» vor.
Wärme als eine helle», erklärt Lionel Tudisco und
weist zudem darauf hin, dass eine hohe Albedo –       Bessere Durchlüftung
das heisst ein hohes Rückstrahlvermögen einer         Zahlreiche Ansätze und Empfehlungen gelten
Fläche – zu einer Temperatursenkung beiträgt.         aber für alle Städte und Agglomerationen. Das
                                                      ARE hat dazu eine Arbeitshilfe für Planerinnen
Der richtige Baum am richtigen Ort                    und Planer mit dem Titel «Klimawandel und
Beim Place du Midi legen wir einen Halt ein           Raumentwicklung» erarbeitet. Sie behandelt
und treffen uns mit dem Stadtgärtner Philippe         die Integration von Klimafragen in den Pla-
Quinodoz. «Unser Ziel besteht darin, den Baum-        nungsprozess, Anreizstrukturen zur Sicherung
bestand zu erhalten, zu schützen und (neu) auf-       von Freiräumen oder auch die Anpassung der
zubauen und im selben Zug die Biodiversität zu        Bepflanzung an das Klima und das Wasserange-
fördern», erklärt er gleich zu Beginn. Nur sind die   bot. Daneben nennt die Arbeitshilfe zwei weitere
hiesigen Bedingungen nicht einfach. Die Rhone-        wichtige Aspekte: die Anpassung der raumpla-

                                                                                                                         15
umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

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DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

                                    nerischen Instrumente an die klimatischen           In Genf hat das Projekt CityFeel, das von der
                                    Herausforderungen und die Verbesserung der          Gruppe Laboratoire, Energie, Environnement,
                                    Durchlüftung. Sitten hat auch diese Aspekte         Architecture (leea) der Hochschule für Land-
                                    berücksichtigt.                                     schaft, Ingenieurwissenschaften und Architek-
                                      Um eine nachhaltige Wirkung zu gewähr-            tur (hepia) erarbeitet wurde, einen «microcli-
                                    leisten, plant die Walliser Stadt, die Prozesse     matmètre» entwickelt. Dieses Messgerät erfasst
                                    und Lösungen im kommunalen Richtplan,               und quantifiziert die verschiedenen Faktoren,
                                    im Zonenplan, in den Quartierplänen und im          die auf Fussgängerinnen und Fussgänger
                                    Baureglement zu verankern. Ausserdem will           in der Stadt einwirken. Es wurde bis anhin
                                    sie eine maximale Fassadenlänge festlegen,          in Basel, Zürich, Genf und wiederum in Sitten
                                                                                        eingesetzt. Die Ergebnisse der Analysen stehen
                                                                                        noch bevor.
                                      «Man muss die Menschen be-
                                      rühren, sie mit Projekten sen-                    Ein Gewinn für die Lebensqualität
                                                                                        Unsere Sitten-Rundfahrt führt uns schliesslich
                                      sibilisieren, welche sie anregen                  auf die andere Seite der Rhone. Wir folgen
                                      und die Geselligkeit und das                      der Avenue du Bietschhorn, die sich neuer-
                                      Wohlbefinden fördern.»                            dings dank grosszügiger Pflanzenstreifen, auf
                                                                                        welchen Mohnblumen, Roggen und andere
                                                   Lionel Tudisco, Stadtplaner Sitten   Feld- und Wiesenpflanzen spriessen, je nach
                                                                                        Jahreszeit anders präsentiert. Die letzte Etappe
                                                                                        endet auf der Cours Roger Bonvin, dem Vor-
                                    damit keine zu langen Häuserblöcke gebaut           zeigeobjekt von ACCLIMATASION. Hier ist auf
                                    werden, die die natürliche Durchlüftung der         der Autobahn und auf einem einen Hektar
                                    Stadt behindern. Interessant ist diesbezüglich      grossen Areal ein ausgedehnter Treffpunkt
                                    das Beispiel des Erlenmatt-Areals in Basel.         entstanden, mit flossartigen Behältern, die
                                    Hier wurde bereits vor dem Bau des neuen            mit Ahornbäumen bepflanzt wurden, Holz-
                                    Quartiers die Ausrichtung der Bauten speziell       decks, die als Bänke dienen, Wasserspielen
                                    untersucht, damit Frischluft aus dem Wiesen-        und einem Pétanque-Platz. Lionel Tudisco ist
                                    tal von Norden in das Areal strömen und den         sich sicher: «Man muss die Menschen berüh-
                                    Hitzestau im Sommer mildern kann.                   ren, sie mit Projekten sensibilisieren, welche
                                      Im Rahmen des Projekts «Klimaangepasste           sie anregen und die Geselligkeit und das
                                    Stadtentwicklung» setzen sich das BAFU und          Wohlbefinden fördern.» Melanie Butterling
                                    das ARE dafür ein, dass die Innenstädte auch        pflichtet ihm bei: «Die Eingriffe in Sitten sind
                                    in einem wärmeren Klima eine angenehme              Win-win-Lösungen. Sie bekämpfen nicht nur
                                    Aufenthalts- und Wohnqualität bieten. Das           die Klimaerwärmung, sondern erhöhen auch
                                    Ziel besteht darin, einen Überblick über            die Lebensqualität in der Stadt.»
                                    Grundlagen, mögliche Massnahmen sowie
Ein Baum trägt gleich viel zur      Vorgehen zur Bewältigung der zunehmen-
Kühlung einer hitzegeplagten        den Hitzebelastung und insbesondere der
Stadt bei wie fünf Klimaanlagen.    Hitzeinseln in Städten und Agglomerationen
                                                                                        Weiterführende Links zum Artikel:
Deshalb schafft Sitten/Sion grüne   zu erarbeiten. Um die Vertreterinnen und
                                                                                        www.bafu.admin.ch/magazin2017-3-04
Inseln in der Landschaft. Positiv   Vertreter städtischer Räume für dieses Thema
auf das Mikroklima wirken sich      zu sensibilisieren und Beispiele vorzustellen,
nicht nur heller Kies, sondern      organisieren die beiden Bundesämter Tagun-
auch Wasserflächen und feuchte      gen und Workshops. Mehrere Schweizer Städ-
Böden aus, denn der Verduns-        te haben den Stier bereits bei den Hörnern
tungseffekt hat eine kühlende       gepackt, so etwa Zürich mit der Klimaanalyse
Wirkung. In Sitten wurden aus       KLAZ, Basel oder eben Sitten. Zahlreiche wei-                   KONTAKT
diesem Grund Böden «entsiegelt»,    tere interessieren sich für diese Problematik.                  Melanie Butterling
                                                                                                    Sektion Siedlung und Landschaft
das heisst, undurchlässige Ober-      Parallel dazu werden die Parameter, die
                                                                                                    Bundesamt für Raumentwicklung (ARE)
flächen wurden beispielsweise       unser Wohlbefinden im städtischen Umfeld                        +41 58 462 40 64
durch Rasengitter ersetzt.          beeinflussen, immer intensiver erforscht.                       melanie.butterling@are.admin.ch

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umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

TROCKENHEIT

Was tun, wenn das Wasser
knapp wird?
Im Kanton Basel-Landschaft müssen bereits heute Bäche abgefischt werden, wenn es im Sommer heiss und
trocken wird. Auch die Landwirtschaft spürt die Verknappung. Als Folge des Klimawandels dürfte das Wasser
in den nächsten Jahrzehnten auch andernorts zeitweise Mangelware werden. Ein Baselbieter Pilotprojekt
zeigt, wie sich dieser Entwicklung langfristig entgegentreten lässt. Text: Pieter Poldervaart

«Ziemlich überrascht» sei er gewesen, sagt Ad-      im Hochsommer ganz versiegen. Solche Hitzewel-        Die Anpassung an den
rian Auckenthaler, als er im letzten Herbst die     len fallen just in die Periode, in der auch in der    Klimawandel lässt sich
Untersuchung «Handlungsempfehlungen zur             Landwirtschaft das Wasser zum Teil knapp wird.        nur gemeinschaftlich
Nutzung von Fliessgewässern unter veränderten       Gegenwärtig muss im Baselbiet noch nicht so viel      meistern. Vielerorts
klimatischen Bedingungen» studiert habe. Grund      bewässert werden. So verfügt denn auch bloss ein      braucht es dazu die
für das Erstaunen des kantonalen Chefbeamten        halbes Dutzend Landwirte über eine Konzession,        Zusammenarbeit über die
waren Szenarien zum künftigen Wasserstand           um das kostbare Nass wenn nötig direkt aus Flüs-      Kantonsgrenzen hinweg.
der Fliessgewässer im Baselbiet: Je nach Szena-     sen und Bächen abzupumpen – unter anderem             Umweltfachleute aus
rio ist denkbar, dass im Jahr 2085 in der Ergolz,   zur Bewässerung von Obstkulturen. Doch sollten        der Innerschweiz sind
dem neben Rhein und Birs wichtigsten Fluss des      die Sommer zunehmend heisser und trockener            in einem Pilotprojekt
Kantons Basel-Landschaft, an 20 bis 109 Tagen       werden, dürfte in der Landwirtschaft der Bewäs-       die Herausforderungen
ein sogenanntes Wasserdefizit herrschen wird.       serungsbedarf deutlich steigen.                       von Sommertrockenheit
Von einem solchen spricht man, wenn der Was-          Für Adrian Auckenthaler, den Leiter Wasser          und steigender Schnee-
serstand derart tief sinkt, dass die Entnahme       und Geologie im Amt für Umweltschutz und              fallgrenze gemeinsam
von Wasser zum Schutz der Wasserlebewesen           Energie des Kantons Basel-Landschaft, sind die        angegangen.
eingeschränkt oder gar verboten werden muss.        Resultate des Pilotprojekts Anlass, bereits geplan-
Zum Vergleich: Zwischen 1984 und 2013 kam es        te Anstrengungen für ein besseres Wasserma-
an der Ergolz bloss an durchschnittlich 3 Tagen     nagement zu intensivieren. Der Schlussbericht
zu einem Wasserdefizit. Weniger Wasser bedeu-       des Projekts, das im Rahmen des Pilotprogramms
tet auch höhere Wassertemperaturen. Und diese       «Anpassung an den Klimawandel» des Bundes
sorgen bei Fischen als wechselwarmen Tieren für     realisiert wurde, listet über 20 Massnahmen auf,
Stress und führen im Extremfall zum Tod.            mit denen sich der zunehmenden Wasserknapp-
                                                    heit auf verschiedenen Ebenen begegnen liesse.
Steigender Bewässerungsbedarf                       «Diese Empfehlungen bestätigen uns darin»,
Grund für die besorgniserregenden Aussichten        erklärt Auckenthaler, «dass die Gesetze, die der
im Baselbiet ist die voranschreitende Klimaerwär-   Kanton in diesem Bereich beschlossen hat, nun
mung. Mit dem Wandel dürften sich in unseren        auch konsequent umgesetzt werden müssen.»
Breiten nicht nur die Temperaturen erhöhen,
sondern im Sommer auch die Niederschläge            Regenwasser möglichst versickern lassen
abnehmen. Im Kanton Basel-Landschaft sind           Um die negativen Effekte des Klimawandels auf
die Folgen dieser doppelten Entwicklung bereits     die Wasserlebewesen abzudämpfen, sind Akteu-
heute spürbar: In heissen und trockenen Phasen      re in verschiedenen Bereichen gefragt. Bei der
erwärmen sich die grösseren Flüsse um mehrere       Vergabe neuer Fischereipachten etwa wird im
Grad, und die Wassermenge von kleineren Bä-         Baselbiet künftig vermehrt darauf geachtet, dass
chen geht so stark zurück, dass einige von ihnen    die Gewässer nur zurückhaltend mit gezüchte-

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DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL < umwelt 3/2017

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umwelt 3/2017 > DOSSIER ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

ten Fischen besetzt werden. Eine Massnahme, so         sie reagieren widerstandsfähiger auf Veränderun-
Auckenthaler, die zur Förderung der Biodiversität      gen. Ganz unabhängig vom Klimawandel sieht
beitrage. Den Bauern wiederum soll in Trocken-         die nationale Gewässerpolitik vor, in den nächs-
phasen nur noch unter strengen Auflagen erlaubt        ten 80 Jahren landesweit 4000 Kilometer Flüsse
werden, mit Wasser aus Bächen zu bewässern.            und Bäche zu revitalisieren und wieder besser
Auflagen, für welche die landwirtschaftliche           miteinander zu vernetzen. Mit fortschreitendem
Beratung Verständnis schaffen soll. Gefordert          Klimawandel ist es wichtig, die Auswirkungen
sind aber auch die Gemeinden. Sie sollen dafür         von Extremereignissen wie Hochwassern oder
sorgen, dass Wasser von versiegelten Flächen –         sommerlicher Hitze in der Planung von Mass-
wie heute schon gesetzlich vorgeschrieben, aber        nahmen zu berücksichtigen. Um den Fischen bei
nicht immer befolgt – nicht in die Kanalisation        hohen Wassertemperaturen überlebenswichtige
eingeleitet wird, sondern wann immer möglich           Abkühlung zu verschaffen, braucht es struktur-
versickert oder in Bäche und Flüsse fliesst.           reiche Gewässer mit tiefen Pools, mehr Schatten
   Dass das Pilotprojekt zur zukünftigen Nutzung       sowie einen verbesserten Grundwasseraustausch.
der Fliessgewässer in der Nordwestschweiz durch-
geführt wurde, ist nicht etwa Zufall: «Weil der        Richtige Wahl der Kulturen
karstige Untergrund das Regenwasser besonders          Der haushälterische Umgang mit dem Wasser
schnell abfliessen lässt, ist der Kanton Basel-Land-   betrifft unter anderem die Bauern. Je nach
schaft bereits heute überdurchschnittlich von          landwirtschaftlicher Kultur und Boden variiert
Wasserknappheit betroffen», sagt Samuel Zahner         der Wasserbedarf nämlich enorm. «Bei Wasser-
von der Abteilung Wasser des BAFU. Komme dazu,         entnahmen für die Landwirtschaft gibt es noch
dass die Region über keine hohen Berge verfüge,        viel Verbesserungspotenzial», erklärt Samuel
wo Wasser in Form von Schnee oder Gletschereis         Zahner, der sich im BAFU mit der Planung von
für den Sommer zwischengespeichert würde. «Aus         Wasserressourcen befasst. Um den Wasserbedarf
diesen Gründen lässt sich im Baselbiet heute bei       langfristig zu senken, sollte bei der Wahl der
der Verfügbarkeit von Wasser eine Entwicklung          Kulturen noch stärker als heute berücksichtigt
beobachten, die langfristig in zahlreichen ande-       werden, wie viel Wasser in der entsprechenden
ren Kantonen ebenfalls eintreten wird.»                Region überhaupt zur Verfügung stehe. Unter-
   Die Ergebnisse der Baselbieter Studie sind daher    stützung bei solchen Überlegungen bieten die
auch für andere Kantone eine gute Grundlage            im Auftrag des BAFU erstellten «Praxisgrundlagen
bei der Entwicklung von Anpassungsprojekten.           zum Wasserressourcenmanagement», die im
Eine wichtige Voraussetzung ist die systematische      Kanton Thurgau im Rahmen eines Pilotversuchs
Aufnahme und Auswertung von Datenmateri-               getestet wurden. «Die Erkenntnisse aus den Kan-
al. Dieses Monitoring umfasst unter anderem            tonen Thurgau und Basel-Landschaft zeigen, wie
die Ermittlung der exakten Bodenfeuchtigkeit           wichtig es ist, sich abzeichnende Nutzungskon-
von unterschiedlichen Bodentypen. Die Studie           flikte ums Wasser bereits heute anzugehen und
schlägt auch vor, alle 3 bis 5 Jahre den Fisch-        die Fliessgewässer noch besser zu schützen», sagt
und Nährtierbestand der Gewässer zu erheben.           Samuel Zahner.
Und schliesslich gilt es, die Abflussmengen der
einzelnen Flüsse und Bäche sowie die Wassertem-
                                                       Weiterführende Links zum Artikel:
peraturen kontinuierlich zu messen. Das BAFU
                                                       www.bafu.admin.ch/magazin2017-3-05
ist derzeit gemeinsam mit den Kantonen daran,
das Monitoring der Wassertemperaturen diesen
neuen Anforderungen anzupassen.

Die Bedeutung von Revitalisierungen
Aus Sicht des BAFU stehen 2 Handlungsfelder im
Vordergrund, um den Folgen des Klimawandels
für Bäche und Flüsse zu begegnen: die Revitali-                    KONTAKT
sierung von Gewässern und ein haushälterisches                     Samuel Zahner
                                                                   Sektion Revitalisierung und
Wassermanagement.                                                  Gewässerbewirtschaftung, BAFU
  Revitalisierungen sind wichtig, da Gewässer in                   +41 58 465 31 78
naturnahem Zustand resilienter sind. Das heisst,                   samuel.zahner@bafu.admin.ch

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