Stadtlandschaften - gestaltetes Wohlbefinden - T3/2007 - Bundesamt für ...
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EDITORIAL Inhalt Leben in der Stadt: 4 Spots Nehmen wir die Herausforderung an! 6 – 51 DOSSIER STÄDTE UND Wer wie ich das Glück hat, in der Berner Altstadt zu wohnen AGGLOMERATIONEN und über eine Dachterrasse zu verfügen, weiss die Vorzüge des Stadtlebens doppelt zu geniessen. Man kann den Blick über die 6 Verstädterung malerische Altstadt schweifen lassen, sieht über die Aare bis Der Trend zur Konzentration der Wohnbevölkerung zum Rosengarten und kann die Seele nach Feierabend inmitten und der Wirtschaft in den Städten und Agglomera- seiner selbst geschaffenen Idylle baumeln lassen. Gleichzeitig tionen hat sich in letzter Zeit wieder beschleunigt. ist man mitten in der Stadt, kann ihre kulturellen sowie kom- Er stellt die Umweltpolitik vor neue Herausforderun- merziellen Angebote jederzeit nutzen und ist erst noch optimal gen, eröffnet aber auch Chancen für einen schonen- an den öffentlichen Verkehr angebunden. den Umgang mit den natürlichen Ressourcen und Aber nicht überall ist es so schön wie auf einer Dachterrasse für mehr Lebensqualität. in der Berner Altstadt. Die Verstädterung der Schweiz nimmt laufend zu. Derzeit leben rund 73 Prozent der Bevölkerung auf urbanem Gebiet. Auch die Schweiz kennt graue Betongegen- den, schlechte Luft und hohe Lärmbelastung. Und an einem sonnigen Mittag muss man auf dem Waisenhausplatz bisweilen durch eine Flut von gedankenlos weggeworfenem Müll waten. Littering heisst dieses Problem, und es ist nicht einfach der Ju- gend anzulasten. Erwachsene entsorgen ihren Abfall auf solche Weise zwar weniger öffentlich, dafür manchmal systematisch. Ein für die kleinräumige Schweiz besonderes Problem ist der zunehmende Bodenverbrauch, der mit dem Anwachsen der Städte und Agglomerationen einhergeht. Jede Sekunde ein ver- Bern Ruben Wyttenbach brauchter Quadratmeter – da liesse sich ausrechnen, wie viele Generationen es noch dauert, bis die Stadt St.Gallen mit der 12 Netzstadt Stadt Genf fusionieren kann. Ein Forschungsprojekt analysierte den Ressourcen- Patentlösungen gibt es für keines dieser Probleme, aber es haushalt städtischer Systeme. Plädiert wird für eine gibt Lösungsansätze, die mit einem integralen Ansatz konse- neue Nähe und eine Verflechtung der Nutzungen. quent weiterverfolgt werden müssen und an denen auch das BAFU mitarbeitet. So muss es ein Ziel der Stadtentwicklung sein, 14 Agglomerationspolitik die Effizienz der Bodennutzung zu erhöhen, beispielsweise in- Die Agglomerationspolitik des Bundes soll die dem nicht mehr gebrauchte Industrieareale zu Wohngebieten Verkehrsprobleme der Städte lösen helfen, damit umgenutzt werden. Gleichzeitig haben Naherholungsgebiete verbunden einen Beitrag zu einer besseren Lebens- eine enorme Bedeutung für die Lebensqualität. Pärke, Seen, qualität leisten und die räumliche Ausbreitung der Flüsse und Wälder laden zum Verweilen und Erleben der Natur Agglomerationen lenken. ein. Sie zu erhalten und wo möglich auch ökologisch aufzuwer- ten – zum Beispiel durch Renaturierungen verbauter Fliessge- 18 Industriebrachen wässer – ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Und In der Schweiz schlummert ein Potenzial ungenutzter nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass die Luft noch sau- Industrieflächen so gross wie die Stadt Genf. berer und der Lärm geringer wird. In diesem Sinn: Nehmen wir die Herausforderung Stadt an! 22 Verkehr In den nächsten 20 Jahren sollen 12 Milliarden Christine Hofmann, Vizedirektorin BAFU Franken aus öffentlichen Kassen in Infrastruktur- projekte des Agglomerationsverkehrs fliessen. Eine bessere ÖV-Erschliessung, weniger Abgase und Lärm für die Bevölkerung sind die wichtigsten Ziele. 2 UMWELT 3/07
25 Familiengärten 45 Lärm 60 000 Familiengärten sorgen für wertvolle Farbtupfer Hätten wir mehr Ruhe, wenn Lärm den in der Stadtlandschaft. Verursacher etwas kosten würde? 29 Stadtgrün 48 Forschung Der Wunsch nach Natur ist bei der städtischen Bevöl- Ressourcen erhalten, für günstige Wirtschafts- kerung ausgeprägt. Der wiederbelebte Stadtbach bedingungen sorgen und mehr Lebensqualität erfüllt dieses Bedürfnis besser als der gepflegte Stadt- für die Menschen ermöglichen: Ein Forschungs- park mit dem Verbotsschild. programm des Nationalfonds erarbeitet Grund- lagen für eine Agglomerationspolitik mit Zukunft. 32 Naherholung Naherholung ist zum Beispiel ein Spaziergang vom 51 Städte und Agglomerationen ONLINE Berner Bärengraben auf den Aussichtsberg Bantiger. 52 – 62 EINZELTHEMEN 34 Stadtwa l d Stadtwälder sind in erster Linie Erholungswälder. Wie 52 Landschaft müssen sie gepflegt werden, damit sie diese Funktion Zivildienstleistende stellen ein grosses Ressourcen- dauerhaft erfüllen können? potenzial zur Umsetzung der Naturschutzziele in Kantonen und Gemeinden dar. 37 Stadtnatur Auch Vogelgesang, Blumenpracht und ein wenig Wild- 54 Abfallwirtschaft nis neben der Haustür sind Teil der urbanen Lebens- Kompost und Gärgut aus der Grünabfuhr: Die qualität. Qualität muss noch besser werden. 40 Abfall 56 NFA Im Kampf gegen das Dauerärgernis «Littering» setzen Die Neugestaltung des Finanzausgleichs NFA Kantone und Gemeinden zusammen mit dem BAFU setzt auch neue Regeln für die Subventionspolitik auf Vereinbarungen mit Event-Veranstaltern. im Umweltbereich. 58 Volkswirtschaftliche Beurteilung Alle vom BAFU geplanten Umweltbestimmungen unterliegen neu einer volkswirtschaftlichen Beurteilung. 60 Holz Der Wald des Klosters Einsiedeln erzählt vom Wert- wandel des Holzes in den vergangenen tausend Jahren. Stefan Bohrer 62 Internationales Rheinpromenade Basel 63 Urteil/Praxis: Interessantes aus den Kantonen 42 EURO 08 67 BAFU Inside Gross-Events sind Teil des städtischen Lebens. Die 68 Agenda Fussball-Europameisterschaft in Österreich und 69 Neue BAFU-Publikationen in der Schweiz soll in Sachen Umweltverträglichkeit 70 Aktiv Massstäbe setzen. 71 UMWELT-Tipps und Impressum Titelbild: Zürich-Oerlikon, fotografiert von Urs Jaudas UMWELT 3/07 3
zVg Aktionsprogramm Umwelt und Spendierfreudige Aludosensammler Gesundheit ist abgeschlossen im Tessin Ende Mai 2007 ging das Aktionsprogramm Umwelt Das Recycling von Aludosen funktioniert in der Schweiz sehr und Gesundheit APUG zu Ende. Im Rahmen der gut: Die Rücklaufquote erreicht einen Wert von rund 90 Prozent. Aufgabenverzichtsplanung hatte der Bundesrat 2005 Pro Kilogramm Aludosen erhalten Sammelnde bei Altstoffhänd- beschlossen, die Aktion des Bundesamtes für Gesund- lern 1.30 Franken. Seit 2004 arbeitet die Recyclingorganisation heit BAG nicht mehr weiterzuführen. In Zusammen- IGORA mit Pro Infirmis zusammen: Einzelpersonen, Verkaufs- arbeit mit dem BAFU hatte das Programm in drei stellen oder Gemeinden, die Aluminiumdosen zum Altstoff- Pilotregionen nachhaltige Präventionsprojekte durch- händler bringen, können das Dosengeld zugunsten behinderter geführt. Mit einem Innovationspool und gezielter Kinder spenden. Im Rennen um den spendenfreudigsten Landes- Vernetzung erreichte das APUG in den Schwerpunkt- teil hat das Tessin nun die West- und Deutschschweiz überholt: bereichen Mobilität, Natur und Wohnen positive Mit rund 5300 Franken trug es im letzten Jahr am stärksten zum Verhaltensänderungen und erzielte einen hohen Erfolg der Aktion bei. volkswirtschaftlichen Nutzen. Daniel Frischknecht, IGORA, www.apug.ch Bellerivestrasse 28, 8034 Zürich, Tel. 044 387 50 10, frischknecht@igora.ch, www.igora.ch, www.proinfirmis.ch Forschungsprogramm untersucht Risiken des Elektrosmogs Der Schweizerische Nationalfonds SNF hat auf Initiative des BAFU ein neues nationales Forschungsprogramm lan- ciert, das sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen nicht-ionisierender Strahlung (NIS) befasst. Fünf der insgesamt elf Einzelprojekte untersuchen, in welchem Masse wir dem sogenannten Elektrosmog im Alltag ausgesetzt sind und welche Folgen er auf die körperliche Gesundheit hat. Weitere, zellbiologische Studien gehen der Frage nach, wie sich die NIS auf die Erbsubstanz, die Aktivität von Genen und die Stressabwehr von Zellen auswirkt. Abgerundet wird das interdisziplinäre For- schungsprogramm durch sozialwissenschaftliche Stu- dien, die die Wahrnehmung und Bewertung der NIS in der Bevölkerung untersuchen. Mathis Brauchbar, Umsetzungsbeauftragter NFP 57, Advocacy AG, Forchstrasse 70, 8008 Zürich, Tel. 044 383 90 47, brauchbar@advocacy.ch, www.nfp57.ch NFP 57 4 UMWELT 3/07
SPOTS Trockenwiesen besser schützen Trockenwiesen- und weiden (TWW) sind wertvolle Lebensräume: Hier finden sich zahlreiche bedrohte Pflanzen- und Schmetterlings- arten. Trotz ökologischer Bemühungen sind in den letzen 15 Jah- ren jedoch viele dieser Standorte verschwunden. Das BAFU hat nun ein Inventar mit rund 3100 Objekten von nationaler Bedeutung er- stellt. Die entsprechende Verordnung war im Sommer 2007 bei Ver- bänden, Privatpersonen und Kantonen in der Anhörung und wird Ecosport für vom BAFU nun noch weiter bearbeitet. Sie soll für Bauern Anreize Sportveranstalter schaffen, diese Flächen nachhaltig zu nutzen. Christine Gubser, Sektion Arten und Biotope, BAFU, 3003 Bern, 290 000 Sportanlässe finden jedes Jahr in Tel. 031 322 99 80, christine.gubser@bafu.admin.ch, der Schweiz statt. Dank Abfallrecycling, www.umwelt-schweiz.ch > Themen > Trockenwiesen Mehrweggeschirr und guter ÖV-Anbindung des Veranstaltungsortes können Sportver- anstalter zum Umweltschutz beitragen. Ge- meinsam mit Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport verlieh das BAFU in den vergangenen Jahren den «Prix Eco- sport» an Sportorganisationen, die im Um- weltschutz Pionierarbeit leisten. Nun wird dieses Engagement ausgebaut und durch eine neue Internet-Plattform ergänzt. Auf «ecosport.ch» erhalten Sportveranstalter konkrete Tipps und Anregungen zur Durchführung eines umweltfreundlichen Sportevents. Wer seine eigenen Erfahrun- gen auf der Website anderen zugänglich macht, nimmt zudem an einem Wettbe- werb teil. «ecosport.ch» ist eng koordiniert mit der Städteinitiative «saubere-veranstal- tung.ch». zVg Adrian Weber, Swiss Olympic Association, Talgutzentrum 27, 3063 Ittigen, Tel. 031 359 71 42, Vogelbestimmung mit dem Handy ecosport@swissolympic.ch, www.ecosport.ch Wer auf Vogelexkursion geht, braucht seit diesem Jahr kein Bestim- mungsbuch mehr mitzunehmen. Die häufigsten Vögel lassen sich nun Ecosport auch per Handy bestimmen. Zusammen mit einer Partnerfirma hat der Schweizer Vogelschutz SVS einen Bestimmungsdienst für 123 Vogel- arten entwickelt. Es genügt, im Menu des WAP-Service die Jahreszeit und den Lebensraum auszuwählen, und schon erscheint eine Auswahl von möglichen Vogelarten. Für 1.20 Franken pro Art lassen sich dann Bilder, Artenbeschreibungen und sogar Vogelstimmen herunterladen. François Turrian, ASPO / BirdLife Schweiz, La Sauge, 1588 Cudrefin, Tel. 026 677 03 80, francois.turrian@birdlife.ch, http://wap.birdlife.ch, SMS mit Vermerk «SVS» an die Zielnummer 939 senden. UMWELT 3/07 5
Karina Muench Reyes Die Städte erleben derzeit eine Renaissance. Die Flucht ins Grüne wird seit Ende des 20. Jahrhunderts durch eine Gegenbewegung zurück in die Zentren überlagert. Der urbane Lebensstil setzt sich durch. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 7
VERSTÄDTERUNG «Die ganze Schweiz ist wie eine grosse Stadt» Jean-Jacques Rousseau, 1793 Drei Viertel der Bevölkerung leben heute in Agglomerationen, der städtische Lebensstil setzt sich durch. Diese Entwicklung stellt die Umweltpolitik vor neue Herausforderungen. Der Platzregen hat den Staub runterge- von Wohnen und Arbeiten, von Parks Filmgeschichte geschrieben haben, ist waschen. Noch dampft der Asphalt, und wilden Grünflächen, ausserdem das Verhältnis der Schweizerinnen und und in seinen Teergeruch mischt sich Einkaufsmöglichkeiten und kulturelle Schweizer zu ihren Städten bestenfalls der Duft von Falafel aus der Beiz an der Institutionen, ein gut ausgebauter öf- geprägt von freundlicher Gleichgültig- Ecke. Es zischt, als der Bus langsam fentlicher Verkehr, dies alles realisiert keit. Die alten Eidgenossen blickten durch die Pfützen fährt. Vor dem Ein- im Respekt vor der historischen Bau- misstrauisch auf die Städte: Hierzu- kaufsmarkt gegenüber verabschiedet substanz, die das unverwechselbare lande entwickelten sich keine Residen- sich die Putzkolonne: Autotüren schla- Gesicht und die Identität einer Stadt zen mit kultureller Ausstrahlung, gen zu, die Rücklichter setzen rote Ak- prägt» – das sind für Franz-Sepp Stulz, sondern verkehrsgünstig gelegene zente auf die Wand. Nebenan stehen Leiter der Abteilung Natur und Land- Marktflecken, fest im Griff von Bürger- ein paar Jugendliche vor der Kinokasse. schaft im BAFU, die wesentlichen tum und Handwerk. Das Bild der Ein Kind lacht, und von weiter weg, Merkmale, die qualitätsvolle Urbanität Schweiz als ein Land der Bauern und aus der Musikschule am kleinen Park, charakterisieren. Hirten zeigte Beharrungsvermögen, zu- wehen Oboenklänge herüber. Abend- mindest im eigenen Selbstverständnis. stimmung im zentrumsnahen Quartier. Die Schweiz, ein ländliches Land? Der Fremde, der Helvetien mit offenen Gelebte Urbanität. Urbanität bedeutet Während städtische Szenerien aus Augen bereiste, stellte freilich diese Vielfalt. «Eine gute Durchmischung Europas Metropolen Literatur- und Sicht schon früh in Frage: «[In der Stadtluft Stadtmenschen atmen schlechtere Luft als Landmenschen. diesen Wandel zu beschleunigen, kommen Anreizinstrumente Rund 30 Mikrogramm Feinstaub (PM10) pro Kubikmeter ent- und Emissionsgrenzwerte zum Einsatz. hält die Stadtluft im Jahresdurchschnitt. Auf dem Land und in Aber, Landesgrenzen sind für Schadstoffe kein Hindernis: Ein der Agglomeration liegt die Belastung noch knapp über dem Teil der in der Schweiz gemessenen Belastung stammt aus Immissionsgrenzwert von 20 Mikrogramm. Auch die Grenz- Quellen in anderen Ländern. Mit internationalen Abkommen werte für Stickoxide (NOx) werden innerhalb der Stadtgren- werden deshalb weitere Senkungen der Belastungen ange- zen häufiger überschritten als ausserhalb. Hingegen liegt in strebt. So verlangt das Protokoll von Göteborg von den 31 Un- den Agglomerationen die Ozonbelastung (O3) öfter über dem terzeichnerstaaten bis 2010 in einem ersten Schritt eine Sen- Limit als in den Stadtquartieren. kung der Stickoxid- und VOC-Emissionen um rund 40 Prozent Um die Luftqualität in den Städten und Agglomerationen zu gegenüber dem Stand von 1990. Nach 2010 werden zusätzli- verbessern, sind zusätzliche, wirkungsvolle Massnahmen notwen- che Emissionsreduktionen notwendig sein. dig. In erster Linie geht es um die Reduktion der Schadstoffe, die Dem Zustand unserer Luft und den noch nötigen und mög- für die Bildung von Ozon und Feinstaub verantwortlich sind. Das lichen Massnahmen, um ihn zu verbessern, ist das Dossier des sind zum einen die genannten Stickoxide und zum anderen die BAFU-Magazins UMWELT 4/2007 gewidmet. flüchtigen Kohlenwasserstoffe (VOC) und das Ammoniak (NH3). Je rascher bei Fahrzeugen, Industrieanlagen, in der Landwirt- INFOS schaft sowie bei Feuerungen der beste Stand der Technik – das Martin Schiess, Chef Abteilung heisst die umweltfreundlichste Technologie – angewendet wird, Luftreinhaltung und NIS, BAFU desto schneller werden bei der Luftqualität Resultate erzielt. Um Tel. 031 322 54 34, martin.schiess@bafu.admin.ch 8 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Mit Marktwirtschaft Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung leben heute irgendwo gegen zwischen dem städtischen Zentrum und der Einfamilienhaus- siedlung in der Vorortsgemeinde. Bodenverbrauch? Es ist schon fast ein Allgemeinplatz: Jede Sekunde wird in der Schweiz Schweiz] trifft man überall auf Häuser», sengemeinden wird heute durch eine ein Quadratmeter Boden überbaut schreibt Jean-Jacques Rousseau im Feb- Gegenbewegung zurück in die Zentren oder sonstwie verbraucht, seit vie- ruar 1793 an den Marschall von Lu- überlagert. len Jahren schon. Die Raumpla- xemburg. «Die ganze Schweiz ist wie Die Krise ist damit allerdings nicht nung schafft es zwar mitzusteuern, eine grosse Stadt, die sich in dreizehn ausgestanden: «Im alten Kern sind die wo dies geschieht, es gelingt ihr je- Quartiere unterteilt, von denen die Bodenpreise ein grosses Problem», so doch nicht, den Bodenverbrauch einen in den Tälern, die anderen an Franz-Sepp Stulz. «Wohnen in der In- wesentlich zu senken. den Hängen und noch andere auf den nenstadt kann sich fast niemand mehr Das Bundesamt für Raument- Bergen liegen [...]. Die Quartiere sind leisten, und nur ausgewählte Gewerbe- wicklung ARE liess deshalb 2006 unterschiedlich dicht besiedelt, aller- zweige siedeln sich hier an.» Eine Folge mit einer Studie prüfen, ob dem dings immer dicht genug, dass man der fehlenden Wohnlichkeit: Viele Problem mit marktwirtschaftlichen sich in der Stadt wähnt. Statt in einer Menschen fühlen sich in der Stadt Instrumenten beizukommen wäre. Linie angeordnet zu sein, verteilen sich nicht mehr sicher. Neonreklamen und Dabei würde die bebaubare Fläche die Häuser aber ohne Symmetrie und beleuchtete Schaufenster vermitteln mit Flächennutzungsrechten be- Ordnung [...].» Eine hellsichtige Vor- keine Geborgenheit. grenzt. Diese Nutzungsrechte wür- wegnahme der städtebaulichen Ent- den jährlich versteigert, und das wicklungen im 20. Jahrhundert? Urbanität herrscht überall dabei eingenommene Geld würde Mit der aufkommenden Massenmo- Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung – wie bei den Lenkungsabgaben – bilität nach dem Zweiten Weltkrieg leben heute zwischen dem städtischen an die Bevölkerung verteilt. Die wurde die autogerechte Stadt zum Zentrum und der Einfamilienhaussied- Nutzungsrechte wären frei handel- Modell der Architekten und Planer. Sie lung in der Vorortsgemeinde. Die Ag- bar. redeten leistungsfähigen Strassen das glomeration – einst ungeliebter und Es hat sich erwiesen, dass ein Wort, um die Pendler von ihrem undefinierbarer Zwitter zwischen Stadt solches Modell an sich funktioniert. Wohnort im Grünen zum Arbeitsplatz und Land – ist zur unumgänglichen Ob es eine Chance hat, entscheidet zu führen. «Die Entflechtung von Ar- Planungsgrösse geworden. Der Bericht die politische Diskussion. Auch hier beits- und Wohnort trug wesentlich zur zur Agglomerationspolitik des Bundes tut sich etwas: Verschiedene Ver- Krise der Städte bei», ist Franz-Sepp (siehe Seite 16) spricht sich dafür aus, bände des Natur- und Landschafts- Stulz überzeugt. ein «polyzentrisches Netz von Zentren schutzes haben eine Volksinitiative Das pulsierende Wirtschaftsleben und Agglomerationen (zu) erhalten» lanciert, die unter anderem ver- und die strömenden Verkehrsflüsse in und beugt sich damit pragmatisch dem langt, dass die Gesamtfläche der den Kernstädten ergaben kein wohn- Befund, dass mittlerweile das ganze Bauzonen in der Schweiz während liches Umfeld. Entsprechend drängten Land weitgehend urbanisiert ist. 20 Jahren nicht vergrössert werden immer mehr Menschen aufs Land. Der Urban geworden sind auch die Le- darf. sich flächenhaft über die Landschaft er- bensstile: Singlehaushalte und doppel- giessende Siedlungsbrei zerstörte genau verdienende Paare, das Thai-Restaurant INFOS die ländliche Idylle, nach der sich die oder der Döner-Imbiss, der Kosmetiksa- Josef Rohrer ins Grüne flüchtenden Städter sehnten. lon und das Fitnessstudio sind nicht Chef Sektion UVP und Erst gegen Ende des 20. Jahrhun- mehr nur in den Kernstädten anzutref- Raumordnung, BAFU derts setzte allmählich die Wende ein: fen, sondern bis in die ländlichen Tel. 031 322 92 95 Die Stadt erlebte eine Renaissance, und Regionen vorgedrungen – Toleranz ge- josef.rohrer@bafu.admin.ch der fortschreitende Exodus in die Aus- genüber Lebensformen, die vom Alt- UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 9
Jede dritte Schweizer Gemeinde ist städtisch (hjb) Verstädterung und Konzentration der Menschen im Mit- rand oder in den Vororten, die Familien zieht es ins Grüne. Das telland waren im ganzen 20. Jahrhundert beherrschende vorherrschende Merkmal der Siedlungsentwicklung in den Trends der Siedlungsentwicklung. Nach einer dezentralen letzten dreissig Jahren war der Bau von Einfamilienhausquar- Phase ab den 1970er-Jahren – gefördert durch die vermehrte tieren im Grüngürtel, der immer weiter vom Zentrum weg- Unterstützung der ländlichen Regionen und eine Regionalis- rückt. musbewegung, welche die Ländlichkeit aufwertete – hat sich Zwischen 1981 und 2005 hat das überbaute Gebiet in der die Urbanisierung seit 1990 wieder verstärkt. Gewachsen sind Westschweiz um eine Fläche halb so gross wie der Neuenbur- namentlich die Metropolen Zürich und Genf. gersee zugenommen, ergab die neuste Arealstatistik des Bun- Jede dritte Schweizer Gemeinde ist städtisch: Sie gehört desamtes für Statistik BFS für 623 Gemeinden der Romandie. einer der gut fünfzig Agglomerationen an, die zusammen Von 1981 bis 1993 wuchs die Siedlungsfläche um 15 Prozent, 23 Prozent der Landesfläche bedecken und 73 Prozent der Be- von 1994 bis 2005 erreichte der Zuwachs noch 9,3 Prozent. völkerung beherbergen. Noch stärker als die Menschen ballen Der Flächenverbrauch pro Kopf der Bevölkerung ist heute sich hier die Arbeitsplätze. 82 Prozent der Beschäftigten arbei- leicht niedriger als 1981. Derzeit liegt er bei 403 Quadrat- ten in städtischen Gebieten. metern, davon ist die Hälfte Gebäudeareal und ein Drittel Wanderungsbewegungen innerhalb der Agglomerationen Verkehrsfläche. führen zu einer wachsenden Segregation: Junge Erwachsene Im Februar 2007 lebten 7,515 Millionen Menschen in der leben in den Kernstädten, die sozial benachteiligten Bevölke- Schweiz, rund eine Million mehr als Mitte der 1980er-Jahre. rungsschichten in den ehemaligen Arbeiterquartieren am Stadt- Quellen: BFS, ARE, Metron hergebrachten abweichen, kann heute zurück. Durchschnittlich legen die Zent- Wohlbefinden atmet [...]». Freiheit und auch in der Vorortsgemeinde vorausge- rumsbewohnerinnen und -bewohner Wohlbefinden als Ergebnis einer austa- setzt werden. pro Tag rund 30 Kilometer zurück, auf rierten Balance zwischen anregender dem Land sind es 40. In den Kernstäd- Betriebsamkeit und Orten des Rückzugs Stadt ist keine Antithese zur Natur ten werden über 13 Prozent aller Weg- – Freiraum mit Gestaltungsmöglichkei- Der Prozess der Verstädterung wird ge- strecken mit dem öffentlichen Verkehr ten im Wechsel mit historisch gewach- trieben durch wirtschaftliche Dynamik gefahren, auf dem Land nur 4 Prozent. senen Strukturen, die das Gesicht einer und technologische Entwicklung, na- Die Durchmischung der Funktio- Stadt prägen und das Zugehörigkeits- mentlich durch den Ausbau der Ver- nen und die Vielfalt der Ansprüche an gefühl ihrer Bewohner stärken: In der kehrsmittel. Er ist weder aufzuhalten die Wohn- und Arbeitsumgebung stel- Schweiz herrschen hierfür gute Bedin- noch zu beklagen. Die städtische Le- len die Behörden vor Herausforderun- gungen. bensform kann dazu beitragen, dass gen. Indes: Urbanität birgt Chancen. mit den natürlichen Ressourcen scho- Das erkannte auch Jean-Jacques Rous- nender umgegangen wird. Im städtisch seau, wenn er seine Schilderung des Lucienne Rey geprägten Kanton Genf beansprucht «Stadtlandes Schweiz» fortführt: «Man jede Bewohnerin und jeder Bewohner hat nicht mehr das Gefühl, durch Ein- 218 Quadratmeter Siedlungsfläche, im öden zu streifen, wenn man zwischen INFOS ländlich geprägten Kanton Waadt sind den Tannen Kirchtürme, auf den Felsen Franz-Sepp Stulz es 455. In der Stadt konzentrieren sich Viehherden, in den Schluchten Fabri- Chef Abteilung Natur Arbeitsplätze und kulturelle Angebote, ken und über den Gebirgsbächen Werk- und Landschaft, BAFU der öffentliche Verkehr ist gut ausge- stätten antrifft. Diese sonderbare Mi- Tel. 031 322 80 66 baut. Städterinnen und Städter greifen schung hat etwas irgendwie Beseeltes franz-sepp.stulz@bafu.admin.ch deshalb weniger oft auf das Privatauto und Lebendiges, das Freiheit und 10 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Vinicio Barreno Das vorherrschende Merkmal der Siedlungsentwicklung in den letzten 30 Jahren war der Bau von Einfamilienhausquartieren im Grüngürtel, der immer weiter vom Zentrum wegrückt. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 11
NETZSTADT Nachhaltigkeit dank Durchmischung Wie kann ein städtisches System seine Qualitäten als Kulturlandschaft und Wohnumgebung dauerhaft steigern und zugleich seine Ressourcen nachhaltig nutzen? Und wie lassen sich gebaute Strukturen so verändern, dass diese Anliegen erreicht werden? Ein ETH-Forschungs- projekt zu Nachhaltigkeit und urbaner Gestaltung hat hierfür Methoden entwickelt. Eisenbahn- und Autofahrende kennen den», erörtert Peter Baccini. Für die druck umfassender: «Wir betrachten die Gegend: Gewerbeparks, Äcker und Analyse des vorhandenen räumlichen alle Territorien, also neben der Sied- Wohngebiete ziehen im raschen Wech- Gefüges wurden vier Typen mensch-li- lung auch das Ackerland, die Gewässer sel am Fenster vorbei, hektisch getaktet cher Tätigkeiten identifiziert: sich oder die Brachen.» Dies im Unterschied durch die Mobilitätsströme zwischen ernähren und erholen, wohnen und zur traditionellen Sicht, die Urbanität den grossen Wirtschaftsregionen Zü- arbeiten, sich im Raum bewegen und an architektonischen Ikonen festmacht rich, Basel, Bern-Mittelland und Zent- kommunizieren sowie entsorgen und und das Ländliche allenfalls als Rest-ka- ralschweiz. Diesen Durchgangsraum reinigen. tegorie in den Blick nimmt. bei Olten, die «Kreuzung Schweizer Jeder Typ lässt sich als Teilsystem Die Autoren postulieren, auf das Mittelland», haben Peter Baccini und verstehen. Die Wissenschaftler verbin- Prinzip der «neuen Nähe» zu setzen Franz Oswald ausgewählt, um zu unter- den dabei die morphologische Analyse, und Nutzungen nach Möglichkeit zu suchen, wie sich ein Siedlungssystem welche die Verteilung von Siedlung, verflechten. «Die sektoralen Politiken – nachhaltig nutzen und menschen- Infrastrukturen, land- und forstwirt- hier Energie, da Landwirtschaft und freundlich gestalten lässt. Peter Baccini schaftlichen Flächen sowie der Gewäs- dort Gewässerschutz – führen nicht zum Ziel einer nachhaltigen Entwick- lung», ist Peter Baccini überzeugt. Wie eine Mehrfachnutzung der Strukturen «Im Dialog mit der Bevölkerung vor Ort haben wir gemeinsam gedacht werden kann, zeigt exempla- Qualitäten von Urbanität definiert – ohne dass schon vorher feststand, risch der Vorschlag, separate Wege für welche Strukturen im Raum dadurch entstehen würden.» den Langsamverkehr zu schaffen: Diese wären attraktiv – etwa als Alleen – zu gestalten und würden als lineare grüne Adern die Landschaft aufwerten und war bis zu seinem Übertritt in den Ru- ser im Raum untersucht, mit der phy- der Mobilität und der Erholung glei- hestand im Jahr 2004 Professor für siologischen Betrachtungsweise, die auf chermassen zugute kommen. Stoffhaushalt und Entsorgungstechnik die Prozesse und Materialflüsse fokus- an der ETH Zürich, Franz Oswald ist siert. Lucienne Rey Professor für Architektur und Städtebau am Institut für Orts-, Regional- und Nähe bringt weiter Landesplanung (ORL) der ETH. «Netzstadt» – so heisst das Modell, das «Im Dialog mit der Bevölkerung vor schliesslich als Ergebnis postuliert wird. LESETIPP Ort haben wir gemeinsam Qualitäten Anders als in der herkömmlichen Pla- Peter Baccini, Franz Oswald, Mark Michaeli, von Urbanität definiert – ohne dass nung, die ebenfalls gerne von städti- 2003: Netzstadt. Einführung in das Stadt- schon vorher feststand, welche Struk- schen Netzen spricht, verwenden Peter entwerfen. Basel: Birkhäuser. turen im Raum dadurch entstehen wür- Baccini und seine Kollegen den Aus- 12 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Corinne Aeberhard Die menschliche Nutzung des städtischen Raumes lässt sich in vier Typen einteilen: sich ernähren und erholen, wohnen und arbeiten, sich im Raum bewegen und kommunizieren sowie entsorgen und reinigen. Impressionen aus dem Raum La Maladière, Neuenburg. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 13
AGGLOMERATIONSPOLITIK Gezielte Entwicklung im Grossraum Lausanne Fast 50 Prozent der Waadtländer Bevölkerung leben im Raum Lausanne-Morges. Bis zum Jahr 2020 werden sich um die 40 000 Einwohnerinnen und Einwohner zusätzlich hier ansiedeln. Ein Agglomerationsprogramm soll dafür sorgen, dass dies ohne weitere Zersiedlung und anhal- tende Verkehrszunahme möglich wird. Noch stärker als die Wohnbevölkerung Verdichtung anstreben Fahrten kanalisieren konzentriert sich die Waadtländer Eines der primären Ziele von PALM ist, Ein weiteres Ziel von PALM ist die Kana- Wirtschaft im Gebiet zwischen Lau- der weiteren Ausbreitung des Siedlungs- lisierung der Pendlerströme, die von den sanne und Morges. Mehr als jeder gebietes entgegenzuwirken. Darum zusätzlichen Bewohnerinnen und Be- zweite Arbeitsplatz ist hier angesiedelt, schlägt das Projekt vor, einen Perimeter wohnern verursacht werden. Der bis 2020 sollen 30 000 Arbeitsplätze zu definieren, in dem das Wachstum öffentliche Verkehr soll attraktiver wer- neu geschaffen werden. Mit einer der- von Wohnraum und Arbeitsplätzen ge- den, namentlich sollen die Busse und art stürmischen Entwicklung können fördert wird. Ausserhalb dieser Zone Bahnen effizienter werden und regel- die einzelnen Gemeinden schwerlich hingegen wird die Entwicklung begrenzt mässiger verkehren. Gefördert wird alleine umgehen. Um sie planerisch zu beziehungsweise gebremst. zudem der Langsamverkehr. bewältigen, wurde das Projet d’agglo- Im Innern des zu verdichtenden Pe- Ein aufwändiger Ausbau der Infra- mération Lausanne-Morges PALM lan- rimeters werden rund ein Dutzend ent- strukturen für den öffentlichen Ver- kehr soll die Verkehrsverlagerung be- Eines der primären Ziele von PALM ist, der weiteren Ausbreitung des günstigen: der Bau der Métro M2 von Siedlungsgebietes entgegenzuwirken. Ouchy nach Epalinges, die Optimie- rung der Métro M1 von Renens nach Lausanne-Flon und der LEB sowie das Tramprojekt Ost–West zwischen Lutry ciert. Die Hauptanliegen dieses Mass- wicklungsfähige strategische Standorte und Bussigny. Auch eine Verbesserung nahmenplans sind die Siedlungsver- ins Auge gefasst, so zum Beispiel die der bestehenden Infrastrukturen der dichtung in einem bestimmten Perime- Industriebrache zwischen Sébeillon– SBB, der Bau eines neuen Bahnhofs in ter und die Effizienzsteigerung des Malley–Renens–Bussigny. «In diesem Malley und eines vierten Bahngleises Verkehrssystems. Gebiet liessen sich gleich viele Ein- zwischen Lausanne und Renens stehen «Der vor sieben Jahren erstellte wohner und Arbeitsplätze unterbrin- zur Debatte. Richtplan für Lausanne West (Schéma gen, wie sie La Chaux-de-Fonds auf- Eine weitere Massnahme zur Ent- directeur de l’Ouest lausannois SDOL) weist», versichert Denis Décosterd. lastung der Stadt besteht in einem hat für die Gemeinden westlich von Ebenfalls auf der Liste der möglichen vermehrten Angebot von Park+Ride- Lausanne den Weg für ein derartiges künftigen Baustellen stehen die Räume Anlagen und deren Verlagerung in Unterfangen vorbereitet», sagt Projekt- entlang der Regionalbahn Lausanne– die Peripherie. Strassenseitig wären leiter Denis Décosterd. «Die Zukunfts- Echallens–Bercher LEB zwischen Prilly die Anpassung des Autobahnverteilers planung erfolgte gemeinsam durch und Cheseaux, die Umgebung der Maladière sowie verbesserte Autobahn- Kanton und Gemeinden. Danach wur- Hochschulen sowie Le Mont und anschlüsse in La Blécherette Teil der den noch vier weitere lokale Richtpläne Epalinges. vorgesehenen Massnahmen zum Auf- erarbeitet, auf welche PALM nun zu- fangen des zusätzlichen Verkehrs. rückgreifen kann.» Fortsetzung Seite 16 unten 14 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Vinicio Barreno Verkehr in der Agglomeration Lausanne: Der Ausbau der Infrastrukturen für den öffentlichen Verkehr soll die Verkehrs- verlagerung begünstigen. Busse und Bahnen sollen effizienter werden und regelmässiger verkehren. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 15
50 Agglomerationen, 979 Gemeinden (hjb) Agglomerationen sind funktional werden. Dazu gilt es, die verschiedenen umzusetzen. Der Bund verbindet dieses zusammenhängende Siedlungsräume, Sachpolitiken, insbesondere die Sied- Instrument mit einem finanziellen Anreiz: in der Regel mit einer Kernstadt im Zent- lungsentwicklung und den Verkehr, bes- Er will sich an der Finanzierung der Ver- rum. Die Schweiz zählt 50 derartige ser zu koordinieren. kehrsinfrastruktur beteiligen, sofern ein Ballungsgebiete, hinzu kommen fünf Die Zusammenarbeit unter den be- solches Programm gewährleistet, dass Einzelstädte mit mehr als 10 000 Ein- troffenen Gemeinden soll verbessert die Siedlungsentwicklung und der Ver- wohnerinnen und Einwohnern. werden. Diese erfolgt heute schon in kehr optimal aufeinander abgestimmt 979 Gemeinden gehören einer Agglo- verschiedensten Gremien und recht-li- sind (siehe Seite 24). meration an, ihre Zahl hat sich seit 1950 chen Formen, ist aber mehrheitlich sek- Kantone, Städte und Gemeinden sind alle zwanzig Jahre verdoppelt. Die funk- toriell ausgerichtet. Durch die Förderung die Hauptakteure der Agglomerations- tionalen Räume stimmen längst nicht von Modellvorhaben sollen Ansätze und politik, der Bund kann nur subsidiär tätig mehr mit den institutionellen überein. Verfahren für eine vertiefte Zusammen- werden. Es braucht aber eine enge Die Gemeindestrukturen der hiesigen arbeit entwickelt und in der politischen Abstimmung zwischen diesen Akteuren. Agglomerationen gehören zu den am Realität erprobt werden. Création de Anfang 2001 wurde deshalb die Triparti- stärksten fragmentierten Europas. l’agglomération lausannoise (PALM) ist te Agglomerationskonferenz TAK (siehe Ende 2001 genehmigte der Bundes- eines von 31 Modellvorhaben, die der Seite 51) gegründet. Darin sind Politike- rat den Bericht zur Agglomerationspolitik Bund bisher unterstützt hat. Weitere rinnen und Politiker aller drei Staatsebe- des Bundes, verfasst vom Bundesamt sind das Réseau Urbain Neuchâtelois nen vertreten. für Raumentwicklung ARE und vom und Netzstadt Glattal (siehe Seite 22). Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. An- Teilweise münden die Modellvorha- gestrebt wird ein dezentrales Netz von ben in die Erarbeitung von Agglomerati- INFOS Städten verschiedener Grösse und Funk- onsprogrammen. Diese bilden ein Rolf Geiger tionen, die sich gegenseitig ergänzen Gefäss für sämtliche agglomerationsrele- Bundesamt für und stützen. Die wirtschaftliche Attrakti- vanten Themen wie zum Beispiel Sozial- Raumentwicklung ARE vität der Städte soll gestärkt, die Lebens- politik, Kulturpolitik, Raumordnung oder Tel. 031 322 53 27 qualität für die Bewohnerinnen und Be- Verkehr. Sie sollen helfen, die prioritären rolf.geiger@are.admin.ch wohner verbessert und die weitere Handlungsfelder zu ermitteln und die www.are.admin.ch >Themen > Agglomera- Zersiedlung des Umlandes gebremst dazugehörigen Massnahmen effizient tionspolitik Fortsetzung von Seite 14 Und wann ist es so weit? «All diese Projekte werden auch dazu tungen hängt zum Teil vom Bund ab. LINK beitragen, dass die Luftverschmutzung Das Dokument wurde ihm im Februar www.agglo-lausanne-morges.ch sinkt und die Lebensqualität in der 2007 weitergeleitet in der Hoffnung, Agglomeration sich erhöht. Das ‹grüne dass er sich im Rahmen des Infrastruk- INFOS Netzwerk› soll dabei selbstverständlich turfonds an der Finanzierung der Benoît Magnin nicht angetastet, sondern weiter aufge- Verkehrsinfrastrukturvorhaben betei- Sektion Landschaft wertet und die Landschaft erhalten wer- ligt. Fortsetzung folgt. und Landnutzung, BAFU den», fügt Denis Décosterd hinzu. Tel. 031 324 49 79 Die Umsetzung der verschiedenen benoit.magnin@bafu.admin.ch im PALM vorgeschlagenen Stossrich- Cornélia Mühlberger de Preux 16 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Vinicio Barreno Die Gemeindestrukturen der Schweizer Agglomerationen gehören zu den am stärksten fragmentierten Europas. Durchschnittlich 20 Gemeinden zählt eine Agglomeration hierzulande. In Luzern ist es seit Juni 2007 eine weniger: Littau (Bild) hat die Fusion mit der Stadt gutgeheissen. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 17
AUF EHEMALIGER INDUSTRIEBRACHE Neustadt über der Altstadt Das ehemalige Industriequartier rund um den Bahnhof Neuenburg erhält ein neues Gesicht. Verlassene Lagerhallen sind bereits dem Neubau des Bundesamtes für Statistik BFS und mehreren Wohngebäuden gewichen. Weitere Vorhaben für unterschiedliche Nutzungen des zentrumsnahen Areals «Ecoparc» gleich über der Altstadt sind geplant oder bereits im Bau. Direkt neben dem Bahnhof und dem den auf sich. «Die Architektur des Baus entstehen. Gleichzeitig schirmt der Bau Stadtzentrum, unweit vom Spital, meh- ist bemerkenswert, und zwar sowohl das Quartier gegen die Bahnlinie ab reren Schulen, der Universität und dem aus ästhetischer wie auch aus ökologi- und schafft eine horizontale Verbin- Fussballstadion Maladière, sonnig und scher Sicht», erklärt Olivier Neuhaus. dung zwischen den verschiedenen Nut- mit herrlicher Sicht über den See und Der Komplex wurde – wie weitere Ge- zungen. auf die Alpen: Die Wohnlage in der bäude des «Ecoparc» – vom Architektur- Neuüberbauung entlang der Rue Crêt- und Planungsbüro Bauart entworfen Der Nachhaltigkeit verpflichtet Taconnet hat einiges für sich. «Die und zeichnet sich durch einen minima- «Die Herausforderung in dieser äusserst Neugestaltung dieses Quartiers ist für len Energieverbrauch, natürliche Belüf- kompakten urbanen Zone besteht die Stadt Neuenburg strategisch wich- tung und Beleuchtung sowie eine darin, eine Verdichtung ohne zusätzli- tig und eine grosse Chance: Hier ent- Passiv-Kühlung aus. Das Streben nach che Emissionen aller Art zu erreichen», stehen neben 160 Wohnungen für 500 Qualität und Umweltverträglichkeit ist erklärt Olivier Neuhaus. Im Verkehrs- Personen auch rund 1000 neue Arbeits- auch bei den beinahe fertiggestellten bereich sind zahlreiche Massnahmen plätze – für eine Stadt mit 32 000 Einwohnern ein beachtliches Projekt», betont der Neuenburger Stadtarchitekt «Die Herausforderung in dieser äusserst kompakten urbanen Zone Olivier Neuhaus. besteht darin, eine Verdichtung ohne zusätzliche Emissionen aller Art Es war das Bundesamt für Statistik zu erreichen.» BFS, das den Stein ins Rollen gebracht hatte: Ende der 1980er-Jahre wurde in Bern beschlossen, im Zuge einer Dezen- tralisierung das Amt in Neuenburg an- Wohngebäuden und öffentlichen Plät- vorgesehen. Der bestehende Park-and- zusiedeln. Eine neue Stadtplanung und zen des Quartiers deutlich erkennbar. Ride-Parkplatz wird unter die Erde ver- die Einbindung mehrerer Architekten Gegenwärtig wird auf den Baustel- legt und zu einem globalen Parkhaus mündeten schliesslich in die Neugestal- len der Höheren Wirtschaftsschule und umfunktioniert. Er soll für verschie- tung der 4,7 Hektaren grossen Zone des neuen Konservatoriums emsig ge- dene Zwecke genutzt werden können, «Crêt-Taconnet» östlich des Bahnhofs. arbeitet. Mit der Eröffnung der bei- die Zahl der benötigten Abstellplätze den Ausbildungsstätten wird sich die soll sinken. Das unlängst Rege Bautätigkeit Frequentierung des Quartiers markant erbaute Fun’ambule, eine unterirdische Von der ehemaligen Industriebrache ist erhöhen. Seilbahn, verbindet das Bahnhofsvier- nur noch wenig zu sehen. Die meisten 2008 soll der multifunktionale Trans- tel mit den unterhalb gelegenen Spitä- Hangars und Lagergebäude, die einst Europe-Komplex in Angriff genommen lern und Schulen. Und nördlich des die Umgebung des Bahnhofs prägten, werden, der sich als Verlängerung des Bahnhofs wurde ein Knotenpunkt für wurden abgerissen. Seit der Deindus- Bahnhofs über 300 Meter parallel zum den öffentlichen Verkehr eingerichtet. trialisierung im Laufe der 1980er-Jahre BFS-Gebäude erstrecken wird. Sein «Auch die Fussgänger und Rad- wurden diese Infrastrukturen kaum Standort entlang der Bahngeleise ist als fahrer kommen auf ihre Kosten», mehr genutzt. Der eindrückliche Neu- Wohnlage wenig attraktiv. Deshalb wer- versichert Olivier Neuhaus. Durch das bau des BFS mit seinem 2004 erstellten den hier Geschäfte sowie Büros für Ver- ganze Quartier verlaufen Fuss- und Turm zieht den Blick jedes Bahnreisen- waltung und Dienstleistungsbetriebe Radwege, und sofern die Politik grünes 18 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Biel/Bienne: Wohnen an der Schüss Auch das Bild der Industriestadt Biel wandelt sich. Die Fabri- ken ziehen vom Zentrum in ein neues Industriequartier vor den Toren der Stadt oder sie haben ihren Betrieb längst auf- gegeben. Raum für Neues wird frei – auch für die Natur. Licht gibt, soll eine neue Passerelle im (km) Wo heute Familien- und Alterswoh- Promotoren «grosszügige Stadthäuser Osten eine Verbindung zum Hügel von nungen entstehen, wurde einst Bieler mit Loftcharakter» verspricht. Das prä- Bel-Air und zum Universitätsgebäude Industriegeschichte geschrieben: In den gende Element der Überbauung ist die «Mail» schaffen. 120 Zweiradpark- Vereinigten Drahtwerken, die 1634 als freigelegte Madretsch-Schüss. Jahr- plätze sowie eine Elektrotankstelle für eine der ersten Fabriken der Stadt ge- zehntelang wurde der Bach von den Elektroroller und -fahrräder sind eben- baut worden waren, zogen die Arbeiter Drahtwerken als Energiequelle und falls vorhanden. 350 Jahre lang Drähte. Im Laufe der letz- Wasserreservoir genutzt und blieb unter Und die Natur? Auch hier gilt es, ten Jahrzehnte aber wurde die Produk- den weitläufigen Fabrikgebäuden ver- Verdichtung und Qualität des öffent- tion nach und nach eingestellt, und steckt. Jetzt fliesst er mäandrierend lichen Raums miteinander in Einklang 2001 war ganz Schluss: Das Unterneh- durch die Überbauung. zu bringen. Mehrere Terrassen und men wurde aufgelöst und sein wertvoller Grünflächen laden zum Verweilen ein, Immobilienbesitz in zentraler Lage von Die brachliegende und im gesamten Quartier werden zahl- einer Nachfolgefirma übernommen. Schweiz reiche Bäume gepflanzt. Dächer sollten Schon wenig später war das weit- entweder zugänglich gemacht oder be- läufige Industriegelände in der Nähe In der Schweiz schlummert ein Poten- grünt werden. «Besonders interessant in des Bieler Kongresshauses nicht mehr zial ungenutzter Industrieflächen so diesem Projekt ist die Partnerschaft, die wiederzuerkennen. Die grossen Fabri- gross wie die Stadt Genf samt Um- zwischen den verschiedensten öffent- kationsanlagen mit ihren charakteristi- land mit 190 000 Einwohnerinnen lichen und privaten Akteuren entstan- schen Schedhallen waren verschwun- und Einwohnern und 140 000 Ar- den ist», sagt Olivier Neuhaus. «Die Ge- den, und im Dezember 2002 wurde der beitsplätzen. Eine vom Bundesamt für staltung des neuen Bahnhofvorplatzes Grundstein für ein «zukunftsweisendes» Raumentwicklung ARE und vom BAFU ‹Espace de l’Europe› beispielsweise wur- Vorhaben gelegt, wie es der damalige gemeinsam herausgegebene Bro- de zu einem Drittel durch die Eigen- Bieler Baudirektor Ulrich Haag an der schüre zeigt Wege auf, dieses Poten- tümer der angrenzenden Liegenschaf- Feier lobte. Das Projekt spiele städte- zial zügig und sinnvoll zu nutzen. ten – Bundesamt für Bauten und Logis- planerisch eine wichtige Rolle, indem ARE, BUWAL (Hrsg.), Die brachliegende tik BBL, Post, SBB – und zu zwei Dritteln es einen harmonischen Übergang vom Schweiz – Entwicklungschancen im Herzen durch die Stadt finanziert, und das Bun- Zentrum zu den Aussenquartieren von Agglomerationen, 2004. 24 Seiten, desamt für Strassen ASTRA hat die schaffe. CHF 3.45, Bestellnummer: DIV-8009-D. Massnahmen im Strassenverkehr, die Inzwischen ist ein Grossteil der 280 Bezug: BAFU, Dokumentation, 3003 Bern, aufgrund der Luftreinhalte-Verordnung Wohnungen, Büros und Ateliers, die Tel. 031 322 89 99, docu@bafu.admin.ch, erforderlich waren, mit 350 000 Fran- auf dem gegen 40 000 Quadratmeter Download unter www.umwelt- ken subventioniert.» umfassenden Areal geplant sind, ge- schweiz.ch/Publikationen (in der Such- baut und wird genutzt. Bald ziehen funktion Bestellnummer eingeben) Cornélia Mühlberger de Preux auch die Bewohnerinnen und Bewoh- ner des Altersheims ein, das Teil des Projekts ist. Dann sind die Bauetappen LINKS INFOS «Schüsspark UNO» und «Schüsspark www.ecoparc.ch Markus Thommen, BAFU, siehe Seite 30 DUE» realisiert. Nun fehlt nur noch die www.bauart.ch letzte Etappe, die in der Sprache der UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 19
Biel, ehemaliges Industriegelände: Das prägende Element der Überbauung ist die freigelegte Madretsch-Schüss. Jahrzehntelang wurde der Bach von den Drahtwerken als Energiequelle und Wasserreservoir genutzt und blieb unter den weitläufigen Fabrikgebäuden versteckt. Jetzt fliesst er offen durch die Überbauung. 20 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Urs Jaudas UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 21
VERKEHR Das Glattal wird eine Bahnstadt Im Zürcher Glattal wachsen Wirtschaft und Bevölkerung rascher als in den meisten Gebieten der Schweiz. Bis 2015 rechnet man mit einem Drittel Mehrverkehr. Mit dem Bau der Glattalbahn wird die Kapazität des öffentlichen Verkehrs nun massiv ausgebaut. Sie ist ein schnelles Tram – und noch ein bisschen mehr als das. Der Verkehr im Glattal ZH dürfte bis 2015 um einen Drittel wachsen. Die Glattalbahn soll den Zuwachs schwergewichtig bewältigen und so Was in den Augen einer breiten Öffent- die Region vor einem Verkehrskollaps bewahren. lichkeit eine wild wuchernde Agglome- ration im Norden der Stadt Zürich ist, hat jetzt einen ziemlich vornehm klin- genden Namen erhalten: «glow. das dung ans interkontinentale Luftver- sen, sagt Otto Halter, Gemeindepräsi- Glattal». Glühen, glimmen, schimmern kehrsnetz ist ein grosser Standortvor- dent in Wallisellen und Präsident von meint das englische Wort, das von den teil. «glow. das Glattal». Verantwortlichen einer acht Gemein- Das Bevölkerungswachstum in den Ein Tram war zu langsam, die eben- den umfassenden Interessensgemein- Glattaler Gemeinden ist überdurch- falls evaluierten U-Bahn- oder Hoch- schaft 2003 zum Markenzeichen des schnittlich hoch, noch rascher steigt bahn-Varianten waren zu teuer oder zu Glattals erkürt wurde. die Zahl der Arbeitsplätze. Der Verkehr risikoreich. Die Wahl fiel nun auf ein operiert an der Kapazitätsgrenze. Diese dank weniger Haltestellen und eige- Glattstadt mit 95 000 Menschen Entwicklung wurde schon vor bald nem Trassee schneller verkehrendes Die Glattal-Gemeinden versprühen 20 Jahren vier Glattaler Gemeindebau- Tram. Ein 652-Millionen-Kredit, der neues Selbstbewusstsein. Als Anhängsel vorständen bewusst, als sie eine neue auch den Ausbau von neuralgischen der Grosstadt Zürich wollen sie nicht Buslinie einweihten. «Wir brauchen Strassenknoten vorsieht, wurde in der mehr wahrgenommen werden, und ein öffentliches Nahverkehrssystem, Volksabstimmung 2003 mit Zweidrit- schon gar nicht als städtische Periphe- das nicht auf die Strasse angewiesen telsmehrheit angenommen. Die erste rie, wo der ländliche Raum längst von ist», sei man sich damals einig gewe- Bauetappe wurde im Dezember 2006 Randnutzungen wie einem Fernheiz- kraftwerk, Entsorgungseinrichtungen, Grossgewerbe oder Einkaufszent- ren «Transrun»: in 20 Minuten quer durch überwuchert ist. Wenn man die den Kanton Neuenburg Bevölkerungszahlen aufaddiert, wird aus der «Glattstadt» selber eine kleine (cmp) Obwohl Neuenburg und La Chaux-de-Fonds nur gerade 14 Kilometer Luft- Metropole mit 95 000 Einwohnern und linie voneinander entfernt sind, ist die Bahn zwischen den beiden Städten 30 Ki- ebenso vielen Arbeitsplätzen. lometer lang. Kein Wunder, dass Pendler derzeit die Strecke lieber mit dem Auto Das namensstiftende Flüsschen ver- zurücklegen, um Zeit zu sparen. Eine neue, schnelle Eisenbahnverbindung zwi- schwindet beinahe im dicht verbauten schen den beiden Polen des Grossraums Neuenburg soll dies ändern. Sie bildet Glattal. Das Gebiet ist von mehreren das Rückgrat des geplanten S-Bahn-Netzes, an das neben Le Locle und Marin Autobahnen und Bahntrassees durch- auch die Gemeinden der Béroche angeschlossen werden sollen. zogen, mittendrin liegt der als Nah-er- Gleichzeitig soll das Leistungsangebot durch häufigere Kadenzen, kürzere holungsraum bedeutende Hardwald. Fahrzeiten und komfortableres Rollmaterial massiv ausgebaut werden. Damit leis- Die wirtschaftliche Energiequelle ist tet die neue Verbindung «Transrun» auch einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Zürcher Flughafen, die tagsüber im des Neuenburger Agglomerationsprojektes Réseau urbain neuchâtelois (RUN). Minutentakt über die Gegend donnern- Für die erste Bauetappe wird mit Investitionen von 400 Millionen Franken ge- den Jets bilden eine dritte Dimension rechnet. Der Kanton hofft auf einen finanziellen Beitrag aus dem Infrastrukturfonds der räumlichen Nutzung. Die Anbin- des Bundes. Die Realisierung dürfte indessen nicht vor 2015 abgeschlossen sein. 22 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
Urs Jaudas Lärm und Abgase des Verkehrs werden von der Stadtbevölkerung als dringendstes Umweltproblem und als Negativfaktor der Wohnqualität betrachtet. UMWELT 3/07 DOSSIER STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN 23
12 Milliarden Franken gegen Stau und Umweltprobleme (hjb) Das Verkehrsproblem der sind 2,6 Milliarden für dringende Schweiz stellt sich nicht am Gott- Vorhaben. Künftig erfolgen die Bun- hard, sondern in den Agglomera- desbeiträge auf der Basis von Agglo- tionen. 80 Prozent der Stauprob- merationsprogrammen. Diese müs- leme treten im Umland der Städte sen den Nachweis erbringen, dass auf. Lärm und Abgase des Verkehrs Siedlungsentwicklung und Verkehr werden von der Stadtbevölkerung aufeinander abgestimmt sind. Anzu- als dringendstes Umweltproblem streben sind Siedlungsstrukturen, und als Negativfaktor der Wohn- die das Verkehrsaufkommen mög- qualität betrachtet. lichst gering halten und eine effi- eröffnet, das gesamte Werk soll Ende Der Bund will in den nächsten ziente Erschliessung durch den öf- 2010 fertig gestellt sein. 20 Jahren aus dem Infrastrukturfonds fentlichen Verkehr ermöglichen. Die Die Glattalbahn – eine Verkehrsach- sechs Milliarden Franken in Projekte negativen Auswirkungen des Agglo- se mit zwei Spangen – wird auf einer des Agglomerationsverkehrs inves- merationsverkehrs auf die Umwelt 12,7 Kilometer langen Strecke im tieren. Er finanziert dabei jeweils ma- sollen sinken, der Anteil des öffentli- Siebeneinhalb-Minuten-Takt verkehren. ximal die Hälfte der Kosten, den Rest chen Verkehrs und des Langsamver- Das Interesse der Wirtschaft sei gross, tragen die Kantone und Gemeinden. kehrs am gesamten Verkehrsauf- sagt Otto Halter. Etwa beim Hotelier, Insgesamt stehen somit über 12 Mil- kommen soll wachsen. der dank der Haltestelle vor der Haus- liarden Franken für den Agglome- tür seinen Gästen nun eine direkte Ver- rationsverkehr zur Verfügung. Der INFOS bindung zum Flughafen anbieten Infrastrukturfonds wird mit zweck- Rolf Geiger, siehe Seite 16 kann; oder beim deutschen Autoher- gebundenen Geldern aus der Mi- www.are.admin.ch >Themen > Agglo- steller, der seine neue Generalvertre- neralölsteuer und der Autobahn- merationspolitik > Agglomerations- tung unter anderem deshalb in Walli- vignette gespeist. Bereits bewilligt programm > Verkehr und Siedlung sellen eröffnet, weil seine Kunden nach Ablieferung des Fahrzeugs in der Werk- statt dereinst dank der Bahn rasch wie- der in die Stadt zurückkehren können. den dringlichen Vorhaben, die aus dem Infrastrukturfonds des Bundes mitfi- Grüner Faden durch die Region nanziert werden (siehe Kasten oben). Betont nüchtern, ja fast kühl, fällt die Eine Viertelmilliarde Franken will der Gestaltung der Glattallinie aus. Die Bund dafür investieren. LINKS Haltestellen wirken, wie wenn sie aus Das Projekt ist Teil des Agglomera- www.glow.ch > Lebensraum und Verkehr > einer Wand eines futuristischen Hauses tionsprogramms Siedlung und Verkehr Öffentlicher Verkehr herausgebrochen worden wären: eine des Kantons Zürich. Es soll den ent- www.afv.zh.ch > Agglomerationsverkehr > schwarze, von einem grossen Fenster scheidenden Beitrag leisten, um die Regi- GVK Glattal durchbrochene Fassade. Gekontert wird on vor dem Verkehrskollaps zu bewah- www.are.admin.ch > Themen > Agglomerations- diese Sachlichkeit von den Platanen ren, der droht, wenn sich die Prognosen politik > Modellvorhaben > Netzstadt Glattal der Alleen entlang der Geleise. Auch über die Zunahmen – ein Drittel Mehr- der Magerrasen bringt einen zusätz- verkehr bis 2015 – bewahrheiten sollten. INFOS lichen Farbtupfer, so dass im Volks- Die Glattalbahn soll ihn schwergewich- Nikolaus Hilty mund dereinst vielleicht nicht vom tig bewältigen. Wenn sich diese Erwar- Sektion UVP und roten, sondern vom grünen Faden die tung erfüllt, könnte sie zum Modell Raumordnung, BAFU Rede sein könnte, der das Glattal eines Schnelltrams für Agglomerationen Tel. 031 322 68 92 durchzieht. Die zweite und die dritte werden. nikolaus.hilty@bafu.admin.ch Bauetappe der Glattalbahn gehören zu Urs Fitze 24 UMWELT 3/07 STÄDTE UND AGGLOMERATIONEN
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