Umwelt - Landwirtschaft und Ernährung 3/2016 - Initiative für sauberes ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 3/2016 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Landwirtschaft und Ernährung Dossier: Dem Standort angepasste Nutztierfütterung > Landwirtschaft, die Biodiversität fördert > Innovative Verfahren der Agrikultur > Landwirtschaft und Welthandel Weitere Freie Bahn für Mäusefänger > Ein Vogel hilft beim Aufforsten > Motorräder mit Themen: lauter Klappe > Fiebermessen an unseren Flüssen Umwelt_03-2016_de.indd 1 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > EDITORIAL Vom Schein und Sein Sattgrüne Wiesen, weidende Kühe, golden schimmernde Weizen felder, gut unterhaltene Ställe hinter stattlichen Bauernhäusern im Blumenschmuck: Beim Spaziergang oder vom Zug aus erken nen nicht nur Touristinnen und Touristen, sondern auch wir, die wir hier wohnen, wie schön die Schweiz vielerorts ist. Zu verdanken ist das zu einem wesentlichen Teil den Bauernfamilien. Und weil die Werbung dieses s chöne Bild bis in unsere Wohn zimmer trägt, fällt es uns schwer, auch die kritischen Aspekte der Land wirtschaft zu sehen. Das vorliegende Dossier versucht beides: innovative Ansätze zu würdigen, ohne die Folgen der hochintensiven Landwirtschaft zu unterschlagen. Tatsächlich hält die Schweizer Landwirtschaft das BAFU auf Trab. Kaum ein einzelner anderer Sektor nutzt und beeinflusst so grossflächig natür liche Ressourcen wie Boden, Wasser, Luft, Artenvielfalt, Klima und Land schaften – und zwar nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Dabei werden auch Prozesse angestossen, die unseren Sinnen und unserem Bewusstsein entgehen. Wir sehen nicht die dicke Ammoniakglocke, die Wälder und Biotope überdüngt, die Belastungen durch Pflanzenschutz mittel und Gülle, die das Leben in den Gewässern und auf dem Land schädigen, den Funktionsverlust der Böden, die sich unter der Last schwerer Maschinen verdichten. Den wichtigsten Beitrag zur Ernährungssicherheit leistet die hiesige Land wirtschaft, wenn sie die natürlichen Ressourcen nicht schädigt. Leider ist das heute noch längst nicht durchgehend der Fall. Der Bundesrat hat den Handlungsbedarf erkannt und mit der Agrarpolitik 2014–2017 die in den 1990er-Jahren begonnene Agrarreform weiter verstärkt. Diese strebt eine nachhaltige Landwirtschaft an, welche die Tragfähigkeit der Öko systeme respektiert. Das Dossier fasst verschiedene heisse Kartoffeln an und beleuchtet die vielfältige Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Fachleute stecken den historischen, ökonomischen und ökologischen Rahmen ab und erläu- tern, was Schweizer Nutztiere sinnvollerweise fressen und produzieren – und was nicht. Wir beschreiben Umwelteffekte der intensiven Produktion, genauso wie innovative Landwirtinnen und Landwirte, die sich mit Enga gement auf die laufend ändernden Rahmenbedingungen einlassen, und die Forschung, welche neue Wege Richtung Entlastung der Umwelt bahnt. Nicht zuletzt werden auch die Grossverteiler ins Bild gerückt, die sowohl die Produktion als auch unsere Nachfrage nach Nahrungsmitteln stark beeinflussen. Ich wünsche Ihnen eine lohnende Lektüre! Franziska Schwarz, Vizedirektorin BAFU 2 Umwelt_03-2016_de.indd 2 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 Dossier Landwirtschaft 4 «Das Bild der Landwirtschaft beruht auf verklärten Projektionen» Das landwirtschaftliche System im Überblick 8 Die Schweiz ist ein Grasland Ausreichend Grünfutter für eine effiziente Milchproduktion vorhanden 12 Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft Intensivierung schadet der biologischen Vielfalt 16 ____ Der virtuose Landwirt Einkommensquellen geschickt kombiniert Hofladen, Markus Bühler-Rasom 20 Tiermast frisst Landschaft Industriebauten im ländlichen Raum 24 Pioniergeist zugunsten einer umweltschonenden Landwirtschaft Massnahmen gegen Pestizidbelastung und Bodenverdichtung 28 ____ Die Macht der Genossenschaften Durchschlagender Erfolg grosser Selbsthilfeorganisationen 32 Ernährungssicherheit durch standortangepasste Landwirtschaft Aus der Geschichte lernen Werbespot 2012 Naturaplan Coop Weitere Themen 39 Comeback der Steinfliege in der Steinach 42 Befreiung eines Fliessgewässers vom Abwasser ____ Freie Bahn für freie Wiesel Ausbau der Ökologischen Infrastruktur 46 Wasserwissen 2.0 Der Hydrologische Atlas als digitale Plattform 48 Der Arvenpflanzer im Rheinwald Die Aufforstung im Hinterrheintal ist ein Geduldspiel 51 Schwere Bikes mit lauter Klappe haben ausgedröhnt Neue Lärmvorschriften für Motorräder Naturpark Thal, Elias Bader 54 Fiebermessen an Schweizer Flüssen Die Wassertemperatur ist ein Indikator des Klimawandels Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU • 3003 Bern • +41 58 462 99 11 • www.bafu.admin.ch • info@bafu.admin.ch Gratisabo: umweltabo@bafu.admin.ch • Das Magazin im Internet: www.bafu.admin.ch/magazin2016-3 Titelbild: Bild: Keystone Rubriken 36__ Vor Ort 60__ Tipps 38__ International 61__ Impressum 57__ Bildung 62__ Intern 58__ Recht 63__ umwelt unterwegs 58__ Publikationen 3 Umwelt_03-2016_de.indd 3 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT ÖKONOMIE UND ÖKOLOGIE IN DER SCHWEIZER LANDWIRTSCHAFT «Das Bild der Landwirtschaft beruht auf verklärten Projektionen» Die heute geltenden agrarpolitischen Rahmenbedingungen behindern eine wettbewerbsfähige und ökologische Land- und Ernährungswirtschaft. umwelt unterhielt sich mit zwei Fachpersonen über die vielschichtigen Zusammenhänge in der hiesigen Agrarbranche. Interview: Lucienne Rey umwelt: Frau Baur, Herr Jenny, Lebensmittel Worauf ist dieses unzutreffende Bild zurück geschäfte und Wochenmärkte präsentieren schöne zuführen? Waren, niemand muss in der Schweiz hungern – PB: In unseren sich rasch ändernden Zeiten seh und trotzdem steht die Landwirtschaft immer wieder nen wir uns nach Vertrautem. Die Werbung der auf der politischen Agenda. Weshalb? Grossverteiler spielt mit unserer Sehnsucht nach Priska Baur (PB): Die Landwirtschaft ist tatsäch einer heilen Welt. Sie zeigt Kühe beim Grasen auf lich ein Dauerbrenner. Das grosse Interesse für der Wiese und Hühner beim Körnerpicken unter sie ist verständlich, bei der Ernährung ist jede blauem Himmel. Dabei fressen Kühe Kraftfutter, und jeder Experte. In der politischen Debatte und die Hühner werden in Hallen gemästet. Die wiederum nehmen alle für sich in Anspruch, Realität möchten wir lieber nicht sehen, denn eine nachhaltige Landwirtschaft zu wollen und sie bringt uns mit unserem Konsumverhalten gute Lösungen zu kennen. Eine sachliche und in Konflikt. respektvolle Auseinandersetzung scheint oft nicht möglich. Dies ist aus meiner Sicht nicht MJ: Die Geflügelproduktion ist ein gutes Beispiel, primär die Folge divergierender wirtschaftlicher um zu zeigen, dass das Bild der Schweizer Land Interessen, sondern grundsätzlich verschiedener wirtschaft auf verklärten Projektionen beruht. Einstellungen und Werte. In der Agrarpolitik Wegen der sehr hohen Tierbestände stösst die wird kaum ausgehend von Fakten, sondern von Schweiz viel zu viel Ammoniak aus. Seit 20 Jah Vorstellungen und Gefühlen entschieden. ren verharren unsere Emissionen auf jährlich 48 000 Tonnen, obwohl die Umwelt höchstens 1990 273 000 Markus Jenny (MJ): In die Entscheidungen spielen 25 000 Tonnen verkraften würde. Wenn nun sehr wohl finanzielle Interessen hinein. Denn beispielsweise in einem Kanton die öffentliche weltweit wird die Landwirtschaft von den vor- und Hand während 5 Jahren mit Investitionen von TONNEN nachgelagerten Branchen dominiert – also etwa 6 Millionen eine 3-prozentige Reduktion des Am den Saatgut-, Pestizid- und Düngemittelfirmen auf moniakausstosses erreicht, gleichzeitig aber so der einen und der Nahrungsmittelbranche auf viele Hühnerställe bewilligt werden, dass sich die der anderen Seite. Da geht es um viel Geld. Hin Emissionen wieder um 1,5 Prozent erhöhen, ist gegen stimme ich der Ansicht zu, dass zahlreiche das volkswirtschaftlich wie auch ökologisch nicht landwirtschaftspolitische Entscheidungen, die nur unsinnig, sondern unbestritten schädlich. EINFUHR VON letztlich von der breiten Bevölkerung mitgetra FUTTERMITTELN gen werden, aufgrund eines Bauchgefühls gefällt Solche Zahlen sprechen für sich, das sind Fakten. Die (TROCKENSUBSTANZ) werden. Und dieses wiederum wird bestimmt vom müssten doch alle überzeugen? Quelle: SBV – Futtermittelbilanz, Bild einer Landwirtschaft, das mit der Realität MJ: Das Problembewusstsein in der Bevölkerung BFS 2015 wenig zu tun hat. und der Landwirtschaft ist gering, weil der Wis Bilder: Markus Bühler-Rasom 4 Umwelt_03-2016_de.indd 4 08.08.16 13:27
2013 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 1 175 000 TONNEN 5 Umwelt_03-2016_de.indd 5 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT senstransfer zum Teil bewusst untergraben wird. absolvieren eine gute Ausbildung, aber sie sind Die Agrarpresse ist weitgehend auf die Meinung überfordert, weil sie gar nicht auf jedem Gebiet des Schweizer Bauernverbands ausgerichtet. Ab professionell handeln können. Sie sind stark auf weichende Ansichten dringen nicht bis zu den Beratung angewiesen, und dabei nehmen die vor Bauern durch. Zahlreiche Artikel sind stark vom gelagerten Branchen grossen Einfluss. So stellen Interesse der Vorgelagerten wie beispielsweise etwa die Anbieter von Pflanzenschutzmitteln mehr der Futtermittel-, Saatgut- und Pestizidhändler Berater als die Behörden. beeinflusst. Das geht so weit, dass kritische Stim men innerhalb der Landwirtschaft – und die gibt MJ: In der Milchwirtschaft zeigt sich, dass Land es – ein Sprachrohr ausserhalb der bäuerlichen wirte, die auf eine standortangepasste Produktion Presse finden müssen, um ihre Botschaft mit eigenem Futter setzen, ökonomisch meist durchzubringen. besser abschneiden als solche, die eine fremd mittelabhängige Intensivproduktion betreiben. PB: Der Schweizer Bauernverband kommuni Sie halten Kühe, die jährlich 6000 bis 7000 Liter ziert geschickt. Er überbringt mit seiner Er Milch geben statt 10 000 und die sie vor allem nährungssicherheitsinitiative die Botschaft, mit Gras füttern. Diese Landwirte verzichten dass die Schweizer Landwirtschaft heute auf eine hochtechnisierte und von Importfut am Produzieren gehindert werde, wo doch ter abhängige Produktion. Weniger wäre also diese durch möglichst hohe Erträge zu mehr mehr – und ein Segen für die an Überproduktion Versorgungssicherheit beitrage. Dabei argu und Preiszerfall leidende Milchwirtschaft. Über mentiert er mit dem sogenannten Selbstver haupt zeigt der Blick auf die landwirtschaftliche sorgungsgrad, der angeblich «nur noch» bei Gesamtrechnung, dass die Eigenwirtschaftlichkeit Priska Baur 55 bis 60 Prozent liege. Diese Argumentation der Schweizer Landwirtschaft äusserst gering ist. Nach ihrem Agronomie- scheint auf den ersten Blick plausibel, doch Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass diese sehr studium an der Eidge- sie führt in die Irre. Bei Nahrungsmitteln, die kostenintensiv produziert. So «fressen» die Kosten nössischen Technischen sich vom Klima her in der Schweiz erzeugen rund 77 Prozent der Einnahmen eines Betriebes Hochschule Zürich (ETHZ) lassen– etwa Brotgetreide, Kartoffeln und weg. Verglichen mit unseren Nachbarländern ist arbeitete P riska Baur als Projektleiterin für die Fleisch –, beträgt der Selbstversorgungsgrad der Gesamtaufwand um 40 bis 60 Prozent höher. landwirtschaftliche Bera bereits heute gegen 100 Prozent, bei Milch Der Hauptteil der Kosten entfällt auf importierte tungsagentur Agrofutura sogar deutlich mehr. Zugleich wird er aber Futtermittel. Die Betriebe «füttern» also vor allem AG und den Thinktank überschätzt, weil wir für viele vermeintlich den vorgelagerten Sektor, der umso mehr verdient, Avenir Suisse. Heute ist inländische Nahrungsmittel auf Importe je intensiver produziert wird. sie als Forscherin und Dozentin an der Zürche r angewiesen sind. Dies gilt ganz besonders Hochschule für Ange- für die Fleischproduktion: Fielen in Krisen Der Staat lässt der Landwirtschaft pro Jahr knapp wandte Wissenschaften zeiten die Futtermittelimporte weg, müsste 4 Milliarden Franken an Direktzahlungen und anderen (ZHAW) tätig. ein grosser Teil der Tierbestände geschlachtet Stützungsmassnahmen zukommen. Damit sollten Bild: zVg werden. Und die Pouletproduktion käme die Bauern doch auf einen einträglichen Verdienst ganz zum Erliegen, da auch die Eltern der kommen? Masthybriden laufend importiert werden müssen. PB: Vor über 20 Jahren fiel in der Landwirtschafts Der Selbstversorgungsgrad sagt wenig aus über die politik der wichtige Grundsatzentscheid, Einkom Versorgungssicherheit der Bevölkerung. mens- und Preispolitik voneinander zu trennen. Die Preise sollten dem Markt überlassen werden, Seit Jahren geht die Zahl der Bauernbetriebe stetig während die Einkommen der Bauern durch die zurück. Lässt das nicht hoffen, dass grössere Betriebe Direktzahlungen gesichert werden sollten. Leider professioneller und wirtschaftlicher geführt werden? ist die Politik auf halbem Weg stehen geblieben. PB: Ein robuster Zusammenhang zwischen Be Die Direktzahlungen wurden ausgebaut, die Preise triebsgrösse, Wirtschaftlichkeit und Ökologie ist werden aber nach wie vor stark gestützt. Gemäss nicht nachweisbar. Es gibt kleine erfolgreiche Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Betriebe und grosse, die scheitern. Ziel der Politik Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verdankt sollte es sein, klare Bedingungen zu schaffen, und die hiesige Landwirtschaft jährlich rund 6 Milliar nicht, Strukturen vorzugeben. Tatsache ist, dass den Franken ihrer Einnahmen der Politik. Unsere hierzulande viele Betriebe sehr vielseitig aufge Landwirte gehören damit immer noch zu den am stellt sind. Die jungen Bäuerinnen und Bauern meisten geschützten Bauern weltweit. 6 Umwelt_03-2016_de.indd 6 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 MJ: Ziel der Agrarpolitik 2014–2017 ist, die Bevölkerung von 8,2 Millionen Personen immer pauschale Stützung der Produktion abzubauen noch ausreichend versorgen könnten. Dies würde und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen wie aber bedingen, dass wir dann unsere Produk die Erhaltung der Biodiversität oder die Res tion und unser Konsumverhalten grundlegend sourceneffizienz zu fördern. Das Prinzip, nicht verändern, das heisst viel mehr Kartoffeln und marktfähige Güter fair abzugelten, hat allgemein Brotgetreide erzeugen und weniger Tiere hal Gültigkeit. Es ist volkswirtschaftlich unsinnig, ten. Die Studienergebnisse zeigen zudem, dass eine überintensive Produktion zu stützen und die vielfach vermuteten Zielkonflikte zwischen gleichzeitig die Sanierung der verursachten einer sicheren Versorgung und weiteren Zielen Schäden mit Steuergeldern berappen zu müssen. der Agrarpolitik nicht existieren. Eine ressour Hinzu kommt, dass die Abgeltung gemeinwirt censchonend produzierende Agrarwirtschaft, schaftlicher Leistungen nicht in Konflikt zum die auch die Umweltziele Landwirtschaft (UZL) Agrarfreihandel steht, während protektionisti des Bundes erreicht, trägt entscheidend sche Massnahmen zum Schutz der Produktion zur Erhaltung der Versorgungsicherheit nicht toleriert werden. bei. Wenn wir allerdings unsere heutigen Ernährungsgewohnheiten beibehalten, ist die Wieso beharren denn viele Landwirte trotzdem Konsequenz einer versorgungssicher und res darauf, ihr Einkommen in erster Linie durch die sourcenschonend produzierenden Schweizer Produktion zu erzielen, und lehnen Direktzahlungen Landwirtschaft, dass gewisse Nahrungsmittel als Teil ihrer Einkünfte ab? verstärkt importiert werden müssen. PB: Die Bauern möchten möglichst viele Nah rungsmittel erzeugen und damit zur Welter PB: Die Schweizer Landwirtschaft erzeugt nährung beitragen. Nicht nur in der Schweiz heute mehr Nahrungsmittel als je zuvor. Doch haben sie aber noch weitere Aufgaben. Sie sollen fatalerweise lenkt der Blick auf die Mengen ökologisch nachhaltig und nachfragekonform und Kalorien davon ab, dass ihre zentrale Markus Jenny produzieren und für eine vielfältige Landschaft Herausforderung nicht darin liegt, mehr zu studierte Biologie an der sorgen. Für zahlreiche Landwirte ist jedoch ein produzieren, sondern sich der Realität des Universität Zürich und pro- guter Bauer einer, der hohe Erträge erzielt, un zunehmenden Wettbewerbs zu stellen. movierte an der Universität abhängig davon, ob die Rechnung aufgeht. Basel über die Feldlerche im Kulturland. Seit 30 Jahren Weiterführende Links zum Artikel: arbeitet er als Spezialist für MJ: Dabei signalisiert der Markt durchaus, Agrarökologie und Landwirt- www.bafu.admin.ch/magazin2016-3-01 wohin sich unsere Landwirtschaft entwickeln schaft bei der Schweizeri- müsste. Sie sollte Güter bereitstellen, die von der schen Vogelwarte Sempach. Kundschaft nachgefragt werden und eine hohe Ausserdem ist er Präsident Wertschöpfung erzielen. Erwünscht wäre etwa der Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft. inländisches Bio- und Extensogetreide, das ohne Bild: zVg oder mit weniger Pflanzenschutzmitteln und ohne Wachstumsregulatoren angebaut wird. Dass heute nach wie vor rund zwei Drittel des Biobrot getreides importiert werden müssen, zeigt, dass unsere Landwirtschaft in einigen Bereichen am Markt vorbeiproduziert. Bei Erzeugnissen aus der mit hohem Pestizid- und Düngereinsatz arbeiten den «Turbo-Landwirtschaft» wird die Schweiz nie konkurrenzfähig sein – diese werden in anderen Ländern viel kostengünstiger hergestellt. Wäre denn eine nicht auf die Mengenproduktion von Agrargütern ausgerichtete Landwirtschaft grund KONTAKT sätzlich in der Lage, die gesamte Bevölkerung in der Hans Ulrich Gujer Sektion Landschaftsmanagement Schweiz zu ernähren? Koordinator Kommission Landwirtschaft BAFU MJ: Eine Studie von Vision Landwirtschaft be +41 58 462 80 04 legt, dass wir im Falle einer Krise die heutige hans.gujer@bafu.admin.ch 7 Umwelt_03-2016_de.indd 7 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT FÜTTERN MIT EIGENEN RESSOURCEN Die Schweiz ist ein Grasland Die Schweizer Landwirtschaft könnte genug Milch für den Inlandbedarf liefern ohne Kraftfutter zugaben an Kühe. Weidehaltung trägt dazu bei, den Ammoniakausstoss zu mindern. Ernährungspolitische, ökologische, aber auch wirtschaftliche Argumente sprechen ebenfalls für eine grasbasierte Milchproduktion. Text: Hansjakob Baumgartner Das landwirtschaftliche Betriebskonzept des Ho 1990 um 40 % gestiegen. Hochleistungskühe, die fes von Susanne Käch und Joss Pitt in Gampelen jährlich 10 000 oder mehr Kilogramm (kg) Milch (BE) ist weit hergeholt und naheliegend zugleich. liefern, fressen nebst Gras auch viel Kraftfutter Weit hergeholt, weil es sich an einem Versuchs – Getreide, Mais, Soja. Sie werden damit zu betrieb in der fernen Heimat von Joss orientiert: Nahrungskonkurrentinnen des Menschen. «Die Die Lincoln University Dairy Farm (LUDF) in Neu Ackerflächen, auf denen Futtermittel für unser seeland ist weltweit führend bei der Entwicklung Milchvieh produziert wird, würden reichen, um von Weidemilch-Produktionssystemen. Susanne 2 Millionen Menschen zu ernähren», schätzt und Joss setzen im Berner Seeland um, was auf Hans Ulrich Gujer, Landwirtschaftsfachmann der anderen Seite des Globus an Wissen und im BAFU. Erfahrung generiert wird. Ihre derzeit 55 Milch Ein wachsender Teil der Futtermittel stammt kühe sind von Frühling bis Herbst auf der Weide aus dem Ausland. Massiv zugenommen haben und fressen fast ausschliesslich Gras. in den letzten Jahren namentlich die Sojaimpor Das Naheliegende daran ist, dass diese Form te. 41 % davon werden an Rindvieh verfüttert der Kuhhaltung bestens an hiesige Verhältnis (hauptsächlich Milchkühe) und 59 % an Schwei se angepasst ist. Reichlich Niederschläge und ne und Hühner. tiefgründige Böden lassen unsere Wiesen und Der Selbstversorgungsgrad bei Milch und Weiden so üppig grünen wie sonst fast nirgends Milchprodukten lag 2013 bei 115 %. Der Über in Europa. Andererseits eignet sich ein Grossteil schuss drückt auf den Milchpreis. Um die Ein der Schweizer Landwirtschaftsfläche aus topo kommenseinbussen zu kompensieren, versu grafischen oder klimatischen Gründen kaum für chen manche Betriebe, noch mehr zu melken den Ackerbau. Auf diesen Flächen ist die Milch – ein Teufelskreis. Susanne und Joss sind aus kuhhaltung auf Grasbasis die ressourceneffizien diesem ausgebrochen. «Kiwi-Cross» nennen sie teste Form der Landwirtschaft. Die Wiederkäuer ihre Rinderrasse, eine Kreuzung aus neuseelän verwandeln für Menschen unverdauliches, aber dischen Friesian und Jersey Cows. Es sind eher bei uns bestens gedeihendes Gras in hochwertige kleine und leichte Kühe, pro Jahr geben sie etwa Nahrungsmittel in Form von Milchprodukten 6500 kg Milch. 26,6 Hektaren (ha) Futterflächen und Fleisch. stehen ihnen zur Verfügung. Davon sind gut 18 ha Weide, die übrigen entfallen auf Kunst Viehfutter statt Nahrung für Menschen wiesen und Biodiversitätsförderungsflächen. Die Indessen hat sich die Milchproduktion in jüngs zum Betrieb von Susanne und Joss gehörenden Quelle: BAFU; ter Zeit von der Grünlandwirtschaft teilweise Blumenwiesen am Dälihubel sind im Frühsom Bilder: Ex-Press (unten); abgekoppelt. Die Milchleistung pro Kuh ist seit mer eine Augenweide und liefern würziges Heu. Markus Bühler-Rasom 8 Umwelt_03-2016_de.indd 8 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT< umwelt 3/2016 IST 48 KILOTONNEN 2014 AMMONIAKEMISSIONEN DER SCHWEIZER LANDWIRTSCHAFT PRO JAHR SOLL 25 KILOTONNEN Umwelt_03-2016_de.indd 9 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT Maximale Effizienz «Es fehlt das Vertrauen in Gras» Um den richtigen Zeitpunkt für den Beginn der Bewei «Mit den Graslandressourcen der Schweiz könnte die dung nicht zu verpassen, wird wöchentlich auf allen hiesige Landwirtschaft ohne Weiteres genug Milch für Flächen die Graslänge gemessen. Das ausgeklügelte den Inlandbedarf produzieren», hält der emeritierte Grünlandmanagement ermöglicht einen rekordver HAFL-Professor Peter Thomet fest. Derzeit gibt es aber dächtig hohen Milchertrag pro Fläche. Dies ergab hierzulande nur wenige Milchwirtschaftsbetriebe, die eine an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebens ohne Kraftfutter arbeiten. Es fehle «das Vertrauen in mittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen (BE) durch Gras», meint Susanne Käch. Die Landwirtschaftsschu geführte vergleichende Effizienzanalyse. Geleitet len, die Beratung, die Futtermittelindustrie kämen wurde die Studie von Peter T homet, alle mit derselben Botschaft: Mit Gras allein seien NUTZTIERBESTAND der dort zu dieser Zeit noch als Kühe nicht ausreichend ernährt. «Ein falsches Dog 2010 Professor für Futterbau tätig war ma», findet sie. «Die Evolution hat das Rind zum Gras und inzwischen pensioniert ist. fresser gemacht.» Auch die Forschung habe gezeigt, 14 Milchproduktionsbetriebe – dass es Kühen, die nur Gras fressen, an nichts fehle. Grossvieheinheiten pro Hektare teils mit Hochleistungskühen im Ihr Partner Joss Pitt fordert deshalb eine «Graskultur» landwirtschaftlicher Nutzfläche, Stall, teils mit Weidevieh – wur für die Schweizer Landwirtschaft: Die Weidemilch Vergleich mit den Nachbarländern den unter die Lupe genommen. produktion müsse von den Forschungsanstalten, den Quelle: BLW Unter ihnen war auch der Hof Schulen und der Beratung gefördert werden. Hilfreich von Susanne und Joss. Er schnitt wäre ausserdem ein Versuchs- und Demonstrations am besten ab. Fast 14 700 kg Milch betrieb. Schweiz 1,71 pro ha wurden hier gemolken. Denn auch die Ökobilanz spricht für den Vollwei Stallbetriebe brachten es auf debetrieb. Die erwähnte Studie des Berufsbildungs höchstens 12 700 kg – denn für die zentrums Hohenrain ergab, dass zum Beispiel die Berechnung der Flächeneffizienz Ammoniakemissionen im Stallhaltungssystem um ein müssen auch die «Schattenflächen» Drittel höher sind als im Weidebetrieb. Ammoniak einbezogen werden, auf denen das (NH3) entsteht bei Luftkontakt aus dem stickstoffhal benötigte Kraftfutter angebaut tigen Harnstoff im Urin der Tiere. Weil Letzterer auf wird. den Weiden rasch versickert, ist der NH3-Ausstoss dort Dass der Vollweidebetrieb auch geringer als im Stall. Zudem verteilen weidende Tiere ökonomisch gut dasteht, zeigt eine den Hofdünger direkt, weshalb auch ein Grossteil der Studie des Berufsbildungszentrums NH3-Verluste beim Ausbringen der Gülle entfällt. Das Hohenrain (LU). Zum Vergleich Schweizer Rindvieh trägt 78 % zu den landwirtschaft Deutschland 1,07 standen zwei Herden: Die eine lichen Emissionen bei. wurde – abgesehen von einem täglich dreistündigen Weidegang Ammoniak bedroht die Artenvielfalt … – im Stall gehalten und mit Gras- Die Ammoniakemissionen sind die Hauptursache Österreich 0,87 Frankreich 0,81 und Maissilage sowie Kraftfutter für einen unerwünschten ökologischen Trend: ernährt; die andere blieb während die Düngung aller Lebensräume aus der Luft. Italien 0,77 der ganzen Vegetationsperiode auf Natürlicherweise gelangt pro Hektare jährlich 0,5 bis der Weide und frass einzig Gras 1 kg Stickstoff (N) in unsere Böden. Im Jahr 2010 und Heu. Ergebnis: Die Stallkühe waren es in der Schweiz durchschnittlich 23 kg/ha gaben im Schnitt jährlich 8900 kg in die Waldfläche und 14 kg/ha auf die restliche Lan Milch, die Weidekühe annähernd desfläche; die Werte schwanken je nach Standort 6100 kg. Weil aber im Weidesys zwischen 3 und 55 kg/ha. Im Mittel stammen zwei tem kein Kraftfutter zugekauft Drittel davon aus der Landwirtschaft. werden muss und der Arbeitsan Die Stickstoffeinträge bewirken, dass an magere fall deutlich geringer ist, war der Standorte angepasste Pflanzen von nährstofflieben Arbeitsverdienst hier um mehr als den Konkurrenten verdrängt werden. Sämtliche 50 % höher. Hochmoore, über 80 % der Flachmoore und rund Auch für Susanne und Joss geht 40 % der besonders artenreichen Wiesen und Weiden die Rechnung auf. Die vierköpfige unseres Landes sind derzeit zu hohen Stickstoffein Familie kommt ohne Nebenerwerb trägen ausgesetzt (siehe auch umwelt 2/2014, Dossier gut über die Runden. Stickstoff). 10 Umwelt_03-2016_de.indd 10 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 Beitrag für graslandbasierte Massnahmen: den Einsatz von Schleppschläuchen beim Ausbringen der Gülle; bauliche und betrieb Milch- und Fleischproduktion liche Vorkehrungen zur Reduktion der Emissionen GMF aus den Ställen; das Abdecken der Güllelager. «Berechnungen des International Institute for Mit dem Beitrag für graslandbasierte Milch- und Applied Systems Analysis (IIASA) ergaben, dass Fleischproduktion wird seit 2014 eine Produktion das Reduktionspotenzial bei konsequenter und gefördert, die dem betriebsspezifischen Stand flächendeckender Anwendung der besten verfüg ortpotenzial angepasst ist. Gegenüber vielen baren Technik und Praxis in der Landwirtschaft bei umliegenden Ländern besitzt die Schweiz einen gleichbleibender Produktion etwa 40 % beträgt», grossen Standortvorteil in der Grasproduktion. Im bestätigt Reto Meier von der Sektion Luftqualität Fokus steht die effiziente Nutzung von Wiesen- und im BAFU. Das Ziel könnte damit erreicht werden. Weidefutter für die Milch- und Fleischproduk- tion. Von diesem Beitrag profitieren Betriebe, die Tierbestände senken den Futterbedarf vorwiegend durch Gras, Heu, Erreichbar wäre das Umweltziel wohl auch mit einer Emd und Grassilage decken. Der Beitrag für Wie- Kombination von technischen Massnahmen und sen und Weiden beträgt 200 Franken pro Hektare einer Anpassung der Tierbestände an die heimische und Jahr. Produktionsbasis, denn rund 65 % der Fleisch- und 20 % der Milchproduktion beruhen auf importier tem Futter. Dies wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer ökologischen Gesundung unserer Landwirt … und die Stabilität der Wälder schaft. Der Dünger aus der Luft ist eine der grössten Dazu beitragen könnten wir als Konsumierende Gefahren für die Artenvielfalt der Schweiz. auch mit unseren Ernährungsgewohnheiten: Ge Ebenso für die Stabilität der Wälder. Bei rund mäss einer Studie von AgroEcoConsult würde die 95 % der Schweizer Wälder werden die noch tole Fleischproduktion im Inland bei einem Verzicht rierbaren Eintragsmengen pro Jahr, die Critical auf Futtermittelimporte auf rund die Hälfte sinken. Loads, durch Einträge aus der Luft überschritten. Entweder müssten wir mehr Fleisch einführen – Die Stickstoffeinträge bewirken, dass die Bäume oder den Konsum halbieren. zügig wachsen. Dies führt zu einer unausgewo genen Ernährung, da Bäume andere Nährstoffe Höhere Fruchtbarkeit nicht im gleichen Mass aufnehmen können. Sie der Tiere, geringere werden anfälliger für Frost, Trockenheit und Ammoniakemissionen Schadinsekten. und ein höheres Ein- Im Boden wird Ammonium in Nitrat umgewan kommen für die Bauern delt. Dieser chemische Prozess trägt zur Boden dank Einsparungen versauerung bei. Als Folge davon werden andere beim Kraftfutter sind wichtige Nährstoffe ausgewaschen. Die Bäume einige Aspekte, die die konzentrieren ihr Wurzelwachstum daher auf Weidehaltung attraktiv die oberen Bodenschichten, wo die Stickstoffver machen. fügbarkeit und die Nährstoffnachlieferung aus Bild: BAFU-Archiv der Streu hoch sind. Die tieferen Bodenschichten hingegen werden spärlicher durchwurzelt. Die flachen Wurzelteller reduzieren die Standfes Weiterführende Links zum Artikel: tigkeit der Bäume. Untersuchungen des Insti www.bafu.admin.ch/magazin2016-3-02 tuts für Angewandte Pflanzenbiologie (IAP) in Schönenbuch (BL) ergaben, dass der Orkan Lothar 1999 auf versauerten Böden viermal mehr Bäume entwurzelte als auf weniger sauren Flächen. KONTAKTE Victor Kessler Gemäss Luftreinhaltekonzept des Bundes sollen Beat Achermann Leiter Fachbereich Sektion Luftqualität Direktzahlungsprogramme die Ammoniakemissionen in der Schweiz gesamt BAFU Bundesamt für Landwirtschaft, BLW haft um 40 % vermindert werden. Die Landwirt +41 58 46 299 78 058 463 31 34 schaft setzt dafür hauptsächlich auf technische beat.achermann@bafu.admin.ch victor.kessler@blw.admin.ch 11 Umwelt_03-2016_de.indd 11 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT MONOTONIE IM KULTURLAND Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft Die Intensivierung in der Landwirtschaft hat die biologische Vielfalt in den Äckern und Wiesen des Mittellandes massiv verringert und bedroht nun auch die Biodiversitäts-Hotspots im Alpenraum. Um den Trend zu brechen, hat der Bund Instrumente zur Förderung der Biodiversität weiterentwickelt. Text: Nicolas Gattlen Eigentlich sollte es um die biologische Vielfalt wenn ein breites genetisches Spektrum es den im Schweizer Kulturland gut bestellt sein: Seit Tier- und Pflanzenarten ermöglicht, sich an 1999 muss jeder Betrieb, der Direktzahlungen Umweltveränderungen anzupassen und lang beziehen will, ökologische Ausgleichsflächen fristig zu überleben. Die Landwirtschaft profitiert (sog. Biodiversitätsförderflächen) anlegen. Heute zudem bei der Entwicklung nachhaltiger Produk sind im Minimum 7 % der landwirtschaftlichen tionssysteme von der Vielfalt an Nützlingen und Nutzfläche Bestandteil des ökologischen Leis bei Neuzüchtungen von der Biodiversität. tungsnachweises. Seit 2001 werden zudem die Vernetzung dieser Flächen und die floristische Mangelnde Qualität der Förderflächen Qualität abgegolten. Die 2013 publizierte Studie der Forschungs Trotzdem hat die Biodiversität im Grün- und anstalt Agroscope «Operationalisierung der Ackerland weiter abgenommen. Laut Monitoring Umweltziele Landwirtschaft – Bereich Ziel- und programmen des Bundes ähneln sich die Arten Leitarten, Lebensräume (OPAL)» hat den Anteil gemeinschaften in der Schweiz immer mehr. Die an landwirtschaftlicher Nutzfläche ermittelt, der anspruchslosen Arten nehmen zu, während die aufgrund der Bedürfnisse bestimmter, für die Spezialisten zum Teil starke Einbussen verzeich jeweilige R egion typischer Arten als Lebensraum nen. So ist etwa der Flächenbestand der Trocken mit ökologischer Qualität zur Verfügung stehen wiesen und -weiden zwischen 1996 und 2006 noch sollte. Sie kommt zum Schluss, dass heute noch einmal um rund 20 % zurückgegangen. Auch die deutliche Defizite bestehen. Von den Biodiver Qualität der Flach- und Hochmoore hat sich in sitätsförderflächen, im Mittelland heute rund dieser Zeit verschlechtert, weil Pufferzonen fehlen ein Zehntel der landwirtschaftlichen Nutzfläche, und die Nutzung von Flachmooren intensiviert weisen mindestens 75 % keine ausreichende oder aber aufgegeben wurde. Dramatisch ist der ökologische Qualität auf. Dies unter anderem, Rückgang der Ackerbegleitflora und der Fromen weil zahlreiche Förderflächen an ungeeigneten talwiesen, d. h. der wenig intensiv genutzten, nur Standorten angelegt wurden: an schattigen Wald mit Mist gedüngten Blumenwiesen. Im Mittelland rändern oder in ehemals intensiv genutzten Wie sind solche Blumenwiesen seit 1950 auf 2 bis sen, wo kaum noch Samen von lichtliebenden 5 % ihrer ursprünglichen Fläche geschrumpft. Pflanzen vorhanden sind. Überdies werden die Mit den Lebensräumen schwinden die Bestän Flächen oft nicht zielführend gepflegt und sind de spezialisierter Pflanzen- und Tierarten – untereinander schlecht vernetzt. fatal nicht nur für die Natur, sondern auch für In den Bergregionen gibt es noch deutlich mehr Quelle: BAFU; Bilder: Markus Bühler-Rasom, Getreideernte (unten); uns Menschen. Denn die natürlichen Grundla Standorte mit hoher Biodiversität. Doch auch front.switzerland-photos.com, gen für unsere Existenz sind nur dann gesichert, diese sind bedroht, wie eine Untersuchung der Landschaft in der Waadt 12 Umwelt_03-2016_de.indd 12 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 FLÄCHEN AN TROCKENWIESEN UND -WEIDEN DER SCHWEIZ (grün) 1900 2010 13 Umwelt_03-2016_de.indd 13 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT Schweizerischen Vogelwarte Sempach zeigt. Sie Milchzahlen belegen, dass die Intensivierung hat den Landschaftswandel im Engadin zwischen zunehmend höhere Lagen erfasst. So werden den Jahren 1987/88 und 2009/10 auf 38 repräsenta heute im Berggebiet im Vergleich zu den frühen tiven Flächen analysiert. «Die auffälligste Verän Neunzigerjahren auf einer um 17 % kleineren derung war die Zunahme der Fettweiden», erklärt Fläche 4 % mehr Milch produziert. Roman Graf, A utor der Studie. «Ihr Bestand hat sich in 20 Jahren verdreifacht, und derjenige der Höhere Anreize für Biodiversitätsförderflächen Fettwiesen nahm um 15 % zu. Diese Entwicklung Diese Entwicklung läuft der biologischen Vielfalt ging auf Kosten der artenreichen Magerwiesen, zuwider. Die Politik hat das Problem erkannt: In deren Fläche um 55 % zurückging. Einst er der Agrarpolitik 2014–2017 wurden die Tierbei tragsschwache Wiesen werden heute intensiver träge reduziert und die finanziellen Anreize für genutzt, das heisst künstlich bewässert, stärker ge das Anlegen von qualitativ wertvollen Biodiver düngt, früher und häufiger gemäht.» Auf 71 % der sitätsförderflächen erhöht. untersuchten Flächen konstatierten die Forscher Dass dieser Ansatz zu einer in jeder Hinsicht eine Vorverschiebung des ersten Grasschnitts – nachhaltigen Landwirtschaft führen kann, zeigt ermöglicht durch neue Silierverfahren. Für Wie der Betrieb von Victor Peer in der Engadiner senbrüter wie Feldlerche und Braunkehlchen eine Ortschaft Ramosch. Der Biobauer hält knapp fatale Entwicklung: Die Matte wird gemäht, noch 50 Kühe und bewirtschaftet 60 Hektaren Land, das bevor die Brut flügge ist. Nicht selten wird bei vom Talboden (1100 m ü. M) bis hinauf auf eine der Mahd auch das brütende Weibchen getötet, Privatalp (1700–2000 m ü. M) reicht. Den Grossteil was den Rückgang der Bestände beschleunigt. nutzt er extensiv oder wenig intensiv. 60 % der Auch das verstärkte Düngen macht den Vögeln zu Nutzfläche sind als Biodiversitätsförderflächen schaffen, denn in der dichten Vegetation ist die angemeldet, wovon rund 50 % botanisch wertvoll Jagd nach Spinnen und Insekten fast unmöglich. sind und 70 % Vernetzungsbeiträge erhalten. Im Vernetzungsprojekt richtet sich die Bewirtschaf Intensivierung schadet der biologischen Vielfalt tung der Förderflächen gezielt auf die Bedürfnisse «Aus dem Mittelland und den Jurahöhen sind ausgewählter Arten: Extensive Wiesen dürfen erst die Wiesenbrüter längst verschwunden, nun sind ab Juli und nur schonend gemäht werden, zudem ihre Bestände auch im Berggebiet eingebrochen», müssen sie über Kleinstrukturen wie Sträucher bilanziert Roman Graf. Gemäss einer Bestandsauf oder Stein- und Asthaufen verfügen. nahme der Vogelwarte auf den Referenzflächen «Die Voraussetzung für eine gute botanische im Engadin hat sich die Zahl der Braunkehlchen – Qualität ist hier oben günstig», erklärt Bergbauer aufgeführt auf der Roten Liste der bedrohten Peer. «Über Generationen hinweg wurde das Arten – in den letzten 20 Jahren nahezu halbiert. Land nur wenig intensiv genutzt. Es mangelte an Schlecht geht es auch der Feldlerche (–58 %) und Wasser, und der Dünger liess sich nicht so einfach dem Baumpieper (–47 %). Obschon sich die Studie auf die Hänge bringen.» Er stellt aber auch eine auf das Engadin beschränkt, sind die Ergebnisse Verstärkung des Intensivierungsdrangs fest. Dazu laut Roman Graf typisch für den ganzen Schwei habe auch der Strukturwandel beigetragen. Heute zer Alpenraum.«Unterhalb von 1500 Metern über teilten sich in Ramosch 15 Bauern eine Fläche, die Meer (m ü. M). hat ein veritabler Umbruch statt vor 30 Jahren noch von 35 Bauern bewirtschaftet gefunden. Und leider weichen die Wiesenbrüter wurde. Die Folge: Topografisch schwieriger zu nicht einfach in höhere Lagen aus, denn die güns bearbeitende Flächen würden aufgegeben, wäh tigen Brutplätze sind dort meist schon besetzt.» rend sich die Arbeitskraft auf intensiv nutzbare Die Schuld für diese Entwicklung mag Roman Flächen konzentriere. Graf nicht den Bauern zuschieben. «Sie folgen Mit der Agrarpolitik 2014–2017 wurden zudem den wirtschaftlichen Anreizen. Bund und Kanto Landschaftsqualitätsbeiträge als neue Direktzah ne haben die Intensivierung durch fehlgeleitete lungsart eingeführt. Sie zielen auf eine multi Direktzahlungen für Tierhaltung oder Struktur funktionale Nutzung ab, die auch der Pflege der verbesserungen vorangetrieben.» Im Engadin etwa Kulturlandschaft gerecht werden soll. Die Gemein seien im Rahmen von Meliorationen unzählige den Ramosch und Tschlin – inzwischen zu Valsot Sprinkleranlagen eingeführt worden, und die fusioniert – wurden als Pilotregion für ein Land Dauerbewässerung habe die Intensivierung der schaftsprojekt ausgewählt. Es entlohnt die Land Grünlandbewirtschaftung begünstigt. Auch die wirte für die Erhaltung und Pflege von prägenden 14 Umwelt_03-2016_de.indd 14 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 Biodiversitätsförderung im regionalen Landschaftselementen. Knapp die Hälfte der 2014 entrichteten Landschaftsquali Pflichtenheft der Bauern tätsbeiträge entfielen auf Kleinstrukturen wie Einzelbäume, Hecken, Trockenmauern oder Die Schweizer Bäuerinnen und Bauern sind nicht allein der Produktion traditionelle Kulturlandschaften wie Wytweiden verpf lichtet, sondern auch der Umwelt. 1996 wurde der multifunktionale oder wieder kultivierte Ackerterrassen, die nebst Auftrag für die Landwirtschaft in der Bundesverfassung verankert. Im Bericht der landschaftlichen auch der biologischen Viel «Umweltziele Landwirtschaft» (2008) haben das BAFU und das Bundesamt falt zugutekommen. Viktor Peer war damals Mit für Landwirtschaft den angestrebten Zustand für verschiedene Zielbereiche glied der Operativgruppe. Er erinnert sich, wie er formuliert, hergeleitet aus bestehenden Rechtsgrundlagen. Ein prioritäres gegen die Vorbehalte des Bauernverbandes und Ziel ist die Erhaltung und Förderung von einheimischen, schwerpunktmässig gegen das Misstrauen von Kollegen ankämpfen auf der landwirtschaftlichen Fläche vorkommenden oder von der landwirt- musste. Es sei nicht ihre Aufgabe, die Natur zu schaftlichen Nutzung abhängigen Arten und ihren Lebensräumen. Denn fördern und die Landschaft zu pflegen, sondern unsere langfristige Versorgungssicherheit und unsere Produktionsgrundlagen Nahrungsmittel zu produzieren, bekam er zu hängen vom Zustand der Biodiversität ab. (nig) hören. Inzwischen aber hätten viele Landwirte ein anderes Selbstverständnis. Buchtipp: Biodiversität auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Ein Handbuch für die Praxis. FiBL und Vogelwarte, 176 Seiten. Der Landwirt und die Biodiversität gewinnen Bestellung: www.shop.fibl.org (Best. Nr. 1702) Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung ist nicht der Weg, den Victor Peer ein schlagen will. Dagegen sprechen für ihn neben ökologischen auch wirtschaftliche Gründe. Mit Schrecken habe er feststellen müssen, wie unbe ENTWICKLUNG DER BRUTVOGELARTEN rechenbar der Preis für Milch sei. In den letzten Jahren ging dieser stets nach unten. «Mit jedem Liter Milch mache ich heute 80 Rappen Verlust», 140 erklärt der 56-jährige Landwirt. Dass die in Aussicht gestellten Förderbeiträge zum Gesinnungswandel beigetragen haben, will 120 er nicht bestreiten: «Wieso auch. Die Schweizer Bevölkerung wünscht sich eine Landwirtschaft, die Rücksicht nimmt auf Natur und Landschaft, und wenn wir Bauern diesem Wunsch folgen, 100 haben wir Anrecht auf einen angemessenen Verdienst.» Victor Peer freut sich auch über den nicht materiellen Lohn: «Wenn ich im 80 Frühjahr in meinen Wiesen blühende Enziane und Windröschen sehe oder ein Braunkehlchen auf einem Zaunpfahl, dann motiviert mich das 60 weiterzumachen.» 1990 1995 2000 2005 2010 2014 Regelmässige Brutvögel in der Schweiz (173 Arten) Typische Kulturlandvögel (38 Arten) Leit- und Zielarten gemäss «Umweltziele Landwirtschaft» Weiterführende Links zum Artikel: (46 spezifischere Arten) www.bafu.admin.ch/magazin2016-3-03 Im Rahmen der «Umweltziele Landwirtschaft» werden 46 Leit- und Zielarten KONTAKT eingestuft. Dieser Index entwickelte sich zwischen 1990 und 2014 negativ. Bei Gabriella Silvestri Sektion Arten und Lebensräume den typischen Kulturlandvögeln sind die Bestände knapp unter dem Ausgangs- BAFU zustand von 1990 langfristig stabil. Dies jedoch nur aufgrund von zunehmenden +41 58 462 99 80 Generalisten. Quelle: BFS 2015, Vogelwarte Sempach– Swiss Bird Index gabriella.silvestri@bafu.admin.ch 15 Umwelt_03-2016_de.indd 15 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT GROSSE VIELFALT VON BETRIEBSMODELLEN Der virtuose Landwirt Engadinerschafe züchten, Holstein-Jersey-Kühe in höher gelegenen Regionen halten, M elkroboter einführen oder auf die Vertragslandwirtschaft setzen: Die Schweizer Landwirtschaft weist heute eine enorme Formenvielfalt auf. umwelt hat einige Bauern und B äuerinnen getroffen, die gegenwärtig ihren Beruf neu erfinden – gestützt auf ökologische Projekte, Direktzahlungen und Nebenerwerbstätigkeiten. Text: Cornélia Mühlberger de Preux Eine Ebene mit sanften Hügeln und mildem Der Wirtschaftlichkeit verpflichtet Klima dank des nahen Murtensees. Schmale Unsere nächste Station befindet sich im Berner Wäldchen entlang des Flüsschens Chandon. Jura. «Les Petites Fraises» heisst der kleine Bauern Weite zartgrüne Wiesen, eine Herde schwarzer, hof auf 1050 Metern über Meer in Les Reussilles. brauner und weisser Mutterschafe und eine Schar In der Ferne drehen sich die Windräder auf dem umherspringender Lämmer. Wir befinden uns in Mont Crosin. Valérie Piccand, deren Mutter aus Chandossel in der Nähe von Villarepos (FR), wo Haiti und deren Vater aus Freiburg stammt, Lea Egli und Reto Fivian eine Schäferei führen. kümmert sich mit ihrem Mann um den Betrieb. Ihre 213 Engadinerschafe – eine vom Aussterben Den beiden Agronomen stehen rund 30 Hektaren bedrohte Rasse – bringen jährlich zwischen 300 Land zur Verfügung – alles Naturwiesen und und 400 Lämmer zur Welt. Auf diesem Hof steht Weiden –, auf denen sie etwa 30 Kühe halten. das Wohl der Tiere im Mittelpunkt: grasbasierte «Jeder Grashalm sollte gefressen und in Milch Fütterung, Weidehaltung während 9 Monaten im verwandelt werden», so Valérie Piccand. Das Ziel Jahr, sparsamster Einsatz gezielt ausgewählter ist eine maximale Rationalisierung der Arbeit, Medikamente. 60 Prozent der Einnahmen bezieht weshalb sie ein Vollweidesystem mit saisonaler der Hof aus dem Verkauf von Lammfleisch, den Abkalbung praktizieren. «Die Kühe müssen sich Rest aus Direktzahlungen. «Wir praktizieren eine für dieses System eignen. Deshalb haben wir uns biologische Landwirtschaft, also ohne Pflanzen für eine Holstein-Jersey-Kreuzung entschieden.» schutzmittel und chemischen Dünger. Ein Viertel Die Milch wird von der nahe gelegenen Käserei unseres Landes besteht aus Biodiversitätsförder in Les Reussilles zu Bio-Gruyère AOC verarbeitet. flächen; 320 Aren gelten im Hinblick auf die Die Gebäude, Infrastrukturen und Einrichtungen Flora als hochwertig», erklärt Lea Egli. Ihr Partner auf dem Hof sind einfach und funktionell. Das nennt einige der unzähligen Arten, die hier ge Betreiberpaar versucht, die Produktion zu opti deihen: «Thymian, Salbei, Knolliger Hahnenfuss, mieren und ebenso die Direktzahlungen (25 % Dornige Hauhechel … Und was die Fauna anbe Biodiversitätsförderflächen; die Direktzahlungen langt Hauhechel-Bläuling, Gelbbauchunke oder machen rund einen Drittel des Umsatzes aus). auch Grünspecht.» Die Schäferei in Chandossel Etwas oberhalb des Hofes befindet sich eine betreibt Direktvermarktung und bedient nicht Trockenwiese, hinter dem kleinen Hügel eine nur Privatkunden und Restaurants, sondern auch Feuchtwiese und darunter ein Hochstamm- Quelle: EFV– Bundeshaushalt, BFS – Landwirtschaftliche Gesamtrechnung; das Gastronomieunternehmen Novae, von dem Obstgarten: Auch sie werden durch Programme Bilder: Keystone, Spinaternte (unten); später noch die Rede sein wird. des Bundes finanziell gefördert. Wie bei der Aura, Bauernzmorge 16 Umwelt_03-2016_de.indd 16 08.08.16 13:27
DOSSIER LANDWIRTSCHAFT < umwelt 3/2016 2014 DIREKTZAHLUNGEN IN FRANKEN 2,8 MILLIARDEN 1985 0,61 MILLIARDEN 17 Umwelt_03-2016_de.indd 17 08.08.16 13:27
umwelt 3/2016 > DOSSIER LANDWIRTSCHAFT Milchproduktion (graslandbasierte Milch- und Vom Feld in den Korb Fleischproduktion GMF) steht auch bei den öko Weiter gehts nach Courgenay im Kanton Jura, wo logischen Ausgleichsmassnahmen die Qualität sich die Genossenschaft La Clef des Champs auf im Vordergrund (Vernetzung, Qualitätsstufe II, einer 2 Hektaren grossen Fläche an der «Moulin landschaftliche Qualität). Letztlich möchte das de la Terre» genannten Strasse der regionalen Ver Bauernpaar Piccard «einen gleich hohen Stunden tragslandwirtschaft verschrieben hat. Hier bauen lohn erzielen, wie wir als Agronomen anderswo 3 Gärtner auf 180 Aren im Freien und 20 Aren in verdienen würden». Von diesem Ziel sind sie je Treibhäusern 30 bis 40 verschiedene Gemüse mit nach Jahr nicht mehr weit entfernt. Wichtig ist dem Label Bio Suisse an. Die Anforderungen sind ihnen aber auch, Zeit für ihre Kinder zu haben, also äusserst streng. «Wir verwenden Bio-Samen sich in der Gemeinde zu engagieren, eine Parzelle von Sativa, Zollinger und Bingenheimer, setzen für Permakultur zu nutzen oder mit Freunden nur organische Düngemittel ein und verzichten einen grossen Gemüsegarten zu pflegen. auf Behandlungen», erläutert Céline Corradetti, die seit 2010 dort arbeitet. Gepflügt wird einmal Zwischen Hightech und Wirtschaft des Teilens pro Jahr, und zwar 10 bis 18 cm tief. Zudem setzt Andere Höfe, andere Methoden. In Treyvaux (FR) die Genossenschaft auf Gründüngung. «So wird hat sich Alexandre Peiry für den Melkroboter der Boden angereichert und belüftet und zugleich entschieden, um seinen Betrieb rentabler zu das Unkraut bekämpft», erklärt die ehemalige gestalten und um nicht eine Diskushernie erlei Korbflechterin weiter. Klee bringt Stickstoff, den zu müssen wie sein Vater. «Dazu mussten Winterwicke sorgt für eine gute Bodenstruktur, 200 000 Franken investiert werden. Gleichzeitig und Luzerne nützt Insekten und damit der Bio habe ich aber Zeit für weitere Tätigkeiten ge diversität. wonnen. So bin ich beispielsweise für die Biogas La Clef des Champs zählt 210 Mitglieder. Diese anlage in Ferpicloz zuständig», erzählt er. Dort müssen pro Jahr mindestens 18 Arbeitsstunden kann auch er seinen Hofdünger verwerten. Dieses zur Produktion beitragen, um einen Teil der mo Netzwerk, an dem sich rund 50 Landwirte der mentan auf 165 Körbe verteilten Gemüseernte zu Region beteiligen, kommt allen zugute: denen, erhalten. Für jährlich 870 Franken gibt es von die zu viel, und denen, die zu wenig Hofdünger April bis Anfang Dezember jede Woche eine haben. Ausserdem ist Alexandre Peiry einer der Lieferung und von Januar bis März einen Korb Verwalter der Maiskooperative von Treyvaux pro Monat, was einem Gegenwert von 24 Franken und Umgebung. Diese fördert den gemeinsamen pro Korb entspricht. Die Mitglieder beteiligen sich Kauf von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, an der Ernte und liefern die Körbe an die regio bietet Dienstleistungen für ihre Mitglieder und nalen Depots in Pruntrut, Delsberg, Glovelier, Kunden an oder das Mieten von Landmaschinen Courgenay und Saignelégier. zu Vorzugspreisen. Alexandre Delisle von der «Ferme du Nord» in Vom Feld und von der Weide auf den Teller Ferlens (VD) hingegen hat die Milchwirtschaft Lamm aus Chandossel, Gruyère aus Les Reus aufgegeben und sich auf die Produktion von silles, Bio-Gemüse aus Courgenay: Die Region hat Fleisch von Schweinen und von Salers-Rindern, eine Fülle schmackhafter Produkte zu bieten. einer alten Rasse aus dem französischen Zen Novae, ein Westschweizer Unternehmen im tralmassiv, konzentriert. Dabei arbeitet er mit Bereich Gemeinschaftsgastronomie mit Sitz in einem Paar zusammen, das Erfahrung in der Gland (VD), hat dies erkannt. Um seine rund Veredelung von Fleischprodukten hat. Sie stel 80 Kunden – Restaurants, Schulkantinen, Unter- len die berühmten «Saucisses aux choux» sowie nehmen, Alters- und Pflegeheime sowie Klini Schinken und Würste her und kümmern sich um ken – zu beliefern, sucht es sich deshalb die den Direktverkauf. Wie Alexandre Peiry ist auch besten Produzenten vor Ort aus. Damit soll ein Alexandre Delisle überzeugt von der «Wirtschaft respektvoller Umgang mit der Natur gesichert des Teilens» (Sharing Economy). Er ist gerade am und sollen kurze Wege und Qualität bevorzugt Erstellen der Plattform AgriJorat, die sämtliche werden. «Wir arbeiten mit regionalen, saisonalen Betriebe der Region erfassen soll. Sie wird es und wenn möglich biologischen Erzeugnissen, ermöglichen, Onlinebestellungen aufzugeben, und wir kennen die Art der Herstellung. Ein Maschinen und Wissen zu teilen und sich ganz gutes Produkt braucht Raum und Zeit», so die einfach gegenseitig zu unterstützen. Überzeugung von Stéphane Grégoire, stellver 18 Umwelt_03-2016_de.indd 18 08.08.16 13:27
Sie können auch lesen