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Un seul monde NR. 3 SEPTEMBER 2007 Un solo mondo DAS DEZA-MAGAZIN FÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT Eine Welt www.deza.admin.ch 1,3 Milliarden Jugendliche in Entwicklungsländern – eine einmalige Chance Kuba und seine schwer wiegenden Abhängigkeiten Der Kampf gegen Korruption ist auch ein Kampf gegen Armut
DOSSIER Ein Schalter – viele Dienstleistungen In Vietnam verbreiten sich die von der DEZA initiierten «One-stop Shops» in Windeseile 24 FORUM JUGEND UND ENTWICKLUNG Jugend – eine einmalige Chance 1,3 Milliarde junge Menschen leben in Entwicklungsländern und noch nie war der Zeitpunkt besser, in sie zu investieren 6 Ob Moskau, Zürich oder Bogotá: Korruption gibt’s überall Delhi, Nairobi, Tirana, Managua Der Kampf gegen die Korruption hat in der Vier junge Frauen im Portrait Entwicklungszusammenarbeit höchste Priorität – auch für die DEZA 10, 14 Ein Haus der Hoffnung in Lahore 26 Wie nötig das Engagement für Jugendliche ist, Alltag im Wohnblock veranschaulicht ein Projekt im pakistanischen Punjab Die vietnamesische Schriftstellerin Phan Thi Vang Anh über kläffende Hunde und flexible Hausverwalter 12 Inhalt 29 HORIZONTE KULTUR Ein halbes Jahrhundert kubanische Revolution Sufis in Trance und Berberfeste aus dem Ein Länderportrait jenseits von Castro, Zigarren und Musik Hohen Atlas In Marokko werden verschiedene Musikstile und 16 Tänze gepflegt, von denen einige am Festival La Habana – ein ganz gewöhnlicher Tag «Les nuits du Maroc» präsentiert werden Marta María Ramírez über ihren Alltag in Havanna 30 20 Editorial 3 DEZA Periskop 4 Einblick DEZA 25 Die historische Chance nutzen – jetzt! Was eigentlich ist ... der Human DEZA-Direktor Walter Fust über Jugendliche als Partner und Development Index? 25 eigenverantwortliche Akteure von Entwicklungsprozessen Service 33 21 Impressum 35 Gutes Fundament für Handwerker in Burkina Faso Eine von der Schweiz unterstützte Arbeitsgruppe fördert Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Agentur im westafrikanischen Land die Berufslehre der internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin von «Eine Welt». 22 Die Zeitschrift ist aber keine offizielle Publikation im engeren Sinn; in ihr sollen auch andere Meinungen zu Wort kommen; deshalb geben nicht alle Beiträge unbedingt den Standpunkt der DEZA und der Bundes- behörden wieder. 2 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Editorial Frei im Kopf und im Herzen Unserer letzten Nummer haben wir die Broschüre «Die beispielsweise rebellierte 1953 Fidel Castro im Alter von 27 Schweiz in der Welt – die Welt in der Schweiz» beigelegt. Jahren gegen das korrupte Batista-Regime (siehe unser Die Analyse vermittelt ein differenziertes Bild wie die Länderportrait über Kuba S. 16). Worüber die junge kuba- Schweiz politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich mit der nische Journalistin Marta María Ramírez in der Gegenwart Welt verknüpft ist und welchen Stellenwert die Entwick- sinniert, lesen Sie auf Seite 20. lungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe dabei ein- nehmen. Das Echo von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, In den meisten unserer Partnerländer leben mehr Jugend- war überwältigend, die Nachfrage und Nachbestellungen liche als Erwachsene – in der Schweiz und den Industrie- waren riesig. Es scheint, dass wir mit dem Thema eine In- ländern generell ist eine gegenteilige Entwicklung festzu- formationslücke füllen. stellen. Wir überaltern. Doch ob hier oder dort – auf das Po- tenzial und die Fantasie der Jugendlichen kann keine Jugend ist ein spezifischer Lebensabschnitt, eine Transi- Gesellschaft verzichten. Deshalb will die DEZA die Kraft der tionsphase, während der wir vom Kind zum Erwachsenen Jugend in der Schweiz und vor allem das Potenzial der Ju- werden, die Wirren der aufkeimenden Sexualität durchlau- gend in unseren Partnerländern fruchtbar machen (siehe fen, von abhängigen zu selbstständigen Wesen werden auch DEZA-Standpunkt S. 21). und uns vorbereiten, fortan als Erwachsene Verantwortung für unser Handeln, die Gesellschaft und unsere Kinder zu Auch bei der DEZA-Jahreskonferenz vom 14. September übernehmen. Als Jugendliche sind wir noch frei im Kopf und steht die Jugend im Zentrum. Dort werden Förderpreise an im Herzen, haben Gerechtigkeitssinn und Träume – die uns fünf von Jugendlichen eingereichte Entwicklungsprojekte leider nur allzu oft später verloren gehen. verliehen. Die Preisverleihung wird die Schirmherrin dieser Aktion, Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey vorneh- Wir sind alle mal jung gewesen und haben uns – mal mehr men. Gleichzeitig wird sie an diesem Anlass gemeinsam mit oder mal weniger – die Hörner abgestossen. In den Acht- den anwesenden Jugendlichen zu Entwicklungsfragen und ziger Jahren hiess es «Freie Sicht aufs Mittelmeer». Damals zum Stellenwert der Schweiz in der Welt debattieren. habe ich als Student die Zürcher Jugendunruhen und die Bewegung hautnah miterlebt. Oft steht die Jugend am An- Anregende Lektüre wünscht Ihnen fang eines Entwicklungsprozesses – sowohl gesellschaft- lich, wie wirtschaftlich, wie sozial. Das ist kein Privileg der Harry Sivec Schweizer Jugendlichen und schon gar nicht der heutigen Chef Medien und Kommunikation DEZA Zeit, sondern seit je ein Privileg der Jugendlichen. In Kuba Eine Welt Nr.3 / September 2007 3
Periskop Phantom-Angestellte (jls) Senegal ist den Betrügern unter den Beamten auf den Fersen. Gesundheits- und Erziehungsministerium haben ihren Personalbestand landesweit unter die Lupe genommen. Dabei hat sich gezeigt, dass der Staat tausende Beamte entlöhnt, die nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz auftauchen, manche schon seit langem. So haben beispielsweise zahlreiche Ärzte die Ambulatorien auf dem Land UNEP / Still Pictures verlassen, um in Privatkliniken in der Stadt zu arbeiten, stehen aber weiterhin auf der staatli- chen Lohnliste. Kranken oder invaliden Beamten wird weiter- fordert Stephen Hall, General- anhin die physische Grösse der hin Lohn ausgerichtet, obschon direktor des World Fish Center, Länder, sondern die für die sie schon lange aufgehört haben ein radikales Umdenken: Fisch Entwicklung eines Landes rele- zu arbeiten. Solche Praktiken muss nicht mehr aus den Welt- vanten Faktoren proportional zu sind nicht nur in Senegal gang meeren gefangen werden, son- ihrem Wert:Von der Gesundheit und gäbe. In Niger zeigte sich dern kann in Aquakultursyste- über Einkommen, Reichtum, bei einer Buchprüfung, dass Jahr men kontrolliert in Seen,Tei- Transport,Verbreitung von für Jahr 4,6 Milliarden FCFA chen oder in Küstengebieten HIV/Aids, Nahrungsmittel, (11,5 Mio. Schweizer Franken) produziert werden. Er sieht Nuklearwaffen bis hin zu Trink- an fiktive Beamte ausbezahlt darin ein enormes Potenzial: wasserverbrauch, Kommunika- werden. In Mali blieben rund 1970 stammten lediglich sechs tion oder Umweltverschmut- 3000 im Januar 2006 entlöhnte Prozent des Fischverzehrs aus zung.Am gemeinsamen Projekt Beamte einen Monat später bei der Aquakultur – 2006 waren «Worldmapper» (www.world- einer Überprüfung unauffind- es bereits 30 Prozent. Gemäss mapper.org) der Universitäten bar. Und in Kamerun wurden Schätzungen werden bis zum von Sheffield (GB) und von gegen 4000 Betrüger überführt, Jahr 2020 bis zu 50 Prozent des Michigan (USA) arbeiten seit was sich in Einsparungen in weltweit konsumierten Fischs Jahren Forscher aus verschie- der Höhe von 12,5 Millionen aus Aquakulturen stammen, densten Bereichen – und kreie- Schweizer Franken pro Jahr nie- davon 90 Prozent aus Entwick- ren hunderte neuer Weltkarten. derschlagen dürfte. lungsländern. «Sie können es erklären, Sie können es beweisen, Sie können Zukunftsträchtige Aquakultur Neue Weltkarten es in Tabellen gliedern», sagt (bf) Beim Thema Fisch befinden (bf) Es sind ganz andere Welt- Professor Danny Dorling von sich Umweltschützer und karten als wir sie kennen. der Universität Sheffield, einer Entwicklungspolitiker in einem Eine neue Serie globaler Karto- der Initianten des Projekts, tiefen Konflikt: Die Umwelt- gramme zeigt nicht wie bis «doch erst, wenn Sie es wirklich schützer wollen möglichst einen vollständigen Fangstopp errei- chen; die Entwicklungspolitiker haben das Millennium-Ent- wicklungsziel vor Augen, die Zahl der unter extremer Armut und Hunger Leidenden bis 2015 zu halbieren und denken dabei an die Millionen von Menschen worldmapper.org in Entwicklungsländern, für die Fisch oft die einzige tierische Proteinquelle ist.Als Lösung HIV – Verbreitung 4 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Zeichnung von Martial Leiter Korruption plastisch vor Augen haben, be- Agroforestry Centre zeigt nun Menschen, genügend Regen Freien Universität Berlin unter- wirkt es etwas.» mit ebenso effizienten wie sim- hat, um das sechs- oder sieben- sucht insbesondere in Entwick- plen Methoden auf, wie Regen fache seiner Bevölkerung mit lungsländern die Einflussfakto- Geernteter Regen «geerntet» werden kann und Wasser zu versorgen. In einem ren, welche die Anfälligkeit von (bf) Afrika mag ein trockener damit viele Regionen Afrikas UNEP-Pilotprojekt sammeln gesellschaftlichen Gruppen Kontinent sein, pro Kopf hat es vor Trockenheit bewahrt werden Massai-Frauen in der Region gegenüber den Folgen des aber die grössere Niederschlags- könnten. Eine Studie des Kisamese südöstlich von Nairobi Klimawandels bestimmen. Das menge als Europa. Doch der Zen-trums und des UNO- erfolgreich Wasser in simplen Resultat: In Entwicklungslän- Regen geht oft sintflutartig nie- Umweltprogramms UNEP Behältern, Mini-Reservoirs oder dern sind nicht alle Menschen der, verursacht Überschwem- kommt nämlich zum Schluss, «Erd-Pfannen». Die Frauen gleichermassen betroffen. Die mungen und versickert oder dass beispielsweise Kenia, mit ersparen sich dadurch täglich Folgen solcher Krisen werden verdampft schnell. Das World seinen knapp 40 Millionen vier Stunden Fussmarsch zur vielmehr durch vorhandene nächsten Wasserstelle; das Rest- soziale Ungleichheiten verstärkt, wasser fördert den Baum- und wie Untersuchungen in Nica- Gebüschbestand und kann gar ragua und Tansania gezeigt ha- für kleine Pflanzflächen verwen- ben: So etwa durch die unglei- det werden. che Wohlstandsverteilung oder durch die Zugangsbedingungen Gnadenloser Klimawandel innerhalb dieser Länder zu so- (bf) Das Klima verändert sich, zialen Sicherungssystemen und und menschliche Aktivitäten Basisgütern wie beispielsweise tragen in erheblichem Umfang Wasserversorgung oder resis- dazu bei: Darüber sind sich tentem Saatgut. So trifft denn, mittlerweile weltweit die wen erstaunt’s, der Klimawandel Wissenschafter einig. Doch wen vor allem die sozial Schwächsten trifft dieser Wandel am stärksten? der Armen. REA / laif Ein Forschungsprojekt an der Eine Welt Nr.3 / September 2007 5
Jugend Jugend – eine einmalige Chance Der Jugend gehört die Welt von morgen. Wie diese Welt aus- sehen wird, entscheidet sich aber bereits heute. Ein zentraler Aspekt dabei: Die Zukunftsperspektiven sind eng mit den Chancen und Möglichkeiten verknüpft, die Kinder und Ju- gendliche – nicht nur in Entwicklungsländern – heute in Sachen Ausbildung, Jobs oder Mitbestimmung erhalten. Von Gabriela Neuhaus. Was ist Jugend? Jugend ist die Lebens- Khyber, ein Bergdorf im pakistanischen Kara- Insgesamt leben laut UNO-Statistiken rund 1,3 phase zwischen Kindheit korum-Gebirge.Die Kinder und Jugendlichen hier Milliarden junge Menschen im Alter zwischen 12 und Erwachsensein, oft haben Ziele und Träume – wie überall auf der Welt. und 24 Jahren in Entwicklungsländern. Ihnen und verwendet man dafür auch den Begriff Adoleszenz. «Ich möchte Pilot werden, und ich möchte etwas ihrer Zukunft hat die Weltbank den diesjährigen Dabei ist die genaue al- REA / laif für mein Dorf tun», sagt der 12jährige Golan. Sein Entwicklungsbericht gewidmet. «Der Zeitpunkt, tersmässige Abgrenzung Banknachbar will in die Stadt und Ingenieur wer- in die Jugend der Entwicklungsländer zu investie- je nach Kultur und Lebens- den, ein anderer Arzt – ein Mädchen will Lehre- ren war noch nie besser als heute», schreibt Paul kontext sehr unterschied- lich. Die UNO definiert rin werden, seine Freundin Ärztin. Wolfowitz in seinem Vorwort zum Entwicklungs- Jugendliche als Menschen, Auch der 17jährige Stéphane,er besucht das Gym- report 2007. die älter als 15 und jünger nasium in der vom Bürgerkrieg gezeichneten Stadt als 25 Jahre alt sind. Die Man an der Elfenbeinküste,weiss was er will.Doch Chancen und Risiken Abgrenzungen sind aller- dings nicht ganz eindeutig: dafür muss er hart kämpfen: Um das Schulgeld Statt «besser» hätte auch «dringender» stehen kön- So unterscheidet die UNO bezahlen zu können, versucht er, in der schulfrei- nen. Laut Unesco besuchen nach wie vor 103 zusätzlich zwischen Teen- en Zeit als Strassenverkäufer ein paar Francs zu ver- Millionen Kinder keine Schule,96 Prozent von ih- agern (13 bis 19), jungen Erwachsenen (20 bis 24) dienen. Und wenn er irgendeine Möglichkeit nen leben in Entwicklungsländern. Schätzungs- und in der UNO-Kinder- findet, will er weg aus seiner Heimat, wo er keine weise 800 Millionen junge Menschen leben mit rechtskonvention werden Perspektive sieht.Weg, wie so viele seiner Alters- weniger als 2 Dollar pro Tag – auch hier der weit- 0 bis 18jährige als Kinder genossen – am liebsten nach Europa. aus grösste Teil in Ländern des Südens und des bezeichnet. Im Entwick- lungsbericht der Weltbank Ostens, doch Jugendarbeitslosigkeit und -Armut sind Jugendliche als Günstiger Zeitpunkt unter Jugendlichen nehmen auch in den Industrie- Menschen zwischen 12 bis Jugendliche bilden heute global gesehen die gröss- ländern drastisch zu. 24 definiert. te Altersgruppe,die Hälfte der Weltbevölkerung ist Trotzdem sprechen die Weltbankökonomen in Lebensumstände unter 25jährig. Weltweit haben sich die Überle- ihrem Bericht von einem historisch einmaligen Jugendliche leben, je nach benschancen von Kindern und Jugendlichen seit demografischen Zeitfenster. «Die Chancen sind gesellschaftlichem und den 1950er Jahren dank Fortschritten in der me- gewaltig, da viele Länder über mehr qualifizierte kulturellem Kontext, in sehr unterschiedlichen dizinischen Versorgung und bei der Ernährung Arbeitskräfte mit weniger unterhaltsberechtigten Situationen: Mancherorts enorm verbessert, was zu einer Zunahme der jun- Angehörigen verfügen werden.Diese jungen Men- müssen bereits kleine gen Bevölkerung geführt hat. schen müssen jedoch gut vorbereitet werden, da- Kinder selber für ihren Während infolge sinkender Geburtenraten das Be- mit sie Arbeitsplätze schaffen und finden können», Lebensunterhalt aufkom- men, andernorts werden völkerungswachstum in Industrie-, aber auch in erläuterte der Weltbank-Chefökonom François junge Menschen von ihren verschiedenen Schwellenländern wie China oder Bourguignon anlässlich der Veröffentlichung des Familien unterstützt, bis sie Thailand stark zurückgegangen ist, verzeichnen Berichts im September 2006. gegen 30 Jahre alt sind. Staaten wie Indien oder Länder im südlichen Afri- Mit anderen Worten: Wenn jetzt nicht sofort Während in westlichen Ländern das Heiratsalter ka nach wie vor einen beträchtlichen Geburten- wirksam gehandelt wird, ist die einmalige Mög- immer höher wird, sind überschuss.Verbunden mit der im Vergleich zum lichkeit verpasst. Nur wenn für die aktuelle Gene- nach wie vor in zahlreichen Norden geringeren Lebenserwartung führt dies ration von Jugendlichen entsprechende Vorausset- Gesellschaften Kinderhei- raten an der Tagesordnung, dazu, dass der Anteil an unter 25jährigen in man- zungen geschaffen werden, sind diese bevölke- viele junge Mädchen zwi- chen Ländern 70 Prozent der Bevölkerung oder rungsreichen Jahrgänge auch in der Lage, den Caroline Penn / Panos Strates schen 14 und 18 werden sogar mehr beträgt. geforderten grossen Schritt nach vorne in die Wege Mütter. Eine Welt Nr.3 / September 2007 7
Riehle / laif ernst genommen Der neue Ansatz widerspiegelt auch im zitierten Weltbankreport, zu dessen Ent- «Wir hören ständig, wir stehung über 3000 Jugendliche aus 26 Entwick- seien die Zukunft – uns frustriert aber, dass wir lungsländern mit beigetragen haben: Experten nicht die Gegenwart sein erarbeiteten mit ihnen gemeinsam einen Bericht, dürfen.» der sich auf die konkreten Erfahrungen der Ju- Argentinien gendlichen in den verschiedenen Ländern stützt Jörg Böthling / agenda «Eine meiner Nachbarin- und als Basis für künftige Verbesserungen dienen nen ist ein intelligentes kann. So äussern sich die Jugendlichen selber zu Mädchen, aber sie kann Themen wie Ausbildung oder Jobsuche und for- nicht zur Schule weil ihre mulieren Kritik und Erwartungen an Regierun- Mutter die 250 Lempiras für die Einschreibegebüh- gen und Entwicklungsagenturen aus eigenem Er- ren nicht hatte.» zu leiten. Die Weltbank nennt fünf Bereiche, in leben. Honduras welchen das Potenzial der jugendlichen Bevölke- «Partizipation ist manchmal rung gefördert werden müsse:Ausbildung,Arbeit, Aktive Mitgestaltung unbequem, weil du dein Gesundheit, Familienplanung und Ausübung von Einen Schritt weiter gehen jene Projekte und Pro- Ego zurückstellen und an Mitspracherechten. gramme der heutigen Entwicklungszusammenar- die andern denken musst.» beit, welche nicht nur Erfahrungen und Meinun- Argentinien Eigenständige Gruppe gen der betroffenen Jugendlichen einholen, son- «Mein Freund fragte den Der Fokus auf die Förderung von Kindern und dern diese auch aktiv in die Gestaltung und Lehrer: Warum studieren Jugendlichen in der Entwicklungszusammenarbeit Umsetzung mit einbeziehen. wir diesen Vektor? Der ist nicht neu. Lange Zeit wurden sie aber nicht als «Unsere Erfahrungen zeigen immer deutlicher, Lehrer antwortete: Um das Examen zu bestehen.» eigenständige Bevölkerungsgruppe wahrgenom- dass die Partizipation der Jugend unverzichtbar ist Nepal men, sondern stets als Teil einer Familie, einer für gesellschaftlichen Wandel und Demokratisie- Dorfstruktur etc. Dies änderte sich erst mit der rung», erklärte Wolfgang Jessen, damaliger GTZ- «Studieren ist nur für Leute einer höheren Kaste, nicht Zeit. Fachplaner für Jugendprojekte anlässlich der Es- für jemanden wie dich.» Ein erster Sensibilisierungsprozess wurde mit dem chborner Fachtage von 2003. Nepal internationalen UNO-Jahr des Kindes 1985 in die So werden zum Beispiel seit 1997 im Rahmen ei- Wege geleitet.1989 verabschiedete die UNO dann nes GTZ-Projekts in Südafrika Gewaltprävention «Der Lehrer gibt vor zu leh- ren, der Schüler gibt vor zu die Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kin- und Jugendförderung miteinander verbunden:Jun- lernen und der Staat gibt dern und Jugendlichen unter 18 Jahren, die heute ge Frauen und Männer aus vernachlässigten Stadt- vor, seine Aufgabe zu erfül- von allen Mitgliederländern ratifiziert ist. Damit quartieren erhalten eine Kurzausbildung als «Com- len.» wurde in zahlreichen Ländern erstmals eine spe- munity Peaceworkers». Ein Jahr lang leisten sie Brasilien zifische Gesetzgebung zum Schutz von Kindern Freiwilligenarbeit.Während dieser Zeit bietet ih- Zitate von Jugendlichen und Jugendlichen initiiert. nen das Projekt Berufsberatung und Kurse z.B. in aus Entwicklungsländern, Eine weitere Neuerung,die noch jüngeren Datums Wirtschaftsenglisch oder Computer an. aus dem Bericht «Young People Speak out. Youth ist, betrifft den Zugang der Entwicklungsagentu- Von den rund 450 jungen Menschen,die bisher am Consultations for the World ren zu den Jungen. Sie werden als Bevölkerungs- Projekt teilgenommen haben, fanden 80 Prozent Development Report 2007» gruppe nicht nur wahr-, sondern als Partner auch nach dem Freiwilligenjahr eine feste Anstellung – 8 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Tatlow / laif Jugend Bildungsangebot Im Rahmen des DEZA- Jahresthemas «Jugend und Entwicklung» erarbei- ten die Stiftung Bildung und Entwicklung und Alliance Sud im Auftrag der DEZA ein Bildungsan- gebot zum Themenbereich «Jugend und Arbeit». Das Lehrmittel richtet sich an Berufsschulen und ermög- licht den Lehrpersonen, Michael Riehle / laif Silke Wernet / laif das Thema im Unterricht im globalen Kontext und im Zusammenhang mit weltwirtschaftlichen Ent- wicklungen zu erarbeiten. gleichzeitig ging die Kriminalitätsrate in den be- Junge Menschen in Entwicklungsländern sind von Die Schüler lernen ihre troffenen Quartieren merklich zurück. Problemen wie zum Beispiel Armut, HIV/Aids, eigene Arbeitssituation mit derjenigen von Jugendli- Aktive Mitgestaltung soll aber nicht nur von den Migration ganz besonders betroffen:Viele können chen in Ost und Süd zu Ärmsten selber geleistet werden: Es gibt zahlrei- keine Schule besuchen, weil das Geld fehlt.Viele vergleichen, sowie auch che Möglichkeiten für Jugendliche aus aller Welt, sind Waisen,weil ihre Eltern an Aids gestorben sind Parallelen und Ähnlichkei- die auch rege genutzt werden, im Rahmen eines oder die Familienstruktur trägt nicht mehr,weil El- ten herauszuarbeiten und zu analysieren. Über den Austauschjahres, sozialer Arbeit oder gemeinsamer tern im Ausland versuchen, den Lebensunterhalt Perspektivenwechsel Projekte, an den globalen Herausforderungen, die der Familie zu bestreiten. entwickeln sie Verständnis sich dieser neuen Generation stellen, mitzugestal- Kinder, die in Kriegsgebieten aufwachsen, kennen für andere Arbeits- und ten. keine Sicherheit, sind an Leib und Leben bedroht, Lebenswelten. Das Lehr- mittel wird von verschiede- Die DEZA will mit Hilfe von Informations- und werden als Kindersoldaten missbraucht...Auf die- nen Instrumenten beglei- Kulturveranstaltungen sowie einem Wettbewerb sen Kindern und Jugendlichen lastet nun die Hoff- tet. Unter anderem unter- entwicklungspolitisches Engagement auch bei Ju- nung für eine bessere Zukunft. Eine grosse Her- stützen Postkarten mit Bildern unterschiedlicher gendlichen in der Schweiz wecken. Bereits gibt es ausforderung, die entsprechendes Engagement auf Arbeitssituationen sowie zudem zahlreiche Internetplattformen, in denen allen Ebenen voraussetzt. ein Fragebogen, eine sich Jugendliche aus aller Welt miteinander aus- Dabei ist nicht nur eine quantitative Zunahme der Webseite und ein Set von tauschen können – auch zu spezifisch zukunfts- Mittel notwendig; vor allem auf der qualitativen ausgewählten Filmen die Erarbeitung der Themen und entwicklungspolitischen Fragen. Ebene müsste sich einiges ändern – hier sind neue «Arbeit im Allgemeinen», Visionen gefragt.Der eingeschlagene Weg in Rich- «Arbeit hier und anderswo» Qualität nicht Quantität tung vermehrter Einbindung der Jugendlichen sel- und «Weltweiter Arbeits- Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ber ist sicher richtig. Doch es braucht mehr. ■ markt». Das Lehrmittel ist ab Mitte man in einer schwierigen Situation auf die nach- November erhältlich bei: folgende Generation setzt. Damit die von den Stiftung Bildung und Weltbankökonomen heraufbeschwörte einmalige Entwicklung, Monbijoustrasse 31, Chance aber nicht zum Fiasko wird, müssten Po- 2011 Bern. litiker, Wirtschaft und die Entwicklungsorganisa- Tel. 031 389 20 21; tionen investieren, wie noch nie. www.globaleducation.ch Eine Welt Nr.3 / September 2007 9
Kusum Dikshit, 17, Delhi: «Wir mussten unsere Sachen nehmen und gehen» Einwohnerzahl Delhi 2010 finden in der indischen Hauptstadt die Com- zug hatte Kusum erwachsen gemacht. Aus dem 14 Millionen monwealth-Spiele statt, für die Delhi auf Hoch- Gassenkind wurde, dank Abendunterricht bei Na- Alphabetisierungsgrad glanz gebracht werden soll. Dazu gehört die Ent- vjyoti, eine Gassenlehrerin. 86 Prozent fernung der Slums, darunter jenem von Jamuna- In der Freizeit häkelt sie kleine Tüchlein.Sollen sie Lebenserwartung pushta. Kusum Dikshit erinnert sich: «Plötzlich Wohnlichkeit verbreiten? Ihr Bruder Ravinder be- 69,9 Jahre kamen diese grossen Maschinen, und viele Polizis- streitet es lachend, während Kusum rot wird: «Sie Arbeitslosigkeit ten waren da.Wir mussten unsere Sachen nehmen will ihrem Bräutigam imponieren.» Nächstens 2,8 Prozent und gehen. Alles wurde abgerissen, unsere Häu- wird nämlich geheiratet, einen entfernten Cousin Durchschnittliches ser…», und sie hätte hinzufügen können, «...und aus dem Dorf. Warum so früh? Kriminalität wie Monatseinkommen unsere Gassen». Drogen und Prostitution ist allgegenwärtig in Ba- 1250 Schweizer Franken Denn die engen Passagen mit den offenen Abwas- wana, da ist es am sichersten, ein junges Mädchen ser-Rinnen haben Kusum zu dem gemacht,was sie zu verheiraten. heute ist: eine «Gassenlehrerin». Die NGO Na- Doch Kusum will weiter Gassenlehrerin bleiben vjyoti hatte Gassenschulen eingerichtet, für Kin- und eine «richtige» Lehrerin werden. Bis zur der, die nicht zur Schule gingen. Ältere Mädchen Hochzeit lebt sie zuhause. Den Vater sieht sie sel- spielten während zwei Stunden am Tag mit ihnen. ten: «Er ist in Delhi, verkauft Kerosen aus dem auf So ist Kusum aufgewachsen. einem Holzwägelchen aufgebockten Erdölfass.» Wie denkt sie über ihre Armut? «Manchmal bin Ende Jahr wird geheiratet ich zornig.Warum sind wir arm,andere nicht? Aber Die Eltern waren 1991 aus einem Dorf in Uttar in der ‚Gali School’ sehe ich viele Kinder, die Pradesh nach Jamunapushta gezogen. 2004 musste krank sind, oder ohne Eltern. So viele haben we- die inzwischen sechsköpfige Familie wieder um- niger als ich! Da beneide ich die Leute nicht mehr, ziehen, zusammen mit 150000 weiteren Slumbe- die mehr haben.» ■ wohnern. Sie landeten in Bawana, einem offenen Feld vierzig Kilometer vom Zentrum entfernt,von Text un Fotos von Bernard Imhasly, Asien-Korrespon- der Regierung euphemistisch als «Wohnkolonie» dent der NZZ mit Sitz in Delhi, Indien bezeichnet. Auf einer 18 Quadratmeter grossen Parzelle baute sie ihre Hütte wieder auf. Der Um- 10 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Jugend Liljana, 17, Tirana: «Kein Jugendhaus, keine Sporthalle, nur Teehäuser» Noch vor 15 Jahren war Bathore ein grosses Feld Wie verbringt eine Teenagerin in Bathore ihre Einwohnerzahl Tirana mit Wiesen und Ackerland. Inzwischen ist hier, in Freizeit? Liljana blickt verlegen zu Boden.Viele 600 000 der Peripherie von Albaniens Hauptstadt Tirana, Möglichkeiten gebe es hier nicht. «Kein Jugend- Alphabetisierungsgrad eine Trabantenstadt entstanden. Meist einstöckige, haus, keine Sporthalle, nur Teehäuser, wo meist alte 89 Prozent planlos gebaute Häuser stehen in der Landschaft Männer mit Kartenspielen die Zeit totschlagen», Lebenserwartung wie groteske Legosteine. Ein Elendsviertel. Die sagt sie. Deshalb bleibt sie oft zu Hause vor dem 69 Jahre Scholle der Tschetschenen, wie die alteingesesse- Fernseher. Liljana und ihre Freundinnen verbin- Arbeitslosigkeit nen Bürger von Tirana ihre Landsleute aus dem det eine Leidenschaft: Die lateinamerikanischen 15,4 Prozent Norden verächtlich nennen, die wegen wirt- Telenovelas. Der wohl populärste Endlosstreifen in Durchschnittliches schaftlicher Not geflüchtet sind und sich in Bathore Albanien heisst «Natalia», es geht um ein Mädchen, Monatseinkommen niedergelassen haben. 50000 Menschen leben in das in einer Welt von Intrigen, Liebeskummer und 200 Schweizer Franken diesemViertel Tiranas,kaum sieben Kilometer ent- Traurigkeit aufwächst. fernt vom bunt beleuchteten Skanderbegplatz. Noch zwei Jahre wird Liljana die Mittelschule be- suchen. Doch grosse Träume für die Zukunft hegt Intrigen, Liebeskummer und Traurigkeit sie nicht,angesichts der wirtschaftlichen Misere.Sie Auch die Familie von Liljana Gjonkolaj musste liebt die Bücher von Stefan Zweig und die senti- Haus und Hof in einem Dorf nahe Tropoja, un- mentalen Geschichten des italienischen Schrift- weit der Grenze zu Kosovo, verlassen. «Wegen des stellers und Humanisten Edmondo De Amicis. Ei- Wassers und der Armut», sagt die 17jährige wort- nes Tages möchte sie Polizistin werden.Vielleicht karg. Die rücksichtslose Abholzung der Wälder der typische Wunschtraum einer Frau in einer führte im Norden zu Trockenheit, ganze Dörfer männerdominierten Gesellschaft. ■ wurden menschenleer. Die jungen Männer wan- derten nach Westeuropa aus.Wie die zwei Brüder Text und Fotos von Elsa Demo, Journalistin der alba- von Liljana, die in Deutschland arbeiten und die nischen Tageszeitung «Shekulli» in Tirana, und Enver Familie mit kleinen Geldbeiträgen unterstützen. Robelli,Auslandredaktor des Tages Anzeigers Zürich Dank der Hilfe konnte Vater Dodë mit dem Bau eines Hauses in Bathore beginnen. Es ist der ganze Stolz der Familie. Eine Welt Nr.3 / September 2007 11
Ein Haus der Hoffnung in Lahore In Pakistan engagiert sich die Schweizerische Entwicklungs- zusammenarbeit gemeinsam mit verschiedenen Partnern für Kinder und Jugendliche. Wie nötig dieses Engagement ist und was es bewirken kann, zeigt ein Beispiel aus dem Punjab. Jeffrey L. Rotman / Still Pictures Manche Kinder haben Eltern – andere nicht. Manche Kinder schlafen (gn) Eigentlich haben die Kinder und Jugendlichen Momentan leben 250 Buben und 47 Mädchen im daheim – andere in den in der pakistanischen Provinz Punjab Glück. Die- Zentrum. Unter ihnen auch die beiden Teenager Strassen. Manche Kinder werden ses Glück hat einen Namen: Faiza Asgher, Kin- Aslam und Tariq, die beide als kleine Buben in die von ihren Eltern geliebt – derärztin und Beraterin des dortigen Regierungs- Golfstaaten verkauft worden waren, wo sie wäh- andere missbraucht. präsidenten in Sachen Kinderangelegenheiten. rend fast zehn Jahren als Kamelreiter arbeiteten.Sie Manche Kinder gehen zur Schule – andere müssen Faiza Asghers Engagement gilt vor allem den Ärms- gehören zu den wenigen der insgesamt 656 nach arbeiten oder betteln. ten,sichtbarstes Resultat ihrer Arbeit in diesem Be- Pakistan rückgeführten einstigen Jockeys, deren Manche Kinder werden reich ist das «Büro für den Schutz und das Wohl- Familien man bis heute noch nicht gefunden hat. Ärzte, Ingenieure und ergehen des Kindes» (Child Protection & Welfare Deshalb leben sie vorläufig im Zentrum von Lah- Offizieren – andere sind für ein Leben als Bettler, Bureau; siehe auch Randspalte), das im Februar ore, wo sie betreut und ausgebildet werden. Kriminelle oder Prostituierte 2005 in Lahore seine Tore öffnete. bestimmt. Laut Schätzungen lebten damals in der Fünfmil- Ganzheitlicher Ansatz Lasst uns einander die lionenstadt 10000 Kinder und Jugendliche ob- Unterstützt werden nicht nur Kinder ohne Eltern, Hände reichen und den weniger glücklichen «ande- dachlosauf der Strasse, viele von ihnen schlugen das «Büro für den Schutz und das Wohlergehen des ren» helfen, ein besseres sich mit Betteln oder mit Gelegenheitsarbeiten Kindes» hat zum Beispiel auch Angebote für Fa- Leben zu leben! durch.Ihnen bot das Zentrum nun erstmals Schutz, milien, die in schwierigen wirtschaftlichen Ver- Aus dem Programm Beratung und die Möglichkeit, eine Schule zu hältnissen leben. Hier hilft das Zentrum mit Kre- des Pilotprojekts «Child Protection & Welfare besuchen sowie in verschiedenen Berufen erste diten und Beratung.Zudem bietet es medizinische Bureau», Lahore Fähigkeiten zu erwerben. und psychologische Betreuung für Kinder und Ju- 12 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Jugend gendliche sowie einen Rechtsdienst an, eine tele- in Pakistan,das von der DEZA seit 1996 unterstützt fonische Helpline steht ihnen Tag und Nacht zur wird. Verfügung, und in vier über die Stadt verteilten Ein wichtiges Standbein in diesem Programm ist kleinen «Open Reception Centres» können sie das «Girl Child Project»,welches erstmals 1991 von vorübergehend Schutz und Ruhe finden. der pakistanischen Vereinigung für Familienpla- Wie zum Beispiel der 13jährige Abdul Razzak.Tag nung, in Zusammenarbeit mit Unicef, durchge- für Tag verkauft er in der Umgebung eines be- führt worden war. Dabei ging es darum, die Be- kannten Schreins, wo vor allem an religiösen Fei- völkerung, in erster Linie aber die in Pakistan im- Sinopictures / Maciej Dakowicz / Still Pictures Ilyas Dean / images.de / Still Pictures ertagen viele Besucher herkommen, Plastiksäcke. mer noch sehr stark benachteiligten Mädchen und Damit verdient er etwas Geld das reichen muss,um jungen Frauen auf ihre Rechte aufmerksam zu ma- sich selber,seine beiden Geschwister und die Mut- chen und ihnen ein Training oder eine Grundaus- ter zu ernähren. Er geht nicht zur Schule, doch er bildung u.a. im Unterrichten, in Erster Hilfe oder besucht regelmässig eines der Open Reception in verschiedenen Handwerken zu ermöglichen. Centres. Auf die Frage weshalb er komme, sagt Abdul: «Um zu spielen und auszuruhen – und um Harmonisierte Projekte mich daran zu erinnern, dass ich immer noch ein Das Projekt,welches seit 2001 von der DEZA mit- Kind bin.» unterstützt worden ist,hat in der Zwischenzeit 730 Gemeinden in ganz Pakistan erreicht; laut Statisti- Rechte und ihre Umsetzung ken wurden dabei über 100000 Männer und Frau- Seit seiner Eröffnung betreute das Zentrum bereits en in Versammlungen über die Rechte der Mäd- über 10000 Kinder, momentan stehen rund 3500 chen aufgeklärt, und tausende von Mädchen be- Kinder und Jugendliche in irgendeiner Art und suchten Kurse im Rahmen des Programms. Über Die Hälfte des Volks jün- Weise unter seinen Schutz. «Heute gibt es in 30000 junge Frauen absolvierten ein so genann- ger als 18! Lahore praktisch keine Strassenkinder mehr»,stell- tes «Leadership Training» und unterrichten heute Mit einer Bevölkerung von te DEZA-Mitarbeiterin Chloé Milner anlässlich Kinder oder arbeiten in Erste Hilfe-Zentren. über 150 Millionen gehört Pakistan zu den bevölke- ihres letzten Besuchs vor Ort im März 2007 fest. Nebst der Zusammenarbeit mit Unicef beteiligt rungsreichsten Ländern «Was das Zentrum dank dem persönlichen Enga- sich die DEZA auch an einem Projekt der Inter- der Welt. Rund die Hälfte gement von Faiza Asgher bereits in dieser kurzen nationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Kampf seiner Einwohner sind jün- ger als 18. Obschon Zeit erreicht hat, ist phänomenal.» gegen die Kinderarbeit, und sie unterstützt eine Pakistan zu den ersten Die Ärztin hat aus dem staatlichen Pilot- ein wahr- pakistanische NGO, die im Bereich «Schutz von Ländern gehörte, die 1990 haftes Vorzeigeprojekt gemacht. Ziel ist nun, auf- Kindern in schwierigen Situationen» arbeitet. Ab die UNO-Konvention über grund der bisherigen Erfahrungen ähnliche Zent- 2009 sollen diese drei Jugendprojekte harmonisiert die Rechte des Kindes un- terzeichnet haben, leben ren in weiteren Provinzen aufzubauen, zum Bei- im Rahmen eines gemeinsamen Dachprogramms viele Kinder und Jugendli- spiel in der North West Frontier Province (NWFP), «Rechte der Kinder» (Child Rights) weiter geführt che hier in prekären Ver- wo die DEZA schwerpunktmässig arbeitet. werden. Damit will man, so das Ziel dieses von der hältnissen: Die Kinderarbeit Das Pilotprojekt in Lahore basiert auf einem «Ge- UNO lancierten Pilotprojektes,die verschiedenen ist in Pakistan nach wie vor weit verbreitet, Kinder wer- setz zugunsten Not leidender und vernachlässig- sich ergänzenden Engagements besser zu einem den als Arbeitssklaven ins ter Kinder», das die Provinz Punjab im Jahr 2004 effizienten ganzheitlichen Programm im Dienst der Ausland verkauft, viele neh- verabschiedet hatte. Die Erarbeitung von Gesetz- «verwundbaren Kinder» entwickeln können. ■ men Drogen, werden sexu- ell missbraucht und haben esgrundlagen zum Schutz von Kindern und Ju- kaum Zugang zu medizini- gendlichen sowie deren Umsetzung sind denn scher Versorgung und Bil- auch zwei der Kernthemen des Unicef-Programms dung. Eine Welt Nr.3 / September 2007 13
Miriam, 18, Nairobi: «Eine Frau als Elektrikerin? Das geht doch nicht!» Einwohnerzahl Nairobi «Frauen arbeiten vielleicht etwas langsamer, aber Lehrjahre, für das dritte (mit Diplomabschluss) 2,8 Millionen besser und genauer als die Männer.» Miriam muss sie selber aufkommen. Kürzlich zogen Mi- Alphabetisierungsgrad Mwangare Muirore sagt es lachend, keiner der riam und ihre Lehrlingskollegen auf einem Neu- 85 Prozent männlichen Lehrlingskollegen im St.Vincent Vo- bau Leitungen ein,da fragte der Bauherr,ob sie das Lebenserwartung cational Center widerspricht. Sie ist 18, im zwei- Mädchen fürs Teekochen auch gleich mitgebracht 55 Jahre ten Lehrjahr als Elektrikerin und will,wenn sie das hätten. «Dem gab ich eine knallige Antwort», sagt Arbeitslosigkeit Geld zusammenbringen kann, noch ein drittes Miriam, «das macht mich echt wütend. Als ob 40 Prozent Jahr anhängen: «Ich will das Diplom.» Frauen nur als Coiffeusen oder Schneiderinnen ar- Durchschnittliches Miriam kommt aus einer geradezu typischen Fa- beiten könnten!» Monatseinkommen milie hier in Riruta, einem Ortsteil des ausufern- Viel Freizeit bleibt nicht.Abends repariert sie Ra- 87 Schweizer Franken den Slums Kawangware in Kenias Hauptstadt dios,zusammen mit dem Bruder,«der hat mich an- Nairobi. Die Mutter, alleinerziehend, sorgte mit gesteckt, als wir noch Kinder waren», sagt Miriam. Gelegenheitsarbeiten für die fünf Kinder; zwei äl- Was sie so zusammenbringen, stecken sie in den tere Brüder und eine Schwester sind verheiratet, gemeinsamen Haushalt.Und die Disco? «Ach was, Miriam lebt mit dem Zwillingsbruder John und ih- Disco – abends kannst du nicht mehr aus dem rer Mutter in einer kleinen Blechhütte;einVorhang Haus», sagt Miriam und streicht die keck unter der trennt den Raum in ein Frauen- und ein Männer- Mütze hervorschauenden Haare zurecht, «zu ge- abteil, Licht spendet die Kerosinlampe, das Wasser fährlich. Zudem habe ich kein Geld. Ich spare fürs wird mit dem Kanister herbeigeschafft. dritte Jahr; ich brauche auch Werkzeuge für ein eigenes Geschäft, für mein Geschäft.» ■ Abends repariert sie Radios An die Reaktionen ihrer Freundinnen erinnert Text un Fotos von Peter Baumgartner, 1994 bis 2004 sich Miriam noch gut, als sie sich fürs Stipendien- Afrika-Korrespondent des Tages-Anzeigers Zürich, aus programm der kleinen, aus der Schweiz finanzier- Nairobi ten Slumschule für arme Kinder und Aids-Waisen anmeldete:«Alle sagten:Eine Frau als Elektrikerin? Das geht doch nicht!» Die Schule stützte sie und gab ihr das Stipendium – für die zwei üblichen 14 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Jugend Rossaura, 17, Managua: «Ein Kind ist kein Hindernis für eine Berufsausbildung» Nein,ein Kind schon in ihrem Alter zu haben,dar- will Ingenieurin werden: «Ein Kind zu haben ist Einwohnerzahl Managua an habe sie nie gedacht, sagt Rossaura, eine knapp kein Hindernis für eine Berufsausbildung.» 1 Million 17jährige Nicaraguanerin aus Ciudad Sandino, Rossaura kann von Glück reden:Reynaldo,Dianas Alphabetisierungsgrad einer wild wuchernden Schlafstadt vor den Toren 18jähriger Vater, hat seiner Partnerin nicht den 77 Prozent von Managua. Jetzt, zwei Monate nach der Ge- Rücken zugekehrt, kaum kam das Kind zur Welt. Lebenserwartung burt der Tochter Diana, sei in ihrem Leben alles Schon zum Schwangerschaftstest begleitete er sie. 70 Jahre anders. Kurz nach der Geburt zog das Paar zusammen.Als Arbeitslosigkeit Doch in ihrer Familie ist sie keine Ausnahme. Rossaura fünfzehn war, lernte sie Reynaldo ken- 7 Prozent Auch Mutter Martha gebar mit 16 die erste Toch- nen, ihren ersten Schatz.Viel sehen sich die jun- Durchschnittliches ter. Und drei der engsten Freundinnen von Ros- gen Eltern nicht.Am Morgen studiert der Partner Monatseinkommen saura haben entweder schon ein Bébé oder sind Marketing, am Nachmittag rackert er sich auf 160 Schweizer Franken schwanger.An die Pille glaubt sie nicht.Das sei Gift einem Markt in Managua ab. Dort besitzen seine für den Körper. Ans Abtreiben habe sie nie ge- Eltern eine Verkaufsbude.Vor allem die Grossmüt- dacht, dabei hätte sie sich schlecht gefühlt. Sie ist ter des Neugeborenen stehen mit Rat und Tat zur katholisch getauft, ab und zu geht sie zum Gott- Seite. esdienst. Rossauras Vater ist vor Jahren nach Kanada ausge- wandert.Von Zeit zu Zeit schickt er der Tochter Manchmal schickt der Vater Geld Geld, zum Beispiel für einen Englischkurs. Für Bei dreissig Grad im Schatten wippt die Jungmut- Rossaura ist klar, dass sie Reynaldo heiraten will. ter auf dem Schaukelstuhl im Vorgarten des El- Doch laut nicaraguanischem Gesetz muss sie da- ternhauses hin und her, das Bébé im Schoss. Zwar mit zuwarten, bis sie 18 und damit volljährig ist. ■ hat die Ankunft von Diana einen Strich durch ihre Lebensrechnung gemacht. Sie hat die Sekundar- Text un Fotos von Richard Bauer, Lateinamerika- schule abbrechen müssen. Korrespondent der NZZ Doch schon nächstes Jahr, will sie wieder die Schulbank drücken, drei Jahre lang in einer Sams- tagsschule für Berufstätige.So machte es schon ihre Mutter, eine studierte Agronomin.Auch Rossaura Eine Welt Nr.3 / September 2007 15
H O R I Z O N T E Ein halbes Jahrhundert kubanische Revolution Kuba ist jenes Land Lateinamerikas, das jeder zu kennen glaubt, so einprägsam sind die Bilder, die man damit ver- bindet: Fidel Castro, Zigarren, Musik, Strände… Aber Kubas Geschichte, sein Schicksal und der Alltag seiner Bevölkerung zeigen die grosse Karibikinsel auch in einem anderen Licht. Von Jacques Pilet*. Das 1492 von Kolumbus entdeckte Kuba – von 1953 bricht mit dem Angriff Fidel Castros und ei- ihm stammt der Ausspruch,diese Insel sei wohl die niger seiner Anhänger auf die Moncada-Kaserne schönste, die Menschenaugen je gesehen haben – die Revolution aus. Das Unternehmen scheitert. diente dem spanischen Königreich als Basis zur Er- Aber es ist der Beginn des bewaffneten Kampfs.Die oberung Südamerikas.Ohne die Last der Kolonial- Aufständischen geniessen die Sympathie der Be- geschichte ist das heutige Kuba nicht zu verstehen. völkerung und stürzen den Diktator Fulgencio Erst 1868 begann der Kampf um die Unabhängig- Batista am 1.Januar 1959.Kubas Bourgeoisie flieht keit, mit José Martí, einer noch heute verehrten nach Miami. Die Beziehungen zu den USA sind politischen und literarischen Persönlichkeit. zusehends gespannt, bis es zum Bruch kommt. Es Definitiv schlagen die Aufständischen die spanische ist die Zeit des Kalten Kriegs, der in Kuba mit aller Armee 1898 mit Hilfe der Vereinigten Staaten, die Härte ausgetragen wird. die Insel sofort unter ihreVorherrschaft stellen.Die folgenden Regierungen sind alle mehr oder we- Handelsboykott und Touristen niger korrupt und autoritär. Sie machen Havanna Das amerikanische Handelsembargo trifft die zur Amüsiermeile und zu einem Sündenbabel für kubanische Wirtschaft hart, und das Land kippt amerikanische Touristen. nach und nach ins sowjetische Lager: Die UdSSR 16 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Kuba Sebastian Hauser / laif Tobias Hauser / laif Miquel Gonzalez / laif Dirk Jensen / agenda Tobias Hauser / laif kauft Zucker, liefert im Gegenzug Waffen und dukte stammen aus dem am Rand der Städte Konsumgüter – bis zum Zusammenbruch des gelegenen, bescheidenen privaten Sektor. Ein aus- Kommunismus 1989. sichtsreiches Gebiet staatlicher Anstrengungen sei Allerdings hat sich im Lauf der Jahre das Embargo auch erwähnt:Die Produktion von Medikamenten de facto aufgeweicht. Verschiedene Länder, allen und Impfungen sowie die Förderung der Bio- voran Spanien und Kanada,intensivieren ihre Wirt- technologie. schaftsbeziehungen zu Kuba. Sogar die USA sind wieder im Business:Amerikanische Frachter, voll- Schwer wiegende Abhängigkeiten geladen mit Getreide, legen regelmässig im Hafen Wirklich beachtliche Erfolge haben die 50 Re- von Havanna an. volutionsjahre im Bildungs- und Gesundheits- Eine andere bedeutsame Öffnung geschieht im wesen erzielt. Überall auf der Insel kann man sich Tourismus, der sich zu einer der wichtigsten De- von kompetenten Ärzten behandeln lassen. visenquellen mausert. 2005 zieht es 2,3 Millionen Medikamente bleiben zwar Mangelware,aber kein europäische, kanadische und südamerikanische anderes karibisches Land verfügt über eine In- Reisende an die kubanische Sonne,wo sie von den frastruktur wie Kuba. Sogar eine Spitzenmedizin Das Ding im Alltag Hotelinfrastrukturen profitieren, die insbesondere für Ausländer konnte sich entwickeln: Jährlich Das Camello mit spanischem Kapital entstanden sind. Dieser kommen 5000 bis 6000 Patienten zur Behandlung Die schon legendären ame- Sektor macht 12 Prozent des BIP aus und ist – mit nach Havanna! rikanischen Autos, die seit der Revolution von 1959 knapp 200000 Beschäftigten – einer der wichtigs- Kuba schickt Arbeitskräfte aus dem Gesundheits- immer wieder geflickt wur- ten Arbeitgeber des Landes. Seine Entwicklung sektor zu tausenden nach Venezuela, das diese den, sind am Ende. Neu- wird vom amerikanischen Embargo allerdings stark Dienstleistung mit Erdöl vergütet. Eine andere wagen sind rar. Autobusse gehemmt: Die karibischen Passagierschiffe legen Erfolgsgeschichte: Die Schule. Für alle Kinder. auch. Havanna zählt auf ein anderes Transportmittel: nicht mehr in Havanna an. Und amerikanische Talente werden erkannt und gefördert, Analpha- Das Camello (Kamel) – eine Staatsbürger dürfen immer noch nicht nach Kuba beten gibt es auf der Insel praktisch keine mehr. von einem Sattelschlepper reisen, mit Ausnahme der Exilkubaner, die ihre Vierzig Universitäten bieten höhere Ausbildungen gezogene, mehrteilige Buskabine. Das Hybrid- Familienangehörigen besuchen können. in ansprechender Qualität. fahrzeug wurde in den Die Industrialisierungsbemühungen unter sowjeti- Die wirtschaftlichen Strukturen bleiben von der wirtschaftlich äusserst schem Einfluss sind gescheitert. Die verstaatlichte kolonialen Vergangenheit geprägt. Das Land hat schwierigen 1990er Jahren Landwirtschaft erzielt enttäuschende Resultate, zwar ein besonderes Humankapital, das ihm den entwickelt. Es hat eine Kapazität von bis zu 300 – umso mehr als der Wert des Zuckers auf dem Welt- Weg in die Moderne ebnet. Und dies, obschon eng gedrängten – Personen. markt sinkt.Ungefähr 70 Prozent der in Kuba pro- viele Kubaner im Exil leben.Die Abhängigkeit fällt duzierten und konsumierten Landwirtschaftspro- dennoch ins Gewicht: Einst die von Spanien, dann Eine Welt Nr.3 / September 2007 17
Christian Heeb / laif Raffaele Celentano / laif (2) Karl-Heinz Raach / laif von den USA,der Sowjetunion und nun vonVene- der Leistungsausweis der privaten Landwirtschaft. zuela, das Kuba weitgehend mit Energie versorgt Und auch der eilige Tourist vermag die erzielten – der eigentliche Schwachpunkt der Insel, wobei Fortschritte zu erkennen. Ölförderung in Aussicht gestellt wurde, aber noch Havannas von der UNO zum Weltkulturerbe er- in den Kinderschuhen steckt. Abhängigkeit aber hobene Altstadt war eine einzige Ruine. Inzwi- auch von den Weltmarktpreisen für Zucker und schen findet sie zum einstigen Glanz zurück. Die Nickel. Das vom Staat mit Hilfe ausländischer Regierung gab dem Historiker Eusebio Leal Firmen abgebaute Erz ist nach wie vor der wich- Spengler weit gehendeVollmachten;der talentierte tigste Devisenlieferant (rund 1 Milliarde Dollar pro Unternehmer mit Schweizer Wurzeln gründete die Jahr). Oficina del historiador, eine umtriebige Firma. Kubas Reserven sind beträchtlich und locken im- Villen,Kirchen und Wohnhäuser werden nach und mer mehr chinesische Investoren an. Die staatliche nach renoviert (ungefähr ein Drittel des alten Teils Kontrolle der Wirtschaft, die eingeschränkte Wirt- von Havanna),unter Berücksichtigung kultureller, schaftsfreiheit und das Embargo der USA tragen sozialer und wirtschaftlicher Anliegen: Einerseits zur Armut einer Bevölkerung bei, die zwar nicht kann ein Teil der Bewohner weiterhin in den reno- in der extremen Misere mancher Nachbarländer vierten Quartieren leben, andererseits ziehen lebt,aber auch nicht aus der Mangelwirtschaft her- Hotels, Restaurants, Musiklokale, Galerien und ausfindet. Läden Besucher an und schaffen so die materiellen Das mittlere monatliche Einkommen erreicht Grundlagen für die weiteren Renovierungsar- gerade mal 30 Dollar in Lokalwährung. Ohne beiten. Devisenquelle – seien es Rimessen von Exilkuba- Das Vorhaben beschäftigt über 10000 Menschen: nern (schätzungsweise knapp 1 Milliarde Dollar Architekten, Handwerker, Tourismusangestellte pro Jahr) oder Trinkgelder – müssen sich die Ku- usw. Die kulturelle Szene, die sich an diesen Orten baner mit einem extrem bescheidenen Existenz- entwickelt, ist ausnehmend attraktiv. So viel Erfin- minimum begnügen. Die meisten Geschäfte in dungsgeist, Kreativität, Kompetenz und Durch- Havanna akzeptieren sowieso nur CUC, gegen haltewillen verheissen dem Land eine blühende Dollar, Euro oder Schweizer Franken erhältliche Zukunft. Auf welchem politischem Weg auch konvertible kubanische Pesos. immer. ■ Einer besseren Zukunft entgegen (Aus dem Französischen) Das düstere Bild verstellt allerdings den Blick auf eine vitale, gut ausgebildete und aktive Gesell- *Jacques Pilet ist Journalist und Mitglied der Ringier- schaft, die ihr Land liebt und auf eine bessere Zu- Konzernleitung,schreibt regelmässig für «L’Hebdo» und kunft hofft. Davon zeugen die Erfolge der medizi- war zwischen 1968 und 2007 mehrmals in Kuba. nischen Forschung. Vielverheissend ist überdies 18 Eine Welt Nr.3 / September 2007
Kuba Die Schweiz und Kuba Verbesserte Lebensbedingungen (bf) Die Schweiz leistet seit 1997 humanitäre Hilfe ditionelle Medizin), die Verbesserung der Infras- Fakten und Zahlen in Kuba und engagiert sich seit Ende 2000 mit truktur in Spitälern sowie die Aids/HIV-Präven- Name einem Spezialprogramm in der Entwicklungszu- tion. Gleichzeitig wird die Ernährungssicherheit Republik Kuba sammenarbeit. Dieses ist darauf ausgerichtet, die durch die Lieferung von Milchpulver unterstützt Hauptstadt kubanische Gesellschaft in der weiteren friedlichen und bei Naturereignissen (Hurrikane etc) Katas- Havanna Tobias Hauser / laif Entwicklung des Landes zu unterstützten und sie trophenhilfe geleistet. (ca 2,3 Mio Einwohner) unter Wahrung der sozialen Errungenschaften Das Programm der Entwicklungszusammenarbeit Fläche voranzubringen. Deshalb werden lokale Initiativen konzentriert sich einerseits auf eine nachhaltige 110 861 km2 gefördert, welche konkrete Lösungen zur Verbes- wirtschaftliche Entwicklung. Dies mittels Erhö- Bevölkerung 11,2 Millionen Einwohner, serung der Lebensbedingungen beinhalten und die hung der Produktivität durch Einführung innovati- davon leben 77% in Leistungsfähigkeit von Institutionen erhöhen. ver und nachhaltiger Produktions- und Manage- städtischen Gebieten. Zudem fördert die Schweiz Kontakte sowie den mentmethoden sowie den Zugang zu neuen Tech- Ethnische Gruppen Informationsaustausch auf internationaler Ebene, nologien in den Bereichen genossenschaftliche Mischlinge (51%), Weisse damit eine weitere Öffnung Kubas stattfinden kann. Landwirtschaft, lokale Herstellung von Baumate- (37%), Schwarze (11%), 2007 beläuft sich das Budget total auf 4,1 Millionen rialien, Energieeffizienz und Umweltmanage- Chinesen 1% Franken (3 Mio für Entwicklungszusammenarbeit, ment. Andererseits wird die lokale Entwicklung Lebenserwartung 0,6 Mio für humanitäre Hilfe und 0,5 Mio für wirt- gefördert, indem sich die Bevölkerung verstärkt 77,2 Jahre schaftliche Zusammenarbeit, welche vom SECO an der Gemeindeentwicklung beteiligt (Unterstüt- Geburtenrate 1,6 Kinder pro Frau betreut wird). zung lokaler Initiativen beispielsweise zur Lösung Die humanitäre Hilfe engagiert sich mit Beiträgen von Wohnproblemen) und die Effizienz der lokalen Alphabetisierungsgrad 96,8% zu den Programmen der Schweizer NGO medi Verwaltungen erhöht wird. Cuba-Suisse. Im Vordergrund stehen die Stärkung Religionen Die Religionsfreiheit wurde der lokalen Produktion von Medikamenten (tra- teilweise wieder hergestellt. Katholiken (getaufte): 60 % Protestanten: 3% Afro-kubanische Kulte (Santeria, Wudu) Aus der Geschichte gelassen. Er geht ins Exil nach Mexiko. Landessprache Spanisch 1492 Kolumbus entdeckt die Insel Kuba 1959 Das Regime von General Batista wird von Währung Aufständischen gestürzt. Fidel Castro kehrt nach Kubanischer Peso (CUP) 1515 Gründung von Havanna Havanna zurück. Konvertierbarer kubanischer Peso (CUC) 1762 Die Engländer besetzen die Insel. Im 1960 Die amerikanische Regierung verhängt Wichtigste Ressourcen folgenden Jahr geben sie sie der spanischen Krone gegen Kuba ein noch heute gültiges Wirtschafts- Landwirtschaft (Zuckerrohr, zurück und erhalten dafür Florida. embargo. Sisal, Jute, Orangen, Reis, Tabak), Minen (Nickel, Kupfer, Mangan, Kobalt, 1868 Beginn des Unabhängigkeitskampfes unter 1961 Unterstützt von der CIA gehen in der Chrom, Salz), Tourismus dem Einfluss des Grossgrundbesitzers Carlos Schweinebucht,im Süden der Insel,exilkubanische Manuel de Céspedes. Söldner an Land und marschieren gegen Castro. Sie scheitern rasch. 1892 José Martí gründet die revolutionäre Partei Kubas. Der Unabhängigkeitskrieg flammt auf. 1962 Die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba löst eine Krise zwischen der UdSSR und den 1898 Die Aufständischen schlagen die spanischen USA aus.Moskau zieht seine Waffen schliesslich ab. Truppen.Intervention derVereinigten Staaten und Besetzung der Hauptstadt. 1989 Kuba gerät nach dem Zusammenbruch der UdSSR, dem politisch und ökonomisch wichtigs- 1902 Proklamation der Unabhängigkeit; Kuba ten Partner, in eine Wirtschaftskrise. USA bleibt de facto eine Kolonie unterVorherrschaft der USA. 2005 Aufbau enger Beziehungen zu Venezuela unter Hugo Chávez. Havanna Kuba 1953 Angeführt von Fidel Castro greift eine Dominika- Haïti nische Rep. Jamaika Gruppe von Oppositionellen gegen die Diktatur 2006 Der kranke Fidel Castro übergibt die Macht Karibisches Meer Fulgencio Batistas die Moncada-Kaserne an. Der vorübergehend seinem Bruder und Vizeprä- Sturmangriff scheitert. Castro wird eingesperrt sidenten Raúl Castro. und unter dem Druck der Strasse wieder frei- Eine Welt Nr.3 / September 2007 19
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