Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV

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Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
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motion
IAV-Kundenmagazin | 02/2019

Effizient und CO2-neutral
Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
Brennstoffzellenfahrzeuge sind insbesondere im Nutzfahrzeugbereich eine interessante Antriebsoption, um die CO2-Grenzwerte zu
erreichen. IAV verfügt über einen hochmodernen Brennstoffzellen-Prüfstand, der für die Anwendungen von wasserstoffbetriebenen
PEM-Brennstoffzellen ausgelegt ist und den Entwicklern erlaubt, ihre Untersuchungen unter fahrzeugnahen und dynamischen
Betriebsbedingungen durchzuführen.
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
automotion | Editorial          3

Liebe Leserin, lieber Leser,
über das Ziel sind sich alle Experten einig: Die Mobilität der Zukunft muss   zwischen serienreif (Seite 24). Allerdings sind sie auf Wasserstoff als
CO2-neutral sein. Aber welcher Weg führt am effektivsten zu diesem             Energieträger angewiesen, für den weltweit noch keine ausreichende
Ziel? Diese Frage ist das Fokusthema dieser automotion-Ausgabe.               Infrastruktur zur Verfügung steht. Dieses Problem wollen wir mit unserem
                                                                              Elektrolyseur lösen, der sich optimal für den Aufbau von Wasser-
Derzeit stehen batterieelektrische Fahrzeuge im Mittelpunkt der Dis-          stofftankstellen eignet (Seite 22).
kussion – und IAV ist einer der Vorreiter auf diesem Gebiet: An etwa 60
Prozent der Elektroautos, die dieses Jahr auf dem Genfer Salon gezeigt        Bei allen Diskussionen über Alternativen dürfen wir aber die Weiter-
wurden, haben wir mitgearbeitet (Interview auf Seite 8). Und gemein-          entwicklung des Verbrennungsmotors nicht vernachlässigen – denn
sam mit Partnern wollen wir die zentrale Komponente von E-Fahrzeu-            sein Wirkungsgrad lässt sich in Zukunft noch deutlich steigern, und in
gen deutlich verbessern: Im Forschungsprojekt EMBATT entsteht eine            Kombination mit synthetischen Kraftstoffen kann er ebenfalls eine kli-
neue Batterietechnologie, die dank einer verbesserten Volumenaus-             maneutrale Mobilität ermöglichen (Seite 18).
beute Reichweiten von bis zu 1.000 Kilometern verspricht. Im Moment
nimmt sie die nächste Stufe in Richtung Industrialisierung (Seite 20).        Viele Wege führen zur klimaneutralen Mobilität. Umso wichtiger sind
Elektrisch betriebene Fahrzeuge allein können das CO2-Problem                 Werkzeuge, mit denen OEMs verschiedene Zukunftsszenarien objektiv
aber nicht lösen. Um die Emissionen des Verkehrs zu senken, müssen            vergleichen können. Dafür haben wir die IAV-Mobilitätssynthese ent-
wir zuerst die Energiewende vollenden und von fossilen Rohstoffen auf          wickelt, die als Grundlage für strategische Entscheidungen dient
erneuerbare Energien umstellen. Das muss Vorrang vor der Frage ha-            (Seite 14).
ben, welcher Energieträger und welche Antriebsart im Verkehr einge-
setzt werden (Interview auf Seite 16).                                        Außerdem in dieser Ausgabe: intelligente Priorisierung von Software-
                                                                              tests (Seite 30), maschinelles Lernen für die Optimierung der Motor-
Neben den batterieelektrischen Antrieben dürfen wir auch die Alter-           steuerung (Seite 36) und unser neues VR Lab in Gifhorn (Seite 52).
nativen nicht aus dem Auge verlieren: Brennstoffzellenfahrzeuge sind
beispielsweise eine interessante Option auf der Langstrecke und in-           Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!

Dr. Ulrich Eichhorn                     Matthias Kratzsch                     Katja Ziegler                         Kai-Stefan Linnenkohl
Vorsitzender der Geschäftsführung       Geschäftsführer Technik               Kaufmännische Geschäftsführerin       Geschäftsführer/Arbeitsdirektor
IAV GmbH                                IAV GmbH                              IAV GmbH                              IAV GmbH
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
4   Inhalt | automotion

    6         Effizient und CO2-neutral – Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität

              Viele Wege führen zu einer klimaneutralen Mobilität – doch welcher Weg ist der effektivste? Diese Frage stellen wir mit
              dem Fokusthema dieser Ausgabe. Wir zeigen verschiedene Optionen auf sowie Werkzeuge und Tools, mit denen wir
              unsere Kunden bei der Entscheidungsfindung unterstützen können.

                                                                                                 Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

    8                                                                                            Fokusthema

                                                                                                 Effizient und CO2-neutral –
                                                                                                 Antriebsentwicklung für eine
                                                                                                 klimaneutrale Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
                                                                                                 „Wir können der Klebstoff sein“ . . . . . . . . . . . .8
                                                                                                 Revolutionärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
                                                                                                 Viele Wege zur CO2-neutralen Mobilität . .14
                                                                                                 „Die Verkehrswende wird vorrangig
                                                                                                 von der Energiewende bestimmt“ . . . . . . . .16
                                                                                                 Technologiebausteine für
                                                                                                 künftige Verbrennungsmotoren . . . . . . . . . .18
                                                                                                 EMBATT-goes-FAB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20
                                                                                                 Smarte Elektrolyse auf dem Sprung . . . . .22
                                                                                                 Bereit für die Serie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24
                                                                                                 Verdampfungsgekühlter Krümmer
                                                                                                 für Ottomotoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26

                                                                                                 Impulse

                                                                                                 Ein echtes Bewegungswunder . . . . . . . . . .28

                                                                                                 Das Wichtigste zuerst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
                                                                                                 Schneller Aufbau von
„Wir können der Klebstoff sein“                                                                   Ad-hoc-Sensornetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .32

Dr. Ulrich Eichhorn, Vorsitzender der IAV-Geschäftsführung, über seine Ziele und die             You drive me crazy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34
Technologien der Zukunft.
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automotion | Inhalt         5

                                                                                 „Die Verkehrswende wird vorrangig

                                                                            16
                                                                                 von der Energiewende bestimmt”

                                                                                 Matthias Kratzsch, IAV-Geschäftsführer
                                                                                 Technik, über die Herausforderungen einer
                                                                                 CO2-neutralen Mobilität.

Trends

Mit maschinellem Lernen Komplexität
                                                                            20   Embatt-goes-FAB

                                                                                 Neue Batterietechnologie nimmt nächste Stufe
                                                                                 in Richtung Industrialisierung.

beherrschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36

Produkte

Individuelle Kundenlösungen aus
dem IAV-Portfolio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38
IAV Engine – bewährtes Auslegungstool
für die Motormechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . .40

                                                                            28
Immer im Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42

Effizienzsteigerung durch toolbasierte                                           Ein echtes Bewegungswunder
Fahrverhaltensapplikation . . . . . . . . . . . . . . .44
                                                                                 TRE entwickelt ein Rolling Chassis für ein
Spurwechsel                                                                      autonom fahrendes Shuttle von Schaeffler.

Klimaneutrale Mobilität 2050:
Glauben Sie das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46

Über IAV

„Große Chance für
Premium-Entwicklungspartner“ . . . . . . . . . .50
Vorreiter beim Einsatz von
Virtual Reality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .52

                                                                            38
Unser Engineering??? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54                    Individuelle Kundenlösungen aus
Unsere Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56               dem IAV-Portfolio
IAV-Termine: Treffen wir uns? . . . . . . . . . . . . 58                         Großes Kundeninteresse auf der Testing
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59         Expo – IAV Macara war Messehighlight.
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6   Fokusthema | automotion

Fokusthema:
Effizient und CO2-neutral
Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität
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automotion | Fokusthema           7

Batterieelektrische Fahrzeuge, Brennstoffzellenantrieb, die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors, der Einsatz von E-Fuels –
die Optionen sind vielfältig, um eine klimaneutrale Mobilität der Zukunft zu erreichen. Gesellschaft, Politik und Automobilindustrie
stehen vor der schwierigen Frage, welche Option am effektivsten zu einer klimaneutralen Mobilität führt. In den nächsten Jahren
müssen die Weichen gestellt werden für notwendige Maßnahmen wie beispielsweise den Infrastruktur-Ausbau. Ein verbindlicher
Rahmen muss geschaffen werden, um Sicherheit für erforderliche Investitionen zu bieten. Mit unserer Expertise bei der konventio-
nellen und alternativen Antriebsentwicklung sowie unseren Tools für strategische Entscheidungsfindungen ist IAV ein ausgezeich-
neter Partner für diese aktuellen Fragestellungen. Mehr dazu auf den nächsten Seiten.
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
8    Fokusthema | automotion

„Wir können der Klebstoff sein“
Dr. Ulrich Eichhorn, Vorsitzender der IAV-Geschäftsführung, über seine Ziele und
die Technologien der Zukunft

O
          b Elektrifizierung oder klassische       Dr. Eichhorn: Wir sind in den letzten Jahren         Welche Marktanteile trauen Sie denn dem
          Verbrennungsmotoren, ob sicher-         stark gewachsen und fahren trotzdem in vielen        batterieelektrischen Antrieb zu?
          heitskritische Fahrfunktionen oder      Bereichen an der Kapazitätsgrenze. Das ist erst
Apps, die die Insassen unterhalten: Dr. Ulrich    einmal sehr erfreulich. Allerdings müssen wir in     Dr. Eichhorn: Nicht nur in Europa gilt: Es
Eichhorn, seit Anfang 2019 Vorsitzender           Rechnung stellen, dass die Branche der Ent-          wird nicht gelingen, einen CO 2 -Flotten-
der IAV-Geschäftsführung, sieht den Vorteil       wicklungsdienstleister durch Themen wie die          durchschnitt von deutlich unter 100 Gramm
des Engineering-Partners in der breiten Auf-      neuen Prüfzyklen RDE und WLTP aktuell eine           pro Kilometer nur mit Verbrennerfahrzeu-
stellung.                                         Sonderkonjunktur hat. Diese Sonderkonjunk-           gen zu erreichen. Wenn der Flottenschnitt bei
                                                  tur wird irgendwann zu Ende sein, genauso wie        etwa 60 Gramm liegen soll, ist ein Anteil
Herr Dr. Eichhorn, Sie kannten IAV schon lan-     der globale Wachstumszyklus. Bis dahin muss          von Nullemissionsfahrzeugen in Höhe von cir-
ge, bevor Sie im Januar den Vorsitz der Ge-       das Schiff sturmfest sein.                            ca 40 Prozent notwendig. Bis zum Jahr 2030
schäftsführung übernahmen. Gab es trotz-                                                               ist das nur mit batterieelektrischen Fahr-
dem etwas, das Sie überrascht hat?                IAV hat in den vergangenen Jahren ver-               zeugen zu erreichen.
                                                  mutlich mehr als jeder andere Dienstleister
Dr. Ulrich Eichhorn: Einige der wichtigsten       in neue Technologien investiert. Rechnet             Wie sieht es mit Alternativen aus?
Projekte in meiner Volkswagen-Zeit habe ich       sich das?
mit IAV realisiert. So stammte ein großer Teil                                                         Dr. Eichhorn: Der Anteil von Brennstoffzellen-
der Antriebstechnik des Ein-Liter-Autos von       Dr. Eichhorn: Wenn man technologisch führend         fahrzeugen und Verbrennern, die mit syn-
IAV. Aber auch das W12 Coupé, bekannt             sein will, kann man nicht einfach nur Stunden ver-   thetischen Kraftstoffen betrieben werden,
durch den bis heute ungeschlagenen Ge-            kaufen. Wir investieren daher bewusst Eigen-         wird sich im Jahr 2025 oder 2030 bestenfalls
schwindigkeitsrekord in Nardo, hatten wir ge-     mittel in Technologien, von denen wir erwarten,      im einstelligen Prozentbereich bewegen.
meinsam realisiert. Neben dieser Sicht des        dass sie in Zukunft eine größere Rolle spielen.      Batterieelektrische Fahrzeuge gehen dage-
Kunden hatte ich in den letzten Jahren auch                                                            gen jetzt in die Großserienproduktion. Zudem
die des Aufsichtsratsvorsitzenden, sodass ich     In welchen Technologien sehen Sie für die            ist der Entwicklungsfortschritt enorm, ge-
recht genau wusste, was mich erwarten wür-        kommenden Jahre besonderes Wachs-                    tragen von einer ernsthaften akademischen
de. Aber natürlich ist die Innensicht dann        tumspotenzial?                                       sowie unternehmensnahen Forschung.
doch immer etwas anders.                                                                               Wenn man auf 2040 oder gar 2050 schaut,
                                                  Dr. Eichhorn: Bei der Elektrifizierung ist IAV       mag die Antwort anders aussehen, aber für
Nämlich?                                          bereits sehr weit, weiter als mancher Auto-          die nähere Zukunft sehe ich keine ernsthaf-
                                                  hersteller, der das bis vor kurzem als Ni-           te Alternative. Im leichten bis mittelschweren
Dr. Eichhorn: Mir war schon immer bewusst,        schenthema angesehen und an Entwick-                 Nutzfahrzeugsegment ist der Brennstoffzel-
dass IAV der kompetenteste Entwicklungs-          lungsdienstleister delegiert hat. An etwa            lenantrieb für die nähere Zukunft allerdings
dienstleister mit den modernsten Entwick-         60 Prozent aller Elektroautos, die auf dem           eine sehr interessante Option.
lungsmethoden ist. Aber wie sehr das Teil einer   Genfer Salon dieses Jahr gezeigt wurden, ha-
gelebten Kultur ist, erschließt sich mir erst     ben wir mitgearbeitet. Auch in das Thema             Wollen Sie alle IAV-Entwickler, die etwas vom
jetzt. Wir haben uns trotz des Wachstums den      Konnektivität sind wir früh eingestiegen und         Verbrennungsmotor verstehen, auf Elektro-
Geist eines Start-ups und eine gewisse Uni-       bedienen die gesamte Breite bis hin zur              antriebe umschulen?
versitätsnähe erhalten. Daraus entsteht nicht     App-Entwicklung. Beim automatisierten Fah-
nur eine gesunde Mischung aus erfahrenen und      ren haben wir uns bislang vor allem auf Teil-        Dr. Eichhorn: Ich kann die Kollegen, die am Ver-
jungen Mitarbeitern, sondern auch aus Prag-       aspekte konzentriert. Ich sehe hier großes Po-       brennungsmotor arbeiten, vollständig beruhi-
matismus und Moderne.                             tenzial für Entwicklungspartner, da in diesem        gen. Ihre Fähigkeiten werden auf lange Jahre
                                                  Bereich nicht jeder Hersteller für sich allein ar-   sehr gefragt sein. Denn 40 Prozent Elektroan-
Klingt sehr gut. Wo müssen oder wollen Sie        beiten kann und einige Industriestandards            triebe heißt ja auch 60 Prozent für die Ver-
trotzdem nachsteuern?                             entstehen werden.                                    brennungskraftmaschine, zumal die absolute
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
automotion | Fokusthema   9

Anzahl der weltweit verkauften Fahrzeuge wei-
ter anwächst. Der Aufwand in der Entwicklung
steigt dabei laufend, etwa durch die Abgasnorm
Euro 7 und die kommenden CO2-Flotten-
grenzwerte.

Wobei zu beobachten ist, dass Autoherstel-
ler den Verbrennungsmotor eher elektrifi-
zieren, anstatt ihm völlig neue Technologien
zu spendieren.

Dr. Eichhorn: Der Grenznutzen verbleibender
neuer Technologien – etwa der variablen Ver-
dichtung – ist begrenzt und steht in keinem po-
sitiven Verhältnis zum zusätzlichen Aufwand. Die
Aufgabe liegt schon in der konsequenten Wei-
terentwicklung der Verbrennungsmotoren, wie
wir sie heute kennen. Die einzelne Applikation
ist deswegen nicht weniger aufwendig. Für die
Autohersteller ist das ein Problem. Denn sie
müssen einerseits die neuen elektrischen An-
triebe zur Marktreife bringen, andererseits aber
die Verbrennungsmotoren weiterentwickeln,
mit denen sie das Geld verdienen. Für uns als
Engineering-Partner ist das eine komfortable
Situation, denn wir können beides.

Lassen Sie uns über Automatisierung spre-
chen. Kehrt da in der Autobranche nicht all-
mählich Ernüchterung über das technisch
Machbare ein?

Dr. Eichhorn: Im Hype-Zyklus sind wir in der
Tat im „Tal der Enttäuschung“ angelangt.
Viele haben erkannt, dass es ein weiter Weg
von einem funktionierenden Demonstrator zu
einem Serienprodukt ist, das alle Sicher-
heitsanforderungen abdeckt. Das sollte uns
aber nicht davon abhalten, an der Automati-
sierung weiterzuarbeiten, denn schließlich
wird es mit dem „Pfad der Erleuchtung“ auch
wieder aufwärtsgehen. Wobei es sich meines
Erachtens um zwei Entwicklungspfade han-
delt: Der eine besteht in Privatfahrzeugen, wo     Dr. Ulrich Eichhorn ist seit Januar 2019 Vorsitzender der IAV-Geschäftsführung
Auto motion - Effizient und CO 2-neutral Antriebsentwicklung für eine klimaneutrale Mobilität - IAV
10     Fokusthema | automotion

die Fahrerassistenzsysteme konsequent wei-          Das Machtgefüge in der Automobilindustrie            Dr. Eichhorn: Ein führender Engineering-Part-
terentwickelt werden, sozusagen vom Tem-            verschiebt sich ja bereits ein wenig ostwärts.       ner ist auch so etwas wie ein Technologie-
pomaten zum Autobahnpiloten. Der zweite             Wie stellt sich IAV darauf ein?                      scout. Wir können Themen früh erspüren, sei
Pfad betrifft Fahrzeuge für den Güter- und den                                                           es, weil man uns in frühen Phasen hinzuzieht
professionellen Personentransport. Hier wer-        Dr. Eichhorn: Erst vor Kurzem haben wir bei-         oder schlicht weil wir den Überblick über sehr
den sich Level-4- oder Level-5-Systeme ra-          spielsweise unsere Vertretung in Shanghai            viele Projekte haben. Mir persönlich macht das
scher durchsetzen. Diese können zwar nur in         wesentlich verstärkt. Bislang arbeiten wir in Chi-   große Freude.
bestimmten Gebieten eingesetzt werden,              na vorrangig für unsere bekannten Kunden, ha-
müssen dafür aber alle auftretenden Ver-            ben aber gute Kontakte zu lokalen Herstellern.       Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr.
kehrssituationen beherrschen. Das ist viel          Die sind hungrig, die sind extrem gut finanziert      Eichhorn!
komplexer und daher auch mit erheblichen            – die muss man ernst nehmen.
Zusatzkosten verbunden, die sich allerdings                                                              Das Interview führte Johannes Winterhagen.
rasch amortisieren, da dort der größte Kos-         Was reizt Sie persönlich daran, für IAV zu ar-
tenblock derzeit das Fahrergehalt ist.              beiten?

Heute arbeiten Autohersteller, Systemliefe-
ranten und Elektronikspezialisten gemein-
sam an autonomen Systemen. Welche Rolle
kann IAV hierbei einnehmen?

Dr. Eichhorn: Wir können der Klebstoff zwi-
schen den Partnern sein. Denn die Auto-
hersteller tun sich mit Daten- und Computing-
themen teilweise etwas schwer. Umgekehrt
kennen die Spezialisten auf solchen Gebieten
nicht die Voraussetzungen, die zu erfüllen sind,
um sicherheitskritische Systeme an Konsu-
menten zu verkaufen. Wir kennen beide Welten.

Wie digital ist IAV bereits?

Dr. Eichhorn: Wir sind, wie übrigens die ge-
samte Automobilindustrie, total digital. Das
letzte analoge Steuergerät ging etwa 1985 in
Serie. Wenn Ihre Frage nicht auf Embedded
Systeme zielt, sondern auf Software, die der
Kunde als solche wahrnimmt, gründen wir ge-
rade einen neuen Bereich, in dem wir alle ent-
sprechenden Aktivitäten zusammenfassen.
Dafür stellen wir 200 Softwareingenieure ein. Da
hilft es uns natürlich, dass wir mit Berlin einen
attraktiven Standort bieten und auch mit un-
seren Arbeitgeberleistungen brauchen wir uns             Zur Person
nicht verstecken.

Elektrifizierung, Automatisierung, Software:              Dr. Ulrich Eichhorn studierte Maschi-           2003 wurde er zum Vorstand für Tech-
Bleibt die deutsche Automobilindustrie bei all           nenbau und Fahrzeugtechnik an der               nische Entwicklung bei Bentley beru-
diesen Themen Technologieführer?                         Technischen Universität Darmstadt               fen. 2012 wechselte er als Geschäfts-
                                                         und promovierte dort 1992. Er ist ein           führer zum Verband der Automobilin-
Dr. Eichhorn: Wir dürfen das auf keinen Fall für         Alumnus der Harvard Business School             dustrie. Von 2016 bis 2018 war er Lei-
selbstverständlich halten. Die anderen, ob Chi-          und ein Fellow der British Institution of       ter des Konzernbereichs Forschung
na, Frankreich oder die USA, schlafen alle               Mechanical Engineers IMEchE.                    und Entwicklung der Volkswagen AG in
nicht – das gilt auch für die Entwicklungs-                                                              Wolfsburg sowie Aufsichtsratsvorsit-
dienstleister. Dazu kommt, dass wir in Deutsch-          Nach seinem Berufseinstieg bei Ford             zender von IAV. Seit dem 1. Januar
land in der politischen Diskussion unsere Au-            leitete Eichhorn von 2000 bis 2003              2019 ist Dr. Ulrich Eichhorn Vorsitzen-
tomobilindustrie laufend zerpflücken. Das gibt            die Volkswagen Konzernforschung.                der der IAV-Geschäftsführung.
es so nirgends sonst.
automotion | Fokusthema             11

Revolutionärer Ansatz
Eigene Toolketten unterstützen dabei, die Komplexität der Antriebsstrang-
entwicklung zu beherrschen

D
          ie Vielfalt bei den Antrieben nimmt zu:   Anforderungen an Drehmoment und Fahr-                 mehr Drehmoment und Leistung benötigen.
          Hybride gehören bereits zum Main-         leistung aber so hoch, dass man um mehrere            „Durch ein mehrgängiges Getriebe kann man
          stream und werden immer ausge-            Gänge eigentlich nicht mehr herumkommt, ge-           die E-Maschine downsizen“, erklärt Liebold. „Es
feilter, während die batterieelektrische Mo-        rade bei großen Fahrzeugen“, sagt Jens                gibt bei den Kosten also einen Trade-off zwi-
bilität gerade Fahrt aufnimmt. Umso wichti-         Liebold, Fachreferent bei IAV. „Dabei gilt: Je grö-   schen Motor, Getriebe und Batterie.“
ger ist ein ganzheitlicher Überblick über alle      ßer die Masse des Fahrzeugs ist, desto größer
Themen und ihre Überschneidungen. IAV               ist der Vorteil durch die Mehrgängigkeit.“ Denn       IAV kennt das Thema aus vielen realen Pro-
nutzt für Konzepte und Entwicklungen unter          in solchen Fahrzeugen – etwa elektrisch an-           jekten und unterstützt seine Kunden vom
anderem eine durchgängige Toolkette, mit der        getriebenen SUVs mit hohem Gewicht und ho-            Konzept (Wie viele Gänge sind erforderlich?) bis
sich Komponenten, aber auch ganze An-               her Maximalgeschwindigkeit – fließt eine hohe         zum Serienstart. Als wichtiges Werkzeug hat
triebsstränge und Flotten optimieren las-           Leistung durch den Antriebsstrang, sodass ein         sich hier die IAV-Antriebsstrangsynthese be-
sen.                                                Getriebe mit mehreren Gängen die Verluste             währt. Sie liefert auf Basis der Kundenvorga-
                                                    deutlich reduzieren kann, indem es den Motor          ben – etwa zu Reichweite, Performance oder
Noch sind E-Fahrzeuge Exoten auf unseren            so nahe wie möglich an seinem optimalen Be-           Kosten – eine objektive Empfehlung für die ge-
Straßen, aber das dürfte sich bald ändern: Nach     triebspunkt hält.                                     samte Flotte. Dabei werden Aspekte wie neue
Vorreitern wie Nissan oder Tesla bringen die                                                              Entwicklungen in der Leistungselektronik, zum
etablierten OEMs Modelle mit elektrischem An-       Zwei, drei oder vier Gänge?                           Beispiel Bauteile aus SiC- und GaN-Verbin-
trieb auf die Straße. Zudem versuchen viele                                                               dungshalbleitern, berücksichtigt. Auch der
neue Hersteller, auf dem schnell wachsenden         Vor allem zwischen den Anforderungen beim             Komfortaspekt bleibt immer im Blick der In-
Markt Fuß zu fassen und die Gunst der Stun-         Anfahren und bei der Fahrt mit hohem Tempo            genieure: „In E-Fahrzeugen fallen alle Unsau-
de zu nutzen. Parallel dazu entsteht derzeit die    können Welten liegen. Darum gehen die IAV-            berkeiten besonders auf“, berichtet von Rüden.
nächste Generation der ersten elektrischen          Experten davon aus, dass mehrgängige Ge-              „Der Kunde darf davon aber nichts spüren,
Antriebssysteme, bei denen es den Herstellern       triebe in Zukunft zumindest in manchen Mo-            weshalb die Komfortanforderungen höher
vor allem um Optimierungen geht – bei den           dellen Standard sein werden. „Bis zum C-              sind als bei Fahrzeugen mit Verbrennungs-
Kosten, der Effizienz, dem NVH-Verhalten und        Segment kann ein Gang gerade noch ausrei-             motor.“
der Industrialisierbarkeit. Hier werden Bauka-      chen, aber spätestens darüber hinaus sind zwei
stensysteme bald ganze Familien von elektri-        bis drei Gänge erforderlich“, sagt Dr. Klaus von      Die Zukunft gehört den DHTs
schen Antrieben, etwa mit unterschiedlich           Rüden, Abteilungsleiter bei IAV. „Ich rechne da-
starken E-Motoren, beinhalten. Bei ihnen dürf-      mit, dass in großen Fahrzeugen vor allem zwei         Mit dem Umbruch bei den Antrieben steigt
ten neue Funktionen wie Torque Vectoring und        Gänge zum Einsatz kommen – ein dritter Gang           auch die Zahl der Hybridfahrzeuge. In Europa
Mehrgängigkeit eine wichtige Rolle spielen.         bietet in puncto Reichweite und Performance           und den USA sind Automatikgetriebe seit je-
                                                    keine signifikante Verbesserung mehr, kann            her weit verbreitet, sodass die Hersteller in den
In vielen der aktuellen Fahrzeuge arbeiten          aber beim Fahrkomfort helfen.“ Bei Nutzfahr-          letzten Jahren vieles aus bestehenden Ge-
derzeit vor allem mechanisch einfache Ge-           zeugen rechnet IAV mit drei bis vier Gängen,          trieben übernommen und daraus hybridisier-
triebe mit nur einem Gang. „Mittlerweile sind die   weil sie aufgrund ihrer hohen Trägheit deutlich       te Varianten abgeleitet haben. China ist auf die-
12    Fokusthema | automotion

sem Gebiet weiter: Dort gibt es mehr E-Fahr-      und kommt mit nur vier bis sechs Schaltstu-           draulisch, elektrisch oder pneumatisch bei
zeuge, und die Hersteller haben die Entwick-      fen aus. Außerdem werden neue Funktionen              Nutzfahrzeugen) entscheiden.
lung dedizierter Hybridgetriebe (DHT) schon       wie stufenloses Segeln ohne Verbrennungs-
früher gestartet. „Diese Entwicklung wird jetzt   motor, rein elektrisches Anfahren oder rein elek-     „Bei den Hybridgetrieben haben wir es mit ei-
verstärkt in Europa und den USA ankommen,         trisches Rückwärtsfahren möglich. Allerdings          ner deutlich größeren Komplexität als bei den
denn der globale Trend geht eindeutig in Rich-    ist die Auswahl aus verschiedenen Topologien          rein elektrischen Antrieben zu tun“, erklärt Mül-
tung DHT“, sagt Dr. Jörg Müller, Abteilungslei-   (parallel, seriell, kombiniert, leistungsverzweigt)   ler. „Man muss eine Balance zwischen dem me-
ter bei IAV.                                      groß und erfordert eine eingehende Analyse.           chanischen und dem elektrischen Aufwand fin-
                                                  Zudem stellt sich die Frage, wie viele E-Ma-          den und gleichzeitig die Kosten, den Verbrauch
Dedizierte Hybridgetriebe bieten eine ganze       schinen sinnvoll sind. Und schließlich muss           und die Kundenanforderungen im Auge behal-
Reihe von Vorteilen: Durch die Leistung der       man sich zwischen verschiedenen Getriebe-             ten.“ Hier werden sich flexible Baukastensys-
E-Maschine kann man auf Gänge verzichten          technologien und Aktuierungseinheiten (hy-            teme mit vielen Übernahmebauteilen durch-
automotion | Fokusthema   13

setzen. Dafür nutzt IAV ein spezialisiertes Tool:
Die IAV-Getriebesynthese liefert bei vorgege-
benen Randbedingungen aus Millionen von
Varianten die objektiv beste Lösung.

Weltweit führend bei den Tools

IAV berät seine Kunden und unterstützt sie da-
bei, die zunehmende Komplexität der An-
triebsstränge zu beherrschen. Dafür nutzen die
Experten eine Toolkette, in die jahrzehntelan-
ge Erfahrungen eingeflossen sind und die
sich in vielen Kundenprojekten bewährt hat. Die
Antriebsstrangsynthese analysiert zunächst
Millionen unterschiedlicher Optionen und lie-
fert daraus die Antriebskonfigurationen, die ob-
jektiv den Kundenvorgaben am besten ent-
sprechen. Weiterhin können mit einem spe-           Erkennen               Analysieren           Bewerten            Dokumentation
ziellen Baukastentool Kombinationen von An-                                                                          und Freigabe
trieben für verschiedene Fahrzeuge und Märk-        Kohärente Fahrbarkeitsanalyse, Validierung und Dokumentation
te untersucht werden, woraus sich optimierte
Antriebsbaukästen für eine ganze Flotte ab-
leiten lassen.

Danach kommen die Spezialwerkzeuge für die
einzelnen Komponenten zum Einsatz: Syn-
thesetools für Verbrennungsmotor, E-Ma-
schine und Getriebe. „Wir durchforsten immer
den gesamten Lösungsraum und finden so
den besten Antriebsstrang“, sagt Dr. Christoph
Danzer, Teamleiter bei IAV. „Dabei berück-
sichtigen wir unterschiedliche Auslegungs- und
Technologiekombinationen von Komponenten
und berechnen damit die Eigenschaften in ver-
schiedenen Fahrzyklen wie dem WLTP. Gleich-
zeitig behalten wir die Kosten, die Fahrleis-
tungen und die Modularität der Antriebslö-
sungen im Blick.“

Am Ende stehen Lösungen, die objektiv be-
wertbar sind und ein hohes Maß an Transpa-
renz in puncto Anforderungen, Technik und
Kosten aufweisen. „Früher hat man die ein-
zelnen Komponenten separat optimiert. We-
gen der strengen gesetzlichen Vorgaben
muss man heute das Gesamtsystem be-
trachten. Hier sind wir weltweit führend und ent-
sprechend erfolgreich auf dem Markt“, so
Danzer.

Kontakt:
joerg.mueller@iav.de
jens.liebold@iav.de
klaus.von.rueden@iav.de                             IAV Powertrain 2025+
christoph.danzer@iav.de
14        Fokusthema | automotion

Viele Wege zur
CO2-neutralen Mobilität
Die IAV-Mobilitätssynthese erlaubt den objektiven Vergleich von
Zukunftsszenarien

D
         ie Mobilität der Zukunft muss CO2-        Energiebranche – viele Wechselwirkungen            Kundenspezifische Akzeptanz-
         neutral sein. Darüber sind sich die Ex-   und Abhängigkeiten. Ein Flottenbetreiber           kennzahl
         perten einig. Aber welche Bedeutung       könnte vor der Frage stehen, ob er für seine
werden einzelne Antriebsvarianten und Mo-          Fahrzeuge Tankstellen für erneuerbare Kraft-       „Um ein konkretes Zukunftsszenario be-
bilitätslösungen haben? Was muss bei den           stoffe oder Strom installieren soll und wo in Zu-   trachten zu können, müssen all diese Einflüsse
Fahrzeugen, den Kraftstoffen und bei der In-        kunft Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor über-        mit ihren Trends und Rückwirkungen einge-
frastruktur getan werden, um die Emissi-           haupt noch fahren dürfen. Ein Infrastruktur-       rechnet werden“, sagt Dr. Bernd Becker, der
onsziele zu erreichen? Mit der IAV-Mobili-         betreiber muss entscheiden, wo er Ladesta-         das Team Fuels und Future Mobility bei IAV lei-
tätssynthese lassen sich Szenarien ableiten        tionen oder Tankstellen aufbaut – dicht genug      tet. „Zentrales Element ist dabei immer der
und Planungen auf eine objektive Basis stel-       für die Kunden, aber nicht mit überhöhten In-      Kunde, der sein Mobilitätskonzept innerhalb
len.                                               vestitionskosten verbunden. Einen Hersteller       der verfügbaren Antriebe und Kraftstoffe bzw.
                                                   von E-Fuels interessiert es sehr, welche Men-      Energieträger auswählt. Für seine Fahrstrecken
Neben den rein technischen Randbedingun-           gen seiner Produkte er absetzen kann. Und die      entscheidet er, womit er vorzugsweise mobil
gen muss die Mobilität der Zukunft auch die        Politik steht vor der Frage, mit welchen Maß-      ist.“ Daraus ergeben sich Tankzeiten, Umwe-
Wünsche der Kunden berücksichtigen. „Sie           nahmen sie die größte Wirkung in puncto            ge und Mobilitätskosten für die zurückge-
spielen eine zentrale Rolle, und die Fahrzeuge     Emissionsreduzierung erzielt.                      legten Strecken sowie die Auswirkungen auf
müssen ihren Bedürfnissen entsprechen“,                                                               die Umwelt. Die jeweilige Mobilitätswahl wird
sagt Ralf Tröger von Consulting4Drive, der Ma-     Die IAV-Mobilitätssynthese berücksichtigt die      in einer kundenspezifischen Akzeptanzkenn-
nagement- und Innovationsberatung von IAV.         Fragen aller Gruppen und ermöglicht es, ver-       zahl zusammengefasst. Sie gibt Auskunft
„Darum bezieht die IAV-Mobilitätssynthese ne-      schiedene Szenarien schnell und objektiv           darüber, wie stark neue Technologien und
ben technischen Randbedingungen immer              miteinander zu vergleichen. Die Idee dahinter:     Kraftstoffe den Markt durchdringen können.
auch die Kundenpräferenzen mit ein – etwa die      Geht man von bestimmten Annahmen über die
Zahl der zumutbaren Tankstopps oder die            gefahrenen Strecken, die Fahrweise, die ge-        Das wiederum hat Folgen für die CO2-Redu-
typischerweise zurückgelegten Strecken.“           nutzten Antriebe und die verwendeten Kraft-        zierung, denn erneuerbar produzierte Ener-
                                                   stoffe aus, lassen sich daraus Kennzahlen wie       gieträger ermöglichen eine signifikante Emis-
Dabei gibt es zwischen den betroffenen Sek-         Energieverbrauch und die CO2-Emissionen            sionsreduktion. Neben der batterieelektri-
toren – neben der Mobilität vor allem die          berechnen.                                         schen Mobilität gehören dazu auch regenerativ
                                                                                                      hergestellter Wasserstoff sowie Bio- und PtX-
                                                                                                      Kraftstoffe (Power-to-X). Der Energiebedarf für
                                                                                                      ein bestimmtes Szenario errechnet sich aus
     Datenbasis                    Modellbasierte                       Veränderungstrends            der Nutzungsart, den kundenspezifischen
                                   Szenarienentwicklung                                               Fahrstrecken, den vorhergesagten Verbräu-
     • Fahrzeugbestand                                                  • Urbanisierung
     • Neuzulassungen              Mobility                             r 0DUNWKRFKODXILQGHU       chen und dem Energiegehalt der jeweiligen
     • Energieträger                                                       E-Mobilität                Energieträger. „Dabei berücksichtigen wir die
     • Strommix                                                         • Potenziale in der           Wirkungsgradketten der Erzeugung“, so Trö-
                                                                         (Ʊ]LHQ]VWHLJHUXQJ
     • Flottengrenzwerte           Tank-to-Wheel
                                                                                                      ger. „Aus dem Strom zum Laden, dem Was-
                                                                        • Shared mobility
     • Fahrleistung                                                                                   serstoff und der PtX-Herstellung resultiert
                                                                        • Ausbau erneuerbarer
     • Mittlerer Verbrauch                                                                            der Bedarf an erneuerbarer Energie für die Mo-
                                                                          Energien
     • COǍ-Einsparpotenzial        Well-to-Tank
                                                                                                      bilität.“
                                                                        • Gesetzgebung
     r 5RKVWRƬEHGDUI
                                                                        • Auslastung der
     r )DKUSURƮO                                                        ,QIUDVWUXNWXU               Das Verhältnis von E-Fuels und Strom ergibt sich
                                                                                                      aus der Kundenakzeptanz: Kurze urbane Stre-
                                                                                                      cken sind leichter elektrisch zurückzulegen.
                                                                                                      Höhere Kilometerleistungen werden künftig
                              r %LODQ]LHUXQJVSH]LƮVFKHU.HQQ]DKOHQ                                  hingegen vorzugsweise mit Brennstoffzellen
                              r 7HFKQRORJLHUDQNLQJ%HGDUIVSODQXQJ                                   oder PtX-Kraftstoffen bewältigt. Die genaue Auf-
                              • Erarbeitung von Lösungsansätzen                                       teilung hängt natürlich von den zukünftigen
Randbedingungen ab, woraus sich eine Un-      kann man bis auf wenige Prozente CO2-            te nicht sicher vorhergesagt werden. Mit
schärfe bei der Zusammensetzung der Antei-    Neutralität erreichen“, so Becker. „PtX-Kraft-   der IAV-Mobilitätssynthese besteht aber die
le von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor,      stoffe haben zudem das Potenzial, die Fahr-      Möglichkeit, verschiedene Szenarien sowie
E-Antrieb und Brennstoffzelle ergibt.         zeugflotte schneller zu durchdringen.“ In ei-    deren Auswirkungen auf alle betroffenen In-
                                              nem solchen Szenario hätte der Verbren-          teressengruppen miteinander zu verglei-
Künftige Bedeutung des Verbren-               nungsmotor auch künftig noch eine große          chen. Das schafft die Grundlage für Ent-
nungsmotors                                   Bedeutung für die Mobilität. Der Primär-         scheidungen bei OEMs und Energieversor-
                                              energiebedarf für diesen Pfad ist allerdings     gern sowie in der Politik.
Davon hängen aber die nötigen Investitionen   deutlich höher, wobei perspektivisch PtX-
in neue Infrastruktur ab. Bei einem höheren   Kraftstoffe auch sehr gut mittels Importen zur   Kontakt:
PtX-Anteil benötigt man weniger Batterieka-   Verfügung gestellt werden können.                bernd.becker@iav.de
pazitäten, was die Emissionen während ihrer                                                    r.troeger@consulting4drive.com
Produktion verringern würde (LCA-Betrach-     Welche der zahlreichen Möglichkeiten für
tung). „Für den Klimaschutz wäre diese Al-    einen künftigen Antriebs- und Mobilitätsmix
ternative sehr attraktiv, denn mit E-Fuels    sich in Zukunft durchsetzen wird, kann heu-
16     Fokusthema | automotion

„Die Verkehrswende wird vorrangig
Matthias Kratzsch, IAV-Geschäftsführer Technik, über die Herausforderungen einer
CO2-neutralen Mobilität

M
          atthias Kratzsch, Geschäftsführer
          Technik bei IAV, spricht im automo-
          tion-Interview über die Frage des zu-
künftigen Energiesystems, regenerative Ener-
gieträger im Verkehr und die Notwendigkeit
schneller Entscheidungen seitens der Politik.

Herr Kratzsch, bislang hinkt der Verkehrs-
sektor deutlich hinter den Klimaschutzzielen
hinterher. Ist das Elektroauto die Lösung?

Matthias Kratzsch: Bisher gelten hierzulande wie
nahezu überall auf der Welt Flottenemissions-
ziele, die auf einer Tank-to-Wheel-Betrachtung
beruhen. Das ist zu kurz gesprungen. Um den
Weg in Richtung Klimaneutralität zu gehen,
müssen wir die Primärenergie von fossilen
Rohstoffen auf erneuerbare Quellen umstel-
len. Das bedeutet: Um im Verkehrssektor die
Emissionsziele umzusetzen, muss man einen
Umweg über die Energiewende gehen. Das
hat Vorrang vor der Frage, welcher Energie-        Matthias Kratzsch, IAV-Geschäftsführer Technik
träger und welche Antriebsart im Verkehr
eingesetzt werden.
                                                   Kratzsch: Ehrlich heißt, die Kapazitäten für       Wasserstoff zu Methan und nutzt dafür das CO2
Es geht Ihnen also gar nicht darum, wie viel CO2   Erzeugung und Speicherung so auszulegen,           aus der Atmosphäre oder von großindustriellen
die Fahrzeuge ausstoßen?                           dass wir Dunkelflauten überstehen, in denen        CO2-Emittenten. Für die Methanspeicherung
                                                   sehr wenig Solar- und Windenergie zur Verfü-       kann man die Erdgasinfrastruktur in Deutsch-
Kratzsch: In der Tat ist das wichtigste Ziel       gung steht. Es kann nicht sein, dass wir bilan-    land sofort einsetzen. Ergänzend zu diesen so-
nicht, die Tank-to-Wheel-CO2-Emissionen zu         ziell vollständig auf Grünstrom umstellen, zeit-   fort umsetzbaren Pfaden besteht auch die
vermindern, sondern den CO2-Gehalt in              weise jedoch Atom- oder Kohlestrom aus             Möglichkeit, Flüssigkraftstoffe mithilfe des
der Atmosphäre möglichst wenig ansteigen           dem Ausland zukaufen. Wenn wir diesen ehr-         Wasserstoffs und des CO2 herzustellen. All
zu lassen. Dafür ist nicht der Emissionswert       lichen Schritt gehen wollen, brauchen wir          diese Pfade können dazu dienen, das batte-
im Jahr 2050 relevant, sondern die Ge-             Speicherkapazitäten, die in Deutschland we-        rieelektrische Fahrzeug zu ergänzen.
samtmenge, die bis dahin in die Atmo-              der über Batterien noch über Pumpspeicher-
sphäre gelangt – anders formuliert: Das In-        werke im notwendigen Maßstab gedeckt wer-          Wie schnell können wir die dafür notwendige
tegral zählt. Wenn wir den CO2-Gehalt zum          den können. Wir müssen also an andere Spei-        Energie-Infrastruktur schaffen?
Maßstab machen, kann es zum Beispiel im            chermedien denken, die langfristig funktio-
Sinne des Klimaschutzes interessant sein,          nieren und es erlauben, Überschüsse aus            Kratzsch: Bis die gesamte Energieversorgung
CO2 aus der Luft zu entnehmen, um damit            dem Sommer in den Winter zu ziehen. Diese          eines Landes umgebaut ist, vergehen Jahr-
Wasserstoff zu karbonisieren.                      Speicherkapazitäten sind übrigens auch aus         zehnte. Wichtig ist deshalb, dass wir schnell Ent-
                                                   Gründen einer Netzstabilisierung notwendig.        scheidungen darüber treffen, wie das Energie-
Welche Richtung muss die Energiewende                                                                 system langfristig aussehen soll. Denn erst
nehmen, damit der Verkehrssektor einbezo-          Welche Wege sehen Sie dafür?                       auf dieser Basis können wir Entscheidungen da-
gen werden kann?                                                                                      rüber treffen, wie wir Investitionen in regenera-
                                                   Kratzsch: Die nächstliegende Lösung besteht        tive Energieträger im Verkehr anstoßen.
Kratzsch: Es geht darum, den im Verkehr ent-       darin, überschüssigen Strom per Elektrolyse für
stehenden Energiebedarf durch entspre-             die Wasserstoffherstellung zu nutzen. Der Was-     Wir wissen aber doch noch gar nicht, für wel-
chende Kapazitäten an regenerativer Erzeu-         serstoff kann auf zwei Wegen gespeichert           che Antriebe sich Kunden zukünftig ent-
gung zu decken. Dabei sollten wir ehrlich          werden: Entweder in großindustriellen Spei-        scheiden.
rechnen.                                           chern, um ihn in Zeiten der Dunkelflaute über
                                                   Gaskraftwerke oder Brennstoffzellen zurück         Kratzsch: Antriebskonzepte werden sich dann
Was bedeutet „ehrlich“ in diesem Kontext?          zu verstromen. Oder man karbonisiert den           durchsetzen, wenn sie die Mobilitätsbedürfnisse
automotion | Fokusthema              17

von der Energiewende bestimmt“

 der Kunden befriedigen. Dazu gehören die            Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, den Verbren-       fen – deshalb veranstalten wir das Symposium
 Verfügbarkeit sowie niedrige spezifische Kos-       nungsmotor parallel weiterzuentwickeln?             2019 erstmals gemeinsam mit dem Verband
 ten über den gesamten Lebenszyklus. Unsere                                                              der Automobilindustrie (VDA). Wichtig ist uns,
 Untersuchungen zeigen, dass sich die Le-            Kratzsch: Im ländlichen Raum und im interurbanen    den Dialog nicht nur zwischen Ministern und Vor-
 benszykluskosten für batterieelektrische, Brenn-    Verkehr sehen wir im Wesentlichen zwei Alter-       ständen zu führen, sondern auf den Ebenen, auf
 stoffzellen- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge künf-     nativen für klimaneutralen Individualverkehr: die   denen Gesetze und Investitionsentscheidungen
 tig vermutlich nicht deutlich unterscheiden,        Brennstoffzelle, was den Aufbau einer Wasser-       vorbereitet werden. Denn mein Motto lautet:
 wenn man alle Steuern und Abgaben heraus-           stoffinfrastruktur voraussetzt, oder einen mit      Man kann Menschen zu fast allem bewegen,
 rechnet. Für die Akzeptanz des Kunden ist           synthetischen Kraftstoffen betriebenen Plug-        wenn sie genau verstanden haben, warum et-
 also entscheidend, welche Energieträger ihm zu      in-Hybrid. Analog gilt das übrigens für den Stra-   was wichtig ist.
 welchen Preisen zur Verfügung stehen und            ßengüterverkehr. Deshalb verfolgen wir das Ziel,
 wie der Staat diese Energieformen künftig be-       den mittleren Wirkungsgrad des Verbrennungs-        Herr Kratzsch, vielen Dank für das Gespräch!
 steuert. Hierzu brauchen wir rasch Richtungs-       motors so weit zu erhöhen, dass der Primär-
 entscheidungen, damit es nicht zu Fehlinves-        energiebedarf um rund ein Viertel sinkt. An ent-    Das Interview führte Johannes Winterhagen.
 titionen kommt.                                     sprechenden Technologien arbeitet IAV aktuell.

 Indirekt spiegeln sich in den Lebenszykluskosten    Während insgesamt die F&E-Mittel für Ver-
 für den Kunden auch die CO2-Vermeidungskos-         brennungsmotoren in der Branche zurückge-
 ten. Diese sind aber doch aktuell durch die reine   fahren werden …
 Tank-to-Wheel-Betrachtung verzerrt.
                                                     Kratzsch: Das gilt nur für Deutschland! In Japan
 Kratzsch: Auch hier spielt die Regulierung          arbeitet man an Hightech-Motoren mit einem
 eine entscheidende Rolle. Wir brauchen drin-        Spitzenwirkungsgrad von 50 Prozent. Von chi-
 gend den Schwenk von einer Betrachtung der          nesischen Kunden hören wir mittlerweile: Wir
 Flottenemissionen hin zu einer Well-to-Wheel-       wollen einen Motor, der so sparsam wie ein ja-
 Analyse oder gar einem Life Cycle Assess-           panischer ist. Meiner Meinung nach müssen wir
 ment, das die durch die Produktion entste-          sehr aufpassen, den Anschluss an die Welt-
 henden Emissionen berücksichtigt. Das The-          spitze nicht zu verpassen. Das gilt auch für die       Antriebe der Zukunft
 ma wird in der Europäischen Union bereits für       universitäre Ausbildung, in der es weiterhin
 die Zeit ab 2030 diskutiert. Mit dem Zeitpunkt      wichtig bleibt, Lehrstühle für Verbrennungs-
                                                                                                            3. und 4. Dezember 2019 in Berlin
 an sich können wir gut leben, wichtig ist aber,     motoren zu besetzen.
 dass wir frühzeitig Sicherheit darüber haben,                                                              Die Automobilindustrie ist Mitgestalter
 um in entsprechende Entwicklungen inves-            Welche Anteile erwarten Sie für welche An-             eines tief greifenden Transformati-
 tieren zu können.                                   triebsformen im Jahr 2050?                             onsprozesses der Mobilität. Politisch-
                                                                                                            gesellschaftliche sowie wirtschaftlich-
                                                                                                            technische Faktoren bilden die Grund-
 Welche Entwicklungsschwerpunkte sehen               Kratzsch: Das hängt von politischen Ent-
                                                                                                            lage dieses Prozesses. Im Gespräch
 Sie vor diesem Hintergrund für batterieelek-        scheidungen, technischen Weiterentwicklungen           sind eine Vielzahl von Mobilitätskon-
 trische Fahrzeuge?                                  und vom Kaufverhalten der Kunden ab. In der            zepten und Antriebslösungen, die die
                                                     Realität erwarten wir Mischszenarien. Um die Ge-       gesellschaftlichen und ökologischen
 Kratzsch: Für reine Elektrofahrzeuge steht          samtwirkung auf den Energiebedarf und die              Ansprüche erfüllen und neue Mög-
                                                                                                            lichkeiten der Digitalisierung nutzen.
 ganz klar die Reduktion der Batteriekosten im       CO2-Emissionen aus dem Verkehr abschätzen
 Fokus. Auch die volumetrische Energiedich-          zu können, haben wir ein Softwarewerkzeug ent-         Das Berliner Antriebsstrangsymposium
 te ist weiterhin ein Thema. Deshalb engagiert       wickelt: die Mobilitätssynthese. Sie ist sozusa-       am 3. und 4. Dezember 2019 in Berlin
 sich IAV im Verbundforschungsprojekt EM-            gen eine konsequente Weiterentwicklung der             bietet die Möglichkeit, mit Vertretern
 BATT. Und nicht zu vergessen: die Festkör-          Antriebsstrangsynthese auf einem höheren               der Politik und Top-Entscheidern der
 perbatterie, die derzeit bei einigen Herstellern    Systemniveau.                                          Automobilindustrie die Mobilität von
                                                                                                            morgen zu diskutieren.
 intensiv erforscht wird. Für Plug-in-Hybride
 müssen zudem die C-Raten erhöht werden,             Im Dezember 2019 veranstalten Sie wieder das           Vertreter der Politik sowie Konzerne wie
 also die maximalen Entladeleistungen in Re-         Berliner Antriebsstrangsymposium. Was er-              Mazda, Shell und Volkswagen werden
 lation zur Nennkapazität des Akkus. Ansons-         hoffen Sie sich davon?                                 mit Beiträgen dabei sein.
 ten bleiben kleinere Batterien dauerhaft ver-
 hältnismäßig teuer.                                 Kratzsch: Unser Ziel besteht darin, ein Dialog-        Kontakt: lars.gamasin@iav.de
                                                     forum zwischen Politik und Wirtschaft zu schaf-
18     Fokusthema | automotion

Technologiebausteine für
künftige Verbrennungsmotoren
Die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors ist wesentlich für eine klimaneutrale
Mobilität 2050

D
      eutlich höhere mittlere Wirkungs-            Bausteine für künftige Ottomotoren                dem System auch Abgaswärme zugeführt
      grade und Schadstoffemissionen auf                                                              werden und anschließend mithilfe eines Kol-
      „Zero Impact“-Niveau: IAV entwickelt         Bereits heute bestechen Ottomotoren auf-          ben-Dampf-Expanders nutzbar gemacht wer-
Technologiebausteine für den Verbren-              grund ihrer stöchiometrischen Betriebsführung     den. Erste Untersuchungen bei IAV zeigen
nungsmotor der Zukunft.                            in Verbindung mit einem vergleichsweise ein-      ein WLTP-Verbrauchspotenzial von rund 15
                                                   fachen Abgasnachbehandlungssystem im              Prozent.
Auf dem Weg in eine klimaneutrale An-              betriebswarmen Zustand mit äußerst niedrigen
triebswelt spielt ein guter alter Bekannter eine   Schadstoffemissionswerten. Ist das Abgas-         Effizienzsteigerungen sind vor allem durch
Schlüsselrolle: Der Verbrennungsmotor, der         nachbehandlungssystem jedoch nicht auf            eine Verringerung der Selbstzündneigung zu
heute die dominierende Antriebsart im Stra-        Betriebstemperatur, so werden die Schad-          erzielen, wobei die damit einhergehende Mög-
ßenverkehr darstellt. Denn zum einen steigt        stoffemissionen unbehandelt in die Umwelt         lichkeit zur Erhöhung der geometrischen Ver-
trotz wachsender Marktanteile alternativer         entlassen, was bei jedem Kaltstart oder dem       dichtung weitere deutliche Potenziale im ge-
Antriebe die absolute Anzahl produzierter          Wiederstart in einem hybriden Antriebsstrang      samten Kennfeld erschließt. Hierzu arbeitet IAV
Verbrennungsmotoren derzeit weiter an,             der Fall ist. Derzeit verfolgt IAV mehrere An-    bereits seit langem an der Realisierung eines
zum anderen besteht die Option, Lang-              sätze, um ein rasches Aufheizen des Abgas-        Brennverfahrens mit Einspritzdrücken größer
streckenmobilität mit synthetischen Kraft-         nachbehandlungssystems sowie ein niedriges        1000 bar. In Verbindung mit einer angepass-
stoffen klimaneutral zu gestalteten. Aus           Schadstoffrohemissionsniveau mit minimalem        ten Einspritzstrategie lassen sich hier deutli-
Sicht von IAV gehört die Weiterentwicklung         Energieeinsatz zu ermöglichen. Als besonders      che Potenziale ausweisen.
des Verbrennungsmotors daher zu den zen-           interessant erweisen sich dabei beispielswei-
tralen Aufgaben der Antriebsentwicklung. Da-       se die Vorkonditionierung des Kraftstoffs,        Als im Rennsport erprobte Methode eignet sich
bei sind weitere Effizienzsteigerungen ge-         etwa durch beheizte Einspritzdüsen, sowie die     die Vorkammerzündung über eine Verringerung
nauso wichtig wie das Erreichen eines „Zero        Wärmekapselung des kompletten Verbren-            der Klopfneigung zur Erzielung einer deutlichen
Impact“-Emissionsniveaus.                          nungsmotors. Letztere ermöglicht es, Rest-        Wirkungsgradsteigerung. Wird diese aktive
                                                   wärme aus vorangegangenen Fahrtabschnit-          ausgeführt, so hat sie zusätzlich den Vorteil,
Derzeit in den Markt eingeführte Ottomo-           ten möglichst lange im Motor zu halten.           dass im Zylinder selbst eine hohe Luftver-
toren erzielen bereits Spitzenwirkungsgra-                                                           dünnung des Gemisches erreicht werden
de von circa 38 Prozent, Pkw-Dieselmoto-           Für eine effiziente Umsetzung der im Kraftstoff   kann, ohne die Stabilität des Verbrennungs-
ren sogar bis zu maximal 46 Prozent. Aller-        enthaltenen Energie ist es notwendig, die         ablaufes zu gefährden.
dings spielen diese im besten Kennfeldbe-          Wärmeverluste über die Zylinderwände mög-
reich erreichten Werte für den Betrieb in Kun-     lichst gering zu halten. Allerdings besteht       Bausteine für Dieselmotoren
denhand nur eine untergeordnete Rolle:             gleichzeitig die Anforderung, dass die Wärme
Hier kommen aktuelle Motoren auf Werte             bei hohen Lasten schnell abgeführt werden         Der Dieselmotor weist per se eine sehr hohe Ef-
von 25 (Ottomotor) bis 29 Prozent (Diesel-         kann, um Selbstzündungen im Gemisch und           fizienz auf. Allerdings ist es für die zukünftige Ak-
motor). Um im Realbetrieb mittlere Be-             damit einer ggf. vollständigen Zerstörung des     zeptanz dieses Antriebs unumgänglich, auch für
triebswirkungsgrade von 40 Prozent zu er-          Motors vorzubeugen. Eine Lösung dieses            Stickoxide einen „Zero Impact“- Emissions-
reichen, müssen künftige Ottomotoren Spit-         Zielkonflikts ist über eine Phasen-Wechsel-       wert zu erreichen. Die Herausforderung beim
zenwirkungsgrade von 45 bis 50 Prozent auf-        Kühlung zu erreichen. Die Kühlleistung eines      Einsatz heutiger Abgasnachbehandlungs-
weisen. Für Dieselmotoren liegt der Zielwert       solchen Systems wird deutlich erhöht, da das      technologien besteht weniger im Erreichen
für den Spitzenwirkungsgrad nochmals um            Kühlmittel bei hohen Leistungsanforderun-         minimaler Emissionswerte in typischen Stan-
zwei bis drei Prozent höher. Die dafür ein-        gen durch einen Phasenwechsel zusätzliche         dardfahrzyklen als vielmehr darin, unter allen Be-
zusetzenden Technologiebausteine ent-              Energie aufnehmen kann. Auf gleichem Weg          dingungen im Realbetrieb sehr niedrigere
wickelt IAV derzeit.                               kann durch eine entsprechende Erweiterung         Grenzwerte zu erreichen.
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Schwierig ist dies vor allem in Bereichen sehr ho-   der drosselfreien Füllungssteuerung ermöglicht.    morisch, ist zudem immer der mögliche Betrieb
her und sehr niedriger Motorlast. Bei sehr ho-       Wo dies nicht ausreicht, wie zum Beispiel direkt   mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen
her Last – insbesondere wenn sehr kleine Mo-         nach dem Motorkaltstart, erweist sich die An-      zu berücksichtigen. Angesichts der weiter
toren in relativ großen und schweren Fahrzeu-        hebung der Abgastemperatur als probates            wachsenden Anzahl des Bestandes an Fahr-
gen zum Einsatz kommen – erhöhen sich die            Mittel, etwa durch den Einbau eines beheizba-      zeugen mit Verbrennungsmotor ist neben
Emissionen stark, wenn die Raumgeschwin-             ren Katalysators.                                  Elektrifizierung und Hybridisierung die Wei-
digkeit im Katalysator zu groß und die Abgas-                                                           terentwicklung des Verbrennungsmotors so-
rückführraten zu niedrig werden. Grundsätzlich       Zudem besteht die Möglichkeit, die nach dem        wie die Nutzung CO2-neutraler Kraftstoffe
schafft hier nur eine angemessene Dimensio-          Motorstart entstehende Stickoxid-Rohemis-          entscheidend, um eine weitgehend klima-
nierung von Motor und Abgasreinigungssystem          sion durch aktive NOx-Speicherkatalysatoren        neutrale Mobilität im Jahr 2050 zu erreichen.
Abhilfe, ebenso wie Tandem SCR-Systeme mit           bzw. passive NOx-Adsorber zu puffern. Da die       Und auf dem Weg dorthin könnten diese kli-
zwei AdBlue Dosierstellen.                           im Abgas enthaltene Energie bei Verwendung         maneutralen synthetischen Kraftstoffe als
                                                     mehrstufiger Aufladesysteme stark abnimmt,         „Drop-in“ Lösung sofort nach Verfügbarkeit zu
Direkt nach dem Motorkaltstart und bei Fahr-         werden Alternativen wie die einstufige Aufladung   einer deutlichen CO2-Reduktion in der neuen
ten mit geringer Motorlast ist es vor allem die zu   mit elektrischem Zusatzverdichter attraktiv.       und bestehenden Flotte führen – die Aner-
niedrige Abgastemperatur, die den Entwicklern                                                           kennung der CO2-reduzierenden Wirkung
Sorgen bereitet. Das Abgasreinigungssystem           Schwerpunkte                                       muss allerdings kurzfristig legislativ festge-
ist noch zu kalt bzw. kühlt in der Folge schwach-                                                       schrieben werden.
lastigen Fahrbetriebs aus und erreicht nicht         Die genannten Technologiebausteine stellen
mehr die gewünschten Konvertierungssraten.           nur einen Ausschnitt aus den verfügbaren           Kontakt:
Eine Schlüsseltechnologie zur Absenkung der          Optionen dar, die durch eine sinnvolle Kombi-      matthias.kratzsch@iav.de
NOx-Emission unter diesen Bedingungen ist das        nation zu effizienteren „Zero Impact“-Antrieben    marc.sens@iav.de
aktives Zylindertemperaturmanagement, das            führen können. Bei der Weiterentwicklung des       maximilian.brauer@iav.de
eine gute AGR-Verträglichkeit und den Einsatz        Verbrennungsmotors, ob diesel- oder otto-          r.troeger@consulting4drive.com
20    Fokusthema | automotion

EMBATT-goes-FAB
Neue Batterietechnologie nimmt nächste Stufe in Richtung Industrialisierung

B
        essere Batterien für höhere Reich-     sortium die Industrialisierung der neuen Bat-    aus aufeinandergestapelten, seriell verschal-
        weiten von Elektrofahrzeugen – dies    terien voran.                                    teten Elektroden. „Auf einem gemeinsamen
        ist der Anspruch der Technologie-                                                       Elektrodenträger sind die Aktivmaterialien für
entwicklung „EMBATT“. Ihr Ziel ist eine grö-   Das Besondere an der EMBATT-Technologie          die Kathode der Batterie und umseitig die
ßere Volumenausbeute, die zu Reichweiten       ist die Zusammenführung von Plattform und        Aktivmaterialien für die Anode aufgebracht“, er-
von bis zu 1.000 Kilometern mit einer Ladung   Batterie: Bipolar aufgebaut, bestehen die Bat-   klärt Michael Clauß, Entwicklungsingenieur
führen soll. Seit Mitte 2018 treibt das Kon-   teriezellen – ähnlich wie Brennstoffzellen –     bei IAV. „Die einzelnen Lithium-Ionen-Zellen sind
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nicht mehr separat in Aluminiumgehäusen          Neue Fertigungsanlage im Technikum                ben wir Muster aufgebaut und gezeigt, dass die
verpackt. Stattdessen bekommt nur der ferti-                                                       Technologie funktioniert“, sagt Clauß. „Neben
ge Elektrodenstapel eine feste Umhausung.“       Das wollen IAV und seine Partner Daimler AG,      dem Volumen und Gewicht der Batterie ent-
Dadurch fallen zahlreiche Gehäusebauteile        thyssenkrupp System Engineering GmbH              scheiden die Kosten über den Erfolg am Markt.
und Verbindungselemente weg, was Kosten          und Fraunhofer IKTS nun ändern. Seit Mitte        Wir wollen zeigen, dass EMBATT neben dem Vo-
und Platz im Fahrzeug spart. Dieser frei ge-     2018 arbeiten sie im Projekt „EMBATT-goes-        lumen- auch einen Kostenvorteil bietet.“
wordene Raum lässt sich mit zusätzlichem Ak-     FAB“ daran, die vielversprechende neue Tech-
tivmaterial füllen – wodurch die Batterie mehr   nologie auf die nächste Reifestufe zu heben.      Interessenten für Pilotanlage gesucht
Energie speichern kann und die Reichweite des    Wurden die Batterien bisher auf kleinen An-
Fahrzeugs steigt. Genau darin besteht der        lagen gefertigt, sollen nun im thyssenkrupp-      Das Projekt „EMBATT-goes-FAB“ läuft noch bis
Reiz von Lithium-Ionen-Bipolarbatterien, die     Technikum in Pleißa bei Chemnitz größere Ma-      Ende 2020. Schon jetzt macht sich Clauß
bislang nur im kleineren Labor- und Techni-      schinen für die einzelnen Prozessschritte         Gedanken über die nächsten Schritte: „Wir su-
kumsmaßstab (300 x 400 [mm²]) angefertigt        zum Einsatz kommen. „Zwei der neuen Ma-           chen Interessenten für den Bau einer Pilotlinie,
und untersucht wurden.                           schinen werden in Betrieb genommen, die drit-     auf der größere Zellen gefertigt werden kön-
                                                 te wird Ende 2019 aufgebaut“, berichtet Clauß.    nen. Diese könnten wir in reale Fahrzeuge in-
                                                 „Anfang 2020 wollen wir so weit sein: Dann        tegrieren und so die Technologie in der Praxis
                                                 können wir ausgehend von den beschichte-          testen.“ Danach könnte die Serienproduktion
                                                 ten Elektroden komplette Stacks mit mehr als      starten.
                                                 zehn produzieren.“
                                                                                                   Die Chancen dafür stehen nicht schlecht,
                                                 Auch das Format der Zellen wird größer: Die       denn EMBATT kommt den aktuellen Trends bei
                                                 bisherigen Prototypen maßen 30 mal 40             Batterien entgegen: Die Zellen werden größer,
                                                 Zentimeter, künftig sollen sie 30 mal 100         und die Energie pro Zelle nimmt zu – genau das
                                                 Zentimeter groß sein. Damit sind sie bereits      ist das Ziel des Forschungsprojektes. Zudem
                                                 sehr viel näher an den Abmessungen der Se-        steigt das Interesse an Festkörperelektrolyten,
                                                 rienbauteile, die bei 60 mal 100 Zentimetern,     etwa aus Keramik, Sulfiden oder Polymeren.
                                                 100 mal 100 Zentimetern oder sogar darüber        Auch für sie ist EMBATT bestens geeignet.
                                                 hinaus liegen dürften. Eine große He-raus-
                                                 forderung ist die gleichmäßige Kühlung der        „Wir optimieren nicht nur einzelne Kompo-
                                                 Zellen. „Wir müssen die Temperatur bis auf we-    nenten, sondern verfolgen einen radikalen, dis-
                                                 nige Grad im optimalen Bereich halten und         ruptiven Ansatz“, fasst Clauß zusammen. „Vie-
                                                 eine homogene Temperaturverteilung errei-         le OEMs und Tier-1-Zulieferer sind an unserer
                                                 chen“, so Clauß. „Darum arbeiten wir daran, die   Arbeit interessiert.“ Und nicht nur sie: Auch für
                                                 Wärme von überall in den Zellen abzuführen        die Hersteller von Solarbatterien oder Handy-
                                                 und die Wärmekapazität der Fahrzeugplatt-         Akkus ist die neue Technologie attraktiv.
                                                 form zu nutzen.“
                                                                                                   Kontakt:
                                                 Gemeinsam mit der Daimler-Vorentwicklung          michael.clauss@iav.de
                                                 beschäftigen sich die IAV-Experten zudem mit      www.embatt.de
                                                 der Anbindung der Batterie an das Batterie-
                                                 managementsystem. Grundlage dafür ist ein
                                                 virtuelles Fahrzeug, das mit EMBATT ausge-
                                                 stattet ist und mit dessen Hilfe das Konzept im
                                                 Detail entwickelt wird. Dabei haben die Inge-
                                                 nieure immer ein Ziel vor Augen: 80 Prozent
                                                 Volumenausbeute als Grundlage für bis zu
                                                 1.000 Kilometer Reichweite mit einer Batte-
                                                 rieladung.

                                                 Neben technischen Fragen beschäftigt sich IAV
                                                 auch mit dem ökologischen Fußabdruck von der
                                                 Batterie sowie den späteren Kosten. „Bisher ha-
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