VAA Magazin Ich bin dann mal off - Berufliche Auszeit: Persönliche Befindlichkeit: Wo es läuft ohne Zoff

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VAA Magazin Ich bin dann mal off - Berufliche Auszeit: Persönliche Befindlichkeit: Wo es läuft ohne Zoff
August 2019

VAA Magazin
Zeitschrift für Führungskräfte in der Chemie

Berufliche Auszeit:

Ich bin dann
mal off
Persönliche Befindlichkeit:
Wo es läuft ohne Zoff
VAA Magazin Ich bin dann mal off - Berufliche Auszeit: Persönliche Befindlichkeit: Wo es läuft ohne Zoff
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Editorial

Beste Zeit für Auszeiten
Sommerzeit ist Urlaubszeit – und diese ist zurzeit noch in vollem Gang.
Selbst wenn die Ferien in manchen Bundesländern bereits vorbei sind und
sich in anderen bereits dem Ende zuneigen, nehmen sich in den letzten
Sommerwochen viele noch einmal die eine oder andere Auszeit. Auch das
sonst auf Ergebnis und Effizienz getrimmte Arbeitstempo lässt sich an-
gesichts der mancherorts durchaus heißen Temperaturphasen häufiger
drosseln als in anderen Jahreszeiten. Aber wäre es nicht eine tolle Sache,

                                                                                                                     Foto: VAA
wenn Arbeitnehmer, ob mit Familie oder ohne, sich nicht nur in den Stan-
dardferienzeiten längere Auszeiten genehmigen könnten? Genau darum
dreht sich das Spezial in dieser Ausgabe des VAA Magazins. Auf den Sei-
ten sechs bis 13 ist nachzulesen, was genau unter dem mittlerweile geläu-
figen Begriff „Sabbatical“ zu verstehen ist und welche verschiedenen Arten von Sabbaticals es gibt. Dabei ist vie-
len Beschäftigten oft gar nicht bewusst, dass es in den meisten Unternehmen bereits Modelle zur Umsetzung der
Arbeitnehmerwünsche nach längeren Pausen gibt – auch in der Chemie- und Pharmaindustrie.

Doch woran scheitert die Umsetzung eines Sabbaticals? Sicherlich: Nicht selten machen die Arbeitserfordernis-
se den Mitarbeitern einen Strich durch die Rechnung. Allerdings stehen sich die Sabbaticalanwärter auch teil-
weise selbst im Weg. Einer Umfrage des Karrierenetzwerks Xing zufolge treten rund 60 Prozent der Auszeit-
suchenden mit ihrem Wunsch gar nicht erst an ihre Vorgesetzten heran! Hier liegt auch das Problem: Es bedarf
einer offenen und vertrauensvollen Führungskultur, damit sich Auszeitwünsche der Arbeitnehmer mit flexiblen
Arbeitsmodellen vereinbaren lassen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber vorher steht immer das persönli-
che Gespräch. Was genau gute Führung auszeichnet, hat sich auch der VAA überlegt und letztes Jahr in seinen
aktualisierten Positionen zusammengefasst. Im Interview auf den Seiten 18 und 19 erläutert die 2. VAA-Vorsit-
zende Dr. Daniele Bruns die Erfolgsfaktoren für und Anforderungen an Führungskräfte im tagtäglichen Mitei-
nander mit ihren Mitarbeitern.

Wo gute Führung funktioniert, profitieren sowohl die Unternehmen als auch ihre Mitarbeiter. Ein wichtiges und
in den Führungsetagen der Chemie- und Pharmaunternehmen viel beachtetes Stimmungsbarometer liefert hier die
jährliche Befindlichkeitsumfrage des VAA. Auf den Seiten 14 bis 17 gibt es eine ausführliche Auswertung der Er-
gebnisse. Auch wenn sich die Stimmung der außertariflichen und leitenden Angestellten im Großen und Ganzen
nicht wesentlich verändert hat, sind – heruntergebrochen auf die einzelnen Unternehmen – erhebliche Unterschie-
de festzustellen. Auch kommt durch einige „Ausreißer“ – nach oben wie unten – eine Menge Bewegung ins Ran-
king. Deutlich wird einmal mehr die Bedeutung der strategischen Kommunikation nach innen: Wenn Strategien
von der Unternehmensführung glaubhaft und transparent kommuniziert werden, ziehen Führungskräfte und Mit-
arbeiter bei der Umsetzung dieser Strategien an einem Strang. Das erfolgreiche Miteinander spiegelt sich auch in
der Befindlichkeitsumfrage wider.

Am Ende sorgt genau dieses Miteinander dafür, dass Arbeitnehmer ihre verdienten und gewünschten Auszeiten
von der Arbeit nicht nur innerlich herbeisehnen, sondern auch wahrnehmen können. Geht es dann aus dem Urlaub
oder aus dem Sabbatical wieder zurück ins Arbeitsleben, wird klar: Erholt und mit Kraft aufgetankt lässt es sich
viel angenehmer und produktiver arbeiten.

Rainer Nachtrab
1. Vorsitzender des VAA

                                                                                          VAA MAGAZIN AUGUST 2019                3
VAA Magazin Ich bin dann mal off - Berufliche Auszeit: Persönliche Befindlichkeit: Wo es läuft ohne Zoff
Inhalt

VAA
MAGAZIN
–
August
2019                                                                 Wirtschaft
                               VAA                                   in Zahlen
                               14      Befindlichkeitsumfrage:       32   Konjunktur in der Chemie:
                                       Covestro bleibt vorn               Veränderungen bei Produktionsanteilen

Sabbatical                     17	VAA-Positionen:

im Bild
                                   Interview zu guter Führung

                               20	Mitbestimmung:
                                   VAA-Betriebsräte bei Sanofi
                                                                     Meldungen
                                   ziehen Zwischenbilanz
06       Auszeit in Zahlen
                               24      Kooperationen:                33   GDCh-Studienstatistik,
                                       Outplacement hilft bei             Synthese- und Screeningchip,
                                       beruflicher Neuorientierung        QR-Codes mit Formgedächtnis

Spezial
08       Arbeit hat Pause      Branche
                               26      Personalia aus der Chemie

                                                                     34   Ironman des VAA,
                               27	Chancengleichheit:                     Wohlbefinden und Führung,
                                   Frauenbilder im Wandel der Zeit        Transaktionsvolumen

                                                                     35   Trauer beim IWT Hüls,
                                                                          Resteverwertung mit CO2-Filter,
                                                                          Vermessung von Quantenzuständen,
                                                                          Aerogel speichert Sonnenwärme

                                                                     36   Reaktionsbeschleunigung,
                                                                          Translationsfaktoren,
                                                                          Arbeitszeiterfassung,
                                                                          Graphensynthese

4    VAA MAGAZIN AUGUST 2019
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Inhalt

                                                                                 Lehmanns
                                        Recht                                    Destillat
                                        45   Vergütung von Betriebsräten:        52       Satirische Kolumne:
                                             Interview mit Thomas Spilke                  E-Scooter-Epidemie

                                        48   Juristischer Service:
                                             Warum sich Rechtsberatung lohnt

                                                                                 Vermischtes
ULA
Nachrichten                                                                      53       Trauermeldung:
                                                                                          Dr. Hanns Henning Bössler
                                                                                          verstorben

                                                                                 54       ChemieGeschichte(n):
37	Notizen aus Berlin:
                                                                                          Detektiv Pinkertons Chemiefaible
    ULA-Sprecherausschusstag 2019       49   Urteil:
                                             Anordnung von Homeoffice?
39	Kommentar, Europa                                                            55       Glückwünsche

40	Altersvorsorge:                                                              56       Sudoku, Kreuzworträtsel
    Experten diskutieren über Rezepte

42	Interview mit Uta Zech:
    Keine Gene für Porsche und Pflege
                                        Studium                                  57

                                                                                 58
                                                                                          Leserbriefe

                                                                                          Feedback, Termine, Vorschau,
                                                                                          Impressum
44      Führungskräfte Institut:
        Aktuelle Seminare               50   Aus der Uni in den Job:
                                             Hochschulveranstaltungen von GDCh
44      Wirtschaft als Schulfach             und VAA                             Coverfoto: Anti Anti – Shutterstock

                                                                                         VAA MAGAZIN AUGUST 2019             5
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                                                                   7. Jahr
                                                                     in einer Reihe stellt in der
                                                                    Tora das Jahr des Sabbats
                                                                    dar. Das hebräische Wort
                                                                           schabat bedeutet
                                                                   „innehalten“. Die Äcker und
                                                                      Felder sollen in diesem
                                                                    Jahr brachliegen und die
                                                                       Sklaven freigelassen
                                                                      werden. Ursprünglich
                                                                    diente dieses Jahr dazu,
                                                                    dass sich die Ressourcen
                                                                    der Erde erholen können.
                                                                      Ein Jahr der Ruhe und
                                                                    Auszeit soll dazu dienen,
                                                                    neue Kräfte zu sammeln,
                                                                            oder bietet die
                                                                           Gelegenheit zur
                                                                           Neuorientierung.

                       12.000
                      Personen
                 aus acht Ländern haben sich 2017 an einer Umfrage
                   des Onlinereisebüros Opodo beteiligt. Demnach
                 können sich 63 Prozent der Befragten in Deutschland
                  zwar ein Sabbatjahr gut vorstellen, doch knapp der
                  Hälfte der Befürworter fehlen die finanziellen Mittel.

Foto: Anusorn Nakdee – Shutterstock

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Sabbatical im Bild

        62 Prozent
                 von 514 Arbeitnehmern, die ein
              Sabbatical hinter sich hatten, nutzten
            diese Auszeit, um die Welt zu erkunden,
              so eine Studie der Marketingagentur
               Search Laboratory im Auftrag des
             Büroartikel-Lieferanten Viking aus dem
               Jahr 2017. 48 Prozent suchten eine
             Pause vom stressigen Job. 36 Prozent
            brauchten den Freiraum, um sich neu zu
            orientieren oder Interessen zu vertiefen.
             Jeder Zehnte wünschte sich mehr Zeit
            für sich und seine Hobbys. Vier Prozent
                wollten mehr Zeit mit der Familie
                            verbringen.

 50.000 von
  320.000
   Mitarbeitern der Deutschen Bahn nutzen ein
Langzeitkonto. Während der Konzern zunächst nur
  seinen Führungskräften individuelle Auszeiten
vorfinanzierte, können mittlerweile alle Angestellten
ein Guthaben über Langzeitarbeitskonten anhäufen
und so ein Sabbatical aktiv vorbereiten: Teile ihres
Lohnes oder Gehalts werden sowohl monatlich als
    auch einmalig eingezahlt, Weihnachts- und
 Urlaubsgeld eingebracht oder nicht genommene
 Urlaubstage und angefallene Überstunden in die
                Konten übertragen.

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Spezial

SABBATICALS

Verschnaufpause
vom Leben
Von Elena Zolototrubova

Urlaub, Auszeit, Sabbat – halb Deutschland liebäugelt mit einer längeren Pause vom Berufsleben. Das belegen diverse
Studien verschiedener Institute und Netzwerke. Die Gründe dafür sind vielfältig – ob Weltreise, Bildungsurlaub oder etwa
die Pflege von Angehörigen. Doch meist reicht der Jahresurlaub dafür nicht aus. Was können Unternehmen tun, um
Mitarbeitern längere Auszeiten zu ermöglichen? Wie gehen Mitarbeiter mit der freien Zeit um? Das aus den USA
stammende Sabbatical – auch als Sabbatjahr bekannt – wurde einst von Professoren an US-amerikanischen Universitäten
als Begriff für ein Forschungs- oder Freisemester geprägt. Heute gehört er zum Grundverständnis einer
arbeitnehmerfreundlichen Unternehmenskultur.

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VAA MAGAZIN AUGUST 2019
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                          Foto: simona pilolla 2 – Shutterstock
VAA Magazin Ich bin dann mal off - Berufliche Auszeit: Persönliche Befindlichkeit: Wo es läuft ohne Zoff
Spezial

Angenehm prickelt die leicht salzhaltige       Nach einer beruflichen Auszeit – neu-           gen. „Meinen Job kündigen? Das wollte ich
Luft in der Nase, während sich eine            deutsch auch Sabbatical genannt – sehnt         nicht“, erinnert sich Wagner. Denn dem
sanfte Brise kühlend um den Körper             sich laut einer Umfrage des Karrierenetz-       Bayer-Konzern war er mit Beginn seiner
schmiegt. In der Mittagssonne ist jeder        werkes Xing jeder fünfte Deutsche. Dem          Ausbildung und dem anknüpfenden Bache-
Windhauch eine Wohltat und jeder Was-          Alltag für längere Zeit entkommen und sich      lorstudium durchgehend treu. Daran habe
serspritzer auf der Haut wie ein Schluck       auf eine Reise zu seinen Wurzeln und zu         sich trotz des Wunsches nach einer Auszeit
kühlendes Bier. Umgeben von goldig             sich selbst begeben: Diesen Schritt hat der     nichts geändert. „Ich ging zu meinem da-
schimmernden Sandkörnern, die lang-            gelernte Industriekaufmann Oliver Wagner        maligen Vorgesetzten und fragte einfach, ob
sam aufgewirbelt werden und dann von           gewagt. Raus aus dem strukturierten und         die Firma so kulant wäre, mich für ein Jahr
rechts nach links tanzen, lässt man sich       stillstehenden Job, hinein ins ungewisse        freizustellen.“ Keine drei Wochen später
fallen und seine Gedanken von den Wel-         Abenteuer: „Aus Frust, dass es im Job nicht     entschied das Unternehmen zu seinen
len wegtreiben. Nicht mehr tun, als den        weitergeht und Veränderungen nicht schnell      Gunsten. Erleichtert packte Wagner ge-
Moment ohne Zeitdruck und fern abseits         genug passieren, habe ich mich beim Feier-      danklich seine Koffer.
des stressigen Alltags zu genießen. Für        abendbier mit einem Freund zum Auslands-
viele Arbeitnehmer beschreibt das einen        jahr verabredet.“                               „Die wenigsten Menschen kommen mit ei-
zweiwöchigen Urlaub im Süden. Eine                                                             nem Antrag für ein Sabbatical“, erklärt
kurze Verschnaufpause, bevor man wie-          So banal das klingt, zog diese Idee für den     Henkel-Personalerin Stefanie Sorgenicht.
der pflichtbewusst seinem Job nachgeht.        damals 24-Jährigen mehrere Fragen und           „Die meisten kommen mit einem Ziel, einer
Doch was, wenn man nur one-way ge-             Überlegungen nach sich. Nicht nur, wo es        ersten Idee oder einfach einem Gefühl, dass
bucht hat? Was, wenn man am Montag             hingehen soll und wann, sondern vor allem,      sich irgendwas in ihrem Leben verändern
nicht wieder am Schreibtisch, sondern          was mit seinem Arbeitsplatz passieren wür-      sollte.“ Für rund 60 Prozent derjenigen, die
auf einem Surf brett sitzt?                    de, sollte er den Schritt ins Sabbatical wa-    laut der Xing-Studie Interesse am Sabbati-

Das Sabbatical kann ein passendes Arbeitszeitmodell für einen längeren Reiseurlaub sein. Der Begriff stammt vom hebräischen Wort
„schabat“ ab und bedeutet im Deutschen „aufhören“ oder „ruhen“. Insbesondere in größeren Unternehmen wie Henkel, der Deutsche Bahn
oder Covestro haben die Mitarbeiter viele Regelungen zu flexiblen Arbeitsmodellen. Foto: Bee-individual – iStock

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cal haben, scheitert es allerdings schon am     wissen, weil ich nicht für meine Tochter da       gesehen bedeutete diese Lösung für Henkel,
ersten Schritt. „Wir können einen solchen       sein konnte.“ Deshalb zog Sorgenicht die          dass weder ein wertvoller Mitarbeiter ver-
Wunsch nicht vorhersagen. Man muss sich         Reißleine. Sie brauchte mehr Zeit für die Fa-     loren geht noch ein hoher Kostenaufwand
dem Arbeitgeber gegenüber schon deutlich        milie, wie rund zwölf Prozent der Arbeit-         betrieben werden muss, um einen adäquaten
äußern.“                                        nehmer in Deutschland angeben, und war            Ersatz zu finden. „Es ist eine ganz einfache
                                                bereit, zeitlich befristet zurückzutreten, aber   Rechnung: Zufriedene Mitarbeiter arbeiten
Als Leiterin des Personalbereichs für Ad-       nicht für immer: „In meinem Personalge-           besser. Und ich persönlich bin noch immer
hesive Technologies der Henkel AG & Co.         spräch sagte mir mein Chef, er wolle nicht,       sehr zufrieden mit der damaligen Lösung“,
KGaA hat Sorgenicht viele solcher Gesprä-       dass ich gehe, und wir erarbeiteten eine Lö-      lacht Sorgenicht.
che mit Mitarbeitern geführt – und auch         sung, damit ich bleiben konnte.“ Es kristal-
selbst schon auf der anderen Seite gesessen.    lisierte sich heraus, dass eine mehrmonatige      Auch Oliver Wagner war mit seinem Arbeit-
„Ich brauchte damals zeitliche Flexibilität     Auszeit das Spannungsfeld zwischen Fami-          geber nach dessen Einwilligung, ihn für ein
und wäre sogar bereit gewesen, meinen Job       lie und Beruf lösen könnte. „Der Druck war        Jahr freizustellen, mehr als glücklich. Beide
aufzugeben“, blickt Sorgenicht zurück. Ei-      raus. Ich hatte keine Angst mehr davor, mei-      Parteien einigten sich schriftlich auf einen
nen Job, den sie selbst als Traumjob bezeich-   ner Familie nicht gerecht zu werden oder          Stilllegungsvertrag. Diese unbezahlte Frei-
net. Aber der Umstand, dass ihre Tochter als    meinen Job nicht anständig zu erledigen.“         stellung konnte in Kraft treten, sobald eine
Kleinkind ein schwaches Immunsystem                                                               Vertretung für Wagners Stelle gefunden war:
hatte und in der kalten Jahreszeit besonders    Mit dem Rückenwind der Firma und dem              „Das ging alles recht flott – von der Idee bis
anfällig für Krankheiten war, machte ihr zu     Gedanken daran, dass sie genug Zeit zu            zur Umsetzung hat es nur ein halbes Jahr ge-
schaffen. „Ich war im Büro und habe meine       Hause verbringen wird, tankte Stefanie Sor-       dauert.“ Da er während seines Studiums noch
Arbeit gut bewältigt. Aber ich hatte meinem     genicht auch neue Energie und Motivation,         bei seinen Eltern wohnte, konnte Wagner sei-
kranken Kind gegenüber ein schlechtes Ge-       um den Alltag zu meistern. Wirtschaftlich         ne Reise durch Erspartes finanzieren. u

                                                                                                                                             11
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Sich unbezahlt freistellen zu lassen, ist nur   – und dafür sei man nach Meinung der Ex-          Personalerin Sorgenicht. Es sei normaler ge-
eine Möglichkeit, ein Sabbatical durchzu-       pertin nicht zuletzt selbst als Mitarbeiter zu-   worden und eröffne dadurch beispielsweise
führen. Dabei handelt es sich de facto um       ständig. „Ich muss meine eigene Balance           frischgebackenen Vätern die Möglichkeit,
ein ruhendes Arbeitsverhältnis, bei dem der     finden.“ Auf der anderen Seite müsse das          in Elternzeit zu gehen, ohne dass „irgend-
Mitarbeiter keinen Anspruch auf Entgelt         Unternehmen dafür sorgen, dass es gewisse         wer komisch guckt“. Nicht nur, um qualifi-
hat. Außerdem trägt er auch selbst die Kos-     Rahmen gibt, die Mitarbeitern ermöglichen,        zierte Mitarbeiter zu gewinnen, sondern um
ten der Kranken- und Pflegeversicherung         diesen Gedanken auch zu leben.                    sie auch langfristig zu binden, müssen Un-
sowie der Renten- und Arbeitslosenversi-                                                          ternehmen auf diesen Wandel und dieses
cherung – für ein Unternehmen das sim-          Hinter dem Flexibilitätskonzept bei Henkel        Umdenken der Generationen eingehen.
pelste und kostengünstigste Modell, da es       stecken f lexible Arbeitsmöglichkeiten:
nichts bezahlen muss.                           Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit, aber         Diese Flexibilität reicht bei Henkel von pro-
                                                auch individuell gestaltbare Arbeitsplatz-        jektbezogenen Aufgaben und internen
Für sein Sabbatical hatte sich Oliver Wagner    und Arbeitszeitlösungen wie Homeoffice            Wechseln bis hin zu beruflichen Auszeiten
zwei Ziele vorgenommen: „Ich wollte nach        oder Jahresarbeitszeitkonten. Solche Model-       mit unterschiedlichen Finanzierungsmodel-
Australien reisen und mehr als die regulären    le seien besonders im Hinblick auf die Stei-      len. Ein gängiges Modell: die Vereinbarung
drei Wochen bei meiner Familie in Chile         gerung der Leistung und Motivation sowie          einer Teilzeitbeschäftigung vor Beginn des

„MAN BRAUCHT KEINE LEGITIMIERUNG MEHR, UM EINE AUSZEIT ZU NEHMEN,
WEIL DAS GESELLSCHAFTLICH STÄRKER AKZEPTIERT WIRD.“
Stefanie Sorgenicht, Leiterin des Personalbereichs für Adhesive Technologies der Henkel AG & Co. KGaA.

verbringen. Und das Land kennenlernen, in       Produktivität und Effizienz des Mitarbei-         Sabbaticals. „Dabei arbeitet man auf Vorrat,
dem ich geboren wurde.“ Damit schließt          ters wichtig, findet Stefanie Sorgenicht.         das heißt in Vollzeit ganz normal weiter,
sich der studierte Betriebswirtschaftler        „Die Generationen Y und Z haben eine ganz         verdient aber beispielsweise nur die Hälfte“,
knapp 42 Prozent der Deutschen an, die          andere Herangehensweise an Arbeit. Zum            erklärt Stefanie Sorgenicht. So werde das
Xing zufolge „Fernreisen“ als Hauptbeweg-       Beispiel sollen Erfolge schneller erzielt wer-    Gehalt angespart und der vom Arbeitgeber
grund für eine berufliche Auszeit nennen.       den und der Job sollte ihnen Raum für Frei-       einbehaltene Lohn werde während des Sab-
In Australien verbrachte Wagner die ersten      zeit gewähren.“                                   baticals wieder ausgezahlt. Auch sie selbst
drei Monate mit körperlicher Arbeit: „Ich                                                         hat dieses Modell für ihr Sabbatical ge-
habe Löcher gebohrt: acht Stunden am Tag        In einer Studie hat die Bertelsmann Stiftung      wählt: „Für mich war dies das beste Modell,
in der prallen Sonne bei 40 Grad“, erinnert     belegt, dass Arbeit eine hohe Bedeutung im        denn ich war finanziell abgesichert.“
er sich lachend. Die Arbeit auf dem Bau         Leben der Deutschen hat – 55 Prozent der
habe ihm zwar irgendwie Spaß gemacht,           Befragten würden trotz eines Lottogewinns         Zusätzlich können Arbeitnehmer in vielen
aber seinen bequemen Schreibtisch hatte er      auch weiterhin arbeiten. Allerdings sei ge-       Unternehmen auch Überstunden, nicht ver-
in der Zeit vermisst. „Da lernt man, Sachen     rade bei den jüngeren Berufstätigen die Ba-       brauchte Urlaubstage oder Sonderzahlun-
wertzuschätzen, die man sonst im Alltag         lance zwischen Job und Freizeit wichtiger         gen und Boni auf einem Zeitwertkonto spa-
kaum mehr wahrgenommen hat.“ Gemein-            als die nächste Gehaltsstufe. Auch Weiter-        ren. Diese Beträge werden auf Basis der
sam mit seinem Freund nutzte Oliver Wag-        entwicklung – ob persönlich oder beruflich        Bruttoeinkünfte berechnet. Steuern und So-
ner die Freizeit, um das Surfparadies ken-      – und Aufstiegschancen stehen ganz oben           zialversicherungsabgaben fallen erst in der
nenzulernen, die Ostküste entlangzureisen       auf der Liste.                                    Freistellungsphase an und können somit ge-
und in die Kultur einzutauchen. „Auch mei-                                                        ringer ausfallen.
ne Englischkenntnisse konnte ich vertiefen,     Rund 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ha-
was mir natürlich jetzt bei der Arbeit unge-    ben bereits eine berufliche Pause genom-          „Für alle Kurzentschlossenen oder bei ei-
mein nützt.“                                    men und weitere 30 Prozent planen laut            nem plötzlichen persönlichen Notfall kön-
                                                Xing ein Sabbatical. Im Vergleich dazu fal-       nen Arbeitgeber auch Sonderurlaub geneh-
Eine berufliche Pause bringt nicht nur den      len die jeweiligen Werte bei den 50- bis          migen“, erklärt Stefanie Sorgenicht. Solange
Mitarbeiter weiter, sondern ist auch ein Er-    59-Jährigen mit jeweils sieben und 16 Pro-        die Dauer vier Wochen nicht überschreite,
folgsmodell für Unternehmen. Dies hat die       zent eher gering aus. Insgesamt ist die Nach-     übernimmt er weiterhin die Sozialversiche-
HR-Expertin Stefanie Sorgenicht am eige-        frage nach längeren Ruhephasen in den ver-        rungsbeiträge bei der Beurlaubung. Ein Ge-
nen Beispiel erfahren. „Nicht umsonst ha-       gangenen Jahren aber deutlich gestiegen.          halt gebe es aber nicht. „Wer seinen Jahres-
ben wir bei Henkel eine Work-Life-Flexibi-      „Man braucht keine Legitimierung mehr,            urlaub noch dazu nimmt, kann das Kurz-
lity-Charter“, erklärt sie. In den Medien       um eine Auszeit zu nehmen, weil das gesell-       Sabbatical so auf insgesamt rund zwei Mo-
höre man viel über die Work-Life-Balance        schaftlich stärker akzeptiert wird“, so die       nate verlängern.“ ¢

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                     BEFINDLICHKEITSUMFRAGE 2019

   Covestro verteidigt
			 Spitzenplatz

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2019 hat sich die Stimmung der Führungskräfte in den Chemie- und Pharmaunternehmen im Vergleich zum Vorjahr trotz
des deutlichen Umsatz- und Ergebnisrückgangs kaum verändert. Das zeigt die diesjährige Befindlichkeitsumfrage. Dabei
verteidigt der Leverkusener Polymerhersteller Covestro seine Spitzenposition im Ranking der Personalpolitik, gefolgt vom
Mainzer Glaskonzern Schott.

Die Durchschnittsnote der Unternehmen         zengruppe des Rankings geschafft. Auch        sonalentwicklung am deutlichsten kriti-
im Umfrageranking bleibt wie im Vorjahr       Boehringer Ingelheim konnte sich mit ei-      siert. Hier vergaben die Teilnehmer im
bei 3,0. Dazu der 1. VAA-Vorsitzende Rai-     ner im Vergleich zum Vorjahr verbesserten     Schnitt die Schulnote 3,9. Auch die Kom-
ner Nachtrab: „Die deutsche Chemieindus-      Note von Platz 7 auf Platz 5 steigern. Die    munikation der Karrierechancen (3,7) und
trie hängt stark an der Auslandsnachfrage     ebenfalls deutlich besser bewertete Lan-      die Ehrlichkeit der Zielvereinbarungssys-
und erlebt deshalb durch die schwächelnde     xess AG kletterte von Platz 11 auf Platz 6.   teme (3,6) ruft die deutliche Kritik der
Weltkonjunktur derzeit einen deutlichen                                                     Fach- und Führungskräfte hervor.
Umsatz- und Ergebnisrückgang. Die Füh-        Wesentlich schlechtere Noten als im Vor-
rungskräfte in den Chemie- und Pharmaun-      jahr vergaben die Führungskräfte bei der      Positiv bewertet wurden dagegen die In-
ternehmen lassen sich von solchen kon-        Bayer AG und bei Shell. Beide Unterneh-       formation über die Geschäftsstrategien der
junkturellen Schwankungen aber nicht aus      men fallen im Ranking deutlich zurück.        Unternehmen (Durchschnittsnote 2,2), die
der Ruhe bringen und das spiegelt das ins-    Den letzten Platz im Ranking belegt der       Ausgestaltung der Sozialleistungen (2,3)
gesamt konstante Stimmungsbild wider.“        deutsche Teil des amerikanischen Chemie-      und das seltene Auftreten von Mobbing-
                                              riesen Celanese, der aufgrund einer ver-      Fällen (2,4).
Neben dem Spitzenreiter Covestro und der      schlechterten Bewertung durch die Füh-
zweitplatzierten Schott AG haben es in die-   rungskräfte drei Plätze zurückfällt.          An der von Ende April bis Ende Mai 2019
sem Jahr erneut der bayerische Chemie-                                                      zum 18. Mal durchgeführten VAA-Befind-
konzern Wacker (Platz 3) und die Beiers-      Über alle teilnehmenden Unternehmen           lichkeitsumfrage beteiligten sich in diesem
dorf AG aus Hamburg (Platz 4) in die Spit-    hinweg wurde erneut die Qualität der Per-     Jahr mehr als 3.000 VAA-Mitglieder. ¢

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 Rang 2019       Unternehmen          Rang 2018    Veränderung Rang         Gesamtnote 2019     Gesamtnote 2018      Veränderung Note

      1      Covestro                    1           ,           0               2,19                 2,13             .        -0,06

      2      Schott                      3           m           1               2,25                 2,40             n         0,15

      3      Wacker                      4           m           1               2,46                 2,50             m         0,04

      4      Beiersdorf                  2           .          -2               2,59                 2,39             !        -0,20

      5      Boehringer Ingelheim        7           m           2               2,62                 2,88             n         0,26

      6      Lanxess                     11          n          5                2,69                 2,93             n         0,24

      7      Merck                       9           m           2               2,70                 2,92             n         0,22

      8      Solvay                      14          n          6                2,71                 3,10             n         0,39

      9      Roche Diagnostics           6           !          -3               2,92                 2,77             !        -0,15

     10      BASF                        8           .          -2               2,96                 2,89             .        -0,07

     11      Evonik                      15          n          4                3,05                 3,10             m         0,05

     12      Bayer                       5           !          -7               3,06                 2,69             !        -0,38

     13      Symrise                     12          .          -1               3,19                 2,95             .        -0,24

     14      Clariant                    16          m           2               3,22                 3,16             .        -0,06

     15      B. Braun Melsungen          13          .          -2               3,28                 3,02             !        -0,26

     16      Shell                       10          !          -6               3,30                 2,93             !        -0,37

     17      LyondellBasell              17          ,           0               3,33                 3,31             .        -0,02

     18      Daiichi Sankyo              19          m           1               3,47                 3,53             m         0,06

     19      Heraeus                     21          m           2               3,55                 3,69             n         0,14

     20      Henkel                      18          .          -2               3,66                 3,38             !        -0,28

     21      Sanofi Aventis              22          m           1               3,76                 3,94             n         0,18

     22      Axalta Coating Systems      24          m           2               3,88                 4,21             n         0,33

     23      Celanese                    20          !          -3               3,90                 3,59             !        -0,31

             Durchschnitt                                                        2,99                 2,98             .        -0,01

Bei der Veränderung der Ränge im Vergleich zum Vorjahr ist zu berücksichtigen, dass durch das Ausscheiden von H.C. Starck (Platzierung
2018: Rang 23) ein Unternehmen weniger im Ranking vertreten ist als 2018.
Legende
    Drei deutlichste Rang- und Notenverbesserungen                    , Keine Veränderung
    Drei deutlichste Rang- und Notenverschlechterungen                . Verschlechterung um bis zu zwei Ränge/ein Notenzehntel (0,1)
n   Verbesserung um mindestens drei Ränge/ein Notenzehntel (0,1)      !	
                                                                        Verschlechterung um mindestens drei Ränge/ein Notenzehntel (0,1)
m   Verbesserung um bis zu zwei Ränge/ein Notenzehntel (0,1)

                                                                                                     VAA MAGAZIN AUGUST 2019            15
Frauen
VAA

     Themen mit der besten Bewertung                                                                  Tops (r) und Flops (i)
                                                                                                      Unternehmensranking 2019 2018
                                  Kenntnis der Geschäftsstrategie                 2,2
     Kenntnis der Geschäftsstrategie                                                                  Solvay                     8    14     r

                                                                                                      Lanxess                    6    11     r
     Ausgestaltung der Sozialleistungen
                              Ausgestaltung der Sozialleistungen                  2,3
                                                                                                      Evonik                    11    15     r
     Häufigkeit von Mobbingfällen
                             Häufigkeit von Mobbing-Fällen                           2,4
                                                                                                      Roche Diagnostics          9       6   i

     Verkörperung persönlicher Verkörperung persönlicher
                               Werte durch das           Werte
                                                Unternehmen                                           Celanese                  23    20     i
                                                                                         2,5
                                 durch das Unternehmen
                                                                                                      Bayer                     12       5   i
     Klima im persönlichen Arbeitsumfeld
                              Klima im persönlichen Arbeitsum-                           2,5               Frauen
                                 feld

     Themen mit der schlechtesten Bewertung                                                         Datenbasis
                                                                                                     Versandte Fragebögen            10.014
     Gerechtigkeit der Arbeitsverteilung auf die Mitarbeiter                            3,5
                                                                                                     Zurückgesandte Fragebögen       3.074
                                                                                                     30,7 % (Vorjahr: 32,9 %)
                                                                                        3,5
     Offenheit der Problemdiskussion im Unternehmen                                                  Ausgewertete Fragebögen         3.048
                                                                                                     30,4 % (Vorjahr: 32,4 %)
                                                                                        3,6
     Ehrlichkeit des Zielvereinbarungssystems

                                                                                         3,7
     Kommunikation der Karrierechancen
                                                                                                              Weitere Informationen
                                                                                                              zur Umfrage gibt es auf
                                                                                              3,9
     Qualität der Personalentwicklung                                                                         der Mitgliederplattform
                                                                                                              MeinVAA.

     Die höchsten Rücklaufquoten                                             Wertungen in den Kategorien
      Lanxess                                                       44,4 %
      Celanese                                                      42,4 %    Kategorie (Mittelwerte)                  2019              2018
      Schott                                                        42,0 %    Persönliche Befindlichkeit               2,75              2,68
      BASF                                                          36,4 %    Unternehmensstrategie                    2,86              2,78
      Wacker                                                        36,0 %    Unternehmenskultur                       3,01              3,01
      Axalta Coating Systems                                        35,4 %    Motivation                               3,06              3,04
      Covestro                                                      34,0 %    Arbeitsbedingungen                       3,13              3,18
      Clariant                                                      33,4 %
      Solvay                                                        33,3 %   Hinweis: Die Wertungen der einzelnen Unternehmen in den fünf
      Symrise                                                       32,2 %   Kategorien finden eingeloggte Mitglieder unter mein.vaa.de.

16     VAA MAGAZIN AUGUST 2019
VAA

                                                                                                                       Foto: sanjeri – iStock

INTERVIEW MIT DR. DANIELE BRUNS UND DR. RALF HEUPEL

Gute Führung: „Einfach auch
mal Danke sagen“
Um Stellung zu beziehen, hat der Führungskreis des Verbandes Positionen zu zentralen, für VAA-Mitglieder relevanten
Zukunftsthemen erarbeitet: von der Arbeitszeit und den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt über das Entgelt
bis hin zum lebensphasenorientierten Arbeiten und zum mobilen Arbeiten. An der Entwicklung der Position „Gute Führung“
war die VAA-Kommission Führung maßgeblich beteiligt. Im Interview mit dem VAA Magazin sprechen Dr. Daniele Bruns,
2. Vorsitzende des VAA und betreuendes Vorstandsmitglied der Kommission, und der Kommissionsvorsitzende Dr. Ralf Heupel
über Ehrlichkeit, Zeit für Führung und die Herausforderung, Mitarbeitern die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit zu vermitteln.

VAA Magazin: Sie sind beide erfahrene Füh-     gute Führungskraft sollte die Mitarbeiter       zeugt, dass dieser Aspekt sehr wesentlich ist,
rungskräfte. Welche Eigenschaften braucht      mitnehmen und zum Denken anregen, so-           damit die Mitarbeiter verstehen, welchen
eine gute Führungskraft?                       dass sie eigene Ideen entwickeln können.        Teil am Unternehmenserfolg sie beisteuern.
                                               Und sich somit auch den Weg, wie sie ihre
Bruns: Mir ist vor allem die Vorbildfunktion   Ziele erfüllen, selbst ausdenken und erarbei-   Heupel: Der Punkt Wertschätzung gehört
wichtig. Man darf nicht von anderen etwas      ten. Um die Leute mitzunehmen, muss man         aus meiner Sicht unbedingt dazu. Ein-
fordern, was man selbst nicht vorlebt. Man     die Sinnhaftigkeit der Arbeit vermitteln. Das   fach auch mal Danke sagen. Das Teilen
muss ehrlich sein und klare Ziele formulie-    läuft heute unter dem englischen Schlagwort     von Informationen und das Erklären von
ren, dabei aber nicht eins zu eins vorgeben,   purpose. Der Begriff ist im Moment sehr in      Entscheidungen halte ich ebenfalls für
wie diese Ziele erreicht werden sollen. Eine   Mode. Ich bin aber wirklich fest davon über-    sehr wichtig. u

                                                                                                        VAA MAGAZIN AUGUST 2019           17
VAA

Man sollte seinen Mitarbeitern vertrauen         sollte sich auch nicht jeder zwingen, unbe-     geschäft häufig vorgeht. Aber wenn man
und neben Orientierung auch Freiräume ge-        dingt Führungskraft werden zu wollen, um        sich eine gewisse Zeit am Tag oder auch am
ben. Man muss ansprechbar sein, Zeit für         die Karriereleiter aufzusteigen. Es gibt        Ende der Woche reserviert und sagt: Es ist
Kollegen und Mitarbeiter haben, um zuzu-         auch Aufstiege außerhalb einer Linien-          mir jetzt wichtiger als die täglichen opera-
hören. Insgesamt finde ich das Motto „mit        funktion, zum Beispiel in der Projektarbeit     tiven Aufgaben, Führung zu leben und für
gutem Beispiel vorangehen“ zeitlos und           oder auf anderen Wegen. Wenn man eigent-        Mitarbeiter Zeit zu haben, dann wird man
sehr empfehlenswert. Allerdings können al-       lich gar keine Lust hat, intensiv mit Men-      das auch schaffen. Es sind natürlich auch
lein diese eigentlich einfachen Dinge in der     schen zusammenzuarbeiten, sie zu führen         die Unternehmen gefordert, den Führungs-
Gesamtheit durchaus eine Anforderung             und anzuleiten, sollte man ehrlich zu sich      kräften Zeit zu geben. Da kommen wir zu
sein, die in der heutigen Arbeitswelt mitun-     selbst sein und sagen: Ich möchte lieber ei-    den Personalführungssystemen. Dort sollte
ter schwer zu erreichen ist. Und es gibt noch    nen anderen Weg gehen.                          der Begriff Führung erscheinen. Dass im
einiges mehr, das heutigen Führungskräf-                                                         Rahmen der Zielerreichung auch Zeit für
ten abverlangt wird.                             Heupel: Ich sehe das ähnlich wie Daniele        Führung eingeräumt wird und es auch ent-
                                                 Bruns. Es gibt sicherlich geborene Füh-         sprechend bewertet und honoriert wird, wie
VAA Magazin: Der Begriff Ehrlichkeit ist         rungspersönlichkeiten. Aber man kann            man als Führungskraft Führung lebt. Denn
gerade gefallen. Sitzt man als Führungs-         und muss Führungskompetenzen auch er-           eine auf gute Führung ausgerichtete Unter-
kraft nicht manchmal auch zwischen ver-          lernen – im Laufe der Karriere, immer           nehmenskultur ist heutzutage absolute
schiedenen Stühlen und hat es schwer, kon-       wieder. Das ist auch schon deshalb ange-        Pflicht.
sequent ehrlich zu sein?                         zeigt, weil das Bild der Führungskraft im
                                                 Lauf der Zeit Veränderungen unterliegt.         Bruns: Das ist eine Frage der Priorisierung,
Bruns: Ehrlich kann man immer sein. Ich          Fachkompetenzen besitzen sicherlich auch        da bin ich bei Dir. Eine Führungskraft muss
würde da unterscheiden zwischen Ehrlich-         heute noch ihren Stellenwert, aber ergänzt      in der Lage sein, über ihr Zeitkontingent
keit und Offenheit. Natürlich kann ich nicht     durch Führungskompetenzen, die häufig           selbst zu bestimmen, zu priorisieren und
jedem immer alles sagen und muss viel-           im kommunikativen Bereich liegen. Wei-          sich die Zeit zu nehmen. Ich kann mir nicht
leicht auch mal sagen: Darüber kann ich im       terbildungs- und Coachingprogramme              vorstellen, dass in irgendeinem Unterneh-
Moment noch nicht sprechen. Aber ich             können da hilfreich sein, aber manche Din-      men von oben heruntergesagt wird: Du re-
kann und sollte ehrlich sein. Wenn man un-       ge kann man auch auf einen kurzen Nenner        dest zu viel mit deinen Mitarbeitern. Ich
ehrlich ist, kommt das immer irgendwann          bringen und sie sich regelmäßig in Erinne-      denke da an die Arbeitszeitdiskussionen,
heraus. Und das kriegen Mitarbeiter und          rung rufen, sei es durch einen Zettel an der    die wir zum Teil mit den Leitenden führen.
Kollegen ganz schnell mit. Dadurch verliert      Wand oder einen elektronischen Reminder.        Wer wirklich leitender Angestellter sein
man dann an Glaubwürdigkeit.                     Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Ein-       will, muss in der Lage sein, sich die Ar-
                                                 fach mal zuhören! Das sollte jede Füh-          beitszeit so einzuteilen, wie es erforderlich
VAA Magazin: Vorbildliches und wertschät-        rungskraft beherzigen.                          ist.
zendes Verhalten, Ehrlichkeit, sich Zeit
nehmen: Solche Dinge kann man gezielt            VAA Magazin: Es wurde bereits vorhin an-        Heupel: Es ist sicherlich prinzipiell nicht
beherzigen. Kann man gute Führung also           gesprochen, wie wichtig es ist, sich Zeit zu    sinnvoll, wenn seitens des Unternehmens
lernen?                                          nehmen. Hat man denn als Führungskraft          vorgegeben wird, wie viel Zeit für Führung
                                                 selbst dafür die Zeit?                          verwendet werden soll. Aber viele Unter-
Bruns: Ich denke, bis zu einem gewissen                                                          nehmen bewerten in den Personalfüh-
Maß muss man das schon mitbringen. Man           Heupel: Da vertrete ich leidenschaftlich die    rungs- oder Leistungsbewertungssystemen
kann daran feilen und gewisse Methoden           Einstellung, dass man für dringende und         neben den sogenannten Fachkompetenzen
stärken. Aber wenn man überhaupt nicht           wichtige Dinge einfach Zeit hat. Sich diese     auch die Führungskompetenzen. Interes-
zur Führungskraft geeignet ist, wird man         Zeit aktiv zu nehmen, ist mitunter im Ar-       santerweise sind viele Unternehmen dazu
es – so glaube ich – auch nicht lernen. Es       beitsalltag sehr schwierig, weil das Alltags-   übergegangen, die Gewichtung von Unter-
                                                                                                 nehmens- oder Divisionszielen im Ver-
                                                                                                 gleich zu den individuellen Zielen stärker
     VAA-Position zu Guter Führung in Kürze                                                      zu machen. Das finde ich in puncto Füh-
                                                                                                 rung und Teamgedanke interessant. Denn
     •     Gute Führung ist essenziell für unternehmerischen Erfolg und Voraussetzung            die alten Systeme haben doch häufig so
           für gesunde, motivierte und teamfähige Mitarbeiter.                                   eine Art Ellenbogenmentalität gefördert.
     •     Gute Führung zeichnet sich durch klare Vorgaben, aber auch einen                      Es gibt einen deutlichen Trend hin zu mehr
           respektvollen und wertschätzenden Umgang aus.                                         Teamdenken.
     •     Gute Führung erfordert berechenbares Handeln und eine Vertrauenskultur,
           die auf allen Ebenen konsequent gelebt wird. Unternehmen und                          VAA Magazin: Sie haben die Veränderung
           Führungskräfte sind hier gemeinsam gefordert.                                         der Zielvereinbarungssysteme angespro-
                                                                                                 chen. Hat sich Führung in den vergange-

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        Dr. Daniele Bruns ist 2. Vorsitzende des VAA und betreuendes Vorstandsmitglied der VAA-Kommission Führung. Bis zum Ende ihrer
       beruflichen Tätigkeit in diesem Jahr war sie bei der Merck KGaA Leiterin Sicherheit und Umwelt und stellvertretende Vorsitzende des
   Sprecherausschusses. Dr. Ralf Heupel (Bildmitte) ist Vorsitzender der VAA-Kommission Führung und arbeitet im Management der Bayer
  AG. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Sprecherausschusses der Bayer AG am Standort Leverkusen/Monheim und Vorsitzender des
    Arbeitskreises Führung im Bayer-Konzernsprecherausschuss. Im Interview mit VAA-Redakteur Christoph Janik sprachen beide über die
                                                              Herausforderungen guter Mitarbeiterführung. Foto: Dr. Torsten Glinke – VAA

nen Jahrzehnten auch in anderen Aspek-        vermitteln. Das gewinnt zunehmend an Be-        Bruns: Meiner Meinung nach war von An-
ten verändert?                                deutung und trägt auch dem Wertewandel          fang an ein sehr großer Konsens vorhanden.
                                              in der Gesellschaft Rechnung – der Begriff      Natürlich haben wir einen gewissen Fin-
Heupel: In einer komplexer werdenden          purpose ist vorhin bereits gefallen.            dungsprozess durchlebt und mussten uns erst
Arbeitswelt verändert sich auch der An-                                                       einmal sammeln, bis wir dann auch gute For-
spruch an Führung. Die alten, vor allem       Bruns: Ich bin mir nicht so sicher, ob sich     mulierungen zusammengebracht haben.
auf Weisungen fokussierten Führungssti-       bis dato schon so viel geändert hat. Aber       Aber es ging von Anfang an in die gleiche
le sind überholt und heute so auch gar        ich stelle zumindest einen Trend fest, dass     Richtung und jeder hat aus seinem Erfah-
nicht mehr möglich. Heute sind differen-      sich etwas ändert und auch ändern muss.         rungsschatz etwas anderes mitgebracht.
zierte Führungsstile gefragt, bis hin zum     Das streng hierarchische Denken, wie wir
sogenannten situativen Führen: Ein Ver-       es teils noch erlebt haben, wird mit Sicher-    Heupel: In der Kommission sind Führungs-
halten einer Führungskraft mag in gewis-      heit immer weniger werden und werden            kräfte aus verschiedensten Unternehmen
sen Situationen angebracht sein und zum       müssen.                                         versammelt. Und die Historie, die gegen-
Ziel führen, in anderen Situationen ist ein                                                   wärtige Situation und Kultur in den einzel-
anderes Führungsverhalten unter Umstän-       VAA Magazin: Die VAA-Kommission Füh-            nen Unternehmen ist natürlich unterschied-
den sinnvoller.                               rung war maßgeblich daran beteiligt, die        lich. Für mich war es sehr interessant, dass
                                              Position des Verbandes zu Guter Führung         wir trotz dieser Unterschiede einen breiten
In dem heutzutage sehr wechselhaften Um-      zu entwickeln. Lagen die Meinungen inner-       Konsens zum Thema Führung hatten. In
feld, in dem die Vorhersagbarkeit geringer    halb der Kommission zu diesem Thema an-         vielen Einzelheiten, aber auch in der Ge-
geworden ist – Stichwort VUCA-Welt:           fangs weit auseinander oder gab es von An-      samtaussage: Führen ist heute wichtiger
VUCA steht im Englischen für volatility,      fang an einen breiten Konsens?                  denn je! ¢
uncertainty, complexity und
ambiguity – in so einem Um-
feld sollte eine Führungskraft
Orientierung geben können.                                      Eine ausführliche Fassung des Interviews mit
Also selbst in der Lage sein,                                   Dr. Daniele Bruns und Dr. Ralf Heupel steht
mit Ungewissheiten umzuge-
                                                                eingeloggten VAA-Mitgliedern auf der Mitgliederplattform
hen, aber dennoch Klarheit in
der Führung auszustrahlen.                                      MeinVAA unter mein.vaa.de zur Verfügung.
Und den Mitarbeitern die
Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu

                                                                                                      VAA MAGAZIN AUGUST 2019          19
VAA

MITBESTIMMUNG

VAA bei Sanofi: Neuer
Schwung im Betriebsrat
Von Timur Slapke

Bei den Betriebsratswahlen in den Chemie- und
Pharmaunternehmen haben die Kandidaten des VAA
im letzten Jahr ein Rekordergebnis eingefahren und
insgesamt 253 Mandate gewonnen. Einen starken,
themenbezogenen und kämpferischen Wahlkampf hat auch
die VAA-Liste bei der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH geführt.
Mit Erfolg: Die Zahl der Sitze im Betriebsrat am Standort Höchst
konnte von drei auf fünf ausgebaut werden. Wie sieht die Bilanz nach
einem Jahr Arbeit im erneuerten Gremium aus? Im VAA Magazin erklärt
die Truppe um den langjährigen und nunmehr freigestellten Betriebsrat
Dr. Michael Friedrich, warum sich der Einsatz voll gelohnt hat und
welche Hürden es noch zu nehmen gilt.

Im Bürogebäude K607 bei Sanofi in Höchst ist auch der Betriebsrat angesiedelt.
Foto: Martin Joppen – Sanofi

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VAA

Wie verpasst man einem Betriebsrat eine         eur und zur Verfahrensingenieurin wird           Bei Sanofi-Aventis Deutschland sorgt der
Frischzellenkur? Ganz einfach: Indem            ein breiteres Spektrum abgedeckt als noch        VAA im Betriebsrat für frischen Wind,
man mehr VAA-Kandidaten ins Gremium             bei den vorletzten Betriebsratswahlen            auch weil innerhalb der Fraktion der Zu-
wählt und die Interessen der außertarifli-      2014. „Diesmal hat der VAA tendenziell           sammenhalt stimmt. „Das war im Vorfeld
chen Mitarbeiter besser zur Geltung             mehr Betriebsräte aus anderen Betriebs-          der Wahlen von 2014 so noch nicht der
bringt. So ähnlich haben es sich wohl die       teilen als Forschung und Entwicklung“,           Fall“, blickt Michael Friedrich selbstkri-
meisten der rund 1.300 AT-Angestellten          erklärt Jan Glauder. „Je mehr unterschied-       tisch zurück. „Wir haben früher weniger
bei der Sanof i-Aventis Deutschland             liche Bereiche vertreten sind, desto mehr        als gemeinsame Fraktion agiert, sondern
GmbH im Industriepark Höchst gedacht            Wählerpotenzial gibt es.“ Man sei nun in         eher als Einzelpersonen.“ Man habe sich
und der VAA-Liste bei den Betriebsrats-         der Tiefe viel besser besetzt und könne so       oft nur bei der Betriebsratssitzung gese-
wahlen 2018 damit 14 Prozent aller Wäh-         mehr erreichen.                                  hen, weswegen wenig Zeit für den Aus-
lerstimmen beschert. „An dem Abend war                                                           tausch blieb. „Das ist jetzt seit einem Jahr
ich völlig geplättet“, gibt Dr. Michael         Neu zur Fraktion gehört Dr. Ulrike Sent,         viel besser geworden.“
Friedrich offen zu. „Ich hatte mit vier Sit-    deren CHC-Unternehmensteil vor drei
zen gerechnet und wir haben fünf gewon-         Jahren von Boehringer Ingelheim zu Sa-           Einer der Gründe für die Fortschritte in der
nen, nachdem wir vorher drei Sitze inne-        nofi übergegangen ist. Aus ihrer Sicht           neuen Legislaturperiode: Während die
hatten.“ Warum ist das so wichtig? „Weil        auch ein wichtiger Faktor für das gute           VAA-Fraktion nach der letzten Wahl aus
wir mit fünf Sitzen ein Siebtel der 35 Sit-     Wahlergebnis des VAA. „Wir bei CHC               zwei Neulingen und nur einem erfahrenen
ze haben und damit in allen wichtigen           sind fast ausschließlich Akademiker und          Betriebsratsmitglied bestand, sind diesmal
Ausschüssen drin sind. Beim letzten Mal         konnten hier als AT-Angestellte für den          schon drei Erfahrene dabei, die den Betrieb
waren wir in nur sechs Ausschüssen ver-         Betriebsrat kandidieren und ihn mitwäh-          und das Gremium gut kennen. Über die
treten, nun in 15 Ausschüssen.“ Man muss        len.“ Und ein „zwangsweiser Merger“ von          Landesgruppe Hessen und die VAA-Ver-
also nicht um Ausschusssitze „betteln“,         einem Familienunternehmen zu einem               anstaltungen für Betriebsräte pflegen die
sondern ist automatisch dort, wo die ei-        DAX-Konzern komme bei der Beleg-                 Sanofi-Betriebsräte außerdem einen guten
gentliche inhaltliche Arbeit stattfindet.       schaft selten gut an. Schon bei Boehringer       Austausch zu Betriebsräten aus anderen
                                                hat sich Ulrike Sent im Betriebsrat und in       Unternehmen der Branche. „Der wichtig
Bei Sanofi ist Michael Friedrich ein Be-        der VAA-Werksgruppe engagiert. „Bei              ist für unsere Arbeit“, ergänzt Ulrike Sent.
triebsratsurgestein. Schon seit Anfang der      Sanofi wollte ich die Interessen der Mit-
1990er Jahre hat sich der Humanmedizi-          arbeiter meines Unternehmensteils in ei-         Mitgestaltung statt Machtkampf
ner bei der damaligen Hoechst AG im Be-         nem neuen Umfeld vertreten, um mitzu-
triebsrat engagiert. Aber selten hat er als     spielen.“ Man lerne durch das Engage-            Nach wie vor ist die VAA-Fraktion im Ver-
„alter Hase“ so viel Begeisterung wie jetzt     ment persönlich eine ganze Menge, findet         gleich zur IG BCE in der Minderheit, aller-
gespürt. Ein weiterer Vorteil durch die         die Tiermedizinerin. „Man lernt ein Un-          dings wird die Stimme der AT-Angestell-
fünf gewonnenen Sitze im Betriebsrat ist        ternehmen ganz anders und viel schneller         ten gehört. „Wir haben zwar keine Mehr-
für die VAA-Liste eine volle Freistellung,      kennen und ist dabei gleich viel besser          heit, aber wir sind dabei und können unse-
die Friedrich übernommen hat. „Für mich         vernetzt.“                                       re Meinung einbringen“, so Michael Fried-
als 61-Jährigen ist diese Tätigkeit als frei-                                                    rich. „Es geht uns nicht um Macht, sondern
gestellter Betriebsrat ein hervorragender       Erfolg durch gemeinsames Mandat                  um Mitgestaltung.“ Auch Jan Glauder ist
Abschluss meiner beruflichen Laufbahn.“                                                          sich sicher: „Unsere AT-Kompetenz wird
Das ehemalige Mitglied des VAA-Bun-             Um vernetzt zu sein, braucht es regelmäßi-       geschätzt. Man darf nicht vergessen, dass
desvorstands vertritt den VAA außerdem          gen Austausch. Das haben sich die VAA-           bei unserem Wählerpotenzial noch viel
im Gesamtbetriebsrat. Sein Kollege Dr.          Betriebsräte in Frankfurt-Höchst als abso-       Luft nach oben ist.“ Der Chemiker ist seit
Jan Glauder bestätigt die Vorzüge einer         lutes Ziel gesetzt. „Wir treffen uns alle zwei   2018 Betriebsratsmitglied und arbeitet seit
Freistellung: „Normalerweise nimmt für          Wochen und tauschen uns aus, damit alle          zwölf Jahren am Standort. Im VAA enga-
uns die Betriebsratsarbeit zwischen 20          vollumfänglich informiert sind“, berichtet       giert sich Glauder seit 2013.
und 30 Prozent unserer Zeit in Anspruch.        Jan Glauder. Außerdem gibt es offene Tref-
Bei einer Freistellung haben wir auf einen      fen, zu denen Nachrücker und Interessenten       Sowohl im Betriebsrat selbst als auch in den
Schlag gefühlt drei Personen mehr für die       der VAA-Liste kommen. „Der ständige Er-          Ausschüssen läuft die Zusammenarbeit der
Betriebsratsarbeit.“                            fahrungsaustausch über die Ausschussar-          VAA-Betriebsräte mit der IG BCE gut. „Wir
                                                beit und VAA-relevante Entscheidungen ist        werden als gleichberechtigter Partner auf
In der neuen VAA-Betriebsratsfraktion           sinnvoll, um unser gemeinsames Mandat            Augenhöhe wahrgenommen und unsere
zeigt sich die Stärke gemischter Teams,         erfolgreich wahrzunehmen“, betont Ulrike         Mitarbeit läuft konstruktiv“, stellt Ulrike
die unterschiedliche Unternehmensteile          Sent. Sie verstehe das Mandat deshalb als        Sent fest. Dabei stehe ohne Frage für das ge-
und Berufsgruppen repräsentieren: Vom           gemeinsames, weil es die Interessen aller        samte Gremium das Wohl aller Mitarbeiter
Chemiker über den Humanmediziner und            AT-Mitarbeiter, aber auch aller Mitarbeiter      im Vordergrund. „Ich nehme auch bei Be-
die Tierärztin bis zum Wirtschaftsingeni-       am Standort vertrete.                            triebsbegehungen in der Produktion mit u

                                                                                                         VAA MAGAZIN AUGUST 2019           21
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meinem Ausschuss teil und kümmere              der Sanofi-Betriebsrat an seine Kapazitäts-     Michael Friedrich, der sich schon jahrzehn-
mich um die Verbesserung der Arbeitsbe-        grenzen. „Unser Unternehmen ist momen-          telang ehrenamtlich engagiert. Friedrich
dingungen.“ Auf allen Betriebsversamm-         tan sehr initiativ und strukturiert viel um“,   hat neben seinem Betriebsratsmandat auch
lungen sind die VAA-Betriebsräte dabei,        weiß Betriebsratsveteran Friedrich zu be-       einen Sitz im Aufsichtsrat inne. „Ich kann
um ihre Flyer zu aktuellen Themen und          richten. Durch neue Projekte und Verände-       für mich sagen: Man lernt unheimlich viel
Broschüren zu verteilen. „Da stehen alle       rungen sind immer häufiger mehrere Aus-         Neues durch das Betriebsratsmandat ken-
Fraktionen und tauschen sich partner-          schüsse gleichzeitig betroffen, sodass die      nen und lernt persönlich, aber auch juris-
schaftlich aus.“                               Betriebsratsarbeit immer zeitaufwendiger        tisch und betriebspolitisch wahnsinnig viel
                                               wird. „Daher müssen wir künftig noch            dazu.“ Man müsse aber schon Rückgrat ha-
Betriebsratsarbeit ist komplex. Zunächst       stärker daran arbeiten, dass die einzelnen      ben und die entsprechende Einstellung an
delegiert das aus 35 Mitgliedern bestehen-     Ausschüsse themenspezifisch zusammen-           den Tag legen. „Wenn ich etwas als unge-
de Gremium die einzelnen Themen an die         arbeiten“, mahnt Friedrichs Kollege Jan         recht empfinde, dann muss ich das auch
Ausschüsse. Diese bearbeiten die Themen        Glauder.                                        ansprechen. Das war bei mir schon zu Stu-
und geben eine Entscheidungsempfehlung                                                         dienzeiten so.“
an den Betriebsrat zurück. Es erfordert viel   Bei ihrem Engagement müssen die Be-
Geduld, Schweiß und Hirnschmalz, bis die       triebsratsmitglieder immer wieder neu ab-       Was falsch ist, muss benannt werden – das
Empfehlungen aus den Ausschüssen ans           wägen, ob der eigene Job oder die Betriebs-     ist die passende Einstellung für die Be-
Gesamtgremium fertiggestellt sind. Aber        ratsarbeit Priorität hat. Jan Glauder klärt     triebsratstätigkeit. Beispielsweise kommen
die Arbeit hört nicht etwa mit den Be-         auf: „Wir entscheiden frei, wie wir die not-    zu den Sitzungen des Wirtschaftsaus-
schlüssen auf. „Wir begleiten die Projekte     wendigen rund 30 Prozent an Arbeitszeit         schusses stets auch Mitglieder der Ge-
auch weiter und prüfen die Umsetzung“,         für den Betriebsrat einteilen. Manchmal         schäftsführung – nicht zuletzt, weil sie
erläutert Ulrike Sent. Weil viele Betriebs-    geht das aber nicht, ohne dass Arbeit abge-     selbst dort manche Dinge früher erfahren
vereinbarungen standortübergreifend gel-       geben wird.“ Im Einzelnen hänge es häufig       als auf dem normalen Dienstweg. Jan
ten, müssen sie im Gesamtbetriebsrat ver-      am konkreten Vorgesetzten, inwieweit            Glauder ist wie Friedrich ein Freund des
handelt werden. „Umso besser, dass wir         Dinge ausgefochten werden müssen. Bei           offenen Wortes: „Man muss auch dann den
durch Michael Friedrichs Sitz im Gesamt-       ihm selbst habe sich das mittlerweile recht     Mund aufmachen können, wenn der CEO
betriebsrat noch zeitiger über wichtige Plä-   gut eingependelt. „Doch gerade für jünge-       des Unternehmens auftaucht. Ohne dass
ne und Absichten des Unternehmens infor-       re Betriebsratsmitglieder ist es leider im-     man miteinander spricht, lassen sich keine
miert werden und früher auf die Umset-         mer noch so, dass ein solches Engagement        Probleme lösen.“
zung neuer Strategien im Unternehmen           einen Karriereknick bedeutet – zumindest
Einfluss nehmen können.“                       temporär.“                                      Was sind die Hauptprobleme bei Sanofi
                                                                                               aus Sicht der VAA-Betriebsratsvertreter?
Kapazitäten werden knapp                       Es ist ein altes Problem: Leidet die Attrak-    Für Jan Glauder gehören die über Jahre
                                               tivität des Jobs unter der Attraktivität der    niedrigen Gehaltserhöhungen von etwa ei-
Bei allen Bemühungen gibt es auch große        Betriebsratsarbeit? „Das ist eine Frage, die    nem Prozent für die AT-Mitarbeiter zu den
Herausforderungen. Denn so langsam stößt       jeder für sich beantworten muss“, findet        drängendsten Problemen der VAA-Wähler.
                                                                                               „Für uns ist dies eine Verpflichtung, hier
                                                                                               auch zu liefern. Wir sind bei diesem The-
                                                                                               ma eine Art Influencer.“ Letztlich profi-
                                                                                               tiert auch das Unternehmen von konkur-
                                                                                               renzfähigen Gehältern für den AT-Be-
                                                                                               reich, da nur so die Attraktivität des Un-
                                                                                               ternehmens als Arbeitgeber für wirklich
                                                                                               gute und hoch qualifizierte Mitarbeiter be-
                                                                                               stehen bleibt. „Nur wenn wir überdurch-
                                                                                               schnittlich gute AT-Mitarbeiter haben,
                                                                                               kann der Standort überleben“, bringt es
                                                                                               Glauder auf den Punkt. „Hier ist die VAA-
                                                                                               Einkommensumfrage ein sehr nützliches
                                                                                               Instrument, um der Geschäftsführung un-
                                                                                               ser Anliegen näherzubringen.“ Die Ergeb-
                                                                                               nisse zeigen: Am Standort Höchst wird die
                                                                                               naturwissenschaftlich geprägte Klientel
		                 Mit dem Slogan „Mitbestimmen, mittendrin, VAA“ haben die VAA-               eindeutig vernachlässigt. „Wir bewegen
		                 Kandidaten nicht nur bei Sanofi, sondern auch in zahlreichen anderen        uns schon seit Jahren am unteren Ende des
		                 Unternehmen Erfolge bei den Betriebsratswahlen 2018 feiern können.          Branchenvergleichs.“

22   VAA MAGAZIN AUGUST 2019
VAA

    Zu den Betriebsratswahlen bei Sanofi-Aventis im März 2018 ist der VAA mit einer starken Liste angetreten. 1. Reihe (von links): Dr. Ulrike
           Sent, Dr. Michael Friedrich, Dr. Sigrid Gonski, Dr. Otto Funk. 2. Reihe: Winfried Heyse, Dr. Jan Glauder, Andreas Corell, Dr. Harald
                           Weigmann. 3. Reihe: Dr. Klaus Lindauer, Dr. Mandy Mohnicke, Dr. Frank-Rainer Schmidt. Foto: Moritz Leick – VAA

Nicht meckern, mitbestimmen!                     Was ist die Alternative? Engagement, und        den VAA noch mehr in die Betriebsratsar-
                                                 zwar im VAA – so sehen es die Sanofi-Be-        beit einbinden. „Wir haben schon viele alte
Ebenfalls seit Jahren – 38 sind es mittlerwei-   triebsräte des VAA. Denn gerade in den          Zöpfe abgeschnitten und schauen optimis-
le – engagiert sich Winfried Heyse am Stand-     letzten Jahren habe sich beim VAA selbst        tisch nach vorn“, fasst Ulrike Sent zusam-
ort Höchst, zuerst bei der Hoechst AG, an-       vieles verbessert, stellt Ulrike Sent fest.     men. Den Blick in die Zukunft gerichtet,
schließend in den Nachfolgeunternehmen.          „Die fachliche Unterstützung bei der Ge-        schlägt Winfried Heyse eine Brücke zu den
Bei der letzten Betriebsratswahl hat der Di-     staltung und redaktionellen Begleitung von      bereits erzielten Erfolgen: „Wir haben das
plom-Ingenieur mit der VAA-Liste einen Sitz      Flyern und Plakaten ist wirklich sehr gut.“     Ansehen der AT-Mitarbeiter in den letzten
im Sanofi-Betriebsrat gewonnen. „Ich bin         Das sieht Sents Fraktionskollege Glauder        Jahren erheblich verbessern können. Wir
1997 im Zuge der großen Umstrukturierun-         genauso: „Durch die Hilfe der VAA-Ge-           werden sichtbarer und können uns auch
gen bei uns im damaligen Unternehmen in          schäftsstelle haben wir einen viel besseren     trauen, sichtbar zu werden.“ Jan Glauder
den VAA eingetreten.“ Seit 2001 ist Heyse        und professionelleren Wahlkampf geführt         pflichtet ihm bei: Man werde viel häufiger
AT-Angestellter und hat es seitdem hautnah       und konnten uns so gut präsentieren wie         erkannt und angesprochen als früher. „Die
mitbekommen, wie schwierig es ist, die eige-     noch nie zuvor.“                                Leute wissen: Als Betriebsratsmitglieder
nen Kollegen zum Engagement zu ermun-                                                            kümmern wir uns darum, die Situation al-
tern. „Aber nur herumzumeckern und nichts        Auch weiterhin wollen die Betriebsräte der      ler Mitarbeiter zu verbessern, egal ob AT
zu machen, ist keine Alternative.“               VAA-Liste Präsenz bei Sanofi zeigen und         oder Tarif.“ ¢

                                                                                                          VAA MAGAZIN AUGUST 2019           23
VAA

Sophia von Rundstedt ist Geschäftsführerin der gleichnamigen Outplacement-Beratung und Kooperationspartner des VAA. Die Volljuristin
ist Mitglied im Verband „Die Familienunternehmer – ASU“ und engagiert sich bei den „Working Moms“ für eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Karriere. Im Oktober 2018 wurde Sophia von Rundstedt mit dem Preis „Erfolgreiche Frauen im Mittelstand“ ausgezeichnet.
Foto: von Rundstedt

KOOPERATIONEN

Berufliche Neuorientierung:
Outplacement als Chance
Von Sophia von Rundstedt

Die Wirtschaft verändert sich rasant: Restrukturierungen und Unternehmenszusammenschlüsse sind an der Tagesordnung. In
der Folge ändert sich der Personalbedarf. Neue Stellenprofile und Personalabbau sind häufig die Folge. Damit werden
Arbeitgeberwechsel und Kündigungen zur Normalität. Eine Outplacement-Beratung verwandelt auch eine unfreiwillige
berufliche Neuorientierung in eine Chance.

Arbeitgeber bieten Fach- und Führungs-        derungen oft eine Beratung zur berufli-       Outplacement-Beratung. Auch wenn Be-
kräften im Zuge großer personeller Verän-     chen Neuorientierung an: die sogenannte       schäftigte nicht direkt ein entsprechendes

24   VAA MAGAZIN AUGUST 2019
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