Verhärtete Fronten - Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Nr. 11 November 2020 73. Jahrgang Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein Verhärtete Fronten Wie soll die Standespolitik mit Ärzten umgehen, die die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterlaufen? Die Ärztekammer holt Standespolitk und Wissenschaft an einen Tisch. Seiten 8-13
E N T A K T IE R E N S IE U N S F Ü R E IN E IM N O R D E N E R R E IC H E N . K O L A T T E R S C H E IN T. L L E Ä R Z T CHE N Ä R Z T E B E IG E A IG -H O L S T E IN IS M IT E IN E R A N Z D IM S C H L E S W IG E , D IE IM H AMBURGER UN ANZE Fotos: axelbueckert / photocase.de · FloKu. / photocase.de Bismarckstr. 2 | 20259 Hamburg | fon (040) 33 48 57 11 | fax (040) 33 48 57 14 | info@elbbuero.com | www.elbbuero.com
NOV E M B E R 2 0 2 0 EDITORIAL 3 Gegen einseitige Denkmodelle Die Corona-Pandemie nimmt einen erneuten, zunehmend bedrohlichen Anlauf. Auch dem letzten Hoffnungsträger auf eine schnelle Beendigung dieser weltum- spannenden übertragbaren Erkrankung wird nun deutlich, dass wir noch längere Zeit mit dem Virus leben werden. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe sind die Zahlen positiver Tests auch in Schleswig-Holstein deutlich gestiegen. Ein wesentlicher Unterschied zur bisherigen Situation: Wir haben es nicht länger mit lokal begrenzten Ausbrüchen zu tun. Die Ausbruchsherde sind immer schwerer zu benennen, zirkulieren in unserem Alltag und die Nachverfolgung wird den Beschäftigten in den Gesundheitsämtern zunehmend erschwert. Prof. Henrik Herrmann ist seit 2018 Präsident der Ungeachtet dessen nimmt die Polarität der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu, Ärztekammer Schleswig-Holstein. auch in der Ärzteschaft. In einer funktionierenden Demokratie muss jeder Mensch seine persönliche Meinung sagen dürfen, ohne Nachteile befürchten zu müssen – daran darf und wird auch eine Pandemie nichts ändern. Diese freie Meinungsäuße- rung und die persönlichen Überzeugungen dürfen jedoch nicht ärztliches Handeln beeinflussen. Zunehmend wird unsere Ärztekammer aufgefordert, Stellung gegen das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen zu beziehen, die als überzogen angesehenen Maßnahmen zu kritisieren und in den Kanon derjenigen einzustimmen, die eine neue »Kehren wir zur Viruserkrankung namens Covid-19 ablehnen und Todesfälle in diesem Zusammen- hang negieren. kritischen, aber Hinter diesen Forderungen stehen jedoch nur wenige Ärztinnen und Ärzte, die sich laut vernehmbar äußern und dabei andere Denkmodelle anwenden. Das Fundament der ärztlichen Profession besteht aus der Verbindung zwischen einer tief empfun- denen Menschlichkeit mit Empathie und Zuwendung, sozialer und kommunikativer Kompetenz auf der einen Seite und der Wissenschaftlichkeit mit Empirie und Evidenz auf der anderen Seite. Die Aufgabe einer der beiden Seiten rüttelt an diesen unserem ärztlichen Grundfesten und damit an unserer Profession. Gerade dieser Umstand beunruhigt mich in der jetzigen Diskussion, wo die wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese neue Erkrankung, die natürlich noch nicht abschließend vorhanden sein können, Fundament teilweise von Ärztinnen und Ärzten geleugnet und in ihrem Sinne verdreht werden. Das verunsichert nicht nur unsere Patientinnen und Patienten, sondern trifft auch die angemessenen Diskus- sionskultur zurück.« vielen, vielen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse diese neue Erkrankung behandeln. Kehren wir zu einer kritischen, aber unserem ärztlichen Fundament angemessenen Diskussionskultur zurück, ohne alternative Fakten oder einseitige Denkmodelle! Freundliche Grüße Ihr Foto: ÄKSH Prof. Henrik Herrmann Präsident
4 I N H A LT NOV E M B E R 2 0 2 0 248 27 8 29 16 24 34 Inhalt NAC HRICHT EN 6 Primärversorgung im Fokus 19 R E CH T 36 Interview: Das Potenzial von Kurz notiert 6 Vernetzung und Digitalisierung 20 Schlichtungsfall 36 Barmer kritisiert Informationsbrüche 6 FIRES: Fortschritte für die Behandlung Pflegeprämie in der Kritik 6 einer seltenen Erkrankung 22 MI T T E I L U N G E N D E R ÄR Z T EKAMMER 37 Neuer AOK-Krankenhausnavigator 7 Von Lübeck nach Lemberg: Hilfe aus Junge Ärzte im Gespräch mit der Gesundheitswirtschaft legt Daten vor 7 dem UKSH für die Ukraine 24 Ärztekammer 37 Facharztqualifikationen 38 T I TE LTHEM A 8 M E D I Z I N & WI SSE N SCH AF T 26 Termine 40 Allianz gegen Corona-Leugner: Seuchen: Kieler Forscher auf den Fotos: Di/Privat/Jörg Wohlfromm/Christina Clasen Standespolitk und Wissenschaft einig 8 Spuren der Pest 26 AN Z E I G E N 41 Regelmäßige Demonstrationen gegen Das Risiko von Covid-19 für Corona-Maßnahmen in Bad Oldesloe 13 Rheuma-Patienten 27 Titelbild: Shutterstock Jochen Gittel T E L E F O N VE R Z E I CH N I S/I MPRESSUM 50 GES UN DHEIT S P O LIT IK 14 P E R S O N A LI A 28 Praxen und Klinik uneins 14 Flensburg ringt um Abruptio-Lösung 15 SERIE 30 Die Nöte der Reha-Kliniken 16 Teil 4: Schlechte Hygiene in den Jahren Multiprofessionelle Ethikberatung 18 nach dem Krieg 30
NOV E M B E R 2 0 2 0 I N H A LT 5 30 Quelle: Kinderlächeln, aber auch schlechte Hygiene Bundesarchiv B Wie war es um das Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein nach dem Zweiten Weltkrieg bestellt? Plakate 285 Plak-027-008 wie das zur Schutzimpfung gehörten ein paar Jahre nach dem Krieg zum öffentlichen Bild. Das Lächeln des Kindes zeigt aber nicht, mit welchen Problemen das Gesundheitswesen damals zu kämpfen hatte. Einen Einblick gibt die Serie unseres Autors Dr. Dr. phil. Karl-Werner Ratschko, des früheren Hauptgeschäftsfüh- rers der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Im vierten und letzten Teil dieser Serie geht der Historiker u. a. auf die epidemiologische Situation nach dem Krieg ein.
6 NEWS NOV E M B E R 2 0 2 0 Informationsbrüche zwischen den Sektoren KURZ NOTIERT B eim Übergang zwischen Kran- rapie in den Kliniken angeblich auch kenhaus und weiterbehandeln- nicht verständlich erläutert. Neues Projekt des IRuN den Ärzten kommt es nach Da- „Von einer modernen sektorenüber- Ende Oktober wurde in Kiel die erste „Resuscitation ten der Barmer zu Informations- greifenden Versorgung kann derzeit Academy Deutschland“ (RAD) gestartet. Ziel ist brüchen, die insbesondere für Poly- leider nicht die Rede sein“, sagte Bar- es, die Überlebensrate nach einem außerklinischen pharmazie-Patienten gefährlich sein mer-Landeschef Dr. rer. oec. Bernd Herz-Kreislaufstillstand zu erhöhen. Derzeit liegt sie können. Die Kasse stützt sich auf Hillebrandt. Er nannte die Weiterga- in Deutschland laut UKSH bei nur 11,9 Prozent. Die eine Umfrage, nach der Hausärzte be umfassender Informationen von Rate variiert in Europa zwischen Werten von sechs bis mit der Datenweitergabe durch Kli- der Klinik an die weiterbehandeln- 27 Prozent. In Seattle/King County, USA, sei es dage- niken unzufrieden sind. Nur bei je- den Ärzte „unerlässlich“. Die Ursa- gen gelungen, den Wert auf über 56 Prozent zu erhöhen. dem dritten betroffenen Patienten che für das Defizit sieht er in einem Nach diesem amerikanischen Vorbild soll unter Feder- seien Therapieänderungen begrün- „unzureichend organisierten und führung des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin det worden, hieß es. Medikationsplä- nicht adäquat digital unterstützten (IRuN) des UKSH ein strukturierter Prozess in Gang ne fehlten oder seien unvollständig, Prozess einer sektorenübergreifen- gesetzt werden, der jeweils zwei Rettungsdienstberei- vielen Patienten wird die Arzneithe- den Behandlung.“ (pm/red) che in Schleswig-Holstein (Kiel und Plön) und Meck- lenburg-Vorpommern (Rostock und Vorpommern- Greifswald) sowie die Städte Dortmund und Berlin da- bei unterstützt, die Überlebensraten signifikant zu er- Pflege: Prämien-Idee schlecht umgesetzt? höhen. Ermöglicht wird die RAD durch die Projektför- derung des Versorgungssicherungsfonds des Landes Schleswig-Holstein sowie eine Förderung der Damp Stiftung. (pm/rED) Park-Klinik ist Brustzentrum Die Park-Klinik in Kiel, ein Belegkrankenhaus im Besitz von Ärzten mehrerer Praxen, wurde in unserer Oktober- ausgabe als „Zentrum für Schilddrüsenchirurgie“ be- zeichnet. Das ist falsch: Zwar ist die Park-Klinik auch auf Schilddrüsen-Operationen spezialisiert, aber als Zen- trum ist die Klinik vor allem mit ihrem zertifizierten Brustzentrum Kiel-Mitte überregional tätig und setzt ei- nen weiteren Schwerpunkt auf Proktologie. (RED) Pflegekräfte sollen eine Corona-Prämie erhalten − die Umsetzung stellt Ärzte helfen Ärzten in Not nicht alle zufrieden. Die Hartmannbundstiftung „Ärzte helfen Ärzten“ un- D terstützt Arztfamilien* in schwierigen Lebenslagen und ie Pflegeberufekammer Schles- wig-Holstein, wo bislang verhältnis- stellt damit ein einmaliges Hilfswerk innerhalb der Ärz- wig-Holstein kritisiert eine mäßig wenige Covid-19-Patienten teschaft dar. schlechte Umsetzung und fal- stationär behandelt werden mussten, Die Stiftung hilft: sche Signale in Zusammenhang wären damit leer ausgegangen. Die Kindern in Not geratener Ärzte mit der Pflegeprämie. „Das Ziel, Landesregierung war daraufhin ein- Halbwaisen und Waisen aus Arztfamilien die Leistungen in der Pflege wert- gesprungen mit dem Ziel, Beschäf- Ärzten in besonders schweren Lebenslagen zuschätzen und Pflegende langfris- tigte in Krankenhäusern zu berück- Die Stiftung bietet: tig im Beruf zu halten, wurde so zur sichtigen. Doch auch diese Maßnah- Kollegiale Solidarität Farce“, glaubt die Kammer. me würde nicht alle Leistungsträ- Finanzielle Unterstützung für Schul- und Studienaus- Falsch war aus ihrer Sicht von vorn- ger in der Pflege erreichen – etwa in bildung herein, die Bundesprämie nur an die Reha-Kliniken, in der Überleitungs- Förderung berufsrelevanter Fortbildungen Altenpflege zahlen zu wollen. Die pflege, in Dialysepraxen und in der Schnelle und unbürokratische Hilfe Kammer hatte sich daraufhin dafür ambulanten Pflege. Kammerpräsi- Foto: Adobe Stock InsideCreativeHouse Sie appelliert: „Helfen Sie mit, diese unverzichtbare Hilfe eingesetzt, alle Pflegefachpersonen dentin Patricia Drube appellierte aufrecht zu erhalten! Unterstützen Sie mit Ihrer Spende gleich zu behandeln. Als „weiteren deshalb an die Politik, „nicht auf hal- Kollegen in Not. Vielen Dank!“ Fauxpas“ wertete die Körperschaft bem Wege stehenzubleiben“. Sie be- Spendenkonto: Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG die anschließende „halbherzige tonte auch, „dass die Prämien-Idee Düsseldorf, IBAN DE88 3006 0601 0001 4869 42, Nachbesserung“ für das Kranken- langfristig kein Ersatz für angemes- BIC DAAEDEDDXXX hauspersonal. Denn Mitarbeiten- sene Entlohnung ist“. Wichtig für die Online-Spende unter www.aerzte-helfen-aerzten.de de in den Kliniken sollen nach einer langfristige Attraktivität des Beru- *Satzungsgemäß unterstützt die Stiftung in Not geratene Quote der Corona-Erkrankten be- fes seien deutliche Lohnsteigerungen Ärzte der Human-, Zahn- und Tiermedizin. dacht werden. Pflegekräfte in Schles- und Zuschläge. (PM/RED)
NOV E M B E R 2 0 2 0 NEWS 7 AOK bewertet Klinikeingriffe im Norden kritisch I m jährlich von der AOK veröffentlichten Klinikvergleich für Schleswig-Holstein sind erstmals auch Informationen zum Knieprothesenwechsel abrufbar. Für Schleswig-Hol- stein wurden die Ergebnisse von neun Kliniken eingestellt, die zwischen 2014 und 2018 Wechsel einer Knieprothese diese Eingriffe bei mindestens 30 AOK-Versicherten vorgenommen haben. Sechs dieser - 558 Fälle ausgewertet - neun Häuser bieten laut AOK eine überdurchschnittliche Qualität. Damit fallen die Er- gebnisse deutlich besser aus als bei den zehn weiteren von der AOK untersuchten Eingrif- fen. Ein Beispiel: Laut AOK erreicht keine Klinik in Schleswig-Holstein bei einer gutarti- gen Prostatavergrößerung eine überdurchschnittliche Qualität. Untersucht hat die Kasse hierzu 779 Fälle in 14 Krankenhäusern. Weitere Ergebnisse gibt es u. a. für Leistenbruch- Operationen, Hüftprothesenwechsel, Knie-Gelenkersatz, Oberschenkelfrakturen, Blind- 3 Kliniken darmentfernungen und künstliches Hüftgelenk. Patrick Reimund, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH), sieht die Datenbasis, auf die die AOK ihre Bewertungen stützt, kritisch. Dies seien Abrechnungsdaten, die nicht für die 6 Kliniken Abbildung von Qualität gedacht sind, gab er auf Nachfrage des Schleswig-Holsteinischen mit überdurch- Ärzteblattes zu bedenken. Er stützt sich lieber auf die Ergebnisse der mit den Kassen abge- schnittlicher lizen ffs- stimmten Qualitätssicherungsverfahren in den Krankenhäusern, denen eine gezielte Do- Qualität ze n i Zu g r kumentation des gesamten Behandlungsprozesses zugrunde liegt. Hierbei schneiden die r iff | Häuser im Norden im Bundesvergleich gut ab. Nachzulesen sind die AOK-Ergebnisse im er n zu g AOK-Navigator unter www.aok.de/gesundheitsnavigator. (pm/red) pl an Da te rmin iler | Te mob G DT er | en | pl an Anzeige ze nz Verhaltener Optimismus in rmin iffsli | Te © Blue Planet Studio | Adobe Stock der Gesundheitswirtschaft Zu g r SATTE G DT r iff | en | n zu g Die norddeutsche industrielle Gesundheitswirtschaft RABATTE ze nz Da te erholt sich langsam von den Umsatzeinbrüchen in der iffsli iler ersten Pandemiewelle. Nach Angaben des Life Science Zu g r mob Nord Clusters ist der Anteil der Betriebe, die von einem r iff | er | Umsatzrückgang betroffen sind, im Vergleich zu April n zu g pl an um rund 50 Prozent verringert. Rund ein Drittel der Un- Da te rmin ternehmen in der Gesundheitswirtschaft verzeichnen iler | Te © rawpixel.com aktuell eine Umsatzsteigerung. Nach Angaben von Clus- mob Freepik.com G DT termanager Dr. Hinrich Habeck sind „ein leichter Auf- wärtstrend und verhalten optimistische Zukunftserwar- tungen“ zu beobachten. Er räumte zugleich ein, dass das Satte Rabatte: Da kommt Freude auf! dynamische Pandemiegeschehen zu einer unvorherge- Jetzt ist die Zeit endgültig reif für einen Wechsel Ihrer Praxis- sehenen Entwicklung führen kann. Auch hält er öffentli- software: Denn nur mit der Praxissoftware medatixx erhalten che Unterstützung für viele Akteure der Branche weiter- Sie Zugriffslizenzen DAUERHAFT (!) im Preis reduziert für hin für erforderlich. je 7,50 €*. Nicht nur das: Wir senken auch die Preise für den mobilen Datenzugriff, GDT und Terminplaner. Sie erhalten Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buch- diese drei Features inklusive der medatixx-Basisversion für holz (FDP) sieht trotz der schwierigen wirtschaftli- 69,90 €*, statt 99,90 €. Damit sparen Sie zwei Jahre lang chen Lage derzeit auch Chancen in der aktuellen Situati- monatlich 30,00 €. on: „Digitaler Wandel und neue Arbeitsmodelle werden enorm angeschoben. Viele Unternehmen überzeugen Sie kennen die Praxissoftware medatixx noch nicht? Die moderne Oberfläche, das benutzerfreundliche Dashboard mit Einfallsreichtum“, sagte Buchholz. und weitere tolle Funktionen werden Sie überzeugen. Die industrielle Gesundheitswirtschaft bietet 52.800 Menschen in Schleswig-Holstein und Hamburg Arbeit. Jetzt zugreifen beim „Satte-Rabatte“-Angebot. Details unter Die Bruttowertschöpfung liegt bei mehr als 1.000 Euro je satte-rabatte.medatixx.de Einwohner. Bundesweit liegt das Life Science Nord Clus- ter damit hinter Baden-Württemberg und Hessen auf * Preis monatlich, zzgl. MwSt. Mindestvertragslaufzeit 12 Monate. Grafik: ÄKSH dem dritten Platz. Diese Zahlen nannte das Cluster im Die Aktion endet am 31.12.2020. Angebotsbedingungen siehe: shop.medatixx.de Oktober. Sie beziehen sich allerdings auf den Zeitraum 2016 bis 2018. (PM/RED)
8 T I T E LT H E M A NOV E M B E R 2 0 2 0 Allianz gegen Corona-Leugner COVID-19 Standespolitiker und Wissenschaftler in Schleswig-Holstein tauschten sich auf Einladung der Ärztekammer zum Thema aus. Tenor: Kein Verständnis für Corona-Leugner, aber andersdenkende Ärzte dürfen nicht ausgegrenzt werden. W as kann eine Ärztekammer gegen und Hausarztchef Dr. Thomas Maurer als Mitglieder unternehmen, die die hochrangige Vertreter der Körperschaf- Pandemie verharmlosen, die die ten und Verbände trafen sich mit dem Vi- Maßnahmen zur Eindämmung rologen Prof. Helmut Fickenscher (Chris- infrage stellen und die öffentlich tian-Albrechts-Universität Kiel) und dem dazu aufrufen, keine Masken zu Infektiologen Prof. Jan Rupp (Universität tragen? Solche Fragen wurden Lübeck), um unter Moderation des ärztli- in den vergangenen Wochen mehrfach an chen Kammergeschäftsführers Dr. Cars- die Kammer herangetragen. Dass einzelne ten Leffmann und des Schleswig-Holstei- Ärzte zum Teil aktiv dazu beitragen, die Be- nischen Ärzteblatts über die Frage des Um- völkerung nicht nur zu verunsichern, son- gangs mit den Ärzten zu sprechen, die den dern sie mit Falschaussagen gesundheitlich anderen den Kampf gegen die Pandemie zu gefährden, treibt viele ihrer Kollegen um. erschweren. Neben berufsrechtlichen Maßnahmen, die Allein das Zustandekommen dieses in jedem Einzelfall geprüft werden müssen, Treffens mitten in der Pandemie zeigt, wie kann eine Ärztekammer versuchen, auf die wichtig die Akteure diese Thematik neh- öffentliche und die innerärztliche Meinung men, und alle fünf Teilnehmer machten Einfluss zu nehmen. Das ist in der Vergan- deutlich, dass sie kein Verständnis für Me- genheit mehrfach geschehen – über Inter- diziner haben, die ihre berufliche Stellung views, Pressemitteilungen, Artikel im Ärz- ausnutzen, um die Pandemie zu verharm- teblatt. Reicht das aus? Und: Warum gibt es losen und die damit verbundenen Risiken keinen auch nach außen sichtbaren Schul- zu leugnen. terschluss der wichtigsten Akteure aus Prof. Henrik Herrmann stellte in die- Standespolitik und Wissenschaft, um ein sem Zusammenhang klar: „Ärzte als Bür- deutliches Zeichen gegen die zunehmend ger dürfen selbstverständlich ihre Meinung lauter werdenden Verschwörungstheoreti- äußern, auch wenn diese vom anerkannten ker zu setzen? Stand der Wissenschaft abweicht. Das ge- Diese Fragen haben die Ärztekammer hört zum normalen demokratischen Dis- Schleswig-Holstein bewogen, die Spitzen kurs.“ Der Kammerpräsident betonte aber aus Standespolitik und Wissenschaft im auch die unabdingbare Trennung zwischen Land an einen Tisch zu holen. Kammer- einer persönlichen Meinungsäußerung präsident Prof. Henrik Herrmann, die KV- und einer Äußerung, die vom Patienten als Vorstandsvorsitzende Dr. Monika Schliffke Empfehlung aus der ärztlich-professionel- Demos bundesweit Foto: Shutterstock Jaz Online Im Sommer hat die Zahl der Veranstaltungen, auf denen Menschen gegen die Maß- nahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie demonstrierten, zuge- nommen. Kundgebungen gab es bundesweit, auch in Schleswig-Holstein (siehe Seite 13). Zu den Teilnehmern, aber auch zu den Initiatoren, zählen auch Mediziner. Kam- merpräsident Prof. Henrik Herrmann (rechts) erwartet im Herbst und Winter weni- ger Demonstrationen, weil die Zahlen der positiv Getesteten steigt.
NOV E M B E R 2 0 2 0 T I T E LT H E M A 9 Prof. Jan Rupp, Prof. Henrik Herrmann und Prof. Helmut Fickenscher Dr. Thomas Maurer und Dr. Monika Schliffke len Ebene empfunden wird. Wenn eine sol- che Äußerung Menschen in Gefahr bringt, etwa weil die Risiken einer Pandemie un- terschätzt werden, dann wird es für den Kammerpräsidenten untragbar. „Das rüt- telt für mich an den Grundfesten unserer Profession. Dann sehe ich eine Ärztekam- mer in der Pflicht, dagegen Stellung zu be- ziehen“, sagte Herrmann. Infektiologe Rupp untermauerte die- se Position durch einen treffenden Ver- gleich: „Als Lungenfacharzt kann ich rau- chen, aber ich kann nicht dem Patienten sa- gen: Du sollst rauchen.“ Nach Rupps Ein- schätzung werden die Folgen von Ver- harmlosungen durch die Tatsache, dass die Bevölkerung jeden Mediziner als Exper- ten akzeptiert, noch erschwert. Er nimmt zunehmend wahr, dass sich zu dem hoch- komplexen wissenschaftlichen Thema auch Mediziner zu Wort melden, deren Exper- tise auf anderen Gebieten liegt. „Alle füh- len sich berufen mitzureden. Ärztliche Pro- fessionalität hat aber auch etwas damit zu tun, dass ich weiß, wo meine Grenzen sind“, sagte Rupp. Auch KV-Chefin Dr. Monika Schliffke hat kein Verständnis für Verschwörer und Corona-Leugner, zugleich sieht sie diese Gruppe in der Berichterstattung überreprä- sentiert und warnt vor einer Fokussierung auf diese Minderheit. Schliffke ist über- zeugt, dass die große Mehrheit der Ärzte nach wissenschaftlich belastbaren Ergeb- nissen sucht und sich in ihren Empfehlun- gen auch danach richtet. Das allerdings wird ihnen in einer Pandemie mit einem neuen Erreger schwer gemacht: „Wir wis- Fotos: Jörg Wohlfromm sen noch immer zu wenig. Das führt auch unter Ärzten zu Fragen, die nicht zu beant- worten sind.“ Der Wunsch nach Leitlinien und evidenzbasierter Medizin muss für sie im Umkehrschluss dazu führen, diese nicht Prof. Henrik Herrmann
10 T I T E L T H E M A NOV E M B E R 2 0 2 0 »Ärzte richten sich nach Leitlinien und Evidenz. Das wird ihnen derzeit nicht leicht gemacht.« DR. MONIKA SCHLIFFKE Dr. Monika Schliffke – wie von den Corona-Leugnern – durch persönliche Weltanschauungen zu ersetzen. Sie stellte auch fest: „Ich kann als Arzt auch zugeben, dass ich bestimmte Dinge noch nicht weiß, weil sie noch offen sind.“ Klare Worte fand auch Hausarzt Maurer zu dieser Frage: „Meine persönliche Mei- nung hat in der Arzt-Patientenkommuni- kation nichts zu suchen. Das haben wir so gelernt.“ Dies gilt für Maurer generell, und ganz besonders beim Thema Corona. Drei von vier Patienten in der Sprechstunde der Hausärzte haben nach seiner Einschätzung Fragen zum Thema Corona. „Wir haben also große Einflussmöglichkeiten. Die nut- zen wir medizinisch und zum Umgang mit der Situation.“ „Zerebrale Entgleisungen“ beobachtet Virologe Fickenscher in manch kontrover- ser und über die Medien geführter Coro- na-Diskussion, die er sich mit den oft neuen Erkenntnissen erklärt, die früheren Emp- fehlungen zum Teil auch noch widerspre- chen. Das enorme Interesse der Öffentlich- keit führt nach Wahrnehmung des Virolo- gen manchmal zu Äußerungen, die nicht immer dem aktuellen Erkenntnisstand ent- sprechen. Er riet aber auch zu einem ent- spannten Umgang mit solchen Äußerungen. Wie schwer es ist, bei den vielfältigen Erwartungen und Perspektiven zum The- Dr. Thomas Maurer
NOV E M B E R 2 0 2 0 T I T E L T H E M A 11 ma Covid-19 alles richtig zu machen, zeig- te die Diskussion zum Thema Transforma- tion von Wissenschaft in die Praxis. Ein Prozess, der in der Regel Jahre in Anspruch nimmt, soll unter Pandemiebedingungen unter Druck zügig erfolgen – ein Anspruch, der nach Ansicht von Schliffke nicht erfüll- bar ist. Hinzu kommt aus Sicht Rupps: Die Äu- ßerungen von Wissenschaftlern sind in der Regel nicht für jedermann verständlich. Die Folge: Medien und Laien picken sich Äußerungen heraus, die ohne den Kontext nicht haltbar sind. Die Wissenschaft soll- te sich deshalb mit Äußerungen im öffent- lichen Raum nach seiner Ansicht zurück- halten und nur mit gesicherten Erkenntnis- sen an die Öffentlichkeit gehen – das wür- de nach seiner Meinung das Vertrauen stei- gern. Allerdings, gab Schliffke zu bedenken, wird dieser nachvollziehbare Wunsch nach konsentierten Informationen aus der Wis- senschaft von der Politik erschwert. „Das setzt Ärzte und Wissenschaft unter Druck“, sagte Schliffke. Andererseits: Es gab in den vergangenen Monaten immer wieder Fra- gen zum Thema Corona, die erst durch den Druck der Politik schneller beantwor- Prof. Helmut Fickenscher tet werden konnten. „Es war gut, dass wir durch die Politik getrieben wurden. Das hat manchmal auch geholfen“, wandte Ficken- scher unter Verweis auf das Beispiel Mas- te – schon, um eventuell sich widerspre- chende und damit Vertrauen abbauen- »Es war gut, dass kenpflicht ein. Diese Pflicht sei damals an der Wissenschaft vorbei eingeführt wor- den, weil die Erkenntnisse dazu noch nicht de Informationen zu vermeiden. Als ver- lässliche Quelle empfahl Fickenscher den Faktencheck durch das Recherche-Por- wir durch die Politik ausgereift waren. Heute ist der Nutzen von Masken zumindest außerhalb von Ver- tal correctiv (www.correctiv.org). Die Be- deutung gesicherter Informationen wur- getrieben wurden. schwörungstheorien weitgehend unstrit- tig. „Ohne die Politik hätte sich die Wis- senschaft vielleicht bis heute nicht zu einer de zwar von allen Diskussionsteilnehmern unterstrichen. Nach Ansicht Maurers wür- den weitere, neue Portale oder Publikati- Das hat machnmal Empfehlung für Masken durchgerungen“, gab Fickenscher zu bedenken. onen zu diesem Thema aber nicht diejeni- gen überzeugen, die eine andere Weltan- auch geholfen.« Dennoch: Der Wunsch nach gemeinsa- schauung zu Corona vertreten. „Wir wür- P R O F. H E L M U T F I C K E N S C H E R men Informationen aus mehreren wissen- den eventuell denen helfen, die wir nicht schaftlichen Disziplinen wird nach Anga- mehr überzeugen müssen. Die ande- ben Herrmanns genauso an die Ärztekam- ren aber erreichen wir damit nicht“, sag- mer herangetragen wie die Forderung von te Maurer. Er rät, sich nicht ausschließlich Gegnern, die von der Körperschaft eine mit medizinisch-wissenschaftlichen Fra- Positionierung gegen Masken und ande- gen zu beschäftigen, sondern auch mit den re Maßnahmen erwarten. „Dann sind wir Folgen der Beschränkungen im sozialen auf die Wissenschaft und deren Veröffent- Leben. „Das vermissen die Menschen. Wir lichungen angewiesen.“ Diese Nachfragen können nur gewinnen, wenn wir nur Maß- sind zwar nicht zahlreich, aber lautstark, so nahmen durchsetzen, die nicht die Exis- Herrmann. tenz kosten.“ Der Wunsch nach verlässlichen und Zurück zu den Ärzten, die die vorlie- Fotos: Jörg Wohlfromm zugleich leicht verständlichen Antworten genden wissenschaftlichen Ergebnisse ist zwar nachvollziehbar. Wer aber sollte nicht anerkennen und konträre Schluss- diese liefern? Einig waren sich die Teilneh- folgerungen ziehen. Dieser Gruppe sollte mer, dass sich nicht jede Organisation oder man nach Ansicht Schliffkes innerärztlich Körperschaft dieser Aufgabe stellen soll- Gewicht beimessen und sich mit ihr ausei-
12 T I T E L T H E M A NOV E M B E R 2 0 2 0 nandersetzen, sie aber in der öffentlichen rona schützen wollen, den Rücken zu stär- Rahmen über diejenigen zu sprechen, die Diskussion nicht in den Fokus rücken. In ken. „Wir müssen mit denen reden, die wir sich mit ihrem Verhalten am Rande oder der Kommunikation mit der Bevölkerung erreichen können. Aber die anderen, die außerhalb der ärztlichen Wertegemein- sollte man sich aus ihrer Sicht auf Kernbot- Leugner, können wir auflaufen lassen, in- schaft bewegen. „Das sind wir der schwei- schaften wie die AHA-plus Lüften-Regel dem wir sie ignorieren. Die Auseinander- genden Mehrheit schuldig. Hinter den Ver- konzentrieren: „Wenn wir das im Bewusst- setzung mit diesen Menschen bringt nichts. schwörungstheorien stecken Denkmodel- sein verankern, haben wir alles erreicht. Wir müssen akzeptieren, dass es einen ge- le, die nicht nur bei Corona gefährlich sind. Wenn jeder die Grundregeln befolgt, kom- wissen kleinen Prozentsatz an Menschen Da geht es auch um Impfgegner und andere. men wir gut durch die Pandemie.“ gibt, die wir nicht erreichen.“ Wenn die Wissenschaft alternativlos ver- Zum innerärztlichen Umgang empfiehlt Rupp hält es für einen vielversprechen- lassen wird, wird es gefährlich – schließlich sie, den Gegnern die ganze Bandbreite an den Weg, wenn man die in Schleswig-Hol- grenzt uns die Wissenschaft von anderen berufsrechtlichen Mitteln aufzuzeigen und stein durch Konsens erreichten Erfolge Gesundheitsberufen ab“, gab der Kammer- sie anzuwenden. Nach ihrer Ansicht ist für stärker in den Vordergrund rückt und we- präsident zu bedenken. eine Zusammenarbeit mit Verschwörungs- niger über die Denkmodelle von Verschwö- Wie geht es weiter? Die Ärztekammer theoretikern in ärztlichen Gremien keine rungstheoretikern spricht. wird das Thema innerärztlich vorantreiben, Grundlage vorhanden. Ähnlich die Positi- Herrmann verspricht sich viel von einer zunächst mit einer Diskussion in der Kam- onierung von Maurer: Er sprach sich dafür weiteren innerärztlichen Auseinanderset- merversammlung am 25. November. Herr- aus, den Ärzten, die ihre Patienten vor Co- zung. Er hält es für unerlässlich, in diesem mann erwartet dort eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung, die auch die Frage wissenschaftlicher Evidenz umfasst. „Zum ärztlichen Denken und Handeln zählt ja auch, dass man unbewiesenen Behauptun- »Ärztliche Professionalität hat auch etwas damit gen nicht folgt – das gilt für beide Richtun- gen“, betonte Herrmann. Damit unterbrei- zu tun, dass ich weiß, wo meine Grenzen sind.« tet er auch ein Gesprächsangebot an Ärz- te, die manche Maßnahme zur Eindäm- mung der Pandemie für überzogen hal- P RO F. JA N RU P P ten und die Folgen anders einschätzen, die aber deshalb ihre Patienten nicht in Gefahr bringen. „Wir trennen sehr genau zwischen den Ärzten, die komplett anderen weltan- schaulichen Denkmodellen anhängen, und solchen Kollegen, die eine andere Meinung als wir vertreten. Mit den ersten kann man nicht, mit denen zweiten muss man disku- tieren.“ Für die Diskussion in der Kammerver- sammlung hat die Runde mit den Standes- politikern und Wissenschaftlern aus Sicht Herrmanns wichtige Impulse geliefert. Als Beispiel nannte er: „Wir Ärzte müssen offen damit umgehen, dass wir nicht jede Frage beantworten können und dass es nicht im- mer eine hundertprozentige Wahrheit gibt. Das ist nicht erst seit Covid-19 so. Wir hat- ten in der Medizin schon immer Therapie- optionen, die später überholt waren.“ Zur Möglichkeit, Corona-Leugner un- ter Ärzten zu sanktionieren, sagte Herr- mann: „Als Ärztekammer gehen wir jeder Beschwerde im Rahmen unserer berufs- rechtlichen Möglichkeiten ohne Vorver- urteilung nach.“ Als Beispiel nennt er den Fall, dass sich ein Arzt weigert, bei der Pa- tientenbehandlung aus Überzeugung eine Maske zu tragen. Erschwert ist die Verfol- Foto: Jörg Wohlfromm gung solcher Fälle, wenn dies der Kammer nur anonym mitgeteilt wird. „Dann kön- nen wir nur Kontakt aufnehmen und be- richten, was uns mitgeteilt wurde.“ Prof. Jan Rupp Dirk Schnack
NOV E M B E R 2 0 2 0 T I T E L T H E M A 13 Zwischen Dialog und Drohung DEMOS Auch in Schleswig-Holstein demonstrieren Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. Ein Ortstermin in Bad Oldesloe. Solche Plakate werden derzeit auf vielen Kundgebungen in Deutschland eingesetzt. Auf den Kundgebungen schwankt die Stimmung zwischen friedlichem Protest und Drohungen. J eden Montag um 17 Uhr treffen sich unterstellt, dass eine unabhängige Bericht- während der Veranstaltung praktisch nicht in Bad Oldesloe Menschen, die an erstattung zu diesem Thema in Deutsch- statt, kaum jemand nimmt sich an diesem den aktuellen Corona-Maßnahmen land nicht stattfindet. Tag die Zeit für ein Gespräch. zweifeln. Weil die geforderten Ab- Die von den Rednern an diesem Tag an- Ein Mann, der sich schon beim Aufbau stände auf einem kleineren Platz in geschnittenen Themen sind bunt. „In den der Kundgebung für das Thema interessiert der Innenstadt nicht mehr eingehal- Knast“ würde sie gehen, wenn dafür die und die Initiatoren anspricht, gerät in der ten werden konnten, fand die Kund- Kinder in diesem Land nicht mehr durch Diskussion schnell in Aufregung. Ein kur- gebung im Oktober erstmals auf dem Rat- Maskenpflicht und andere Maßnahmen zer, lautstarker Disput mit einer Frau aus hausplatz statt. Rund 40 Menschen ver- verängstigt würden, sagt Cornelia Steinert. dem Kreis der Demonstranten endet da- sammelten sich dort nach und nach, alle Sie ist Schuldnerberaterin und war bis vor mit, dass der aufgebrachte Mann von seiner ohne Maske, aber mit Abstand und unter Kurzem noch in der Kommunalpolitik in Frau beruhigt und weggelotst wurde – Ver- ständiger Beobachtung der Polizei. Bad Oldesloe aktiv, bis sie die örtliche „In- ständigung nicht möglich. Obwohl sich die Gruppe gleich zu Be- itiative für Aufklärung und Transparenz“ Die Flugblätter, die von den Demons- ginn von Rassismus und Faschismus di- mitgründete. tranten verteilt werden, scheinen aller- stanziert, gehen die meisten Menschen Steinert wird seitdem nach eigenen An- dings kaum auf Dialog ausgerichtet. Der schnell vorbei. Auf dem Platz dagegen be- gaben von der örtlichen Presse ignoriert Appell „Tragen Sie dazu bei, dass die Co- stätigen sich die Redner gegenseitig. Eine und in ihrem Heimatort wegen ihrer Hal- rona-Maßnahmen sofort beendet wer- Mikrobiologin tritt auf, ein Mann mit be- tung zum Thema teils unter Druck gesetzt. den“, wird mit drei Ausrufezeichen beglei- ruflichem Bezug zum Krankenhaus ist da- Sie spricht von „Mobbing“. Ihre Haltung tet – das liest sich nicht wie ein Gesprächs bei, aber auch Menschen ohne Verbin- hat aber auch dazu geführt, dass sie schon angebot. Ein Flyer der „Ärzte für Aufklä- dung zum Gesundheitswesen. Manche bei Bundespräsident Frank-Walter Stein- rung“ ist betitelt mit „Zwang zur Impfung singen am Mikrofon, andere lassen ih- meier zu einem Austausch zum Thema droht“. Die wechselnden Redner behaupten rer Wut und Ohnmacht gegen die staat- nach Berlin eingeladen war. Steinert versi- „Wir traumatisieren eine ganze Generati- lichen Maßnahmen freien Lauf. Auf den chert im persönlichen Gespräch, dass sie on ohne Krieg“, sprechen von „Masken-Ex- Foto: Shutterstock Jaz Online zur Schau getragenen Plakaten wird deut- sich mehr Dialog zu dem polarisierenden perimenten an Kindern“. Auch die Worte lich, dass die Kundgebungsteilnehmer un- Thema wünscht. „Wir wollen im Gespräch des Schlussredners klingen wenig versöhn- zufrieden damit sind, wie Deutschland bleiben“, sagt sie. lich. „Herr Drosten, Herr Wieler und Herr mit der Pandemie umgeht – sowohl im Wie schwer das beiden Seiten fällt, wird Spahn: Ziehen Sie sich warm an. Wir lassen Gesundheitswesen selbst als auch vonsei- während der Kundgebung deutlich. Der nicht nach.“ Nach rund einer Stunde ist die ten der Regierung und der Medien, die als Austausch mit Menschen, die die Maßnah- Kundgebung zu Ende – immerhin friedlich. „Mainstream“ betrachtet werden. Es wird men der Regierung befürworten, findet Dirk Schnack
14 G E S U N D H E I T S P O L I T I K NOV E M B E R 2 0 2 0 Vorwürfe aus den Praxen an die Klinik ECKERNFÖRDE Unterschiedliche Auffassungen über den vorzuhal- tenden Personalbestand am imland-Standort Eckernförde. Nieder- gelassene Ärzte kritisieren Abgänge von Chirurgen in der Klinik und sprechen von „Missständen“. Die Klinikleitung widerspricht den Aussagen nur indirekt und verweist auf viele Neuzugänge beim Personal. W ie viel Personal hält die imland dung begeben wollen“. Die Unterzeichner zuvor seien dies 356 bzw. 54 Eingriffe ge- Klinik in ihrer chirurgischen Ab- werfen Geschäftsführung und politischen wesen. Den Rückgang erklärt das Haus mit teilung am Standort in Eckernför- Entscheidungsträgern − dies wären für das den bundesweit zu beobachtenden rück- de vor? Diese Fragen stellten nie- Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft läufigen Zahlen in der Pandemie. In der dergelassene Ärzte aus der Regi- Landrat Rolf-Oliver Schwemer und der Mitteilung versichert das Haus: „Die Chi on vergangenen Monat öffentlich Kreistag − „eklatantes Versagen“ vor. rurgie und die Anästhesie sind in Eckern- und bezeichneten zugleich die Sie verwiesen als Beispiel auf eine von förde auch nach Dienstschluss so besetzt, Stimmung der „niedergelassenen Hausärz- der imland Klinik im Jahr 2017 übernom- dass einfache Notfälle wie Blinddarmope- te und Fachärzte aus dem Raum Eckernför- mene chirurgische Gemeinschaftspraxis, rationen durchgeführt werden können. Le- de und Umland“ in einer Pressemitteilung die in ein MVZ umgewandelt wurde und diglich größere und umfangreichere Ein- als „bestürzt, enttäuscht und wütend.“ derzeit geschlossen ist. Folge nach Dar- griffe werden nach Rendsburg verlegt. Dies Unterzeichnet ist die Pressemittei- stellung der niedergelassenen Ärzte: „In dient auch der Fürsorge der Klinikleitung lung von der Kreisausschuss-Vorsitzenden der Konsequenz besteht in diesem Bereich gegenüber den Beschäftigten, die Dienste des Kreises Rendsburg-Eckernförde, Dör- eine gewaltige regionale Versorgungslü- am Standort in Eckernförde in angemesse- te Paulsen, dem Vorsitzenden des Ärzte- cke; diese wird auf dem Rücken der Patien- nem Rahmen zu halten.“ vereins Eckernförde, Olaf Carstensen, dem ten und der Hausärzte ausgetragen, die jetzt Ganz anders als die Wahrnehmung der Vorsitzenden der KV-Kreisstelle, Eckard die Versorgung der chirurgischen Patien- niedergelassenen Ärzte liest sich die Dar- Jung, dem Vorsitzenden des Qualitätszir- ten zum Teil mit übernehmen müssen.“ Sie stellung der Klinik zur Personalsituation. kels der Hausärzte Eckernförde, Dr. Ulf mahnen zugleich: „Wer einen ambulanten Zwischen Januar und September 2020 hat Ratje und dem niedergelassenen hausärztli- Kassensitz erwirbt, hat hier einen Sicher- es laut imland an den beiden Standorten chen Internisten Leif Olbrich. stellungsauftrag zu erfüllen.“ zusammen zwar 30 Abgänge beim ärztli- Grund für die Verstimmung ist der Die imland Kliniken gingen in ei- chen Personal, aber auch 48 Zugänge gege- Weggang bewährter Chirurgen aus der Kli- ner schriftlichen Stellungnahme nur in- ben. Insgesamt seien damit 359 Mediziner nik. Laut Pressemitteilung aus dem ambu- direkt auf die Vorwürfe ein. In der Mittei- bei imland beschäftigt. In der Pflege habe lanten Bereich haben sich Ärzte „in Scha- lung heißt es: „Strukturell ist das Haus in es bei 41 Abgängen 121 Zugänge im glei- ren“ aus der Klinik verabschiedet − die nie- Eckernförde jederzeit in der Lage, eine ad- chen Zeitraum (insgesamt: 692 Pflegefach- dergelassenen Ärzten nennen eine Grö- äquate Versorgung stattfinden zu lassen. Es kräfte) gegeben. „Gerade in Zeiten der Pan- ßenordnung von 30 Prozent der Oberärz- gibt lediglich eine mengenmäßige Begren- demie sind das erfreuliche Entwicklungen“, te, die gekündigt haben sollen. „Wir Ärzte zung aufgrund der Anzahl an Operations- heißt es in der Mitteilung. fragen uns, warum die Geschäftsführung, sälen.“ Imland verwies zudem darauf, dass Der Standort Eckernförde wird von der aber auch die politischen Entscheidungs- längere Operationen, die nicht der Notfall- Klinikleitung als „unverzichtbarer Teil der träger nicht in der Lage sind, kompeten- versorgung dienen und absehbar mehrtägi- imland GmbH“ bezeichnet. Sanierungs- ten und langjährig erfahrenen Ärzten eine ge Intensivpflege nach sich ziehen, nicht in maßnahmen der dortigen Stationen wer- Zukunftsperspektive an ihrem Kreiskran- den Leistungskanon eines Grund- und Re- den bis Jahresende durch einen General- kenhaus aufzuzeigen“, heißt es in der Mit- gelversorgers wie Eckernförde gehörten. planer ausgearbeitet, das avisierte Finanzie- teilung. Nach ihrer Wahrnehmung können Laut imland sind die Operationszah- rungsvolumen liege bei 15 Millionen Euro. die Arbeitsbedingungen an der Klinik „kei- len am Standort Eckernförde stabil. Im Mo- Daneben soll − wie schon berichtet − der ne Grundlage für erfahrene Fachärzte sein nat August habe es 310 Eingriffe in der Re- komplette Gebäudekomplex in Eckernför- und erst recht keine Perspektive für junge gelarbeitszeit und 49 in der Nacht gegeben. de saniert werden. Kollegen, die sich in die ärztliche Weiterbil- Zum Vergleich: Im gleichen Monat ein Jahr Dirk Schnack
NOV E M B E R 2 0 2 0 G E S U N D H E I T S P O L I T I K 15 Stadt sucht nach geisterung zugestimmt. Vor allem Mitglie- der von SPD und Grünen sehen es kritisch, dass Frauen mit dem Wunsch nach Ab- bruch der Schwangerschaft mit ihrem An- eigener Lösung liegen nicht in die Klinik gehen können. Aber die rechtliche Lage ist klar, darauf ver- weist auch Scharrel: „Kein Arzt kann zu Schwangerschaftsabbrüchen gezwungen werden.“ Auch in anderen großen Kliniken F L E N S B U R G Die Stadt strebt zum Thema Schwangerschaftsab- im Land gebe es keine ambulanten Schwan- brüche eine kommunale Einrichtung an. Noch viele Fragen offen. gerschaftsabbrüche. Dennoch finden in Schleswig-Holstein rund die Hälfte der N Eingriffe in Kliniken statt, so Zahlen des achdem rechtliche Hürden für das Gelände des künftigen „Gesundheitscam- Statistischen Bundesamtes von 2018. Damit geplante Flensburger Diako-Malte- pus“. Auch Kosten- und Haftungsfragen zählt das Land bundesweit zu den Spitzen- ser-Klinikum aus dem Weg geräumt spricht Scharrel als Probleme an. reitern. In anderen Regionen, besonders in sind, deutet sich auch eine Lösung in Stadtsprecher Clemens Teschendorf den katholisch geprägten Ländern, finden der Frage der Schwangerschaftsab- räumt ein, dass viele Fragen offen sind. Un- Abbrüche fast nur in Praxen statt, oft müs- brüche an. Zum Redaktionsschluss klar ist etwa die Organisationsform: Will sen Frauen weite Wege zurücklegen. deutete vieles daraufhin, dass die die Stadt Betreiberin eines MVZ werden „Es wird gebetsmühlenhaft wiederholt, Stadt eine eigene Einrichtung in der Nach- oder geht es um eine Anstellung in der Ver- wir hätten in der Region eine gute Versor- barschaft der Klinik eröffnen könnte. Vie- waltung? Steht ein passender Kassensitz gung“, sagt Reiner Johannsen, Geschäfts- le Fragen hierzu waren Ende Oktober je- zur Verfügung? Aus welchem Topf wird führer des pro familia-Landesverbandes doch noch offen. Bedenken gegen das Mo- das Angebot finanziert, wenn es keine aus- mit Sitz in Flensburg. „Tatsächlich mag das dell kommen unter anderem vom Berufs- kömmliche Lösung gibt? „Alle diese Punk- Angebot besser sein als in anderen Gegen- verband der Frauenärzte. te wird die Arbeitsgruppe klären“, sagt Te- den Deutschlands, aber auch hier sind Pra- Ein Jahr lang beriet ein Runder Tisch, schendorf. Die Stadt habe sich etwas an- xen, die Schwangerschaftsabbrüche vor- dem Flensburgs Oberbürgermeisterin Si- deres gewünscht, vor allem eine in der Kli- nehmen auf dem Rückzug.“ Ein Grund mone Lange (SPD), Stadtpräsident Han- nik angesiedelte Lösung. Doch da sich kein sei der Generationenwechsel in der Ärzte- nes Fuhrig (CDU), Vertreter der Kranken- Weg fand, gehe es nun darum, „das Ange- schaft und eine veränderte Einstellung von hausträger, der Beratungsstelle pro familia bot für die Region zu erhalten. Das ist die Nachrückenden: „Die Älteren, die in den und des Sozialministeriums sowie die städ- Aufgabe, die wir lösen müssen.“ Jahren der 68er Bewegung sozialisiert wor- tische Gleichstellungsbeauftragte angehö- Der städtische Sozial- und Gesund- den sind, sehen Schwangerschaftsabbrü- ren, über eine Alternative für Frauen, die heitsausschuss hat den Vorschlag des Run- che als ihre Aufgabe an. Aber viele Jüngere eine ungewollte Schwangerschaft nach Be- den Tisches beraten und ohne große Be- streben nicht einmal die Genehmigung für ratungsregelung unterbrechen wollen. He- ambulante OPs an.“ Angesichts dieser Ten- rausgekommen ist ein Vorschlag, mit dem denz wünscht er sich von der Stadt rasch die Stadt eine „dauerhafte kommunale Lö- sung“ erreichen möchte. Geplant ist, dass Diako Malteser Klinikum Antworten auf die offenen Fragen: „Der Vorschlag des Runden Tisches muss zu ei- die Stadt selbst einen Facharzt für diesen nem konkreten, verlässlichen Angebot füh- Eingriff einstellt. Angesiedelt würde dieses Die heutige „Diako“ mit rund 500 Bet- ren und darf keine Beruhigungspille für die Angebot nach jetziger Planung auf dem Kli- ten und das St. Franziskus Hospital in Frauen in und um Flensburg sein.“ nikgelände, dem neuen „Gesundheitscam- Trägerschaft des katholischen Malteser- Auch Scharrel beobachtet, dass weni- pus“ auf dem Peelwatt, wenn auch nicht un- ordens mit 340 Betten wollen sich zu- ger Praxen Schangerschaftsabbrüche an- ter dem Dach des neuen Krankenhauses. sammentun. bieten: „Jüngere sehen das Thema durch- Doris Scharrel, Landesvorsitzende des Die Unterstützung von Stadt und aus als wichtig an, aber sie sind oft unsicher, Berufsverbandes der Frauenärzte, sieht Land zu den Plänen gibt es seit länge- auch wegen der bürokratischen Hürden, die Idee kritisch: „Es ist schade, dass in die rem, im Frühjahr dieses Jahres erklär- um die Erlaubnis für ambulante Eingriffe Planung kein ärztlicher Sach- und Fach- te das Bundeskartellamt das Projekt zu erhalten.“ Sie wünsche sich ein generel- verstand einbezogen wurde.“ Sie bezwei- für unbedenklich. les Umsteuern – weg von operativen Ein- felt, dass sich ein Arzt finden lässt, der aus- Entstehen soll ein Neubau mit rund griffen, hin zu mehr Schwangerschaftsab- schließlich Abtreibungen vornehmen wür- 700 Betten auf dem Gelände Peelwatt. brüchen per Medikament.“ In diesem Be- de. Auch sei aus Gründen des Patienten- Ab 2027 will das neue Klinikum pro reich sei Deutschland im EU-Vergleich geheimnisses schwer vorstellbar, dass in Jahr 100.000 Menschen ambulant und weit hinten: „Es wird Zeit, dass wir zum in- einem Gebäude ausschließlich Schwanger- stationär behandeln. ternationalen Standard aufschließen.“ Um schaftsabbrüche stattfänden. Denkbar sei Das Land unterstützt mit einem drei- mehr niedergelassene Frauenärzte zu be- stattdessen, die Eingriffe in ein ambulantes stelligen Millionenbetrag, genaue Kos- wegen, Frauen mit dem Wunsch nach Ab- OP-Zentrum zu verlagern, in dem nieder- ten sind noch unklar. Das Land hätte bruch der Schwangerschaft gut zu versor- gelassene Ärzte unterschiedliche Operatio- Millionenbeträge in die Sanierung der gen, wünscht sie sich mehr Fortbildungen nen vornehmen. Ein solches Zentrum gebe beiden heutigen Krankenhausbauten und Informationen. es in Flensburg, wenn auch nicht auf dem investieren müssen. Esther Geisslinger
16 G E S U N D H E I T S P O L I T I K NOV E M B E R 2 0 2 0 „Aufgeben ist keine Option“ REHA Die Pandemie trifft in der Reha auf Einrichtungen, denen es schon vorher alles andere als blendend ging. Klinikabläufe wurden angepasst. Langfristig werden sich die Konzepte ändern. Therapie wie hier auf Föhr kann auch am Strand stattfinden, allerdings in zunehmend kleineren Gruppen und mit Abstand. Auch die Abläufe in den Reha-Kliniken haben sich durch die Pandemie verändert. D ie Reha-Kliniken schlagen Alarm: spezialisiert. Im Umgang mit der Corona- an die Strände stürmten und „die zu glau- In den Wochen des coronabeding- Pandemie biete das Vorteile wie Nachtei- ben schienen, Covid würde auf der Fäh- ten Lockdowns sind weniger Patien- le zugleich, sagt Jochheim: „Wir haben es re enden“. Dass die Pandemie alles andere ten akut operiert und behandelt wor- mit einer Risikogruppe zu tun, gerade die als vorbei ist, wissen die Beschäftigten der den, entsprechend weniger wurden Patienten mit chronisch obstruktiver Lun- Reha-Klinik genau und handeln danach: in eine stationäre Nachbehandlung genkrankheit sind stark gefährdet.“ Aber „Wir haben alle Abläufe unter die Lupe ge- geschickt. Kuren und Heilbehand- eben deshalb seien sie an Vorsichtsmaß- nommen und geschärft, haben neue Kon- lungen für chronisch Kranke waren mona- nahmen gewöhnt: „Sie können mit Hygi- zepte entwickelt“, berichtet Jochheim. The- telang komplett ausgesetzt. In Schleswig- ene- und Abstandsregeln gut umgehen, es rapie findet am Strand statt, kleinere Grup- Holstein ist die wirtschaftliche Lage vieler sind keine Leichtsinnigen dabei.“ Anders pe werden gebildet. „Es war eine Riesen- Einrichtungen schwierig. Parallel dazu hat als die Sonnenhungrigen, die im Sommer mehrbelastung, teilweise mussten wir mehr Corona die therapeutische Arbeit verän- Personal einstellen. Aber Aufgeben ist kei- dert – teilweise mit positiven Effekten. ne Option“. Denn die Patienten bräuchten Wer nicht auf der Insel lebt, muss gehen. die Hilfe: „Die sind heilfroh, dass sie wie- An einem Sonntag Mitte März erhielt Dr. phil. Ralf Jochheim diese Anweisung, ein Tag, der dem Geschäftsführer der Nord- Info der zu uns kommen dürfen. Schließlich ist ihre Krankheit nicht weg, weil Covid da ist.“ Aktuell sei die Klinik wieder voll belegt. seeklinik Westfalen auf Föhr im Gedächt- 62 Reha-Einrichtungen mit 10.404 Bet- Auch an der Ostsee findet Therapie neu- nis bleiben wird. „Ich war den ganzen Tag ten gibt es laut Statischem Bundesamt erdings so oft es geht am Strand statt – eine beschäftigt, allen abzusagen, die am Mon- in Schleswig-Holstein. Maßnahme, die bleiben wird: „Die Pati- tag hätten kommen sollen“, sagt Jochheim. Beschäftigt sind dort 506 Ärztinnen enten nehmen das hervorragend an“, sagt Foto: Klinik Westfalen Betriebs GmbH Nur wer sich bereits in Behandlung befand, und Ärzte, 805 Vollzeit-Pflegekräfte Dr. Anja Spies, ärztliche Direktorin der Va- durfte die Therapie fortsetzen. „Viele woll- und 1.120 Angestellte im medizinisch- med Rehaklinik Damp. Um trotz Regen ten am liebsten noch länger bleiben, weil technischen Dienst. und Kälte ins Freie gehen zu können, ste- sie es hier für sicherer hielten als zu Hause.“ Im Jahr 2018 wurden 137.000 Heilbe- hen zwei beheizbare Zelte auf dem Gelän- Aber keine Chance: Der strenge Lockdown dürftige behandelt, 2008 waren es noch de – eine von vielen Maßnahmen des de- für die Inseln und Feriengebiete traf auch 15.444. taillierten Hygiene- und Präventionskon- die 120-Betten-Klinik am Nordseestrand. Die Verweildauer beträgt im Schnitt zepts. „Ich denke, Reha-Konzepte werden Das Haus ist auf Atemwegserkrankungen 23,4 Tage. sich durch die Erfahrungen in der Pande-
NOV E M B E R 2 0 2 0 G E S U N D H E I T S P O L I T I K 17 mie-Zeit langfristig verändern“, sagt Spies. Kliniken in den vergangenen Jahren in „be- „Es wird mehr draußen stattfinden und drohliche Lagen“ geraten und einige Häuser vielleicht wird es auch mehr digitale Ange- hätten harte Sanierungen durchlaufen. bote geben.“ Ein Grund dafür ist die Schlechter- Mit über 11.000 Patienten pro Jahr ist stellung der Reha-Einrichtungen gegen- die Klinik in Damp die größte Reha-Ein- über den Akut-Häusern. Die erhalten In- richtung in Schleswig-Holstein und die vestitionskosten vom Land, während die zweitgrößte in Europa. Gespürt hat das Reha-Kliniken diese Ausgaben selbst er- Haus den Einbruch dennoch: „Während wirtschaften müssen. In der aktuellen Co- der Talsohle waren noch 120 Patienten im rona-Lage werden Akut-Kliniken eben- Haus; normal wären über 750“, sagt Spies. falls bevorteilt. So hat die Bundesregierung Nur Anschlussheilbehandlungen fanden mit dem Krankenhauszukunftsgesetz den statt, während Therapien etwa für Patien- Weg eröffnet, Akut-Krankenhäusern ei- ten mit chronischen Leiden wie Rücken- nen Ausgleich für entgangene Erlöse zu ge- schmerzen, Gelenkbeschwerden, neurolo- ben. „Diese Regelungen wünschen wir uns gischen Erkrankungen oder psychosoma- auch für Reha- und Kur-Einrichtungen“, tischen Problemen auf behördliche Anwei- sagt Bernd Krämer, Geschäftsführer des sung ausfielen. „Als diese Patienten wieder Verbandes der Privatkliniken in Schleswig- kommen durften, waren sie froh, trotz der Holstein, in dem ein Teil der Reha-Klini- Einschränkungen durch Corona.“ ken organisiert sind. Er ist einig mit Patrick Die Pandemie belaste manche Patien- Reimund, Geschäftsführer der Kranken- ten zusätzlich, so Spies: „Die Arbeitswelt hausgesellschaft Schleswig-Holstein, der hat sich geändert, und viele der chronisch ebenfalls einige der Kliniken angeschlossen Erkrankten gehören zur Hochrisikogruppe sind. Reimund fordert zumindest eine Ver- und müssen lernen, wie sie mit Maske und längerung des „Corona-Zuschlages“, den Abstand Gutes für sich tun können.“ In der die Rentenversicherung und die Gesetzli- Therapie werde das auch thematisiert. chen Krankenkassen zurzeit bezahlen, über Während die ärztlich-therapeutische das Jahresende hinaus. Der Zuschlag be- Arbeit mit neuen Konzepten weitergeht, trägt pro Patient und Tag bei stationärem müssen die Kliniken die Ausfälle der Lock- Aufenthalt acht und bei ambulanter Be- down-Wochen wettmachen. Die Zahl der Dr. Anja Spies, ärztliche Direktorin handlung sechs Euro. Das Geld ist zwar Patienten sei pandemiebedingt um bis zu der Vamed Reha-Klinik in Damp: eine Hilfe, wird aber laut Jochheim von den 70 Prozent zurückgegangen, beklagt die AG „Reha-Konzepte werden sich durch die Sachkosten für Masken, Desinfektionsmit- MedReha, die Bundes-Arbeitsgemeinschaft Erfahrungen in der Pandemie langfristig tel und ähnliches verschlungen. Medizinische Rehabilitation. Die Organisa- verändern.“ Während Anschlussheilbehandlun- tion appelliert an die Politik, den Rettungs- gen in der Regel von der Rentenkasse be- schirm für die Kliniken weiter zu spannen, zahlt werden, sind Heilbehandlungen um das „Ende zu verhindern“. weit gab es mehr als 300 Kurorte mit knapp und Kuren oft Sache der Krankenkassen. In Schleswig-Holstein, das bei Kuren 1.400 Kur- oder Reha-Kliniken. Die Politik, Den Einrichtungen in diesem Segment, und Reha-Leistungen traditionell stark allen voran der damalige Bundesgesund- darunter Häuser für Eltern-Kind-Ku- ist, sei die Lage „teilweise dramatisch“, heitsminister Horst Seehofer (CSU), ging ren, geht es aktuell noch schlechter, dar- sagt Hans-Jürgen Kütbach, Vorsitzender gegen das bis dahin geltende Kur-Modell auf weist Lucia Lagoda hin, Bundesvorsit- des Heilbäderverbandes Schleswig-Hol- vor, das im Ruch stand, ein Erholungspro- zende der Katholischen Arbeitsgemein- stein. Allerdings habe die Landesregierung gramm nach dem Motto „morgens Fango, schaft Müttergenesung und Kuratorin im schnell gehandelt, als der Lockdown den abends Tango“ zu bieten. Deutschen Müttergenesungswerk: „Die Klinikbetrieb lahmlegte: „Wir in Schleswig- Seither wurde die Aufenthaltsdauer Belegung ist äußerst fragil, und die Klini- Holstein sind gewohnt zu sagen, uns geht’s von im Durchschnitt vier auf drei Wochen ken sind seit dem 1. Oktober ausschließlich schlechter als anderen, aber in diesem Fall gesenkt, die Behandlungen sollen vor al- auf sich allein gestellt.“ Es sei nicht nach- wurde mit dem Sozialministerium rasch lem wohnortnah stattfinden, und die Kri- vollziehbar, warum Auslastungseinbrüche ein Tagessatz vereinbart.“ So gebe es einen terien für stationäre Behandlungen änder- für Reha-Kliniken im Bereich der Renten- „Puffer“, so Kütbach. „Aber die meisten Kli- ten sich. Die meisten Kliniken bieten heu- versicherung weiter abgesichert werden, niken haben schon nicht vor Kraft gestrotzt, te Anschlussheilbehandlungen nach OPs, während die Kliniken im Bereich der Kran- als sie auf Corona getroffen sind.“ Schlaganfällen oder Chemotherapie an, kenversicherungen keinen Ausgleich bekä- Der Blick auf die Statistik belegt das. Al- während klassische Kuren zurückgefahren men. Der Bedarf an Hilfe sei hoch: „Durch lein in den zehn Jahren von 2008 bis 2018 wurden. die Pandemie sind die gesundheitlichen ist die Zahl der Kliniken um 14 Prozent ge- Aus Sicht des Heilbäderverbandes war Belastungen für Familien weiter gewach- sunken, aktuell bieten 62 Häuser Reha-Be- der politische „Angriff auf die Kuren“ über- sen. Wir sind tief besorgt, dass dieses wich- Foto: Frank Molter handlungen an. Die Hoch-Zeit der Bran- zogen, sagt Kütbach und fühlt sich durch tige Gesundheitsangebot für Mütter und che endete in den 90er Jahren. Damals setz- das Präventionsgesetz bestätigt, das 2019 Väter in seinem Fortbestand bedroht ist“, so te das „Kur- und Badewesen“ umgerechnet verabschiedet wurde und die Gesundheits- Lagoda. rund zehn Milliarden Euro um, bundes- förderung stärken will. Dennoch seien viele Esther Geisslinger
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