Hamburg macht Schule Inklusion II - BSB-Info
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Hamburg macht Schule Heft 1/2016 • 2 8. Jahrgang Zeitschrift für Hamburger Lehrkräfte und Elternräte Inklusion II BSB-Info • Ganztagsangebote buchen: Erklärfilme helfen • SchülerInnenforum: Die Hacker kommen?! PÄDAGOGISCHE BEITRÄGE VERLAG Hamburg
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, Inklusion gehört inzwischen zum Alltag der Schulen in Hamburg. Die Anerkennung der Vielfalt fußt auf einem Begriff von Inklusion, der sich auf kulturelle und ethni- sche Zugehörigkeit, Behinderung, sozio-ökonomischen Status, besondere Begabun- gen, sexuelle Orientierung und Geschlecht beziehen kann. Dieser ganzheitliche Be- griff von Inklusion geht über die im März 2009 in Kraft getretene UN-Behinderten- rechtskonvention hinaus. Alle Bundesländer haben die gesetzlichen Vorgaben des Rechts auf inklusive Bildung in ihre Schulgesetze überführt. Hamburg hat dies im Hamburgischen Schulgesetz in § 12 geregelt. Über diesen wichtigen Aspekt – Um- gang mit Behinderung – hinaus ist es das Ziel einer inklusiven Schule, Kinder und Jugendliche in ihren verschiedenen Lernvoraussetzungen möglichst optimal zu för- dern und zu fordern. Die Unterschiedlichkeit von Schülerinnen und Schülern wird dabei anerkannt und produktiv für das gemeinsame Lernen und die Entwicklung der Persönlichkeit genutzt. Inklusion ist kein statischer Zustand, sondern ein fortwährender Prozess mit der Ziel- setzung der Maximierung von Teilhabe und der Minimierung von Benachteiligung und Diskriminierung. In den Beiträgen dieser Ausgabe werden unter anderem die Kulturpyramide, das interkulturelle Kompetenztraining, das Personenprinzip in der sonderpädagogischen Förderung, die Chancengerechtigkeit und die sexuelle Viel- falt angesprochen. Beispiele für den schulischen Umgang mit psychischen Erkran- kungen belegen die basale Bedeutung einer inklusiven Schulentwicklung (S. 20 ff.) »In der Sekunde, wo bei einem Kind eine schwere Erkrankung diagnostiziert wird, weicht alles andere in den Hintergrund. Doch denken Sie bitte an die (…) Basiszu- taten ›Verlässlichkeit, Strukturen und so viel Normalität wie möglich‹« (S. 21), so lautet der Rat aus dem BBZ. Die Gestaltung von Inklusion und somit die Differenzierung im Unterricht ist an- spruchsvoll für Lehrkräfte wie für Schülerinnen und Schüler. Gerade deshalb ist es bedeutsam, dass der Unterricht Gelegenheiten für das fachliche und das soziale Lernen bietet. Erfahrungen von Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Leistungsver- mögen stärken die Schülerinnen und Schüler in ihren Lernprozessen. Am Beispiel Nico (S. 22 f.) wird deutlich, was das konkret für den Unterricht und das Schulleben bedeuten kann, wenn bei einem Sechstklässler Autismus diag- nostiziert wird und die Klasse berät, wie man im Unterricht und auch in den Pausen mit ihm umgehen kann: »Wir müssen dann einfach daran denken, ihn mitzunehmen« (S. 23). Bis zu dieser Einsicht ist es manchmal auch ein weiter Weg, er lohnt sich. Mit besten Grüßen Ihr Prof. Dr. Josef Keuffer Hamburg, im März 2016 Hamburg macht Schule 1|2016 3
Inhalt Inklusion II Moderation: Beate Proll 6 Inklusion – Vielfalt leben lernen 10 Interkulturelles Kompetenztraining Sich gegenseitig aushalten und respektieren 12 »Wir verfolgen das Personenprinzip« Fördern im Unterricht 14 Chancengerechtigkeit in den Blick nehmen Lernpotentiale sichtbar machen – Lernhindernisse ausräumen 16 »… dann heißt das ja, dass es sowas bei uns auch gibt?« Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt 18 Erfolgreich lernen – mit, trotz oder wegen einer Krankheit? 20 Psychische Erkrankungen Stabilisation und Genesung – Schule als wichtiger Begleiter 22 Schülerinnen und Schüler mit Autismus besser verstehen Hamburg macht Schule 1|2016 4
Inhalt 1/16 28. Jahrgang BSB-Info Impressum Verantwortlich: Andreas Kuschnereit Schule vor Ort 24 Personalien 37 Herausgeber: Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), Ganztagsgrundschule Arnkielstraße: Prof. Dr. Josef Keuffer, Direktor des Landesinsti- Schülerzahl in fünf Jahren verdoppelt Kulturelle Vielfalt im Schulalltag 38 tuts für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Herausforderung und Chance Felix-Dahn-Straße 3, 20357 Hamburg E-Mail: josef.keuffer@li-hamburg.de Ganztagsschule in Hamburg: Verlag: Mix von offenen und Schule für Schüleraustausch mit Pädagogische Beiträge Verlag GmbH, gebundenen Angeboten 26 Krementschuk (Ukraine) gesucht 41 Rothenbaumchaussee 11, Curiohaus, 20148 Hamburg, Tel.: (040) 45 45 95 Interview mit Schulsenator Ties Rabe Hamburgs Schüler sind Spitze E-Mail: info@paedagogische-beitraege-verlag.de Geschäftsführung: Katrin Wolter bei Auslandsaufenthalten 42 Schulverweigerung 28 Verlagsredaktion und -gestaltung: Dr. Mathias Prange Umgang mit gehäuften Krankschreibungen KERMIT und die zentralen Redaktion: im Zusammenhang mit hartnäckig Prüfungen: Eng verwandt Prof. Dr. Johannes Bastian (verantwortlich), andauernden Schulpflichtverletzungen und doch verschieden 44 Franziska Carl, Julia Hellmer, Christine Roggatz, Beate Proll Ganztagsangebote buchen: Schach, aber nicht matt 46 Rothenbaumchaussee 11, 20148 Hamburg Redaktion für Bildungspolitisches Forum Erklär-Video unterstützt Eltern Die SCHULBAU Messen 2016 47 und BSB-Info: beim Ausfüllen der Formulare 31 Hamburg, Köln, München Karen Krienke, Andreas Kuschnereit, Behörde für Schule und Berufsbildung, Ein einfacher und verständlicher Erklär-Film Hamburger Straße 125 a, 22083 Hamburg in den Sprachen Deutsch, Türkisch, Arabisch Tel.: (040) 4 28 63 35 49, Fax: -4 27 96 84 33 und Dari Tagungen und öffentliche Veran- E-Mail: karen.krienke@bsb.hamburg.de staltungen des Landesinstituts 48 Druck: Hartung Druck+Medien GmbH, April bis August 2016 Asbrookdamm 38, 22115 Hamburg »Die Hacker kommen?!« 32 info@hartung-online.de 37. SchülerInnenforum www.hartung-online.de Information für Mitarbeite- Erscheinungsweise: 4-mal pro Jahr Unterrichtshospitationen der rinnen und Mitarbeiter von Auflage: 15 000 Bilder: W. van Woensel: S. 4, 15, 21, 23, Titel Schulleitung am Beispiel der Flüchtlingsunterkünften (Bearbeitung der Bilder S. 21, 23, Titel: Adolph-Diesterweg-Schule und sowie ehrenamtliche Helfer 49 M. Prange). Alle weiteren Fotografien wurden uns von den Neue Broschüre informiert über Salafismus der Schule Grumbrechtstraße 34 Autorinnen und Autoren zur Verfügung gestellt. Good Practice – kleine und große Fundstücke Bezug: Hamburger Lehrkräfte und Elternräte aus dem Alltag der Schulinspektion – Teil 5 Zahnputz-Erziehung erhalten HAMBURG MACHT SCHULE kostenlos über die BSB. HAMBURG MACHT SCHULE kann mal ganz anders 50 auch beim Verlag abonniert werden. Hamburger Schulen räumen »holzwurm-theater« zu Besuch Hamburg macht Schule im Internet: in der Schule Bekkamp beim 13. Schülerzeitungs- www.hamburg.de/bsb/hamburg-macht-schule wettbewerb ab 36 Preis: EUR 3,00 zzgl. Versandkosten. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Fünf Redaktionen erhalten Preise Hamburg macht Schule 50 vorheriger Genehmigung des Verlages. für ihre Publikationen Schwerpunktthemen 2005 – 2015 ISSN 0935-9850 Hamburg macht Schule 1|2016 5
Thema Inklusion – Vielfalt leben lernen Einführung Inklusion bedeutet die Anerkennung von lichkeiten und Begrenzungen, die mit ei- stellt und auf der strukturellen Ebene Vielfalt und nicht die Nivellierung von ner Gruppenzugehörigkeit oder indivi- nachhaltig verankert. Unterschieden zum Zwecke der Gleich- duellen Voraussetzungen und Einstel- • Inklusive Praktiken entwickeln berechtigung. Jeder Mensch sollte befä- lungen einhergehen, zu beachten und Hier werden die Bereiche »Lernar- higt werden, Unterschiede zu erkennen, zu respektieren (Reich 2015, S. 24 ff.). rangements organisieren« und »Res- zu beschreiben, auszuhalten und wert- Dabei können die folgenden fünf Stan- sourcen mobilisieren« aufgegriffen. zuschätzen (Körner 2015, S. 19). Dieses dards bei der Orientierung helfen: Im Mittelpunkt stehen Fragen der erfordert zum einen den Blick auf das • Ethnokulturelle Gerechtigkeit aus- Unterrichtsgestaltung und der Un- einzelne Kind, auf die Klasse und auf üben und Antirassismus stärken terstützung aller Schülerinnen und spezielle Lernmethoden und zum an- • Geschlechtergerechtigkeit herstellen Schüler, um das gemeinsame Leben deren auf alle Bereiche, in denen Men- und Sexismus ausschließen und Lernen zu ermöglichen. schen mit und ohne Behinderung ge- • Diversität in den sozialen Lebensfor- Thurn betont, dass Schulentwicklung meinsam leben und lernen (Irle 2015, men zulassen und Diskriminierungen kurzfristig nach Dringlichkeit vorge- S. 11). Anknüpfend an das im März 2013 in den sexuellen Orientierungen ver- hen sollte. Bei der Planung von Vorha- erschienene HAMBURG MACHT SCHU- hindern ben sollte es zur Entlastung aller auf die LE-Heft mit dem Themenschwerpunkt • Sozioökonomische Chancengerechtig- Frage »Was ist jetzt für uns bedrängend »Inklusion« konzentrieren wir uns in keit erweitern und braucht die Kraft, Professionalität dieser Ausgabe auf den umfassenden In- • Chancengerechtigkeit von Menschen und Kreativität … zur Veränderung?« klusionsbegriff mit verschiedenen Viel- mit Behinderungen herstellen (Reich eine Antwort geben (2015, S. 8). faltsdimensionen. Die Schul-Beispiele 2014, S. 31 ff.). sind so gewählt, dass unterschiedliche Die Beiträge konzentrieren sich zum ei- Vielfaltsdimensionen greifbar machen Entwicklungsstände – von der »Einstei- nen auf die Entwicklung von Haltungen Im Folgenden werden die Vielfaltsdi- ger-Schule« bis hin zu Schulen mit lang- der Menschen in der Schulgemeinschaft mensionen, die in den einzelnen Bei- jähriger Praxis – mit gelungenen über- und zum anderen auf konkrete Beispie- trägen dieses Heftes aufgegriffen wer- schaubaren Umsetzungsschritten be- le aus Schulleben und Unterricht. Ent- den, kurz erläutert. leuchtet werden. scheidend ist nicht das Herausgreifen isoliert stehender Elemente, sondern Kultur kann sich verändern Eine Schule der Vielfalt das Ineinandergreifen von konkreten Mit Hilfe des Modells »All – SOME – NO« Zur Vielfalt gehören u. a. Aspekte wie Maßnahmen im Rahmen einer inklusi- der Kulturpyramide von Geert Hofstede kulturelle und ethnische Zugehörig- ven Schul- und Unterrichtsentwicklung. (siehe Abb. 1) wird gezeigt, dass Kultur keit, sozio-ökonomischer Status, sexu- Als Orientierungshilfe kann hier der »In- nichts Statisches ist, sondern sich durch elle Orientierung, Geschlecht sowie Be- dex für Inklusion« mit der Unterteilung Kommunikation verändern kann. Zum hinderung. Menschen können sich in ih- in folgende drei Handlungsfelder dienen einen gibt es Grundbedürfnisse (wie z. B. rer Unterschiedlichkeit gegenseitig be- (Reich 2014, S. 44 f.): essen, schlafen …) und Grundtatsachen reichern, wenn sie lernen, sich respekt- • Inklusive Kulturen aufbauen (geboren werden, sterben …), die für alle voll, tolerant und auf der Basis demo- Dieses beinhaltet die Bereiche »Ge- Menschen gleich sind. Wie diese Bedürf- kratischer Praktiken zu begegnen. Um meinschaft bilden« und »Inklusive nisse befriedigt werden, hängt jedoch von Inklusion wirkungsvoll umzusetzen, Werte verankern«. Darunter fällt der der Gemeinschaft ab und wird gelernt. braucht es deshalb auch den Schutz vor Aufbau einer sicheren, akzeptieren- Zum anderen stehen an der Spitze der Diskriminierung. Das Institut für Men- den, kooperierenden und anregen- Pyramide die individuelle Persönlichkeits- schenrechte e. V. betont, dass das Ver- den Gemeinschaft mit dem Ziel, dass entwicklung und Biographie jedes Men- bot von Diskriminierung nicht bedeutet, jedes Mitglied respektiert wird und schen. Devici zeigt, wie Schülerinnen und dass alle Menschen identisch behandelt dass Diskriminierungen, soweit es Schüler anhand konkreter Konfliktsituati- werden sollen. Vielmehr müssen bei der geht, verhindert werden. onen üben, ihre Zuschreibungspraxis hin- Umsetzung der Menschenrechte unsere • Inklusive Strukturen etablieren sichtlich »Deutsch sein«, »Türkisch sein« jeweils spezifischen und unterschiedli- Dazu gehören die Bereiche »Eine usw. kritisch zu hinterfragen (S. 10 f.). chen Ausgangslagen berücksichtigt Schule für alle entwickeln« und »Un- werden. Auch in der Schule gilt es da- terstützung für Vielfalt organisieren«. Soziale Teilhabe ermöglichen her, diese Unterschiedlichkeit von Le- Dabei wird Inklusion als zentraler As- In Deutschland lässt sich die Wahr- bensentwürfen, Voraussetzungen, Mög- pekt der Schulentwicklung herausge- scheinlichkeit, ob ein Kind studieren Hamburg macht Schule 1|2016 6
Inklusion II wird, immer noch am Bildungsstand der Einführung Eltern ablesen. Laut der aktuellen 20. Sozialerhebung des Deutschen Studen- tenwerks (DSW) nehmen von 100 Aka- demikerkindern 77 ein Studium auf. Da- gegen studieren von 100 Nicht-Akade- mikerkindern lediglich 23. Durch einen professionellen Umgang mit Heteroge- nität können Bildungschancen verbes- sert und Bildungsrisiken reduziert wer- den (Achour 2015, S. 6). Anhand konkre- ter Bespiele beschreibt Lorenzen, wie bestimmte Lebenswelten den Schulall- tag am Gymnasium erschweren kön- nen und wie Unterstützungsmaßnah- men, die wirklich greifen, installiert werden (S. 14 f.). Vielfalt von sexuellen Orientierungen und Geschlechteridentitäten wahrnehmen Die Abkürzung LGBTIQ beschreibt Gruppen, die von einer rein heterose- xuellen oder zweigeschlechtlichen Ori- entierung abweichen: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual und Queer (Bundeszentrale für politi- sche Bildung 2015/16, S. 22). Die Vor- stellung von der natürlichen Ordnung Abb. 1: Die Kulturpyramide. der Geschlechter – Frauen und Männer, Quelle: Handschuck, S. (2004): Interkulturelle Verständigung in der Sozialen Arbeit. Weinheim die sich gegenseitig begehren – prägt die Kindheit und durchzieht alle Sphä- ren des gesellschaftlichen Lebens bis in ohne besonderen Förderbedarf (Behör- • Verlust von Tag-Nachtrhythmus, hohe das Denken und Fühlen der Menschen de für Schule und Berufsbildung 2013, Fehlzeiten, die nicht durch die ur- (Heteronormativität). Damit wurden S. 20 – 21) inzwischen auch das Thema sprüngliche Erkrankung hervorgeru- und teilweise werden Homosexuelle Vielfalt der sexuellen Orientierungen fen werden, und Transgender von der Gesellschaft und Geschlechteridentitäten im Schul- • Absentismus, ignoriert und ausgeschlossen (ebd., S. 3). leben und im Unterricht aufgegriffen und soziale Auswirkungen, wie: LGBTIQ-Jugendliche stehen heutzuta- wird (S. 16 f.). • wenig bis keine Freunde, ge oft im Spannungsfeld zwischen ak- • kein soziales Netzwerk innerhalb der zeptierenden Wahrnehmungen und Hal- Chronisch erkrankte Kinder und Schule, tungen und sich verstärkenden neokon- Jugendliche beschulen • durch Krankheit und Therapien we- servativen Standpunkten (Gaupp 2015, Zu den chronischen Erkrankungen zäh- nig Zeit, sich außerhalb der Schule zu S. 12). Ihre Verortung mit ihrer sexuel- len u. a. Allergien, bestimmte Erkran- verabreden. len Orientierung oder ihrer geschlecht- kungen der Atemwege und der Haut, Di- In Hamburg gibt es ein gut ausgebau- lichen Identität in der Gesellschaft so- abetes mellitus, Rheuma, Depressionen tes Hilfs-und Beratungssystem für chro- wie die Erarbeitung eines individuellen und Krebs. Viele erkrankte Kinder und nische Erkrankungen bei Kindern und Lebensentwurfs, der ihrem Erleben ge- Jugendliche wollen nicht, dass ihre Mit- Jugendlichen (Behörde für Gesund- recht wird, stellt immer noch eine He- schülerinnen und -schüler etwas von ih- heit und Verbraucherschutz, 2015, S. rausforderung dar. Ein Coming–out in rer Erkrankung erfahren. Sie selbst lei- 63). Dazu gehört das Hamburger Bil- der Schulzeit wird oft aus Sorge vor den häufig unter psychischen Nebenwir- dungs- und Beratungszentrum für Päd- Ausgrenzung und Mobbing vermieden kungen, wie: agogik bei Krankheit (BBZ). Dieses bie- (Krell 2015, S. 6, 21). Im Beitrag von • erhöhte Anfälligkeit sich zurückzuzie- tet Unterricht in Gruppen an verschie- Stock wird dargestellt, wie anknüpfend hen, in Depressionen zu »versinken«, denen Standorten in Klinikschulen und an Konzepte zum inklusiven Unterricht • Verdrängung von Schmerzen und im mobilen Unterricht an. Das Ziel ist mit Schülerinnen und Schülern mit und Frust durch Computerspiele, primär, den Weg zurück in Regelklas- Hamburg macht Schule 1|2016 7
Thema Fundstücke Einführung Online-Handbuch »Inklusion als Menschrecht« Schulprojekte des Vereins Irre menschlich Hamburg e. V. Deutsches Institut für Menschenrechte e. V. (2015) (Hg.) www.irremenschlich.de insbesondere www.irremenschlich. www.inklusion-als-menschenrecht.de/#c397 de/projekte/schulen Pädagoginnen und Pädagogen erhalten Anregungen, mit In diesem trialogischen Verein sind Psychiatrie-Erfahrene, welchen Materialien und Methoden sie die Themen Men- Angehörige und Therapeuten aktiv. Lehrkräfte können sich schenrechte und Behinderung im Schulunterricht behan- beraten lassen und erhalten Unterstützung für entsprechen- deln können. Dazu gehören u. a. informative Texte, Rollen- de Unterrichtsvorhaben. Die direkte Begegnung zwischen und Planspiele. Hintergrundtexte zur Vertiefung sind meist Betroffenen und Schülerinnen bzw. Schülern in den Unter- schwerer zu lesen als die anderen Texte der Website. richtsprojekten hilft, Vorurteile und Ängste abzubauen. Einmal im Jahr findet am Universitätsklinikum Hamburg-Ep- DVD »Vielfalt macht Schule«, Inklusion in der Schule er- pendorf (UKE) der Tag der offenen Tür »Psychiatrie macht folgreich gestalten. Schule« mit Vorträgen, Filmen, Lesungen und Workshops statt. Mittendrin Hannover e. V. (2015) http://dvd.mittendrin-hannover.de/vielfalt/index.htm Broschüre Vielfalt in der Schule – Informationen für pä- Dieser Film beleuchtet, wie sich drei Grundschulen und zwei dagogisches Personal Integrierte Gesamtschulen in Hannover und Umgebung in Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Be- kleinen zu ihrem Konzept passenden Schritten zu inklusi- ratungsstelle Interkulturelle Erziehung (2015) (Hg.) ven Schulen entwickeln. Die Leitidee des Films orientiert http://li.hamburg.de/publikationen/publikationen/2819050/ sich am »Index für Inklusion« von Tony Booth und Mel Ains- interkulturelle-erziehung/ cow aus England. Das Heft dient bei wichtigen kulturell und religiös beding- ten Fragen des Schulalltags als verlässliche Informations- Zeitschrift »Ohrenkuss … da rein, da raus« quelle, Ratgeber und Orientierungshilfe. downtown werkstatt für kultur und wissenschaft gGmbH, Dr. Katja de Bragança/Dr. Bärbel Peschka (Hg.) Broschüre Vielfalt in der Schule – Informationen für Eltern http://ohrenkuss.de/ Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Be- Diese Zeitung erscheint halbjährig und wird von Menschen ratungsstelle Interkulturelle Erziehung (2015) (Hg.) mit Down-Syndrom gemacht. Die Hefte sind sehr anspre- http://li.hamburg.de/publikationen/2994684/vielfalt-eltern- chend gestaltet. Ein Ohrenkuss wird wie folgt erklärt: »Man infos/ hört und sieht ganz vieles – das meiste davon geht zum ei- Diese Publikation liegt in arabischer, englischer, französischer, nen Ohr hinein und sofort zum anderen Ohr wieder hinaus. russischer, spanischer, türkischer und Farsi-Übersetzung vor. Aber manches ist wichtig und bleibt im Kopf – das ist dann ein Ohrenkuss.« Webportal für inter*, trans* und genderqueere Jugendli- che »Mein Geschlecht« Schulvorträge und Aktionstage der Initiative ArbeiterKind.de TransInterQueer e. V. zur Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akade- www.meingeschlecht.de mikerkindern Hier finden Jugendliche Unterstützung durch Hinweise auf Informationen für Lehrkräfte: bundesweite Anlaufstellen sowie auf Einrichtungen und Or- www.arbeiterkind.de/index.php?id=10 ganisationen in den einzelnen Bundesländern. Außerdem Informationen für Schülerin und Schüler der Sek II: gibt es Informationen für Eltern, Angehörige und Pädago- www.arbeiterkind.de/index.php?id=13 ginnen und Pädagogen. Diese gemeinnützige Initiative ermutigt Schülerinnen und Schüler aus Familien, in denen noch niemand oder kaum Webportal »Queer History – Geschichte queer unterrichten« jemand studiert hat, zum Studium und unterstützt vom Stu- Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e. V. dieneinstieg bis zum Studienabschluss. Die ehrenamtlichen www.queerhistory.de Mentorinnen und Mentoren kommen für Vorträge, Aktions- Hier werden ausgearbeitete Unterrichtsentwürfe mit Im- tagen und Beratungsgespräche an die Schule. Sie berich- pulsen zur Gruppenarbeit sowie Videosequenzen zu unter- ten von ihren eigenen Erfahrungen und darüber, wie sie schiedlichen Themen, wie der Paragraph 175, die Frauen- es geschafft haben. Sie wollen Vorbilder sein und anderen und Lesbenbewegung oder die Geschichte der Empfängnis- Mut machen. verhütung, präsentiert. Hamburg macht Schule 1|2016 8
Inklusion II sen zu schaffen. Einzelunterricht findet orientierte Prävention im Sinne von gazin der Bundeszentrale für politische Einführung in der Regel bei den Schülerinnen und Selbstwirksamkeit (Empowerment) und Bildung. Thema Geschlechter. Ausgabe 57 Schülern mit schweren und/oder chro- die Betrachtung von Risiko- und Schutz- Gaupp, N. (2015): (Lebens-)Welten von nischen Erkrankungen statt. Ein Groß- faktoren eine wichtige Rolle (siehe Ro- Jugendlichen sind bunt. In: Dreizehn teil dieser Schülerinnen und Schüler be- bert Koch-Institut, 2015, S. 120). Welche – Zeitschrift für Jugendsozialarbeit. sucht die Schule so oft, wie es gesund- Bedeutung die Schule zur Stabilisierung H. 14/2015, S. 10 – 14. Kostenloser heitlich möglich ist (S. 18 f.). haben kann, wird aus dem anonymisier- Download unter http://www.jugend- Der Beratungsbereich des BBZ, der ten Beitrag einer Studentin deutlich (S. sozialarbeit.de/media/raw/KVJS_drei- sich im Aufbau befindet, umfasst die Be- 20 f.). Ebenfalls in einem anonymisier- zehn_Nr14_web.pdf ratungsstelle Pädagogik bei Krankheit ten Beitrag einer Sonderschullehrkraft Irle, K.(2015): Wie Inklusion in der Schu- (seit August 2015) und die Beratungs- werden auch die Grenzen einer inklu- le gelingen kann und warum manche stelle Autismus (S. 22 f.). Kinder mit Au- siven Schulpraxis beschrieben (S. 12 f.). Versuche scheitern. Interviews mit füh- tismus sind in der Kommunikation und Hier wird insbesondere die Frage auf- renden Experten. Weinheim und Basel sozialen Interaktion beeinträchtigt. Vie- geworfen, inwieweit es den Pädagogin- Körner, I. Senatskoordinatorin für die le Schulen ohne Erfahrungen haben be- nen und Pädagogen gelingt, den indivi- Gleichstellung behinderter Menschen gonnen, sich auf Autismus einzustellen, duellen Bedürfnissen aller Kinder nach (2015): Inklusion. Hamburg macht sich professionalisieren mit Hilfe der Bera- Selbstwirksamkeit und Kompetenzer- auf den Weg. Tätigkeitsbericht der Se- tung ihre Sicht auf Autismus, ermögli- leben zu entsprechen (Schuck 2014, S. natskoordinatorin für die Gleichstellung chen Veränderungen, individuelle Re- 167). behinderter Menschen 2011 – 2014 gelungen, einen Nachteilsausgleich so- In diesem Heft wird dargestellt, wie Krell, C. Oldemeier, K., Deutsches Ju- wie sonderpädagogische Unterstützung. die Berücksichtigung einzelner oder gendinstitut e. V. (2015): Coming out – Andere Schulen haben bereits langjäh- mehrerer Vielfaltsdimensionen bei der und dann …?! rige Erfahrungen mit Schülerinnen und Gestaltung von schulischen Prozessen Reich, K. (2014): Inklusive Didaktik. Schülern, denen nicht mehr unspezifi- und konkreten Vorhaben zu mehr Chan- Bausteine für eine inklusive Schule. sche »Verhaltensprobleme« zugeschrie- cen- und Bildungsgerechtigkeit beitra- Weinheim und Basel ben werden, sondern spezifische Beson- gen kann. »Es geht um Teilhabe aller im Reich, K. u. a. (2015) (Hg.): Eine inklu- derheiten, die erklärbar sind und eine Prozess des gemeinsamen Lernens. In sive Schule für alle. Das Modell der In- eigene Logik haben. der Situation hoher Diversität geht es klusiven Universitätsschule Köln. Wein- Seit Einführung der Inklusion zeigen umso mehr um Wertschätzung anderer heim und Basel Schulen deutlich mehr Bereitschaft, für und um Offenheit für Unterschiede, um Riekmann, B. (2015): Gemeinsam Ler- erkrankte Schülerinnen und Schüler im Beziehung und Vertrauen« (Riekmann nen – ein Plädoyer für die Vielfalt. In: Ge- Sinne eines Nachteilsausgleichs (NTA) 2015, S. 12). meinsam Lernen. Zeitschrift für Schule, unterschiedlichste Regelungen zu ver- Pädagogik und Gesellschaft H. 3/2015, einbaren und umzusetzen. Vor allem Literatur S. 8 – 14 Stadtteilschulen mit langer Integrati- Achour, S. (2015): Heterogenität im Po- Robert Koch-Institut (2015) (Hg.): Ge- onserfahrung sind geübt im Umgang litikunterricht – eine Einführung in das sundheit in Deutschland. Berlin mit unterschiedlichen Förder- oder Thema. In: Wochenschau. Heterogeni- Schuck, K. D. (2014): Individualisierung NTA-Regelungen. Für viele Gymnasien tät. Sonderausgabe Juni/Juli 2015, S. und Standardisierung in der inklusi- war es zwar neu, sich mit Förderplä- 4–6 ven Schule – ein unauflösbarer Wider- nen zu beschäftigen; inzwischen wird Behörde für Gesundheit und Verbrau- spruch? In: Die Deutsche Schule. Zeit- jedoch die Umsetzung von NTA-Rege- cherschutz (BGV) (2015) (Hg.): Gesund- schrift für Erziehungswissenschaft, Bil- lungen sehr engagiert angegangen. Seit heit Hamburger Kinder im Einschu- dungspolitik und pädagogische Pra- Erscheinen der Handreichung wird das lungsalter. Hamburg xis H. 2/2014, S. 162 – 174 BBZ immer häufiger angesprochen, um Behörde für Schule und Berufsbildung Thurn, S. (2015): Auf dem Weg zur bei der konkreten Planung von NTA-Re- (BSB) (2013) (Hg.): HAMBURG MACHT inklusiven Schule. In: PÄDAGOGIK gelungen zu beraten (Behörde für Schu- SCHULE. Zeitschrift für Hamburger H. 12/2015, S. 6 – 10 le und Berufsbildung 2013). Lehrkräfte und Elternräte. Inklusion. Dieses gilt auch für Jugendliche mit H. 2/2013 psychischen Erkrankungen. Epidemio- Behörde für Schule und Berufsbil- Beate Proll leitet die Abteilung Beratung logische Daten legen zwar keine Zu- dung (BSB) (2013) (Hg.): Handreichung – Vielfalt, Gesundheit und Prävention am nahme von psychischen Erkrankun- Nachteilsausgleich. Kostenloser Down- Landesinstitut für Lehrerbildung und gen nahe, mit Blick auf steigende An- load unter www.hamburg.de/content- Schulentwicklung. forderungen in einer modernen Indus- blob/3897226/data/nachteil-dl.pdf) beate.proll@li-hamburg.de trie-, Dienstleistungs- und Wissensge- Bundeszentrale für politische Bildung sellschaft spielt jedoch die ressourcen- (bpb) (Winter 2015/16) (Hg.): fluter – Ma- Hamburg macht Schule 1|2016 9
Thema Interkulturelles Stadtteilschule Kompetenztraining Sich gegenseitig aushalten und respektieren Seite. »Na und, siehst deutsch aus und Sache und diskutieren angeregt. Es ent- Ein konstruktiver Umgang mit Viel- benimmst dich wie eine Kartoffel, du stehen unterschiedliche Ranglisten, jede falt kann gelernt werden. Wer bin Lauch.« Großes Gelächter beim Rest der Gruppe erläutert ihr Ergebnis. Aus den ich? Woher komme ich? An was Klasse. »Wer ist hier eigentlich Deut- Gruppen wird berichtet, dass die Grup- glaube ich? sind dabei wichtige scher?«, fragt Aylin in die Runde. Kei- penmitglieder sich untereinander nicht ner meldet sich. »Frau Devici, sie haben einig waren und für die Präsentation Leitfragen. Konflikte entstehen, helle Haare, sie sind bestimmt deutsch eine Version ausgewählt haben. Einige wenn mit sehr stereotypen Identi- und mit einem Türken verheiratet.« Ich Schüler und Schülerinnen machen deut- tätszuschreibungen ausgegrenzt verneine und erzähle, dass meine Eltern lich, dass sie sich vom Gruppenergebnis wird. Welche Erfahrungen machen aus der Türkei nach Deutschland einge- distanzieren. Auf die Frage hin, welches wandert sind und ich selbst in Hamburg Gruppenergebnis denn nun richtig sei, Jugendliche im interkulturellen geboren wurde. konnte keiner antworten. Kompetenztraining? Was sind die Ich stelle erneut die Frage, was in- Aufgaben einer interkulturellen terkulturelle Kompetenz bedeutet. »Wir Reflexion mit Hilfe der Kulturpyramide Koordinatorin? Wie werden inter- müssen alle Kulturen akzeptieren.«, Nach einem kurzen Schweigen bemerkt kommt als Antwort. Nach der Frage, Aziz, dass es kein richtig und falsch gibt. kulturelle Themen in einer Schule welche Kulturen es gibt, werden die »Wir denken alle anders. Ist schon ko- aufgegriffen? deutsche, türkische, afghanische, per- misch. Hat aber mit unserem Land was sische, bosnische, polnische usw. ange- zu tun. Polen und Türken zum Beispiel Es ist die dritte Stunde einer 9. Klasse geben. Aziz hat Einwände: »Ich möchte können nicht gleich denken.« Esra wen- an der Kurt-Tucholsky-Schule in Alto- aber nicht die Serben akzeptieren. Die det ein: »Wieso? Mustafa ist auch Türke na. Der Klassenlehrer hat mich gebe- sind so assich.« Nun greife ich auf die und denkt wie Tim und nicht wie du!« ten, mit seiner Klasse ein interkulturel- »Nina-Übung« zurück. Alle sind sich einig, dass Mustafa kein les Kompetenztraining durchzuführen. typischer Türke sei. Ein typischer Tür- Auslöser waren sich zuspitzende Ausei- Die »Nina-Übung« (Kurzfassung) – ke würde Ninas Verhalten als am unmo- nandersetzungen zur Herkunft und Re- wer handelt richtig? ralischsten einstufen. ligion. Wir verfolgen damit das Ziel, für Nina ist eine junge Frau, die ihren Ver- Daraufhin erkläre ich den Kulturbe- den Schulalltag einen respektvollen Um- lobten Marc heiraten möchte, der auf griff anhand der Kulturpyramide (siehe gang mit Unterschiedlichkeiten und ge- der anderen Flussseite lebt. Axel besitzt Einleitung). Die Frage nach der interkul- gensätzlichen Meinungen zu entwickeln. als einziger ein Boot. Er fährt Nina nur turellen Kompetenz wird zum Schluss auf die andere Flussseite, wenn sie eine noch einmal aufgegriffen. Die Diskus- Von Kartoffeln, Lauch und Kanacken Nacht mit ihm verbringt. Nachdem Ni sion zur »Nina-Übung« und die Dar- Die Stimmung in der Lerngruppe ist wie nas beste Freundin Anja Nina mit ih- stellung der Kulturpyramide ergeben, nach jeder Pause am Anfang ziemlich rem Problem alleine lässt, geht Nina auf dass zur interkulturellen Kompetenz wuselig. Ich schreibe den Begriff: »in- Axels Bedingung ein. Einen Tag vor der u. a. das Aushalten anderer Meinungen terkulturelle Kompetenz« mit der Fra- Hochzeit erzählt sie Marc, wie sie auf und Sichtweisen gehört. Die eigene Posi- ge, was darunter zu verstehen sei, an die die andere Seite des Flusses gekommen tion kann dadurch in Frage gestellt bzw. Tafel. »Sie wollen uns beibringen, wie ist. Marc sagt daraufhin die Hochzeit kritisch betrachtet werden. Dabei muss wir Ausländer uns in Deutschland ver- ab und verlässt Nina. Damit Nina nicht die eigene Persönlichkeit nicht in den halten sollen.« antwortet Mehdi. Dazu alleine auf der anderen Flussseite le- Hintergrund treten. gibt es einige Einwände: »Ich weiß, wie ben muss, heiratet Georg, Marcs bester ich mich verhalten muss, werde aber Freund, Nina, obwohl er sie nicht liebt. Organisatorischer Rahmen nicht so sein wie die Kartoffeln.«, äußert Die Klasse wird aufgefordert, in Klein- Als interkulturelle Koordinatorin füh- ein anderer Schüler und zeigt auf zwei gruppen eine Rangliste zu erstellen, wer re ich anlassbezogen in verschiede- Jungs, die blonde Haare haben. »Ich bin von den fünf Personen am moralischs- nen Klassen das interkulturelle Trai- Pole, du Kanacke!«, heißt es von deren ten gehandelt hat. Alle sind aktiv bei der ning durch. Das Training findet immer Hamburg macht Schule 1|2016 10
Inklusion II Stadtteilschule Podiumsdiskussion für Eltern, Schüler- »Frau Devici, »Außerhalb der Schule schaft und Lehrkräfte im Stadtteil. Auf seitdem Sie in der muss ich auch immer noch darü- dem Podium haben verschiedene Ak- Klasse sind, merke ich ber nachdenken und passe echt auf, teure, die zum religiösen Extremismus gar nicht, wie die Zeit was ich sage.« (Schüler) arbeiten, ihre Positionen und Aktivitä- vergeht.« (Schüler) ten dargestellt. So wurden eine Anlauf- stelle für Betroffene vorgestellt und die Rolle der Polizei, der Religionsgemein- den und Behörden erörtert. Zurzeit be- sprechen wir, wie es mit dem Thema »Seit dem interkulturellen »Ich mer- »Gebetsraum« in unserer Schule wei- Kompetenztraining verlaufen die Diskus- ke jetzt viel tergehen soll. Die AG-Mitglieder haben sionen respektvoller. Bei ausgrenzenden schneller, was sich gegen einen Gebetsraum ausge- und rassistischen Äußerungen wird sich ge- Rassismus ist. sprochen. Daher ist der Vorschlag, ei- genseitig ermahnt. Häufig argumentieren Ich war ja auch nen Ruheraum für die Jahrgänge 9 und die Jugendlichen mit Sätzen, die sie wäh- rassistisch, habe 10 mit einer Ecke für Gebete einzurich- rend des Trainings gelernt haben. Aber mich richtig er- ten, angenommen worden. Im nächsten wenn es um Religion geht, geht es immer schreckt.« Schritt soll nun der Schülerrat einbezo- noch heiß her. Da wird es mit der Akzep- (Schülerin) gen werden. tanz schwieriger.« (Klassenlehrer) Zuständigkeiten Das Erlangen von interkultureller Kom- Äußerungen zum interkulturellen Kompetenztraining petenz erfordert einen Prozess, der über einen längeren Zeitraum angelegt wer- zwei Stunden in der Woche über einen ka 30 Stunden vorgesehen. In diesem den muss. In der Kurt-Tucholsky-Schule längeren Zeitraum statt (insgesamt zir- Rahmen werden dann 20 Kolleginnen wird das Training von allen sehr positiv ka 16 Unterrichtsstunden). Zu Beginn und Kollegen darin geschult, die Inhal- bewertet. Das Kollegium und die Schul- werden gemeinsam mit den Schülerin- te und Übungen in ihren Klassen durch- leitung sind sich einig, dass interkultu- nen und Schülern Gesprächsregeln zu- zuführen. relle Kompetenz früh gelernt und geübt sammengestellt. Dazu gehört, dass nie- Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden muss. Die frühe Auseinander- mand wegen seiner Meinung unsachlich sollen setzung mit dem Kulturbegriff, Vorurtei- kritisiert werden darf. Für Regelverstö- • die Bedeutung von interkulturellen len, Kommunikation, Werten, Normen ße werden gemeinsam Maßnahmen mit Kompetenzen kennen lernen. und Diskriminierung führt zur Selbstre- eindeutigen Konsequenzen formuliert. • Begrifflichkeiten (z. B. Kultur) kennen flektion und bewusstem Umgang mit Die Übungen sind so konzipiert, dass lernen und diese in ihrem Sprachge- Unterschieden und Gemeinsamkeiten. jede bzw. jeder aktiv mitarbeiten muss, brauch sinnvoll einsetzen. Das Thema sollte im Schulkonzept fest jedoch entscheiden kann, inwieweit sie • die Fähigkeit des Perspektivwechsels verankert sein und darf nicht aus dem oder er sich äußert. Außerdem sind die erlangen. Blickfeld gelangen. Es braucht institu- Übungen so angelegt, dass es kein ein- • ihre eigenen Vorurteile reflektierend tionell verankerte »Kümmerer«. Eine deutiges richtig oder falsch gibt. Die betrachten. gute Schule nimmt die Vielfalt wahr, Schülerinnen und Schüler setzen sich • möglicherweise eigenes diskriminie- setzt sich damit auseinander und si- mit echten Inhalten und ihren alltägli- rendes Verhalten erkunden und Alter- chert das friedliche Zusammenleben chen Gedanken auseinander. Das Leis- nativen entwickeln. fachlich ab. tungsniveau steht dabei weniger im • über eigene Normen und Werte spre- Vordergrund. Die Aufmerksamkeit ist chen sowie die Einflüsse darauf näher schnell da und hält bei vielen Jugendli- erläutern können. Özlem Devici unterrichtet an der Kurt- chen eine ganze Doppelstunde an. Tucholsky-Schule die Fächer Deutsch und Impulsgeber – die I-Kult AG Türkisch. Sie ist dort seit Februar 2014 Qualifizierung der schulischen Diese von mir geleitete Arbeitsgruppe als interkulturelle Koordinatorin tätig. Pädagoginnen und Pädagogen trifft sich zirka sechsmal im Jahr und Außerdem ist Frau Devici am Landesinstitut Da ich das Training bisher alleine bespricht aktuelle Themen, wie z. B. für Lehrerbildung und Schulentwicklung durchführe, können gleichzeitig nur religiösen Extremismus und plant ent- für das Hamburger Netzwerk mit zwei Klassen davon profitieren. Um es sprechende Maßnahmen, wie Kollegi- Migrationsgeschichte zuständig. in der Schule auszuweiten, ist eine Kol- umsfortbildungen mit externen Exper- oezlem.deveci@li-hamburg.de legiumsfortbildung im Umfang von zir- ten. Die jüngste Veranstaltung war eine www.tucholsky-schule.de http://li.hamburg.de/netzwerk Hamburg macht Schule 1|2016 11
Thema »Wir verfolgen das Grundschule Personenprinzip« Fördern im Unterricht mit ihnen im Nebenraum in einem in- Lernen braucht Beziehungen In diesem anonymisierten Interview zwischen gut eingeübten, strukturier- berichtet ein Sonderschulpädagoge ten Konfliktgespräch zu klären. Das ist Wir haben uns vor zwei Jahren dar- von seinen Erfahrungen an einer nur möglich, da in dieser Stunde meine auf geeinigt, dass möglichst viel Förde- KESS-1-Grundschule. Er hat die Fach- Doppelbesetzung anwesend ist und mit rung (siehe § 12 und § 45 des HmbSG, der Klasse kurz frühstückt. Sprachförderung, Begabtenförderung richtungen »Geistigbehindertenpäd- etc.) nicht in Förderkursen oder von agogik« sowie »Lernbehinderten- Allen Kindern gerecht werden Lehrkräften, die speziell nur dafür ein- pädagogik« studiert und in Förder- Bis dann meine Musikstunde endlich gesetzt werden, durchgeführt werden, losgehen kann, ist einige Zeit verstri- sondern von Lehrkräften bzw. pädago- schulen für Lernbehinderte sowie in chen und die Kinder, die Referate über gischen Fachkräften, die viel in der Klas- Integrationsklassen gearbeitet. Wie ihre Lieblingsmusik halten wollen, wer- se sind. Nach unseren Erfahrungen ist gelingt integrierte Förderung im den ungeduldig. Schließlich startet ein die Bindung von pädagogischen Fach- Klassenverband? Ist dieses Konzept Schüler mit einem Rap, der allerdings kräften zu den Kindern grundlegend für eine Menge »F-Wörter« enthält. Dies ist eine effektive Förderung. Außerdem ist für alle Kinder geeignet? Sollte das Anlass zu einer Diskussion, wann sol- der Austausch zwischen einer kleinen Notensystem abgelöst werden? che Wörter erlaubt sind und wann nicht. Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, Zählt die künstlerische Freiheit mehr die die Kinder gut kennen, einfacher zu Ich unterrichte und berate als Sonder- als die Schulregel, keine Schimpfwör- organisieren und inhaltlich intensiver. schullehrkraft an einer KESS-1-Grund- ter und Beleidigungen zu verwenden? Im Idealfall ist die Zweitbesetzung eine schule und habe die Fachrichtungen Die Zweitbesetzung, die mit einem Kind Sonderschullehrkraft. In der Realität rei- »Geistigbehindertenpädagogik« sowie mit Förderbedarf Geistige Entwicklung chen die sonderpädagogischen Ressour- »Lernbehindertenpädagogik« studiert. das Referat geübt hatte, muss dann mit- cen für ein Tandemmodell in allen Lern- Außerdem habe ich an einer Schule für ten in der Stunde zur Vertretung in eine gruppen jedoch nicht aus. Wir haben uns Geistigbehinderte, an einer Förderschu- andere Klasse. Die Schülerin schafft es auf den Kompromiss geeinigt, dass dann le für Lernbehinderte und in Integra- trotzdem, ihren Text mit sehr leiser die Förderung von anderen Lehrkräften tionsklassen an einer Berufsbildenden Stimme vorzulesen und ihr Lied vorzu- oder auch Erzieherinnen durchgeführt Schule gearbeitet. stellen. Der Körpersprache der ande- wird, die viel in der Klasse sind und zu ren Kinder entnehme ich, dass sie das der die Kinder einen Bezug haben. Zur- HMS: Können Sie uns bitte einen kurzen Lied ziemlich »uncool« finden; aber sie zeit sieht unser Modell so aus, dass in je- Einblick in Ihren Arbeitsalltag geben? schaffen es, nichts Abwertendes dazu zu dem Jahrgang eine Sonderschullehrkraft Typisch für meinen Schulalltag ist fol- sagen. Beim Klingelzeichen rasen alle tätig ist. Sie ist in einer Klasse des Jahr- gende Situation: Auf dem Weg zum Mu- nach draußen, um rechtzeitig bei der gangs die Tandempartnerin einer Fach- sikunterricht in einer 4. Klasse begegne Tischtennisplatte zu sein und »Runde« lehrkraft, berät aber auch die Fachlehr- ich einer Kollegin, die schnell noch den zu spielen. kräfte der anderen Klassen des Jahr- Termin für ein Elterngespräch mit mir Hat Ihre Schule ein Konzept zur inklu- gangs zu sonderpädagogischen Frage- absprechen möchte. Das Gespräch mit siven Bildung? stellungen. Gleichzeitig sollen die Son- einem Kind, das mir gerade von seinem Auf mehreren Lehrerkonferenzen und derschullehrkräfte auch verantwortlich neuen Spielzeug – einem tollen dehn- einer pädagogische Jahreskonferenz Fachunterricht geben, um so ihre Sicht- baren Gummi – erzählt, muss ich da- haben wir verschiedene Möglichkeiten weisen in die Fachdidaktik einzubringen für abbrechen. Ich erreiche gerade noch der Förderung diskutiert und über und ein anderes »Standing« in den Klas- rechtzeitig meinen Klassenraum. In der Grundzüge Beschlüsse gefasst. Die sen zu haben. Deshalb unterrichte ich kleinen Garderobe vor der Klasse drän- Förderkoordinatorin entwickelte auf als Sonderschullehrkraft in der 4. Klas- geln sich 18 Schülerinnen und Schüler. dieser Grundlage mit Hilfe von einigen se, wie anfangs dargestellt, Musik und Zwei Jungen hatten sich in der Pause Kolleginnen und Kollegen ein Konzept, bin gleichzeitig Beraterin von anderen gestritten und bitten mich, diesen Streit das dann wieder allen vorgestellt wurde. Fachlehrkräften. Hamburg macht Schule 1|2016 12
Inklusion II Wie sieht das Unterstützungssystem und die Leistungsanforderungen höher. Grenzen der Inklusion Grundschule Ihrer Schule aus? Das hat sich inzwischen sehr geändert, Verschiedenste Kolleginnen und Kolle- es ist gelungen, die Klassen stärker zu Ein weiterer Stolperstein ist die Inte gen – Lehrkräfte, Erzieherinnen, Sozial- mischen, so dass auch wirkliche Inklu- gration – ich verwende diesen veralteten pädagoginnen – arbeiten als Doppelbe- sion stattfinden kann. Begriff bewusst – von Kindern mit För- setzungen im Unterricht oder auch im Durch inzwischen gewachsene Struk- derbedarf Geistige Entwicklung. Nach sogenannten »Ganztagsbereich«. In ei- turen des Austausches untereinander, meiner Beobachtung bewahrheitet sich nem unserer Klassenräume verbinden wie verbindliche und fest terminierte die in vielen Untersuchungen dargelegte wir die pädagogische Insel (Rückzugs- Teamsitzungen, ziehen die meisten Be- These, dass sie mehr lernen als in den raum für Kinder, welche aus aktuel- teiligten an »einem Strang«. Das redu- Sonderschulen und dass es für die Kin- lem Anlass, z. B. Unterrichtsstörungen, ziert Gewaltvorfälle und verbessert das der ohne Förderbedarf ein großer Ge- kurzfristig nicht am Regelunterricht teil- Klima in der Schule. Auch gemeinsame winn ist, mit solchen Kindern in einer nehmen können) mit Pausen-Gestaltung Projekttage, Schulfeste, Projekte tragen Klasse zu sein. Allerdings sehe ich in und dem Nachmittagsbereich. Teilweise dazu bei. Seit es der Schule durch spezi- der Realität, dass sie manchmal kaum wird dieser Raum zeitgleich von 20 bis fische Lernangebote gelungen ist, auch wirkliche Freunde finden, die auf ih- 30 Kindern genutzt. Es gibt verschiedene Kinder aus bildungsnahen Haushalten rem Spielniveau spielen und über die Kooperationspartner wie das Regionale einzuschulen, hat sich das Schulklima gleichen Dinge lachen können. Je älter Bildungs- und Beratungszentrum (ReB- nochmals spürbar verbessert. Dadurch die Kinder werden, desto weiter geht BZ), den Allgemeinen Sozialen Dienst entsteht wirkliche Vielfalt, die für alle die Schere auseinander. Schwer auszu- (ASD), den Träger des Ganztagsange- von Nutzen ist, allerdings auch neue halten finde ich, wie manche dann ver- botes, die Lesepaten, einen ganzen Pool Fragen aufwirft. So gibt es immer wie- suchen, durch übergroße Anpassung von Kurs-Anbietern und Honorarkräf- der kritische Äußerungen einzelner El- oder Verstecken ihrer Besonderheiten, ten aus unterschiedlichen Professionen. tern zum Lernniveau mit Blick auf den wie z. B. Muskelzuckungen (Tics), ein gewünschten Wechsel zum Gymnasium. bisschen beliebter zu werden. Einige Verlässliche Förderung – Kinder werden ganz still und zurück- eine Herausforderung Guter Unterricht haltend, da es den anderen Kindern Es ist auf jeden Fall hilfreich, dass so für heterogene Lerngruppen zu lange dauert, bis sie z. B. ein Spiel viele Professionen zusammenarbeiten Hier sehen allerdings auch viele von verstanden haben. Diese Kinder wären und dass es ein Unterstützungsangebot, uns noch große »Baustellen«, da es sehr aus meiner Sicht in der manchmal als wie das Insel-Konzept, neben dem Un- zeitaufwändig und komplex ist, guten »Schonraum« verunglimpften Schule terricht gibt. Die Kommunikation un- Unterricht mit diesen sehr heterogenen für den Förderschwerpunkt Geistige tereinander und Transparenz ist dabei Gruppen zu machen, in denen oft viele Entwicklung vielleicht glücklicher. immer wieder eine große Herausforde- Sprachbarrieren bestehen. Unterrichts- Sehr problematisch finde ich außer- rung und braucht Zeit, die allerdings zu planung im Team wäre optimal, gelingt dem die Regelungen zur Notengebung. selten da ist. Das ganze System des in- aber aus Zeitgründen nur selten, eini- Wenn ich ein Kind zielgleich bewerten klusiven Förderns im Unterricht gerät ges läuft über Mailverkehr. Die verschie- muss, das noch gar nicht auf dem Stand ins Wanken, wenn einige Pfeiler »wa- densten Förderstufen und -bestimmun- der anderen ist, macht das manches Mal ckeln«, zum Beispiel bei Krankheit oder gen erleichtern den Alltag nicht immer. alle Förderung und Stärkung der Per- bei besonderen Aktivitäten, wie Klassen- Wo darf ich ein »LSE-Kind« (sonderpä- sönlichkeit wieder zunichte. Absurder- reisen oder -exkursionen. Da im Alltag dagogische Förderschwerpunkte Ler- weise fühlen sich die Kinder, die ziel- immer wieder unvorhergesehene Krisen nen, Sprache sowie emotionale und so- different unterrichtet werden und keine in Klassen entstehen, in der gerade kei- ziale Entwicklung) im Sinne des Nach- Noten bekommen, gerade durch diesen ne Sonderschullehrkraft anwesend ist, teilsausgleichs zieldifferent bewerten? »Schutz vor Noten« stigmatisiert, was ja muss diese aus einer anderen Lerngrup- Wann sollen wir die § 45-Förderung dem Gedanken der Inklusion völlig zu- pe »abgezogen« werden. Manche Förde- machen, die den Kindern eigentlich zu- widerläuft. Die einzige Möglichkeit, das rung im Unterricht geht deshalb unter; steht? Welche Themenfelder bieten für zu vermeiden und Inklusion zu verwirk- hier wären manchmal verlässlich statt- alle gute Lernchancen? So wurden sehr lichen, sehe ich daher in einer leistungs- findende »Förderstunden« sinnvoller. gute Erfahrungen mit einem Projekt zu gerechten individuellen Bewertung für Was gelingt aus Ihrer Sicht gut? Was Kinderrechten gemacht. Wie gehen wir alle und in der damit verbundenen kri- muss noch entwickelt werden? mit Kindern aus den Internationalen tischen Reflexion des bestehenden No- Mein erster Eindruck von der Schule Vorbereitungsklassen um, die mitten tengebungssystems. war, dass sie sich in ihrer Schülerschaft im Schuljahr in andere Klassen wech- nicht sehr von Förderschulen, an denen seln, obwohl sie den Lernstand der Klas- ich früher gearbeitet habe, unterschei- se noch nicht erreicht haben, die aber Das Gespäch führte Beate Proll. det, außer, dass die Klassen größer sind keinen Förderstatus haben? beate.proll@li-hamburg.de Hamburg macht Schule 1|2016 13
Thema Chancengerechtigkeit Gymnasium in den Blick nehmen Lernpotentiale sichtbar machen – Lernhindernisse ausräumen se die Unterstützung fehlt, tun sich be- ten u. a. Aufgaben aus der Online-Diag- Eine Schule erkennt, dass vor al- sonders schwer in Mathematik und den nose bearbeitet werden. Für das Lern- lem Schülerinnen und Schüler mit Fremdsprachen. Gerade hier bauen die coaching steht für die Jahrgangsstufen Handicaps oder fehlender häusli- Kenntnisse aufeinander auf, eine Phase 6 bis 9 ein fester Platz im Stundenplan cher Förderung dabei unterstützt der Unaufmerksamkeit führt im dichtge- zur Verfügung, so dass alle Schülerin- werden müssen, ihre Begabungen drängten Lehrplan der Mittelstufe häufig nen und Schüler teilnehmen können. dazu, dass den Schülerinnen und Schü- in schulische Leistungen zu überset- Leistungspotential lern Lücken entstehen, die nur schwer zen. Wie können trotz schwieriger erkennen und abrufen aufzuholen sind. Daraus resultierende Lebenswelten Lernerfolge verzeich- schlechte Noten führen zu Frustrati- »Ich weiß gar nicht, was mit dem Jun- net werden? Wie sehen die konkre- on und einem weiteren Leistungsabfall. gen los ist«, klagte das Kollegium einer ten Fördermaßnahmen aus? Welche Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen Mittelstufen-Klasse und auch die Schul- Rolle spielt dabei ein schulischer und zu verhindern, dass Schülerinnen leitung war relativ hilflos. Es ging um wie Julia die Versetzung in die Oberstu- Tom, einen offensichtlich intelligenten Sozialpädagoge? Wie hat sich die fe nicht schaffen, geben wir uns in Ma- Jungen, der gelegentlich im Unterricht Perspektive auf diese Kinder verän- thematik mit den Noten 5 oder 6 in Klas- mit brillanten Unterrichtsbeiträgen auf- dert? senarbeiten nicht mehr zufrieden. Schü- fiel, oft jedoch passiv wirkte, sich völ- lerinnen und Schüler, die diese Noten ge- lig zurückzog und sichtlich darunter litt. Der gesellschaftliche Auftrag an un- schrieben haben, können im nächsten Zahlreiche Gespräche mit externen Be- sere Schulform hat sich in den letzten Vierteljahr an einem sechswöchigen Ma- ratungsstellen führten schließlich zur Jahrzehnten erheblich verändert. Heute the-Fit-Kurs teilnehmen. Am Ende die- Diagnose einer besonderen Form von können wir nicht mehr von einer homo- ses Kurses wird eine Arbeit zu dem je- Autismus, wiederum zahlreiche Gesprä- genen Schülerschaft ausgehen, sondern weiligen Thema geschrieben, so dass die che dauerte es, bis die geeigneten För- müssen als Gymnasium mit Heterogeni- Schülerinnen und Schüler die Gelegen- dermaßnahmen gefunden worden wa- tät umgehen lernen. Die Einzelne bzw. heit erhalten, mit dieser zusätzlichen Ar- ren. Mit diesen Maßnahmen – alles in den Einzelnen in den Blick zu nehmen, beit ihre Note zu verbessern. So gelang allem keine großen und aufwendigen ohne die gymnasialen Anforderungen es Julia, ihre 5 durch eine anschließen- Dinge – war Tom in der Lage, sein Leis- herunterzuschrauben – dieser Aufgabe de 2 wieder auszugleichen. tungspotential kontinuierlich abzuru- stellen wir uns am Gymnasium Olden- fen und wurde ein ausgeglichener und felde. Einige unserer Ansätze möchten Unser Förderkonzept glücklicher Schüler (siehe Beitrag Au- wir am Beispiel von drei fiktiven – aber Im Zentrum steht ein 90-minütiges tismus S. 22 f.). Als Schulleitung wurde sehr realistischen – Schülerinnen und Lerncoaching, das aus zwei Teilen be- uns an diesem Fall klar, dass Tom das Schülern verdeutlichen. steht. In den ersten 30 Minuten wird Glück hatte, auf einzelne sehr engagier- eine Gruppe von 10 bis 20 Schülerin- te Lehrerinnen und Lehrer zu treffen. Misserfolg – nen und Schülern von einer Lehrkraft Doch wäre er in einer anderen, weniger den Teufelskreislauf durchbrechen betreut, die individuelle Förderbedarfe günstigen Konstellation auch aufgefal- Julia ist eine kluge Schülerin – ihre ermittelt und allgemeine Lernstrategien len? Hätte er dann die Förderung erhal- erste Mathematikarbeit in Klasse 8 ist vermittelt. Am ersten Termin im Schul- ten, die er benötigte, um schließlich Abi aber sehr schlecht ausgefallen. Neben halbjahr wird mit Hilfe einer Online-Di- tur zu machen? Wir mussten uns ehr- den üblichen Förderbausteinen, wie der agnose für jede Schülerin und jeden lich eingestehen, dass dies wohl nicht Sprachförderung, dem Lerncoaching Schüler eine individuelle Fördermap- der Fall gewesen wäre. und der fachlichen Förderung, bieten pe mit Aufgaben und Lösungen erstellt. wir im Rahmen unseres Gesamtförder- Anschließend werden die Schülerinnen Ein Sozialpädagoge unterstützt konzeptes Elemente an, die in unseren und Schüler in fachbezogene Kleingrup- Wir hatten weder die zeitlichen Res- Augen besonders erfolgreich sind. Schü- pen (vier bis sechs Teilnehmer) aufge- sourcen noch die fachliche Kompetenz lerinnen und Schüler, denen von zu Hau- teilt, in denen unter Anleitung 60 Minu- im Haus, um den Blick systematisch Hamburg macht Schule 1|2016 14
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