Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop

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Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Der gerechte Lohn          NZZ Folio   4/2018

                                          0 0 3 2 1

                                                                 Der gerechte Lohn

                                                      CHF 9.80
9 771420 562003

Wie viel sind Sie wert?
Von Topverdienern und armen Schluckern.
                                                                                                 Nr. 321 April 2018
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
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Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Thema: Der gerechte Lohn
22 Editorial

24 Bittersüsses Geheimnis
Warum ist des Schweizers intimster Körper­
teil sein Portemonnaie? Peter Haffner

26 An die Spitze
Die Managerinnen Simona Scarpaleggia
(Ikea) und Nicole Burth (Adecco) sprechen
über Löhne, Wettbewerb und die Macht
von Vorbildern. Barbara Klingbacher

36 Schmerzensgeld oder Hauptgewinn?
Sechs Leute erzählen, wie der Lohn ihr
Leben prägte und das Leben ihren Lohn.
Barbara Klingbacher und Reto U. Schneider

44 Allzu paradiesisch?
Bei den UN­Organisationen gilt das Gebot
der Lohngerechtigkeit. Das ist in mancher
Hinsicht ungerecht. John Snow

47 Gerecht ist eine Illusion
Haben Anwälte schon immer so gut ver­
dient? Und warum verdienen Frauen weni­
ger als Männer? Die Historikerin Brigitta
Bernet im Gespräch. Gudrun Sachse

53 Was sich auszahlt
Mindestlohn, Akkordarbeit, Trinkgeld, ein
Bonus oder einfach Lob: Welches System ist
gerecht? Und welches motiviert wirklich?

61 Darf’s ein bisschen mehr sein?
Hanselmann möchte mehr Lohn. Der
Personalexperte Matthias Mölleney (Ex­
Swissair) erklärt, was er im Gespräch mit
dem Chef alles falsch macht. Balz Ruchti

Titelblatt: Patrick Hari, Zürich.
Das Cover zeigt die Uniform des Bade­
meisters von Kilchberg ZH. Sein Bruttolohn
beträgt beim Einstieg 5380 Franken. Ein
Chefbademeister kann bis 6770 Franken
verdienen. Patrick Hari hat für das NZZ­
Folio auch alle anderen Berufsleute bezie­
hungsweise ihre Berufskleidung am Arbeits­
platz inszeniert und fotografiert.

4 | Folio 4 | 2018
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Mitarbeiter Sicherheitsdienst                                                                             Rubriken
Lohn: 5000 bis 7500 Franken
                                                                                                          6 Cheers!
(Quelle: Delta Security)
                                                                                                          Das Internet ist die Droge der Jugend.
                                                                                                          Florian Siebeck

                                                                                                          8 Aus der Warenwelt
                                                                                                          Ein Bier namens Eroberung.
                                                                                                          Wolfgang Ullrich

                                                                                                          10 Vor Gericht
                                                                                                          Verschwundenes Schwarzgeld.
                                                                                                          Andreas Heller

                                                                                                          11 Das Experiment
                                                                                                          Der Traumtänzer. Reto U. Schneider

                                                                                                          12 Lieben lernen
                                                                                                          Bei den Pferden. Christina Viragh

                                                                                                          14 Wer wohnt da?
                                                                                                          Von nichts zu viel. Gudrun Sachse

                                                                                                          18 Leserbriefe

                                                                                                          19 Impressum

                                                                                                          66 Folio Folies
                                                                                                          Gerhard Glück

                                                               Verwandtes Heft aus dem Archiv
                                           Nr. 308 März 2017

                                                               Das Heft «Sparen» (3/2017) kann für
   Sparen

                                                               13.80 Franken (inkl. Versand) nach­
                                                               bestellt werden. Für Abonnenten ist das
                                                               Onlinearchiv gratis: nzzfolio.ch.
            Sparen
            Warum es nichts mehr bringt.

                                                               NZZ-Folio in drei Sprachen gratis
                                                               Dank der Unterstützung der Bank Cler
                                                               erscheint die Ausgabe «Der gerechte
                                                               Lohn» zusätzlich in Französisch und
                                                                                                                                               DANIEL WINKLER

                                                               Italienisch. Und alle drei Sprachversio­
                                                               nen können im NZZ Shop gratis als PDF
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                                                                                                          Wohnt hier
                                                                                                          ein geselliges
                                                                                                          Architektenpaar?
                                                                                                          Oder sind es
                                                                                                          zwei Leser?

                                                                                                          14

                                                                                                                                           Folio 4 | 2018 | 5
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Cheers!                                         Das Internet ist die Droge
                                                der Jugend

                                                Sie führen eine von nur zwei Bars in    Vielleicht, weil kaum jemand diese
                                                São Tomé. Wie kam es dazu?              ehemalige Kolonie Portugals kennt.
                                                    Ein Franzose hatte die Bar 2010        Zwei Drittel der Portugiesen
                                                eröffnet. Nach drei Jahren zog er       können São Tomé nicht mal auf der
                                                weg, weil er müde von der Insel         Karte zeigen. Und das internatio­
                                                war. Als ich die Bar übernahm, war      nale Publikum hat abgenommen.
                                                sie leergefegt. Ich musste sechs        Als ich 2010 ankam, war die
                                                Monate warten, bis ich an Rum           Mischung perfekt: Es gab grosse
                                                kam, auch Gin und Whisky gab es         Communities von Franzosen,
                                                auf São Tomé nicht. Aber die Bar        Spaniern, Italienern, alle Mitte
                                                war beliebt bei Expats, also gab ich    zwanzig, alle hier, um die Welt zu
                                                ihnen Einkaufslisten mit, wenn sie      retten. Heute schicken die Organi­
                                                in ihre Heimat reisten.                 sationen keine Weltenretter mehr,
                                                                                        weil kein Geld mehr da ist.
                                                Mittlerweile ist die Bar gut gefüllt.
                                                Was trinken die Leute am liebsten?      Was hat Sie hierher verschlagen?
                                                  Gravaninha, einen Longdrink,              Meine Familie stammt aus
                                                den ich entwickelt habe: Maracujá,      Guinea­Bissau, ich bin aber in
                                                Rum, Zuckersirup, Limette, Eis.         Portugal aufgewachsen. Meine por­
Gudi                                                                                    tugiesische Freundin machte den
Der 38jährige ist Inhaber der Bar Pico          In São Tomé können sich die wenigs-     Doktor in Meeresbiologie. Sie
Mocambo in São Tomé, dem zweit­                ten einen Barbesuch leisten.            fragte: São Tomé oder Madagas­
kleinsten Land Afrikas. 2010 kam er mit
300 Euro und 40 Pfund in der Tasche aus
                                                   Früher war das eine «Bar für         kar? Ich sagte Madagaskar, aber sie
Europa auf der Insel an, bekam am zweiten       Weisse», das gefiel mir nicht. Um       hat mich übergangen. Zu Recht:
Tag einen Job als Kellner und eröffnete         junge Leute anzuziehen, habe ich        Ich wusste nicht, wie schön es hier
später ein Geschäft für Kunsthandwerk.          kostenloses Internet eingeführt.        ist. Wir bekamen zwei Kinder.
2013 übernahm er «Pierre’s Bar», die bis
dahin Treffpunkt der französischen
                                                Alle sagten: Mach das nicht! Aber       Nachdem wir uns getrennt hatten,
Community gewesen war.                          das Internet ist die Droge der          habe ich in Portugal als DJ gejobbt
                                                Jugend. Sie kommen nach der             und in England als Tellerwäscher.
Pico Mocambo                                    Schule, surfen und trinken Milch.       2010 kam ich dann zurück, um bei
Die Rum­Bar in einem alten Kolonialhaus in      Ohne die Jungen hätte ich den           meinen Söhnen zu sein.
der Ave Amilcar Cabral gibt es seit 2010 –      Laden längst dichtmachen können.
sie ist die älteste in São Tomé, wo es
ohnehin nur noch eine andere gibt. Sie ist                                              Leben Ihre Kinder noch hier?
ab 9 Uhr morgens offen und schliesst,           Wo gehen denn die Leute hin, die           Nein, meine Jungs sind 13 und
wenn die letzten Gäste gehen. Mocambo           Geld haben, die Politiker etwa?         10 Jahre alt, sie leben in Portugal.
heisst «Rückzugsort» – einige Gäste im             Politiker sieht man hier nicht.      São Tomé ist zu klein für Teenager.
Internet schreiben, es sei die «beste Bar in
Afrika». Es gibt selbstdestillierte Rum­
                                                Nirgendwo im öffentlichen Leben.
variationen mit Knoblauch, Gurke, Kokos­        Die leben im Privaten und geben         Besucher halten es für das Paradies.
nuss, Karambole oder Kakao. Der Haus­           ihr Geld im Ausland aus.                   São Tomé ist nicht Afrika, es ist
drink Gravaninha kostet 90 000 Dobra                                                    eine Illusion Afrikas. Es gibt keine
(4.20 Fr.), ein Bier 30 000 Dobra (1.40 Fr.),
ein Wasser 20 000 Dobra (93 Rappen).
                                                Langsam kommen mehr Touristen           Tropenkrankheiten und kaum
                                                ins Land. Merken Sie das?               Kriminalität, dafür einen Regen­
São Tomé und Príncipe                               Nein. Früher gab es drei Flüge      wald und überall freundliche Men­
Einwohner: 199 910                              pro Woche, da sassen fünf bis zehn      schen. Das Motto hier ist «Leve,
BIP pro Kopf: 1743 Franken                      Touristen drin. Heute sind es           leve» – immer mit der Ruhe. Aber
Durchschnittsalter: 18,2 Jahre                  doppelt so viele. Die Superreichen      diese Unverbindlichkeit hat Schat­
Alkoholkonsum pro Kopf und Jahr (reiner         fliegen zur Nachbarinsel Príncipe,      tenseiten. Die Leute kommen und
Alkohol): 7,1 Liter                             wo ein Südafrikaner Luxusresorts        sagen: «Wow! So sollte das Leben
Abstinenzlerquote: 61,9 Prozent                 gebaut hat. Die anderen verschwin­      sein!» Für eine Woche vielleicht,
                                                den im Dschungel. Die, die für Bars     aber nicht länger.
                                                so wichtig sind, Deutsche und
                                                Engländer, siehst du sowieso nicht.     Interview Florian Siebeck.
6 | Folio 4 | 2018
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Warum verdienen Männer und
    Frauen nicht einfach gleich viel?

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Aus der Warenwelt                       Ein Bier namens Eroberung

                                        Eine deutsche Traditionsbrauerei vertreibt Biere
                                        mit martialischen Namen – aber nur im Ausland.
                                        Eine Marketingsünde? Wolfgang Ullrich
Ruhm, Tollheit, Eroberung – das         fiehlt es sich für das Marketing,       lichen aber auch, die wenigsten
sind Worte, die am ehesten in           jene Assoziationen zu bestätigen,       Chinesen verstünden die Bedeu­
etwas angejahrten Romanen ihren         die Kunden ohnehin haben. So            tung der Worte, wichtiger als die
Auftritt haben. Trotzdem gibt es        verraten die Biere etwas über das       Semantik sei der Klang.
heute noch Verwendung für sie,          Deutschlandbild der Chinesen –             Vermutlich passiert Vergleich­
und zwar in einem Bereich, in dem       oder zumindest darüber, wie dieses      bares ziemlich häufig, so dass
man sie am wenigsten vermuten           Bild von einer deutschen Brauerei       umgekehrt genauso Produkte aus
würde: als Markennamen.                 eingeschätzt wird.                      Asien oder der arabischen Welt,
   Wie viel Ironie muss dafür wohl         Das Marketing erhält hier            die für den Westen hergestellt
bemüht werden? Um genau zu              Klischees aufrecht, statt sich in der   werden, mit überholten Motiven
sein: gar keine! Vielmehr machen        Verantwortung zu sehen, für ein         und merkwürdigen Namen ver­
diese Worte ihre zweite Karriere        moderneres Image des Landes zu          sehen sind. Dem Marketing ist
als Exportartikel. So findet man in     sorgen, in dessen Namen man             nicht zu trauen. Aber ist es nicht
China ein Starkbier, das Tollheit       Produkte vertreibt. («German            zugleich eine reizvolle Vorstellung,
heisst, oder Dosen mit Schwarz­         beer» steht eigens auf der Dose.)       dass Exportprodukte eine museale
bier, auf denen Eroberung steht. Es     Vielleicht glauben die Verantwort­      Dimension besitzen? Dass in ihnen
sind – ausschliesslich im Ausland                                               Sujets und Worte konserviert
vertriebene – Produkte des Fran­                                                werden, die sonst kaum noch einen
kenthaler Brauhauses, das zur                                                   Ort haben?
Privatbrauerei Eichbaum gehört,                                                    Wie im Fall von Museumsexpo­
einem Unternehmen, dessen                                                       naten gilt auch hier, dass die alten
Geschichte bis in das 17. Jahrhun­                                              Bedeutungen nicht mehr richtig in
dert zurückreicht.                                                              Kraft sind und zudem zu isoliert
   Auf der Dose umgeben den                                                     stehen, um nochmals die ursprüng­
Produktnamen Bildsymbole, die                                                   liche Geltung erlangen zu können:
ihrerseits zu einer nicht mehr ganz                                             Sowenig durch historische Museen
aktuellen Welt und einem längst                                                 reaktionäre Bewegungen genährt
vergangenen Deutschland gehören:                                                werden, sowenig erleben Worte
ein Zylinder bei Tollheit, ein Trach­                                           wie Eroberung oder Tollheit durch
tenhut bei Eroberung, dazu jeweils                                              die Verbreitung im Ausland ein
eine Feder sowie ein üppiger,                                                   Revival.
gezwirbelter Schnurrbart. Zwar                                                     Daher braucht uns auch nicht zu
beschwören auch für den heimi­                                                  beunruhigen, dass noch ein zweites
schen Markt produzierte Biere oft                                               Bier mit dem Namen Eroberung
alte Traditionen und werben mit                                                 existiert. In Brasilien gebraut und
urig­ländlicher Atmosphäre, doch                                                vertrieben, ist es kein deutsches
griffe man dabei kaum auf Worte                                                 Exportprodukt, spielt jedoch
wie Eroberung oder Ruhm zurück.                                                 konsequent mit Deutschland­Asso­
Worte, die eine ambivalente Ge­                                                 ziationen. Das Marketing mit
schichte haben, geprägt nicht                                                   Nationalitätenklischees findet in
zuletzt von martialischen, fanati­                                              solchen Fällen noch unbefangener
sierten Verwendungen.                                                           statt. Fernab der Länder, auf die
   Doch warum tritt man damit im                                                Bezug genommen wird, haben
Ausland auf? Müsste hier nicht                                                  Vorurteile und Wunschvorstellun­
besonders sensibel sein, wer das                                                gen freien Lauf, sind aber erst recht
                                                                                                                        TOBY NEILAN

Image des Herkunftslandes nicht                                                 folgenlos. Sie sind nicht nur
belasten will? Andererseits emp­                                                museal, sondern auch noch Fakes.
8 | Folio 4 | 2018
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
AIR
       NAVITIMER 1

SEA

      D
  L AN

                     BREITLING BOUTIQUE
                       AUGUSTINERGASSE 48
                           ZÜRICH
Wie viel sind Sie wert? - Von Topverdienern und armen Schluckern - NZZ Shop
Vor Gericht                            Verschwundenes Schwarzgeld

                                       Um sein unversteuertes Geld zu verstecken,
                                       vertraute Herr W. den Diensten eines windigen
                                       Beraters. Eine schlechte Idee. Andreas Heller
Der vor dem Basler Strafgericht                                                gebracht und dem Besitzer ausge­
verhandelte Fall ruft jene Zeit in                                             händigt. Nach seiner Rechnung
Erinnerung, als Geschichten über                                               schulde er Herrn W. noch 25 000
dubiose Geschäfte mit sogenann­                                                Euro; Geld, das er nicht wie abge­
ten Steuer­CD Schlagzeilen mach­                                               macht in eine amerikanische Firma
ten. Im Rückblick beschleunigte                                                investiert habe. Für Herrn W.
der Datenklau das Ende des Bank­                                               entbehren diese Ausführungen
geheimnisses. Wie die Sache für                                                jeglicher Grundlage. «Ich will mein
die direkt Betroffenen ausging,                                                Geld zurück», poltert er, «140 000
darüber ist weniger bekannt.                                                   Euro plus 5 Prozent Zinsen!»
    Einer von ihnen ist Herr W.,                                               Nebenbei erwähnt er, dass er trotz
wohnhaft im Taunus bei Frankfurt.                                              der Vertuschungsaktion ins Visier
Im Frühling 2012, so berichtet er                                              der Steuerfahnder geraten und
der Richterin, hörte er davon, dass                                            bestraft worden sei.
ein Mitarbeiter der Privatbank                                                    In den Worten der Staatsanwäl­
Julius Bär in Basel Kundendaten                                                tin befand sich Herr W. «in einer
entwendet und der Steuerbehörde                                                Zwangslage», was vom Angeklag­
des Bundeslandes Nordrhein­            terin. Seine verschiedenen Firmen       ten schamlos ausgenutzt worden
Westfalen verkauft habe.               seien leider alle pleite. Der heutige   sei. Von Anfang an sei es Herrn K.
    Herrn W. wurde «etwas mul­         Pensionär bedauert, dass er in          nur darum gegangen, sich dieses
mig», wie er sagt, denn auch er        seiner Laufbahn mehrmals Leute          Geld anzueignen, um damit seine
hatte bei der Bank Bär ein Konto       um ihr Geld gebracht habe. In der       Schulden zu bezahlen. Durch die
mit unversteuertem Geld, gut           Sache mit Herrn W. habe er sich         UBS sei einwandfrei belegt wor­
150 000 Euro. Diese wollte er so       jedoch nichts vorzuwerfen, sagt         den, dass er mehrmals zum
schnell wie möglich «in Sicher­        Herr K.                                 Schliessfach gegangen sei und kurz
heit» bringen.                            Einig sind sich die beiden in        darauf Einzahlungen auf sein
    Am liebsten hätte Herr W. das      Bezug auf den ersten Teil der           Firmenkonto getätigt habe. Wegen
Geld persönlich über die Grenze        Operation: Gemeinsam saldierten         Veruntreuung fordert die Staats­
gebracht, doch er fürchtete, dabei     sie das Konto von Herrn W. bei der      anwältin eine bedingte Freiheits­
erwischt zu werden. Da empfahl         Bank Bär. Darauf brachten sie das       strafe von 18 Monaten.
ihm eine Freundin die Dienste          Geld in drei Umschlägen zur UBS,           Der Verteidiger hält dagegen.
ihres Chefs, Herrn K.s, Steuerbera­    wo Herr K. auf den Namen einer          Der Fall sei wohl etwas speziell:
ter und Anlagespezialist mit           seiner Briefkastenfirmen ein            «Vieles bleibt im Dunkeln, weil
Wohn­ und Geschäftssitz in der         Schliessfach gemietet hatte. Sie        man grossen Wert auf Diskretion
Schweiz. Ein schlechter Rat: Am        legten die Umschläge in den Tre­        legte.» Dennoch sieht er bei seinem
Ende war das Geld verschwunden.        sor, 10 000 Euro steckte Herr W.        Mandanten «Kennzeichen einer
In den Taschen des Beraters, davon     ein. Herr K. behielt den Schlüssel      wahrheitsgetreuen Aussage».
ist Herr W. felsenfest überzeugt.      für das Schliessfach und versprach,     Mangels Beweisen fordert er einen
    Herr K. ist angeklagt wegen        bei späteren Besuchen das Geld in       Freispruch.
einfacher sowie qualifizierter         Tranchen von 10 000 Euro (dem              Die Einzelrichterin entdeckt
Veruntreuung. Der Beschuldigte         damaligen Freibetrag beim Grenz­        diese «Kennzeichen» offensichtlich
ist ein älterer Herr, er trägt einen   übertritt) zu überbringen.              nicht. Sie verurteilt Herrn K. zu
Nadelstreifenanzug, das Haar              Unbestritten ist auch die Tat­       einer bedingten Freiheitsstrafe von
rötlichbraun gefärbt. Er lebe heute    sache, dass das Schliessfach nach       10 Monaten. Dieser nimmt das
                                       einem Jahr leer war. Herr K. be­
                                                                                                                     UWE STETTLER

bescheiden, von einer kleinen                                                  Urteil erleichtert zur Kenntnis. In
Rente und von den Einkünften der       hauptet, er habe das Geld wie           der Bar um die Ecke sieht man ihn
Ehefrau, erzählt er der Einzelrich­    vereinbart nach Deutschland             später gut gelaunt mit einem Cüpli.
10 | Folio 4 | 2018
Das Experiment                                         Der Traumtänzer

                                                       Mit einem romantischen Tanzexperiment
                                                       versuchte ein französischer Adliger vor 150 Jahren,
                                                       seine Träume zu beeinflussen. RetoU.Schneider
Die beiden Frauen, mit denen
Baron Léon d’Hervey de Saint­
Denys bei seinen Ballbesuchen oft
tanzte, ahnten nicht, dass sie Teil
seines seltsamsten Experiments
waren. Falls sie die merkwürdige
Abfolge der Musik überhaupt
bemerkten, hielten sie sie wohl für
zufällig: Jede Frau hatte ihre eigene
Melodie. Wenn der Baron mit der
einen Frau tanzte, spielte das
Orchester immer den gleichen
Walzer, bei der anderen Frau einen
                                        GETTY IMAGES

anderen. Es schien, als hätte Her­
vey de Saint­Denys eine geheime
Abmachung mit dem Dirigenten                           Eine Traumszene direkt aus Léon d’Hervey de Saint-Denys’ Kopf.
getroffen. Und genau so war es
auch. Der Baron hatte sich mit dem                        Lange Zeit hatten die Menschen             Bei einem anderen Experiment
Orchesterchef angefreundet und                         geglaubt, Träume erlaubten den             konnte er diese Möglichkeit aus­
ihn gebeten, je nach Tanzpartnerin                     direkten Kontakt mit Göttern oder          schliessen. Während einer Reise
ein bestimmtes Musikstück zu                           Toten. Doch der Baron vermutete,           nach Südfrankreich träufelte er
spielen. Und das während einer                         dass das Gehirn sie aus verschiede­        immer wieder Parfum auf ein
ganzen Pariser Ballsaison Mitte des                    nen Erinnerungen zusammen­                 Taschentuch und roch daran. Nach
19. Jahrhunderts.                                      schustere. Um diese Idee zu prü­           der Rückkehr beauftragte er seinen
    Baron Léon d’Hervey de Saint­                      fen, unternahm er sein Experiment.         Diener, in zufällig ausgewählten
Denys war der Spross einer franzö­                        Nachdem die Ballsaison zu Ende          Nächten einige Tropfen davon auf
sischen Adelsfamilie, der sich                         gegangen war, kaufte er in der             sein Kissen zu geben, während er
leidenschaftlich für die Bedeutung                     Galerie Colbert, der edlen Laden­          schlief. Und wirklich: Der Geruch
und die Herkunft von Träumen                           passage in Paris, eine Musikdose,          beschwor in den Träumen die
interessierte. Seit er vierzehn Jahre                  die beide Walzer spielen konnte.           Kastanienbäume und Felsland­
alt war, schrieb er auf, was er im                     Vor dem Schlafengehen stellte er           schaften seiner Reise herauf.
Schlaf erlebte. Er war derart beses­                   die Dose so ein, dass sie eine der            Hervey de Saint­Denys’ Metho­
sen von diesem Vorhaben, dass er                       Melodien in den frühen Morgen­             den waren bemerkenswert modern.
nach zweihundert nächtlichen                           stunden spielte. Tatsächlich               Mit ähnlichen Vorgehen versuchen
Beobachtungen davon träumte,                           träumte er je nach Walzer von der          Traumforscher heute noch heraus­
wie er seine Träume aufzeichnete.                      einen oder anderen Frau, nicht             zufinden, wie weit der Mensch in
Kurze Zeit später hatte er diesen                      allerdings vom Ball. Offenbar war          Kontakt mit der Aussenwelt bleibt,
Traum zum zweiten Mal, doch jetzt                      die Melodie an die Person gekop­           wenn er schläft. Die Resultate sind
wusste er, dass er träumte.                            pelt, nicht an die Situation, in der       durchzogen. Manchmal gelingt es,
    Vierzehn Monate darauf be­                         er sie getroffen hatte.                    Einfluss zu nehmen, dann wieder
herrschte er den seltenen Trick, die                      Doch das Experiment hatte               nicht. Das hält selbsternannte
Handlungen seiner nächtlichen                          einen Schönheitsfehler: Weil               Traumspezialisten allerdings nicht
Visionen beeinflussen zu können.                       Hervey de Saint­Denys die jewei­           davon ab, im Internet Geruchs­
Mit dem Kopf auf dem Kissen                            lige Melodie am Vorabend selber            traumkissen und Apps anzubieten,
stürzte er sich nun von Kirch­                         auswählte, könnte er allein deshalb        die versprechen, mit bestimmten
türmen und kämpfte mit gezoge­                         von der betreffenden Frau ge­              Düften und Geräuschen Träume zu
nem Schwert gegen Verbrecher.                          träumt haben.                              kontrollieren.
                                                                                                                        Folio 4 | 2018 | 11
Lieben lernen                            Bei den Pferden

                                         Den einen wollte ich nicht, der andere war
                                         meine Lieblingsphantasie. Bis zu jenem ersten
                                         Tanz. Christina Viragh
Lag es an der Zeit, ein Jahr nach
Achtundsechzig, nichts Vorgespur­
tes akzeptieren, oder an meinem
an sich schon auf Abwehr program­
mierten Gemüt oder an beidem
zusammen, dass ich zu bocken, ja,
zu bocken, das ist das beste Wort,
auch in Anbetracht der Tatsache,
dass die Party in einem Pferdestall
stattfand, also dass ich zu bocken
begann, als mir der junge Mann
beim Tanzen zu nahe kam?
   Junger Mann, na ja, er war
siebzehn, ich sechzehn, es war
nicht gerade unsere erste Party,
aber auch nicht weit davon ent­
fernt. Und auch Tanzen, na ja. Wir
hüpften herum, wie unsere Gross­
eltern herumgehüpft wären, vor­
sichtig, steif, krampfhaft auf den

                                                                                                                       CORINNA STAFFE
Rhythmus achtend, obwohl die
Rolling Stones aus urtümlichen
Verstärkern dröhnten und die
Pferde in den Boxen scheu mach­          nicht mehr, jedenfalls war es grob        Aber der junge Mann wollte
ten. Kein Vergleich mit dem locke­       und besagte, dass ich mir keine        mich und hatte schon herausbe­
reren, rhythmisch sichereren Tanz,       Liebe leisten konnte, da ich mir       kommen, wie er es anfangen
den meine Freunde und ich heute          mich selbst nicht leisten konnte,      musste. Mit Faxen, mit clownes­
zu denselben Stones hinlegen. Aber       den Kontakt mit meinem eigenen         kem Herumgehüpfe, mit dem er
das nur nebenbei und zum Trost           Inneren nicht.                         zwar die Pferde und besonders die
dafür gesagt, dass wir alle schön           Vielleicht hätte es mir gutgetan,   ihren Vater, den Pferdebesitzer,
über sechzig sind.                       wenn mich der junge Mann hätte         fürchtende Gastgeberin noch mehr
   Also, er kam mir zu nahe, nicht       sitzenlassen, wenn er mit einer        erschreckte, mich aber einnahm.
im physischen, sondern im emotio­        weitergehüpft wäre, die weniger        Nicht für ihn, aber fürs Spiel. Das
nalen Sinn, in dem einer Aufforde­       widerborstig war, wie wohl die         war ja sicheres Terrain. Jetzt war
rung, eines Antrags, eines An­           meisten Mädchen an der Party. Ich      der Schlötterlig, auch das will ich
schlags auf meine sorgsam gehütete       wäre vielleicht aufgewacht und         so sagen, der Pferdestall stand in
Privatsphäre. So sorgsam gehütet,        hätte nicht noch jahrelang bean­       der Innerschweiz, der Schlötterlig,
dass ich nicht einmal wusste, dass       sprucht, trotz meiner Widerbors­       den ich ihm anhängte, nicht mehr
ich eine hatte und sie hütete. Wie       tigkeit geliebt zu werden, denn        ernst gemeint, was er gleich spürte.
hätte ich jemanden an einem Ort          geliebt werden wollte ich schon,          Er schwenkte vor einem entgeis­
zulassen können, den ich selbst          klar, aber man sollte mich auch in     terten Pferd ein Halstuch wie eine
nicht kannte? Nein, bleib mir vom        Ruhe lassen. Eine kleine Ohrfeige      Muleta, ich sagte, ich hasse den
Leib, du Idiot, sagte ich, es waren ja   mit sechzehn, und ich wäre viel­       Stierkampf, und ich hasse dich. Ein
die Zeiten, in denen man sich            leicht auf diesen fatalen Wider­       Liebesgeständnis, genau besehen,
gegenseitig Dinge an den Kopf            spruch aufmerksam geworden, an         was mir nicht bewusst war, ihn
werfen durfte, ja sollte. Vielleicht     dem ich mich erst viel später abzu­    aber zu so wilden Allotria an­
sagte ich auch, du Affe, ich weiss es    arbeiten begann.                       spornte, dass die besonneneren
12 | Folio 4 | 2018
Elemente an der Party, es gibt ja        steifer, als es unsere Grosseltern
immer solche, und merkwürdiger­          getan hätten, und sagte kein Wort.
weise sind es nicht selten die, die      Nein, es war nicht attraktiv, es war
schon etwas gekippt haben, auch          einfach abweisend, aber doch nicht
da, anno neunundsechzig, waren es        so, dass über meinem Kopf das rote
die, also dass Hans und Päuli nicht      Herz gleich platzte, so rasch wie in
mehr ganz deutlich artikulierend         den Comics geht das nicht. Der
wiederholten, er mache ja die            Andreas war mein Schwarm, seit
armen Pferde, die armen Pferde           ich dreizehn war, und mit sechzehn
ganz verrückt, ja ganz verrückt. Es      hatte ich noch längst nicht den
drohte zur Rille zu werden, in der       Durchblick, um sein Verhalten auf
die Nadel nicht weiterkam, bis           ihn selbst zurückzuführen, seine
dann weitere besonnene und der           Beziehungsscheu, seine Passivität,
koordinierten Bewegung noch              seine Selbstüberforderung.
fähige Elemente den jungen Mann             Nein, ich dachte, ich sei nicht
aus dem Stall hinausspedierten.          auf seiner Höhe, nicht in seiner
   Da stand ich nun, denn ihm            Tiefe, ach, Andreas, was soll ich
nachgehen, nein, das tat ich nicht,      tun, damit du gern mit mir tanzt.
lieber griff ich nach einer Lieblings­   Ich wüsste es noch heute nicht,
phantasie, um mir über die von           wahrscheinlich gibt es in einem
seinem Abgang doch hinterlassene         solchen Fall nichts zu machen,
leichte Leere hinwegzuhelfen. Die        jedenfalls nicht das, was die drauf­
Lieblingsphantasie hiess Andreas         gängerischen Mädchen getan
und sass stumm und verächtlich in        hätten, jene, mit denen der inzwi­
einem Winkel. Andreas denkt,             schen verschwundene junge Mann
sagten die anderen, was denkst du,       hätte weiterhüpfen können.
Andreas, sagte Hans und fiel ihm            Die hätten Andreas wahrschein­
um den Hals, die anderen zogen           lich an sich gezogen, womöglich
Hans weg, du darfst ihn nicht, ihn       geküsst, womöglich abgeschleppt
nicht beim Denken stören.                in eine dunkle Ecke des Stalls. Aber
   Ah, geheimnisvoller Andreas           es hätte nichts gebracht, hätte ihn
und dein müdes Lächeln, mit dem          nur so kopfscheu gemacht, wie es
du die Szene quittierst, dir könnte      die Pferde, überhaupt partyuntaug­
ich nicht widerstehen, wenn es           liche Tiere, an diesem Punkt schon
etwas zu widerstehen gäbe, aber du       waren.
denkst nicht im Traum daran, dich           Seltsam aber, dass Andreas noch
mir zu nähern. Bis dann doch             jahrelang in einem Winkel meines
auffiel, dass ich allein auf der Tanz­   Herzens eine Sehnsucht blieb, und
fläche, das heisst auf der Stallgasse    das, obwohl er nach weiteren zehn
stand, und der Chor der Angesäu­         steifen Tanzschritten gesagt hatte,
selten befand, dass Andreas mit          ihm werde allmählich schlecht, und
mir tanzen sollte.                       sich von mir hatte hinausführen
   Ah, Andreas, wie wäre die             lassen, vor den Stall, wo in ein paar
unwillige Art, mit der du aufstehst      Metern Entfernung der junge
und auf mich zukommst, nicht             Mann stand, einfach stand, und
attraktiv. Oder war sie doch nicht       zu uns herüberblickte. Er, der
attraktiv? Ich war mir nicht mehr        junge Mann, und ich haben uns
sicher, tanzte ja zum ersten Mal         dann in den vielen darauffolgenden
mit meiner Lieblingsphantasie,           Jahren diese Szene immer wieder
und die hatte bis da so ausgesehen,      aufgesagt.                              I.N.O.X. CARBON
dass Andreas mir, nur mir, die
                                                                                 LIMITED EDITION
                                                                                               N
Gründe und Abgründe seines               Die Schriftstellerin und Übersetzerin   Genf | Zürich | Brunnen | Luzeern
Weltschmerzes und seiner Welt­           Christina Viragh ist 1953 in Budapest
verachtung zeigte, freiwillig und        geboren und in Luzern aufgewachsen;     SHOP ONLINE AT VICTORINO
                                                                                                        OX.COM

gern. So sah er aber nicht aus. Sein     sie lebt in Rom. 2018 ist ihr neuster
schönes, ungewöhnliches Gesicht          Roman, «Eine dieser Nächte»,
blieb verzogen, er tanzte noch           im Dörlemann-Verlag erschienen.
                                                                                         ESTABLISHED 1884
Wer wohnt da?                           Von nichts zu viel

                                        Aufrechte Leser? Ein geselliges Architektenpaar?
                                        Wen eine Psychologin und ein Innenarchitekt
                                        anhand der Bilder in diesen Räumen vermuten.
Die Psychologin
Fast ein wenig spartanisch wohnt
man hier, die wenigen Möbel sind
liebevoll ausgewählt und placiert.
Und doch will es, trotz wärmen­
dem Feuer im Schwedenofen, nicht
richtig gemütlich werden. Unter
dem «Sofa» – einer sparsam ge­
polsterten Holzbank mit Täfelung
im Rücken – lauern noch ein paar
Reservekissen, die sich die Bewoh­
ner bei Bedarf unterschieben. Aber
man sitzt hier lieber aufrecht, ein
Kuschelsofa ist das nicht.
   Hier wohnen vermutlich zwei,
die gern eng zusammenrücken, die
harmonieren, so wie die ganze
Einrichtung stimmig und aus             Der Innenarchitekt: «Akribisch durchgeplante Räume.»
einem Guss ist. In der Schlafkoje
muss sich einer an die Wand             nährt sich hier nicht nur von «Sar­        sie einfach ihre Ruhe. Die beiden
schmiegen – falls denn wirklich         dines – Thon» aus der Büchse.              Bewohner sind Menschen mit Sinn
zwei hier nächtigen.                    Gekocht wird gerne und richtig,            fürs Wesentliche. In der Beschrän­
   Alles ist sehr ordentlich, struk­    man kauft lieber auf dem Markt ein         kung liegt der Genuss. Ingrid Feigl
turiert und bewusst gestaltet, der      als im Supermarkt und freut sich,
Zufall hat hier nichts zu suchen.       Gäste am schönen Tisch zu ver­
Der Bewohner oder das Bewohner­         sammeln.                                   Der Innenarchitekt
paar führen ihr Leben vermutlich           Vielleicht bummeln die Bewoh­
aktiv und überlegt, sie haben von       ner hin und wieder über Floh­              Weisse Fenster mit aufgefrischten
nichts zu viel, aber genau das, was     märkte, das Inventar, besonders            Originalbeschlägen rahmen den
sie brauchen. Die Küche scheint         die Lampen, findet man nicht im            Blick auf die Aussenwelt. Gegen
gut ausgerüstet zu sein, man er­        Möbelhaus.                                 innen sind sie zu zwei Dritteln auf
                                           Und hier wird gelesen: Über             einer weissen, sorgfältig aufge­
                                        dem Bett stapeln sich richtige             brachten Gipswand montiert und
                                        Bücher – hier wohnt eine nicht             zu einem Drittel in einer ebenso
                                        mehr ganz so junge Generation von          sorgfältig ausgeführten Knietäfe­
                                        Lesern. Lagert auch im volumi­             lung.
                                        nösen Aktenschrank neben dem                  Die grau gestrichene Holzver­
                                        Sofa Lektüre, oder ist er ein prakti­      kleidung, die an ihrer Oberkante
                                        scher Allesschlucker? So verschlos­        mit einem umlaufenden Sims
                                        sen, wie er dasteht, offenbaren die        abgeschlossen wird, bildet eine Art
                                        Bewohner auch nichts über ihre             Zaun. Dieser Abschluss ist wie eine
                                        Arbeit.                                    Wasserstandsanzeige: Die Bilder
                                           Vielleicht sind sie mit Menschen        hängen oberhalb davon, und auch
                                        tätig, haben ein eigenes Geschäft          das Tablar im Schlafzimmer nimmt
                                        oder sind im Getümmel in der Welt          Bezug auf diese alles bestimmende
Die Psychologin: «Hier wird gelesen.»   draussen engagiert? Daheim wollen          Linie. Sie fasst den Raum, genauso
14 | Folio 4 | 2018
Klein und sehr fein: Wohnesszimmer mit Blick in die offene Küche.

wie sie dies schon vor mehr als              sind gesellige Menschen, die Be­      konnte sich keines der Dinge.
hundert Jahren getan hätte. Viel­            such empfangen, auch wenn der         Objekte ohne Patina haben bei den
leicht ist sie alt. Vielleicht aber ist      Platz begrenzt ist. Wohnt hier        Bewohnern schlechte Chancen. Ein
sie neu, dem Original passgenau              womöglich ein Architektenpaar?        bisschen Lebenserfahrung muss
nachempfunden.                                  Wie auch immer: die Bewohner       sein.
   Was immer schon da war und                haben sich mit dieser Wohnung            Das Neue, das Kontroverse –
was neu hinzugekommen ist, lässt             einen Traum erfüllt. Ganz jung sind   das findet ausserhalb dieser Woh­
sich kaum mehr eruieren. Diese               sie nicht mehr. Für Harmonie und      nung statt. Jörg Boner
Räume sind akribisch durch­                  Komposition interessieren sie sich
geplant. Dem Zufall wurde hier               schon etliche Jahre.
nichts überlassen.                              So musste auch jedes Objekt
   Vermutlich wohnen die Planerin            und Baudetail eine Eintritts­
und der Planer selbst in diesen              prüfung in die Räume bestehen.
akkurat möblierten Zimmern. Es               Sich einfach so reinschmuggeln        Auflösung auf der nächsten Seite.
                                                                                                          Folio 4 | 2018 | 15
André Schweiger,
Goldschmied,
Susanne Flühler,
Bewegungspädagogin

«Als Kind hatte man eine Vorstel­
lung vom Alter. Damals erschienen
uns Leute mit fünfzig uralt, dabei
fühlten die sich vermutlich jung
wie eh und je. Uns zumindest geht
das so. Der Grund, warum Susanne
und ich mit dieser Wohnung noch
einmal von vorn begonnen haben,
war bei uns nicht eine Krise in der
Lebensmitte.
   Ein Neuanfang aber ist es. Wir
waren beide zwei Mal mit anderen
Partnern zusammen und haben
Kinder aus unseren früheren Bezie­
hungen. Ich habe vier Kinder, Susi
drei. Susis Jüngster ist 18 Jahre alt,
mein Jüngster 14. Alle sieben            André Schweiger, 49, Susanne Flühler, 48: «Eine Stunde Qigong im Pyjama.»
Kinder würden knapp in unsere
55 Quadratmeter passen. Auspro­          kel – wir haben Wände rausgenom­           Mal Luft haben, haben wir sicher­
biert haben wir das aber nie, die        men. Was brauchbar war, haben              heitshalber ein zweites Schlaf­
meisten wohnen allein.                   wir beibehalten. Die Täfelung an           zimmer eingebaut – meist über­
   Um die Wohnung haben wir uns          den Wänden, der Bodenbelag und             nachtet da mein jüngster Sohn.
über ein Jahr lang bemüht. Es war        die Einbauschränke sind original.             Abends haben wir gern Gäste.
unser Wunsch, ganz zukunfts­             Den Beton für die Küchen­                  Beim Kochen bin ich der ruhige
orientiert auf kleinem Raum zu           abdeckung haben wir im Wohn­               und exakte, Susi ist schnell und
wohnen. Die Wohnung liegt in             zimmer selbst gegossen. Susi und           effizient, zack ist alles fertig.
einem wunderschönen Haus aus             ich funktionieren gut zusammen,               Wenn wir abends weggehen,
dem Jahr 1898 in der Zuger Alt­          wir wussten, dass wir das ohne viel        dann ins Kino, wir haben keinen
stadt. Zur Wohnung gehört noch           Ärger zu Ende bringen. Wenn man            Fernseher. In die Ferien fahren wir
eine Werkstatt und ein Zugang zu         nicht daran glaubt, sollte man die         im Sommer nach Portugal oder
einem Turm der Stadtmauer. Vor           Hände von so einem Umbau lassen.           Korsika mit unserem Hippie­VW­
der Haustür haben wir ein hüb­              Wir stehen um halb sechs Uhr            Bus. Mit viel gutem Willen würden
sches Gärtchen, das im Sommer            auf, heizen den Ofen mit Holz ein          wir unsere sieben Kinder da hin­
noch bepflanzt werden muss.              und machen eine Stunde Qigong.             einkriegen, das machen wir aber
   Das Haus gehört der Zuger             Jeder für sich, im Pyjama. Wir             nicht – bei aller Liebe. Wir genies­
Bürgergemeinde. Wir könnten uns          ziehen den Vorhang zu, damit uns           sen es allein.
in Zug nichts kaufen – und wollten       keiner zuschaut. Anschliessend                Da ich jahrelang abends den
das auch gar nicht. Wir wohnen zur       frühstücken wir gebratene Äpfel            Kindern im Bett vorgelesen habe,
Miete. Den Umbau haben wir               mit Eiern und Speck.                       mache ich das auch heute noch
zuvor in vielen Sitzungen mit der           Wir kennen uns schon länger.            gern. Und Susi hört zu. Zurzeit lese
Bürgergemeinde besprochen. Wir           Unsere ältesten Kinder haben oft           ich ‹Eine kurze Geschichte der
haben unsere Pläne und Vorstel­          zusammen gespielt. Richtig zusam­          Menschheit› von Yuval Harari. Ich
lungen vorgetragen und bekamen           men sind wir seit drei Jahren.             finde sie spannend, Susi bekommt
genaue Auflagen. Mit dem Ergeb­          Patchwork klappt mal sehr gut, mal         jedoch nicht immer alles mit. Sie
nis war der Bürgerrat zufrieden.         weniger. Es verlangt jedem einzel­         schläft rasch ein. Oft liest sie am
   Es war ein riesiger Aufwand.          nen viel ab.                               Tag ein paar Seiten, damit wir
Ursprünglich war die Wohnung                In die Quere gekommen sind              abends wieder Gleichstand haben.»
eine Werkstatt. 1911 wurde sie zu        Susi und ich uns bisher nicht. Wir
einer Wohnung umgebaut. Die              werden es auch nicht, da bin ich           Aufgezeichnet von Gudrun Sachse.
Räume waren sehr klein und dun­          zuversichtlich. Damit wir aber auch        Fotos Daniel Winkler.
16 | Folio 4 | 2018
MEHR ERLEBEN MIT DER NZZ

Ihre kommenden NZZ-Veranstaltungen
Hintergründe ausleuchten, den Horizont erw
                                        r eitern, Inhalte neu entdecken:
NZZ-Veranstaltungen laden zum Denken und Diskutieren ein.

NZZ Zukunftsdebatte
Krebs: Neue Waffen,
                                          10.              Literarisches Terzett
                                                           Die besten Bücher der Saison:
                                                                                           8.
neue Hoffnung                              April            Redaktoren im inspirierenden    Mai
NZZ-Foyer, Zürich
                                          2018             Streitgespräch
                                                           NZZ-Foyer, Zürich               2018

NZZ Geschichtsdebatte
Schweizer Migrations-
                                          12.
geschichte: Von der Eiszeit               April
bis zur Gegenwart
NZZ-Foyer, Zürich                         2018

NZZ Genussakademie
Fleisch und Wein:
                                          23.              NZZ Podium Schweiz
                                                           Motivation: Lebensenergie
                                                                                           31.
Ein harmonisches Paar                     April            und Verhaltenstechnik           Mai
Smith and de Luma, Zürich
                                          2018             NZZ-Foyer, Zürich
                                                                                           2018

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   nzz.ch/live           044 258 13 83
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Leserbriefe
Limitierte
Swatch-Uhr mit                     Enorme Bedeutung                       dem so wertvollen Gut Wasser in
integriertem                       Wasser 3/2018                          einmaliger Art und Weise und setzt
                                   Dass Sie dem Wasser ein Heft           einen Impuls zum Nachdenken
NFC-Chip                           gewidmet haben, freut mich sehr.       über unseren Umgang mit Wasser.
                                   Die enorme Bedeutung des Was­          Roger E. Schärer, Feldmeilen ZH
Die Uhr wurde zum
                                   sers für Mensch und Natur und das
15-Jahre-Jubiläum der
                                   begrenzte Wissen darüber stehen        Bevölkerungsreduktion
«NZZ am Sonntag» in
                                   in einem Missverhältnis. Mit           Wasser 3/2018
limitierter Auflage von
                                   diesem Heft trägt das Folio dazu       «Was tun gegen die Trinkwasser­
1500 Exemplaren zusam-             bei, dem etwas entgegenzuwirken.       knappheit? Und was gegen die
men mit Swatch kreiert.            Es gäbe noch weitere spannende         Verschmutzung?» Ich verstehe
                                   Facetten des Wassers. Ich denke an     wirklich nicht, warum die wich­
                                   die Entstehung des Wassers, an das     tigste Antwort auf Ihre Fragen von
                                   Verhältnis von Süss­ und Salzwas­      Ihnen nicht einmal ansatzweise
                                   ser, an die Bedeutung des Wassers      erwähnt wird: die schrittweise
                                   für die Gesundheit und in den          Reduktion der Überbevölkerung.
                                   Religionen, die Erscheinung des        (Dass dies gehen würde, hat China
                                   Wassers als Schnee und Eis und         gezeigt.) Ziel wäre eine Reduktion
                                   namentlich auch in Form wunder­        von 50 Prozent, also für die
                                   barer Schneekristalle.                 Schweiz auf etwa 4 Millionen
                                   Max Galliker, Horw LU                  Menschen, eine Zahl, die schon vor
                                                                          Jahrzehnten von Wissenschaftern
                                   Breit ausgeleuchtet                    genannt wurde. Damit wären auch
                                   Wasser 3/2018                          die Probleme wie Hunger, Energie,
                                   Die Märzausgabe hat mit dem            Bodenschätze und so weiter weit­
                                   Thema Wasser beeindruckend und         gehend gelöst.
                                   journalistisch hervorragend ein        Franz Christeller, Kollbrunn ZH
Der integrierte NFC-Chip führt     Thema breit und spannend ausge­
Sie direkt zum neuen digitalen     leuchtet. Dabei sind alle Fakultäten   Zu wenig Quellwasser
Portal der «NZZ am Sonntag».       berücksichtigt worden. Sicher­         «Tausend Jahre unterwegs»,
Das dunkelgrau-transparente        heitspolitische Spannungsfelder,       Wasser 3/2018
Armband ist mit Passagen aus       Wasser als Konfliktauslöser zwi­       Der Beitrag zum Thema Wasser ist
dem Leitartikel der ersten Aus-    schen Staaten, Energie, Entwick­       sehr spannend und leicht verständ­
gabe der «NZZ am Sonntag»          lungspolitik, Geschichte, Kultur       lich zu lesen. Bravo! Eine Frage
vom 17. März 2002 bedruckt.
                                   und Naturwissenschaften sind mit       habe ich trotzdem noch: Werden in
Es zeigt wichtige Werte und
                                   wunderbaren Beiträgen besetzt.         der Schweiz Wasserspeicher ge­
Normen unserer Bericht-
                                   Nur die Theologie und die christ­      baut, damit unsere Enkelkinder
erstattung, die damals wie heute
Bestand haben. Beim Kauf eines     liche Bedeutung des Wassers mit        dereinst auch genügend sauberes
Exemplars dieser Spezialuhr        Blick auf die Taufe und den reini­     Trinkwasser haben? Denn irgend­
erhalten die Käuferinnen und       genden Akt der Vergebung fehlten.      wann fliesst kein Gletscherwasser
Käufer einen Gutschein, der        Sehr gut hingegen die wie immer        mehr in unsere Seen. Das Quell­
Zugang zum digitalen Portal der    starke Karikatur von Gerhard           wasser genügt leider nicht für alle.
«NZZ am Sonntag» gewährt.          Glück, der den Moses auf der           Hansjörg Zweifel, Winterthur
                                   Wanderung ins Gelobte Land
Fr. 70.–                           dreimal mit seinem Stock an den        Goethes Wasserkreislauf
                                   Felsen schlagen liess. Ein ausge­      «Tausend Jahre unterwegs»,
                                   zeichneter Stich in unsere ver­        Wasser 3/2018
Jetzt bestellen:     shop.nzz.ch   wöhnte Konsumgesellschaft ist die      Ein schöner und gelungener Arti­
                                   Frage von Moses an sein Volk über      kel, «der Wasserkreislauf für Er­
                                   die Wasserqualität: «Stilles, Me­      wachsene». Es geht aber auch
                                   dium oder Classic.» Die Karikatur      kürzer. Hier der Wasserkreislauf
                                   reflektiert unseren Umgang mit         für Poeten:
Impressum
                                                                                           Hochwertiger
Das Wasser                             Redaktion
                                                                                           NZZ-Organizer
Vom Himmel kommt es,
                                       Daniel Weber (Leitung), Reto U. Schneider (Stv.),
                                       Andreas Heller, Gudrun Sachse, Barbara              aus Naturleder
Zum Himmel steigt es,                  Klingbacher, Doris Mortellaro (Sekretariat)

Und wieder nieder                      Gestaltung
Zur Erde muss es,                      Daniela Salm (Produktion), Aurel Peyer (Art
                                       Direction), Lea Truffer (Bildredaktion),
Ewig wechselnd.                        Eleni Bolovinos, Marianne Birchler (Layout),
                                       Urs Remund (Korrektorat)
Aus «Gesang der Geister über den
                                       Externe Rubrikenautoren
Wassern» von Johann Wolfgang           Florian Siebeck, Journalist, Frankfurt a. M.
von Goethe. Entstanden 1779.           Wolfgang Ullrich, Kulturwissenschafter, Leipzig

Inspiriert vom Staubbachfall in        Adresse Redaktion und Verlag
Lauterbrunnen, Schweiz.                NZZ­Folio, Falkenstrasse 11
                                       Postfach, CH­8021 Zürich
Randolf Rausch, Korntal (D)            Tel. +41 44 258 11 11
                                       folioredaktion@nzz.ch; folio.nzz.ch
Anschaulich vermittelt                 Chefredaktorin Magazine
«Weisse Kohle», Wasser 3/2018          Nicole Althaus
Was für spannende wie konkrete
                                       Creative Direction
Einblicke in ein äusserst facetten­    Simon Esterson, Holly Catford
reiches Thema, das leider selten
                                       Anzeigenverkauf
derart anschaulich vermittelt wird!    NZZ Media Solutions AG,
Vielen Dank für diesen Beitrag, der    Seehofstr. 16, 8021 Zürich,
                                       Telefon +41 44 258 16 98, Fax +41 44 258 13 70,
mir ausserordentlich gefallen hat.     inserate@nzz.ch; nzzmediasolutions.ch
Konstantin Bachmann, Basel             Westschweiz: Yves Gumy, Tel. +41 21 317 88 08
                                       Verbreitete Auflage: 96 104 Ex. (Wemf 2017)

Falsche Durchflussmenge                Leserservice
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«Weisse Kohle», Wasser 3/2018          leserservice@nzz.ch; nzz.ch/leserservice
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                                       NZZ­Folio wird der Inlandauflage der «Neuen
Mit einem Druck von 15 bar             Zürcher Zeitung» beigelegt. Den Auslandabon­        Einträge sind und bleiben
und einer Durchflussmenge von          nenten der NZZ wird es separat zugestellt.          einzigartig, wertvoll und
                                       NZZ­Folio (inkl. digitale Ausgabe): 104 Fr.
18 Litern pro Sekunde kann nie­                                                            individuell – im NZZ-Organizer
                                       (Schweiz), 86 € (Deutschland und Österreich),
mals eine elektrische Leistung von     112 Fr. (übriges Ausland)                           werden diese stilvoll aufgeho-
92 Kilowatt erzeugt werden,
                                       Studenten: 50 Prozent Rabatt auf Abopreise.         ben. Ausgestattet mit Wochen-
                                       NZZ­Folio erscheint seit 1991.
                                                                                           kalender 2018, Notizbüchern
sondern bestenfalls eine Leistung
                                       Einzelheftbestellung (inkl. MWSt und Porto)         und Sichtmappe ist der neue
von 27 Kilowatt.                       Hefte Feb.–Nov.: 13.80 Fr. (Schweiz) /              NZZ-Organizer alles in
Arthur Ruh, Rüti ZH                    13.80 € (Ausland)
                                       Doppelnummer Dez./Jan. 19 Fr. / 19 €
                                                                                           einem und überzeugt mit
                                       Bestellen: folio.nzz.ch/heftbestellung              durchdachtem Konzept und
(Die Durchflussmenge beträgt                                                               zeitlosem Design.
80 Liter, nicht 18 Liter. Wir bedau-   Litho und Druck
                                       St. Galler Tagblatt AG, Swissprinters AG
ern den Fehler. Die Redaktion)                                                             Organizer in Schwarz
                                       NZZ-Mediengruppe                                    aus Naturleder
                                       Jörg Schnyder (CEO ad interim)
Ausgezeichnet                                                                              Fr. 125. –, Fr. 110. – *
Die NZZ­Folio­Redaktorin               © Verlag NZZ Folio, 2018 (ISSN 1420­5262).
                                       Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwendung der
Barbara Klingbacher wurde für          redaktionellen Texte (besonders ihre Ver­
ihren Artikel «Der letzte Gang»        vielfältigung, Verbreitung, Speicherung und         * Sonderpreis für Abonnenten

(Vegi, 4/2017) in Berlin mit dem       Bearbeitung) bedarf der schriftlichen Zustim­
                                       mung durch die Redaktion. Ferner ist diese
Bernd­Tönnies­Preis für Tier­          berechtigt, veröffentlichte Beiträge in eigenen
schutz in der Nutztierhaltung          gedruckten und elektronischen Produkten zu
                                                                                           Jetzt bestellen:               shop.nzz.ch
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ausgezeichnet. Die Jury lobte die
Reportage dafür, dass sie das
steigende Bewusstsein für Lebens­
mittelkonsum zum Thema macht.
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                 CLS 450 4MATIC, 367 + 22 PS (270 + 16 kW), 8,0 l/100 km, 189 g CO2/km, CO2-Emissionen
                        aus Treibstoff- und/oder Strombereitstellung: 42 g/km, Energieeffizienz-Kategorie: G.
Sie kennen dieses prickelnde Gefühl: Sie begegnen jemandem          LED Scheinwerfer mit ULTRA RANGE Fernlicht, die heller,
zum ersten Mal und fühlen sich sofort magisch angezogen?            weiter und intelligenter strahlen denn je. Oder die optionalen
Nur so viel: Wenn Sie dem neuen CLS in die Augen schauen,           Assistenzsysteme. Diese unterstützen Sie in kritischen
riskieren Sie es, sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben. Mit      Situationen und entlasten Sie zum Beispiel im Stau oder bei
seinen klaren, athletischen Linien zieht er den Betrachter sofort   der Fahrt durch Engstellen.
in seinen Bann und weckt das Begehren, ihn zu besitzen.
Dabei überzeugt er nicht nur durch sein selbstbewusstes Äusseres,   Der neue CLS ist Ihr Begleiter in jeder Lebenslage.
sondern auch mit messerscharfer Intelligenz. So wie das             Warum also warten? Riskieren Sie jetzt Ihr persönliches
grosse Verführer eben tun. Und ganz im Stil eines Mercedes-Benz.    Abenteuer mit dem neuen CLS.

Er stillt Ihr Verlangen nach dem Besten.                            www.mercedes-benz.ch/cls
Die Sinne geschärft, auf alles vorbereitet. Der neue CLS denkt
für Sie mit und sogar voraus. Dank Mercedes-Benz Intelligent
Drive und weiterer technischer Highlights. Etwa die MULTIBEAM
Zu viel, zu wenig?

Der                 Diskutiert man in der Schweiz über
gerechte            Gehälter, dann oft über ihre Grenzen,
Lohn                die untere wie die obere. Soll jeder
                    mindestens 4000 Franken verdienen?
                    Darf das Zehn­Millionen­Salär eines
                    Managers weiter steigen? In diesem
                    Heft widmen wir uns der Bandbreite
                    dazwischen. Wir vergleichen, wie sich
                    der Lohn über das Leben hinweg
                    entwickelt, und untersuchen, welche
                    Gehaltssysteme motivieren. Weil die
                    Frage nach dem gerechten Lohn so alt
                    ist wie der Lohn selbst, erklärt uns
                    eine Historikerin, warum ein Anwalt
                    so viel mehr wert ist als eine Pflegerin.
                    Und zwei Topmanagerinnen erzählen,
                    wie es ihnen gelungen ist, den
                    «Gender Pay Gap» zu überwinden.

Maler
Einstiegslohn: 4150 Franken
(Quelle: Lohnbuch Schweiz 2018)
                                                       Folio 4 | 2018 | 23
Bittersüsses
                                                                               95 Prozent seines Vermögens
                                                                               wohltätigen Zwecken; einem
                                                                               Trump oder Fuld käme so etwas
                                                                               nie in den Sinn.

Geheimnis
                                                                                   In der Schweiz gilt es als unfein,
                                                                               sich ein Anwesen von der Grösse
                                                                               eines Dorfes zu bauen oder sonst­
                                                                               wie coram publico über die Schnur
                                                                               zu hauen. Auffallen ist in fast jeder
                                                                               Hinsicht keine helvetische Tugend.
                                                                               «Über Geld spricht man nicht, man

Des Schweizers intimster Körperteil                                            hat es», lautet die Devise der
                                                                               Wohlhabenden, an die sich selbst
ist sein Portemonnaie. Das ist nicht in                                        jene halten, die wenig haben.
                                                                                   Im Unternehmen, in dem ich ein
allen Ländern so.                                                              paar Jahre arbeitete – meiner
                                                                               einzigen festen Anstellung –,
Von Peter Haffner                                                              wurde mir nach der Lohnverhand­
                                                                               lung mit bedeutungsvoll­verschwö­
                                                                               rerischem Blick beschieden, es
                                                                               gehöre zu den Regeln des Hauses,
                                                                               das Ergebnis für sich zu behalten.
                                                                               Freudig informierte ich meinen

D
         ie Phönizier haben das            Im Land der unbegrenzten            Freundeskreis, hielt mich aber an
         Geld erfunden», stellte der    Möglichkeiten, wo jeder seines         das Schweigegebot, was meine
         österreichische Dramati­       eigenen Glückes Schmied ist,           Arbeitskollegen betraf. Ich weiss
ker Johann Nepomuk Nestroy fest         werden Grossverdiener nicht            nicht, ob mich das zum «Heimli­
und fragte: «Aber warum so we­          beneidet und nur geschmäht, wenn       feiss» macht; ein Wort, das es
nig?» Das mochte sich auch              sich ihr Gehalt auf keine Weise        weder im Hochdeutschen noch in
Richard Fuld gefragt haben, als er      rechtfertigen lässt. Ebenso blickt     einer anderen Sprache gibt.
seinen Job verlor, für den er einen     man nicht auf die Armen herab,             Während wir einander bei den
Stundenlohn von 17 000 Dollar           wird doch am meisten bewundert,        zahlreichen Studentenjobs, die ich
kassierte. Dies für seine historische   wer es «from rags to riches»           hatte, immer informierten, wo mit
Leistung, die 158 Jahre alte Invest­    bringt: raus aus den Lumpen, rein      möglichst wenig Arbeit möglichst
mentbank Lehman Brothers, deren         in den Frack, so wie Charlie Chap­     viel einzustreichen war, tauschte
Boss er war, in den Bankrott gerit­     lin in «The Gold Rush». Die Mög­       man sich bald nur noch mit engs­
ten zu haben.                           lichkeit zählt, nicht die Wirklich­    ten Freunden über Geldange­
   Ich war in New York in den           keit; Amerika sei im Prinzip ein       legenheiten aus. Das Schweizer
ersten Tagen der Finanzkrise. Die       Traum, sagte Martin Luther King,       Radio wollte kürzlich wissen, ob
Wall Street war ein Hexenkessel,        und das gilt auch in pekuniären        das Lohngeheimnis hierzulande
ein Durcheinander von fassungs­         Angelegenheiten, die er damit          tatsächlich gehütet werde wie die
losen Börsianern und furiosen           nicht meinte.                          Rezepte für Käse und Steuer­
Bürgern, als ich im Museum of              Man darf zeigen, was man sich       hinterziehung. Das Ergebnis,
American Finance Zuflucht               leisten kann, und da erst treten die   Lohn sei kein Tabu, relativiert sich
suchte. Mangels Publikum gab            Unterschiede zutage. Larry Elli­       bei genauerem Hinsehen: Wäh­
mir der Direktor, ein holländi­         son, der Gründer des Software­         rend drei Viertel die Frage bejah­
scher Ex­Banker, eine Führung.          konzerns Oracle, einer der reichs­     ten, ob man offen über Lohn
Auf die Frage, weshalb es in den        ten Milliardäre, hat sich sein         sprechen sollte, war es lediglich
Kreisen von Fuld & Co. so wichtig       Estate im kalifornischen Woodside      ein Fünftel, der das mit Arbeits­
sei, ob man einen Bonus von 101         zweihundert Millionen Dollar           kollegen tat.
statt bloss 100 Millionen gekriegt      kosten lassen; ein Bijou von einer         Wenn heute als Tabu gilt, wor­
habe, schaute er mich an, als           japanischen Gartenanlage und ein       über die halbe Welt spricht, ist das
müsste er erklären, dass nicht der      Kontrast zu den goldenen Armatu­       Thema Lohn jedenfalls keines. Das
Storch die Kinder bringe. «Es           ren von Typen wie dem amtieren­        ist auch in Deutschland so, wo das
geht darum, wer den grössten            den Immobilienhai im Weissen           «Tabuthema» Sex obsessiv erörtert
hat», sagte er dann. «Sie wissen,       Haus. Wie Bill Gates und Warren        wird, gemäss einer Studie der
was ich meine.»                         Buffett spendet auch Larry Ellison     Consorsbank jedoch vierzig Pro­
24 | Folio 4 | 2018
zent nicht wissen, was der Partner    sich ein junger Mann neben mich        beschäftigt, begeistert oder zu
verdient. Dass man darüber auch       und verfolgte interessiert, was ich    Taten anspornt.
nicht mit Freunden und Arbeits­       da am Bildschirm tat. Fragen,             Als Schweizer braucht man
kollegen redet, wird mit der Gefahr   woher man komme und wie viel           nicht viel mehr, als den Fuss über
begründet, entweder Neid und          man habe, werden einem in Asien        die Grenze zu setzen, um wohl­
Missgunst zu wecken oder Hohn         oft gestellt, und wer nicht so         habend zu werden, selbst wenn
und Spott zu ernten. Dies, obwohl     schlagfertig ist wie Roger Moore,      man im eigenen Land nicht zu den
Schweigeklauseln in Arbeitsverträ­    gerät leicht in Verlegenheit. Den      Betuchten zählt. Die Frage, wie
gen gemäss einem Gerichtsent­         hatte ich mit anderen Journalisten     viel jemand verdient, kann des­
scheid rechtswidrig sind.             im Zürcher Hotel Baur au Lac           halb etwa im Osten Europas so
   Was nicht rechtens ist, wird       getroffen, wo ein Kollege sich         verletzend sein wie die als arro­
gerechtfertigt von Wirtschafts­       erdreistete, ihn zu fragen, wie viel   gant empfundene Grosszügigkeit,
psychologen. Die geringe Akzep­       er verdiene. Der Filmstar sagte        mit der man Geschenke macht
tanz von sozialen Unterschieden,      gleichmütig, wie das nur ein Brite     oder jede Kneipenrechnung be­
die – im Gegensatz zu den USA         kann: «Genug, um die Miete zu          gleicht.
und China – zur «Kultur» der          zahlen.»                                  Der britische Historiker Timo­
Deutschen gehöre, meint der              Wer Kultur oder Religion ins        thy Garton Ash, der Chronist der
Verfasser einer «Psychologie der      Feld führt, um Offenheit oder          mittel­ und osteuropäischen Revo­
Mitarbeiterführung», mache es         Geheimniskrämerei in Geldsachen        lution von 1989, hat einmal das
ratsam, im eigenen Interesse den      zu erklären, hat im Vergleich          beidseitige Unwohlsein beschrie­
von Firmen verschriebenen Maul­       zwischen Amerika und China             ben, das ihn und einen seiner
korb zu tragen.                       einerseits und Deutschland und         Gesprächspartner während eines
   Gern wird auch der «christlich     der Schweiz andererseits gute          Spaziergangs beschlich: zwei
geprägte Wertekanon» zitiert als      Argumente. Doch sobald es um           Universitätsprofessoren, die so
Grund für die Zurückhaltung, das      den innereuropäischen Vergleich        taten, als seien sie gleichgestellt –
«Reizthema Lohn» anzugehen.           geht, entpuppt sich der Kultur­        intellektuell auf demselben Niveau,
Ungehindert kann man dies heute       relativismus als Ideologie.            aber Welten voneinander entfernt,
nur in der modernen Version des          Denn Skandinavien, christlich       was die Möglichkeiten betrifft, zu
Beichtstuhls, dem Internet. Web­      geprägt wie West­ und Mittel­          reisen und am globalen Diskurs
sites wie companize.com, gehalts­     europa und nicht dem Selfmade­         teilzunehmen.
vergleich.com oder lohnspiegel.de     man­Mythos verschrieben wie die           In meiner polnischen Verwandt­
geben einen Überblick zum bran­       USA, geht viel weiter: In Schweden     schaft macht die Geschichte eines
chenüblichen Lohn und ermög­          sind die Einnahmen aus Arbeit und      Angehörigen bis heute die Runde.
lichen, sich anonym darüber auszu­    Vermögen eines jeden Bürgers –         Er lebt in Melbourne und war
tauschen.                             mit Ausnahme des Königspaares –        früher Linienpilot. Nach dem Fall
   In den zehn Jahren, in denen       öffentlich einsehbar. Mit der Folge,   des Eisernen Vorhangs hatte Hen­
ich in Amerika lebte, hat mich nie    dass die Steuermoral besser ist und    ryk seine alte Heimat Litauen
jemand gefragt, wie viel ich ver­     die Kluft zwischen Viel­ und           besucht und grosszügig, wie er ist,
diene. Es ist nicht so, dass sofort   Wenigverdienern eher der Recht­        ein paar Einheimische zu einem
über Geld geredet wird, doch wer      fertigung bedarf.                      Essen in ein gutes Restaurant
etwas darüber wissen will, wird          Bringt man im Osten Europas         eingeladen. Als die Rechnung kam,
nicht angeschaut, als hätte er die    bei einem Gespräch einen Begriff       begann ein alter Mann am Tisch zu
Intimsphäre verletzt. Wie man als     wie den für die Lohnverhandlung        weinen: «Du hast meinen Anzug
Person eingeschätzt wird, hat         wichtigen «Marktwert» einer            gegessen.» Dringend hätte er einen
jedoch mehr mit den Ambitionen        Person ins Spiel, muss man, vor        gebraucht; den Betrag, den der
zu tun, die man hat, als damit, wie   allem bei der älteren Generation,      reiche Onkel aus Australien hin­
viel oder wenig einem die gegen­      mit Verständnislosigkeit oder          blätterte, ohne mit der Wimper zu
wärtige Tätigkeit gerade ein­         Verachtung rechnen.                    zucken, würde er sich noch Jahre
bringt.                                  Noch nicht gewohnt, dass von        zusammensparen müssen.
   Das ist in China anders. Die       der Arbeit bis zur Liebe nun alles        Wie sagte doch der Schweizer
Neugier, die Einheimische dort        ein Markt ist und der Wert eines       Philosoph Peach Weber? «Geld
gegenüber Ausländern an den Tag       Menschen in Moneten aufgewogen         allein macht nicht glücklich, es
legen, ist gewöhnungsbedürftig.       wird, gilt es als Zeichen geistiger    muss einem auch noch gehören.»
Als ich von einer Schiffsreise mit    Armut, von dem Geld zu reden,
einem Containerfrachter in Xia­       mit dem man kaum seinen Lebens­
men ankam und in einem Internet­      unterhalt zu bestreiten vermag.        Peter Haffner ist freier Journalist;
café meine E­Mails checkte, setzte    Und nicht von dem, was einen           er lebt in Zürich und Berlin.
                                                                                                     Folio 4 | 2018 | 25
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