Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
Westfalen • Welt • Weit
            Nachrichten aus Mission, Ökumene und
            kirchlicher Weltverantwortung

            Alles wird gut!?
            Zwischen Zukunftsangst und Zuversicht!
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            2020 | JAHRGANG 10
Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
INHALT

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EDITORIAL                                            CORONA UND DIE FOLGEN -
                                                     BERICHTE AUS PARTNERLÄNDERN
• Zwischen Zukunftsangst und Zuversicht –
  die Welt im Stresstest                             • Auf wunden Füßen tausend Kilometer
                                                       bis nach Hause
                                                       Die Corona-Krise in Indien -
                                                       eine Migrantengeschichte

                                                     • Leben mit dem Virus
                                                       Der Alltag von Frauen in der Namibischen
                                                       Kirche zwischen Familie und Beruf
• Klimawandel und Corona:
                                                     • Noch mehr Unsicherheit und Angst
  Wenn Krisen zusammenkommen
                                                       Dramatische Entwicklung im Heiligen Land:
  Armut macht verletzlich
                                                       Corona und Annexionspläne
• Wir leben im Anthropozän
                                                     • Europa ist besser als sein Ruf
• Gott loben im Anthropozän?                           Wie Corona die Schwachstellen aber auch
                                                       Entwicklungsfortschritte der EU deutlich macht

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FOLGEN VON KRISEN –
BERICHTE AUS PARTNERKIRCHEN                          KLIMAWANDEL & CORONA-KRISE - DIE FOLGEN

• „Bevor ich meine Kinder verhungern lasse,          • Menschen rutschen in bittere Armut
  sterbe ich lieber am Virus“                          Schulderlass für arme Länder zur Bekämpfung
  Die Folgen von Corona und Klimawandel                der Corona-Pandemie
  in den Philippinen sind bitter
                                                     • Die Schwächsten zahlen die Corona-Zeche
                                                       Unzählige Textilarbeiter*innen stehen vor dem Nichts

                                                     • Wenn Eine*r eine Reise tut …
                                                       Wie Tourismus nachhaltig gestalten?

• Kulturschock durch Klimawandel
  Afrikanische Kirchen und der neue Lebensstil

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                                                     • Das System Billigfleisch stoppen
                                                      Nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies sind
CORONA-BERICHTE VON FREIWILLIGEN
                                                      Politik und Verbraucher*innen gefordert
• Wo das Herz zuhause ist -
                                                     • Kann aus dem Rohstoff-Fluch ein Segen werden?
  Kein Weg ist zu weit
                                                       DR Kongo: Eine Geschichte der Ausbeutung
  Argentinien
                                                       und Menschenrechtsverletzungen
• Freiwillig hin - unfreiwillig zurück
  Die Corona-Pandemie durchkreuzt den
  Freiwilligendienst auf Sansibar

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HANDLUNGSFELDER

• Harvesting Hope                                   • „Eintüten statt wegwerfen“
  Mit Urban Farming Ernährung sichern und             Reste-Einpacktüte wieder da
  Frauen stärken - Ein Beispiel aus Südafrika
                                                    • Ökumenische Predigtanregungen zur Nachhaltigkeit
• Fahrradspeichen als Grillspieße und Flip-Flops
  aus Autoreifen
  Klimapartnerschaft Bad Berleburg – Morogoro
  sucht nach Antworten auf den Klimawandel          63
• Aufforsten statt nur abbrennen                    VERÄNDERUNGEN
  Neue Bäume wachsen im Nordwesten Tansanias
                                                    • Kindern Zukunft schenken
                                                      62. Aktion von Brot für die Welt

                                                    • Bündnis in Rheine kämpft für ein Lieferkettengesetz

                                                    • Werden auch Sie Botschafter*in für
                                                      eine gerechtere Welt

• Frauen stärken, aber richtig
  Größte Gefahren sind und bleiben staatliche
  Willkür, Korruption und Vergewaltigung            65
• Mit Corona wächst der Hunger                      REGIONALES / AUS DEM AMT FÜR MÖWE
 Brot für die Welt braucht Unterstützung
                                                    • „Ökumene ist kein spannungsfreies Feld“
                                                      Gespräch mit dem westfälischen Ökumene-

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                                                      Ausschuss-Vorsitzenden Stefan Berk

                                                    • Kampagne für Saubere Kleidung
                                                      Neue Koordinatorin Isabell Ullrich arbeitet
VERÄNDERUNGEN
                                                      nun im Amt für MÖWe
• Youth Climate Action Day
                                                    • Aus Essen über Botswana nach Westfalen
  Junge Menschen rund um den Globus
                                                      Neue Bildungsreferentin für das Jugendprojekt
  setzen Zeichen für mehr Klimaschutz
                                                      „Mission: Fair Fashion“
• Mit dem Lieferkettengesetz Recht
                                                    • Das wird ´ne knappe Kiste mit dem Klima“
  und Gerechtigkeit schaffen
                                                      Simon Schu zieht als Sondervikar
• Fair und nachhaltig verreisen                       im Amt für MÖWe Bilanz

• Krumme Gurken?

                                                    71
  Solidarische Landwirtschaft verbindet
  Verbraucher*innen und Landwirte

• Oikocredit: Armut bekämpfen und
  Menschen stärken                                  AUSBLICK
  Honig und Nüsse bringen Aufschwung auf dem Land   • Ökumenischer Kirchentag unter
• Auf Wegen zur Nachhaltigkeit in Dortmund            Corona-Bedingungen
  Lokale Initiativen für eine umwelt- und           • „Fokus Schöpfung“
  menschengerechte Zukunft                            Neues Jahrbuch Mission 2020
• Digital um und für die Eine-Welt                  • Ökumenisches Gebet in Zeiten der Corona-Krise
  Bildungsangebote für Konfis und Jugendliche

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
EDITORIAL

Annette Muhr-Nelson
Leiterin des Amtes für MÖWe

Zwischen Zukunftsangst                                        Ein halbes Jahr später erinnere ich mich noch gut an
                                                              die allgemeine Verunsicherung zu Beginn, aber auch
und Zuversicht –                                              an das Erstaunen über viele Zeichen der Solidarität,
die Welt im Stresstest                                        an kreative Nachbarschaftshilfe, an das gemein-
                                                              same Singen am Abend und die Kerzen im Fenster.
Ein Heft mit dem Schwerpunkt Klimagerechtigkeit               Die Zeichen der Verbundenheit haben wir geteilt mit
sollte es werden. Wir hatten uns das gedanklich schon         Freundinnen und Freunden in allen Teilen der Welt. Ein
so schön vorgestellt: Klimagerechtigkeit als Jahres-          weltumspannendes Achtsamkeitsnetz entstand. Der
thema. Jeden Monat einen anderen Schwerpunkt auf              Gedanke von der einen Kirche Christi, nein, von der
der Homepage. Verschiedene Impulse, um damit kli-             einen Welt, in der alle Menschen, egal welchen Glau-
mabewusst durchs Jahr zu gehen. Und unser Jahres-             bens, zusammenhalten, wurde tragfähig.
heft „Westfalen Welt weit“ sollte dann im Herbst mit          Wir haben erlebt, dass viel weniger immer noch ge-
umfassenden Artikeln, die Hintergrundinformationen            nug ist. Wir haben für eine kurze Zeit auf Autofahren,
liefern, Einblicke in verschiedene Weltregionen geben.        Reisen und Konsum verzichtet. Und wir haben ge-
Wir hatten alles durchgeplant und wollten im März             spürt: die Erde atmet auf. Das sind Erinnerungen, die
starten. Dann kam zog das Corona-Virus durch die              ich nicht missen möchte. Aber ich bin mir dessen be-
Welt und alles wurde anders. Corona-bedingt haben             wusst, dass diese Erfahrungen der pure Luxus sind.
wir Veranstaltungen und Reisen abgesagt, Pläne über           Wer im Überfluss lebt, hat gut reden. Covid-19 macht
den Haufen geworfen, Treffen ins Internet verlegt, sind       zwar vor Grenzen und sozialen Schranken nicht halt.
ins Homeoffice gegangen und haben sogar Kolleg*in-            Aber die Krankheit betrifft die Armen eben doch in
nen in Kurzarbeit geschickt.                                  ganz anderer Weise als die Reichen.
Meine Erinnerungen an die ersten Corona-Wochen                Nicht nur, dass die Standards im Gesundheitssystem
sind vor allem vom Stichwort „Entschleunigung“ ge-            weltweit sehr unterschiedlich sind, auch die sozia-
prägt. Ganz anders bei meiner Tochter. Mit vier Kin-          len Hilfesysteme und die staatlichen Möglichkeiten
dern in einer Stadtwohnung standen sie und ihr Mann           zur Kompensation unterscheiden sich eklatant. Et-
bei Spielplatzverbot und Kontaktbeschränkungen                liche Artikel in diesem Heft beschäftigen sich damit
mehr als einmal am Rande eines Nervenzusammen-                und geben sehr konkrete Einblicke in den Alltag von
bruchs. Frauen und Familien tragen die größte Last in         Menschen, die vor der Wahl stehen zu verhungern
Corona-Zeiten. Das ist weltweit so.                           oder sich mit dem Virus zu infizieren. Unsere Partn-

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erkirchen und -organisationen geben ihr Bestes, um              auch für unseren Umgang mit dem Klimawandel ler-
die ärgste Not zu lindern. Dazu sind sie auf unsere             nen. Denn ich glaube fest daran: Gott hat uns nicht
Unterstützung angewiesen. – Wie wäre es, wenn                   einen Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der
wir alle das, was wir durch ausgefallene Reisen oder            Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
nicht erfolgten Konsum sparen oder zurückerstattet              Wir hoffen, Ihnen mit diesem Heft viel Stoff zum Nach-
bekommen, an sie spenden würden? Die Vereinte                   denken und manch angeregte Diskussion zu liefern.
Evangelische Mission/VEM und Brot für die Welt                  Bleiben Sie uns verbunden!
freuen sich. Sie sind dringend auf diese Zeichen der
Solidarität angewiesen!                                         Im Namen des Redaktionsteams
Was mich weiter umtreiben wird, ist die Frage nach              Ihre
dem Zusammenhang von Corona- und Klimakrise.
Corona ist sicherlich ein Weckruf. Die Pandemie fo-
kussiert unseren Blick auf die vorhandenen Proble-
me, z.B. in der Fleischindustrie. Aber sie lenkt auch
den Blick auf die Krisengebiete und die ungerechten
Zustände in dieser Welt. Ein Lieferkettengesetz, das
deutsche Unternehmen auf die menschenrechtliche
Sorgfaltspflicht festlegt, ist (hoffentlich) in greifbare
Nähe gerückt. Es klingt fast zynisch, aber dank Co-
rona können wir im Moment den Finger in manche
Wunde legen …
Dass Covid-19 nicht das erste gefährliche Virus war,
mit dem die Menschheit sich konfrontiert sieht, und
dass es auch nicht das letzte sein wird, wurde schon
ganz zu Anfang der Krise von Wissenschaftler*innen
betont. Der Zusammenhang zwischen dem Raubbau
des Menschen an der Natur, dem nicht mehr aufzu-
haltenden Verlust an Biodiversität und der Entste-
hung von Zoonosen ist nicht mehr zu leugnen. Die
Frage ist, ob Politik und Gesellschaften weltweit auf
die mahnenden Stimmen der Naturwissenschaft und
inzwischen auch der Philosoph*innen, der großen Re-
ligionsgemeinschaften, der Zukunftsforscher*innen
u.v.m. zu hören bereit sind und sich endlich etwas än-
dert, oder ob die Narzissten und Faktenleugner weiter
so große Anhängerschaft haben, dass sie gemeinsam
begonnene sinnvolle Prozesse, z.B. auf UN-Ebene,
weiterhin blockieren und boykottieren können.
Meine Angst ist, dass das Zeitalter der selbstverlieb-
ten Machos noch nicht vorbei ist. Meine Zuversicht
aber ist, dass es zu Ende geht, dass sich ein neues
Denken, ein neuer Lebensstil den Weg bahnt. Eine
Geburt ist ein schmerzhafter Prozess. Aber am Ende
kommt neues Leben zur Welt.
Jede Krise birgt auch eine Chance. Im ursprünglichen
Wortsinn meint Krise „Zuspitzung“. Diese Zuspitzung
kann im Krankheitsverlauf die Wende herbeiführen. –
Das ist meine Hoffnung, dass wir in der Corona-Krise

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
Demonstranten fordern hier
                                                                                                    konsequente Maßnahmen für
                                                                                                       Umwelt- und Klimaschutz.
© pixabay

            Klimawandel und Corona:
            Wenn Krisen zusammenkommen
            Armut macht verletzlich

            Die Folgen des Klimawandels und auch die Coro-                 tragsarbeiter*innen und ihre Familien, die aus der Ge-
            na-Pandemie machen es gerade sehr deutlich: Es                 sellschaft ausgeschlossen sind und unter schlech-
            sind vor allem die Ärmsten davon betroffen. Beide              ten Arbeits- und Wohnbedingungen leiden.
            Krisen und teilweise auch ihr Zusammenspiel brin-              Auch weltweit ist dies zu beobachten. Fehlende
            gen viele Menschen in Existenznöte.                            Nahrung, Mangel an sauberem Wasser, schlechte
                                                                           Wohnverhältnisse, kein Zugang zu Gesundheitsver-
            Bereits die Auswirkungen der Corona-Pandemie in                sorgung, keine Rücklagen für den Notfall bestimmen
            Deutschland zeigen, dass Menschen mit geringem                 das Leben vieler Menschen – etwa bei Menschen in
            Einkommen oder ohne feste Arbeit besonders leiden.             den Townships Südafrikas oder in den Armensied-
            Sie leben in beengten Wohnverhältnissen, haben                 lungen von Buenos Aires. Auch Wanderarbeiter*in-
            schlecht bezahlte Jobs, haben weniger Bildungs-                nen in Indien, Näher*innen in Bangladesch oder
            möglichkeiten und können sich oft weniger um ihre              Bauern in Tansania leiden am meisten. Denn es fehlt
            Gesundheit kümmern. Auch der Corona-Ausbruch                   ihnen schlichtweg an Möglichkeiten, sich angemes-
            bei Tönnies, dem größten deutschen Fleischkonzern,             sen vorzubereiten und vor den Folgen der Pandemie
            zeigte dies beispielhaft. Er traf vor allem die Werkver-       zu schützen.

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Wir sitzen zwar alle in einem Boot, was die Krisen be-         Europa bestellte Ware nicht bezahlen. Oder wenn
trifft. Aber für die Corona- wie auch für die Klimakrise       ausbeuterische Kinderarbeit durch Corona zunimmt
gilt: Einige wenige reisen erste Klasse, die anderen           und Unternehmen dies in ihren weltweiten Lieferket-
zweite oder dritte Klasse. Und dies macht einen rie-           ten dulden. Diese Verantwortungslosigkeit von Un-
sigen Unterschied aus. Der Untergang der Titanic hat           ternehmen, darf nicht hingenommen werden. Hier
dies gezeigt. Um sich für Krisen zu rüsten und sie zu          sind Solidarität und Gerechtigkeit gefordert und not-
bewältigen, braucht es ein Umdenken und entschlos-             wendig. Daraus sollte politisches Handeln folgen –
senes Handeln.                                                 wie z.B. in einem Lieferkettengesetz, das Unterneh-
                                                               men gesetzlich verpflichtet, Menschenrechts- und
Widerstandsfähigkeit erhöhen                                   Umweltstandards einzuhalten.
Um den Krisen zu begegnen, müssen für viele Men-
schen bessere Lebensverhältnisse geschaffen wer-               Vorsorgend leben und wirtschaften
den, damit sie Krisen besser widerstehen können.               Damit Krisen nicht ausbrechen bzw. nicht so massive
Und das bedeutet in erster Linie, Hunger, Armut und            Folgen haben, ist die Anwendung des Vorsorgeprin-
Ungerechtigkeiten wie Ausbeutung entschieden ent-              zips entscheidend. Die Corona-Pandemie hat es uns
gegenzutreten und deren Ursachen zu bekämpfen.                 in Deutschland deutlich gezeigt. Es werden ausrei-
Es kommt also beispielsweise darauf an, Frauen zu              chend Krankenhäuser und –betten, Material für den
stärken, allen Kindern Bildung zu ermöglichen, Er-             Krisenfall und gerecht bezahltes Pflegepersonal be-
nährungssouveränität umzusetzen, regionale Wirt-               nötigt. Ein Gesundheitssystem, das allein Marktregeln
schaftskreisläufe zu stärken, aber auch ausbeuteri-            unterliegt, ist nicht vorsorgend.
schen Strukturen entgegenzuwirken wie Landraub,                Es ist die Aufgabe der Bundesregierung auf politischer
unfairem Welthandel, Privatisierung von Wasser                 Ebene dafür Sorge zu tragen. Dazu gehört es, dass
oder Gesundheit.                                               Deutschland etwa seinen Beitrag dazu leistet, die
                                                               UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu erreichen.
Globale Gerechtigkeit und Solidarität                          Zur Vorsorge gehört es auch, auf allen Ebenen nach-
Die Verantwortlichen der Klimakrise sind klar auszu-           haltig zu leben und zu wirtschaften. Engagierte Men-
machen. Es sind besonders die Industrieländer. Sie             schen in Kirchengemeinden und Kommunen zeigen
müssen Verantwortung übernehmen. Arme Länder,                  beispielsweise in sozialen Initiativen, Weltläden,
die besonders unter dem Klimawandel leiden, aber               Umweltprojekten, dass ein Leben mit Rücksicht auf
am wenigsten dazu beigetragen haben, brauchen                  Natur, Umwelt und Ressourcen und mehr soziale Ge-
ihre Hilfe, um sich an die Folgen des Klimawandels             rechtigkeit möglich ist.
anpassen sowie Schäden durch Wirbelstürme und
Überflutungen wieder ausgleichen zu können. Hier               Katja Breyer, Fachstelle Entwicklungspolitik
                                                               im Amt für MÖWe
mangelt es nach wie vor an Verantwortungsübernah-
me – auch von Deutschland. Das betrifft sowohl die
finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern
als auch den konsequenten Klimaschutz in Deutsch-
land. Die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerkes Dat-
teln 4 steht symbolisch dafür.
Im Falle der Corona-Krise haben Wissenschaft-
lern*innen zufolge auch Umweltzerstörung und
mangelnder Artenschutz zur Ausweitung des Virus
beigetragen. Hier lässt sich kein Schuldiger klar
benennen und niemand kann konkret zur Verant-
wortung gezogen werden. Anders ist es aber, wenn
zehntausende Näher*innen in Asien ihre Arbeit auf-
grund von Corona verlieren und vor dem Nichts ste-
hen, weil es keine Kurzarbeit, Arbeitslosengeld o.a.
gibt und Modeunternehmen in Deutschland und

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
Wildes Blumenfeld und
                                                                                      Braunkohleabbau im Hinrtengrund.
© pixabay

Wir leben im Anthropozän
Das Wort „Anthropozän“ begegnete mir zum ersten Mal              und vor der Natur (in: Defiant Earth. The Fate of Humans
im Trägerkreis des ökumenischen Prozesses „Umkehr                in the Anthropocene. Cambridge 2017).
zum Leben“. Er stellte für mich etwas vollkommen Neu-            Die Herausforderungen im Anthropozän überfordern
es dar. Anthropozän ist ein geologischer Begriff und             das Fassungsvermögen des homo sapiens. Es stellt
bezeichnet das Erdzeitalter nach dem Holozän. Seit der           die Menschheit in eine apokalyptische Situation. Die
Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich die Eingriffe des         Rede vom Anthropozän warnt vor der Möglichkeit von
Menschen in das Erdsystem geologisch nachweisen,                 Katastrophen und sucht nach Überlebenspfaden. Da-
beispielsweise Radionuklide aus Atombombentests in               bei ist es hilfreich, die Ergebnisse der wissenschaftli-
Eisbohrkernen und in Sedimentablagerungen in Seen.               chen Erdsystemforschung ernst zu nehmen.
Der Mensch ist gesteinsbildend geworden: Die Menge               Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es den meis-
des Mülls unserer menschlichen Zivilisation, die vom             ten Gesellschaften dieser Welt möglich ist, verant-
Land ins Meer gespült wird, übersteigt den Sediment-             wortungsvoll auf Krisen zu reagieren. Was bis dahin
transport der Flüsse bei Weitem. Unsere technischen              niemand für möglich gehalten hatte, ist geschehen:
Erzeugnisse werden als Technofossilien erhalten blei-            Produktionsstätten fuhren ihren Betrieb herunter, Flug-
ben. Menschliche Aktivitäten haben dazu geführt, dass            zeuge blieben am Boden, Politiker*innen suchten Rat
sich neue Mineralien und Gesteinsarten bildeten wie              bei Wissenschaftler*innen, gekauft wurde nur noch
z.B. Asphalt und Beton.                                          das zum Leben Notwendige. Dieses kurze Innehalten
Das „Anthropozän“ ist eine neue Lehre von der Erde. Erst-        ließ für einen Moment erahnen, wie es sein könnte,
mals in der Erdgeschichte ist eine Spezies dabei, ihre           wenn die Menschheit sich etwas zurücknimmt, wenn
erdsystemischen Lebensgrundlagen zu untergraben.                 weniger produziert, konsumiert und gereist wird.
Damit wird zugleich die alte Unterscheidung zwischen             Die Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich
Kultur und Natur hinfällig. Der Philosoph Clive Hamilton         und die gesellschaftlichen Polarisierungen wurden
geht so weit, sich von der „loving Mother Earth“ zu verab-       noch deutlicher. Aber es wurden auch positive Kräf-
schieden: Es könne nicht länger unser Ziel sein, die Natur       te freigesetzt. Es entstanden Hilfsangebote und So-
zu retten, wir müssten uns selbst retten - vor uns selbst        lidarisierungsaktionen im Quartier, es gab kreative

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digitale Kommunikation, weltweite Aktionen, Mei-
nungsbildung und Austausch. Und es gibt auch ein
Durchatmen dank sauberer Luft, ein Staunen ange-
sichts blühender Gärten und ein neues Hinhören auf
die Stimmen der Tierwelt.                                            Der Ökumenische Prozess „Umkehr zum Le-
Jede Krise birgt eine Chance. Hier kommt den Religio-               ben – den Wandel gestalten“ versucht, diesen
nen große Bedeutung zu. Sie wirken sinnstiftend über                Diskurs zu führen und eine neue „Spiritualität
die Begrenztheit des eigenen Seins hinaus. Sie haben                 planetarischer Gerechtigkeit“ zu entwickeln.
Narrative, die der ökonomischen Maßlosigkeit der Mo-                  So wird z. B. eine Langzeit-Fortbildung für
derne und dem technologischen Machbarkeitswahn                       „Veränderer“ angeboten. Alle Informationen:
etwas Neues entgegensetzen können. Sie stellen die                           www.umkehr-zum-leben.de
Frage nach einer Versöhnung mit der Erde und definie-
ren Gerechtigkeit neu als planetarische Gerechtigkeit.
Sie nähren die Hoffnung, dass der Einzelne und ganze
Gesellschaften ihr Verhalten ändern und etwas zum
Besseren wenden können.

Annette Muhr-Nelson, Leiterin des Amtes für MÖWe und
zuständig für Theologische Grundsatzfragen

                      Gott loben im Anthropozän?

                  Die Erde ist in einem Zustand, in dem        von beständigem Renditestreben sowie Maß- und
            sie nie zuvor war. Auf die menschlichen Ein-       Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitgeschöpfen
     griffe in das Ökosystem reagiert sie nach den Ge-         und der Natur geprägt ist. Notleidende sind Tiere und
setzen der Natur. Es ist absehbar, wann die Ressour-           Pflanzen, Erde, Wasser und Luft und die Armen in allen
cen verbraucht sind. Schon jetzt lassen Artensterben,          Teilen der Welt.
Meeres- und Luftverschmutzung und die Veränderung              Das Anthropozän ist eine Herausforderung für unse-
des globalen Klimas ahnen, was das bedeutet. Das In-           ren Glauben. Wir leben jenseits von Eden, d.h. inmitten
einandergreifen der Lebenswelten und Lebensräume,              einer natürlichen Umwelt, die auch immer Gefahren
die ökologische Sinnhaftigkeit, die Abhängigkeit von           birgt. Krankheiten, Naturkatastrophen, die Abhängig-
den Prozessen anderer Lebewesen – das alles war in             keit von klimatischen Bedingungen bleiben auch für
einer Balance. Der Mensch wurde geschaffen als Teil            den modernen Menschen Realität. Die menschenge-
dieses großen Gesamtgefüges.                                   machte Zerstörung der Ökosysteme wirft die existen-
Wir leben von unendlich vielen ineinandergreifenden            tiellen Fragen nach Leben und Tod, Schuld und Sühne,
ökologischen Prozessen. Jeder Eingriff in die Natur            Verantwortung und Erlösung mit neuer Dringlichkeit
hat Konsequenzen. Unser Lebensstil hinterlässt irre-           auf. Darum fragen wir im Kontext der globalen öko-
versible Schäden im Ökosystem der Erde. Verantwort-            logischen Krise neu: Was bedeutet das Bekenntnis
lich hierfür ist die falsche Denkweise, der Mensch sei         zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde?
von Gott zum Mittelpunkt der Schöpfung bestimmt                Was erhoffen wir, wenn wir um „einen neuen Him-
worden. Dieser Anthropozentrismus hat eine Lebens-             mel und eine neue Erde“ bitten? Inwiefern sind wir
und Wirtschaftsweise hervorgebracht, deren Wesen               als Mitgeschöpfe nicht nur mit betroffen von der

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Westfalen Welt Weit - Nachrichten aus Mission, Ökumene und kirchlicher Weltverantwortung Alles wird gut!? Zwischen Zukunftsangst und ...
Verschlechterung der Lebensbedingungen für die               Christus ruft zur Umkehr und in seine Nachfolge.
meisten Arten, sondern auch beauftragt mitzuwirken           Sprachrohr dieses Rufs zu sein, verstehen alle Kir-
an Gottes kontinuierlichem Schöpfungshandeln, das            chen als ihren gemeinsamen Auftrag. Es ist „Gottes
Neues hervorbringt?                                          Wille, dass die ganze Schöpfung durch die verwan-
Gott hat sich in Jesus Christus in die Tiefen des ir-        delnde Macht des Heiligen Geistes versöhnt in der
dischen Lebens begeben. Dass wir auf einer ver-              Liebe Christi in Einheit und Frieden zusammenlebt“
wüsteten Erde unser Seelenheil finden könnten, ist           (ÖRK, Busan 2013). Diesem Ruf wollen wir folgen.
daher nicht ausgeschlossen, denn kein Leid(en) ist           Darum bitten wir um den Mut zur Umkehr, um Demut
Gott fremd. Aber es ist ein Irrglaube, dass wir Gott         und Geduld, um Einsicht und um die schöpferische
finden könnten, ohne uns vom Leid anderer berühren           Kraft des Heiligen Geistes. Wir wollen neue Wege zu
zu lassen. Das Kreuz Christi weist uns den Weg zum           einer Kultur der Nachhaltigkeit suchen. Wir können
Leiden, es stellt uns an die Seite der Schwachen und         aus den Schätzen des Glaubens schöpfen und auf
regt an zum mitfühlenden Nachdenken über unseren             dem Engagement vieler aufbauen. Wir hoffen auf
eigenen Umgang mit dem Leben um uns herum. Un-               Inspiration und neue Erkenntnisse durch den Aus-
ser Heil ist eingebettet in die Heiligung der Schöp-         tausch mit Menschen aus verschiedenen Generatio-
fung. Im leidenden Nächsten, in der geschundenen             nen, Kulturen und Erdteilen.
Kreatur und in den Wunden der Erde begegnet uns              Wir vertrauen darauf, dass Gottes Bund mit den Men-
Christus, der Mensch gewordene, mitleidende Gott.            schen Bestand hat. In diesem Vertrauen, getragen von
Zusammen mit der gesamten seufzenden Kreatur                 der Hoffnung der Auferstehung und beflügelt von der
(Röm. 8, 20) bitten wir um Erlösung und fragen: Wie          Kraft des Heiligen Geistes werden wir den lebensfeind-
kann die österliche Hoffnung von der Überwindung             lichen Geschichten der Zeit unsere Heilsgeschichten
des Todes zu einer transformativen, die Gesellschaft         entgegenhalten, der Erzählung von den Segnungen
verändernden Kraft werden?                                   des grenzenlosen Reichtums die biblischen Erzählun-
                                                             gen von der Genügsamkeit in den Weg stellen, dem
                                                             Narrativ vom Heil des Wirtschaftswachstums mit der
                                                             Geschichte von der vergnügten Geborgenheit in der
                                                             Liebe Christi entgegentreten.
                                                             So wird der ängstliche Blick in die Zukunft scharf
                                                             gestellt auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten
                                                             menschlichen Handelns. In der Perspektive der Hoff-
                                                             nung hat unser entschiedenes Handeln zeichenhafte
                                                             Bedeutung. So loben wir Gott und leben unser Leben
                                                             in Ehrfurcht vor allem Lebendigen.

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Folgen von Krisen –
                                     Berichte aus Partnerkirchen
 ©?
 © Bimbim Bliss Gayo

                                                          Ganze Stadtteile wurden abgesperrt, die Zugänge bewacht.
                                                     Diese und weitere Corona-Beschränkungen galten zu Anfang der
                                                         Pandemie in den Philippinen wie hier in Quezon City/Manila.

„Bevor ich meine Kinder verhungern lasse,
sterbe ich lieber am Virus“
Die Folgen von Corona und Klimawandel in den Philippinen sind bitter

Corona, starke Hitze, schwere Regenfälle, heftige Tro-         pro Familie erhielt einen Ausweis und durfte ein- oder
penstürme und bittere Armut. Die Folgen sind verhee-           zweimal pro Woche für die Familie einkaufen gehen.
rend - viele Menschen in den Philippinen leiden sehr           Doch ohne Arbeit fehlt das dafür nötige Einkommen,
stark unter dem Covid-19-Virus und dem Klimawan-               und die Mehrheit der Bevölkerung kann nicht auf Er-
del. Letzterer könnte sich noch verheerender auswir-           spartes zurückgreifen.
ken als die Pandemie. Die Lage für die überwiegend             Wer hingegen Farmland besitzt oder einige Nutztie-
arme Bevölkerung ist lebensbedrohlich.                         re hält, kann sich - anders als die Menschen in den
                                                               dicht besiedelten städtischen Slums - einigermaßen
Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat in den Phil-              versorgen. Die meisten Corona-Fälle wurden und wer-
ippinen bereits Anfang März 2020 zu einem landes-              den in der Hauptstadt Manila registriert. Inzwischen
weiten Lockdown geführt. Früher als in Deutschland,            haben Menschen, die aufgrund fehlender Arbeit aus
obwohl die Zahl der offiziell registrierten Infektionen        der Millionenmetropole in ihre Heimatorte zurückge-
anfangs über Wochen gering blieb, ist sie zuletzt stark        kehrt sind, den Virus zuhause eingeschleppt.
angestiegen.1                                                  Die Pandemie hat die ohnehin schon sozial und öko-
Selbst in den Großstädten war es während dieses                nomisch angespannte Situation für die Mehrheit der
Lockdowns, der inzwischen in weniger betroffenen               Bevölkerung, die in Armut lebt, erheblich verschärft.
Regionen etwas gelockert wurde, nicht mehr erlaubt,            Für einen Großteil der Menschen gibt es in den Philip-
von einem Stadtbezirk in den anderen zu fahren.                pinen keine ausreichende Altersversorgung. Sie leben
Menschen ab 60 Jahren durften ihre Häuser oder                 davon, dass sie in den Städten kleine Verkaufsstände
Wohnstätten nicht mehr verlassen. Nur eine Person              haben oder Dienstleistungen anbieten. Diese Arbeits-

                                                          11
FOLGEN VON KRISEN – BERICHTE AUS PARTNERKIRCHEN

möglichkeiten sind durch die strengen Ausgangsbe-              Die Folgen der Corona-Pandemie werden zusätzlich
stimmungen weggefallen.                                        verstärkt durch die Folgen des Klimawandels, die
Die Folgen sind nach Aussage des Bischofs von Ka-              schon länger in den Philippinen zu spüren sind. Tro-
lookan, Pablo Virgilio, dramatisch: „Die Frage, wie die        cken- (El Niño) und Regenperioden (La Niña) treten
Menschen während des aktuellen Lockdowns Essen                 immer häufiger auf und halten auch länger an, so
für ihre Familien auftreiben können, bereitet vielen           Michael Reckordt.3 Seit Anfang Februar war eine wo-
weit mehr Sorgen als der Virus selbst. Manche Men-             chenlange Trockenheit und Hitze zu beobachten. Bis
schen sagen sich in ihrer Verzweiflung: Bevor ich              zum Jahr 2050 wird für die Insel Mindanao im Süden
meine Kinder verhungern lasse, sterbe ich lieber am            der Philippinen ein Temperaturanstieg von bis zu drei
Virus“2, berichtete er Mitte April. Deshalb helfen Ge-         Grad erwartet.
meindemitglieder in seinem Bistum dabei, arme Men-             Vor allem Bauern und Bäuerinnen sind von der zuneh-
schen mit Essen zu versorgen. In den Gemeinden und             menden Hitze betroffen, aber auch die Lebensgrund-
auf einzelnen Missionsstationen haben sie Räume als            lagen der indigenen Bevölkerung in den Bergregionen.
Quarantänestationen eingerichtet.                              Ernteausfälle sind die Folge. Das bedeutet in einem
Das Gesundheitssystem in den Philippinen war nur               Land wie den Philippinen, dass viele Millionen Men-
unzureichend auf die Pandemie vorbereitet, vor al-             schen vom Hunger bedroht sind. „Jeder Grad mehr
lem im öffentlichen Gesundheitssektor: „Es fehlt an            Temperaturanstieg bedeutet eine Abnahme der Agrar-
Intensivstationen und Beatmungsgeräten – und auch              produktivität von zehn bis 15 Prozent“, so Reckordt.4
an Schutzkleidung für das Personal“, beklagte der              Auch die gesundheitlichen Folgen sind schon jetzt
Bischof. Und das obwohl der von Präsident Rodri-               zu beobachten: Ältere Menschen leiden: besonders
go Duterte seit seinem Amtsantritt brutal geführte             diejenigen, die krank oder pflegebedürftig sind. Wer
Krieg gegen den Drogenhandel, dem oft Kleindealer,             in festen Häusern wohnt und sich eine Klimaanlage
Drogenabhängige und auch völlig unbeteiligte Perso-            leisten kann, ist der Hitze weniger ausgeliefert als die
nen zum Opfer fallen, zu einer starken Konfrontation           Menschen in einfachen, behelfsmäßigen Hütten in
zwischen einzelnen Kirchen und dem Staat geführt               den Slums oder in den oft sehr kleinen Häusern aus
hat. Besonders betroffen davon sind neben einzel-              Holz und Bambus auf dem Land – sie können sich,
nen Bischöfen aus der katholischen Kirche die United           wenn überhaupt, nur einen Ventilator leisten.
Church of Christ in the Philippines (UCCP) und die             Immer wieder kommt es zu Stromausfällen, vor allem
Iglesia Filipina Indepediente (IFI) sowie der Nationale        in den ländlichen Regionen. Das hat zur Folge, dass
Kirchenrat (NCCP).                                             dann die einfachen Behausungen so heiß werden kön-

      Getrennte Ein- und
     Ausgänge in Läden
    sowie Maskenpflicht
    beim Einkaufen: Das
       sieht der Corona-
   Schutz in Geschäften
  vor wie hier vor einem
  Supermarkt in Quezon
             City/Manila.

                            ©Bimbim Bliss Gayo

                                                          12
nen, dass die Menschen der Gefahr eines Hitzetodes

                                                                                                     PH
ausgesetzt sind und Atemprobleme haben, wenn sie

                                                                                                       ILIP
nicht nach draußen gehen können. Das ist aber infol-
ge der Pandemie nur begrenzt möglich.

                                                                                                          P IN
Die Hitzeperioden werden häufig durch schwere Re-
genfälle unterbrochen, die wiederum zu Überschwem-

                                                                                                              EN
mungen führen können. Manche Flüsse schwellen so
stark an, dass sie nicht mehr passierbar sind.
Die Philippinen gehören weltweit zu den zehn Län-
dern, die am stärksten unter dem Klimawandel leiden
und durch dessen Folgen bedroht sind. Taifune und
heftige Stürme sind in diesem tropischen Land nicht
ungewöhnlich. Aber infolge des Klimawandels treten
sie zunehmend häufiger auf und haben in den letzten
Jahrzehnten an Intensität zugenommen. Jedes Jahr
richten Taifune schwere Zerstörungen auf dem Fest-
land der Philippinen an.
Die beiden bislang schlimmsten Taifune in den ver-              boote erneut zerstören, andererseits, weil private Unter-
gangenen Jahren ereigneten sich 2012 und 2013. In-              nehmen in den zerstörten Gebieten etwa mit neuarti-
folge des Tropensturmes Pablo 2012 verloren 1.901               gen Tourismusprojekten den Wiederaufbau durch die
Menschen ihr Leben. 2013 wütete der Taifun Yolanda              betroffene Bevölkerung behindern oder eine Umvertei-
und führte vor allem auf den Inseln Samar und Leyte             lung privaten Landbesitzes zugunsten von Kleinbauern
zu schwerwiegenden Zerstörungen mit mehr als 7.000              und Kleinbäuerinnen zu vermeiden suchen.
Toten. Mehr als 1,1 Millionen Häuser und Wohnstätten            Mehr als sechs Jahre nach dem Taifun Yolanda zeigt
wurden zerstört. Am Weihnachtsfest 2019 folgte auf              sich, dass das Thema „Klimagerechtigkeit“ in den Phi-
derselben Route wie Yolanda der Taifun Ursula. Nach             lippinen den Schutz und die Garantie von Land- und
Angaben von Astrud Lea Beringer wurden damals ers-              Siedlungsrechten bedeuten würde, weil „Gesetze zu-
ten Berichten zufolge 77.832 Menschen obdachlos und             gunsten ärmerer Bevölkerungsgruppen fehlen, ein
mehr als 430.000 Häuser zerstört, ein wirtschaftlicher          schwaches Justizsystem und Korruption vorherr-
Gesamtschaden von rund 60 Millionen Euro.5                      schen und zusätzlich der einflussreiche Privatsektor
Diese wenigen Beispiele zeigen die drastischen Folgen           in die Katastrophennachsorge drängt“6.
einer verfehlten globalen Klimapolitik, deren Hauptver-         Umso größer muss die Verantwortung in den Indus-
ursacher den Klimawandel entweder verharmlosen                  triestaaten sein, sich endlich auf konkrete Klima-
oder sich auf konkrete Vereinbarungen zur Verringe-             schutzziele zu verpflichten. Das Corona-Virus hat ge-
rung des CO²-Ausstoßes nicht festlegen wollen. Das              zeigt, dass gehandelt werden kann und muss, um eine
hat zur Folge, dass es immer schwieriger wird, die              Pandemie unter Kontrolle zu behalten.
Schäden solcher Umweltkatastrophen auch nur halb-
wegs in den Griff zu bekommen. Einerseits, weil neue            Christian Hohmann, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWe
                                                                für die Kirchenkreise Herford, Lübbecke, Minden, Vlotho
Taifune gerade wieder errichtete Häuser oder Fischer-

1
  Stand vom 11. August 2020: Bis zu diesem Zeitpunkt wurden (laut Wikipedia) 136.638 Infektionen in den
Philippinenregistriert: 68.159 Personen sind genesen, 2.294 Menschen sind infolge des Virus verstorben.
2
    Vatikan News vom 16.4.2020.
3
    Michael Reckordt, Bedrohlich. Auswirkungen der Klimakatastrophe und die Reaktion der Duterte-Regierung,
in: Handbuch Philippinen, hg. von Rainer Werning/Jörg Schwieger, Berlin 2019, S. 219.
4
    M. Reckordt, S. 220.
5
  Vgl. Astrud Lea Beringer, Philippinen: Klimagerechtigkeit braucht Menschenrechte. Sechs Jahre Wiederaufbau
nach Taifun Yolanda und seine Folgen in: Blickwechsel Dezember 2019, Stiftung Asienhaus, S. 2.
6
    A. L. Beringer, S. 6.
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FOLGEN VON KRISEN – BERICHTE AUS PARTNERKIRCHEN

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                                                                                                                          IKA
Kulturschock durch Klimawandel
Afrikanische Kirchen und der neue Lebensstil

Klimawandel lässt auch den afrikanischen Kontinent            Klimawandel und der Glaube an
nicht unberührt. Die Kirchen dort können dazu nicht           geheimnisvolle Kräfte
schweigen. Ich möchte in dem Beitrag zeigen, wie              In Ländern wie der DR Kongo,
Afrikaner*innen den Klimawandel in ihrem täglichen            Kamerun oder Ruanda hat der
Leben erfahren. Dabei beschränke ich mich auf Zent-           Klimawandel einen Kulturschock
ralafrika und die VEM-Mitgliedskirchen in der Region,         ausgelöst und führt manchmal zu
also Kamerun, DR Kongo, Ruanda, Tansania. Was                 unglaublichen Fantasien.
bedeutet der Klimawandel für die Menschen dort?               Im zentralen und südlichen Afrika gibt es
                                                              zwei hohe Berge, den Kilimandjaro in Tansania (5.895
Der Klimawandel in Zentralafrika                              m) und den Ruwenzori in der DR Kongo (5.109 m).
Die zentralafrikanischen Länder haben lange Zeit              Beide Berge waren von Gletschern bedeckt. Heute
von einem Klima profitiert, das ganzjährige heftige           schmilzt dieses Eis rasant. Doch wie verstehen die
Regenfälle garantierte und eine vielfältige Flora und         Menschen dort das Verschwinden dieser Eisschicht?
Fauna hervorbrachte. Die Bevölkerung, zumeist Bau-            Für Einige ist dies nichts Natürliches, sie sehen viel-
ern oder Hirten, brauchten keine landwirtschaftlichen         mehr mysteriöse Kräfte am Werk.
Maschinen oder Kunstdünger. Hier wuchs alles, nicht           Im Jahr 2013 reiste ich mit meinen Kindern von Kam-
nur, wie Gott es von Anfang an geplant hatte (1.Mose          pala (Uganda) nach Beni (DR Kongo). Wir hatten ein
1,11-12), sondern auch wie es Noah nach der großen            Taxi gemietet, es war sehr heiß. In Bulongo (DR Kon-
Flut versprochen hatte (1. Mose 8,22): Die Abfolge            go) riet mir der Fahrer sehr vorsichtig zu sein, denn
von Regen- und Trockenzeit war regelmäßig und die             an dieser Stelle könnte – wenn die Sonne heiß brennt
Menschen konnten entsprechend Landwirtschaft be-              - ein plötzlich auftretender, mysteriöser Fluss die Stra-
treiben. In der Regenzeit wurde gesät, in der Trocken-        ße unter Wasser setzen und Autos versinken lassen.
zeit wurde geerntet.                                          Ich fragte den Fahrer, wo der Berg Ruwenzori sei. Er
In vielen Regionen sind die alten landwirtschaftli-           sagte, dieser sei oberhalb der Straße. Mir war dann
chen Methoden noch in Gebrauch. Die Tempera-                  klar, dass der „mysteriöse“ Fluss aus dem Schmel-
turveränderungen sind nun auch in Afrika spürbar,             zwasser des Geltschereises bestand. Als wir dem
dabei lokal oder regional sehr unterschiedlich. Bis           Fahrer dies erklärten, war er erstaunt und verstand
in die 1990er Jahre waren die Regionen Mudende in             dann, dass es dort keine geheimnisvollen Kräfte gibt.
Ruanda und Kitsombiro/Lubero in der DR Kongo für              Solche Fehlinterpretationen gibt es häufig in dieser
ihre niedrigen Temperaturen bekannt. Es war dort              Region, wenn es klimabedingte Naturkatastrophen
sehr kalt. Die Häuser wurden durch Feuerstellen               gibt, wie z.B. das Austrocknen von Flüssen (be-
beheizt. In Kitsombiro mussten seitdem die Men-               sonders in Tansania), Überschwemmungen durch
schen ihre Schlafgewohnheiten ändern. Während                 schwere Regengüsse (in Ruanda), Erdrutsche oder
sie sich früher mit Wolldecken zudeckten, genügt              Bodenerosion (DR Kongo, Ruanda).
heute ein Laken.
Nach den 1990er Jahren wurden die Wälder in Lubero            Neue Methoden in der Landwirtschaft
und die Bäume in Mudende abgeholzt, um Farmland               Der Klimawandel erfordert neue Methoden der Land-
oder Weideland zu gewinnen oder um Städte zu bau-             wirtschaft. Weil der Wechsel der Trocken- und Re-
en. Gleichzeitig wurden dort viele Eukalyptusbäume            genzeiten aus dem Tritt geraten ist, müssen immer
gepflanzt, ohne zu wissen, dass sie problematisch für         mehr Bauern künstlich bewässern oder benützen Ge-
Boden und Wasser sind.                                        wächshäuser. Doch können dies nur diejenigen, die

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© privat

                                                                         Flüsse trocknen aus, weil es immer wärmer wird wie hier in Afrika.

           gut ausgebildet sind und die nötigen Mittel haben. Die              derungen erzeugen aber einen Kulturschock und brau-
           meisten Bauern leiden jedoch unter massiven Ernte-                  chen Zeit. Gegenwärtig entwickeln Kirchen Alternati-
           einbrüchen, sei es wegen heftiger Regenfälle oder zu                ven zum Feuerholz. Verbesserte Kochöfen aber auch
           kurzer Regenzeiten.                                                 Erneuerbare Energien (Solarsysteme, Biogasanlagen)
           Der Ernteverlust zwingt die Bauern dazu, Saatgut für                werden in der DR Kongo, Ruanda und Tansania als die
           die nächste Saison zu kaufen und sich so zu verschul-               besten Möglichkeiten gesehen.
           den. Dabei können sie nicht einmal ihre Familien er-                Es ist wichtig zu verstehen, dass die einfachen Men-
           nähren und sich das Schulgeld und Kleidung für ihre                 schen in Afrika, wenn sie an Umweltschutz denken, zu-
           Kinder leisten. Das Schlimmste ist, dass die Kinder                 erst die Sicherheit ihres Dorfes im Blick haben: ihre Ernte,
           schlecht ernährt sind und ihre Gesundheit gefährdet                 den Fluss, aus dem sie das Wasser holen, ihre Tiere und
           ist. So geraten Familien tiefer und tiefer in einen teufli-         all das, was ganz direkt für ihr Leben wichtig ist. Ihre Her-
           schen Kreislauf der Verarmung.                                      ausforderung besteht darin, dass der Klimawandel ihren
                                                                               regional begrenzten Bereich überschreitet.
           Klimawandel und der neue Lebensstil                                 So scheinen die lokalen Bemühungen nicht auszu-
           In der afrikanischen Familie steht das Feuer immer im               reichen, um die weitere Erwärmung aufzuhalten. Die
           Mittelpunkt, nicht nur zum Kochen, sondern auch um                  Menschen werden zusätzlich entmutigt, wenn sie se-
           sich zu wärmen und die Gemeinschaft zu nähren. Es                   hen, dass große Konzerne aus Nordamerika, europäi-
           ist Tradition, dass man rund um das Feuer zusammen                  schen und asiatischen Ländern ihren politischen und
           isst, am Feuer Geschichten erzählt, dort Geschichte                 finanziellen Einfluss nutzen, um den noch übrigen Re-
           geschrieben wird, dort das Palaver in Versöhnungs-                  genwald auszubeuten und zu zerstören. So kommt es
           prozessen stattfindet. Es gibt aber nicht mehr genug                dazu, dass die Menschen überlegen, ob es den Klima-
           Feuerholz, deshalb müssen Kultur und Gemeinschaft                   wandel verhindert, wenn sie jedes Jahr einen Baum
           neu buchstabiert werden. Dies geschieht auch. Es gibt               oder auch hundert Bäume pflanzen, während große
           neue Wege, Gemeinschaft und Harmonie zu erhalten,                   Waldgebiete, die sie geschützt haben, durch ausländi-
           die Geschichte nicht abreißen zu lassen. Diese Verän-               sche Konzerne zerstört werden.

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FOLGEN VON KRISEN – BERICHTE AUS PARTNERKIRCHEN

Was kommt zuerst:                                            Die Kirche geht voran, um die Schöpfung
Umweltschutz oder die Sicherheit der Familie?                zu bewahren
In Afrika ist es eine große Herausforderung, die             Als das Evangelium in Afrika Fuß fasste, war Umwelt-
Schöpfung zu bewahren. In einigen Ländern gibt es            schutz kein Bestandteil des biblischen Unterrichts
dafür Gesetze. In Tansania ist es beispielsweise ver-        und des christlichen Selbstverständnisses. Dies ist
boten, dass Menschen, die keine großen Flächen mit           heute völlig anders. Die Menschen haben die Ökolo-
Bäumen besitzen, Holzkohle produzieren. Besitzer             gie in ihr theologisches Denken integriert. Liturgie und
von Baumflächen müssen eine staatliche Genehmi-              Liedgut sind erneuert, sie integrieren Umweltschutz,
gung beantragen. Die Wüstenbildung soll so einge-            um den Schöpfer zu ehren und um die Gläubigen ein-
dämmt werden.                                                zuladen, ihre Verantwortung wahrzunehmen. So gibt
Doch während ich im September 2018 nachts vom                es das Projekt „Wachsen mit meinem Baum“. Hier
Simiyu Distrikt nach Mwanza unterwegs war, sah               pflanzen Kinder einen Baum und kümmern sich um
ich Menschen, die im Dunkeln Holzkohle verkauften.           ihn, während sie aufwachsen. Jugendliche beteiligen
Mein Fahrer erklärte mir, dass diese Händler illegal         sich an dem „Jugendklimaaktionstag“. Auch hier wer-
Holzkohle herstellen. Wenn sie erwischt werden, ris-         den Bäume gepflanzt und gepflegt. Vielleicht tragen
kieren sie eine Gefängnisstrafe. Die Herausforderung         diese kleinen Schritte dazu bei, grünes Land wieder
heißt: wie kannst Du die Umwelt schützen, wenn Du            herzustellen und unserer Mutter Erde Hoffnung zu ge-
Deine Familie nicht ernähren kannst? Diese Situation         ben. Langsam, aber sicher.
der Armut und das Fehlen wirtschaftlicher Alternati-
ven hindert die Menschen, die Umwelt zu schützen –           Pfarrer Dr. Kambale J.-B. Kahongya Bwiruka ist
oder sie pflanzen schädliche Bäume wie Eukalyptus.           Projektsekretär für die Afrika-Region der Vereinten
                                                             Evangelischen Mission mit Sitz in Dar Es Salaam/Tansania
                                                             Übersetzung aus dem Englischen: Dietrich Weinbrenner
 © privat

Viele junge Menschen in Afrika beteiligen
sich beim Climate Action Day.

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Corona-Berichte
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                                  Freiwillig hin – unfreiwillig zurück: Wegen der Corona-Pandemie
                                    mussten junge Leute aus Westfalen ihren Auslandsaufenthalt
                                abbrechen. Aus Tansania, Südamerika, Süditalien wurden sie nach
                                etwa einem halben Jahr zurückgeholt. Zum Abschiednehmen war
                                  zwar keine Zeit. Die jungen Freiwilligen aber sind um viele Erfah-
                                 rungen reicher geworden und haben für sie zunächst unbekannte
                                                      Menschen für immer in ihr Herz geschlossen.

Wo das Herz zuhause ist - Kein Weg ist zu weit
Vormittags arbeiteten Inka und ich im Freiwilligen-                mittags in einer Sonderschule
dienst in der bilingualen Schule Takuapí für die Kinder            und verbrachten viel Zeit mit

                                                                                                                        N
einer Gemeinde der Mbya Guaraní. Sie treffen sich in               einer Pfadfindergruppe.

                                                                                                                      INIE
einer Kindergartengruppe und besuchen die erste bis                So ging das erste Halbjahr
siebte Klasse. Dort boten wir Workshops in Informatik              meines Freiwilligendienstes in

                                                                                                                    ENT
und Mathematik an, spielten mit ihnen und unterstütz-              Ruiz de Montoya, einem kleinen
ten den Sportunterricht. Nachmittags machten wir mit               Ort in der Provinz Misiones, hoch

                                                                                                                 ARG
dem Pastor Hausbesuche und halfen in der Artesanía,                oben im Nordosten Argentiniens,
einem kleinen Laden, in dem die indigenen Bewohner                 sehr schnell um. Und dann wurden
ihre Holzschnitzereien und anderes Kunsthandwerk                   schon die langen Weihnachtsferien eingeläutet. Wir
verkaufen. Außerdem unterstützten wir unsere Mento-                erledigten noch einiges und strichen z.B. die Räume
rin beim Kochkurs, arbeiteten einmal die Woche nach-               der Artesanía. Danach ging es für je zwei Wochen
                                                                   nach Paraguay in eine andere Freiwilligenstelle.
                                                                   Nach dem Zwischenseminar in der Provinz Buenos
                                                                   Aires fuhr ich dann glücklich und zufrieden in den Ur-
                                                                   laub. Aber bereits in der zweiten Woche konnte ich es
                                                                   kaum abwarten wieder nach Misiones zu kommen,
                                                                   weil ich die Leute und die Arbeit so vermisste. Außer-
                                                                   dem hatte ich mir beim Zwischenseminar viele Dinge
                                                                   vorgenommen, die ich unbedingt umsetzen wollte.
                                                                   Als ich nach der ebenfalls sehr spannenden und auf-
                                                                   regenden Urlaubszeit wieder zurückkam, merkte ich:
                                                                   Ruiz de Montoya und meine Mitbewohnerin Inka wa-
                                                   © privat

                                                                   ren bereits mein Zuhause geworden.
                                                                   Leider folgte nach nur eineinhalb Arbeitswochen
Michelle Mattern                                                   ein tiefer Schlag. Die Provinz Misiones schloss von

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CORONA-BERICHTE VON FREIWILLGEN

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  Kunsthandwerk aus der Artesanía der Mbya Guaraní.

einem Tag auf den nächsten alle Kindergärten und                 verbot herrschte. Am schlimmsten war die Tatsache,
Schulen. Am folgenden Tag hieß es, alle Großveran-               dass wir uns nicht wirklich von den Kindern und Ar-
staltungen und Versammlungen - auch Gottesdiens-                 beitskollegen verabschieden konnten. Vielen konnten
te - seien verboten. Plötzlich hatten wir keine Arbeit           wir nur noch WhatsApp-Nachrichten schicken.
mehr. Wie waren allein, denn das Internat, auf dessen            Noch in derselben Woche packten wir unsere Kof-
Gelände wir wohnten, hatte alle Schüler*innen nach               fer. Es hieß, es könne jeden Moment zum Flughafen
Hause geschickt. Übers Wochenende hofften wir auf                gehen. Wir versuchten aus jedem Tag das Beste zu
das Beste. Umsonst.                                              machen: sich ein letztes Mal in die „bratende“ Sonne
Am Montagmorgen gingen Gerüchte um, dass wir                     legen, ein Kilo Eis in den Lieblingssorten aus der Eis-
unseren Freiwilligendienst beenden müssten und von               diele bestellen, gemeinsam Mate trinken…
unseren Organisationen nach Deutschland zurück-                  Ehrlich gesagt war diese Zeit sehr nervenaufreibend.
geholt werden würden. Wir wollten es nicht glauben,              Morgens stehst du auf und hast keine Vorstellung,
warteten auf die E-Mail mit der Hiobsbotschaft und               was der Tag bringen wird. Alle fragen, ob es schon
hielten den Atem an, als wir es schwarz auf lesen                etwas Neues gibt, aber nein! Du bist immer noch ge-
konnten. Ich glaube, ich habe den ganzen Tag immer               nau da, wo du auch schon gestern warst. Und vorges-
wieder geweint.                                                  tern. Und am letzten Wochenende, denn es herrscht
Unsere Mentorin Ruth versuchte uns mit einem ge-                 schließlich Ausgangssperre und es gibt keine Trans-
meinsamen Mittagessen bei ihr aufzumuntern. Abends               portmittel. Und eigentlich willst du ja auch gar nicht
lagen die Nerven trotzdem so blank, dass Inka und ich            hier weg. Andererseits weißt du genau, dass die
uns gestritten haben. Unseren Streit legten wir aber             Heimreise das Vernünftigste ist und die nervenden
schnell bei. Ich bin sehr glücklich, dass ich Inka hatte!        Fragen nur Sorge um dich ausdrücken.
Wir waren ein gutes Team, das an seinen Herausfor-               Die ganze Wartezeit über standen wir auch mit den
derungen immer mehr gewachsen und zusammenge-                    anderen Freiwilligen und unseren Organisationen in
wachsen ist. Auch das noch folgende Corona-Chaos                 Kontakt. Das war sehr hilfreich, da wir auch immer mit
haben wir zusammen gemeistert. Ging es der Einen                 jemanden in der gleichen Lage reden konnten. Inka und
schlecht, war die Andere da – und umgekehrt.                     ich bekamen mit, wie immer mehr andere Freiwillige
Nachdem wir eine Nacht über die Nachrichten geschla-             den Flieger nach Deutschland nehmen konnten – wäh-
fen hatten, wollten wir unsere argentinischen Freunde            rend wir beide noch immer in Ruiz de Montoya festsa-
informieren und die voraussichtlich letzten Treffen              ßen. 1.500 Kilometer von Buenos Aires entfernt.
planen, um uns noch einmal zu sehen und persönlich               Selbstverständlich freuten wir uns für die anderen,
auf Wiedersehen zu sagen. Leider klappte es nicht mit            aber zugleich wuchsen unsere Ungeduld und Ver-
allen, da schon bald absolutes Ausgangs- und Kontakt-            zweiflung. Es fuhren keine öffentlichen Verkehrsmit-

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tel, da die argentinische Regierung das ganze Land in            Aufregung, denn Ungewissheit während der Wartezeit
Quarantäne gesteckt hatte. Niemand durfte sich ohne              war ziemlich anstrengend gewesen. Zudem vermisste
Passierschein, ausgestellt von der Polizei, draußen              ich Misiones und all die Leute vor Ort schmerzlich. Und
frei bewegen - und es sah nicht so aus, als würde sich           das tue ich noch immer.
an dieser Situation bald etwas ändern.                           Wäre es anders, wäre meiner Meinung nach auch et-
Letztendlich warteten Inka und ich rund drei Wochen,             was falsch gelaufen. Der Schmerz ist mit der Zeit er-
bis wir plötzlich erfuhren, dass es am nächsten Mor-             träglicher geworden und ich weiß, es bringt nichts, in
gen mit einem Bus der französischen Regierung für                Trauer zu versinken. Es geht weiter und ich muss den
uns nach Buenos Aires und von dort aus weiter nach               nächsten Schritt wagen in Richtung Studium. Zudem
Frankfurt ging. Der Bus sammelte in der Provinz Mi-              bin ich ja auch froh, erneut bei meiner Familie und mei-
siones Europäer ein, um sie zum Flughafen zu brin-               nen Freunden zu sein. Man kann zwar immer noch
gen. Für die Mitreise brauchten wir eine Gesundheits-            nicht wirklich wieder in sein altes Leben zurückkom-
bescheinigung von einer Ärztin. An unserem letzten               men, da Corona es bisher verhindert, aber wie wir Frei-
Abend saßen wir auf der Polizeiwache, um Passier-                willigen so schön scherzhaft sagen: Das Warten sind
scheine zu beantragen.                                           wir ja nun schon gewohnt.
Die Fahrt nach Buenos Aires zog sich aufgrund von                Für mich ist klar, dass ich eines Tages meine Einsatz-
vielen langwierigen Polizeikontrollen an den Provinz-            stelle und meine Freunde und Bekannten in Ruiz de
grenzen in die Länge. Nach etwa 19 Stunden kamen                 Montoya besuchen werde, allein schon deshalb, um
wir endlich am Flughafen an. Hier verbrachten wir                mich dann bei der erneuten Rückreise nach Deutsch-
den Tag, bestiegen abends um 20.00 Uhr den Flie-                 land vernünftig verabschieden zu können. Bis dahin
ger und schliefen kurz danach erschöpft ein. Aufge-              versuche ich, mich an meine Zeit in Argentinien zu er-
wacht bin ich erst wieder, als wir in Deutschland zur            innern, die ich vor dem Ausnahmezustand erlebt habe.
Landung ansetzten. Wenn ich heute zurückblicke,                  Die war nämlich schön! Alles, was ich erlebt, und die
bin ich sehr froh, dass das Ganze so abgelaufen ist.             Menschen, die ich in diesen letzten acht Monaten ge-
Passend zu den acht Monaten davor war auch unse-                 troffen habe, werden für immer einen Platz in meinem
re Abreise wahrlich ein Abenteuer!                               Herzen haben. Ich werde sie niemals vergessen.
Die ersten Tage und Wochen in Deutschland ging es
mir ziemlich schlecht. Ich war müde von der ganzen               Michelle Mattern

Freiwillig hin - unfreiwillig zurück
                                                                                                               SAN

Die Corona-Pandemie durchkreuzt den Freiwilligendienst auf Sansibar
                                                                                                                  SIB
                                                                                                                     AR

„Leben ist Zeichnen ohne Radiergummi!“ schreibt Je-              und eintauchen in eine fremde Kultur
nny Kolbus neben ihr Profilbild auf Skype. Will heißen:          und Sprache: Diese Neugier hat Jen-
Kein Tag kann gelöscht, keine Erfahrung rückgängig ge-           ny Kolbus ihre Arbeit als Jugendreferentin
macht werden. Selbst vermeintliche Rückschläge ber-              in Dortmund unterbrechen lassen, um bei der
gen wertvolle Erkenntnisse und bestätigen die Einsicht:          Vereinten Evangelischen Mission (VEM) einen entwick-
Das Leben kann nur vorwärts gelebt werden.                       lungspolitischen Freiwilligendienst zu absolvieren.
Das hat die junge Frau aus Herford auch in ihrem we-             Das vitale Interesse an anderen Menschen und der
gen der Corona-Pandemie abgebrochenen Freiwilli-                 Studienabschluss im Fach Soziale Arbeit ebnen der
gendienst auf Sansibar erfahren. Dabei hatte sie sich            Diakonin den Weg nach Sansibar. Auf dieser Insel vor
so sehr auf dieses eine Jahr im Ausland gefreut und              dem tansanischen Festland mit über 99 Prozent musli-
intensiv auf die Zeit in Tansania vorbereitet. Einmal das        mischer Bevölkerung fördert die Lutherische Kirche mit
eigene Fremdsein in einem unbekannten Land erleben               „Upendo“ und „Zanzic“ zwei interreligiöse Projekte. Wäh-

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CORONA-BERICHTE VON FREIWILLGEN

rend „Upendo means Love“ christliche und muslimische

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Frauen zu Schneiderinnen ausbildet, lädt das zu „Zanzic“
abgekürzte „Zanzibar Interfaith Centre“ zum Studium der
Religionen ein und zum friedlichen Dialog über Gemein-
samkeiten und Unterschiede in Christentum und Islam.
„Ich habe so viel in diesem Doppelprojekt gelernt und
mich super wohl gefühlt!“ blickt Jenny Kolbus auf ihre
sieben Monate in Tansania zurück. Frauen-Empower-
ment in „Upendo“ heißt für sie: In der Nähschule werden
Technik und Design erlernt, im Workshop das Gelernte                              Die Upendo-Managerin Farijila Abdala und VEM-Freiwillige
an Taschen eingeübt und durch den Kleiderverkauf im                               Jenny Kolbus freuen sich, dass ihre farbenfrohen Kleider,
Shop die wirtschaftliche Selbständigkeit gestärkt. Dazu                           Taschen und Tücher gut ankommen beim Fest der
die Begegnungen und Seminare im „Zanzic“: Eintauchen                              Internationalen Schule auf Sansibar.
in die Geschichte und Kultur der Religionen, gemeinsam
christliche und muslimische Feste feiern, als Studieren-                          weiteren Verbleib in Tansania berät, ziehen das Aus-
de mit- und voneinander lernen, Kisuaheli, Deutsch und                            wärtige Amt und die Weltwärts-Zentrale die Reißleine
Englisch reden, Glaube und Gebet im Alltag erfahren.                              und ordnen die umgehende Rückkehr aller Freiwilligen
Fragt man nach den bleibenden Eindrücken ihres Freiwil-                           nach Deutschland an.
ligendienstes, dann erzählt Jenny Kolbus von der wach-                            Weder die engagierten Frauen und Männer im interna-
senden Emanzipation der Frauen und dem Aufbrechen                                 tionalen Freiwilligendienst noch die VEM oder andere
traditioneller Rollen: Mama Afrika ist längst nicht nur die                       Entsendeorganisationen haben wirklich eine Wahl,
lastenschleppende Familienfrau, sondern zunehmend                                 sondern können nur den Anordnungen aus Berlin fol-
Ärztin und Lehrerin, Schneiderin und Managerin, die sich                          gen. So muss auch Jenny Kolbus Mitte März Hals über
Ausbildung und Beruf, Selbständigkeit und ökonomi-                                Kopf ihre Koffer in Stone Town packen, die Abreise vor-
sche Unabhängigkeit nicht mehr nehmen lässt.                                      bereiten und darf ihre Freundinnen wegen der neuen
Im Februar 2020 kommen erste Gerüchte über das                                    Abstandsregeln zum Abschied nicht mehr umarmen.
neuartige Corona-Virus bei den Freiwilligen an. Mit                               „Nichts tat in den letzten Jahren so weh wie das!“ ist
Kopfschütteln nehmen sie die Hamsterkäufe von Mehl                                das traurige Fazit dieses unschönen Abbruchs.
und Klopapier in ihrer kalten Heimat zur Kenntnis und                             Mit der Fähre geht es von Sansibar nach Daressalam
fühlen sich im Corona-freien Tansania deutlich sicherer                           und am nächsten Tag mit dem Flieger nach Hause.
als in den deutschen Krisen-Hotspots. Während Jenny                               Aber wo ist „Zuhause“ für eine 26-Jährige, die sechs
Kolbus mit ihren Kolleginnen via WhatsApp noch den                                Jahre selbständig in Studium und Beruf gelebt hat? Kei-
                                                                                  ne Wohnung, kein Job, keine Zeit, die Rückkehr in Ruhe
         Das Gemeinschaftsprojekt „Upendo means Love“                             zu planen! Stattdessen überhastete Ausreise, zwei
        verbindet Nähschule und Boutique, Menschen und                            Wochen Kontaktverbot und 14 Tage auf der Couch der
 Religionen. Das Ergebnis: Stilvolle Kleidung, interkulturelle                    Schwester: Zeit der Leere und Trauer! Bis sich der Ne-
      Freundschaften und wirtschaftliche Unabhängigkeit.                          bel allmählich lichtet und neue Konturen deutlich wer-
                                                                                  den: der Einzug ins Internationale Volunteers House in
                                                                                  Dortmund und die Aussicht auf eine befristete Stelle in
                                                                                  der kirchlichen Jugendarbeit.
                                                                                  Wie gesagt: Leben ist Zeichnen ohne Radiergummi!
                                                                                  Gerade deswegen hat Jenny Kolbus ihre Entscheidung
                                                                                  zum Freiwilligendienst keine Minute bereut und ist trotz
                                                                                  des vorzeitigen Abbruchs dankbar für die vielen tollen
                                                                                  Erfahrungen in dieser außergewöhnlichen Zeit.
                                                            © Jenny Kolbus

                                                                                  Martin Ahlhaus, Regionalpfarrer des Amtes für MÖWe
                                                                                  für die Kirchenkreise Iserlohn, Lüdenscheid-Plettenberg,
                                                                                  Siegen und Wittgestein

                                                                             20
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