BSB-Journal.de Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission Nr. 17 Dezember 2019 Bibelseminar Bonn e.V. Ehrental 2-4 53332 Bornheim

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2/2019
           BSB-Journal.de
           Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission

Nr. 17 Dezember 2019 Bibelseminar Bonn e.V. Ehrental 2-4 53332 Bornheim
BSB-Journal.de Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission Nr. 17 Dezember 2019 Bibelseminar Bonn e.V. Ehrental 2-4 53332 Bornheim
Inhalt
Vorwort  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 3

Preface  . .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4

Solus Christus! – Predigt über Johannes 14,6 .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5
 Dr. Friedhelm Jung

Theodizee in Islam und Christentum  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
 Eduard Friesen

Vier Sichtweisen auf das Heil .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 29
 Eduard Friesen

Solus Christus – Er allein ist unser Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
 Dr. Johannes Schröder

Mennonitische Kriegsdienstverweigerung in den Anfängen der Sowjetunion .  .  .  .  .  .  .  . 51
 Stefan Fröhlich

Streit um Jesus – Geboren von der Jungfrau Maria?  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 60
 Alexander Schick

Transmission of Religious Shapes . .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 75
 Dr. Dietmar Schulze

Rezensionen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 80

         © Bibelseminar Bonn e.V., Ehrental 2-4, 53332 Bornheim, Herausgeber: H. Derksen,
         F. Jung, G. Schmidt. Redaktion: D. Schulze, dschulze@bsb-online.de, Satz: J. Dyck

         ISSN: 2192-421X
BSB-Journal.de Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission Nr. 17 Dezember 2019 Bibelseminar Bonn e.V. Ehrental 2-4 53332 Bornheim
Vorwort
Solus Christus – Christus Allein war das   denn Christus in den Liedern sei. Stefan
Thema der diesjährigen Absolvierungs-      Fröhlich erforscht die Geschichte der
konferenz des Bibelseminar Bonn und        mennonitischen Kriegsdienstverweige-
ist das Thema dieser Ausgabe. Was So-      rung in den Anfängen der Sowjetuni-
lus Christus, ein zentrales Thema der      on. Alexander Schick hat einen Artikel
Reformation, für uns im 21. Jahrhun-       passend zum Thema und zur Jahreszeit
dert bedeutet, beschreibt Friedhelm        beigetragen: Streit um Jesus – Geboren
Jung in seiner Predigt über Johannes       von der Jungfrau Maria? Dietmar Schul-
14, 6, die an den Anfang dieses Jour-      ze zeigt einen Übermittlungsfehler mit
nals gestellt wurde. Eduard Friesen hat    Folgen auf in Transmission of Religious
zwei Artikel geschrieben. In Theodizee     Shapes—How the Rectangular Shaped
in Islam und Christentum zeigt er Ge-      Jewish Temple inspired an Octagon
meinsamkeiten und Unterschiede in is-      Shaped Muslim Shrine and Christian
lamischen und christlichen Erklärungs-     Cathedral. Am Ende gibt es wieder Re-
versuchen zur Existenz des Leids auf.      zensionen.
In Vier Sichtweisen auf das Heil stellt
er das gleichnamige Buch vor und be-       Im Namen des Bibelseminar Bonn wün-
wertet die vier Positionen. Johannes       sche ich allen Lesern Gottes Segen.
Schröder geht in Solus Christus – Er al-   Möge Gott Ihnen/Euch ein gutes neues
lein ist unser Lied der Frage nach, wo     Jahr schenken.

                                           Dietmar Schulze

BSB-Journal.de 2-2019                                                            3
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Preface
Solus Christus—Christ Alone was the        our song the question of where Christ
theme of this year‘s graduation confe-     can be found in the songs. Stefan Fröh-
rence of the Bible Seminary Bonn; and      lich explores the history of the Menno-
is the theme of this issue. Friedhelm      nite conscientious objector in the ear-
Jung describes what Solus Christ, a cen-   ly days of the Soviet Union. Alexander
tral theme of the Reformation, me-         Schick contributed an article to match
ans to us in the 21st century. The ser-    the theme and the season: Dispute
mon he preached at the conference on       over Jesus—Born of the Virgin Mary?
John 14:6 is placed at the beginning of    Dietmar Schulze shows a transmission
this journal. Eduard Friesen has writ-     error with consequences in Transmissi-
ten two articles. In Theodicies in Islam   on of Religious Shapes—How the Rec-
and Christianity he shows similarities     tangular Shaped Jewish Temple inspi-
and differences in Islamic and Chris-      red at Octagon Shaped Muslim Shrine
tian attempts to explain suffering. In     and Christian Cathedral. At the end are
four views on salvation, he presents       book reviews.
the book of the same name and evalua-         In the name of the Bible Seminar
tes the four positions. Johannes Schro-    Bonn I wish all readers God‘s blessing.
eder asks in Solus Christ—He alone is      May God give you a happy new year.

                                           Dietmar Schulze

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Solus Christus! – Predigt über Johannes 14,6
Dr. Friedhelm Jung
Bibelseminar Bonn

L  iebe Absolventen, liebe Gemeinde,1
   vor genau einem Jahr, zum 25. Ge-
burtstag vom BSB, hat Heinrich Derk-
                                                   deren. Diskriminierungen eines ande-
                                                   ren können sogar bestraft werden, und
                                                   was eine Diskriminierung ist, entschei-
sen über das Sola Scriptura (allein die            den die Richter. Wer z. B. den Islam als
Schrift!) gepredigt. Heute soll es um              Irrtum und Homosexualität als Sünde
Solus Christus (allein Christus!) gehen.           bezeichnet, der kann schon heute Prob-
Diese beiden Themen sind für das BSB               leme bekommen. Ein Wettstreit der Re-
die wichtigsten überhaupt und bilden               ligionen und Ideologien lehnt die Post-
die Grundlage unserer ganzen Arbeit.               moderne ab. Alles gilt gleichermaßen
Da stimmen wir völlig überein mit der              und verdient Respekt.
Reformation von Martin Luther und Jo-                 Dieser postmodernen Geisteshal-
hannes Calvin.                                     tung stellt sich Jesus Christus entschie-
   Soziologen sagen, dass wir heute in             den entgegen. Er behauptet von sich,
der Postmoderne leben. Die Postmo-                 der einzige Weg zu Gott zu sein:
derne ist u. a. dadurch gekennzeich-                 Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
net, dass es angeblich keine absolute,               Leben; niemand kommt zum Vater außer
universale Wahrheit mehr gibt. Jeder                 durch mich. (Joh 14, 6)
sucht sich aus dem großen Angebot der
Religionen und Ideologien das aus, was             1. Jesus – der einzige Weg
ihm vernünftig und nützlich erscheint.
Das ist dann seine Wahrheit. Der Nach-             „Viele Wege führen nach Rom.“ Dieses
bar zur Linken hat aber eine andere                alte Sprichwort will sagen: Es gibt viele
Wahrheit, und der Nachbar zur Rechten              Wege zum Ziel. Das ist richtig, so lange
hat noch eine andere Wahrheit. Keiner              man hier an irdische Ziele denkt. Nach
darf jedoch sagen, dass seine Wahrheit             Rom kann man mit dem Auto, der Bahn
die absolute Wahrheit sei. Denn die                oder dem Flugzeug reisen. Man kann
gibt es ja nach postmoderner Überzeu-              sich der Stadt von Norden, Süden, Os-
gung überhaupt nicht. Vielmehr muss                ten oder Westen nähern. Doch was ist,
jeder tolerant sein gegenüber dem an-              wenn wir über den Himmel sprechen?
                                                   Gibt es viele Wege zur Seligkeit? Mo-
   1
      Predigt zur Absolvierungskonferenz des BSB   derne Theologen behaupten: So wie
am 03.10.2019.
BSB-Journal.de 2-2019                                                                     5
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Dr. Friedhelm Jung

mehrere Pfade hinauf zum Gipfel ei-            Es ist in keinem anderen Heil, auch ist
nes Berges führen, führen alle Religio-        kein anderer Name unter dem Himmel
nen auf ihrem je eigenen Weg zu Gott.          den Menschen gegeben, durch den wir
Im Judentum heißt es etwa: Halte die           sollen selig werden. (Apg 4, 12)
Gebote des AT, dann wird dir Gott gnä-       Es gibt viele Verführer und Irrlehrer, die
dig sein. Der Islam sagt: Erfülle die fünf   uns in ihren Bann ziehen wollen. Jesus
Pflichten (das muslimische Glaubens-         warnt uns vor ihnen und sagt: Folge mir
bekenntnis täglich sprechen, fünf Mal        nach! Betritt den schmalen Weg. Das ist
am Tag in Richtung Mekka beten, Al-          der Weg des Lebens, der zum Himmel
mosen geben für Kranke und Arme, im          führt.
Ramadan fasten, und einmal im Leben
nach Mekka fahren), und dann kommst          2. Jesus – die einzige
du vielleicht ins Paradies. Die Zeugen       Wahrheit
Jehovas sagen: Tritt unserer Kirche
bei und werde ein treuer Zeuge Jeho-         In der Vergangenheit hat es immer ei-
vas, dann hast du eine Chance auf den        nen Wettstreit der Religionen und
Himmel. Doch was sagt Jesus? Ich, ich        Weltanschauungen um die Wahrheit
bin der einzige Weg! Jesus ist an dieser     gegeben. Im letzten Jahrhundert z. B.
Stelle intolerant. Er ist kein Postmoder-    kämpfte der Kommunismus gegen das
ner. Warum ist Jesus intolerant? Weil er     Christentum und versuchte sich selbst
weiß, dass es außer ihm tatsächlich kei-     als die bessere Weltanschauung dar-
nen Weg zu Gott gibt. Er ist intolerant,     zustellen. Ich werde wohl nie den jun-
weil er uns liebt und weil er will, dass     gen Mitstudenten an der Uni Marburg
wir den Weg des ewigen Lebens finden.        vergessen, der in den achtziger Jah-
   Natürlich erhebt sich hier die Frage:     ren (also vor dem Zerfall des Sowjet-
Warum ist Jesus eigentlich der einzi-        reiches) als überzeugter Kommunist
ge Weg zu Gott? Warum ist nicht auch         Theologie studierte und in den Semi-
Mose, Buddha, Mohammed oder Za-              naren für seine Weltanschauung warb.
rathustra ein Weg zu Gott? Die Ant-          Er hielt den Marxismus für die Wahr-
wort ist einfach. Alle genannten Perso-      heit und wollte die anderen Studenten
nen sind nur sündige, unvollkommene          und auch später im Pfarramt die Kinder
und irrende Menschen gewesen. Je-            und Jugendlichen von dieser Ideologie
sus dagegen ist Gott und vollkomme-          überzeugen. Doch dann fiel die Mauer
ner Mensch zugleich. Vere deus et vere       und aller Welt wurde offenbar, wie viel
homo. Als Mensch gewordener Gott             Leid der Kommunismus über die Völker
kann Jesus allein die Brücke schlagen        und ihre Gesellschaften gebracht hatte.
zwischen Gott und den Menschen. Er              Heute erleben wir an anderer Stelle
ist das Verbindungsteil zwischen Him-        eine Neuauflage des Kampfs der Ideo-
mel und Erde. Deshalb sagt die Heilige       logien. Der Islam will seine Überlegen-
Schrift:                                     heit gegenüber dem Christentum be-

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Solus Christus! – Predigt über Johannes 14,6

weisen. Die islamischen Staaten haben             Wir rufen Menschen nicht dazu auf,
Jahrhunderte lang darunter gelitten,           sich zu einer Kirche zu bekehren. Wir
dass sie den christlich geprägten Län-         machen keine Werbung für eine be-
dern unterlegen waren, vor allem im            stimmte Konfession, obwohl wir der
Bereich der Wissenschaft und Technik           Meinung sind, dass die Baptisten und
und auch des Wohlstandes. Heute be-            Mennoniten eine solide biblische
schert das Öl vielen arabischen Staaten        Grundlage besitzen. Wir rufen die Men-
großen Reichtum, so dass sich der Le-          schen aber nicht zum Baptismus oder
bensstandard mancher arabischer Län-           Mennonitentum, sondern zu Jesus. Die
der der westlichen Welt angeglichen            kath. Kirche glaubt bis heute, dass sie
hat. Dadurch ist der Islam selbstbe-           die einzig wahre Kirche ist. „Außerhalb
wusster und kämpferischer geworden.            der Kirche gibt es kein Heil“, sagt sie.
Der frühere Harvard-Professor Samuel           Wir sagen: Außerhalb von Jesus Chris-
Huntington hat schon vor über 20 Jah-          tus gibt es kein Heil. Er ist der Eckstein,
ren von einem Kampf der Kulturen ge-           an dem sich die Geister scheiden.
sprochen: die christlich geprägte west-           Und wie Jesus die einzige Wahrheit
liche Welt gegen die islamisch geprägte        ist, so ist auch sein Wort die Wahrheit.
Welt des Orients. Nun, wir wissen, dass        Manche Theologen spielen Jesus ge-
die westliche Welt nicht besser ist als        gen die Bibel aus. Sie sagen: Natürlich
der islamisch geprägte Nahe Osten.             glauben wir an Jesus, aber wir glau-
Die Menschen sind hier wie dort Sün-           ben nicht an die Bibel; sie ist ein fehler-
der und brauchen einen Erlöser. Aber           haftes Buch. Wer so spricht, übersieht,
wir wissen auch: Der einzige Erlöser,          dass alles, was wir von Jesus wissen,
die einzige Wahrheit ist Jesus Christus        aus der Bibel kommt. Und wenn die Bi-
und nicht Mohammed oder Mao. Wir               bel nicht zuverlässig ist, dann kommt
behaupten nicht, dass das Christen-            auch unser Jesusbild ins Wanken. Des-
tum die Wahrheit ist. Im Gegenteil: Das        halb ist es verfehlt, an Jesus glauben,
Christentum hat viel Dreck am Stecken          aber der Bibel nicht vertrauen zu wol-
(Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbren-         len. Wir können das Eine nicht haben
nung, Täuferverfolgung, Zwangsbe-              ohne das Andere.
kehrung der Indianer). Wir behaupten
auch nicht, dass Deutsche oder Ame-            3. Jesus – das einzige Leben
rikaner besser wären als Araber oder
Inder. Aber wir stellen fest, dass Jesus       Wir sind alle auf der Suche nach Leben,
Christus die einzige Wahrheit ist. Er al-      nach Erfüllung und Glück. Wir sind heu-
lein hat Worte des ewigen Lebens. Er ist       te klüger, reicher und werden älter als
nicht nur ein Prophet, nicht nur ein gro-      unsere Vorfahren. Aber sind wir glück-
ßer Lehrer und weiser Mann – er ist der        licher? Haben wir das Leben gefunden?
Sohn Gottes, der Messias, die Wahrheit         Jemand stellte einmal kritisch fest:
in Person.

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BSB-Journal.de Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission Nr. 17 Dezember 2019 Bibelseminar Bonn e.V. Ehrental 2-4 53332 Bornheim
Dr. Friedhelm Jung

   Wir haben heute größere Häuser,             Wo aber finden wir Leben und Glück?
aber kleinere Familien. Mehr Bequem-        Zunächst ist ganz nüchtern festzustel-
lichkeiten, aber weniger Zeit. Mehr         len: Es gibt kein vollkommenes, anhal-
Wissen, aber weniger Urteilsvermögen.       tendes Glück und kein vollkommen er-
Mehr Experten, aber größere Proble-         fülltes Leben auf Erden. Wer dies sucht,
me. Wir essen und trinken zu viel und       wird immer enttäuscht werden. Keine
bewegen uns zu wenig. Wir fahren zu         Religion, keine Ideologie, keine Philoso-
schnell, regen uns zu sehr auf, bleiben     phie kann den Menschen völlig glück-
zu lange auf, stehen zu müde auf, lesen     lich machen. Warum? Wir leben nicht
zu wenig, sehen zu viel fern, beten zu      mehr im Paradies, sondern jenseits von
selten.                                     Eden. Wir leben unter den Bedingun-
   Wir haben unseren Besitz verviel-        gen des Sündenfalls. Und hier werden
facht, aber unsere Werte reduziert. Wir     wir immer – neben schönen Lebens-
wissen, wie man seinen Lebensunter-         phasen – Kampf, Not und Leid haben.
halt verdient, aber nicht mehr, wie man     Das gehört zum Leben nach dem Sün-
lebt. Wir haben dem Leben Jahre hin-        denfall und vor der Wiederkunft Chris-
zugefügt, aber nicht den Jahren Leben.      ti dazu. Wissenschaftler glauben i. d. R.
Wir gelangen zum Mond, aber nicht           nicht daran, dass alles irdische Elend
mehr zur Tür des Nachbarn.                  von der Sünde herrührt. Sie versuchen
   Auf der Suche nach Leben fallen die      seit langem, Krankheiten auszumerzen
Menschen auf viele Scharlatane herein.      und den Tod zu besiegen. Politiker ver-
Sie erhoffen sich Glück und Gesundheit      sprechen paradiesische Zustände auf
von Bachblütentherapien und Horosko-        Erden. Doch konnten sie je ihre Ver-
pen, von Wunderheilern und Wellness         sprechungen einhalten? Den Tod gibt
oder einfach vom Konsum. Manche ge-         es immer noch, trotz aller Fortschrit-
ben viel Geld aus und fliegen nach Indi-    te in Biologie und Medizin. Ebenfalls
en zu einem Guru, um dort Lebenssinn        die Krankheiten. Wenn eine Krankheit
zu finden. Doch sie alle suchen an der      besiegt scheint, entsteht eine ande-
falschen Stelle. Die Dichterin hat Recht,   re, noch schlimmere (Pest – Aids). Und
die vor über 100 Jahren dichtete:           es wird so bleiben, bis Jesus wieder-
    Ich habe die Menschen gesehen, und      kommt. Das ist die schlechte Nachricht.
          sie suchen spät und früh,         Doch es gibt auch eine gute Nachricht.
                                            Mitten im irdischen Kampf gibt es er-
    sie schaffen, sie kommen und gehen,     fülltes und zufriedenes Leben durch Je-
      und ihr Leben ist Arbeit und Müh.     sus Christus. Deshalb fährt die Lieder-
Sie suchen, was sie nicht finden, in Lie-   dichterin fort:
        be und Ehre und Glück,
    und sie kommen belastet mit Sünden
          und unbefriedigt zurück.

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Solus Christus! – Predigt über Johannes 14,6

   Es ist eine Ruhe vorhanden für das          vergebung, Lebenssinn und ewiges Le-
             arme, müde Herz!                  ben im Himmel. Dafür ist er am Kreuz
  Sagt es laut in allen Landen: Hier ist       von Golgatha gestorben und am drit-
         gestillet der Schmerz.                ten Tage auferstanden. Wer die Verge-
                                               bung seiner Schuld und die Versöhnung
 Er ist eine Ruhe gefunden für alle fern       mit seinem Schöpfer erfährt, in dessen
                und nah                        Herz ziehen Frieden, Glück und Zufrie-
   In des Gotteslammes Wunden am               denheit ein. In der Beziehung zu Gott
          Kreuze auf Golgatha.                 findet der Mensch Lebenssinn, Erfül-
                                               lung und eine ewige Perspektive. Au-
Jesus verheißt uns kein Leben ohne Sor-        gustinus hatte Recht, als er sagte: Das
gen, Leid und Krankheit. Im Gegenteil:         menschliche Herz ist ruhelos, bis es
Wer ihm nachfolgt, muss mit Ausgren-           Ruhe findet in dir, o Gott.
zung, Spott und Verfolgung rechnen.               Solus Christus! Deshalb: Suche Jesus
Aber Jesus macht uns die drei wich-            und sein Licht, alles andre hilft dir nicht.
tigsten Geschenke überhaupt: Sünden-           Amen.

BSB-Journal.de 2-2019                                                                    9
Theodizee in Islam und Christentum
Eduard Friesen
Bibelseminar Bonn

Einführung                                dass er erst im Moment der Handlung
                                          davon erfahren würde.1

D    ie Frage nach der Vereinbarkeit
     der göttlichen Allmacht und Güte
mit dem Übel in der Welt hat historisch
                                             Das andere Extrem wurde von
                                          der Gabriyyah, den Gabriten (gabr =
                                          Zwang) vertreten. Sie haben einem
nicht nur christliche, sondern auch       theologischen Determinismus gehul-
muslimische Theologen bewegt. Ge-         digt, der absolut gedacht wurde. Gott
meinsam ist ihnen der monotheistische     nutzt den Menschen als Instrument
Grundsatz sowie die Mittel griechischer   und bringt selbst die guten und bösen
Philosophie, insbesondere der aristote-   Handlungen im Menschen hervor, ge-
lischen Kategorientafel, und der Logik    mäß Sure 37, 96 „Er erschuf Euch und
als Argumentationsmittel. Im Folgen-      was ihr tut.“ Jegliche menschliche Mit-
den soll ein kurzer Überblick über die    wirkung wird geleugnet. Gott wirkt die
muslimischen Strömungen im Umgang         Motivation und Ausführung der Hand-
mit der Theodizeefrage geboten wer-       lung im Menschen selbst.2 Gegen diese
den. Eine Zusammenfassung moderner        Position wandte sich im 9. Jahrhundert
Ansätze sowie ein Vergleich mit christ-   die Schule der Mu´taziliten.
lichen Ansätzen wird dieses Paper ab-        Die Mu´taziliten3 waren eine sunni-
schließen.                                tische Denkschule. Ihr frühester Vor-
                                          denker war Hasan al-Basri (gest. 728
Die historischen                             1
                                                  Silvia Horsch, Anmerkungen zum islamischen
Lehrströmungen im Islam                   Gottesbild, Vortrag bei der Veranstaltung Gemein-
                                          samkeiten und Unterschiede in muslimischen und
Die früheste Denkschule, die Qadariyy-    christlichen Gottesbildern, Wissenschaftliche Ge-
ah (Vorläufer der Sunniten) betonte im    sellschaft Osnabrück, am 17.12.2014 http://www.
                                          al-sakina.de/Vortrag_Gottesbilder_Horsch.pdf,
8. Jhd die autonome Willensfreiheit des
                                          20.2.2019, S. 5.
Menschen und die Fähigkeit zu autono-         2
                                                  Ebd., S. 6
men Handlungen, die von Gott in keins-        3
                                                  Abdeljelil, Jameleddine Ben, „Die Frage Der
ter Weise beeinflusst werden. Gottes      Theodizee Im Islam: Mensch Gott Gerechtigkeit.“
Vorherwissen war so eingeschränkt,        Wiener Zeitschrift Für Die Kunde Des Morgenlan-
                                          des 97 (2007): 15-20. http://www.jstor.org/stab-
                                          le/23861404.
10                                                                   BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

n.Chr.), ihr Gründer Abu al-Hudhail.                     fen. Gott sei an seine Normen gebun-
Diese Strömung ist heute als solche                      den. Das Böse in der Natur hingegen sei
nicht mehr vorhanden aber Teile ihrer                    nicht böse an sich, sondern an sich gut,
Theologie werden von Schiiten vertre-                    es erscheine nur böse.5 Die Mu´taliziten
ten. Ihre Blütezeit dauerte vom 9–11                     unterschieden zwischen „bösen“ und
Jhd. Sie war stark von griechischer Phi-                 „guten“ Übeln, die sich jeweils an ihren
losophie beeinflusst. Sie gilt heute als                 Auswirkungen kategorisieren ließen.
islamisierter aristotelischer Rationalis-                   Ein führender Vertreter war Ábd al-
mus und der gescheiterte Versuch ei-                     Gabbar (ca. 935–1024). Er geht von der
ner Aufklärung.                                          absoluten Allmacht, Güte und Gerech-
   Die Mu´taziliten gingen von der Kon-                  tigkeit Gottes aus. Er hat kein Problem
formität von Essenz und Akzidenz aus.                    damit, Gott das Leid in gewissen Situa-
Sie leugneten die Existenz der Attribu-                  tionen auch direkt zuzuschreiben. Weil
te, weil diese ein zweites Sein in Gott                  Gott gut ist, sind auch die Handlungen
hervorgerufen hätten.4 Gott war ge-                      Gottes, die Leiden hervorbringen, in
recht konnte also nichts Unrechtes tun.                  sich gut. Er verteidigt die Güte Gottes
Der Mensch konnte diese Gerechtigkeit                    mit der Funktionalisierung des Leidens:
mit seinem Verstand aufgrund der Of-                     Wenn etwa Schmerzen zur Abwehr ei-
fenbarung im Koran erkennen.                             nes anderen Schadens dienen, so müs-
   Die Mu´taziliten betonten die Wil-                    sen sie als gut angesehen werden. Dies
lensfreiheit und die Vernunft des Men-                   kann für den Körper gelten, aber auch
schen und lasteten ihm die Verantwor-                    für die charakterliche Entwicklung ins-
tung für die Herkunft des Bösen an. Die                  gesamt.6 Das Leiden kann aber auch ei-
Willensfreiheit wurde begründet mit                      nen Nutzen für andere haben, so kann
der Beobachtung, dass es im Koran Ge-                    die Krankheit des Kindes eine Hilfe für
bote und Verbote gäbe und Gott ent-                      seine Eltern bedeuten.7
sprechend Lohn und Strafe in Aussicht                       Die Unbegreiflichkeit der Gerechtig-
stelle. Die absolute Gerechtigkeit Got-                  keit Gottes ist Abd al-Gabbar bewusst.
tes ließe Gott als Ursache des Bösen                     Die Lösung ist die Kompensation des
nicht zu. Er könne das Böse weder wol-                   Leides im Himmel. „Abd al-Gabbar
len noch tun. Er könne auch nicht böse                   nimmt an, dass Gott so große Entschä-
Handlungen im Menschen erschaf-                          digung für Schmerzen, die er verursacht
   4                                                        5
        Dennis Morgan Davis Jr., AL-ghazālī on Divi-             Nasrin Rouzati, „Evil and Human Suffering in
ne Essence: A Translation from the Iqtiṣād Fī Al-        Islamic Thought – Towards a Mystical Theodicy,“ Re-
Iʿtiqad with Notes and Commentary, A dissertation        ligions 2018, S. 4.
                                                             6
submitted to the faculty of The University of Utah               Dies kann für die Rückschau des eigenen Le-
in partial fulfillment of the requirements for the de-   bens gelten, wird aber zynisch; wenn es auf andere
gree of Doctor of Philosophy in Middle East Studies/     angewandt wird. Insbesondere wenn es um Kinder-
Arabic Department of Languages and Literature The        mord geht.
                                                             7
University of Utah May 2005, Seite 63, https://www.              Der Leidende wird hier nicht in seiner Selbst-
ghazali.org/books/Iqtisad%20Dissertation%20final.pdf.    zwecklichkeit respektiert.
BSB-Journal.de 2-2019                                                                                        11
Eduard Friesen

hat, gibt, dass alle Menschen entschie-                einem entschiedenen Gegner entwi-
den hätten, unter welchen Umständen                    ckelte. Diese Schulrichtung ist eine tra-
auch immer, dafür den Schmerz auf                      ditionalistische Reformbewegung, die
sich zu nehmen.“8 Die ausgleichende                    mu´tazilitisches Gedankengut, die Be-
Gerechtigkeit dient hier der Verteidi-                 tonung der Rationalität und den Wert
gung der göttlichen Gerechtigkeit.                     der Philosophie in Fragen der Metaphy-
   Neben der Kompensation des Leides                   sik weitgehend zugunsten einer schlich-
gibt es aber auch entsprechende Strafe                 ten und wörtlichen Lesart des Koran
für die Verursacher des Leides, so dass                zurückdrängt. Sie mieden die natürli-
hier das Primat der menschlichen Wil-                  che Kausalität und lehrten, dass Akzi-
lensfreiheit gewahrt bleibt. Während                   denzien als real existente Seinsweise
aber die Strafe im Verhältnis zur Straf-               nicht zwei Augenblicke hindurch beste-
tat erfolgt, wird die Entschädigung in                 hen könnten, sondern durch schöpferi-
unbegrenzter Form von Gott vervoll-                    sches Eingreifen Gottes je neu geschaf-
kommnet, so dass sie die höhere Ge-                    fen würden.11 Damit werden Mensch
rechtigkeit Gottes beweist und damit                   und Natur als Schöpfungswerk Gottes
das Leid erträglich erscheinen lässt.                  aufgefasst, die keine reale Selbständig-
   Der Mu´tazilit al-Jahiz (777–869)                   keit besitzen.
rechtfertigte das Böse als notwendige                     Der bedeutendste Vertreter der
Entscheidungsmöglichkeit für die Ent-                  as´aritischen Schule war Abu Hamid
faltung der menschlichen Freiheit. Ihm                 al Gazali,12 (1058–1111) dessen Okka-
würde die moralische Entfaltung und
                                                          11
die Anwendung des Willens und Stre-                            Ebd.
                                                          12
                                                               Siehe seine Verteidigung der Attributionsleh-
bens unmöglich sein. Ohne Leid „…
                                                       re in Al-Ghazali´s Tahafut Al-Falasifah (“incoherence
würde der Mensch weder freudig noch                    of the philosophers“) translated into English by Sahi
traurig, weder tapfer noch feige sein                  Ahmad Kamali Lahore: Club Road: Pakistan Philoso-
können, er würde auch nichts mehr                      phical Congress, 1963, Seite 109ff.
erstreben oder bekämpfen, schätzen                         Er führt die as´aritische Lehrmeinung gegen den
oder verwerfen können. Er würde sich                   aristotelischen Determinismus an, ohne sich selbst
                                                       daran zu binden. Seine eigene Lehrmeinung bein-
auch für nichts mehr begeistern, weil                  haltet eine Kosmologie, in der Gott seine Kraft durch
schon alles getan und fertig ist.“9                    die Naturgesetze beschränkt, diese aber im Fall von
   Die As´ariten10 gehen zurück auf                    Wundern jederzeit durchbrechen kann. Damit ist
al-As´ari (874–936) einen ehemals                      ihm sowohl die Kontinuität der phsysikalischen Re-
mu´tazilitischen Theologen, der sich zu                geln wichtig als auch der Hinweis darauf, dass die
                                                       Verbindung von Ursache und Wirkung nicht immer
     8
        Middlebeck-Varwick in Klaus von Stosch,        logisch notwendig ist. Er stand somit für einen kri-
Theodizee, 2. Aufl., (Paderborn: Ferdinand Schö-       tischen Okkasionalismus. Siehe Frank Griffel, Zeit-
ningh, 2018), S. 152.                                  schrift Der Deutschen Morgenländischen Gesell-
   9
        Alexander Loichinger, Armin Kreiner, Theodi-   schaft 152, no. 2 (2002): 405-08. http://www.jstor.
zee in den Weltreligionen: Ein Studienbuch, (Pader-    org/stable/43381099. 407. Dominik Perler, Ulrich
born: Ferdinand Schöningh, 2010), 208.                 Rudolph, Occasionalismus. Theorien der Kausalität
   10
        Abdeljelil, Jameleddine Ben, S. 17.            im arabisch-islamisch en und im europäischen Den-
12                                                                                 BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

sionalismus durch die Diskussion mit                       keit Gottes zurück. Sie versuchten aber
Averroes erst im 16. Jhd. Verbreitung                      mit ihrem Modell der göttlichen Kraft
fand. Demnach erschafft Gott Substanz                      das Phänomen der sichtbaren Mittelur-
und Akzidenz in jedem Moment neu.                          sachen, der menschlichen Willensfrei-
Die Ursachen werden genau so wie die                       heit oder der Fähigkeit des Feuers Ge-
Wirkungen von Gott erschaffen. Kau-                        genstände zu verbrennen, zu erklären.
salzusammenhänge sind nur scheinba-                        Damit kamen sie dem Fatalismus sehr
re Zusammenhänge, Gott ist der Mittler                     nahe.
zwischen Ursache und Wirkung.                                 Für die Theodizee-Frage bedeute-
   Die scheinbare Willensfreiheit des                      te dies, dass Gott als unumschränk-
Menschen wurde mit der Wirkung Got-                        ten Urheber von Gut und Böse, auch
tes im Menschen erklärt, um die in-                        von menschlichen guten und bösen Ta-
nerweltliche Kausalität auszuschließen                     ten dargestellt wurde. Das menschli-
(Keine Zweitursachen). Die Aneignungs-                     che Konzept der Gerechtigkeit würde
lehre (kasb)13 besagt, dass Gott die                       die Allmacht Gottes beschränken. Gott
menschlichen Handlungen erschafft,                         stehe über seinen Gesetzen. Gott kön-
und der Mensch sich diese freiwillig                       ne Unrechtes tun, das aber gerecht sei,
aneignet. Gott gibt dem Menschen die                       weil es von Gott käme. Die göttliche
entsprechende Kraft und das Bewusst-                       Gerechtigkeit sei für Menschen nicht
sein, frei zu handeln, wirkt aber in ihm                   erkennbar.15 Auch das Leid sei gerecht,
das Werk. Dem Menschen ist aber die-                       weil es dem Willen Gottes entspricht.
se göttliche Wirkung nicht bewusst, so                     Dieser Fatalismus verbietet die Theodi-
dass er sich frei wähnt. So kommt nach                     zee ausdrücklich.
Meinung der As´ariten auch nicht dem                          Das Glaubensbekenntnis16 des Al-
Feuer die Kraft zu, Gegenstände zu ver-                    As´ari beinhaltete folgende Aussagen:
brennen, oder dem Wasser das Feuer
                                                              Sie behaupten, daß es auf der Erde
zu löschen, sondern Gott bringt die je-
                                                              nichts Gutes und nichts Schlechtes gibt
weiligen Wirkungen dieser Elemente
                                                              außer was Allah will, und daß die Dinge
durch sein Eingreifen hervor. Die frei-
                                                              nach dem Willen Allah geschehen …
willige Aneignung der Handlung aber,
macht den Menschen verantwortlich
vor Gott.14                                                   15
                                                                   Im Kreuzesgeschehen überwindet Gott in Je-
   Die As´ariten schlossen die schein-                     sus als Offenbarung seiner Substanz den epistemi-
bare Mittelursache aus und führten                         schen Graben und macht die Güte Gottes im Fleisch
                                                           erkennbar. Diese deckt sich mit den Gott in der Sub-
die Wirkungen auf die Alleinwirksam-
                                                           stanz zugeschriebenen moralischen Eigenschaften.
                                                              16
ken, (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaf-                   Übersetzung: Joseph Schacht in: „Der Islām
ten in Göttingen. Phil.-hist. Klasse. 3. Folge. Nr. 235)   mit Ausschluss des Qur’āns,“ in Alfred Bertholet
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000.                    (Hrsg.): Religionsgeschichtliches Lesebuch, 2. A. Heft
   13
       Nasrin Rouzati, 5. Siehe auch http://derpro-        16. Tübingen: Mohr/Siebeck, 1931, S. 56–58. http://
phet.info/inhalt/die-aneignungsdoktrin-kasb/.              derprophet.info/inhalt/praedestination-freier-wille-
   14
       Abdeljelil, Jameleddine Ben, 15-20.                 htm/ 22.02.2019.
BSB-Journal.de 2-2019                                                                                         13
Eduard Friesen

     Sie bekennen ferner, daß es keinen                 Heute20 gibt es vier Rechtsschulen
     Schöpfer außer Allah gibt, daß Allah die        (madahib) im sunnitischen Islam, die
     schlechten Taten der Menschen schafft,          sich bezüglich der Methoden und Ge-
     daß Allah die Handlungen der Menschen           wichtung der Quellen unterscheiden.
     schafft und daß die Menschen nicht ver-            Die Malikiten orientieren sich stark
     mögen, irgendetwas zu schaffen …                an der Rechtspraxis in Medina, die die
                                                     frühen Entscheidungen und Positionen
Al Gazali war der bekannteste Vertreter              Mohammeds wiederspiegeln soll.
der As´ariten. Er depontenzierte das                    Die Hanafiten geben der jeweiligen
Leid indem er es zum notwendigen Ge-                 individuellen Auslegung und Anwen-
genpol des Guten im Gesamtgefüge der                 dung des Koran am meisten Spielraum.
Welt erklärte. Er prägte die These von               Sie steht im Ruf die liberalste Schule zu
der besten aller möglichen Welten17:                 sein.
„Es kann nichts Schöneres, Vollständi-                  Die Schaffiten, gelten als As´aritisch
geres und Vollkommeneres geben als                   konservativ.
das, was ist.“18 Die Unvollkommenheit                   Die Hanbaliten bevorzugen eine
wird zur Voraussetzung der Vollkom-                  wörtliche Auslegung der Quellen und
menheit, weil sie nur in Anbetracht der              kommen zu den heute konservatives-
Unvollkommenheit sichtbar wird und                   ten Schlußfolgerungen.
zum Vollzug kommt. In den Worten von                    Im Folgenden soll ein aktueller sys-
Navid Kermani: „erst die Hölle mache                 tematischer Überblick des Theodizee-
den Vorzug des Paradieses aus“.19 Der                problems im Islam dargestellt werden.
Ansatz Al Gazalis begegnet uns in ähn-               Maßgebliche Quellen sind Prof. Tasin
licher Form ca. 600 Jahre später bei                 Görgün (er war Gastprofessor für isla-
Gottfried Leibniz.                                   mische Religion an der Goethe Univer-
   Die As´ariyya bildet auch die Quelle              sität Frankfurt); Prof. Omar Hamdan
für die heutige Ausformung sunnitischer              (am Lehrstuhl für Koranwissenschaften
Theologie, die im Islam prägend ist.                 an der Eberhard Karls Universität Tü-
   Da der Islam mehrheitlich als Or-                 bingen) und Navid Kermani (Iranisch-
thopraxie verstanden und gelebt wird,                deutscher Schriftsteller und habilitier-
geht es in der Auseinandersetzung um                 ter Orientalist).
das Leid weniger um die kritische Re-                   Das Wesen Gottes in Offenbarung
flektion der Offenbarungsinhalte in                  und Vernunft:
Koran, Sunnah und Hadithen sondern                      Die Eigenschaften Gottes sind nur in
mehr um die Anwendung in der Praxis.                 der Offenbarung Gottes für den Men-
     17
       Reinhard Leuze, Christentum und Islam, Tü-    schen erkennbar, aber nicht bewert-
bingen: J.C.B. Mohr, 1994, S. 250.
   18                                                    20
       Al Gazali in Navid Kermani, Der Schrecken            Anna Akasoy, „Glaube und Vernunft im Is-
Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte,   lam“ Bundeszentrale für politische Bildung, http://m.
München: C.H.Beck, 2011, S. 30.                      bpb.de/apuz/30394/glaube-und-vernunft-im-
   19
       Ebd.                                          islam?p=all, 22.02.2019.
14                                                                               BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

bar. Sein Wesen (dat) bleibt verbor-                   finden, anstatt Gott zu befragen, zu be-
gen. Die Worte, die im Koran für die                   werten oder zu hinterfragen.24
Beschreibung Gottes und für seine                         Die Gerechtigkeit Gottes gilt als kar-
Namen genutzt werden, sind besten-                     dinaler Wesenszug Gottes, der postu-
falls metaphorisch zu verstehen. In der                larisch trotz aller Leiderfahrungen fest-
Transzendenz bedeuten sie etwas an-                    zuhalten ist. Der Koran lässt weder am
deres als in der Immanenz. Der Gefähr-                 jenseitigen Gericht noch an der Ge-
te Mohammeds Abu Bakr sagte „Die                       rechtigkeit des Richters den geringsten
Unfähigkeit Ihn zu erfassen, heißt ihn                 Zweifel. Sure 21, 47 betont die absolute
zu erfassen.“ Er ist der „Offenbare“ und               Rechtmäßigkeit in der Beurteilung des
der „Verborgene“.21                                    Menschen, bei der nicht das Gerings-
   Die moralischen Kategorien „Gute“                   te unberücksichtigt bleiben wird: „Und
und „Böse“ gibt es nur für die Hand-                   wir stellen die gerechten Waagen für
lungen der Menschen innerhalb des                      den Tag der Auferstehung auf. So wird
geschöpflichen Kontextes. Der erhabe-                  keiner Seele in irgend etwas Unrecht
ne Gott ist von diesen Kategorien ent-                 getan. Und wäre es auch das Gewicht
rückt. Im Gegensatz zu menschlicher                    eines Senfkornes, Wir bringen es bei.
Freiheit ist göttliche Freiheit absolut                Und Wir genügen für die Abrechnung.“
und so Tahsin Görgün „in diesem Sinne                  Folgerichtig fragt Allah in Sure 38, 28
jenseits von Gut und Böse“.22                          „Oder sollen Wir etwa diejenigen, die
   Deshalb ist eine Anfrage an die Ge-                 glauben und die guten Werke tun, den
rechtigkeit oder Barmherzigkeit Gottes                 Unheilstiftern auf Erden gleichstellen,
eine Anmaßung, sowohl moralisch als                    oder die Gottesfürchtigen denen, die
auch epistemisch. Gemäß Sure 21, 23                    voller Laster sind?“ (vgl. Sure 8, 51;
„Nicht er wird befragt über das, was                   26, 209; 40, 31; 42, 72; 50, 29).
er tut; aber sie werden befragt“. Die                     Ebenso wird die Barmherzigkeit un-
Theodizee-Frage wird im Islam nicht als                geschmälert festgehalten. Allahs Dar-
theologisches Problem behandelt, son-                  stellung als „barmherzigster Erbarmer“
dern als ethisches Problem.23 Es geht                  (Sure 7,151; 12,64; 12,92; 21,83) stellt
darum, Handlungsanweisungen für                        sicher, dass einerseits kein Mensch
den Gläubigen in der Leidsituation zu                  über sein Vermögen oder für fremde
                                                       Schuld gerichtet wird (Sure 2, 233. 286;
                                                       6, 152; 7, 42; 23, 62). Zum andern si-
   21                                                      24
       Horsch, S. 5.                                          Alternativ gibt es in der islamischen Theolo-
   22
       Tahsin Görgün „Leid als Teil der Welt und des   gie auch die Aufwertung der natürlichen Rationali-
Lebens. Gibt es ein Theodizeeproblem aus islami-       tät: Das Wesen des Guten erkennt der Mensch so-
scher Perspektive?“ in Alexander Loichinger, Armin     wohl durch die Offenbarung Gottes als auch durch
Kreiner, Theodizee in den Weltreligionen: Ein Stu-     das natürliche Licht der Vernunft. Hier folgt Tahsin
dienbuch, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2010,        Görgün Al-Gazali der gesagt hat, dass „die Vernunft
221.                                                   als oberster Richter auch über die Offenbarung zu
   23
       Ebd., 210.                                      urteilen hat.“ Ebd., 217.
BSB-Journal.de 2-2019                                                                                    15
Eduard Friesen

chert seine Barmherzigkeit die Verge-        nach seiner Perspektive nichts, das als
bung für begangene Schuld zu: „O mei-        böse bezeichnet werden kann.27
ne Diener, die ihr gegen euch selbst            Tahsin Görgün differenziert zwischen
Übertretungen begangen habt, gebt            ungerecht und ungleich/verschieden.
die Hoffnung auf die Barmherzigkeit          Die Ungleichheit verhindert nicht, dass
Gottes nicht auf. Gott vergibt die Sün-      jeder Mensch das gegebene Schicksal
den alle. Er ist ja der, der voller Verge-   als Kontext für den persönliche Prü-
bung und barmherzig ist.“ (Sure 39, 53).     fung und Reife nutzen kann und im
Außerdem zeigt sich die Barmherzig-          Weltgericht ein gerechtes Urteil emp-
keit darin, dass Gott die guten Wer-         fängt: Sure 4, 79 „Was dich Gutes trifft,
ke überproportional (Sure 73, 20) be-        kommt von Allah, und was dich Schlim-
lohnt, während die Schuld proportional       mes trifft, kommt von dir selbst. Und
gestraft, wenn nicht erlassen wird.          Wir haben dich als einen Gesandten
   Das Böse wird meist als privatio boni     zu den Menschen entsandt. Und Al-
verstanden. Der Begriff „Böse, Unheil/       lah genügt als Zeuge.“ Patrick Brooks
Unfrieden“ (fasad) taucht im Koran           und Omar Hamdan legen ihre Deutung
meist im Zusammenhang mit mensch-            dieses Verses vor: „Der Vers verdeut-
licher Handlung auf: Sure 30, 41 „Ver-       licht, dass nach koranischem Verständ-
derbnis ist gekommen über Land und           nis Gott die Menschen in der Tat sehr
Meer um dessentwillen, was die Hän-          unterschiedlich begütert. Um diesen
de der Menschen gewirkt, auf daß Er          Punkt begreifen zu können, gilt es zu-
sie kosten lasse die (Früchte) so man-       nächst einzusehen, dass die Dialektik
cher ihrer Handlungen, damit sie um-         unserer diesseitigen Existenz, welche
kehren.“ (Vgl. Sure 2, 204).25 Auch Un-      von Gegensätzen wie Glück und Leid,
gerechtigkeit (zulm) taucht im Koran         Armut und Wohlstand, Gebrechen und
ausschließlich im Kontext menschlicher       Gesundheit, Liebe und Hass sowie Le-
Handlungen auf.26 Ungerechtigkeit als        ben und Tod geprägt ist, nicht als De-
solches existiert nicht und kann Gott        fekt innerhalb der Schöpfung aufge-
auch nicht zugeschrieben werden.             fasst wird, sondern ursächlich mit dem
   Natürliches Übel wird weitgehend          göttlichen Willen verbunden ist.“28
depotenziert. Die Schöpfung und das
Leben schlechthin werden als Gnaden-
handlung Gottes und somit als gut ge-
sehen. Nach Tahsin Görgün ist z.B. die
Schöpfung eines Neugeborenen gut,
sie kann auch dann nicht als böse be-           27
                                                    Ebd., 212; Sure 4, 79.
zeichnet werden, wenn er gehörlos auf           28
                                                    Tahsin Görgün, 220; Patrick Brooks and Omar
die Welt kommt. In der Natur gibt es         Hamdan, Glück, Leid und Theodizee im Lichte der ko-
                                             ranischen Soteriologie – Ein praktisch-theologischer
     25
          Ebd., 218.                         Erklärungsversuch. Hikma: Band 6, Ausgabe 11,
     26
          Ebd., 221.                         2005, S. 135.
16                                                                       BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

Göttliche Vorsehung                                         Sure 4, 78 „Wo ihr auch sein mögt, der
                                                            Tod ereilt euch doch, und wäret ihr in
Das irdische Dasein wird in seiner Dia-                     hohen Burgen. Und wenn ihnen Gutes
lektik als befristete Prüfung29 verstan-                    begegnet, sagen sie (die Ungläubigen):
den, in der sich der Einzelne bewähren                      «Das ist von Allah»; und wenn ihnen
kann. Gott lässt den Menschen dabei                         Schlimmes begegnet, sagen sie: «Das ist
                                                            von dir.» (von Mohammed) Sprich: «Al-
allerdings nicht allein, sondern weist
                                                            les ist von Allah.» Was ist diesem Volk
von Anbeginn an darauf hin, wie je-                         widerfahren, daß sie so weit davon sind,
ner nach Seinem Wohlgefallen streben                        etwas zu begreifen?“ Sure 4, 79 „Was
könne: Sure 67, 1–4. 1. „Segensreich                        dich Gutes trifft, kommt von Allah, und
ist Der, in Dessen Hand die Herrschaft                      was dich Schlimmes trifft, kommt von dir
ist; und Er vermag alle Dinge zu tun. 2.                    selbst.“30
Der den Tod erschaffen hat und das Le-
ben, daß Er euch prüfe, wer von euch                        An anderer Stelle wird das Zufügen
der Beste ist im Handeln; und Er ist der                 des Leides als göttliche Prüfung gedeu-
Allmächtige, der Allverzeihende, 3. Der                  tet.31 In Sure 2, 155f. steht: „Und Wir
sieben Himmel im Einklang erschaf-                       werden euch sicher Prüfungen ausset-
fen hat. Keinen Fehler kannst du in der                  zen mit ein wenig Furcht und Hunger
Schöpfung des Gnadenreichen sehen.                       und mit Verlust an Vermögen, Seelen
So wende den Blick: siehst du irgend-                    und Früchten. Und verkünde den Ge-
einen Mangel? 4. So wende den Blick                      duldigen frohe Botschaft, die, wenn ein
abermals und abermals: dein Blick wird                   Unglück sie trifft, sagen: ,Wir gehören
nur zu dir zurückkehren ermüdet und                      Gott, und wir kehren zu Ihm zurück‘“.32
geschwächt.“                                             Sure 21, 35: „Wir aber stellen euch auf
   Einerseits wird behauptet, Gott füge                  die Probe, mit Bösem wie mit Gutem“
dem Menschen nur das Gute zu, das                        (vgl. Sure 67, 2; 89, 16). Al Gazali lehr-
Böse sei dem Menschen selbst zuzu-                       te, „Wenn Gott seinen Diener liebt, so
schreiben. Andererseits gibt es auch                     sucht er ihn heim, und wenn er ihn sehr
Aussagen, die auch das Leid und das                      liebt, bemächtigt er sich seiner und lässt
Böse auf Gott zurückführen. Diese                        ihm weder Familie noch Vermögen.“33
wechselseitige Zuordnung findet ein ei-
ner Sure statt:
                                                            30
                                                                 Sure 4, 78: „Wo ihr auch sein mögt, der Tod
   29
        Folglich sagt Er in Sure 20, 123f. zu Adam und   ereilt euch doch, und wäret ihr in hohen Burgen.
seiner Gefährtin: „Geht von ihm [d.h. dem Para-          Und wenn ihnen Gutes begegnet, sagen sie: «Das ist
dies, die Verf.] hinunter. [ ] Wenn dann von Mir eine    von Allah»; und wenn ihnen Schlimmes begegnet,
Rechtleitung zu euch kommt, dann wird der, der           sagen sie: «Das ist von dir.» Sprich: «Alles ist von Al-
meiner Rechtleitung folgt, nicht irregehen und nicht     lah.» Was ist diesem Volk widerfahren, daß sie so
unglücklich sein. Derjenige aber, der sich von meiner    weit davon sind, etwas zu begreifen?“
                                                            31
Ermahnung abwendet, wird ein beengtes Leben füh-                 Patrick Brooks and Omar Hamdan, S. 135.
                                                            32
ren. Und am Tag der Auferstehung versammeln Wir                  Ebd., 133
                                                            33
ihn blind (zu den anderen).“                                     Loichinger, Kreiner, S. 207.
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Eduard Friesen

   Der Koran beinhaltet aber auch Sen-              net hat oder ereignen wird aus dem
tenzen, nach denen Gott auch die Ver-               Göttlichen Willen hervorgeht, ob es
irrungen von Menschen verantworten                  nun gut oder schlecht sei. Alles wurde
kann. Hier ist nicht von einer Prüfung              unwiderruflich von der Schreibfeder
die Rede, sondern vielmehr von seiner               des Schicksals auf der immerwähren-
Allwirksamkeit: Sure 6, 39: „Gott führt             den Tafel aufgeschrieben und fixiert.“35
wen er will in die Irre“; Sure 7, 186:                 Trost und Hoffnung schöpft der Gläu-
„Wen Gott irreführen will, für den gibt             bige aus den göttlichen Eigenschaften,
es keinen, der ihn rechtleiten würde“.              die die Providenz zum Vorteil des Men-
Sure 14, 27: „Festigen wird Allah die               schen gereichen lassen. Die Barmher-
Gläubigen durch das festigende Wort                 zigkeit und Weisheit Gottes bringen
im irdischen Leben und im Jenseits;                 immer das Beste für den Menschen
und Allah führt die Ungerechten irre;               hervor, durch Gut und Böse, Glück
siehe, Allah tut, was Er will.“                     und Leid, Gesundheit und Tod. All das
   Neben den 5 Säulen des Islam gibt es             Schlimme geschah „als Barmherzigkeit
auch 6 Glaubensvorschriften, die als mi-            von deinem Herrn“ (Sure 18, 82). Illus-
nimalistisches Dogma geglaubt werden                triert wird die göttliche Vorsehung des
sollen. Die sechste Glaubensvorschrift              Guten und Bösen in einer Erzählung
ist die göttliche Vorherbestimmung ge-              über Mose, der einen Diener Gottes
nannt Taqdir.: Diese erstreckt sich auch            trifft und ihm folgt. Mose hinterfragt,
auf die Sünde Adams. Die Sunna Buk-                 ihn, nachdem er ein Loch in ein Schiff
hari berichtet von Abu Huraira:                     geschlagen, dann einen Jungen getötet
     „Allahs Prophet sagte: Adam und Mo-            und ohne Bezahlung eine Mauer aufge-
     ses stritten miteinander. Moses sagte zu       richtet hat:
     Adam: ‚Du bist Adam, deine Fehler ha-             „(Sure 18/79–82): Was das Schiff be-
     ben dich das Paradies gekostet.’ Adam             trifft, so gehörte es armen Leuten, die
     antwortete: ‚Du bist Moses, welcher Al-           auf dem Meer arbeiteten. Ich wollte es
     lah als Seinen Propheten gewählt hat. Er          schadhaft machen, denn ein König war
     hat persönlich mit dir gesprochen, doch           hinter ihnen her, der jedes Schiff mit
     du bezichtigst mich für etwas, was be-            Gewalt nahm. Was den Jungen betrifft,
     reits vor meiner Erschaffung in meinem            so waren seine Eltern gläubige (Men-
     Schicksal festgelegt war?’“ Allahs Pro-           schen). Da fürchteten wir, er würde sie
     phet sagte zweimal: „So siegte Adam im            durch das Übermaß seines Frevels und
     Streitgespräch mit Moses.“34                      durch seinen Unglauben bedrücken. So
                                                       wollten wir, dass ihr Herr ihnen einen
Thomas Patrick Hughes stellt dazu fest:
                                                       zum Tausch gebe, der besser wäre als
„Der orthodoxe Glaube setzt fest, daß
                                                       er in der Lauterkeit und anhänglicher in
was immer sich auf dieser Welt ereig-                  der Pietät. Und was die Mauer betrifft,
     34                                                35
      Sunna: Bukhari V4 B55 N 621; Siehe auch              Thomas Patrick Hughes, A Dictionary of Is-
Bukhari V8 B77 N594 berichtet von Anas bin Malik:   lam, W.H. Allen & CO, New Delhi: Asian Educational
Bukhari V8 B77 N595; Bukhari V9 B93 N641.           Services, 1995, S. 1985.
18                                                                             BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

   so gehörte sie zwei Waisenjungen in der           ständlichkeit des Leides festgehalten.
   Stadt. Unter ihr befand sich ein Schatz,          Al-Gazali spricht sogar vom Zwang zur
   der ihnen gehörte. Ihr Vater war recht-           Entscheidung / Willensfreiheit: „Der
   schaffen. Da wollte dein Herr, dass sie           Mensch ist zur Freiheit genötigt.“38
   (erst) ihre Volljährigkeit erreichen und
   ihren Schatz herausholen, aus Barmher-
   zigkeit von deinem Herrn.“36
                                                     Der Umgang mit dem Leid
Leid wird auch zur Umkehr zu Gott                    Der Mensch wird zunächst aufgefor-
oder zum anhaltenden Glauben instru-                 dert das ihm auferlegte Schicksal ge-
mentalisiert: „Und wenn Wir dem Men-                 duldig zu ertragen. Die Rezeption des
schen Gnade erweisen, wendet er sich                 biblischen Hiob, Ayyub im Islam zeigt
ab und entfernt sich beiseite. Wenn ihn              den Unterschied in der Glaubenshal-
aber das Böse berührt, ergeht er sich                tung zum biblischen Hiob: ein Rebel-
in ausführlichem Beten.“ (Sure 41, 49)               lieren oder Aufbegehren, ein Hinter-
„Und wir schlugen sie mit Gutem und                  fragen und Herausfordern Gottes kennt
mit Bösem, auf daß sie vielleicht um-                Ayyub nicht. Er sagt in Sure 21, 83 „Sie-
kehrten.“ (Sure 7, 168).                             he, mich hat die Plage berührt, doch
   Das Leid dient aber auch der Wert-                Du bist der barmherzigste der Barm-
schätzung des Guten und der Charak-                  herzigen“. Er ist der Dulder schlechthin.
terformung des Gläubigen:                            Al Ghazali: „Wenn Gott einen Diener
   „Gäbe es keine Krankheiten, dann könn-            liebt, prüft er ihn durch eine Heimsu-
   te der gesunde Mensch weder seine Ge-             chung. Wenn der Diener von ihr ge-
   sundheit wertschätzen noch hinsicht-              troffen wird, bewahrt er Geduld.“39 Da-
   lich seiner Hilfsbereitschaft für Kranke          bei ist die Klage über andere zulässig.
   erprobt werden. Gleichfalls könnte der            Wird aber die Klage gemieden, wird so-
   duldsame Kranke weder die liebende                gar eine Belohnung in Aussicht gestellt:
   Fürsorge seines Nächsten erleben noch             „Wenn ich einen Diener heimsuche mit
   auf Gottes Nachsicht hoffen.“37                   Schmerz, und er bewahrt Geduld und
                                                     beklagt sich vor denen, die ihn aufsu-
Menschliche Freiheit                                 chen, nicht über Mich, werde Ich ihm
                                                     tauschen gegen sein Fleisch ein Fleisch,
Die menschliche Entscheidungs- und                   das besser ist, und gegen sein Blut ein
Handlungsfreiheit wird im Blick auf die              Blut, das besser ist.“40
Prüfungen Gottes und das Gericht Got-                   Navid Kermani, stellt in seiner Ha-
tes trotz der Allwirksamkeit und Unver-              bilitationsschrift die Möglichkeit der
   36
       Patrick Brooks and Omar Hamdan, S. 137.       praktischen Theodizee dar, die dar-
   37
       So Omar Hamdan, Professor für Koranwis-       in besteht, Gottes Gerechtigkeit gegen
senschaften an der Universität Tübingen und Leiter
                                                       38
des dort neu gegründeten Zentrums für Islamische            Tahsin Görgün , S. 220.
                                                       39
Theologie. Patrick Brooks and Omar Hamdan, S. 136.          Al Gazali in Navid Kermani, S. 18.
                                                       40
https://doi.org/10.13109/hikm.2015.6.11.123.                Ebd.
BSB-Journal.de 2-2019                                                                            19
Eduard Friesen

die Ungerechtigkeit dieser Welt einzu-     die existentiell-praktische Position.43
fordern. Somit äußert sich der Protest     Er hofft darauf, dass wir einerseits die
gegen das Leiden im Hadern des Gläu-       moralische Weisheit Gottes annehmen,
bigen mit Gott. In der islamischen mys-    obwohl wir sie aus der Erfahrung nicht
tischen Literatur findet sich ein höchst   erkennen können und gleichzeitig auf
seltenes und bedeutendes Zeugnis die-      die Glückseligkeit in einem zukünftigen
ser Auflehnung gegen Gott bei dem          Leben hoffen, weil dies unserer sittli-
persischen Dichter Attar (1145–1221)       chen Vorstellung entspricht. Nur durch
„Das Buch der Leiden“. Das Anklagen        die Existenz des Übels ist diese Welt;
Gottes ist somit Ausdruck der Liebe und    die an Erscheinungen reichste, und zu-
begleitet die postulatorische Gottesre-    gleich meist geordnete Welt, und sie ist
de: „Nur wer an den Höchsten glaubt,       eine Welt, die dem Menschen die sittli-
kann mit Steinen bis in den Himmel         che Reifung durch die Abwendung vom
schmeißen.“41 Dies ist in der Gesamt-      Übel ermöglicht.
schau der islamischen Theologie aber          Gottfried Leibniz findet ca. 600 Jah-
eine Ausnahme.                             re nach Al Gazali zu einem weitge-
   Der Zweifel an Gottes Ratschlüssen,     hend identischen Lösungsversuch, der
oder das Hinterfragen seiner Barmher-      besten aller Welten. Ausgehend von
zigkeit wird nur den Irregehenden (aḍ-     der Weisheit, Güte und Allmacht Got-
ḍālūn) attestiert: «Und wer könnte ver-    tes und der Idee von unendlich vielen
zweifeln an der Barmherzigkeit seines      möglichen Welten, habe Gott notwen-
Herrn, wenn nicht die Verirrten?» (Sure    digerweise nur die beste aller Welten
15, 56).                                   ins Dasein gerufen. Die zwei Prämissen
                                           seiner Begründung waren 1. Es gibt un-
Gemeinsamkeiten                            endliche viele Welten, und 2. In keiner
in der Theodizee                           realen Welt ist alles möglich. Die alter-
                                           nativen Welten findet Gott vor wie ma-
Tahsin Görgün befindet, dass „Gerade       thematische Sätze. Da Gott aber eine
die Perspektive Kants, welche die Theo-    Welt nur aus logischer Notwendig-
dizeeproblematik überwindet, kommt         keit, nicht aus Willkür in die Wirklich-
der klassischen islamischen Perspektive    keit überführen konnte, war der hin-
sehr nahe.“42 In seinem Aufsatz im Sep     reichende Grund, das Kriterium, dieser
1791 in der Berlinischen Monatsschrift     Welt, dass sie qualitativ allen anderen
„Über das Mißlingen aller philosophi-      überlegen war. Sonst hätte Gott sie auf-
schen Versuche in der Theodicee“ stellt    grund der Logik, der er unterworfen
Kant die authentische Theodizee als
Glaubenssache dar, lehnt die rationalis-
tische Position ab, und schlägt sich auf      43
                                                  Volker Dieringer, „Kants Theodizee-Aufsatz Im
                                           Spiegel Neuerer Arbeiten: Ein Forschungsbericht,“
     41
          Von Stosch, S. 155.              Aufklärung 19 (2007): 383-90. http://www.jstor.org/
     42
          Tahsin Gögün, S. 223.            stable/24361729.
20                                                                    BSB-Journal.de 2-2019
Theodizee in Islam und Christentum

ist und aufgrund seiner Eigenschaften                     Bei Leibniz finden sich auch die meis-
nicht schaffen können.                                 ten der folgenden Bonisierungs- und
   Das Übel in der Welt habe Gott auf-                 Depontenzierungsversuche:
grund logischer Notwendigkeit zuge-                       Bonisierungsstrategien gehen von
lassen aber nicht gewollt. Das malum                   einer Entübelung des Leids aus, indem
metaphysicum, also die Endlichkeit der                 ihm eine besondere positive Funkti-
Welt ist logisch notwendig, weil Gott                  on oder Rolle zugewiesen wird. Dabei
als das einzig Absolute und Vollkomme-                 wird bei der Funktionalisierung dem
ne kein zweites Absolutes und Vollkom-                 Leid die Funktion für ein höheres Ziel
menes schaffen kann. Das malum phy-                    zugeschrieben. So einen Ansatz finden
sicum, Naturkatastrophen etc. geht aus                 wir bei Richard Swinburnes need-for-
dem metaphysischen Übel hervor, da                     knowledge-Argumentation. Das malum
es eine unvollkommene Welt ist. Das                    physicum ist für ihn erforderlich, um die
malum morale ist logisch notwendig,                    Auswirkungen menschlicher Entschei-
weil der Mensch nicht vollkommen sein                  dungen und des sittlichen Spielraums
kann und die Willensfreiheit zur per-                  zu erkennen. Viele Fortschritte in der
sönlichen sittlichen Entwicklung erhal-                menschlichen Erkenntnis entstanden
ten hat. Das Gut der Freiheit des Men-                 erst in der Konfrontation mit Leid. Lei-
schen und damit verbunden das Gut                      den als Mittel zum Wissenserwerb fin-
der persönlichen Beziehung der Liebe                   det sich bereits bei Laktanz (gest. um
zu dem Menschen gibt der Schöpfung                     320). Er stellte fest, dass „das Böse und
mit den drei genannten Übeln einen                     Schädliche […] vielfach zur Erkenntnis
höheren Wert als jede Alternative.                     des Guten und, wenn er es abwehren
   Außerdem, so Leibniz, bestehe die                   muss, zur Betätigung von Erfindungs-
Welt aus Gegensatzpaaren. Ohne das                     gabe, Klugheit und Weisheit“ diene.
Böse gäbe es das Gute nicht, ohne Tod                  Ähnlich funktioniert auch Swinburnes
kein Leben, ohne Chaos keine Ordnung.                  being-of-use-Argument. Demnach ent-
Gegen den Einwand, eine Welt ohne                      wickeln sich menschliche Tugenden wie
Übel sei vorstellbar, argumentierte er                 z.B. Solidarität, Mitleid, Tapferkeit erst
mit dem Kriterium der „Kompossibili-                   in Leid und Gefahr.45
tät“. Durch den Zusammenhang aller
einzelnen Teile der Welt würde jede                       45
                                                               Einwand: Dieses Argument scheitert aber an
Veränderung eine Auswirkung auf das                    dem mangelnden Nutzen für die Betroffenen, die
Gesamte haben. Folglich hätte die Ent-                 wiederum verzweckt werden, siehe von Stosch, S.
                                                       23. Die Kritik in Voltaires Candid kommt vom Wie-
fernung der Übel Auswirkungen, die die
                                                       dertäufer Jakob „Die Menschen müssen wohl die
Welt nicht mehr zur besten aller mögli-                ursprünglich vollkommene Natur ein wenig verdor-
chen Welten machen würde.44                            ben haben; sie sind nicht als Wölfe geboren, sind
                                                       erst zu Wölfen geworden; Gott hat ihnen weder
                                                       vierundzwanzigpfündige Kanonen noch Bajonette
   44
         Leibniz, Theodicee; Kreiner, Gott und Leid,   gegeben: Sie haben Bajonette und Kanonen erst er-
324-5.                                                 funden, um sich gegenseitig umzubringen.“ Voltaire,
BSB-Journal.de 2-2019                                                                                  21
Eduard Friesen

   Die Pädagogisierung ist eine weitere                     Die ontologische Depontenzierung
Bonisierungsstrategie. Das Leid dient da-                findet sich in der Privationstheorie.
bei als Erziehungsmittel zur Reifung des                 Demnach hat das Leiden keine seins-
Menschen, zur Prüfung oder als Stra-                     hafte Wirklichkeit, sondern besteht
fe für begangene Sünden. Durch Um-                       in der Abwesenheit des Guten (priva-
kehr zu Gott kann das Leiden seine Hoff-                 tio boni). Somit existiert das Übel gar
nungslosigkeit verlieren (Siehe Dan 9).46                nicht. Diese klassische Ontologie be-
   Ästhetisierung ist ebenfalls eine Bo-                 hauptet, dass Sein und Gutsein iden-
nisierungsstrategie, die sich bei Leib-                  tisch sind: omne ens est bonum. Nur so
niz findet. Das Leiden ist demnach eine                  konnte eine dualistische Ontologie ab-
notwendige Bedingung für eine tiefere                    gewehrt werden.48
Erkenntnis des Guten. Das Gute tritt im                     Die Teleologische Depontenzierung
Vergleich zum Bösen klarer hervor. Dies                  zielt auf eine Tröstung im Jenseits durch
gilt analog zur Dissonanz in der Musik                   eine ausgleichende Gerechtigkeit. Eine
die die gesamte Symphonie kraftvoller                    endliche Menge an Leiden wird durch
und schöner.47 Schon Augustin nutzte                     eine unendliche Menge an Freuden
ein ähnliches Argument mit der Illust-                   mehr als ausgeglichen. Im Angesicht
ration eines literarischen Werkes, das                   dieses überschwänglichen Glücks, er-
Gott mit der Geschichte und der Disso-                   scheint das Leid weniger bedrohlich.
nanz des Übels schreibt.                                    Eine zweite Variante der Teleologi-
   Demgegenüber stellen Deponten-                        schen Depotenzierung fokussiert sich
zierungsversuche eine Leugnung des                       auf die Integration des Leids in Seelen-
Übels auf ontologischer Ebene dar.                       bildungsprozesse als Vorbereitung auf
                                                         das Jenseits. Bekannte Vertreter sind
Kandid oder die beste Welt, Übers. A. Ellissen Berlin:   Irenäus von Lyon und John Hick.
Contumax, 2016, 12.                                         Nach Irenäus hatte Gott den Men-
    46
        Der Islam kennt das Konzept der felix culpa      schen in einem unfertigen Zustand ge-
nicht. felix culpa – glückliche Schuld nach Ostern er-   schaffen. Er sollte seine Entscheidungs-
möglicht erst die Vergebung. Leid führt aber nicht       freiheit nutzen, um sich in einer Welt
immer zur Erziehung, in zu vielen Fällen führt es ins
Gegenteil und erdrückt Menschen. Von Stosch, 23.
                                                         von Gefahren und Herausforderungen
    47
        Norbert Hörster: „Ein Gemälde oder eine          in eigener Verantwortung zu entwi-
Symphonie können in der Tat insgesamt optimal            ckeln („Seelenbildung“).49 Dabei stellt
sein – trotz oder gerade auch wegen einiger (in Iso-     sich aber die Frage, warum Gott den
lation betrachtet) häßlich aussehender bzw. klin-
                                                             48
gender Partien. Ist diese Analogie aber nicht fehl am           Einwand: Dies ändert nichts an der Theodi-
Platze, wenn es um die Allgüte Gottes geht – eine        zeeproblematik weil die Frage nicht beantwortet
Allgüte, die doch zumindest auch als moralische All-     wird, warum Gott diese Beraubung des Guten zuge-
güte und nicht nur als ästhetischer Inbegriff über-      lassen hat. Außerdem ist die Argumentation zirkulär,
ragender Künstlerqualitäten verstanden werden            da die Güte Gottes vorausgesetzt wird, die durch die
muß?“ Norbert Hoerster, „Unlösbarkeit des Theodi-        Theodizee erst bewiesen werden muss. Von Stosch,
zee-Problems,“ Theologie und Philosophie, Viertel-       27.
                                                             49
jahresschrift, 60. Jahrgang, Heft 3, 1985, S. 405.              Loichinger, Kreiner, S., 86.
22                                                                                   BSB-Journal.de 2-2019
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