Durchblick 2018 - Aufbruch wagen Veränderungen nutzen Halt finden - Evangelischer KITA-Verband Bayern
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Diskussionen und Tendenzen „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18,30) Die Welt verändert sich in den letzten Jahren immer schneller. Wir sind mobiler geworden, haben andere Berufe als früher und sind über unsere Handys überall und jederzeit erreichbar. Gewohnte Struktu- ren brechen auf, das Bild von Familie und Arbeitsleben ändert sich (lesen Sie hier- zu auch den Artikel von Landesbischof Bedford-Strohm auf S. 23). Vielen Menschen machen die Veränderungen in der Gesellschaft Angst und sie fühlen sich unsicher. Sie haben das Gefühl, vor unüberwindbaren Mauern zu stehen. Das Kind auf dem Titelbild schaut neugierig in die Welt und wagt einen Blick aus dem Fenster seines Häus- chens. Unsere kindliche Neugierde sollten wir als Erwachsene beibehalten, rät die Glücksforscherin Maike van den Boom (S. 15). Die Neugierde hilft uns dabei, Wege zu beschreiten, die wir noch nicht gegangen sind. Mit Blick in unsere Kirche hat sich mit dem Konzept „Profil und Konzentration“ (PuK) (S. 8) ein Weg zur Veränderung geöffnet. Wir haben die Mitglieder des Verbandsrats gefragt, wie aus ihrer Sicht die „Kirche der Zukunft“ aussehen kann und was Kitas dazu beitragen können. Die Antworten finden Sie im Heft verteilt. Damit die Gesellschaft auch in Zeiten von Veränderungen und Umbrüchen gut funktioniert, brauchen Menschen eine innere Haltung, die dem Umgang miteinander förderlich ist. „Wer sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, kann die Würde anderer nicht mehr verletzen“, so Gerald Hüther in seinem Beitrag (S. 12). Karl Gebauer macht sich in seinem Beitrag stark für Herzensbildung und Empathie. Die sei „der Boden, auf dem demokratische Verhältnisse wachsen und gedeihen können.“ (S. 19) Die Geschichte einer radikalen Veränderung erzählt Cornelia Blendinger im Beitrag über die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl (S. 27). Die Biographie inspiriert und ermöglicht uns einen neuen Blick auf unseren Alltag. Auch in diesem Heft sind wieder Beispiele aus den Einrichtungen und aus der Beratungs- und Fortbildungs- praxis zu lesen – von denen sich viele ebenfalls mit Veränderungsprozessen befassen. Damit das Leben des Einzelnen gut gelingt brauchen wir Orientierung, neue Interpretationsmöglichkeiten und vielleicht sogar auch Spaß am Unbekannten. Auch wenn uns manchmal die Mauern hoch erscheinen, über die wir springen. Eine anregende Lektüre wünschen Christiane Münderlein Dirk Rumpff Vorständin Bildung und Soziales Vorstand Recht und Finanzen 2 Durchblick 2018
Inhalt Vorwort Aus dem Verband Diskussionen und Tendenzen 38 Impressionen aus der Verbandsarbeit 2017/2018 42 Zahlen, Daten und Fakten evKITA 4 Mehr Qualität in Kitas – jetzt nicht locker lassen 45 Familie im Blick – Familien im Blick? Alexandra Christiane Münderlein Habenicht-Riedisser 8 Wo PuK´ts hier? Wer, was und wie PuK´en Kitas? 46 Was hilft und was stärkt? Kinder und Familien in Zwischen geistlichen Schätzen und mutigen Auf- Armutslagen Cornelia Götz brüchen Christiane Münderlein/Dirk Rumpff 47 Kindergarten St. Jobst ist „Ort für Familien“ Rita Brinkjans Schwerpunkt - Veränderungen 48 Kinderrechte – Kreativwettbewerb 2018 Barbara Schuster-Gollnick „Wie sollte die „Kirche der Zukunft“ aussehen und 49 „Lecker – und was und wieviel, das entscheide was können Kitas dazu beitragen?“ – Antworten von ich! Eine partizipative und bildungsangereicherte Verbandsratsmitgliedern auf diese Frage verstreut im Mittagessenssituation Sandra Hackner/ Sibylle ganzen Heft. Luprich 51 Wenn alle in der Krippe mit anpacken – 12 Den eigenen Kompass finden. Würde als Gemeinsam Verantwortung übernehmen für den Grundlage des Zusammenlebens Weg der Kinder Barbara Hartmann Prof. Dr. Gerald Hüther 53 Veränderung in der KiTa – Ein Klima schaffen, in 15 Kernkompetenz: Neugierde und Patzen! – Wa- dem inklusive Werte gelebt und weitergegeben rum Deutsche Veränderungen nicht so gerne werden können Isabelle Salger mögen Interview mit Maike van den Boom 56 Auf Schatzsuche ….. Christiane Leclaire/Mari- 19 Wegweiser Herzensbildung – Empathie ist die on Hammer Quelle der individuellen und gesellschaftlichen 57 „Die Sprachschätze in der eigenen Kita erleben“ Entwicklung Dr. Karl Gebauer Viktoria Maurer 23 Die Welt ändert sich und die Familie auch – 58 Videogestützte Interaktionsberatung – Christliche Erziehung in unserer Zeit Bildgeschenke aus der Beratungspraxis Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm Martina Benkler 25 Wenn Kirche Gesicht zeigt…Vielfältige Angebote 60 „Es hat sich gelohnt“– evKITA-Beratung Hand in im Familienzentrum Hand Anja Beck-Dinzinger/Friederike Siebers Felix Bergemann/Dorothea Petersen 62 Auf die Konzeption fertig los! – Erfolgreiche 27 Gott einen Ort sichern – Gedanken von und über Konzeptionsentwicklung leicht gemacht Madeleine Delbrêl Corneliia Blendinger Gabriele Stegmann 29 Hort, Schulkindbetreuung, Ganztagsangebo- te – Gegenwärtige und zukünftig notwendige Biblische Geschichte für Kinder erzählt Veränderungen Prof. Dr. Manja Plehn 32 Wissen ist keine Kompetenz – Kompetenzorien- 66 „Mit meinem Gott kann ich über Mauern tierung in der Fort- und Weiterbildung springen“ Monika Brinkmöller 33 Kein Kinderspiel – KITA-Leitung in Zeiten ständiger Veränderung – Vortrag von Anja Knip- Impressum pel & Christiane Leclaire auf der ConSozial 2017 36 Eine „unvollendete Revolution“ – Chancen und 67 Impressum Herausforderungen der bundesdeutschen Bildungs- und Betreuungspolitik Durchblick 2018 3
Diskussionen und Tendenzen Christiane Münderlein Mehr Qualität in Kitas - jetzt nicht locker lassen So lautete unsere mit großer Mehrheit verabschiedete Re- Regierungserklärung Markus Söder – solution auf der letzten Mitgliederversammlung. Und dieses Positionierung Motto zieht sich auch durch das Jahr 2018. An vielen Stellen Seit April hat Bayern einen neuen Ministerpräsidenten und hat sich der evKITA nachhaltig für die dringend erforderli- eine neue Familienministerin. Mit Spannung wurde die chen Qualitätsverbesserungen eingesetzt und wird dies auch Regierungserklärung von Markus Söder erwartet. Wir sind weiterhin tun. uns mit den anderen Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege einig, dass die beabsichtigte Investition in die Kita-Qualität Qualitätsentwicklungsgesetz sowie die explizite Nennung von Hortplätzen beim Ausbau Ein Schwerpunkt unserer politischen Arbeit im vergangenen der Betreuung für Schülerinnen und Schüler positiv zu werten Jahr war die Einflussnahme auf ein Bundesqualitätsentwick- sind. Allerdings wurde in einem Gespräch mit Vertretern des lungsgesetz. Hier geht es nun voran: das neue „Gesetz zur Ministeriums auch deutlich, dass der Begriff der Steigerung Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung“ der Qualität inhaltlich und finanziell noch zu füllen ist. (KiQuEG) soll noch vor der Sommerpause ins Kabinett, im Für den evKITA sind die Verstetigung und Ausweitung der Herbst ins Parlament und Anfang 2019 in Kraft treten. Wenn Pädagogischen Qualitätsbegleitung (PQB), die Stärkung der alles so läuft, soll dann ab Mitte nächsten Jahres das Geld Leitung und zusätzliche Investitionen in (Optiprax-) Ausbildung an die Länder fließen und somit für Nachbesserungen im wesentliche Bausteine. Für den Ausbau von Hortplätzen ist BayKiBiG sorgen. bereits ein Investitionsprogramm angekündigt. Positiv hervorzuheben ist, dass es gelungen ist die Qualitäts- verbesserung, von der neuen Bundesfamilienministerin Dr. Der evKITA begrüßt auch die Abschaffung des Betreuungs- Franziska Giffey mittlerweile als „Gute-Kita-Gesetz“ getitelt, geldes und die Weiterentwicklung zu einem Familiengeld für als prioritäre Maßnahme der Bundesregierung im Koaliti- alle Eltern (unabhängig von der Betreuungsart). Hier wird onsvertrag zu verankern. Ebenso positiv ist, dass die auf darauf zu achten sein, dass das Familiengeld tatsächlich auch der Mitgliederversammlung 2017 verabschiedeten Schwer- Eltern und Kindern im SGB-II-Bezug zu Gute kommt. punktthemen wie Stärkung der Leitung oder Ausbildung von Fachkräften explizit genannt werden. Kritisch zu bewerten Die Ankündigung, dass in den nächsten fünf Jahren 2.000 ist, dass das Gesetz lediglich mit einem Finanzvolumen in Tagespflegepersonen finanziert werden sollen, damit den Höhe von 3,5 Mrd. EUR bis einschließlich zum Jahr 2021 Erzieherinnen und Erziehern mehr Zeit für die individuelle Be- ausgestattet ist. Bislang hatte das Familienministerium für treuung der Kinder bleibt, ist noch schwer zu bewerten. Hier den gleichen Zeitraum ein Finanzvolumen in Höhe von 10 liegen uns noch keine konzeptionellen Überlegungen vor. Mrd. EUR vorgesehen. Das BMFSFJ will darüber hinaus eine Es ist aber zu bedenken, dass bereits jetzt im Segment der Fachkräfteoffensive auf den Weg bringen, deren Kernelement Tagespflegepersonen der Bedarf an Plätzen nicht gedeckt es ist, die Vergütung der Ausbildung von Erzieher*innen mehr werden kann. Es wäre aus Sicht des evKITA sinnvoller, die in die Fläche zu tragen. Diese ist außerhalb der 3,5 Mrd. EUR Kitas durch die Einstellung beispielsweise von Hauswirt- geplant, aber noch nicht konkret mit einem Finanzvolumen schaftskräften zu unterstützen bzw. die Finanzierung der hinterlegt. Hier heißt es also weiter dran zu bleiben und neben Hauswirtschaftskräfte zu klären – damit diese die Päda- erstmals fließenden Bundesmitteln auch weitere Landesmittel gogischen Fachkräfte z.B. in der Mittagszeit unterstützen zu fordern. können. 4 Durchblick 2018
Pädagogische Qualitätsbegleitung (PQB) Der Modellversuch Pädagogische Qualitätsbegleitung in Kin- dertageseinrichtungen läuft nun seit 2 Jahren und stößt auf sehr hohe Resonanz. Die Arbeit mit den einzelnen Kita-Teams stärkt diese und kommt vor Ort direkt bei den Kindern an. Resollution Mehr Q Beziehung und Interaktion sind eine wichtige Grundlage für Quali tät in Ki K tas – jet ztt nicht loc Auf der Gr k kerlassen undlage de ! ein glückliches und erfolgreiches Leben von Kindern. Ebenso einem EEntwurf für Die Mitg s „Bund--Lä e Qualität ein nder-Be ric hts“ zur Frü gliedervers tsentwicklun hen Bildu d ng von 20 ng ist durch diese Maßnahme eine Steigerung der Selbstwirk- a mlung de am sg es etz in der Kin 016 wird de der Bun ndestagsw es Evange deertagesbetre erzeit an a ah l an liischen KIT euung gea veheme ent für eine die Pa arteien und A- A Verbandes rbeitet. En e Bayern a samkeit der Fachkräfte zu beobachten. Hier ist zu erwarten, gute Qualit tscheideer in appelliert im Interess sen aller Kin ät in den Kiind Po litik und Gesells Vorfeld nder in den ertagesein e richtung schaft, sich Blick zu ne ehmen: en e ein zusetzzen un dass dies neben vielen anderen notwendigen Maßnahmen Q Qualität kos d die wirklic tet Geld d und brau d dabei die ch bei den Ki ucht st t ndern anko aatli dazu beiträgt, dass weniger Fachkräfte das Arbeitsfeld che Inve estitionen, mmen e ! , Cha ancengere verlassen. Studien ste c tigkeit ch llen imme m r wieder Der Verbandsrat hat in seiner Sitzung am 28.02.18 eine Gerade für Ausgleic herkunfftsbe ch schaffen dingt be die große B b nachteilig Bedeutung de d r frühkind dlichen Bildu – allerding gte Kinder ung für Kin Verstetigung der bestehenden PQB-Stellen – vorbehaltlich Deshalb gs nur dann , we kann die Te de d r fest. b ist es im ilhabe an frü investie S Sin ne aller Kin nn die Einrichtung üher Bildun eren. Denn K der wich eine hohe g einen e e gute Qu ein hti g, in die Qu Qualität ha einer geklärten Finanzierung – beschlossen. PQB soll also Verände Q alität ist ke Q ali tät sentw at. erungen in ein Zustand wicklung de Die derz gesellscha d, sondern er Kitas zu zeitige Deb fts f politisch ein e Weg, de atte um Be e en Diskurse er sich mit auch zukünftig ein Angebot des evKITA sein. Qualitättsentw itragsfreihe n verändert de d n icklun ng nicht in it in den Kit t. und Kindern de d n Hinterg tas darf da nicht ge grund dräng s Versprec g geneina en hhe n von Mitttel Derzeit liegt aus dem Ministerium eine mündliche Zusage nd n er ausspie – man da d rf n für Stärrku ele n. die Interressen ng der Le von Eltern L itungen für eine Übergangsfinanzierung für PQB in 2019 vor. Eine Wie dem ge Teams imme rade erschie nenen Fach r größe kräfttebarome solche Übergangslösung wird nötig, da der Modellver- Leitunge ß r und im ter zu entne en. Daher me m r vielfältig hmen ist, we is st es imme ger. Dies ste erden die K Zeitkonttinge ns n wichtig, ellt ganz ne ita- nte zur Verfü d die Rolle de ue Anforde such Ende 2018 ausläuft und über eine längerfristige Verfügu gung er Leitungen erungen an ung gestellt g zu stellen. n zu stärke die werden. . Hierfür mü n und üssen zusä tzl t iche finan Aus nzielle Mitte Finanzierung erst nach der Landtagswahl entschieden sbildung vo on Fachkrä äften el zur Kinder kkönnen nu werden kann. Beim deerzeit herrs r vo n früher Bildu c enden Fa ch ng proofitieren, we enn sie üb und den nö achkräftem erhaupt Zu Einrichtungen, die bereits an PQB teilnehmen, können tigen Fa achkraft-Kin a angel ist es gaang dazu h die Ausbildu nd-Schlüsse häufig schw wierig Stelle aben. ng und Qu el einzuhalt en zu bese Zugangsgere ali fiz ierrung von en. Daher tze t n Fa ist es dies in der Übergangszeit auch weiterhin. Im Mitglie- chtigke k it und zu ac hk räften zu dri ng eend notwen ausgebildete einer bess z investie dig , in Fachkräfte e eren Quali re en und so gerade in Ze sind eine wic tä ät in den Ein zzu mehr iten wa htig ge Grundla nrichtunge derbereich von www.evkita-bayern.de können sich wachseender Anfor w chsender d rungen a de Einrichtunggsgrößen, mu ge g für eine m ltiprofes ho h he Quali n beizutrage t tät en. Gut in den Kit n die Mitar sioneller Te K as – b beitenden. interessierte Einrichtungen nach wie vor anmelden und a ams und Nürnberg, rücken bei frei werdenden Kapazitäten nach. den 05.0 07.2017 Wir setzen uns weiterhin für eine Verstetigung und schrittweise Ausweitung von PQB ein und gehen davon aus, dass wir auch langfristig unseren Mitgliedern in dem Bereich Resolution vom 5.7.2017 eine eng mit Fachberatung und Fortbildung vernetzte Beglei- tung bieten können. Aktuelle Lebenswelt von Kindern Die Betreuungsquote bei Kindern unter drei Jahren lag im die jetzt in Kita oder Krippe sind, werden auch als Schulkinder Jahr 2017 bei 27,4 % (Landesamt für Statistik Bayern). Somit einen Bedarf von ca. 8 Stunden Schule, Bildung und Betreu- starten viele Kinder ihre Bildungsbiographie in einer Krippe. ung – inklusive der Ferien – haben. Laut Bertelsmann-Ländermonitor hätten aber mehr als 40 % der Eltern den Wunsch nach einem Krippenplatz. Recht auf Ganztagsbetreuung Bei den Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren sieht es anders Mit Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung aus: hier besuchen 92 % eine Kita (Bayerisches Landes- für Grundschulkinder bis 2025 wird der Ausbau voraussicht- amt für Statistik). Hierzu sagt Ministerpräsident Söder in der lich rasant voranschreiten. Die Kosten für den quantitativen aktuellen Regierungserklärung „Wir schaffen 30.000 Plätze und qualitativen Ausbau der Schulkindbetreuung werden bis 2020 und wollen längere Öffnungszeiten“. Auch wenn der immens sein. Wichtig ist, dass dieser Ausbau nicht zu Lasten quantitative Ausbau der Kindertagesbetreuung gerade auch des dringend notwendigen weiteren qualitativen Ausbaus der wegen der steigenden Geburtenzahlen nach wie vor wichtig Kitas für Kinder bis sechs Jahre gehen darf. ist, ist es aus unserer Sicht von großer Bedeutung, dass die Wir setzen uns hier besonders für die Förderung und Er- Qualität in den Kitas noch stärker in den Blick genommen haltung von Horten ein, da der Hort eine bindungs- und wird. beziehungsstarke Einrichtung für Kinder darstellt, wo Kinder Die Kita hat sich längst von einer Halbtagseinrichtung zu einer Freundschaften pflegen und Potenziale entwickeln können. Ganztagseinrichtung entwickelt. Damit ist sie eine wesentliche Lebenswelt von Kindern und hat Einfluss auf Familie und ihre Hochwertige Schulkindbetreuung in Horten weiteren Bezugssysteme. In der Grundschulzeit erleben in Bayern ca. 80.000 Kinder Und wer an eine gute und bedarfsgerechte Kita gewöhnt ist, in 906 Horten einen mit der Schule vernetzten Lebensraum, benötigt eine gleichwertige Tagesbetreuung auch, wenn die rund 350 Einrichtungen hiervon sind evangelisch. Hier erleben Kinder im Schulalter sind: Voraussichtlich 70 % der Kinder, Kinder einen evangelisch geprägten Alltag in dem sie Freiräu- Durchblick 2018 5
zu wirtschaften. In diesem Projekt setzt sich evKITA für die Menschen ein, die im Arbeitsfeld Kita tätig sind. Fast 14.000 Diskussionen pädagogische Fachkräfte arbeiten in evangelischen Kitas, und Tendenzen neben Erzieher*innen arbeiten dort viele andere und spezia- lisierte Professionen wie Kindheits-, Sozial- und Heilpädago- g*innen, Kinder- und Heilerziehungspfleger*innen, Sozial-und Erziehungswissenschaftler*innen, sowie unterschiedliche me finden und ihre Persönlichkeit entwickeln können. Formen von Quereinsteiger*innen. Darüber hinaus überneh- Wir setzen uns politisch für eine qualitativ hochwertige Schul- men neben Pfarrer*innen auch viele andere Berufsgruppen kindbetreuung ein: Kinder sollen in ihrer Einzigartigkeit, ihrer wie z.B. Betriebswirte (ergänzende) Trägeraufgaben. Die Person und mit ihren Familien wahrgenommen und angenom- Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams mit sehr unter- men werden. Ihnen soll ein einfacher Zugang zur Liebe Gottes schiedlichen Zugängen zur Kirche ist bei uns bereits Realität ermöglicht werden. Horte bieten hier bzgl. Personalqualifika- und weitere Herausforderung. tion, Raumangebot und Öffnungszeiten die höchste Struktur- qualität. Evangelische Träger von Horten haben einen hohen Wir setzen uns in dem landeskirchlichen Prozess zum „Mitein- Gestaltungsfreiraum, um den Lebensraum für Schulkinder zu ander der Berufsgruppen“ besonders ein für die Anerkennung gestalten. und Sichtbarkeit der Fachkräfte in Kitas innerhalb der Lan- deskirche, für das religionspädagogische Profil sowie für die Miteinander der Berufsgruppen Zusammenarbeit und Vernetzung mit den Kirchengemeinden in der Landeskirche und Pfarrer*innen vor Ort. Derzeit findet innerhalb der Landeskirche ein Austausch zum Miteinander der Berufsgruppen statt. Zum einen geht es da- Ländermonitor – regionale Disparitäten bei darum, einen neuen Blick auf die unterschiedlichen, sich Der vom evKITA häufig in der Beratungs- und Fortbil- ergänzenden Kompetenzen verschiedener Berufsgruppen dungspraxis wahrgenommene starke Unterschied bei den (Pfarrer*innen, Diakon*innen, Erzieher*innen, Religionspäda- strukturellen Rahmenbedingungen von Kitas wurde vom gog*innen, Kirchenmusiker*innen,...) zu richten, zum anderen Bertelsmann-Ländermonitor mit eindrücklichen Zahlen unter- darum, das Wirken der Kirche trotz zurückgehender Zahl der mauert. Im Durchschnitt liegt Bayern beim Personalschlüs- Pfarrer*innen aufrecht zu erhalten. sel durchaus im guten Mittelfeld. Jedoch ist die Spreizung Es wird an den Fragen gearbeitet, wer an den Aufgaben innerhalb Bayerns und zwischen den einzelnen Landkreisen der Kirche wie mitwirkt, einen einfachen Zugang zur Liebe enorm. Mancherorts liegt der Personalschlüssel im Krippen- Gottes zu ermöglichen, Christus zu verkündigen und geist- bereich bei 1:2,7 (Landkreis Rosenheim), andernorts bei 1:5 liche Gemeinschaft zu leben, Lebensfragen zu klären und (Landkreis Hof). Bei den Kindergärten zwischen 1:7,7 (KfSt. Lebensphasen zu begleiten, christliche und soziale Bildung Memmingen) und 1:10,5 (Lkr. Kulmbach). Im Krippenbereich zu ermöglichen, Not von Menschen sichtbar zu machen ist diese Spannweite die größte Differenz unter allen Flächen- und Notleidenden zu helfen sowie nachhaltig und gerecht ländern Deutschlands. Forderungskarte anlässlich der ConSozial 2017 6 Durchblick 2018
Bei der Bewertung dieser Ergebnisse stellen sich viele Fra- Der evKITA setzt sich für attraktive Zugangswege in das gen. Wie ist diese große Differenz trotz gleicher gesetzlicher Arbeitsfeld der Kitas ein, wie Grundlage und Fördersystematik möglich? Ist hauptsächlich Ausbau unterschiedlicher, gleichermaßen attraktiver die Finanzkraft oder der Finanzierungswille der Kommune Ausbildungsmodelle an Fachakademien wie zum Beispiel ausschlaggebend? Oder welche weiteren Faktoren führen Optiprax und duales Studium zu so dramatischen Unterschieden? Welchen Einfluss und Bezahlung (und Refinanzierung) einer entsprechenden Gestaltungsspielraum haben unsere Träger? Und was kön- Ausbildungsvergütung nen wir als evKITA tun, um dieses Delta kleiner werden zu Ausweitung von Studienplätzen an Hochschulen und lassen? Aus meiner Sicht gibt es eine Vielzahl von Faktoren. Universitäten in den Bereichen von Kindheitspädagogik Und wir wissen natürlich, dass diese Zahlen auch nur eine und Sozialer Arbeit Säule der Qualität einer Einrichtung darstellen. Qualifizierung von Praxisanleitungen Dennoch, um allen Kindern unabhängig von Herkunft und Etablierung von Quereinsteigerprogrammen auch in Mittel- Wohnort gerechte Chancen zu ermöglichen, muss auch und Oberfranken das Land Bayern sicherstellen, dass es gerade in finanz- Weiterqualifizierung von Kinderpfleger*innen, Assistent*in- schwachen Regionen qualitativ und strukturell hochwertige nen durch ein kompetenzorientiertes, differenziertes und Kitas gibt. Der evKITA wird in seiner politischen Einfluss- staatlich gefördertes Stufensystem nahme noch mehr auf diesen Aspekt achten. Anerkennung unterschiedlicher Wege des Kompetenzer- werbs und damit verbunden die Möglichkeit staatlich an- Stärkung der Leitung – erkannter und kompetenzorientierter Abschlussprüfungen Zeitkontingente und Qualifizierung an Fachakademien und Hochschulen, die sowohl dem Aufgrund der hohen Dynamik und der großen Veränderung Qualitätsbedarf der Praxis als auch der Berufsbiografie der en im Arbeitsfeld Kita erhalten vermehrt auch die Leitungs Absolventen Rechnung tragen. kräfte die längst schon notwendige Aufmerksamkeit. Mehrere Untersuchungen haben im vergangenen Jahr eine Entscheidend wird bei allem Bemühen um Ausbildung ein Kernforderung des evKITA gestützt: Die Leitung ist Dreh- attraktives Arbeitsfeld sein. Hier zitiere ich gerne nochmal und Angelpunkt der Kita – sie gestaltet wesentlich die Familienministerin Giffey: „Wir brauchen eine Ausbildungsver- Qualität einer Einrichtung, ist unabdingbar für notwendige gütung und höhere Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher. Mitarbeiterführung und ermöglicht eine gute Zusammen- Sie gehören zum pädagogischen Personal – daran muss sich arbeit mit Eltern und sorgt bei einer guten Vernetzung im die Bezahlung orientieren.“ Sozialraum für ein chancengerechteres Aufwachsen. Der Darüber hinaus wird der evKITA auch in Zukunft Träger, evKITA setzt sich für gut qualifizierte Leitungen mit ent- Leitungen und Fachkräfte durch Beratung und Fortbildung sprechend Zeit für diese notwendigen Aufgaben ein. Ein unterstützen, gute Dienstgeber und gute Kita zu sein – für ein durchgängig festgelegtes Zeitkontingent für Leitungsaufga- attraktives Umfeld für Kinder und Erwachsene. ben von mindestens 20 Stunden ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft pro Einrichtung nötig. Bislang erfüllen Die Zukunft beginnt jetzt – 100 Jahre evKITA laut Bertelsmann in Bayern nur etwa 6 % aller Kitas diese Unter diesem Arbeitstitel laufen bereits die Planungen für un- Quote. Rechnerisch würde dies in Bayern 4692 zusätzli- ser 100-jähriges Jubiläum, das wir am 3./4. Juli 2019 feiern. che Leitungs-Vollzeitäquivalente und damit 276 Mio. EUR Auf dieser zweitägigen Veranstaltung wird die Schlüsselrolle zusätzliche Mittel benötigen. von evangelischen Kitas im Kontext der aktuellen gesell- schaftlichen, sozial- und familienpolitischen und kirchlichen Fachkräfte – Personalbedarf, Fachkräfte Veränderungen im Mittelpunkt stehen. Als Referent*innen gewinnung und neue Ausbildungsformate haben bereits hochkarätige Redner*innen wie die Entwick- Nach einer aktuellen DJI-Prognose fehlen bis zum Jahr 2025 lungspsychologin Lieselotte Ahnert, die Soziologin Jutta voraussichtlich bis zu 329.000 zusätzliche pädagogische Allmendinger, der Genetiker Markus Hengstschläger, Zu- Fachkräfte. Um den zukünftigen Personalbedarf zu decken, kunftsforscher Matthias Horx, sowie Landesbischof Heinrich braucht es eine Doppelstrategie zur Gewinnung und Bindung Bedford-Strohm zugesagt, die Moderation übernimmt Willi von pädagogischem Personal. Weitzel. Bei der Gestaltung des Systems der Kindertagesbetreuung Merken Sie sich diesen Termin gern schon einmal vor. Wir muss im Auge behalten werden, dass dabei kein Absenken freuen uns auf Impulse und Anregungen, um mit Ihnen ge- im Ausbildungsniveau in Kauf genommen wird. Es sind je- meinsam Zukunft zu gestalten. K doch die Chancen in den Blick zu nehmen, neue Zielgruppen für das Arbeitsfeld zu gewinnen. Personen mit Berufs- und Lebenserfahrung können ein Gewinn für das Praxisfeld sein. Christiane Münderlein Zentrales Kriterium für den erfolgreichen Einstieg in die Frühe ist Vorständin Bildung und Soziales beim Bildung ist allerdings eine fundierte, aufeinander abgestimmte Evangelischen KITA-Verband Bayern. und den Erfahrungshintergrund einzubeziehende Ausbildung. Durchblick 2018 7
Diskussionen und Tendenzen Christiane Münderlein/Dirk Rumpff Wo PuK´ts hier? Wer, was und wie PuK´en Kitas? Zwischen geistlichen Schätzen und mutigen Aufbrüchen Mit großer Mehrheit beschloss die Landessynode für mögliche neue Wege. Als Grundaufgaben schlägt PuK vor: 2017 die Weiterarbeit an dem Konzept „Profil und Der einfache Zugang zur Liebe Gottes Konzentration“ (PuK), mit dem sich die Kirche auf Lebensfragen klären und Lebensphasen seelsorgerlich allen ihren Ebenen neu aufstellen und mit ihren begleiten Angeboten auf die Lebenswirklichkeit der Men- Not von Menschen sichtbar machen und Notleidenden schen eingehen will. Das Reformpaket reicht von helfen Arbeitsstrukturen und dem Zuschnitt der kirchli- Christus verkündigen und geistliche Gemeinschaft leben chen Arbeit in neuen Räumen bis zur Positionie- Christliche und soziale Bildung ermöglichen rung der Kirche in der digitalen Welt. Nachhaltig und gerecht haushalten Ziel ist ein grundlegender Perspektivwechsel: Geprägt von Diese Grundaufgaben scheinen wie aus der Sicht evangeli- geschichtlich gewachsenen kirchlichen Strukturen hat man scher Kitas mit Blick auf ihre Familien und Kinder gemacht. bisher häufig darauf gewartet, dass die Menschen zur Kirche Dennoch kommen diese in den PuK-Arbeitsgruppen vor Ort kommen. Künftig sollen die Aufgaben der Kirche wesentlich selten explizit vor. Folgende Gedanken sollen diesen Blick stärker aus der Perspektive der Mitglieder definiert werden mit schärfen und neue Diskussionen anstoßen. dem Ziel, Menschen mit ihren heutigen Lebensfragen einen niederschwelligen Zugang zur Liebe Gottes zu eröffnen. Der einfache Zugang zur Liebe Gottes Für den landeskirchlichen Zukunftsprozess wurden fünf Fast 90.000 Kinder besuchen täglich eine evangelische konzentrierte Grundaufgaben der heutigen Kirche formuliert. Kita als Lebensort. Damit betreten auch täglich mindestens Diese Grundaufgaben sind der Einstieg in eine Diskussion 90.000 Elternteile, Großeltern, Nachbarn, Geschwister und über Schwerpunkte kirchlicher Arbeit. Die Aufgaben schlagen Freunde einen Raum kirchlichen Handelns. Die Kitas stehen die Brücke vom Auftrag der Bibel zu den Bedürfnissen der allen Kindern offen. Hier begegnen sich Menschen mit unter- Menschen. Sie fragen nicht in erster Linie nach dem Erhalt schiedlichen kulturellen, sozialen und religiösen Prägungen. bisheriger kirchlicher Arbeitsformen, sondern öffnen den Blick Ein gute Chance religionssensibel einen „einfachen“ Zugang 8 Durchblick 2018
zur Liebe Gottes zu ermöglichen. Familien mit jungen Kindern Leben aber auch Angst und Sorge vor der Unplanbarkeit, kommen vor allem als Suchende und Fragende. Eine Kirchen- vor Verantwortung und Ausgeliefertsein bringen für viele gemeinde ist für viele ein ungewohntes Parkett. Gemeind- Menschen existenzielle Fragen. Die Anmelde- und Aufnah- liche Angebote gewinnen aber an Bedeutung, da in dieser mesituation in der Krippe oder Kindergarten ist oft die erste Lebensphase der Wohnort wichtig wird. Mit der Geburt eines Gelegenheit, wo Mütter und/oder Väter dies zur Sprache Kindes engen sich die ehemals weiten Kontakträume ein. Ein bringen. Es folgen Fragen wie sowohl Partnerschaft als auch lokaler Bezug wie die Kita mit ihrer Kirchengemeinde und die Familienleben gestaltet werden können, die Vereinbarkeit begrenzte Mobilität junger Familien ergänzen sich plötzlich. von Familie und Beruf, Entwicklungsfragen des Kindes und Eine familienfreundliche Gemeinde kann zum Lebensraum für in allen Bereichen neben vielen Gelingensfaktoren immer Familien werden und wichtige Beiträge leisten, damit Fami- wieder Scheiternserfahrungen. Den Leitungs- und Fachkräf- lien am Ort gut leben können. Einladend gestaltete Kitas, ten in der Kita kommt damit eine sehr hohe Bedeutung zu. hörende und wertschätzende Kontaktpersonen (Erzieher*in- Sie sind zunächst die Kontakt- und Vertrauenspersonen. nen, Pfarrer*innen, …) sowie engagiertes Eintreten von Kirche und Diakonie für eine gute Kinder- und Familienpolitik vor Ort, Neben den notwendigen hohen fachlichen und persönlichen schaffen für Familien mit kleinen Kindern in einer besonders Kompetenzen sowie zeitlichen Ressourcen sind Leitungen sensiblen Lebensphase Vertrauen und eine gute Basis die gut vernetzt mit den Pfarrer*innen und anderen kirchlich Liebe Gottes zu spüren. diakonischen Mitarbeitenden vor Ort und können so Familien gut unterstützen und ggf. an weitere Angebote verweisen. An welchen Orten werden bei Ihnen die Menschen Dies kann das besondere Profil einer evangelischen Einrich- erreicht? Wie können Sie die Orte an den Grenzen von tung ausmachen. kirchlichem und gesellschaftlichem Leben gestalten? Wie werden Eltern mit kleinen Kindern in der beson- Lebensfragen klären und Lebensphasen ders sensiblen Lebensphase begleitet? Wo finden seelsorgerlich begleiten Lebensfragen von Eltern und Kindern einen Raum? Mit der Geburt eines Kindes werden Eltern vor tiefgreifende Werden Angebote von Kirchengemeinde, Diakonie Lebensfragen gestellt. Die Geburt an sich ist oft ein einschnei- und Kita als gemeinsame Angebote wahrgenommen dendes Erlebnis: Große Freude und Staunen über das neue bzw. wie kann das verbessert werden? Quelle: Prof. Christian Stegbauer/ Gemeindepädagogisches Symposium 2017 Durchblick 2018 9
unterschiedlichen Prägungen stellen aus ihrem Erfahrungs- hintergrund heraus Fragen nach Gott, ihrer Welt sowie dem Diskussionen Sinn des Lebens und erproben Antwortversuche. Dazu und Tendenzen brauchen sie die Begegnung mit Menschen, die bereit sind von ihren Glaubensüberzeugungen zu sprechen und ihnen ermöglichen, religiöse Traditionen kennenzulernen. Wenn Kinder Fragen zu Gott und der Welt ins Spiel brin- gen, bereichert es auch das Nachdenken der Erwachsenen Not von Menschen sichtbar machen und über Glaubensfragen und Verkündigung. Kinder können Notleidenden helfen Hauptamtliche und Kirchengemeindeglieder in einer guten Kitas sind in der Regel Orte, in denen Kinder und Familien Weise verunsichern und anregen. mit sehr unterschiedlicher sozialer Herkunft zusammen kommen. Kinderarmut ist auch im reichen Bayern ein großes Wie kommen die „Kinder Theolog*innen“ in ihrer Ge- Thema. Darüber hinaus leiden Kinder neben der finanziellen meinde zu Wort? Welche Weiterbildungen, Gespräche Armut auch an Beziehungsarmut. Ein armutssensibler Blick und Unterstützungsleistungen stellen Trägerverant- der Fachkräfte, eine Vertrauensbasis zu den Familien und wortliche ihren pädagogischen Fachkräften zur Verfü- eine gute Vernetzung mit Beratungsstellen und weiteren gung? Wird das Kita-Team spirituell begleitet? Unterstützungsleistungen sollte eine frühzeitige passende Hilfeleistung möglich machen. Kinder und pädagogische Christliche und soziale Bildung ermöglichen Mitarbeitende gestalten miteinander den Kita-Alltag. Diakoni- Glaube und Bildung gehören zusammen. Das haben Martin sches Handeln und religiöse Bildung sind im Alltag mitein- Luther, Philipp Melanchthon und andere Reformatoren zu ander verbunden. Wenn eine Kita sich zum Familienzentrum Recht unterstrichen. Heute gilt das in besonderer Weise, wie weiterentwickelt, kann sie eine zentrale Anlaufstelle werden, es auch im 2016 einstimmig beschlossenen Bildungskonzept die Familien Kontakt- und Lebensraum für alle bietet und der elkb „Horizonte weiten – Bildungslandschaften gestal- auch in Notlagen weiterhilft. Auch bei der Integration von ten“ beschrieben wird. Dabei versteht sich Bildung nicht von Familien mit Fluchthintergrund ist es in den vergangenen selbst. Sie muss sich im Spannungsfeld von religiösem und Jahren oft hervorragend gelungen, dass ehrenamtliche Hel- gesellschaftlichem Wandel immer wieder neu ausrichten. Die ferkreise der Gemeinde, die Beratungsstellen der Diakonie Arbeit mit dem Bildungskonzept in Kitas und bei Trägerkon- und die evangelische KITA vorbildlich zusammenwirkten – ferenzen zeigt im vergangenen Jahr die Vehemenz mit der zum Wohle der hilfesuchenden Menschen und zugunsten gesellschaftliche Veränderungen in der Kita aufschlagen und einer hohen (Berufs-) Zufriedenheit und Verbundenheit von wie umsichtig diese Herausforderungen bearbeitet werden. Ehren- und Hauptamtlichen und einer neuen Zusammenge- Kitas sind längst interkulturelle und interreligiöse Lernorte, in hörigkeit von Kirche und Diakonie. denen häufig auch generationenübergreifendes Lernen statt- findet. Sie sind in der Regel mit anderen Bildungsakteuren gut Wie sind Sie mit Beratungsangeboten und sozialen vernetzt. Aktuelle Studien zeigen, dass gute Kitas die Chan- Diensten im Sozialraum vernetzt? Wie können kirch- cen auch für benachteiligte Kinder erhöhen und prosoziales liche und diakonische Angebote als zusammenge- Verhalten nachweislich verbessern (Nubbek 2013, DIW 2017). hörend wahrgenommen werden? Wie kann der Blick Neben einem guten Anstellungsschlüssel sind vor allem die der Kirchengemeinde auf die Lebenssituationen von Art der Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung der Er- Kindern und Eltern in Ihrem Einzugsgebiet geweitet wachsenen mit den Kindern ausschlaggebend. Hier braucht und genutzt werden? Werden diese Kenntnisse in den es kontinuierliche Beratung der Fachkräfte (z.B. durch PQB Angeboten der Kirchengemeinde sichtbar? Wie kön- und/oder Supervision). Denn gerade Kinder und Eltern, die nen positive gemeinsame Schaffenszeiten, wie bei der uns immer wieder an die Grenzen bringen, brauchen positive, Flüchtlingskrise 2015, auch in weniger dramatischen wertschätzende Beziehungsangebote. Zeiten entstehen ? Wie reflektieren Sie Ihre Beziehungen zu Kindern und Christus verkündigen Eltern? Welche Unterstützung bekommen Sie bzw. und geistliche Gemeinschaft leben gönnen Sie sich für diese herausfordernde Aufgabe? Das Erzählen zentraler biblischer Geschichten, das tägli- Wie können Eltern/Angehörige auch in Fragen der che Singen christlicher Lieder, das Innehalten und zur Ruhe religiösen Bildung unterstützt werden bzw. in das kommen beim Anzünden einer Kerze sowie gemeinsames Angebot der Kita eingebunden werden? Essen gehören zu den regelmäßigen meist täglichen Ritua- len einer Kita genauso wie besonders gestaltete Festmahle Nachhaltig und gerecht haushalten und Familiengottesdienste, Tauf-, Willkommens- und Verab- Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sind zwei Begriffe mit sehr schiedungsgottesdienste. In der Religionspädagogik werden vielen unterschiedlichen Facetten. Nachhaltigkeit hat nicht nur Kinder als Theolog*innen ernst genommen. Kinder mit ihren eine ökologische sondern auch eine wirtschaftliche und eine 10 Durchblick 2018
soziale Dimension. Gerechtigkeit kann sozial, juristisch oder sen Sie uns auch lokal vernetzt denken. Gestalten wir die theologisch gedeutet werden. evangelische Kita-Arbeit so, dass sie eine gute Investition in die Zukunft ist – in die Zukunft der Kinder und die Zukunft der Kitas sind Orte, in denen Kinder verantwortliches Handeln Kirche. erleben. Kitas engagieren sich und fördern einen bewussten Umgang mit der Schöpfung. Sie beteiligen sich an Program- Welche Ressourcen stellt die Kirche für die Kita-Arbeit men wie z.B. dem „Grünen Gockel“ oder der „Eine-Welt-Kita“. zur Verfügung? Werden diese Ressourcen im Sinne Durch nachhaltiges Haushalten bietet eine Kita mehr Res- einer Investition in die Zukunft der Kinder und der Kir- sourcen, als sie bindet. Dass Bildung eine Investition in die che genutzt? Wird das gemeindliche Netzwerk genutzt Zukunft ist, ist unumstritten. Aber ist auch deutlich, dass eine oder wird durch ein „Säulen-Denken“ eine nachhaltige Kita eine Investition in die Zukunft der Gemeinde ist? Hier Wirkung der Kita-Arbeit als Teil des Gemeindeaufbaus bieten sich beste Möglichkeiten, Gemeinden als Gemein- eingeschränkt? Welche Möglichkeiten gibt es, mit Hilfe schaft aller Generationen – Kinder, Eltern und Großeltern – zu der Kita-Arbeit die Gemeinde als Gemeinschaft aller erleben. Generationen erlebbar zu machen? K In den 1.538 Kirchengemeinden der Evangelisch-Lutheri- schen Kirche in Bayern gibt es 880 Kindertageseinrichtungen. Dazu kommen weitere 420 Kitas in diakonischer Trägerschaft, die oftmals in enger Kooperation mit Kirchengemeinden be- Christiane Münderlein/Dirk Rumpff trieben werden. Damit kommt diesem kirchlichen und diako- Christiane Münderlein ist Vorständin Bildung und Soziales beim Evangelischen KITA-Verband Bayern, nischen Arbeitsfeld eine große Verantwortung für nachhaltiges Dirk Rumpff ist Vorstand Recht und Finanzen beim und gerechtes Haushalten zu. Evangelischen KITA-Verband Bayern. Nachhaltiges und gerechtes Haushalten erfordert vernetztes Denken. Dabei denken wir sehr schnell global. Aber las- Wie sollte die „Kirche der Zukunft“ aussehen und was können Kitas dazu beitragen? „Begegnungsräume schaffen! Die Kirche der Zukunft ist für mich in den Kindertagesstätten eine junge Kirche, die die Bedürfnisse der Menschen wahrnimmt und sie bei der Identitäts- und Rollenfindung unter- stützt. Es gibt offene Räume für Begegnung, dies bezieht sich auch auf Kommunikations- räume und Vernetzungsmöglichkeiten. Wir bieten die Möglichkeit als evangelische Kindertagesstätten, dass Menschen sich begegnen, kennen lernen kön- nen und auch Fragen zu verschiedenen Themen wie Erziehung, ethischen Fragestellungen, Religiosität, stellen dürfen - egal ob Eltern oder Kinder. Die Kindertagesstätten sind ein Ort, an dem alle Familien präsent sind und von dem aus auch Kontakte zu anderen Familien entstehen. Durch das Vorleben von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermittelt die Kindertagesstätte christliche Werte, wie Weltoffenheit, Toleranz, Wohlwollen allen Geschöpfen gegenüber, Transparenz und Vernetzung. Diese Werte werden als kirchliche Werte und somit als Beitrag zu einer Kirche der Zukunft erkannt und unterstützen diese. Kindertagesstätten sind das Bindeglied zwischen Gesellschaft und Kirchen, sie haben eine Leuchtturmfunktion auch für Eltern, die evtl. wenig Bezug zur Kirche haben oder die gerade weil sie einen Bezug zur Kirche haben wollen einen kirchlichen Kindergarten wählen.“ Indra Baier-Müller, Geschäftsführender Vorstand des Diakonischen Werkes Kempten, Mitglied im Verbandsrat Durchblick 2018 11
Schwerpunkt Prof. Dr. Gerald Hüther Den eigenen Kompass finden Würde als Grundlage des Zusammenlebens Ob wir es vor uns selbst oder vor anderen zuzu- gion sprach, meinte das Christentum. Geistliche und weltliche geben bereit sind oder nicht: Wir Menschen sind Herrscher bestimmten, was erlaubt und was verboten war. keine Einzelkämpfer. Als Einzelne könnten wir Das Zusammenleben der Menschen war bestimmt von histo- noch nicht einmal überleben, geschweige denn risch gewachsenen sozialen Ordnungen. Und die hielten die uns weiterentwickeln. Wir sind soziale Wesen meisten für gottgegeben und damit unveränderbar. Für freie und deshalb brauchen wir eine verlässliche Geister wie diesen Dr. Faustus, war eine solche Welt schon Gemeinschaft mit anderen Menschen, um die damals viel zu eng. Er wollte wissen, was sie im Innersten in uns angelegten Potentiale zu entfalten. Weil zusammenhält. Deshalb hatte er ja diesen fatalen Pakt mit unser menschliches Gehirn aber so stark durch dem Teufel geschlossen. die jeweiligen individuellen Erfahrungen geprägt wird, die jede und jeder von uns im Leben macht, Grundlagen des Zusammenlebens ist jeder Mensch einzigartig. Wir sind also alle Heute leben wir in einer von dieser geistigen Enge befreiten, ganz unterschiedlich. Haben verschiedene Auf- globalisierten, digitalisierten und rund um den Globus ver- fassungen, vertreten verschiedene Ansichten, netzten Welt. So steht es jedenfalls in den Zeitungen. „Fack ju verfolgen unterschiedliche Interessen und Ziele. Göhte“ ist zu einem der erfolgreichsten Kinofilme der letzten Deshalb brauchen wir etwas, das uns trotz dieser Jahre geworden. Er zeigt aber nicht nur, wie es in unseren Diversität hilft, unser Zusammenleben nicht nur Schulen zugeht, denn die sind ja immer nur ein Abbild der einigermaßen erträglich, sondern auch fruchtbar jeweiligen Beschaffenheit und des inneren Zusammenhalts zu machen. Von Regierungen verabschiedete und einer Gesellschaft. verfassungsrechtlich begründete Gesetze, ethische Wertvorstellungen, moralische Grundsätze, reli- Wie viele Menschen können mit der Gretchenfrage heute giöse Überzeugungen – was ist dafür auch noch überhaupt noch etwas anfangen? Manche verstehen nicht in einer digital vernetzten und globalisierten Welt genug Deutsch. Manche wissen nicht, was mit dem gemeint geeignet? ist, was sie dazu auf Wikipedia finden. Manche fragen auch berechtigterweise zurück, welche Religion denn hier von „Wie hältst Du es mit der Religion?“ hatte Goethe in seinem diesem Gretchen gemeint sei. Was den besessenen Faust Faust das mit dem Herzen sehende Gretchen ihren von damals noch etwas irritiert hatte, stößt heute bei den meis- Mephisto verführten Geliebten fragen lassen. Damals war das ten Menschen auf schulterzuckendes Unverständnis. Sogar Leben um Weimar herum noch überschaubar. Wer von Reli- Christen tun sich schwer mit einer klaren Antwort. Die Welt 12 Durchblick 2018
ist für so eine einfache Frage ganz besondere Leistungen auf der Stufenleiter dieser Hierarchien offenbar zu kompliziert geworden. etwas weiter nach oben aufzusteigen. Sie erzeugen etwas, sie entdecken etwas, sie erfinden etwas – kurz: Sie bringen Der Dalai Lama hat deshalb unlängst ständig etwas Neues in die Welt, neues Wissen, Entdeck vorgeschlagen, der Ethik einen ungen, Erfindungen und innovative Technologien. Diesem höheren Stellenwert einzuräumen Umstand verdanken wir all das, was wir heute als wissen- als der Religion. Dahinter verbirgt schaftlich-technische Entwicklungen begrüßen, als ökonomi- sich die Hoffnung, eine über alle sche und soziale Errungenschaften feiern, auch das, was wir Religionen hinausreichende und in als ständige Erweiterung unserer Möglichkeiten erleben und allen Religionen enthaltene ethische was viele für einen Gewinn an Freiheit halten. Dimension zur Grundlage unseres künftigen menschlichen Zusammen- Wachsende Verunsicherung lebens machen zu können. Manche Zwangsläufig wird aber durch all diese Leistungen und Fort- versuchen es auch mit moralischen schritte die Lebenswelt der Menschen zunehmend komple- Apellen. xer – bis schließlich ihr Zusammenleben durch die bis dahin Aber sind ethische oder auch gut funktionierenden hierarchischen Ordnungen nicht mehr moralische Maßstäbe hierfür wirklich steuerbar ist. Denn jede dieser Erfindungen, Entdeckungen geeignet? Wird nicht das, was die oder neu entwickelten Produkte breitet sich ja sehr schnell Menschen in dem einen Kulturkreis in der Gesellschaft aus. Zwangsläufig wird dadurch aber als ethisch korrekt und moralisch die Lebenswelt der Menschen auch zunehmend komplexer. rechtens betrachten, in einem Inzwischen ist absehbar – und wird in manchen Bereichen anderen Kulturkreis ganz anders auch schon recht offensichtlich –, dass unser Zusammenle- bewertet? Ethische und moralische ben in dieser so entstandenen hochkomplexen Welt durch Vorstellungen waren schon immer hierarchische Ordnungen nicht mehr steuerbar ist. Deshalb von dem bestimmt, was die Mehrzahl der Mitglieder einer beginnen sich diese hierarchischen Ordnungen in unserer Gemeinschaft für richtig und notwendig hielt. Und das war gegenwärtigen vernetzten, globalisierten und digitalisierten niemals überall gleich und hat sich auch bei uns immer wieder Welt nicht nur in Familien und Kommunen, auch in Unterneh- verändert. Die Nazis hatten auch eine Moral und eine Ethik, men und Organisationen zunehmend spürbarer aufzulösen. aber das war eine andere als jene, die wir heute für geeignet Scheinbar gewinnen die Menschen dadurch mehr Freiheit halten. Und die ethischen und moralischen Werte, die von und es eröffnen sich ihnen bisher ungeahnte neue Möglich- den Anhängern des gegenwärtigen US-amerikanischen Prä- keiten. Aber unser Zusammenleben ist dadurch nicht leichter sidenten vertreten werden, möchten die meisten hier bei uns geworden. Im Gegenteil. Die Verunsicherung wächst und die wohl kaum zur Grundlage ihres Handelns machen. soziale Ordnung wird zunehmend instabiler. Als Einzelne oder eingebunden in Gruppen von Gleichgesinnten versucht eine Traditionelle hierarchische Ordnungen wachsende Zahl von Menschen, ihre jeweiligen Interessen Aber als soziale Wesen brauchen wir Menschen irgendetwas, möglichst erfolgreich auf Kosten anderer durchzusetzen. das uns hilft, unser Zusammenleben in geordnete Bahnen zu lenken und fruchtbar zu machen. Interessanterweise haben Deshalb gibt es jetzt so viele verunsicherte Bürger, die sich die über Jahrtausende hinweg entwickelten, sehr klar defi- eine Wiederherstellung der alten, verloren gegangenen nierten und so gut wie möglich abgesicherten hierarchischen hierarchischen Ordnung wünschen. Oder die nach strengerer Ordnungen genau das geleistet. Sie erwiesen sich als sehr Einhaltung der innerhalb dieser Ordnung geschaffenen –und geeignet, um das Zusammenleben von Menschen zu steuern diese Ordnung bisher gewährleistenden – gesetzlichen Rege- und sind deshalb in alle gesellschaftlichen Bereiche vorge- lungen rufen. Oder nach mehr Moral und Ethik in Politik und drungen. In Familien, Unternehmen, im Militär sowieso. Sogar Wirtschaft. Aber hierarchische Ordnungsstrukturen können ja die Kirchen sind hierarchisch organisiert. Ohne solche hierar- nur dann wieder funktionieren, wenn wir unsere Welt wieder chischen Ordnungsstrukturen hätten unsere Vorfahren weder so einfach und überschaubar machen, wie sie einmal war. einen Krieg führen noch ihr Hab und Gut schützen können. Herbeiführen lässt sich das beispielsweise durch einen mög- Entstanden sind sie sehr wahrscheinlich mit der Sesshaftwer- lichst zerstörerischen Krieg. dung, also vor etwa zehntausend Jahren. Der eigenen Würde bewusst werden Die hierarchische Strukturierung einer Gesellschaft gewähr- Wenn wir diesen Weg der Selbstzerstörung vermeiden wollen, leistet aber nicht nur ein einigermaßen geordnetes Zusam- bleibt uns nur die Möglichkeit, uns gegenseitig dabei zu helfen, menleben ihrer Mitglieder. Sie hat auch einen interessanten uns dessen bewusst zu werden, was unser eigentliches Nebeneffekt: In allen Hierarchien strengen sich die auf den Menschsein ausmacht. Wir müssten einander also ermuti- unteren Etagen gelandeten Menschen mit den ihnen zur gen, in uns selbst so etwas wie einen inneren Kompass zu Verfügung stehenden Fähigkeiten enorm an, um durch entwickeln, der uns Orientierung für die Gestaltung eines Durchblick 2018 13
endlich Einhalt zu bieten? Lautet nicht daher die entschei- dende Frage, die wir uns künftig gegenseitig stellen müssten: „Wie halten Sie es mit Ihrer Würde? Ist das, was Sie tagtäglich Schwerpunkt tun und wie Sie Ihr Zusammenleben mit anderen Menschen gestalten, mit Ihrer eigenen Würde vereinbar?“ Meine persönliche Antwort lautet: „Ich versuche es und ich werde es jeden Tag weiter versuchen, auch wenn es mir nicht menschenwürdigen Zusammenlebens bietet. So bleibt uns – noch nicht – immer gelingt.“ Ganz allein und inmitten all der auf der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe, auf der wir in- Würdelosigkeiten, die unser Zusammenleben in so vielen Be- zwischen angekommen sind, nun wohl nichts anderes übrig, reichen bestimmen, ist das nicht so leicht. Deshalb haben wir als zu der Einsicht zu kommen, dass es bei der Gestaltung im Rahmen der Akademie für Potentialentfaltung eine Initiative unseres Lebens und unseres Zusammenlebens mit anderen gestartet, die den Aufbau von „Würdekompass-Gruppen in Menschen, auch mit allen anderen Lebewesen auf diesem möglichst vielen Städten und Gemeinden unterstützt und alle Planeten, nur um eines gehen kann: um die Wahrung un- Bürger einlädt, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, um serer eigenen Würde. Denn wer sich seiner eigenen Würde unser Leben und unser Zusammenleben endlich würdevoller bewusst geworden ist, kann die Würde anderer nicht mehr zu gestalten als bisher. K verletzen. So jemand stellt sich anderen nicht mehr als Ob- jekt für die Verfolgung von deren Interessen zur Verfügung. Solche Menschen sind auch nicht mehr verführbar. Und sie machen auch keinen anderen zum Objekt ihrer Interessen Prof. Dr. Gerald Hüther und Absichten, ihrer Erwartungen und Bewertungen, ihrer geboren 1951, hat am Max-Planck-Institut und der Belehrungen und Maßnahmen. Das wäre unter ihrer Würde. Universität Göttingen als Prof. für Neurobiologe ge- Wie hilfreich sind also angesichts dieser von uns zu gestal- forscht. Er ist ein sehr bekannter Autor populärwis- tenden Zukunft all die bisher gestellten alten Fragen? Haben senschaftlicher Bücher, darunter mehrere Bestseller, zuletzt „Die Demenzfalle“ und „Würde. Was uns stark macht, als uns die endlosen Debatten darüber, was für moralische und Einzelne und als Gesellschaft“. ethische Maßstäbe, welche Religion oder welche gesetzli- Er ist Gründer und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung chen Regelungen wir brauchen, in irgendeiner Weise dabei (www.akademiefuerpotentialentfaltung.org) und Initiator der Initiative geholfen, Hunger und Krieg, den daraus erwachsenden Würdekompass (www.wuerdekompass.de). Flüchtlingsströmen, dem Klimawandel oder dem Artensterben Wie sollte die „Kirche der Zukunft“ aussehen und was können Kitas dazu beitragen? „In vielen Familien ist der Abriss der religiösen Tradition zu beobachten. Die Oma, die biblische Geschichten erzählt, ist selten geworden oder wohnt so weit weg, dass die Begegnungen an Nähe verlieren. Im Gegensatz zum Religionsunterricht in der Schule ist die Kindertagesstät- te ein Begegnungsraum, wo nicht nur die Schüler und Schülerinnen, sondern oft die ganze Familie kirchlichen Mitarbeitern und religiösen Themen und Überlieferungen begegnen und wo diese gelebt werden. Wenn man bei den anstehenden Strukturdiskussionen und Konzentra- tionsprozessen wirklich auf das Ziel hin arbeitet, dass alle Menschen (eben auch die jungen Familien) mit ihren heutigen Lebensfragen einen einfachen Zugang zur menschgewordenen Liebe Gottes finden (vgl. Leitsatz des PUK-Prozesses), ist die kirchliche Kindertagesstätte in gemeindlicher oder diakonischer Trägerschaft vor Ort meines Erachtens ein unersetzbarer Bestandteil zukunftsorientierter Gemeindearbeit.“ Pfarrer Axel Bertholdt, Neunkirchen am Brand, Mitglied im Verbandsrat 14 Durchblick 2018
Interview mit Glücksforscherin Maike van den Boom Kernkompetenz: Neugierde und Patzen! Warum Deutsche Veränderungen nicht so gerne mögen evKITA: Unsere Gesellschaft verändert sich - vielleicht haben uns schon immer „gekloppt“, schon seit dem 30-jäh- immer schneller. Alle sprechen von Digitalisierung, rigen Krieg. Es war ja irgendwie nie „Ruhe im Kasten“. Immer Veränderungen in der Arbeitswelt, bedingungslosem hat irgendwer irgendjemanden bekriegt und immer in neuen Grundeinkommen, neuen Familienmodellen. Das macht Konstellationen. Es war nie so, dass man sagen konnte: aber vielen Menschen „Ich wohne hier gut und scheinbar Angst und es sicher“, ne? gibt viele Widerstände. Und dann hatten wir Und deshalb möchte natürlich die zwei Welt- ich Sie fragen, warum kriege und die haben wir Deutsche Verände- auch für große Traumata rungen im Allgemeinen gesorgt, um die sich so negativ empfinden? weiter niemand so recht Was hat das für einen gekümmert hat – vor kulturellen Hintergrund? allen Dingen auch bei den Kriegskindern nicht, die M.v.d.B.: Es gibt ja ver- unsere Generation ja dann schiedene Leute, die sich erzogen haben. mit dieser Frage beschäfti- Und was ganz typisch ist gen. Es gibt den Professor bei einem Trauma ist, dass Geert Hofstede, der ja in die Menschen misstrauisch seiner Forschung Kultur- sind. Und was auch ty- dimensionen in Unterneh- pisch ist: Traumata werden men erschlossen hat. Und von Generation zu Genera- da gibt es eine Dimension, tion weitergegeben. die ich interessant finde, Das heißt diese Angst, die das Maß an Unsicherheits- wir haben, die versuchen vermeidung, also wie man wir natürlich zu kontrollie- mit unerwarteten Situatio- ren. Deshalb sind wir auch nen umgeht. Unsicherheit so unglaublich perfekt in können wir nicht gut ab in Germany. Und das hat ja Deutschland. Wir mögen auch seine Vorteile, nur es überhaupt nicht wenn glücklich macht es nicht. wir nicht wissen, was passiert. evKITA: Sie schreiben Wenn man jetzt nach ja, die Mexikaner seien Skandinavien guckt zum glücklicher als die Deut- Beispiel, dann finden die schen, aber dort hat es Unerwartetes total geil. doch auch immer viel Wenn man das hingegen Unsicherheit und Un- nicht mag, dann mag man wägbarkeiten gegeben? die Zukunft auch nicht so gern. Denn die Zukunft kann man per Definition nicht vor- M.v.d.B.: Ja das stimmt. Aber es ist etwas anderes wenn aussagen. Zukunft ist irgendwie immer unsicher, heutzutage man der Regierung nicht vertrauen kann. Die Mexikaner ha- natürlich mehr denn je. ben ja starke Familienbande, die ihnen helfen. Und sie haben Es gibt natürlich Erklärungsansätze, warum das so ist. Da ist natürlich einen unglaublichen Humor und eine Lebenslust. einmal die „German Angst“, die so bekannt ist. Wir hadern in Die Mexikaner erzählen zum Teil sehr krass: „Also heute hören der Tat gerne und schauen uns die Sache erstmal genau an. wir, dass 100 Leute gestorben sind und morgen stehen wir Eine Erklärung – und das habe ich ja auch in meinem ersten wieder mit dem gleichen Elan und der gleichen Lebenslust Buch geschrieben – könnte sein, dass wir ein sehr niedriges auf, um wieder was aus dem Tag zu machen.“ Bei uns fällt Vertrauensniveau haben: In andere Menschen, in die Zu- das dann oft unter die Kategorie „naiv“. Aber Naivität ist eine kunft,.... Das ist natürlich geschichtlich zu erklären, denn wir ganz schöne Sache. Durchblick 2018 15
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