Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 73.Jahr Heft7/8 Juli/Aug.2020 - HLZ-Lesesommer
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 73. Jahr Heft 7/8 Juli/Aug.2020 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA: HLZ-Lesesommer
HLZ HLZ 7–8/2020 2 Zeitschrift der GEW Hessen Auswirkungen der für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 HLZ I M P R E S S U M Corona-Pandemie Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen Zimmerweg 12 Das Schuljahr endete mit einem weiteren Paukenschlag: Die Landes- 60325 Frankfurt/Main Telefon (0 69) 971 2930 regierung hob die Abstandsregeln in den Grundschulen auf, damit Fax (0 69) 97 12 93 93 dort an den letzten zehn Tagen vor den Sommerferien „Unterricht E-Mail: info@gew-hessen.de Homepage: www.gew-hessen.de nach Plan“ stattfinden kann (HLZ S.5). Über die Folgen des infek- Verantwortlicher Redakteur: tiologischen Feldversuchs können wir in dieser HLZ nicht berichten: Harald Freiling Klingenberger Str. 13 Die vorliegende Ausgabe ging am 18. Juni in Druck. Trotz fehlen- 60599 Frankfurt am Main der Tagesaktualität kommen wir an Corona nicht vorbei: Wir infor- Telefon (0 69) 636269 E-Mail: freiling.hlz@t-online.de mieren über die Arbeit der GEW (S. 6), die Arbeitszeit der Lehrkräfte Mitarbeit: (S. 8), den DigitalPakt (S. 22-24) und die Änderung des Schulgeset- Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch- zes (S. 35). Klaus Philipp hofft, dass sich die Welt nach Corona stär- schule), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestim- mung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette ker am Gemeinwohl orientiert (S. 30). Für alle aktuellen Informati- Loycke (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung), Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik onen verweisen wir auf unsere Homepage www.gew-hessen.de. und Gewerkschaften) Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † Sommerferien in der Landesgeschäftsstelle der GEW Titelthema: Harald Freiling Die Landesgeschäftsstelle der GEW nicht besetzt. In fristgebundenen oder Illustrationen: Dieter Tonn (Titel), Ruth Ullenboom (S. 4) Hessen ist in der Mitte der hessischen dringenden Fällen wenden Sie sich als Sommerferien von Montag, dem 20. GEW-Mitglied bitte direkt an die Bü- Fotos, soweit nicht angegeben: Bert Butzke (S. 29), GEW (S. 3, 7, 20), privat (S. 9-19, Juli, bis Freitag, dem 31. Juli 2020, ge- ros der DGB Rechtsschutz GmbH. Die 27, 33, 37) schlossen. In dieser Zeit können auch Adressen der Büros finden Sie unter Verlag: keine E-Mails bearbeitet werden. Auch www.gew-hessen.de/recht/dgb-rechts- Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH die Landesrechtsstelle ist in dieser Zeit schutz-gmbh. Niederstedter Weg 5 61348 Bad Homburg HLZ-Lesesommer: Was GEW-Mitglieder lesen und empfehlen Anzeigenverwaltung: Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Die letzten Monate haben allen Men- de deshalb wünscht die HLZ-Redakti- Peter Vollrath-Kühne Postfach 19 44 schen in allen Berufen, Kindern, Er- on allen Leserinnen und Lesern der HLZ 61289 Bad Homburg wachsenen und alten Menschen, schöne und erholsame Sommertage mit Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 Schülerinnen, Schülern, Eltern und der Möglichkeit, die Akkus wieder zu E-Mail: mlverlag@wsth.de Pädagoginnen und Pädagogen, Stu- laden, auch wenn der übliche Urlaub Erfüllungsort und Gerichtsstand: dierenden und Beschäftigten an den kaum stattfinden kann. Die Lesetipps in Bad Homburg Hochschulen und in der Bildungsver- dieser HLZ, was GEW-Mitglieder lesen Bezugspreis: waltung viel abverlangt. Eine zweite und empfehlen, halten hoffentlich für Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten Welle ist nicht ausgeschlossen und auch jede/n etwas bereit. Diese und weitere sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag die Perspektiven für das neue Schuljahr Lesetipps findet man auch unter www. enthalten. sind noch unklar. Trotzdem oder gera- gew-hessen.de > HLZ-Lesesommer. Zuschriften: Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder Aus dem Inhalt Rubriken Einzelbeiträge wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen 4 Spot(t)light 5 Landesregierung macht Grund- vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen 35 Recht: Befristete Änderungen im schüler zu Versuchskaninchen nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen. Hessischen Schulgesetz 6 Corona: Was macht die GEW? 36 Jubilarinnen und Jubilare | Recht Der Blog aus dem Zimmerweg 37 Nachrufe 20 Danke, Ulrich Märtin, für 35 Jahre Redaktionsschluss: 38 Briefe bei der GEW Hessen Jeweils am 5. des Vormonats 9-19 Titelthema: HLZ-Lesesommer 22 GEW zur Digitalisierung der Schule 25 Abordnungen an Grundschulen Auf den Seiten 9 bis 19 veröffentlichen 26 Der Anfangsunterricht: Wie geht Nachdruck: wir Lesetipps von GEW-Mitgliedern für Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- Schule ohne Lesen und Schreiben? gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- die Leserinnen und Leser der HLZ. Wei- 28 Diversität im Rainbow-Club genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher tere Empfehlungen unter www.gew- 30 Gemeinwohlorientierung: Genehmigung der Redaktion und des Verlages. hessen.de > HLZ-Lesesommer Herausforderungen nach Corona? Druck: Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH 40 lea-Fortbildungsprogramm 32 Mit lea nach Namibia Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 7–8/2020 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Seife allein reicht nicht! Die ohne jede demokratische Beteiligung getroffene les wieder so sein wie vorher. Dabei könnte man aus Entscheidung des Kultusministers, dass die Grund- der Krise Lehren für ein inklusives, zukunftsfähiges schulen an den letzten zehn Unterrichtstagen (!) vor Bildungswesen ziehen. Deshalb fordert die GEW Hes- den Sommerferien zum Regelunterricht zurückkeh- sen eine Diskussion über bessere Pädagogik, mehr ren mussten und alle zuvor geltenden Abstandsre- Chancengleichheit, gute Arbeit in Schulen und Ki- geln aufgehoben wurden, war ein schwerer Schlag tas und eine wirkliche Reform des Bildungswesens. für die Glaubwürdigkeit des Ministers und das Ver- Zwangsabordnungen an Grundschulen sind bestimmt trauen in seine Verlässlichkeit. Darüber wird in die- der falsche Weg (HLZ S.25). ser HLZ ausführlich berichtet, auch über die Protes- Kolleginnen und Kollegen, die von einem auf te der GEW und der Kolleginnen und Kollegen, die den anderen Tag Fernunterricht organisieren soll- sich dagegen wehrten, dass sie als Versuchsperso- ten, mussten die Mängel bei der digitalen Ausstat- nen herhalten sollen, „wie man ein reguläres Unter- tung der Schulen und in vielen Familien ausbaden. richtsangebot ohne Abstandsregeln auch im neuen Sie packten Lernpakete für Schülerinnen und Schü- Schuljahr dauerhaft organisieren kann“. ler und brachten sie zu Hause vorbei, organisierten Alle Landesregierungen wollen „so bald wie mög- Lernpartnerschaften und standen digital oder telefo- lich“ zum Regelunterricht zurück. Wer will da wider- nisch zur Verfügung. Auch die Erzieherinnen und Er- sprechen? Was nach den Sommerferien möglich ist, zieher in den Kitas hielten neben dem Einsatz in der darüber entscheidet jedoch nicht die Landesregierung, Notbetreuung Kontakt zu den Familien und machten sondern das Pandemiegeschehen. Deshalb brauchen Vorschläge für die Bewältigung des Alltags. Jetzt ist wir keine einsamen Entscheidungen in Corona-Ka- die Politik gefordert, bessere Rahmenbedingungen für binetten, sondern eine gemeinsame Anstrengung für ihre Arbeit und für gute Bildung zu schaffen. das neue Schuljahr mit alternativen Plänen, auch Deshalb bleiben unsere Forderungen auf der Ta- für den Fall einer zweiten Welle der Pandemie. Die- gesordnung: Wir kämpfen weiter für ein anständi- se Pläne müssen auch die Frage beantworten, ob der ges BAföG, gute Arbeit in Hochschule und Weiter- „Normalbetrieb“, wie er vor Corona bestand, wirk- bildung, mehr Geld für Erzieherinnen und Erzieher lich in allen Punkten „erstrebenswert“ ist. und Grundschullehrkräfte, Abbau des Investitions- Tatsächlich kann man unter den Bedingungen der staus, bessere digitale Ausstattung, mehr gemeinsa- Pandemie die Probleme des Bildungssystems wie im mes Lernen und Förderung der Benachteiligten! Brennglas betrachten, doch neu sind die Erkenntnis- Dieser Sommer wird ein anderer sein. Viele von se nicht. Das gilt für den Zusammenhang von Bil- uns werden ihn nicht wie sonst genießen können. Ei- dungserfolg und finanziellen Möglichkeiten der El- nige waren vorab gezwungen, ihren Jahresurlaub zu tern genauso wie für die hohe Arbeitsbelastung der nehmen, oder müssen jetzt in den Notdiensten ar- Pädagoginnen und Pädagogen in Kitas und Schulen beiten. Trotzdem hoffen wir, dass ihr die dringend oder für den baulichen und hygienischen Zustand der benötigte Erholung findet. Ihr habt es euch verdient! Bildungseinrichtungen. Gut, inzwischen gibt es auf fast jeder Schultoilette Seife, aber die Mängel wer- den bei einer Rückkehr zum „Normalbetrieb“ bleiben. Birgit Koch und Maike Wiedwald Für den hessischen Kultusminister ging es in den Landesvorsitzende der GEW Hessen letzten Wochen vor allem um die Prüfungen und den Übergang in das gegliederte Sekundarschulwesen. Auch die befristete Änderung schulrechtlicher Vorga- ben (HLZ S.35) zeigt, dass die schwarz-grüne Koali- tion keine strukturellen Veränderungen will. Bei der Notengebung, den schriftlichen Arbeiten, den Ver- setzungen, der Auslese nach der vierten Klasse und den zentralen Prüfungen soll nach der Pandemie al-
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 7–8/2020 4 Who the hell is Goethe? Multikulti-Gangs in Betonhochburgen. Schule muss Spaß machen und darf auf keinen Fall anstrengen. Beim letzten Klassentreffen gesteht eine Schülerin grinsend, dass sie in der Im Feuilleton schreibt ein Journalist Statt all dieser traumatisierenden Oberstufe kein einziges Buch gelesen von „traumatisierten Jugendlichen“. Si- Schinken empfiehlt der Kulturjournalist hat. Und auch in ihrer Freizeit nicht. cher meint er Kinder von drogenabhän- ein modernes Jugendstück: erste Liebe, Nicht mal ein wenig Fantasy, keinen gigen Eltern, von psychisch kranken erste Trennung, erstes Ritzen. Der Leh- blutrünstigen Thriller. All ihr Wissen oder gewalttätigen Eltern. Nein, viel rer muss die Jugendlichen nämlich dort stammt aus Wikipedia und von Schü- schlimmer: Die zarten Kinderseelen in abholen, wo sie sind. Und sie möglichst ler-Webseiten. Wozu mühsam etwas diesem Artikel wurden in der Schule in Ruhe lassen und nicht in unbekannte verdauen, wenn man es vorgekaut be- mit klassischen Dramen gequält. Schil- Gefilde verschleppen. Und sie mit Sprü- kommt und in der Klausur nur wieder lers „Räuber“ und Kleists „Zerbrochener chen verschonen wie: „Bücher sind flie- ausspucken muss? Zum Glück für die- Krug“. Und als der Lehrplan ein Jahr gende Teppiche ins Reich der Phanta- se praktisch denkende Schülerschaft su- später ein modernes Theaterstück vor- sie“ (James Daniel). Am besten füttert chen nicht alle Lehrer im Internet nach schreibt, behandelt die Lehrerin Dür- er sie im Deutschunterricht mit Dingen, der Quelle, wenn ihnen Klausuren spa- renmatts „Besuch der alten Dame“. Ein mit denen sie sich angeblich gut aus- nisch vorkommen. Stück aus dem Jahre 1956: Da stöhnt kennen: Mobbing im Klassenraum, Ge- Ist Lesen überhaupt noch wichtig? die Urgroßmutter hinterm Ofen: „Das walt auf dem Schulhof, Zensurendruck Mittlerweile ist Effi Briest zigmal ver- hatten wir damals auch schon. Ist das und Leistungsterror, Probleme mit El- filmt, man muss das langweilige Buch immer noch so langweilig?“ Finn-Levin tern und Lehrern. Und sollte die Lehr- gar nicht kennen. Computer können zitiert im Unterricht triumphierend die- kraft tatsächlich einmal klassische Lite- einem jeden beliebigen Text vorlesen, sen Ausspruch der Uroma. Die Deutsch- ratur unterrichten, dann wählt sie „Easy wozu also der Krampf mit dem Lesen- lehrerin denkt mal wieder resigniert an Reading“: Der junge Werther, auf ein lernen in der Grundschule? Einmal in den großen Aufklärer Lichtenberg: „Ein Zehntel zusammengestrichen und in der Woche kommt eine Lesepatin und Buch ist ein Spiegel. Wenn ein Affe hi- einfacher Sprache. Kein Wunder, dass übt mit Lena (9 Jahre). Das Kind stottert neinsieht, kann kein Apostel heraus- der spätere Deutsch-Leistungskurs auf- rum und lässt sich auch durch Kinder- gucken.“ stöhnt, als die Lehrerin mit einer lan- bücher und düstere Zukunftsprognosen gen Lektüreliste aufkreuzt. Das Stöhnen nicht zum Lesen motivieren. Den bun- setzt sich bei den jungen Germanisten ten Kasper aus dem Bilderbuch kennt an der Uni fort: „Was, das ganze Buch?“ sie bereits aus dem Spätfernsehen. Dort Der Journalist sinniert, warum es lockt er Kinder an und lässt sie für im- überhaupt noch einen tradierten Bil- mer in Abwasserkanälen verschwinden. dungskanon braucht. Wozu denn So spannend und gruselig ist keins der Goethes „Faust“? Wozu „Nathan der Bücher, die die Lesepatin anschleppt. Weise“? Sind nicht moderne Wenn man bei Google „Leseunlust be- Kompetenzen weitaus kämpfen“ eingibt, findet man Lese- wichtiger als „huma- Stiftungen, Lesenächte in Büchereien, nistische“ Bildungs- Wettbewerbe und Tipps, wie man vor relikte? Mittlerwei- allem Jungs zum Lesen verführt. Ero- le sind einige der tische Literatur und Sachtexte sollen empörten Germa- ganz hilfreich sein. Auf keinen Fall darf nistikstudenten man deutliches Interesse daran zeigen, an den Schulen dass ein Kind liest. Das evoziert nur gelandet. Manch Trotz und Unmut. Die Lesepatin erinnert einer verweigert sich an nächtliche Lektüren unter der sich offen: „Ich Bettdecke. Heimlich, mit Taschenlampe. kann mit Hebbel Heute wären manche Eltern froh, wenn und Keller nichts ihr Kind unter der Bettdecke lesen wür- anfangen. So was de. Irgendwie hält sich nämlich bei den kann ich nicht un- Altvorderen und Pädagogen die fossile terrichten, tut mir Ansicht, dass Lesen wichtig fürs Den- leid.“ Also wird sta- ken und für die Persönlichkeitsentwick- pelweise angeschafft, lung ist. Wie sagte der alte Deutschleh- was den Deutschleh- rer immer: „Wer Bücher liest, schaut in rer beliebt macht: die Welt – und nicht nur bis zum Zau- Schiller als Comic, ne.“ (Goethe – Who the hell is Goethe?) Büchner als Man- Gabriele Frydrych ga, „Lessing light“, Bücher über Dro- Was GEW-Mitglieder lesen und für die gensucht, Jugend- Sommertage empfehlen, erfährt man in prostitution und dieser HLZ auf den Seiten 9 bis 19….
5 HLZ 7–8/2020 zum Inhaltsverzeichnis C oron a - P a n d emie Mal sehn, was passiert ... In einem Interview mit der Frankfurter und der Frankfurter Virologe Martin Rundschau (FR) erklärte Kultusminister Stürmer von einem „gewissen Experi- Lorz am 9. Juni, er halte den Vorschlag, ment“. Die auch von Lorz zitierte Stu- den Regelbetrieb an Schulen kurz vor die aus Baden-Württemberg habe kei- den Sommerferien wieder aufzuneh- neswegs ergeben, dass Kinder das Virus men, um die Auswirkungen auf das In- bremsen würden. Außerdem liege noch fektionsgeschehen mit den „Sommerfe- kein Endergebnis vor. Auch der Kron- rien als Puffer“ zu beobachten, für eine zeuge Professor Streeck erklärte nach „spannende Idee“, über die er „nach- der Veröffentlichung des Interviews in Diskussion mit den unmittelbar Betrof- denke“. Tatsächlich war die Rückkehr der FR, „dass er eine Öffnung der Schu- fenen beschlossen. Und die drängenden der Grundschulen zum Regelunterricht len als Testphase vor den Sommerferi- Fragen der Kolleginnen und Kollegen ab dem 22. Juni bereits am 5. Juni in en NICHT empfohlen hat.“ wurden auch in den folgenden Tagen einer Telefonkonferenz des Landkreis- Kaum noch eine Rolle spielte die schlicht ignoriert. Wie soll man Kindern tags von Ministerpräsident Bouffier an- Festlegung des Kultusministers in sei- der ersten, zweiten und dritten Klassen, gekündigt worden. nem Erlass vom 7. Mai, dass alle Vorga- die nach dem 2. Juni erst wenige Un- Die entsprechenden Erlasse des Mi- ben zum Unterricht in kleineren Grup- terrichtstage hatten, erklären, warum nisters, die am 10. Juni an die Schulen pen, zu den Abstandsregeln und zum die Abstandsregeln in der Schule von versandt wurden, lösten einen Sturm Hygienekonzept „zunächst bis zu den einem auf den anderen Tag nicht mehr der Entrüstung aus. Alle Stellungnah- Sommerferien Bestand haben“. Verges- gelten sollen, aber überall streng einzu- men und Interventionen der GEW Hes- sen waren auch die Aussagen des Mi- halten sind? Dies leite „Wasser auf die sen kann man auf der Homepage der nisters, man solle nur „das Machbare Mühlen all derer, die alle Vorkehrungen GEW nachlesen, weitere Informationen machen“ und werde die Interessenver- zur Eindämmung der Pandemie sowie- findet man im Corona-Blog der GEW tretungen der Eltern, der Lehrkräfte und so für unsinnig halten“. Der GEW-Lan- in dieser HLZ auf Seite 7. Widerspruch der Schülerinnen und Schüler zukünf- desvorstand erhielt für seinen Protest kam nicht nur von der GEW, sondern tig wieder besser beteiligen. Auch die viel Zuspruch, aber auch Widerspruch auch aus der Wissenschaft, von Schul- Rückkehr der Grundschulen zum Regel- und wütende Reaktionen. Die Diskussi- trägern und von Eltern. Der Vorsitzen- unterricht, eine Entscheidung von gro- on über die Glaubwürdigkeit und Ver- de des Bundeselternrats Stephan Wass- ßer Tragweite, wurde hinter verschlos- lässlichkeit politischen Handelns wird muth sprach von „Versuchsspielchen“ senen Türen ohne jede Information oder uns auch im neuen Schuljahr begleiten. Aus dem Postfach der GEW Mit Ihrer Stellungnahme zur geplanten Liebe GEW-ler, ich bin überhaupt nicht Schulöffnung machen Sie sich zur Schande aufgebracht, sondern froh, dass es für mei- Liebe GEW, sehr gut geschrieben! Weiter so! der Gesellschaft. Ich bin nicht nur Mutter ne Viertklässler noch einmal zwei Wochen Gibt es etwas, dass wir aktiv tun können? von zwei schulpflichtigen Kindern, sondern geben wird, in denen sie sich zum Abschied (Lehrerin) auch Ärztin. (…) Ich bitte Sie daher, unseren alle gemeinsam sehen können. Ich verstehe Kindern die zustehende Bildung zukommen schon die ganze Zeit über nicht, dass euer Ich bin fassungslos, ja es ist unglaublich! zu lassen. Ihr feiges Verhalten macht uns Fokus allein auf den Lehrkräften zu liegen Nachdem wir in den letzten Wochen unter Eltern sauer und sprachlos, sodass ich bange scheint. anstatt dass das Wohl der Kinder riesigem Aufwand wiederholt Pläne ent- habe, ob Lehrern in Deutschland eine ad- Priorität hat, und die brauchen die Schule und verworfen haben, ist jetzt für die 4. äquate, kompetente medizinische Behand- dringend! (Lehrerin) Klassen die dritte Woche mit Präsenzunter- lung in Zukunft zustehen sollte. (Ärztin) Wir sind empört über die kurzfristige Öff- richt. Für den Jahrgang 2 war heute gerade mal der zweite Tag in der Schule. (…) Wir Ihr sprecht mir damit aus der Seele. Ich bin nung der Grundschulen. Ungeachtet viro- sind gerade dabei, den Kindern die Corona- zutiefst enttäuscht und geradezu verletzt logischer Erkenntnisse sollen plötzlich be- Regeln nahezubringen und bei den Eltern darüber, wie wenig meine Arbeit und die währte Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr für Verständnis zu werben – und dann das! meines Kollegiums von unserem Dienstherrn gelten. Wir Kolleg*innen an der Grund- Nicht nur dass die ganze Arbeit nahezu um- gewertschätzt wird. Ich gehöre zur Risiko- schule fühlen uns als Versuchskaninchen, sonst war, auch das Vertrauen von Kindern gruppe und bin als Schulleiterin aus Respekt Risikogruppen zählen plötzlich nicht mehr. und Eltern in Lehrkräfte und Schule wird für mein Kollegium und zu dessen Unterstüt- (Kollegium) schwer erschüttert, die Sinnhaftigkeit der zung jeden Tag freiwillig in den Unterricht Ich bin fassungslos! Ist die Landesregierung nun Einschränkungen durch die Maßnahmen gekommen. Und nun werde ich als Versuchs- gänzlich von allen guten Geistern verlassen? ist nicht mehr nachvollziehbar. (Lehrerin) kaninchen missbraucht! (Schulleiterin) Wir sind doch keine Versuchskaninchen! Liebe GEW, ich finde es mehr als wichtig, Was sind denn Ihre Vorstellungen eines re- Wochenlang haben wir das Unmögliche dass die Grundschulen ihre Tore wieder gulären Schulbetriebes? Die Kinder hatten möglich gemacht: Vor-Ort-Schooling der täglich für alle Kinder öffnen! Bei aktuell jetzt genug frei, irgendwann muss ja mal Abschlussklassen bei gleichzeitigem Digi- 0,0071 % Infizierten gibt es aus meiner was gestartet werden. Dass die Lehrer zwei talschooling der übrigen Jahrgänge und dazu Sicht keinen Grund, weiter an diesen Un- Wochen vor den Ferien keine Lust mehr ha- das Homeschooling und Bei-Laune-Halten verhältnismäßigkeiten festzuhalten. Freuen ben, kann ich verstehen! Aber sie haben in des eigenen Grundschulkindes. (Lehrerin) wir uns doch mit den Kindern, anstatt wei- der ganzen Zeit ihr volles Gehalt bezogen! (Diese und viele andere Mails liegen der Re- ter dagegen anzukämpfen. (Lehrerin) (Handwerksmeister) daktion im Wortlaut und mit Namen vor.)
G E W - C oron a - B log zum Inhaltsverzeichnis HLZ 7–8/2020 6 Zimmerweg 12: Was tut die GEW? Der folgende Blog informiert über Akti- len Hochschulsemester“ vor. Sie for- Der Landtag diskutiert kontrovers vitäten und Statements der GEW Hessen dern zusätzlich zu den Bundesmitteln über den „eingeschränkten Regelbe seit Mitte Mai bis zur Fertigstellung die- finanzielle Entlastungen für Studie- trieb“ für Kitas, der nach den Ankün- ser Ausgabe der HLZ Mitte Juni. Aktivi- rende, beispielsweise durch eine Re- digungen der Landesregierung am 2.6. täten der Kreis- und Bezirksverbände, der duzierung der Mieten in Wohnheimen wieder aufgenommen werden soll. Die Personalräte und vieler anderer Gremien oder eine Stundung der Semesterbeiträ- Oppositionsparteien werfen Sozialmi- der GEW sind hier nicht erfasst. Alle Stel- lungnahmen findet man im Wortlaut un- ge. Dr. Simone Claar, Referatsleiterin nister Kai Klose eine Täuschung der ter www.gew-hessen.de. Hochschule und Forschung der GEW Eltern vor, da angesichts der Hygie- Hessen, fordert, dass alle befristeten Ar- nevorschriften und der personellen Freitag, 15. Mai beitsverträge mindestens um sechs Mo- Ressourcen bestenfalls eine „erweite- nate verlängert werden. re Notbetreuung“ möglich sein werde. Auf Einladung der Verlagsgruppe Per Videokonferenz stellt sich die Andreas Werther, Erzieher und GEW- Rhein-Main diskutiert die GEW-Vorsit- GEW den neuen LiV vor, da die übli- Referent für Sozialpädagogik, fordert zende Maike Wiedwald mit dem Vorsit- chen Vorstellungsrunden in den Stu- klare Handlungsempfehlungen: „Alle zenden des Landeselternbeirats Korhan dienseminaren ausfallen. Am 9. Juni wissen, dass man kein Kind auf 1,5 Me- Ekinci. Das Video steht in der VRM- lädt die GEW die LiV für das Lehr- ter Abstand wickeln oder trösten kann Mediathak als Stream zur Verfügung. amt an Gymnasien und für Berufliche und pädagogische Kommunikation mit Schulen ein. Mund-Nasen-Schutz nicht umsetzbar Dienstag, 19. Mai ist.“ Ähnlich äußert sich Till Günther, Christina Nickel berichtet aus dem Dienstag, 26. Mai Mitarbeiter einer Kindertagesstätte im Landkreis Offenbach und Mitglied des Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Der Landtag diskutiert in erster Lesung Bezirksvorstands der GEW Südhessen Lehrer über eine erfolgreiche Initiative über die Änderungen des Schulgesetzes. in einem Rundbrief an alle Mitglieder der GEW: Jetzt können auch die Lehr- „Schule unter Pandemiebedingungen (www.gew-suedhessen.de): „Die Gesell- kräfte im Vorbereitungsdienst (LiV), die gestalten – das geht nur gemeinsam“: schaft, die uns für unverzichtbar hält, eine Wiederholungsprüfung ablegen Unter dieser Überschrift schreiben die muss alles dafür tun, dass wir nicht bei müssen, entweder im Unterricht oder GEW-Vorsitzenden Maike Wiedwald im Theorieformat geprüft werden. Da- und wegen unserer Arbeit erkranken!“ und Birgit Koch einen offenen Brief an mit ist die Verschiebung ihrer Prüfung die Regierungsfraktionen und an die ins neue Schuljahr vom Tisch. Donnerstag, 28. Mai Fraktionen von SPD, Linke und FDP. Sie kritisieren das „Hau-Ruck-Verfah- Die erste Präsenzsitzung des GEW-Lan- Mittwoch, 20. Mai ren“, das die Mitbestimmungsrechte der desvorstands findet mit über 50 Teil- CDU und Grüne legen den 53-seitigen Verbände und der Eltern- und Schüler- nehmerinnen und Teilnehmern in Fulda Entwurf für ein „Gesetz zur Anpassung vertretungen missachtet. Die Proteste statt. Die gute technische Vorbereitung des Hessischen Schulgesetzes und wei- zeigen Wirkung: Die Regierungsfraktio- ermöglicht auch den Mitgliedern des terer Vorschriften an die Maßnahmen nen stimmen einer schriftlichen Anhö- Landesvorstands, die nicht angereist zur Bekämpfung des Corona-Virus“ vor. rung und einer Verschiebung der drit- sind, eine weitgehend störungsfreie Es soll ohne Anhörung bereits in der ten Lesung auf den 16. Juni zu (HLZ Teilnahme in Wort und Bild. Der Lan- folgenden Woche im Landtag beraten S.35). desvorstand beschließt, die Landesde- und beschlossen werden (HLZ S. 35). legiertenversammlung zu verschieben Mittwoch, 27. Mai (siehe Kasten). Weitere Schwerpunk- Montag, 25. Mai te sind die Arbeitsbelastung der Päd- Der DGB Hessen-Thüringen stellt Ele- agoginnen und Pädagogen durch die Die hessischen Studierendenvertretun- mente eines hessischen Konjunktur- Corona-Pandemie (HLZ S.8), der Digi- gen legen gemeinsam mit GEW, ver. programms zur Diskussion. Nach An- talPakt (S.24), die geplanten Zwangsab- di und DGB-Jugend einen umfangrei- sicht des Vorsitzenden Michael Rudolph ordnungen an Grundschulen (S.25) und chen Forderungskatalog zum „digita- müssen alle Anstrengungen darauf ge- die Änderung des Schulgesetzes (S.35). richtet sein, die Beschäftigung zu sta- LDV verschoben bilisieren und die Wirtschaft wieder in Freitag, 29. Mai Schwung zu bringen. Vorrang sollten Der Landesvorstand beschloss mit gro- Investitionen in die öffentliche Infra- Am Nachmittag erreicht die Schulen ßer Mehrheit, die ordentliche Landes- struktur haben, unter anderem in Kran- eine Mail des HKM mit einem neuen delegiertenversammlung der GEW Hes- kenhäuser und Schulen, sowie die so- Hygieneplan für den Präsenzunterricht, sen, die vom 5. bis zum 7. November zial-ökologische Transformation: „Für der am darauffolgenden Werktag, am 2020 in Kassel stattfinden sollte, auf den DGB stehen soziale Gerechtigkeit, 2. 6., in Kraft treten soll. Partner- und Grund der Pandemie auf einen neuen Dekarbonisierung und Reduzierung des Gruppenarbeit sind „unter Wahrung der Termin im Herbst 2021 zu verschieben. Ressourceneinsatzes im Mittelpunkt.“ Abstandsregelung“ wieder erlaubt.
7 HLZ 7–8/2020 zum Inhaltsverzeichnis Dienstag, 2. Juni Dienstag, 9. Juni Auch die Klassen 1 bis 3 haben jetzt In einem Interview mit der Frankfurter wieder mindestens sechs Stunden pro Rundschau erklärt Kultusminister Lorz, Woche Präsenzunterricht. er halte den Vorschlag, den Regelbe- trieb an Schulen kurz vor den Sommer- Mittwoch, 3. Juni ferien wieder aufzunehmen, für eine „spannende Idee“, über die er nach- Unter Bezug auf die positiven Erfah- denke. Man habe dann die Sommer- rungen des Landes mit einem Sonderin- ferien als „Puffer“, um zu sehen, wie vestitionsprogramm im Zuge der Welt- sich die Aufhebung der Abstandsre- finanzkrise fordert die GEW Hessen ein geln auswirkt. Tatsächlich hatte Minis- „Sondervermögen Bildungsinfrastruk- terpräsident Bouffier genau dies jedoch tur“ in Höhe von 5 Milliarden Euro, um bereits am 5. Juni in einer Telefonkon- die wirtschaftlichen Folgen der Corona- ferenz des Landkreistags verkündet. In Auch nach der Wiedereröffnung der Lan- Krise zu bewältigen und - wie in den der Hessenschau lehnen sowohl Maike desgeschäftsstelle der GEW im Zimmerweg Jahren nach 2009 - die Investitionstä- Wiedwald als auch der Vorsitzende des in Frankfurt arbeiten einige Mitarbeiterin- tigkeit des Landes und der Kommunen Bundeselternrats Stephan Wassmuth nen und Mitarbeiter weiterhin im Homeof- zu beleben. Die Folgen des inzwischen solche Überlegungen ab (HLZ S.5). fice. Deshalb bitten wir alle Mitglieder, ihre aufgelaufenen Investitonsstaus zeigen Anfragen an die GEW Hessen weiterhin sich aus Sicht der GEW besonders in vorzugsweise per Post (Zimmerweg 12, Mittwoch, 10. Juni 60325 Frankfurt) oder Mail (info@gew- den Schulen. „Das reicht von maroden hessen.de) zu schicken. Aktuelle Infos zur Gebäuden über Hygieneprobleme bis Den Schulen gehen die Erlasse zu, dass Erreichbarkeit in den Sommerferien findet zur IT-Ausstattung“, sagt die GEW-Vor- der Unterricht in den Grundschulen und man in dieser HLZ auf Seite 2 und unter sitzende Birgit Koch bei der Vorstellung an den Grundstufen der Förderschulen www.gew-hessen.de. der Forderungen. ab dem 22. Juni bis zu den Sommerfe- rien und somit an zehn Schultagen im Donnerstag, 4. Juni Umfang von vier bzw. fünf Zeitstun- derlich, „da sich der Mindestabstand in den wieder aufgenommen werden soll. Krippen und Kitas nicht einhalten lässt Die GEW Hessen sieht die Schulleite- Die Abstandsregeln werden aufgeho- und in Grundschulen fahrlässig kurz- rinnen und Schulleiter „am Limit“. Die ben. Lehrkräfte über 60 werden wie- fristig aufgehoben werden soll“. starke Mehrfachbelastung der Mitglie- der zum Präsenzunterricht verpflich- der der Schulleitungen sei nicht mehr tet, obwohl das Infektionsrisiko durch Dienstag, 16. Juni hinnehmbar: „Massive Arbeitsüberlas- die neuen Regelungen steigt. Die Über- tung und wenig Arbeitspausen machen legungen lösen einen Sturm der Entrüs- Der geschäftsführende Landesvorstand auf die Dauer krank!“ Auch bei der Pla- tung aus (HLZ S.5). begrüßt, dass eine Grundschullehrerin nung des neuen Schuljahres lasse das Bei einer Telefonkonferenz des DGB den Rechtsschutz der GEW erhält, um HKM die Schulleitungen im Regen ste- Hessen-Thüringen mit den grünen Mi- in einem Eilverfahren gegen die Auf- hen: „Es gibt bis dato keine Informa- nistern Kai Klose (Soziales und Gesund- hebung der Abstandsregeln in Grund- tionen, wie eine Balance aus Präsenz- heit) und Tarek Al Wazir (Wirtschaft) schulen vorzugehen. und Onlinelernen hergestellt werden fordert Maike Wiedwald einen demo- Die GEW kritisiert, dass die dem soll.“ Die Vorgabe, gymnasiale Lehr- kratischen Planungsprozess, an dem Land zur Verfügung gestellten Mittel kräfte per Zwangsabordnung an den die Interessenvertretungen der Lehr- von 37,2 Millionen Euro für die Be- Grundschulen einzusetzen, bringe zu- kräfte, der Eltern und der Schülerinnen schaffung und Ausleihe digitaler End- sätzliche „Unruhe und großen Unfrie- und Schüler, die Gewerkschaften sowie geräte an Schülerinnen und Schüler of- den in die Kollegien“. Virologinnen und Virologen beteiligt fensichtlich „nicht abgerufen werden“. Maike Wiedwald nimmt an einer werden. Für den geplanten Zwölf-Mil- Bei Land und Schulträgern mache sich Diskussion des DGB mit der Hessischen liarden-Fonds verweist sie auf drin- die fatale Mentalität breit, nach den Handwerkskammer teil. Dabei geht es gend erforderliche Investitionen in Sommerferien sei „alles wieder normal“. um die Situation an den beruflichen den Schulbau (z.B. Schultoiletten). Die Schulen, die Ausbildung unter Corona- Mittel für die Digitalisierung müssten Freitag, 19. Juni bedingungen und die Mitbestimmung schnell fließen, damit die Endgeräte in den Berufsbildungsausschüssen. für Schülerinnen und Schüler im neu- Lehrkräfte und Eltern demonstrie- en Schuljahr genutzt werden können. ren in Frankfurt und Kassel gegen die überstürzte Öffnung der Grundschu- Montag, 8. Juni len. Auch in Offenbach (17.6.) erklären Freitag, 12. Juni Grundschullehrerinnen, Grundschul- Hessische Studierendenvertretungen und Mitglieder der Gewerkschaftsju- Die GEW-Landesvorsitzenden Bir- lehrer und Eltern im Namen der Kinder: gend fordern vor dem Landtag in Wies- git Koch und Maike Wiedwald for- „Wir sind keine Versuchskaninchen.“ baden eine bessere finanzielle Absi- dern, dass sich die Beschäftigten in al- cherung der Studierenden, weil ihr len hessischen Bildungseinrichtungen Lebensunterhalt mit den versprochenen „freiwillig wöchentlich auf COVID-19 Alle weiteren aktuellen Infos: Kredite nicht gesichert werden kann. testen lassen können“. Dies sei erfor- www.gew-hessen. de
C oron a - P a n d emie zum Inhaltsverzeichnis HLZ 7–8/2020 8 Lehrkräfte am Limit GEW-Forderungen zur Arbeitszeit der Lehrkräfte Der Landesvorstand beschäftigte sich ausgearbeitete Materialien und Aufgaben- Stunden und Tage für den Präsenzun- auf seiner Sitzung am 28. Mai in Fulda stellungen zur Verfügung gestellt. Darüber terricht als auch feste Zeiten und Pläne ausführlich mit der aktuellen Situation hinaus wird dadurch gewährleistet, dass für das häusliche Lernen festlegt. Diese in den Schulen, insbesondere auch mit die Schülerinnen und Schüler ein quali- Verteilung muss sich auch in den Ein- der Arbeitsbelastung der Lehrerinnen fiziertes Feedback zu ihren Ergebnissen satzplänen der Lehrkräfte abbilden: Sie und Lehrer. Mitglieder des Landesvor- sowie zur individuellen Fortführung des werden einen Stundenplan für den Prä- stands berichteten, dass die Arbeitszei- Lernprozesses durch ihre Lehrerinnen und senzunterricht haben und einen zwei- ten insbesondere seit der Wiederauf- Lehrer erhalten.“ (Erlass vom 7.5.2020) ten Stundenplan mit den Fächern und nahme von Präsenzunterricht in der Lerngruppen, für die sie das häusli- Kombination mit der Betreuung des Lernen zuhause ist Unterricht che Lernen vorbereiten, durchführen, häuslichen Lernens in vielen Fällen betreuen und nachbereiten. Und auch „jedes akzeptable Maß überschreiten“. Für Lehrerinnen und Lehrer ist dieses wenn das neue Schuljahr im Regelbe- Dass die aus Gründen des Infektions- Szenario, das die Eltern beruhigen soll, trieb beginnen sollte, müssen entspre- schutzes gebildeten kleineren Lern- ein Horrorszenario: Die Überlast aus ei- chende Pläne vorgehalten werden, falls gruppen eine „Entlastung“ darstellen, nem vollen Einsatz mit allen Pflicht- eine zweite Welle der Pandemie kommt. wurde als „Irrtum“ angesehen: stunden im Präsenzunterricht und einer „Zu der hohen Konzentration auf die Ein- gleichzeitigen Betreuung der Schüle- haltung der Abstands- und Hygieneregeln rinnen und Schüler in einem struktu- Und das fordert die GEW Hessen kommt die massiv erhöhte Verantwor- rierten häuslichen Lernen ist nicht zu Der folgende Beschluss, der einstimmig tung für die eigene Gesundheit und die leisten. Daran ändert es auch nichts, gefasst wurde, wird von den GEW-Lan- der Schülerinnen und Schüler.“ wenn Lehrkräfte, die nicht im Präsenz- desvorsitzenden in allen Gesprächen und unterricht eingesetzt werden können, Erklärungen der nächsten Wochen vertre- einen Teil der Aufgaben für das häus- ten und ist auch bereits in die Stellung- Überlast nicht ohne Folgen liche Lernen übernehmen, da die Vor- nahme der GEW zur Änderung des Schul- Die derzeitige „Überlast“ wird – so die gaben des HKM nicht ohne eine enge gesetzes eingeflossen: übereinstimmende Meinung der Mit- didaktische und personelle Verzahnung Der Unterrichtseinsatz der Lehrkräf- glieder des Landesvorstands – nicht von Präsenzunterricht und häuslichem te in der Notbetreuung, im Präsenz- ohne Folgen für die Gesundheit der Lernen zu erfüllen sind. Deshalb wird unterricht und bei der Vorbereitung, Lehrkräfte bleiben. Deshalb hat der die GEW Widerstand leisten, wenn die Durchführung und Nachbereitung des Landesvorstand Forderungen beschlos- Betreuung des häuslichen Lernens aus häuslichen Lernens richtet sich nach sen, die zu einer Begrenzung der Ar- der in der Pflichtstundenverordnung der Pflichtstundenverordnung und der beitsbelastung im neuen Schuljahr geregelten Unterrichtsverpflichtung in individuellen Pflichtstundenzahl un- führen sollen. Denn es besteht Grund den Bereich der „außerunterrichtlichen ter Berücksichtigung von Teilzeitarbeit, zu der Annahme, dass auch nach den Dienstpflichten“ verlagert werden soll. Deputaten und Abordnungen. Stunden Sommerferien kein Präsenzunterricht im Präsenzunterricht und Stunden zur im üblichen Umfang möglich sein wird. Wie weiter im neuen Schuljahr? Vorbereitung, Durchführung und Nach- Das Gesetz zur Änderung schulrechtli- bereitung des häuslichen Lernens, die cher Vorschriften sieht bereits vor, dass Die vergangenen Wochen haben aus gleichermaßen der Erfüllung der Stun- zunächst bis zum 31. März 2021 von Sicht des GEW-Landesvorstands ge- dentafel dienen, sind gleichwertig in den Vorgaben der Stundentafel „ab- zeigt, dass auch die Vorbereitung, vollem Umfang anzurechnen. Dazu ist gewichen“ werden kann (HLZ S. 35). Durchführung und Nachbereitung des die Pflichtstundenverordnung – wie Gleichzeitig kündigte das Hessische häuslichen Lernens inhaltlich sehr viele andere Rechtsvorschriften auch – Kultusministerium (HKM) an, dass die komplex und zeitlich höchst aufwän- durch einen „Pandemie-Paragrafen“ zu so entstehende Lücke durch „die Kom- dig ist und im Hinblick auf Arbeitszeit ergänzen. Die GEW schlägt vor, die Re- bination von Präsenzunterricht mit un- und Arbeitsbelastung den Anforderun- gelung wie folgt zu formulieren: terrichtsunterstützenden Lernsituatio- gen des Präsenzunterrichts in nichts „Auf die Pflichtstundenzahl der Lehrkräf- nen für das häusliche Lernen“ gestopft nachsteht. Dies gilt insbesondere, wenn te werden im Stundenplan der Schülerin- werden soll, „die den Schülerinnen und die Anleitung zum häuslichen Lernen nen und Schüler festgelegte Stunden für Schülern auch in den Phasen zwischen von einer improvisierten Anfangspha- das häusliche Lernen unter Pandemiebe- den Präsenzunterrichtstagen einen kon- se in einen strukturieren „Regelbetrieb“ dingungen voll angerechnet, die von den tinuierlichen, von der Schule fortwäh- übergehen soll. Lehrkräften inhaltlich vor- und nachbe- rend begleiteten Lernrhythmus“ ermög- Die GEW geht davon aus, dass reitet werden müssen. Die Lehrkräfte sind Schülerinnen und Schüler für das verpflichtet, sie in der üblichen Form zu lichen sollen: nächste Schuljahr einen ganz anderen dokumentieren.“ „Dazu werden von den Lehrkräften für diese Zwischenphasen didaktisch versiert Stundenplan bekommen, der sowohl Harald Freiling, HLZ-Redakteur
9 HLZ 7–8/2020 zum Inhaltsverzeichnis HLZ-LESESOMMER Lesen im Corona-Sommer Gert Hirchenhain ist ein passionierter Leser und Rezensent Dror Mishani (45) lebt als Übersetzer und Literaturdozent in der Stadt Oran an der Westküste Algeri- Tel Aviv und stammt als Misrachi aus einer Familie sephar- ens in den 40er Jahren des letzten Jahr- discher Einwanderer, die lange in Israel diskriminiert wor- hunderts. Eine zunehmende Zahl von to- den sind. Er hat bisher drei Kriminalromane vorgelegt: „Ver- ten Ratten kündigt an, dass in der Stadt misst“, „Die Möglichkeit eines Verbrechens“ und „Die schwere eine Seuche ausgebrochen ist. Der Arzt Dr. Hand“, deren Protagonist, der eigenwillige Ermittler Avra- Rieux erkennt die Gefahr und setzt gegen ham Avraham, hinter den bürgerlichen Fassaden den Spu- große Widerstände Quarantänemaßnahmen ren des Bösen folgt. durch. Als der Ausnahmezustand erklärt In seinem neuesten Werk mit dem schlichten Titel „Drei“ wird, wird Oran zum Mikrokosmos einer ge- wendet sich Mishani von seinem Dauerermittler ab. Dieses schlossenen Gesellschaft, die auf eine töd- Buch ist ein leiser und darum sehr bewegender Roman. Drei liche Bedrohung reagiert. Camus‘ Roman Frauen, Orna, Emilia und Ella, begegnen dem Anwalt Gil, der ist die Geschichte vom Kampf gegen die mit allen drei Frauen eine Beziehung beginnt. Das gelingt physische und moralische Zerstörung einer nur, weil alle drei ihre Sehnsüchte nach Geborgenheit, männ- Gesellschaft während des Ausbruchs einer lichem Schutz und Anerkennung auf diesen Gil projizieren. Seuche. Der Roman ist ein Plädoyer für die Gil bleibt lange Zeit ein dubioser Typ, der mal angibt, ge- Solidarität angesichts existenzieller Heraus- schieden zu sein, mal, getrennt zu leben; auf jeden Fall aber forderungen. Wie wir die aktuelle Corona- verfügt er über eine leere Wohnung in Tel Aviv. Geschickt Pandemie später deuten werden, wird sich unaufdringlich nähert er sich den Frauen, die alle mehr vom zeigen. „Die Pest“ war unmittelbar nach Leben erwarten als das, was sie im Moment repräsentieren. Ausbruch der Corona-Pandemie vergrif- Die Lehrerin Orna, von ihrem Mann verlassen, will vor al- fen, mittlerweile ist das Buch nachgedruckt lem ihren neunjährigen Sohn Eran gut durchs Leben bringen worden und im Handel wieder zu haben. und lernt Gil in einem Dating-Portal für Geschiedene kennen. Epidemien sind seit dem Mittelalter auch Die lettische Altenpflegerin Emilia gerät in Kontakt zu Gil, ein Gegenstand der Literatur. Zu den beson- um ihren Aufenthaltsstatus klären zu lassen, und Ella, die ders lesenswerten Titeln gehören Giovan- Frau eines Soldaten, Historikerin, Mutter dreier Töchter und ni Boccaccio „Das Dekameron“ (um 1350), oft allein, will mehr sein als eine Gebärmaschine. Gil zeigt Thomas Mann „Der Tod in Venedig“ (1911), den Frauen gegenüber schier unbegrenzte Hilfsbereitschaft José Saramago „Die Stadt der Blinden“ und und sie bringen ihm großes Vertrauen entgegen, ohne das Philipp Roth „Nemesis“ (2010). der Betrug und die Verführung nicht funktionieren würden. Erst zu spät spüren alle drei Frauen, dass sie Opfer gewor- Gert Hirchenhain (72) hat seit 1994 über den sind. Was wie eine Beziehungsgeschichte beginnt, ent- 250 Buchtipps in der Melsunger Ausgabe der puppt sich als ungewöhnlicher, grausam-verstörender Kri- HNA veröffentlicht und 236 davon in einem mi. Allerdings merkt der Leser das erst am Ende des ersten kleinen Sammelband zusammengefasst (siehe Teils des Romans. Mishani ist ein Meister in der Kunst, Ver- Kasten). Der pensionierte Lehrer für Deutsch, Ethik und PoWi war lange Vorsitzender des brechen aus der Perspektive ihrer Opfer zu entwickeln. Die- GEW-Kreisverbands Melsungen-Fritzlar und se Blickwechsel und präzisen Nahaufnahmen machen den wohnt in Fuldabrück-Dörnhagen. Roman zu einem Meisterwerk. In einem Interview sagt Dror Mishani: „Für mich ist der Roman eine Kampfansage gegen Dror Mishani: Drei. Roman. Diogenes Verlag Zürich 2019. 330 die Normalisierung von Tod und Gewalt.“ Ein unglaublich Seiten, 24 Euro subtiles Buch, scheinbar banal, spannend, überraschend. Albert Camus: Die Pest. Roman. Rowohlt Verlag Hamburg, 90. Auflage 2020. 352 Seiten, 12 Euro Die Pest: Aus gegebenem Anlass wieder gelesen Aus gegebenem Anlass habe ich auch mein altes Exemplar von „Die Pest“ wieder in die Hand genommen. Es hat zahlrei- Wir verlosen 236 Buchtipps von Gert Hirchenhain che Eselsohren, ist voller Unterstreichungen und auf einigen 236 persönliche Lesetipps, die Gert Hirchenhain seit 1994 Seiten schon arg angegilbt. Ich las die Rowohlt Taschenbuch- für die HNA-Melsungen schrieb, wurden Anfang 2020 in ausgabe 1965 als Obersekundaner; dass sie damals Schullek- dem Buch „Gerts Aus(ge)lese“ zusammengefasst und im Ei- türe war, ist eher nicht anzunehmen, aber Albert Camus galt genverlag veröffentlicht. Gert Hirchenhain hat der HLZ drei als ein Vertreter der existenziellen Philosophie, die er u.a. in Exemplare zur Verfügung gestellt, die wir unter den Leserin- seinen Essays „Der Mythos von Sisyphos“ und „Der Mensch nen und Lesern der HLZ verlosen. Schreiben Sie eine Mail in der Revolte“ dargelegt hat. Das war für mich interessant. an freiling.hlz@t-online.de (Betreff: „HLZ-Lesesommer“). Camus‘ „Die Pest“ erschien 1947 und wurde umgehend Die Auslosung erfolgt am 1. August unter allen Leserinnen weltberühmt. Der Autor schildert den Ausbruch der Pest in und Lesern, deren Mail bis zum 31. Juli eingegangen ist.
HLZ-LESESOMMER zum Inhaltsverzeichnis HLZ 7–8/2020 10 Aus der Provinz Ulrich Märtin hat jetzt mehr Zeit zum Lesen Im Sommer 2019 hat Andreas Maier (Jahr- Einen grundlegenden Bruch erfährt die Geschichte im gang 1967) unter dem Titel „Die Familie“ Schlusskapitel, das mit dem Satz schließt: „Meine Familie ist den siebten Teil seines auf elf Bände an- eine Familie, die immer Grabsteine gemacht hat. Auch ihren gelegten autobiografischen Romanprojekts eigenen.“ In der Familiengeschichte ist über die Jahrzehnte „Ortsumgehung“ herausgebracht. Thema die Nazizeit hartnäckig verdrängt und verleugnet worden. seiner bisherigen Bücher ist sein Aufwach- Die Mutter erklärt auf Fragen nur mantraartig: „Wir haben sen in den siebziger und achtziger Jahren den Juden doch sogar Brand gegeben.“ Nachforschungen in der hessischen Provinz rund um Fried- zerstören diese Legende und ergeben, dass das Familienver- berg und in der Wetterau. mögen zu einem großen Teil aus der Arisierung des Firmen- Auf urkomische Weise schreibt er oft ab- grundstücks resultiert. Der Vorbesitzer des Grundstücks, der surd anmutende Geschichten, die von sei- jüdische Geschäftsmann Theodor David Seligmann, wurde nen Eltern, seinen beiden Geschwistern und 1937 enteignet und starb noch im gleichen Jahr, die Spu- weiteren Verwandten und ihren oft skurri- ren seiner Ehefrau verlieren sich: „Wir sind die Kinder der len Verhaltensweisen handeln. Der Vater Schweigekinder“. ist Bürgermeisterkandidat für die CDU und Ulrich Märtin als Anwalt für Henninger Bräu tätig, die Ulrich Märtin hofft nach 35 Jahren hauptberuflicher Tätigkeit Mutter Direktorin des geerbten Steinmetz- für die GEW Hessen (HLZ S. 20), dass ihm sein neues Rentner- betriebs. Der Bruder fällt als erster aus der dasein genügend Zeit verschafft, vielbändige Romane zu lesen Rolle und wird Stammgast in einem linken und an das vor Zeiten an der Goethe-Universität abgeschlosse- Jugendzentrum: ne Germanistikstudium anzuknüpfen. Andreas Maiers Roman „Ob die bessere Welt plötzlich vom Himmel fallen solle, frag- „Die Universität“ spielt übrigens auch an der Goethe-Uni, wenn te mein Vater. Das seien doch alles Wolkenkuckucksheime. Das auch einige Jahre später... gäben ihm doch nur seine linken Lehrer ein! Diese Lehrer, die ihm solche Ideen einpflanzten, ließen sich ihr Leben genauso von Andreas Maier: Die Familie. Suhrkamp Verlag Berlin 2019. 166 diesem Staat bezahlen wie alle anderen.“ Seiten, 20 Euro Demokratisch schreiben David Redelberger und die neue Schule des Schreibens Ernst Alexander (kurz E. A.), Rauter, ist vor Egal ob wir unseren Schüler*innen Medienkompetenz nä- allem für seine in der gewerkschaftlichen Bil- her bringen oder Kolleg*innen in Seminaren fortbilden wol- dungsarbeit verwendeten Bücher „Wie eine len: Wir müssen uns (nicht nur) aus demokratischen Gesichts- Meinung in einem Kopf entsteht“ und „Vom punkten verständlich ausdrücken. Rauter orientiert sich in „Die Faustkeil zur Fabrik“ bekannt. Weniger be- neue Schule des Schreibens“ vor allem an Zeitungsartikeln kannt sind seine Werke über das Schreiben und nutzt viele Beispiele, um diese auseinanderzunehmen. Ich von Texten, in die er seine Erfahrungen als habe bei jedem erneuten Lesen dazugelernt. Wahrscheinlich Fortbildner für Journalist*innen einbringen würde Rauter auch den vorliegenden Text kritisieren: zu kom- konnte. „Die neue Schule des Schreibens“ ist plizierte Wörter, zu viele Nebensätze. Das macht jedoch den ein verständliches und praxisnahes Werk, das Reiz des Buchs aus: Die eigenen Texte bekommen den Spiegel sich eignet, die eigenen Texte zu verbessern. vorgehalten. „Die neue Schule des Schreibens“ ist nicht nur Verbessern im Rauterschen Sinne heißt, sie Kolleg*innen zu empfehlen, die Sprachen oder andere textlas- verständlicher und damit zugänglicher und tige Fächer unterrichten. Das Buch ist vergriffen und nur teuer demokratischer zu machen: „Bemühung um zu erhalten. Vielleicht lohnt sich ein Anruf beim örtlichen An- besseren Stil ist Bemühung um demokrati- tiquariat. Rauters Buch „Vom Umgang mit Wörtern“ ist meist schere Verhältnisse.“ Gerade in Zeiten von günstiger erhältlich. Fakenews und Verschwörungsideologie kom- David Redelberger men mir seine Worte hochaktuell vor: David Redelberger unterrichtet Chemie, Physik und Mathe an der Erich- „Unverständlichkeit öffentlicher Rede ist für jeden von uns gefähr- Kästner-Schule Baunatal und ist Sprecher der Jungen GEW Hessen. lich. Wer nicht weiß, aus welchen Gründen die Ereignisse eintre- ten, die alle angehen, entwickelt keine Lust, in öffentlichen Ange- E. A. Rauter: Die neue Schule des Schreibens. Von der Gewalt der legenheiten mitzureden.“ Wörter. ECON Verlag Düsseldorf 1996 (vergriffen)
11 HLZ 7–8/2020 zum Inhaltsverzeichnis HLZ-LESESOMMER Lieder, die zu Tränen rühren Katharina Grossardt hört gerne Eva Cassidy Als Musikerin und Lehrerin lese ich zwar prinzipiell sehr ger- pie arbeiten alle nur noch 20 Stunden in ne, aber in den letzten Jahren leider viel zu selten. Da mir der Woche und haben Zeit für das wesent- naturgemäß die Musik mehr am Herzen liegt, habe ich mich lich Wichtige im Leben: Familie, Freunde, dazu entschlossen, hier eine Musik-CD-Empfehlung zu ge- Kultur, Natur oder was einem sonst Freu- ben. Sie ist auch nicht „neu“, allerdings die CD, die ich in de bereitet. den letzten Monaten immer wieder hören wollte. Manche Mein Wunsch lautet deshalb: Unterstützt Leserinnen und Leser kennen und lieben sie vielleicht ge- Künstlerinnen und Künstler, die in einem nau so wie ich, andere werden eventuell eine „Entdeckung“ „reichen“ Land wie Deutschland zu den pre- für sich machen. kär Beschäftigten zählen, und zeigt den Kul- Eva Cassidy ist als hervorragende Sängerin und Gitarris- turinstitutionen, wie wichtig ihr sie für den tin ein großes Vorbild für mich. Einige der Titel auf „Song- gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Aus- bird“ sind sicherlich den meisten bekannt. Die Interpretatio- einandersetzung mit bedeutsamen Themen nen sind in ihrer Intensität nicht zu überbieten. Mich rühren und die Zerstreuung und Freude am Leben haltet! Wie ent- sie deshalb auch oft zu Tränen. Leider wurde Eva Cassidy nur scheidend dabei natürlich auch die kulturelle Bildung ist, 33 Jahre alt und erlebte nicht, wie viele Menschen sie welt- muss ich hier wohl nicht näher ausführen. weit mit ihren Aufnahmen erreicht hat. Katharina Grossardt ist Lehrerin an einem Oberstufengymnasi- Ich bin eine große Optimistin und würde mich freuen, um in Rüsselsheim und auch als Sängerin und Gitarristin unter- wenn die Menschheit (oder zumindest ein größerer Anteil) wegs. Wer Lust hat, kann ja mal reinhören: www.2inthemood.de aus den Erfahrungen, die wir alle durch die aktuelle Pande- mie machen, nachhaltige Schlüsse für das weitere Leben auf Eva Cassidy: Songbird 20 (20th-Anniversary-Edition). Label: diesem wunderbaren Planeten ziehen würde. In meiner Uto- Blix Street 1998.10,99 Euro Soziale Frage von Rechts Sascha Schmidt empfiehlt ein Buch über die Politik der AfD Nachdem die AfD bei fünf Landtagswahlen im Jahr 2016 Michael Barthel und Anna-Lena Herkehoff hohe Stimmengewinne unter Arbeiterinnen, Arbeitern und untersuchen, welche Rolle die Soziale Fra- Arbeitslosen verzeichnen konnte, hat die Relevanz der Sozi- ge im neurechten Magazin „Compact“ spielt. alen Frage für Teile des extrem rechten Spektrums deutlich Besonders lesenswert finde ich den Beitrag zugenommen. Während der inzwischen rein formal aufge- von Helmut Kellershohn, wie Marx von Ver- löste „Flügel“ der AfD auf einen „solidarischen Patriotismus“ tretern der Neuen Rechten interpretiert wird. setzt, diskutieren Teile der Neuen Rechten über einen „Anti- Ein weiterer Schwerpunkt ist die Wirt- kapitalismus“ von Rechts. Einen Überblick über die mit die- schafts- und Sozialpolitik der AfD mit Aus- ser Entwicklung einhergehenden wirtschafts- und sozialpo- sagen der Bundestagsfraktion und des „Flü- litischen Debatten, Positionen und Konzeptionen bietet der gels“ und einem besonderen Blick auf die Sammelband „Zwischen Neoliberalismus und völkischem antiamerikanischen und antisemitischen ‚Antikapitalismus‘“. Im Mittelpunkt von Teil 1 des in drei Denkfiguren in der Partei. Nicole Gohlke Teile gegliederten Buchs stehen ideengeschichtliche Baustei- und Christian Schaft analysieren das Hoch- ne der Neuen Rechten aus der Zeit der Weimarer Republik: schul- und Wissenschaftsprogramm. Alles in der „preußische Sozialismus“ von Oswald Spengler (Micha- allem bietet der Sammelband einen gelunge- el Lausberg), der „nationale Sozialismus“ von Arthur Möller nen und lesenswerten Überblick. van den Bruck (Volker Weiß) und das „nationalsoziale“ Kon- zept aus der Zeitschrift „Die Tat“ (Simon Eberhardt). Helmut Sascha Schmidt ist als Gewerkschaftssekretär des DGB für die Kellershohn widmet sich dem Zusammenhang von Neolibe- Region Wiesbaden-Rheingau-Taunus und Limburg-Weilburg zu- ralismus und „Konservativer Revolution“. ständig. Er engagiert sich in Bündnissen gegen Rassismus und rechte Hetze und im Netzwerk für Demokratie und Courage. Die Teile 2 und 3 setzen sich größtenteils mit aktuellen Wirtschaftskonzepten und -themen der extremen Rechten so- Andrea Beck, Simon Eberhardt und Helmut Kellershohn: Zwi- wie den damit verbundenen Kampffeldern auseinander. Gi- schen Neoliberalismus und völkischem „Antikapitalismus“. So- deon Botsch und Christoph Kopke analysieren die NPD in der zial- und wissenschaftspolitische Konzepte und Debatten in- Ära Voigt, Tim Ackermann und Mark Haarfeldt beleuchten nerhalb der AfD und der Neuen Rechten. Unrast Verlag Münster die Betriebsratskampagne der Neuen Rechten von 2018 und (Edition DISS) 2019. 268 Seiten, 24 Euro
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