Zukünfte gibb intern - Das MagaZin Der gewerblich-inDustriellen berufsschule bern / Juni 2016

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Zukünfte
gibb intern – Das Magazin der Gewerblich-Industriellen Berufsschule Bern / Juni 2016
Zukünfte gibb intern - Das MagaZin Der gewerblich-inDustriellen berufsschule bern / Juni 2016
Christoph Sidlers Fotos verbinden Zeit und
Raum – genauer gesagt: Spekulationen über
die Schule der Zukunft mit dem Nachdenken
über zukunftsorientierte Schulzimmer.
Der Beitrag von Tabea Widmer (Seite 20)
­erklärt uns die Hintergründe.
Zukünfte gibb intern - Das MagaZin Der gewerblich-inDustriellen berufsschule bern / Juni 2016
GIBB INTERN / Juni 2016 3

Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser

                                 Wir Menschen lieben es, über unsere Zukunft nach­
                                zudenken. Wie könnte, wie sollte – wie wird sie sein?
                                ­Darüber können wir endlos spekulieren. Wir versuchen
                                 zu er­forschen, was uns die Zukunft bringen wird, wir
                                 wollen Trends erkennen, auf die wir möglichst recht­
                                 zeitig setzen können, damit wir «in» sind, den Anschluss
                                 nicht ver­passen und gewappnet sind für das, was uns
                                 die Zukunft tatsächlich bringen wird.
 Die gibb ist dieses Jahr 190 Jahre alt, wird also in 10 Jahren ihren 200. Geburtstag
­feiern. Dies nehmen wir zum Anlass, nach vorne zu blicken und uns mit der Zukunft,
 oder eben den «Zukünften», der gibb auseinanderzusetzen.
      Die Welt um uns dreht sich schnell, die Zukunft hält Herausforderungen von
   ­unbekanntem Ausmass bereit, denen wir mit einer offenen Geisteshaltung begegnen
    wollen. Mit dieser Ausgabe des «gibb intern» halten Sie eine inspirierende Dis­
 kussionsplattform für Zukunftsperspektiven unterschiedlichster Art in den Händen,
eine Brücke von der ­Gegenwart in die Zukunft.
      Sie werden mehr darüber erfahren, wo sich unsere Lernenden in 10 Jahren sehen,
   wie sich die Berufsbildung zwischen Tradition und Innovation weiterentwickeln
 ­könnte, wie wir mit der zunehmenden Heterogenität umgehen werden und wie das
  «Internet of all things» unseren Bildungsauftrag durchdringen könnte.
      Vor lauter «Zukünften» dürfen wir aber nicht vergessen, im Hier und Jetzt zu
  ­leben. ­Welche Ideen haben wir davon, wie wir unsere Arbeit, die Ausbildung,
 unser Leben g­ estalten wollen? Lassen Sie uns diese umsetzen, jetzt! Denn letztlich
ist es doch so: Die Ideen von heute sind die Realität von morgen.

Herzliche Grüsse

Sonja Morgenegg-Marti
Direktorin gibb
Zukünfte gibb intern - Das MagaZin Der gewerblich-inDustriellen berufsschule bern / Juni 2016
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Inhalt                                         Gut zu wissen

   Gut zu wissen                                                                              geniesse ich es, mit meiner Frau Joëlle
 4	Brücken, die wir gemeinsam errichten        Der zukünftige Abteilungsleiter GDL            beim Reisen neue Gegenden zu er­
   Tvrtko Brzović                             Brücken, die wir gemeinsam errichten           forschen, kulinarische Spezialitäten zu
 5 Mit Menschen Ziele erreichen                                                               entdecken oder beim Lesen in andere
   Christoph Aerni                                                                            Welten einzutauchen.
 5	Blühende Mediatheken                                                                       Voller Freude blicke ich nun in die Zu-
   Bernhard Scheidegger                                                                       kunft: an der gibb, in der Abteilung GDL,
 6 Vielfältig und nachhaltig                                                                  an einem neuen Standort, in einer neuen
   Sabine Beyeler                                                                             Funktion. Ich freue mich darauf, mich für
 6 «Gibb & youget» – eine Brücke über                                                         eine Schule einzusetzen, an der Lernen-
   die Viktoriastrasse                                                                        de und Studierende einen Ort vorfinden,
   Tamar Widmer
                                                                                              der das Lernen ins Zentrum stellt und
 7 Kochen mit Klasse und Leidenschaft                                                         zum Lernen einlädt. Eine Schule, an der
   Erwin Mumenthaler
                                                                                              motivierte Lehrpersonen arbeiten und
                                                                                              gute Bedingungen vorfinden. Eine Schule,
   Zukünfte                                                                                   die mit allen beteiligten Partnern in der
 9 Die Zukunft prägen
   Sonja Morgenegg-Marti, Daniel Hurter
                                                                                              Berufsbildung konstruktiv zusammenar-
                                                                                               beitet. Eine Schule, die mutig und bereit
10	Tradition und Innovation: Wie die Berufs-
                                                 Denkt man an die Zukunft, kommt einem         ist, Innovationen umzusetzen und neue
   bildung gut bleibt und weiterkommt
   Interview mit Josef Widmer                    wie von selbst die Vergangenheit in           Wege zu bestreiten.
                                                 den Sinn. Das, was einen geprägt hat          «Alles im Leben ist eine Brücke – ein
16	Bibliotheken: Orte der Begegnung
   und des Lernens                               und zu dem gemacht hat, was man heute        Wort, ein Lächeln, das wir dem anderen
   Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler                  ist und morgen sein wird. Heute sitze        schenken», schreibt der Literaturnobel-
17 Der Berner Weg in die Zukunft               ich in der Nähe des Unterrichtszimmers,        preisträger Ivo Andrić in seinem Buch
   Prof. Dr. Markus Romani                     in welchem ich vor 8 Jahren meine Probe-        «Die Brücke über die Drina». Ich bin
17 Offen bleiben                               lektion abgehalten habe. Damals war            ­gespannt darauf, den Weg an der gibb
   Interview mit Thomas von Burg               ich als Sekundarlehrer tätig und freute         weiter zu beschreiten und eine Brücke
20	Was für eine Schule                         mich sehr darüber, dass ich die Stelle          von der Gegenwart zur Zukunft als Ab­
   brauchen wir eigentlich?                    als ABU-Lehrer an der BAU-Abteilung             teilungsleiter GDL zu überqueren. Dabei
   Tabea Widmer                                der gibb erhielt. Beruflich habe ich mich       freue ich mich besonders auf zwischen-
22	Auf zum Jubiläum!                           weiterentwickelt und weitergebildet             menschliche Begegnungen und auf kons-
   Christoph Aerni                             und durfte als ABUV die Verantwortung           truktive Zusammenarbeit, auf Brücken,
23	Spannende Zukunft                           für den ABU an der BAU-Abteilung und            die wir gemeinsam errichten, und auf
   Lukas Ritter                                später die Ressortleitung übernehmen.           Worte und Lächeln, die wir einander
24	Botschafterin der Schule                    In den letzten Jahren bin ich vielen            schenken.
   Monique Lüthi                               ­spannenden Menschen an der gibb be-
25	Automobile Zukunft                           gegnet, arbeitete mit ihnen zusammen          Tvrtko Brzović,
   Andreas Schranz                              und konnte hier auch Freundschaften           angehender Abteilungsleiter GDL
26 Kleine Sätze in der Zukunft                  schliessen. Umso mehr hat es mich ge-
   Rudolf Krebs                                 freut, die Kolleginnen und Kollegen als
28 «Wir werden lernen müssen,                   Präsident des Konvents zu vertreten
   Insekten gerne zu essen»                     und mich für die Anliegen des Kollegiums
   Elisabeth Büchi, Thomas Riesen,              einzusetzen.
   Erwin Mumenthaler                            Mitgestalten und Verantwortung über-
29	Eine kurze Reise in die Gegen­               nehmen ist mir nicht nur im Beruf wichtig.
   wärtigkeit der Zukunft                       Darum engagiere ich mich in meiner
   Alfred Blatter
                                                ­f reien Zeit für gesellschaftliche Belange
32 Miniaturen Zukünfte                           und bin als Gemeinderat in der Stadt
   Lernende                                    ­Solothurn politisch aktiv. Damit meine
                                               Energie im Gleichgewicht bleibt, ist mir
   Atem holen                                    Erholung wichtig. Als neugieriger Mensch
36	Sandburgen und Michelangelo
   Hermann Fuhrer
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                                               nutze ich den individuellen Bildungs­      Gerne möchte ich die Zukunft der Media-
Leiter Bereich HBB                             urlaub, um mich in einem Architektur­      theken mitgestalten. Lehrpersonen und
Mit Menschen Ziele erreichen                  büro mit den praktischen Tätigkeiten        Lernende sollen vom Angebot der Media-
                                              ­eines Architekten und Bauleiters aus­       theken profitieren, die Medien müssen
                                               einanderzusetzen. Die Erkenntnisse er-      aktuell und bedürfnisgerecht sein. Aber
                                              weitern meinen Horizont und bereichern       auch der Zugang muss niederschwellig
                                              meinen Unterricht.                           und einfach sein.
                                                                                           Was heisst das konkret? Ein möglichst
                                              Christoph Aerni, Leiter Bereich HBB          grosser Teil unserer Medien soll zeit- und
                                                                                           ortsunabhängig zur Verfügung stehen,
                                                                                           der Ausbau der E-Medien ist elementar.
                                                                                           Der Gewinn an Verfügbarkeit ist frappant:
                                              Ressortleiter gibb Media                     Die Mediatheken im Campus resp. Vik­
                                              Blühende Mediatheken                         toriaschulhaus sind 190 Stunden im Jahr
                                                                                           geöffnet, d.h. die Lernenden können alle
                                                                                           14 Tage über den Mittag unsere Angebote
                                                                                          nutzen. Die E-Bibliothek ist immer offen,
                                                                                          8766 Stunden pro Jahr.
  Im Februar 2016 konnte ich die neu ge­                                                  KISS ist ein Prinzip, das mir wichtig ist:
 schaffene Stelle Leiter Bereich Höhere                                                   «keep it simple and stupid», halte es
 Berufsbildung (HBB) übernehmen.                                                          schlicht und einfach. Bereits in drei Me-
 Das 20%-Amt gehe ich mit Respekt an.                                                     diatheken wurde das alte Medienbestell-
 Die grosse Herausforderung wird sein,                                                    formular durch ein neu entwickeltes
 den Bereich HBB ab dem 1. August 2017                                                    ­Online-Tool ersetzt, welches ohne An­
 kostendeckend zu führen. Auf diesen                                                       leitung auskommt. Ein Gewinn für die
 Zeitpunkt hin wechselt der Modus der                                                      Besteller und AVMs. Online-Tools müssen
 ­Finanzierung der Vorbereitungskurse auf                                                  sich den Bedürfnissen der Kunden an-
 die eidgenössischen Prüfungen. ­Bisher                                                    passen. Braucht es eine Anleitung oder
 erhielt die gibb als langjährige und eta­                                                 einen Kurs zur Bedienung, ist etwas
 blierte Anbieterin die Subvention (Objekt­   Seit dem 1. August 2015 bin ich Ressort-     schief gelaufen.
finanzierung). Neu erhalten die Studie­       leiter gibb Media. Hauptberuflich bin ich    Neben dem attraktiven Online-Angebot,
renden die Subvention, wenn sie sich          ABU-Lehrer an der GDL, und dies bereits      das bereits besteht, werden wir versu-
zur eidgenössischen Prüfung anmelden          seit 1995 (Nebenamt) und nach Ab-            chen, neue Lizenzierungen auszuhandeln.
(Subjektfinanzierung). Dieser Paradigmen­     schluss des SIBPs seit 1999 vollzeitlich.    Mit den Lernvideos «video2brain» ist
wechsel der Finanzierung stellt für unser     Mein Interesse gilt den neuen Techno­        uns dies bereits gelungen. Die ABU-­
Team die grösste Herausforderung dar          logien, im Speziellen der Informatik,        Lehrpersonen erhielten vom hep-Verlag
und bildet den momentanen Arbeits-            dem Internet und den sozialen Medien         kostenlos das Gesellschaftsbuch in
schwerpunkt. Ich bin überzeugt, den an-       und wie diese gewinnbringend einge-          E-Book-Form.
spruchsvollen Auftrag zu erfüllen, weil       setzt werden können. Dies ist der Haupt-     Bei der Belletristik ist die Lizenzierung
ich mich auf mein Team und den Support        grund dafür, dass ich mich in diesen Be-      leider nicht ganz so einfach. Einige Ver­
aus der Schulleitung verlassen kann.          reichen weitergebildet und jeweils ein        lage weigern sich, ihre Bücher online zur
Meine Lehrtätigkeit an der gibb hat am        CAS in Medienpädagogik, Online Medien         Verfügung zu stellen, und die Aggrega­
1. August 2011 als Dozent HBB begonnen.       und Informatik an der FHS St. Gallen ab-      toren, die E-Books zur Verfügung stellen,
Meine ausgewiesenen fachlichen                geschlossen habe. Das dort erlangte          sind meist nicht interessiert, diese den
­Kompetenzen (Nachdiplomstudium FH            Wissen hilft mir, meine Ideen umzusetzen     Bibliotheken kostengünstig anzubieten.
Integratives Management) ergänzte ich         und entsprechend zu verwirklichen.           Zukünftig werden wir von gibb Media
mit einem CAS Hochschullehre.                 Der Aspekt «Zukunft» war ausschlagge-        noch etliches bewegen und neu gestalten.
Das Wirken im Kreis der Studierenden          bend, mich für dieses Amt zu bewerben.       Als Ressortleiter kann ich auf motivierte
 fordert mich jeden Tag neu heraus und                                                     und engagierte Personen zählen, welche
 spornt mich an, solide fachliche und                                                      mithelfen, blühende Mediatheken zu
 ­didaktische Settings mit den Klassen                                                     ­gestalten.
  durchzuführen. Weil sich meine Studie-
 renden aus dem Baubereich rekrutieren,                                                   Bernhard Scheidegger, Ressortleiter
                                                                                          gibb media, Lehrer Allgemeinbildung, GDL
Zukünfte gibb intern - Das MagaZin Der gewerblich-inDustriellen berufsschule bern / Juni 2016
6 GIBB INTERN / Juni 2016

                                              Kurz: Das Team um Eduard Wyss setzt          fahrungen ein, die sie mit der Schweizer
Neuer Ressortleiter Ökologie                  sich ein für die Durchsetzung nachhaltiger   Gesellschaft und dem hiesigen Bildungs-
Vielfältig und nachhaltig                     Ideen an unserer Schule.                     system gesammelt haben. Nun teilten
                                                                                           sie diese und wuchsen an den Angeboten
                                              Sabine Beyeler                               wie an den Erfahrungen unserer Nach-
                                                                                           barn. Ihre Facebook-Einträge spiegeln
                                                                                           die Intensität der Begegnungen.
                                                                                           Lesen Sie selbst: https://m.facebook.
                                              Integrationsprojekt an der AVK               com/gibbandyouget/!
                                              «Gibb & youget» – eine Brücke über           Am 17. Juni feierten wir gemeinsam mit
                                              die Viktoriastrasse                          der KU Viktoria unsere neue Brücke
                                                                                           über die Viktoriastrasse mit Workshops,
                                              Die Abteilungen AVK und BAU haben            Präsentationen und Performances, die
                                              seit letztem Jahr neue Nachbarn:             im Rahmen der geschilderten Projekte
                                              160 Asylsuchende sind in die Alte Feuer-     entstanden waren. Auch kulinarische
                                              wehr vis-à-vis des Viktoria-Schulhauses      ­Begegnungen fanden statt.
                                              eingezogen. Bei unseren Lernenden,
                                              von denen viele selbst Migrationshinter-     Eine Brücke in die Zukunft
Seit 1. Februar 2016 hat die gibb mit         grund haben, lösten die neuen Nach-          Und was jetzt? Wollen wir die gefeierte
­Eduard Wyss einen neuen Ressortleiter.       barn Interesse und Anteilnahme an ihren      Brücke als einmalige «Sehenswürdig-
Eduard unterrichtet seit 2014 allgemein       Lebensgeschichten aus.                       keit» bewundern und wieder abbauen?
bildenden Unterricht und Sport an der         Im Rahmen eines «Open Space» luden           Oder die neue Verbindung weiterhin
AVK sowie Englisch in den Freikursange-       wir die Bewohnerinnen und Bewohner           ­aktiv nutzen und den entspannten Gang
boten. Ebenso vielfältig wie die Aufgaben     der Kollektivunterkunft Viktoria ein,         über die Strasse erleichtern? Wir meinen
des Ressorts ist Eduards bisherige Be-        ­Ideen für gemeinsame Projekte zu sam-        Letzteres und setzen uns dafür ein, die
rufslaufbahn: Nach einem Anglistik- und       meln. Unsere Lernenden taten es in ihren      bereichernden Begegnungen zu einer
Germanistikstudium, der Ausbildung            Klassen ebenso. Mit Erfolg! 25 Klassen        Brücke der Zukunft auszubauen.
am EHB, einem mehrjährigen Aufenthalt         der Bau- und AVK-Abteilungen organi-          Unter dem Motto «Welche Zukunft wollen
in England, der Arbeit in der Hotellerie,     sierten mit viel Elan Projekte unter dem      wir?» denken wir im Schuljahr 2016/17
Gastronomie und im Gartenbau sowie an         Motto «gibb & youget», bei denen Be­          mit unseren Lernenden und den Bewoh-
verschiedenen Berufsfachschulen und           gegnungen auf unkomplizierte Art und          nerinnen und Bewohnern der KU Viktoria
Brückenangeboten unterrichtet er nun          Weise möglich waren: gemeinsames Ein-         über die Zukunft nach – und wollen
Vorlehr- und INSOS-Klassen an der gibb.       kaufen, Kochen und Essen, Spazieren,          ­handeln. Die Stichworte Nachhaltigkeit
Seit 2014 gehört Eduard auch dem Team         Entdecken der Umgebung, Musizieren,            und Zusammenleben geben uns mögliche
des Ressorts Ökologie an. Die Idee da-        Kunst-Performing, Sport, Experimen­            Anhaltspunkte. Wir freuen uns auf viele
hinter und die guten Teamerfahrungen          tieren mit Afro-Frisuren, Politisieren –       eigenständige Projekte und inspirierende
motivierten ihn dazu, von Werner Düro         und vieles mehr.                               Begegnungen. Wollen auch Sie an
die Leitung zu übernehmen. Er freut sich                                                     der Zukunft mitbauen und mitgestalten?
auf die Neuausrichtung des Ressorts.          Intensive Kontakte                             Gerne nehmen wir Ihre Ideen entgegen
Mit Kolleginnen und Kollegen aus allen         Unsere hauseigenen Botschafterinnen           (maria.jans@gibb.ch oder
Abteilungen will er schulnahe Themen          und Botschafter übersetzten stolz in           tamar.widmer@gibb.ch).
aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie,         ­viele verschiedene Sprachen und bauten
Kultur und Gesundheit aufgreifen.              so eine Brücke über die Viktoriastrasse.    Tamar Widmer,
Das Team besteht aus: Sophie Clément-          Die Lernenden setzten dabei ihre Er­        Lehrerin Stütz- und Freikurse, AVK
Stocker (BMS), Christian Baumgartner
(GDL), Gregor Smrekar (IET), Martin Streitl
 (MTB), Walter Ochsenbein (BAU) und
Erich Filzer (Leiter Hausdienste). Sie sind
 die Ansprechpersonen für die Lehrper­
 sonen und Mitarbeitenden in den je­
 weiligen Abteilungen und Schulhäusern.
 Zurzeit beschäftigt sich das Ressort
 mit dem Anliegen, Ruheräume für Lehr-
personen zu schaffen, sowie mit der
­Publikation des Ökologie-Newsletters
auf den Bildschirmen und Infopoints
der Schulhäuser. Danach soll der Share-
Point-Auftritt erneuert und längerfristig
ein informativer und attraktiver Auftritt
auf der gibb-Homepage gestaltet werden.              Tamar Widmer im Gespräch mit Asylsuchenden
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Die Kochklasse F: Autorinnen und Autoren des Kochbuchs

                                              die neu interpretiert wurden. Besonders    «Für mich seid ihr alle Gewinner – ich
Buchvernissage im GGZ                         an diesem Projekt, das rund ein Jahr       verneige mich vor euch.» Unsere Direk­
Kochen mit Klasse und Leidenschaft            dauerte, war, dass sich auch alle Lehr-    torin Sonja Morgenegg-Marti war bei der
                                              personen der Klasse – von ABU über         Vernissage dabei und lobte die jungen
  Ein raffiniertes Schoggimüntschi aus        Sport bis üK-Instruktoren – daran betei-   Berufsleute: «Kochen ist Leidenschaft
  ­feiner, dunkler Schokolade mit Blüten-     ligt haben. Das Projekt war sehr förder-    und Herzblut – das spürt man in diesem
   pollen, Szechuan-Pfeffer und Geisskäse-    lich für den Teamgeist der Lernenden        Buch».
  Mousse: wunderbar; zarte Crêpes-Röll-       und eine gute Vorbereitung auf die Prü-     Es ist mir ein Anliegen, nicht nur der
  chen mit Sauerrahm und Rauchlachs: ein      fung, wo ebenfalls Gerichte aus einem       gibb für die Unterstützung zu danken,
  Traum; Zucchini-Waffeln mit Greyerzer-      Warenkorb kreiert werden müssen.            sondern auch der Berner Küchenchef­
  Käse, Basilikum und Pinienkernen: ein-      Entstanden ist ein reich bebildertes        vereinigung CCCB. Eine Realisierung war
fach grandios. Salzige Häppchen und           Buch, das 50 Gerichte beinhaltet. Einige    möglich, weil die Ausbildnerinnen und
­süsse Leckerbissen – eines feiner als das    sind ganz einfach umzusetzen, andere        Ausbildner und die Eltern die Lernenden
 andere – wurden kürzlich im GGZ serviert.    hingegen etwas anspruchsvoller. Alle        unterstützt und ihnen geholfen haben.
 Anlass war die Vernissage des nicht          ­Gerichte wurden im Ausbildungsbetrieb,     Das Wichtigste zum Schluss: Das
 ­alltäglichen Kochbuches: «25 × Leiden-      am Wohnort der Lernenden oder in der        Engage­ment, die Freude, Leidenschaft
  schaft – eine Klasse kocht». Mit Fanfaren   gibb-Küche im GGZ fotografiert.             und Zuverlässigkeit der Klasse waren
  und Wunderkerzen veröffentlichten die                                                   ­beeindruckend und nur dank diesen
  Lernenden ein Buch, das vom Talent des      Kochen ist Leidenschaft und Herzblut       ­bewundernswerten Eigenschaften
  hiesigen Kochnachwuchses zeugt.              Gleich drei Schweizer Starköche gaben       aller Lernenden war eine Realisierung
                                               den jungen Berufsleuten im Vorwort ihre    dieses Kochbuches überhaupt möglich.
Macht Lust auf mehr                            Wünsche mit auf den Weg. Für Anton
Alle Lernenden der Kochklasse F kreier-       ­Mosimann aus London ist Perfektion die    Erwin Mumenthaler,
ten je zwei Rezepte nach dem Motto             Antwort auf die Frage, ob gutes Essen     Lehrer Berufskunde, GDL
«Salzig – süss – kreativ». Neben neu­          und guter Service genug seien. Tanja
artigen Kreationen wurden auch be­             ­Grandits aus Basel empfiehlt den Koch-
kannte Gerichte ins Buch aufgenommen,         lernenden: «Zaubern Sie Ihren Gästen
                                              Glück ins Gesicht». Und Stefan Wiesner –
                                              der «Hexer» aus dem Entlebuch – meint:
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Zukünfte
Wir gestalten die Zukunft
als Individuum, als
­Organisation und als
 ­Gesellschaft mit.

Die Zukunft prägen                                            wichtiges Signal dar. Seit 1984 heisst die Gewerbeschule
                                                              «Gewerblich-Industrielle Berufsschule Bern» (gibb).
                                                                  Die Schule wächst und mit ihr die Anzahl Standorte.
                                                              Die mittlerweile kantonalisierte Schule besuchen an sieben
                                                              Standorten über 7000 Lernende, sie führt die grösste Be-
Sonja Morgenegg-Marti, Direktorin                             rufsmaturitätsschule und bietet mehr als 1000 Studieren-
Daniel Hurter, stv. Direktor                                  den Angebote in der höheren Berufsbildung an.

                                                              Wohin gehen wir?
Wir leben in der Gegenwart, dem kurzen flüchtigen             In 10 Jahren wird die gibb 200 Jahre alt sein. Wie wird sie
­Augenblick zwischen Herkunft und Zukunft.                    dann aussehen? Was hat sich bis dahin verändert? Werden
 ­Gelegentlich fragen wir uns jedoch: Woher kommen            neue, andere Unterrichtsformen im Vordergrund stehen?
  wir? Was kommt auf uns zu? Wissen wir, welche               Zukunft ist immer unsicher. Gleichwohl: «Zukunft» stösst
  ­Bildung in Zukunft gebraucht wird, welchen Stellen-        uns nicht einfach zu oder ereignet sich; wir gestalten die
   wert Berufsbildung in Zukunft hat?                         Zukunft als Individuum, als Organisation und als Gesell-
                                                              schaft mit.
                                                                   Haben Sie gewusst, dass 65% der Kinder, die dieses
Woher kommen wir?                                             Jahr in die Schule kommen, später Berufe ausüben wer-
Die «technische Zeichnungsschule» wird 1826 zur «Hand-        den, die es heute noch gar nicht gibt? Vielleicht sieht auch
werker-Schule in Bern» – die gibb ist gegründet. Anfänglich   die Schule der Zukunft ganz anders aus. Es könnte sein,
besuchen die Lernenden – ausschliesslich junge Männer –       dass sie immer offen ist und sich die Lehrenden und die
die nur im Winter geführten Kurse. Ein Jahr vor Beginn des    Lernenden Urlaub nehmen, wann immer es für sie stimmt,
20. Jahrhunderts entsteht durch den Anschluss der Kunst-      wie das in einem Unternehmen auch der Fall ist.
schule im Kornhaus mit knapp 1000 Lernenden die «Hand-             Lernende sind vielleicht nicht mehr in Klassen pro Lehr-
werker- und Kunstgewerbeschule». Bald darauf geht sie als     jahr eingeteilt, sondern Inhalte werden modulartig ange­
«Gewerbeschule der Stadt Bern» an die Gemeinde über.          boten, und alle lernen in ihrem eigenen Rhythmus und
     Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wird die neue      ­bestimmen selber, was und in welcher Reihenfolge sie an-
«Gewerbeschule» in der Lorraine in einem avantgardis­          gehen möchten. Mit dem Einsatz moderner Technologien
tischen Bau des Architekten Hans Brechbühler eröffnet.         sind sie auch nicht permanent an den Ort der Schule ge­
Dies stellt für die berufliche Grundbildung im Allgemeinen     bunden, sondern lernen via Video-Lektionen unterwegs
und für die über 2000 Lernenden an der Gewerbeschule ein       oder zu Hause und kommen nur in die Schule, wenn sie
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10 GIBB INTERN / Juni 2016                                                                                            Zukünfte

­Erklärungen brauchen, wenn das Gelernte vertieft und         Wenn Sie ausländischen Delegationen den Erfolg
­verknüpft werden muss und wenn der Austausch mit an­         des Schweizer Berufsbildungssystems erläutern:
 deren wichtig ist.                                           Welche Eckpunkte sind Ihnen wichtig?
      Die Rolle der Lehrpersonen würde sich dadurch natür-    Wichtig sind zwei Punkte: Was die Schweiz erstens von
 lich auch verändern. Lehrpersonen wären davon befreit,       den meisten anderen Ländern unterscheidet, ist der opti-
 den Hauptteil ihrer Zeit mit Vorträgen zu verbringen. Sie    male Bildungsmix aus exzellenten Hochschulen, sehr guten
 würden viel mehr Zeit für die menschliche Interaktion, für   Gymnasien und einer starken Berufsbildung, angefangen
 die Beratung und die individuell angepasste Unterstüt-       von den Attestausbildungen bis hin zu eidgenössischen hö-
 zung der Lernenden haben.                                    heren Fachprüfungen. Die Berufsbildung ist im Schweizer
      So erneuern wir unser Wissen und Verständnis durch      Bildungssystem optimal eingebettet – bis in die Tertiär­stufe
 die Auseinandersetzung mit aktuellen Erkenntnissen aus       hinein. Das findet man in kaum einem anderen Land.
 Technik, Wirtschaft und Forschung stetig. Aufgrund unse-           Der zweite Punkt: Das duale Berufsbildungssystem in
 rer Erfahrungen und in der Auseinandersetzung mit an­        der Schweiz basiert auf einer gut funktionierenden Ver-
deren gestalten wir unsere Lehrtätigkeit heute und mor-       bundpartnerschaft. Unsere Gäste fragen oft: Wie kann das
gen immer wieder neu, wecken Neugier, Interesse und           überhaupt funktionieren? Meine Antwort lautet: Es funk­
 Freude an der Bildung – wir prägen die Zukunft der Bildung   tioniert nur, weil alle in dieser Verbundpartnerschaft
 neu, fortlaufend!                                            ­(Kantone, Schulen, Bund, OdAs, Betriebe, Wirtschaft) ihren
                                                               Teil und damit ihre Verantwortung übernehmen. In der
                                                               Schweiz entspricht dies einer historisch gewachsenen
                                                               Struktur, einer Tradition, in der die Rollen klar verteilt sind.
                                                               Sobald ein Partner seine Rolle nicht mehr übernimmt, dann
                                                               ist Sand im Getriebe.

Tradition und Inno­                                           Ursula Renold fordert, dass sich die Schweizer Berufs­

vation: Wie die Berufs-                                       bildung nicht auf den Lorbeeren ausruhen dürfe,
                                                              sondern sich neuen Herausforderungen stellen müsse.

bildung gut bleibt                                            Ich sehe das genauso. Es ist immer gefährlich, wenn man
                                                              gut ist und von anderen Ländern beneidet wird. Wir müssen

und weiterkommt                                               offen bleiben für Neues. Spätestens seit die Verbundpartner
                                                              vor ein paar Wochen beschlossen haben, an einer Strategie
                                                              2030 zu arbeiten, und sie bereit sind, neue, innovative Sa-
                                                              chen anzupacken, bin ich zuversichtlich. Der Impuls kommt
                                                              aus der Verbundpartnerschaft heraus. Alle Partner finden:
Interview mit Josef Widmer, stv. Direktor SBFI                Wir wollen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern
Sabine Beyeler und Bernhard Roten                             rechtzeitig künftige Entwicklungen antizipieren.

Der stellvertretende Direktor des Staatssekretariats                «Die Schulen können als
für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) gewährte               Ausbildungs­profis die Entwicklung
dem «gibb intern» ein Interview zum Stand und zur
Entwicklung der Berufsbildung. Ausführlich hat er sich              vorantreiben.»
auch zur Situation der BMS geäussert (siehe Seite 12).

Herr Widmer, wenn Sie eine Lehre gemacht hätten,              Welche Rolle können die Berufsfachschulen
welche wäre es gewesen?                                       in diesem Entwicklungsprozess spielen?
Diese Frage wird mir oft gestellt und meine Antwort ist       In den Kantonen haben die Berufsfachschulen – gerade
klar: Ich wäre Landschaftsgärtner oder Koch geworden.         auch die gibb im Kanton Bern – eine wichtige Funktion. Man
­Beides mache ich gerne, und diese Berufe faszinieren mich    darf nicht vergessen: Für die Schulen ist die Ausbildung
immer besonders, wenn ich die Berufsmeisterschaften           das Hauptgeschäft, für die Betriebe lediglich eine wichtige
­besuche.                                                     Nebensache. Kerngeschäft der Betriebe ist ein anderes.
                                                              Dementsprechend spielen die Berufsfachschulen als insti-
Die Zahlen der Lernenden gehen zurück.                        tutioneller Teil der dualen Ausbildung eine zentrale Rolle.
Haben wir in Zukunft noch Lernende?                           Sie können als Ausbildungsprofis die Entwicklung voran-
Bis 2020 geht die Zahl der Lernenden, die aus der obliga-     treiben. Und: das könnten sie noch aktiver tun, selbstver-
torischen Schule in eine Lehre eintreten, zurück. Ab etwa     ständlich in engem Kontakt mit den Betrieben. Ich nehme
2020 wird demografisch eine Trendwende einsetzen. Aber        die Schulen häufig als gute «Realisierer» und Umsetzer
es spielen weitere Faktoren eine Rolle, beispielsweise die    wahr, jedoch weniger als Innovationskräfte. Die Schulen
Migration, gesellschaftliche Einflüsse oder das Renommee      machen ihren Job gut, aber die Innovationen kommen mei-
der Berufsbildung gegenüber dem Gymnasium.                    ner Einschätzung nach eher von den Branchen.
ZukünfteGIBB INTERN / Juni 2016 11

Welche Entwicklungsfelder empfehlen Sie den
Berufsfachschulen?
Es gibt verschiedene Entwicklungsfelder. Erstens – immer
in Kontakt mit der betrieblichen Seite – könnte man sich
über die Ausbildungsform Gedanken machen. Wie gestal-
tet sich die Aufteilung zwischen Schule, Betrieb und Über-
betrieblichen Kursen, wie funktioniert die Zusammen­
arbeit der drei Lernorte? Gibt es Instrumente, mit denen
man die Zusammenarbeit optimieren könnte, immer im
­Sinne der Qualität? Bei der Lernortkooperation sind wir
längst noch nicht dort, wo wir sein könnten.
     Zweitens kommen die Betriebe bei der Ausbildung zu-
nehmend ans Limit. Hier könnten die Schulen Dienstleis-
tungen anbieten, um den Betrieben beispielsweise einen
Teil des administrativen Aufwands abzunehmen oder sie
gezielt bei der Ausbildung zu unterstützen.
     Dann finde ich die Digitalisierung der Arbeitswelt ein   Josef Widmer, stv. Direktor SBFI
wichtiges Thema. Sie wird die Berufe, aber auch die Aus­
bildung selber stark betreffen. Die Frage, ob beispielweise
in Zukunft der Präsenzunterricht noch immer die Regel
sein wird oder ob mehr selbstgesteuertes Lernen statt­        geltende Regelung nicht mehr auf Einzelfächer setzt, son-
finden wird oder ob vermehrt mit fertig produzierten Aus-     dern auf Vernetzung. In einigen Kantonen wird noch die
bildungs-Modulen gearbeitet wird, muss auch die Berufs-       «alte Schule» gelebt. Darauf wollen wir vermehrt Wert le-
fachschulen beschäftigen.                                     gen: das gemeinsame Verständnis dafür zu schärfen, was
     In der Berufsbildung sollten wir den Zug nicht verpas-   der ABU sein soll. Statt schon wieder zu revidieren, scheint
sen. Schulen – gerade grosse wie die gibb – sind aufgefor-    es mir wichtiger, an der Qualität zu arbeiten. Vor allem den
dert, Neues ausprobieren und Innovationen auszulösen.         Austausch unter den Schulen und Lehrpersonen innerhalb
                                                              eines Kantons oder gar darüber hinaus finde ich wichtig.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei den
Qualifikationsverfahren?                                      Die berufliche Qualifizierung für Erwachsene ist ein
Die Kantone beklagen sich darüber, dass die QVs zu unter-     Entwicklungsschwerpunkt des SBFI. Wie kann man die
schiedlich seien. Unser Vorschlag an die OdAs war, sieben     Leute motivieren, diesen Weg zu wählen?
verschiedene Sets von Qualifikationsverfahren zu definie-     Wenn wir das erreichen wollen, was wir in unserem Stra­
ren, aus denen eine Trägerschaft wählen könnte. Doch das      tegiepapier schreiben, nämlich mehr Leute dafür zu be­
wurde von den OdAs abgelehnt. Sie wollen ihre Freihei-        geistern, dass sie diesen Weg auf sich nehmen, dann haben
ten behalten und bestehen auf den bisherigen Varianten.       wir auch mehr Volumen. Das Potenzial ist gross: Es gibt
Die Kantone sollen sich arrangieren. Ich sehe wenig Bereit-   500 000 Erwachsene ohne Lehrabschluss, davon sind
schaft zu einer stärkeren Vereinfachung, auch wenn dies       schätzungsweise 10 Prozent, das heisst rund 50 000 Per­
systemisch sinnvoll und für alle Beteiligten praktikabler     sonen in der Lage und haben den Willen, einen solchen
wäre. Ich bedaure dies, denn die Komplexität der QVs wirkt    ­Abschluss nachzuholen. Damit liessen sich durchaus ver-
sich häufig negativ auf die Qualität aus. Viele Prüfungs­     nünftig grosse Klassen führen.
experten sind heute schon überfordert.                             Wir müssen dafür sorgen, dass nicht nur auf der An­
                                                              gebotsseite die Bedingungen stimmen, sondern auch auf
                                                              der Nachfrageseite. Die interessierten Leute müssen so gut
     «Im ABU scheint mir wichtiger,                           beraten und unterstützt werden, dass sie daran glauben,
                                                              dass sie es schaffen können.
     an der Qualität zu arbeiten,                                  Wir überlegen, ob wir die Hürden weiter senken kön-
     statt schon wieder den Rahmen­                           nen. Denkbar ist etwa, für diese Personen keinen Lehr­
                                                              vertrag mehr zu verlangen, unbürokratischere Lösungen zu
     lehrplan zu revidieren.»                                 ermöglichen oder mehr modulare Ausbildungsangebote zu
                                                              machen. Wir sind dabei auf einen Deal mit der Wirtschaft
                                                              angewiesen, die ihre Mitarbeitenden motivieren muss und
Der allgemein bildende Unterricht ist ein wichtiges           ihnen wenn möglich Zeit für die Nachqualifikation zur Ver-
Thema für die Berufsfachschule. Wie sehen Sie hier die        fügung stellen sollte. Entsprechende gute Beispiele gibt
Entwicklung, beispielweise beim Rahmenlehrplan?               es beispielsweise im Kanton Solothurn.
Bei der Allgemeinbildung denke ich, dass eine Revision
des Rahmenlehrplans nicht nötig ist. Vielmehr gilt es den     In der Höheren Berufsbildung steht ein Übergang zu
geltenden RLP so umzusetzen, wie er einmal gedacht war.       einem neuen Finanzierungssystem bevor – zur Subjekt­
Das ist leider noch nicht ganz der Fall. Man hat in den Be-   finanzierung. Können Sie uns eine Richtung für die
rufsfachschulen noch nicht überall verstanden, dass die       Umsetzung anzeigen?
12 GIBB INTERN / Juni 2016                                                                                                  Zukünfte

Zunächst einmal: Die Höhere Berufsbildung besteht aus               Bundessubvention (vorgeschlagen sind 50% der effektiven
eidg. Berufsprüfungen und Höheren Fachprüfungen sowie               Kursgebühren) an die vorfinanzierende Institution ab. Die
Höheren Fachschulen. Bei den Höheren Fachschulen ist                Einführung der neuen Subjektfinanzierung erfolgt per
die Finanzierung bereits geregelt. Da ändert sich nichts. Es        1.1.2018, das heisst alle Personen, die 2018 Prüfungen
geht also «nur» um die Vorbereitungskurse auf die eid­              ­absolvieren, kommen in den Genuss der Bundesfinanzie-
genössischen Prüfungen. Insgesamt sind es rund 400 ver-              rung, egal ob sie ihre Ausbildung 2017 oder früher be­
schiedene Prüfungen. Geregelt ist nur die Prüfung. Der               gonnen haben. Ich bin überzeugt, dass die neue Subjekt­
­Besuch von Vorbereitungskursen ist freiwillig. In den meis-         finanzierung zusammen mit den übrigen Massnahmen
ten Fällen besteht ein Markt bzw. Konkurrenz zwischen                des Bundes (neue Titelgebung, NQR usw.) zu einer spür­
­verschiedenen Anbietern von Vorbereitungskursen, öffent-            baren Stärkung der Höheren Berufsbildung führt.
 lichen und privaten. Die Teilnehmenden können frei wäh-
 len, wo sie ihre Kurse besuchen.
       Heute sind gewisse Vorbereitungskurse von den Kan-                 «Überspitzt gesagt: wir können
 tonen mitfinanziert, andere gar nicht. Je nach Kanton und
 je nach Kurs ist die Situation sehr verschieden, was die                 ­wählen, jetzt mehr in Bildung
 ­Teilnehmerinnen und Teilnehmer in verschiedener Hinsicht                 zu investieren oder später mehr
 benachteiligt. Der Bundesrat schlägt nun mit der so ge-
nannten BFI-Botschaft 2017-20 ein neues Finanzierungs-                     Soziallasten zu tragen.»
  system vor. Danach erhalten die Teilnehmerinnen und
 ­Teilnehmer von Vorbereitungskursen, wenn sie die Schluss-
 prüfung absolviert haben, direkt einen finanziellen Beitrag        Stichwort Migration: Ist es eine Option, die Migrantinnen
 vom Bund. Diesen können sie durch Vorlage der bezahlten            und Migranten in die Berufsbildung zu integrieren?
 Kurskosten und der Bestätigung der absolvierten Prüfung            Migrantinnen und Migranten mit einer Bleibeperspektive
 unbürokratisch abrufen.                                            müssen aus meiner Sicht integriert werden. Die Berufsbil-
       Viele Schulen, manche Arbeitgeber und zahlreiche             dung ist dabei gut aufgestellt, hier einen entscheidenden
 ­Verbände richten sich auf die künftige Situation ein und          Beitrag zu leisten. Die Integration erfolgt in mehreren
 bieten ihren Absolvierenden eine Vorfinanzierung an, wenn          ­Phasen: Zuerst braucht es eine Triage: Was können diese
 sie Probleme mit der Bezahlung der Kurskosten haben. In             Leute, was bringen sie mit, was brauchen sie noch? Die
 diesem Fall treten die Absolvierenden das Recht auf die             ­Vorbildung ist sehr unterschiedlich.Es ist wichtig, Mi­

                                             sondern weil die Modelle ihnen nicht         zu schaffen. Dazu braucht es vielleicht
Die BMS – auch in Zukunft                    entsprechen, die zeitliche Belastung für     auch unkonventionelle Lösungen. Zurzeit
ein Erfolgsmodell                            sie zu gross ist oder der Betrieb ihnen      werden verschiedene Ideen diskutiert,
«Ich sehe das Potenzial der Berufs­          die BM nicht ermöglicht.                     unter anderem auch ein Modell, bei dem
maturität bei 20 Prozent.»                                                                ein Teil der BM-Ausbildung direkt im An-
                                             Sie haben eine Studie zur Langzeitentwick­   schluss an die obligatorische Schulzeit
Herr Widmer, ein wichtiges Standbein der     lung der BMS erarbeiten lassen, die zum      absolviert wird und der Eintritt in die
gibb ist die BMS. Wo sehen Sie die Berufs-   Schluss kommt: Der Trend geht klar Rich-     Lehre erst nach einem Jahr erfolgt. Das
maturität in ein paar Jahren?                tung BMS 2, während die lehrbegleitende      würde die Schulanteile während der
Die bisherige Geschichte der BMS ist eine    BMS (BMS 1) an Attraktivität verloren hat.   ­Lehre verringern, die Lernenden würden
Erfolgsstory. Bei ihrer Einführung war       Wird das SBFI Gegensteuer geben?             weniger im Lehrbetrieb fehlen. Wir wis-
sie eine wichtige Neuerung im Berufsbil-     Auf jeden Fall wollen wir hier Einfluss      sen zudem aus Studien, dass vor allem
dungssystem, denn sie öffnete das Tor        nehmen. Darum haben wir eine Arbeits-        junge Frauen nach der obligatorischen
zur Hochschulwelt. Für die Berufsbildung     gruppe der Verbundpartner geschaffen,        Schulzeit lieber noch ein Jahr Schule an-
ist dieser Zugang zum Tertiärbereich         in der wir neue Modelle studieren. Die       schliessen würden als direkt in eine Be-
sehr wichtig. Die Durchlässigkeit ist ein    Berufsmaturität hat ihre Schwerpunkt­        rufslehre einzutreten. Ihnen käme dieses
zentraler Erfolgsfaktor des Schweizer        bereiche beziehungsweise Berufe, die         Modell entgegen. Selbstverständlich
­Bildungssystems.                            für die BM prädestiniert sind. Zusammen      werden auch ganz andere unkonventio-
Allerdings glaube ich, dass wir das Poten­   mit den entsprechenden Branchen soll-        nelle Modelle diskutiert.
zial der Berufsmaturität noch nicht aus-     ten wir versuchen, neue attraktive BM-
schöpfen. Im Moment liegen wir bei 14        Modelle zu generieren. Wir wollen aber       Welche Berufe könnten für die BM noch
bis 15 Prozent. Ich sehe das Potenzial       auch mit Berufsverbänden in Kontakt          besser erschlossen werden?
der Berufsmaturität bei rund 20 Prozent.     treten, die heute noch praktisch keine       Wir sollten vor allem bei den neuen
Diese wären meiner Ansicht nach ohne         BMS-Absolventen haben, aber ein Poten-       ­Be­rufen im Bereich Informations- und
Qualitätseinbussen zu erreichen. Wir         zial dafür hätten.                           Kommunikationstechnologien einen
wissen, dass einige Lernende nicht aus       Wir streben an, die BMS 1 wieder attrak-     ­hohen BM-Anteil hinbekommen. Im Zuge
Leistungsgründen keine BM machen,            tiver zu machen und den Turnaround            der ­Digitalisierung wird sich die Berufs-
ZukünfteGIBB INTERN / Juni 2016 13

grantinnen und Migranten auf den Wissensstand am Ende              Welche Berufe könnten bis 2026 unter Druck kommen?
der obligatorischen Schulzeit zu bringen, und zwar bezüg-          Werden Berufe verschwinden und neue entstehen?
lich Schulstoff wie auch bezüglich Sprache und kulturellen         Ich glaube, es wird neue Berufe geben, die wir noch gar
Kompetenzen. Erst dann können sie in die Regelstrukturen           nicht kennen, so etwa im Bereich Gestaltung, Design, Kom-
der Berufsbildung eintreten.                                       munikation. Die Digitalisierung wird vermutlich ein Teil
     Die zusätzlichen Massnahmen bis zum Eintritt in eine          ­vieler Berufe werden. Die einzelnen Berufsbilder werden
Berufslehre sind unserer Meinung nach durch die Migra­              wohl in der Grundbildung breiter aufgestellt sein und da-
tionsseite zu finanzieren. So hat das Staatssekretariat             mit den jungen Leuten noch mehr Perspektiven bieten als
für Migration das Projekt «Flüchtlingsvorlehre» lanciert,           heute (unter anderem Spezialisierung auf der Tertiärstufe).
eine einjährige Vorbildung, die Personen an die Regelstruk-         Im Dienstleistungsbereich ist diese Breite der Ausbildung
turen heranführen soll. Wir begrüssen dies durchaus. Wenn           schon heute Realität (zum Beispiel generalistische kauf-
Migrantinnen und Migranten dann in die Berufsbildung                männische Berufslehre mit anschliessender Spezialisierung
(zum Beispiel in ein reguläres Brückenangebot oder in eine          auf der Tertiärstufe).
Berufslehre) eintreten, erfolgt die Finanzierung durch die               Am meisten Veränderungen dürften die Dienstleis-
Bildungsseite.                                                      tungsberufe erfahren, gerade auch im kaufmännischen Be-
     Diese «Grenze» zu definieren ist allerdings nicht ganz         reich. Die klassisch-gewerblichen Berufe werden stabiler
einfach. Im Moment haben wir zahlreiche Migrantinnen                bleiben. Handwerk hat auch 2026 einen goldenen Boden,
und Migranten in den Brückenangeboten. Sollten die Zah-             wenn die Berufsleute qualitativ gute Arbeit leisten und
len massiv steigen, wären diese aktuellen Angebote hoff-            ­Unternehmergeist zeigen. Etwas schwieriger dürfte es für
nungslos überlastet, und es wäre den Bildungsbehörden               ganz niederschwellige Berufe werden, schlicht und einfach
dann auch nicht möglich, die zusätzlichen Aufwände ein-             deshalb, weil diese Tätigkeiten immer mehr automatisiert
fach zu leisten.                                                    werden dürften.

Ist der politische Wille für die Finanzierung vorhanden?
Das werden wir sehen. Die Kosten werden so oder so an­
fallen, entweder jetzt oder später. Überspitzt gesagt: wir               «Die Schweiz wird im internationalen
können wählen, jetzt mehr in Bildung zu investieren oder
später mehr Soziallasten zu tragen. Ich glaube, diese Er-
                                                                         Umfeld manchmal als etwas exotisch
kenntnis wird sich früher oder später durchsetzen.                       wahrgenommen.»

 bildungslandschaft ohnehin stark ver­       die an die FH gehen wollen, muss beste-     eine Stelle findet. In gewissen Nachbar-
 ändern. Das könnte Auswirkungen auf         hen bleiben und ebenfalls eine gewisse      ländern ist das schon lange so. Mit dem
 die Berufsmaturität haben, auch wenn        Hürde darstellen. Das System braucht        schweizerischen Mix von Berufs­bildung
 ich glaube, dass künftig auf dem Arbeits-   hier eine gewisse Parität.                  und Hochschule sind wir bisher gut ge-
 markt tendenziell höhere Anforderungen      Bei den Fachhochschulen haben wir, alle     fahren. Wir spüren aber deutlich, dass wir
 gestellt werden und damit der Wert der      Studienrichtungen zusammengenommen,         gegen einen Trend ankämpfen müssen.
 Berufsmaturität gesteigert wird. So oder    rund 20 Prozent Studenten mit gymna­        Ich werde manchmal gefragt, warum wir
 so sollten wir das Augenmerk stark auf      sialer Vorbildung. Bei den einzelnen Stu-   keine Kampagne fürs Gymnasium machen.
 neue oder neukonzipierte Berufe richten     dienrichtungen muss man differenzieren;     Die Antwort ist klar: das Gymnasium
 und sie vermehrt unter besonderer           im Bereich Kunst und Musik zum Beispiel     braucht diese Unterstützung nicht. Was
 ­Berücksichtigung der Berufsmaturität       ist das Gymnasium als Zulieferer durch-     wir hingegen brauchen, sind Kampagnen
­organisieren.                               aus sinnvoll. Bei Architektur oder Wirt-    für die Berufsbildung, weil diese in unserer
                                             schaft eher nicht. Wir sollten schauen,     Gesellschaft leider unterschätzt wird!
Die BMS bereitet auf den Übertritt an eine   dass auch zukünftig nicht mehr als ein      Mein Credo ist: Die Berufsbildung muss
Fachhochschule vor. Mittlerweile wird        Viertel der FH-Studenten vom Gymnasium      den Spagat machen zwischen der Integ-
für unsere Lernenden auch die Passerelle     kommen.                                     ration von Schülerinnen und Schülern
zur Universität immer mehr zur Option.                                                   mit schwächeren Schulleistungen und
Wie sieht Ihre Position dazu aus?            Sehen Sie keinen Trend zum akademischen     hochanspruchsvollen Ausbildungen, wel-
Die Passerelle ist eine gute Sache. Pas-     Weg? Wird die Schweiz im Zuge euro­         che leistungsstarke Schülerinnen und
serellen sollten allerdings nie Regel-Wege   päischer Entwicklungen nicht noch mehr      Schüler ansprechen. Sie darf unter keinen
werden, sondern zusätzliche Optionen         unter Druck geraten?                        Umständen lediglich zweite Wahl wer-
bleiben. Das heisst, die Passerelle soll     Wir sind jetzt schon unter Druck. Es gibt   den, also zu einem Ausbildungsweg, den
anspruchsvoll sein – und sie sollte die      einen spürbaren gesellschaftlichen Trend    man nur wählt, wenn man nichts anderes
Ausnahme bleiben! Das gilt auch für den      zu mehr Schule und zum akademischen         geschafft hat. Die Berufsbildung muss
umgekehrten Weg vom Gymnasium an             Weg – fälschlicherweise, finde ich. Wir     jetzt und in Zukunft attraktiv sein, auch
die Fachhochschule. Das hier verlangte       werden in den nächsten Jahren noch mehr     anspruchsvolle Berufe anbieten und die
Arbeitspraktikum für Gymnasiasten,           erleben, dass nicht jeder Uni-Abgänger      Berufsmaturität fördern.
14 GIBB INTERN / Juni 2016                                                                                             Zukünfte

Wie wird sich die Motivation der Unternehmen,                  Und wie können sich Abschlüsse in der Berufsbildung
Lernende auszubilden, verändern?                               im internationalen Umfeld behaupten? Wird ein Koch in
Wir leben in einer Zeit, in der die Unternehmen teilweise      zehn Jahren immer noch «Koch» heissen?
händeringend Fachkräfte suchen. Die meisten Unter­             Ich denke ja: ein Koch bleibt ein Koch. Persönlich bin ich
nehmen haben längst verstanden, dass sie sich in der be-       eher kritisch gegenüber den zahlreichen Änderungen der
ruflichen Grundbildung engagieren müssen, wenn der drin-       Berufsbezeichnungen, die in der Vergangenheit erfolgt
gend benötigte Nachwuchs in ihrer Branche sichergestellt       sind. Sie haben die Verständlichkeit der Abschlüsse in der
werden soll. Etwas überspitzt könnte man sagen: Bildet         Schweiz nicht unbedingt erhöht. Im internationalen Umfeld
Lernende in technischen Berufen aus, dann habt ihr später      wird das Schweizer Bildungssystem manchmal als etwas
auch Ingenieure!                                               exotisch wahrgenommen. Wir dürfen aber nicht den Fehler
     Ich denke, wir müssen alles tun, um die (freiwillige!)    machen, uns einfach dem europäischen Mainstream anzu-
Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen zu erhalten.           gleichen. Wir verfügen über eines der weltbesten Bildungs-
­Bisher ist es der Schweiz gelungen, die Berufsausbildungen    systeme und sollten unsere Stärken bewahren. Was wir
so zu gestalten, dass sich die Ausbildung von Lernenden        ­hingegen tun müssen, ist, dafür zu sorgen, dass unsere
für die Unternehmen auch finanziell rechnet. Dieses Asset       ­Abschlüsse international verstanden werden. Darum ha-
müssen wir auch künftig unbedingt erhalten. Ausserdem           ben wir den nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) lan-
sollten die Unternehmen sich weitgehend auf die Aus­            ciert, mit dem unsere Abschlüsse in einem europäischen
bildung selber konzentrieren können und von administrati-       Referenzsystem (EQR) eingeordnet werden können. Unsere
ven Arbeiten möglichst entlastet werden. Auch die Berufs-       Absolventinnen und Absolventen erhalten so genannte
fachschulen sollten sich dessen bewusst sein und ihren          ­«Diploma Supplements», welche ausweisen, welcher Stufe
Beitrag zur Entlastung der Unternehmen leisten.                  ein Abschluss zugeordnet wird und welche Kompetenzen
                                                                 er beinhaltet. Damit wird die Mobilität unserer Berufsleute
Werden die Betriebe nach wie vor genügend Aus­                   gefördert.
bildungsplätze anbieten? Von Google hört man beispiels-               Generell denke ich, dass die Schweizer Berufsbildung
weise, dass sie gar nicht ausbilden.                             sich international stärker öffnen sollte. Das gilt auch für die
Es gibt eine Untersuchung von Prof. Mühlemann aus dem            Berufsfachschulen. Warum kann eine Schule wie die gibb
Jahre 2013 zum Thema «Beteiligung internationaler Be­            nicht mit Schulen aus anderen Ländern Kontakte pflegen
triebe an der Berufsbildung». Fazit: Sie engagieren sich im      und einen regelmässigen Austausch von Lehrpersonen
Ganzen gesehen ungefähr gleich wie die nationalen Unter-         oder Lernenden lancieren? Das wäre doch sehr befruchtend
nehmen. Google scheint mir ein Spezialfall zu sein. Auf-         und der beidseitige Gewinn wäre enorm!
grund ihrer Tätigkeiten dürften ihre Jobprofile eher Hoch-
schulabsolventen ansprechen.                                   Herr Widmer, wir danken Ihnen herzlich
     Wir haben die grossen Unternehmen aber durchaus           für das ausführliche Gespräch.
im Auge, gerade auch die IT-Unternehmen. Die kantonale
Lehraufsicht nimmt in der Regel mit Unternehmen, die neu
in die Schweiz kommen, Kontakt auf und versucht, sie für
die Lehrlingsausbildung zu gewinnen. Wir versuchen sei-
tens SBFI, auch in unseren Kontakten mit der Wirtschaft,
mit Unternehmensführern und CEOs die Qualität der
Schweizer Berufsbildung darzustellen. Unsere Erfahrung
ist, dass die meisten Unternehmen unser System durchaus
wertschätzen und sich engagieren.
     Wir müssen aber aufmerksam sein. Wenn wir nach
Deutschland blicken, sehen wir eine problematische Ent-
wicklung: Dort ist der Lehranteil auf etwas über 40 Prozent
gesunken. Das wollen wir für die Schweiz unbedingt ver-
meiden. Die Akademisierung vieler Berufe ist in Deutsch-
land weit fortgeschritten. Wir sollten in der Schweiz Gegen-
steuer geben und den gesellschaftlichen Trend hin zu mehr
Schule kritisch hinterfragen. Was wir brauchen, ist Exzel-
lenz auf allen Stufen, von der zweijährigen beruflichen
Grundbildung bis zum Gymnasium und der Hochschule. Im
Unterschied zu vielen anderen Ländern ist es der Schweiz
bisher gelungen, einen guten Mix verschiedener Qualifi­
kationsstufen und Ausbildungsgänge zu gewährleisten.
ZukünfteGIBB INTERN / Juni 2016 15
16 GIBB INTERN / Juni 2016                                                                                         Zukünfte

Bibliotheken:
                                                                 ­ erden sich verstärkt der Pflege und Erfassung speziali-
                                                                 w
                                                                sierter Metadaten widmen, um diese dann als offene ver-

Orte der Begegnung                                              linkte Daten (Linked Open Data) frei zur Verfügung zu
                                                                ­stellen. Dies erlaubt neue Formen der Informationssuche,

und des Lernens                                                  die sich nicht mehr auf den eigenen Bestand fokussiert
                                                                 und unabhängig vom Medientyp sein wird. Metadaten­
                                                                 management wird diese neue Kernaufgabe genannt, welche
                                                                 die klassische Katalogisierung ablösen wird.

                              Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler,
                              HTW Chur                          Spielerische und kreative Zugänge
                                                                Bibliotheken wurden lange Zeit als jene Institution defi-
                                                                niert, die publizierte Information sammelt, katalogisiert,
                                                                archiviert und vermittelt. Künftig wird die Vermittlung des
                                                                Zugangs zu Information unabhängig von ihrer Herkunft und
                                                                ihrem Format im Vordergrund stehen. Entscheidend ist
                                                                für die Nutzer, dass diese Information von hoher Qualität
                                                                und unmittelbar zugänglich ist. Die Unterstützung bei der
                                                                Informationssuche und der Verarbeitung wird entsprechend
                                                                weiter an Bedeutung gewinnen, sei es durch geeignete
Bibliotheken werden nach wie vor eng mit dem Buch ver-          ­Systeme oder durch persönliche Beratung. Bibliothekarin-
bunden und ihr Schicksal von jenem des Mediums ab­              nen und Bibliothekare müssen die Werkzeuge beherrschen
hängig gemacht. Die Digitalisierung, die unsere Berufswelt      und ihre Anwendung erklären können. Ihnen kommt die
erfasst hat, betrifft das Informationsmedium sehr direkt.       Aufgabe zu, auch weniger geübten Nutzern den Zugang zu
Aber: «Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die         hochwertiger Information zu vermitteln. Auf der Ebene der
Zukunft betreffen» sagt ein Spruch, der mehreren promi-         Öffentlichen Bibliotheken umfasst dies Beratungen und
nenten Autoren zugeschrieben wird. Ich stelle ihn an den        Einführungen für Kinder wie auch für ältere Personen, die
Anfang meiner Ausführungen, um diese als meine subjek-          nicht über die nötigen Kompetenzen verfügen. Das kann in
tive Meinung zu relativieren. Wir haben oft schon genug         neuen Formen, zum Beispiel über spielerische Ansätze (Ga-
Schwierigkeiten, die aktuelle Situation zu verstehen, da        ming) oder durch kreative Workshops zu neuen Technolo-
sind Aussagen über die Zukunft der Bibliotheken in 10 Jah-      gien und neuen Medienformen (Makerspaces) geschehen.
ren entsprechend schwierig. Ich will es trotzdem wagen.

                                                                Grosse gesellschaftliche Bedeutung
  Das Schicksal des Buches                                      Von grosser Bedeutung sind Bibliotheken als niederschwel-
 Ich gehe davon aus, dass die Entwicklung hin zu digi­          lige Anlaufstellen für alle. Bibliotheken haben dadurch eine
talen Medien und zu digitaler Distribution das Buch als         gute Chance, als Treffpunkte, als Orte der Begegnung und
­Medium nicht ersetzen wird. Häufig wurden in der Ver­           des Lernens eine wichtige Rolle in Gemeinden und Quartie-
 gangenheit Medien nicht komplett verdrängt und ersetzt,        ren zu spielen. Schon heute beschäftigen viele Bibliotheken
 sondern durch neue Formen ergänzt. Das Buch ist ein zu         Sozialpädagogen, Mediendidaktiker und Eventmanager.
 praktisches und zu lange erprobtes Format, als dass es         Hinzu kommen Vermittler zwischen IT und Benutzung, die
 komplett durch elektronische Medien ersetzt werden könn-       man früher Systembibliothekare genannt hat. Bibliotheks-
 te. Wobei dies natürlich vom Informationsbedarf sowie          mitarbeitende der Zukunft müssen sich in der Anwendung
 von den Vorlieben und Möglichkeiten der Nutzer abhängig        und auch der Konzeption und Konfiguration von IT-Sys­
 ist, welche Form der Information sie zu welchem Moment         temen auskennen und die Nutzeranforderungen erheben
 bevorzugen. Bibliotheken können sich also darauf einstel-      und an die Entwickler vermitteln können.
 len, dass sie noch für eine ganze Weile hybride Bestände            Das zeigt, wie sich die Aufgaben und die Anforderungs-
 anbieten und vermitteln werden. Gerade in wissenschaftli-      profile an die Mitarbeitenden verändern. Entsprechend
  chen Bibliotheken wird die aktuelle Nutzung sich noch ver-    ­gefordert sind die Ausbildungsgänge, die sich auf Kern­
 stärkt auf elektronische Medien konzentrieren. Bei den          aufgaben wie (Meta-) Datenmanagement, Informations­
 Zeitschriften ist dies schon heute der Fall.                    management, Wissensmanagement und Informations­
       Aber lösen wir uns vom Buch. Bibliotheken haben           vermittlung konzentrieren dürften.
 ­heute weitergehende Funktionen als ein Ort zu sein, an dem
  Medien erworben, erschlossen und vermittelt werden. Der
  Anteil dieser traditionellen Tätigkeiten dürfte sich in den
  nächsten Jahren reduzieren. Medienerwerbung und Kata­
  logisierung werden verstärkt in Kooperation erbracht oder
  komplett ausgelagert. Wissenschaftliche Bibliotheken
ZukünfteGIBB INTERN / Juni 2016 17

Der Berner Weg                                                   schen ihnen. Aktuelle Beispiele für verbesserte Schnitt­
                                                                 stellen sind die verkürzte Lehre für Maturanden (way-up)

in die Zukunft                                                   und Vorkurse für Maturanden durch Berufsschullehrer der
                                                                 gibb an der BFH-AHB.

                                                                 Im Wandel der IT
                          Prof. Dr. Markus Romani,               Die IT hat unsere Gesellschaft und den Umgang mit Wis-
                          Abteilungsleiter Bachelor Bau          sen verändert. Sie beeinflusst, wie Wissen angenommen
                          an der Berner Fachhochschule;          und verarbeitet wird, aber auch wie Lehrende und Lernende
                          Mitglied des Schulrates der gibb       sich im Unterricht begegnen. Google, Youtube, Wikipedia
                                                                 etc. lassen leicht den Eindruck entstehen, zu wissen, wo
                                                                 ­etwas steht, zu verstehen und dies jederzeit in Kompeten-
                                                                  zen umwandeln zu können.
                                                                       Neue Medien und Technologien werden künftig das
                                                                  Lern- und Lehrverhalten in vielerlei Hinsicht neu definieren.
                                                                  Heute ist hierbei schnell gestern – eine Herausforderung
                                                                  für uns alle.
Wie werden sich die Trends im Bildungswesen fortsetzen?                Wenn die Zukunft zur Gegenwart geworden ist, wer-
Was werden ihre Auswirkungen sein? Von gestern auf                den wir feststellen, dass wir auch diese gut meistern.
heute hat sich viel verändert. Ein Blick in die Vergangenheit
und Gegenwart gibt uns auch immer einen Ausblick in die
Zukunft.

Die Qual der Wahl
Die Durchlässigkeit des Bildungssystems führt zu einer In-       Offen bleiben
dividualisierung von Bildungsbiographien. Mit der Vielzahl
an Möglichkeiten wird die Berufs- und Studienwahl zur He-
rausforderung. Gleichzeitig erhöhen sich auch die Schnitt-
stellen zwischen den Bildungswegen. So bedarf es neben           Interview mit Thomas von Burg, Abteilungsleiter BMS
einer umfangreichen Unterstützung in der Entscheidungs-          Sabine Beyeler
findung auch einer immer besseren Kommunikation und
Überleitung zwischen den einzelnen Bildungswegen.
     Verbesserte Schnittstellen erfordern besseres Zusam-
menarbeiten. Der Berner Weg zwischen der gibb und der            Im grossen Gast-Interview hat Josef Widmer sich zur
BFH im Bauwesen ist ein Beispiel. Durch intensive Zusam-         Zukunft der BMS geäussert. Auch der Abteilungsleiter
menarbeit werden zukünftige Studierende gezielter infor-         der BMS hat mit uns einen Blick in die Zukunft gewagt.
miert, es werden Wege an der gibb und BFH gemeinsam
vorgestellt und inhaltlich abgestimmte Übertrittsmöglich-        Thomas, im August begrüsst du jeweils die neuen
keiten zum Studium der Architektur und des Bauingenieur-         BMS-Schülerinnen und -Schüler und stimmst sie auf
wesens aufgezeigt.                                               die Schulzeit ein. Was meinst du: Wie könnte eine
                                                                 Informationsveranstaltung im August 2026 aussehen?
                                                                 Wer wird da vor dir sitzen?
Heterogenität – Chance und Spagat                                Ein Hellseher bin ich nicht. Ich kann mir aber vorstellen,
Vor 60 Jahren liess der typische Studierende des Bau­            dass Lernende im Jahr 2026 dank ihren digitalen Geräten
ingenieurwesens an der HTL in Burgdorf sich wie folgt be-        bereits viel Wissen über die gibb und die BMS mitbringen
schreiben: gelernter Bauzeichner, männlich, aus der Region       werden. Ich werde bei meiner Einführung vermutlich we­
Bern und Kantonen ohne Studienmöglichkeiten stammend.            niger Faktenwissen vermitteln; das gegenseitige Kennen­
Und heute? Heute sind im Studiengang Bauingenieurwesen           lernen wird wohl umso wichtiger sein.
Studierende aus der ganzen Schweiz und dem Ausland,                  Was sicher gleich bleiben wird, ist die Neugier der jun-
Studierende auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg und         gen Leute. Sie werden die Örtlichkeiten erkunden und die
glücklicherweise auch zunehmend weibliche Studierende            Leute kennen lernen wollen, mit denen sie das nächste Jahr
vertreten.                                                       (oder die Jahre) verbringen werden.
     Diese Heterogenität bietet Chancen, wie den inter­
kulturellen und interdisziplinären Dialog, stellt aber gleich-   Seit letztem Herbst steckt die BMS in einem zukunfts-
zeitig auch erhöhte Ansprüche in Bezug auf Flexibilität und      weisenden Projekt. Die Umsetzung des neuen Rahmen-
soziale Kompetenzen an die Dozierenden. Der steigende            lehrplans war zugleich deine erste grosse Aufgabe als
Trend der Heterogenität wird nicht nur innerhalb der Bil-        Abteilungsleiter. Wie sehen deine bisherigen Erfahrungen
dungseinrichtungen ein Thema sein, sondern auch zwi-             aus?
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