75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut

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75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
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                                                                                                                                             Geschichte im
                                                                                                                                            Dienst der Politik
                                                                                                                                            Von Gernot Facius
                                                                                                                                        Der 75. Jahrestag des Kriegsendes
Österreichische Post AG                                                                                                                 naht. Vieles, das in diesen Wochen die
MZ 02Z030477M
Sudetendeutscher Presseverein
                                      Offizielles Organ der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich (SLÖ)                        Spalten der Medien füllt, kommt in-
Narzissenweg 5, 4210 Gallneukirchen                                                                                                     teressegeleitet daher. Warschau und
Folge 3					                                         Linz, am 5. März 2020		                                       66. Jahrgang         Moskau, um nur zwei Akteure zu
                                                                                                                                        nennen, haben sich in einem Knäuel
                                                                                                                                        gegenseitiger Vorwürfe verstrickt.
      Václav Havel und                             Das eiskalt geplante                      Slowakei gegen Polen                       Mit seiner Version von der Mitver-
                                                                                                                                        antwortung Polens am Zweiten Welt-
     die „bösen Geister“                          Nachkriegsverbrechen                      Tauziehen um die Tatra                      krieg befeuerte Wladimir Putin eine
                        (Seite 3)                               (Seite 4)                                   (Seite 5)                   neue Schulddebatte: Die Warschauer
                                                                                                                                        Führung sei antisemitisch gewesen.
                                                                                                                                        Er bezog sich auf Jozef Lipski, Po-

   75 Jahre danach: Die alte Legende                                                                                                    lens Botschafter in Berlin bis 1939.
                                                                                                                                        „Ein antisemitisches Schwein“, wie
                                                                                                                                        sich Putin ausdrückte. Historisch

       von der „spontanen“ Wut                                                                                                          überliefert ist, dass der Diplomat im
                                                                                                                                        September 1938 auf Hitlers Andeu-
                                                                                                                                        tungen der Judendeportationen in
Nun blühen wieder die Legenden. Die              erklärte noch nicht ganz das Problem.      rechtlichen Prinzipien, die zur Verur-      Deutschland, Polen und Ungarn mit
deutsch-tschechischen Beziehungen                Die Wahrheit ist eher, dass auch 75 Jah-   teilung der Nazi-Größen in Nürnberg         der Bemerkung reagierte, man würde
seien so gut wie, lautet ein Standardsatz        re nach Kriegsende und dem Beginn          führten.                                    dem „Führer“ dafür in Warschau ein
bayerischer Politiker. Wie ein Stereo-           der Vertreibung keine Regierung in         Und es sollte auch dies nicht vergessen     Denkmal errichten. Wer ehrlich ist,
typ wird er seit Jahren wiederholt, da-          Prag willens oder in der Lage ist, eine    werden: Im Gegensatz zu den weit-           wird die starken antisemitischen Ten-
mit auch der letzte daran glaubt. Unter          dem Vorgang angemessene, sprich:           aus meisten Verbrechen während der          denzen in Polen - solche gab es auch
Sudetendeutschen, dem „vierten bay-              ehrliche Regelung der sudetendeut-         NS-Herrschaft geschahen die Gräu-           in der Vorkriegs-und Nachkriegs-
erischen Stamm“, regen sich zu Recht             schen Frage politisch auf den Weg zu       eltaten an Sudetendeutschen in aller        tschechoslowakei - nicht leugnen.
Zweifel. Es mag ja zutreffen, dass sich          bringen.                                   Öffentlichkeit, verübt von einer zur        Aber ebenso wenig kann man den
Berlin, München und Prag in Vielem               Die Zukunft im Blick, ohne die Ver-        Gewalt aufgepeitschten Bevölkerung.         so genannten Nichtangriffspakt zwi-
nähergekommen sind, vor allem auf                gangenheit zu vergessen – das wäre         Was sich unmittelbar nach Kriegsende        schen Hitlers nationalsozialistischem
ökonomischem, verkehrspolitischem                allerdings auf allen Seiten ein konst-     zutrug, lässt sich nicht einfach mit der    „Dritten Reich“ und der Sowjetunion
und kulturellen Gebiet.                          ruktiver Beitrag für das große Erinne-     aufgestauten Wut über die Verbrechen        Stalins sowie das mit dem Abkom-
In einer anderen Frage stockt aller-             rungsjahr 2020, aber dazu wird es aller    der Hitler-Zeit erklären.                   men verknüpfte Geheime Zusatz-
dings der „Dialog“: Auch die Regie-              Voraussicht nach nicht kommen. Zu          Die Idee der Vertreibung, da wird           protokoll zur Aufteilung Polens aus
rung Andrej Babiš (Ano-Partei und                sehr sind die Akteure an der Moldau        man dem Historiker Friedrich Prinz          der Geschichte streichen. Mit histori-
Sozialdemokraten) geriert sich ge-               Gefangene des alten Denkens. Das hin-      zustimmen, ist wesentlich älter als die     schem Revisionismus im Stil der Sta-
genüber den vertriebenen ehemaligen              dert sie an einer nüchternen Analyse       Realisierung: „Der Gedanke einer Mas-       lin-Zeit und bewusster Verzerrung
Mitbürgern nicht viel anders als die             der 1945/46 begangenen Fehler. Noch        senaussiedlung aller Deutschen aus          historischer Fakten schafft man kein
Vorgängerkabinette. Den Babiš-Leuten             immer fällt ihnen die Einsicht schwer,     den böhmischen Ländern, der bereits         Vertrauen.
sitzt zwar der kommunistische „Tole-             dass die Vertreibung der Deutschen ein     1918 als Spielmaterial versuchsweise        Jedes Land sollte sich um einen auf-
rierungspartner“ mit seinen antideut-            Verbrechen gegen die Menschlichkeit        von tschechischer Seite in den diplo-       richtigen Umgang mit der eigenen
schen Tiraden im Nacken, aber das                war, gemessen an denselben völker-                           Fortsetzung auf Seite 2   Historie bemühen und sich hüten,
                                                                                                                                        Vergangenes so zu interpretieren,
                                                                                                                                        dass es der Glorifizierung der eige-

                                DAS BILD DER HEIMAT
                                                                                                                                        nen Nation dient. Andernfalls wäre
                                                                                                                                        Geschichte wieder nur die Magd der
                                                                                                                                        Politik. Das gilt für das Russland von
                                                                                                                                        heute ebenso wie für Polen, die Tsche-
                                                                                                                                        chische Republik und alle Länder, die
                                                                                                                                        an der Tragödie der Jahre 1939 bis
                                                                                                                                        1945 beteiligt oder von ihr betrof-
                                                                                                                                        fen waren. Eine solche Aufrichtigkeit
                                                                                                                                        setzt allerdings die Einsicht voraus,
                                                                                                                                        dass europäische Länder und ihre
                                                                                                                                        Menschen in den Wirren des 20. Jahr-
                                                                                                                                        hunderts manchmal beides gewesen
                                                                                                                                        sein können: Opfer und Täter. Dass
                                                                                                                                        ein derartiges Eingeständnis nicht so
                                                                                                                                        leicht zu bekommen ist, weiß man aus
                                                                                                                                        Erfahrung.
                                                                                                                                        Ein Dreivierteljahrhundert nach der
                                                                                                                                        Katastrophe von 1945 wäre es aller-
                                                                                                                                        dings an der Zeit, es zumindest ein-
                                                                                                                                        mal zu versuchen – ohne die unbe-
                                                                                                                                        quemen Fakten auszublenden oder
                                                                                                                                        sie propagandistisch zu verbrämen.
                                                                                                                                        Das wäre im großen Erinnerungs-
                                                                                                                                        jahr 2020 ein konstruktiver Beitrag
                                                                                                                                        zur Sicherung des inneren Friedens in
   75 Jahre Vertreibung! Postkarte zum Gedenken an die Zwangsaustreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat in                       Europa und darüber hinaus. Doch es
   den Jahren 1945 – 1946, ak. Maler R. Assmann.                                                                                        gibt nur eine geringe Hoffnung, dass
                                                                                                                                        es dazu kommt.
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
2                                                                         SUDETENPOST                                                    Folge 3 vom 5. März 2020

                Fortsetzung von Seite 1    versuchte, die Katastrophe für die Re-     der kaschierte oder Stück um Stück in       onsangeboten wesentlich weiter, als es
matischen Kampf um die Gründung            publik abzuwenden.“                        den Vordergrund rückte. All das zer-        die sowjetische Führung selbst beab-
der ČSR eingeflossen war, hatte 1938,      Der „Transfer“-Gedanke gehörte somit       stört die Legende von der angeblich         sichtigte oder gar forderte.“ Daran zu
in den letzten Wochen vor Abschluss        seit September 1938 zu den Möglich-        „spontanen“ Wut, die sich in bestiali-      erinnern ist umso wichtiger, als sich in
des Münchener Abkommens, bereits           keiten, die der Hasardeur auf der Pra-     schen Taten gegen die Deutschen in          der tschechischen Geschichtsschrei-
eine sehr konkrete Rolle gespielt, als     ger Burg immer wieder durchspielte,        Böhmen, Mähren und Schlesien entla-         bung nur wenige Hinweise auf dieses
Staatspräsident Beneš mit verzweifel-      ins Kalkül zog und, je nach der konkre-    den habe. Es handelte sich, anders kann     unrühmliche politische Spiel des sei-
ten diplomatischen Anstrengungen           ten politischen Großwetterlage, entwe-     man es nicht sagen, um von „oben“ her       nerzeitigen Exilpräsidenten finden,
                                                                                      geplante und arrangierte Verbrechen.        dem nach der demokratischen „Wen-
             Prager Gemeinderat                                                       Heute weiß man aus diversen Doku-
                                                                                      menten, dass Beneš in Moskau zäh für
                                                                                                                                  de“ wieder Denkmäler gewidmet wur-
                                                                                                                                  den - von der Verteidigung der nach
           stimmt für Mariensäule                                                     sein Programm der „Liquidierung“ des
                                                                                      Deutschenproblems in der Tschechos-
                                                                                                                                  ihm benannten Unrechtsdekrete ganz
                                                                                                                                  zu schweigen. Es wird interessant sein
Der seit Langem schwelende Streit um       der unmittelbar nach der Gründung          lowakei gerungen hat. Er war bereit,        zu beobachten, wie die verantwortli-
die Wiedererrichtung der barocken          der Tschechoslowakei 1918 zerstörten       dafür alle nur erdenklichen Konzessi-       chen Politiker in Prag, die Historiker
Mariensäule auf dem Altstädter Ring        Skulptur per Schiff in die Moldau-Met-     onen an die sowjetische Seite zu ma-        an den Universitäten und die Publizis-
in Prag ist entschieden: Der Gemein-       ropole gebracht.                           chen. Nochmals Professor Prinz: „Er         ten mit dem Gedenken an die Ereig-
derat der tschechischen Hauptstadt hat     Das Aufstellen des Kunstwerks wurde        suggerierte seinen Gesprächspartnern,       nisse vor 75 Jahren umgehen – und ob
sich in einer neuerlichen Abstimmung       ihm jedoch aufgrund eines alten Ge-        dass der Deutschen-Transfer gewisser-       der politische Wille zu einer Verstän-
für die Aufstellung einer Kopie an al-     meinderatsbeschlusses untersagt. Die       maßen ein Stück sozialer Revolution         digung mit den ehemaligen deutschen
ter Stelle ausgesprochen und damit         ursprüngliche Mariensäule stand seit       sei. Ebenso lud er die Sowjets förmlich     Mitbürgern, die über Formelkompro-
eine frühere Entscheidung aus dem          Mitte des 17. Jahrhunderts auf dem         ein, in die inneren Angelegenheiten         misse hinaus geht, vorhanden ist. Die
Jahr 2017 widerrufen.                      Altstädter Ring, sie galt als Dank für     der Tschechoslowakei zu intervenie-         Hoffnung sollte man jedenfalls nicht
Die Mariensäule soll, wie der Prager       die Rettung Prags vor dem schwedi-         ren, ja, er ging in seinen Kollaborati-     aufgeben.
Erzbischof Kardinal Dominik Duka           schen Heer zu Ende des Dreißigjähri-

                                                                                         Streiten, nicht Holzen!
erklärte, der Versöhnung und der öku-      gen Kriegs. Ihre Zerstörer sahen in ihr
menischen Zusammenarbeit dienen.           jedoch ein Symbol für das Habsbur-
Im Sommer 2019 hatte der Bildhauer         ger Reich und die Politik der Rekatho-
Petr Vana Teile seiner Nachbildung         lisierung.                                 Es steht nicht gut um die politische        und dem missbräuchlichen Gebrauch
                                                                                      Streitkultur in Deutschland. Verbales       von Kampfbegriffen.
                                                                                      Holzen tritt vielerorts an die Stelle des   Die AfD sei „am ehesten mit den
                   Aus der Redaktion                                                  sachlichen, klugen Argumentierens.          Deutschnationalen der Weimarer Zeit
                                                                                      Das haben inzwischen auch Zeithis-          zu vergleichen“. Mit falschen Analogi-
                   Erinnern – immer wieder                                            toriker wie Heinrich August Winkler         en, so Professor Winkler in der „Welt
                                                                                      und Michael Wildt erkannt und zu            am Sonntag“, werde die gegenwärtige
                           Von Gernot Facius                                          größerer Sachlichkeit aufgerufen. Sie       Situation der deutschen Demokratie
„Warum“, fragte jüngst ein alter Be-       rütteln. Das ist Prager Konsens. „Su-      wenden sich ge-                                                    in ein falsches
kannter, „warum noch die Beschäfti-        detenpost“-Leser beklagen das immer        gen „vernebelte“                                                   Licht gerückt.
gung mit dem Thema Vertreibung?“           wieder. Und wer ehrlich ist, wird nicht    und geschichts-                                                    An diesem Be-
Das sei doch schon so lange her, ein       verschweigen, dass dieser „Realität“       vergessene Ver-                                                    fund ist etwas
abgeschlossener Vorgang. Ein Drei-         von deutscher, österreichischer und        gleiche. Wer zum                                                   dran.
vierteljahrhundert - da hat der wohl-      überhaupt westlicher Seite wenig ent-      Beispiel die AfD                                                   Das sollten ei-
meinende Zeitgenosse Recht. Aber           gegengesetzt wird. Ob die Begründung       eine Partei von                                                    gentlich   auch
abgeschlossen? Da gibt sich der Mann       dieser Passivität – man lebe doch im       „Faschisten“ nen-                                                  Politiker   wie
einer Täuschung hin. Die Wahrheit ist      Jahr 2020 und müsse sich mit den Ge-       ne, der verharm-                                                   Bernd Posselt
nämlich ernüchternd: 75 Jahre nach         gebenheiten abfinden - einer ehrlichen     lose den Schre-                                                    (CSU) erken-
dem „Abschub“ (so die verharmlosen-        Nachprüfung standhält? Zweifel sind        cken, der mit diesem Begriff im 20.         nen, die in Presseverlautbarungen
de tschechische Bezeichnung) ist von       angebracht. Nicht nur in der aktuel-       Jahrhundert einhergegangen sei.             undifferenziert von „Höcke-Nazis“
Prag noch immer keine rundum befrie-       len Literatur, sondern auch bei vielen     Winkler und Wildt warnten, wie die          sprechen und sich damit in der „Sude-
digende Antwort auf die Vertreibung        Begegnungen auf Vertriebenentreffen        „Frankfurter Allgemeine“ in ihrem           tendeutschen Zeitung“ zitieren lassen.
zu erhalten. Es fehlt trotz so mancher     ist die Wahrnehmung eine andere. Es        Feuilletonteil berichtete, im Blick auf     Politischer Streit muss sein. Aber er
positiver Wortmeldung (meist auf un-       sind gerade die Jahrgänge, die aus dem     die Vorgänge um die Ministerpräsi-          sollte, ganz im Sinne der Professoren
terer politischer Ebene) eine offizielle   Arbeitsleben ausgeschieden sind und        dentenwahl in Thüringen vor „inflati-       Winkler und Wildt, sprachsensibel
Distanzierung ohne Wenn und Aber           nun Zeit haben, sich mit ihrer oft trau-   onären historischen Parallelisierungen“     ausgetragen werden. (fac)
von dem über Jahrzehnte kultivier-         rigen Familiengeschichte auseinander
ten Kollektivschulddenken sowie die        zu setzen, die Fragen stellen: Woher
Bereitschaft, das Unrecht der Jahre        rührt die tschechische Unfähigkeit,         Das aktuelle Zitat
1945/46 in angemessener Form zu            sich auf einen wirklich vorurteilsfrei-     „Für einen Großteil der Tschechen ist die EU etwas Fremdes, das von außen
heilen; daran muss man immer wie-          en Dialog mit den ehemaligen, aber          Einfluss auf sie nimmt. Die Erfahrungen der vierzigjährigen sowjetischen
der erinnern. Man versteckt sich heu-      vertriebenen Mitbürgern einzulassen         Fremdherrschaft sitzen tief. Einige ‚EU-Mythen‘ halten sich hartnäckig: Die EU
te in Berlin und anderswo hinter der       – auf einen Dialog, der politische Kon-     sei extrem bürokratisch, sichere die Grenzen nicht ausreichend, toleriere zu vie-
tschechischen Mitgliedschaft in der        sequenzen zeitigen muss? Ist das nur        le Geflüchtete. Diese Mythen fallen auf fruchtbaren Boden, der wiederum mit
„Wertegemeinschaft“ EU und meint,          die politische Rücksichtnahme auf die       der Behauptung gedüngt wird, dass Tschechien nur ein Sklave der EU sei.“
damit sei schon alles in bester Ord-       Kommunisten, welche die gegenwärtige        Bára Procházková, Politikwissenschaftlerin, Journalistin beim Nachrich-
nung. Nichts ist in Ordnung. Zwar gab      Minderheitsregierung in Prag stützen        tenportal des Tschechischen Fernsehens
es sympathische Auftritte tschechischer    oder sind die Akteure an der Moldau
Spitzenpolitiker auf Sudetendeutschen      Gefangene eines alten, nationalisti-        Das historische Zitat
Tagen. Kommt aber stets die Rede auf       schen Denkens, wenn es um die Sude-         „Die Geschichtslüge, wonach erst das Abkommen von Potsdam die Austrei-
die Beneš-Dekrete oder die ungelösten      tendeutschen geht? Auch wenn andere         bung von Millionen Deutscher ausgelöst hatte, wurde bereits in den ersten
Eigentumsfragen, äußern sich selbst        Medien dazu schweigen sollten: Die          Nachkriegstagen in brutaler Weise widerlegt. Dabei tat sich insbesondere die
christlich-demokratische Abgeordnete       „Sudetenpost“ wird dieser Frage auch        Tschechoslowakei hervor, die, im Unterschied zu Polen und Russland, im Kriege
nicht viel anders als ihre sozialdemo-     in Zukunft nicht ausweichen. Sie hält       weniger gelitten hatte. Noch schlimmer als das Vertreibungsverbrechen selbst
kratischen oder Ano-Kollegen, von den      sich an den alten Grundsatz: Nichts ist     waren dessen grausame Begleiterscheinungen.“
Kommunisten ganz abgesehen. An der         endgültig geregelt, es sei denn gerecht     Der sudetendeutsche Sozialdemokrat Almar Reitzner in seinem Buch „Das
Nachkriegsordnung möchte man nicht         geregelt.                                   Paradies lässt auf sich warten“ (1984)
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
Folge 3 vom 5. März 2020                                                 SUDETENPOST                                                                                            3

                            Václav Havel und die „bösen Geister“
                                     Wie der Dichter-Präsident die Vertriebenen enttäuschte
Das historische Ereignis war den meis-     die      Deutschen                                                                  Bundesrat, die Tschechische Republik
ten Medien keine Erinnerung mehr           auf dem Weg zur                                                                     könne den Sudetendeutschen ihr altes
wert: Am 2. Jänner vor 30 Jahren           guten      Nachbar-                                                                 Zuhause nicht zurückgeben. Für ihn
kam Václav Havel als soeben gewähl-        schaft“ überschrie-                                                                 sei es dank der deutsch-tschechischen
tes Staatsoberhaupt der Tschecho-          ben war. Er nannte                                                                  „Aussöhnung“ aber möglich, die Ver-
slowakei nach Deutschland. In Mün-         alle Versuche, von                                                                  triebenen nicht als Gäste, sondern als
chen traf er sich mit Bundespräsident      Prag entweder in                                                                    „unsere einstigen Mitbürger“ zu be-
Richard von Weizsäcker. Groß war           materieller oder                                                                    grüßen. Das war immerhin eine an-
die Hoffnung auf einen neuen Anfang        anderer Form Er-                                                                    dere Tonlage als zwei Jahre vorher in
in den sudetendeutsch-tschechischen        satz für die „Nach-                                                                 Prag. Doch ändert das nichts an dem
Beziehungen. Von einer „Entschuldi-        kriegsaussiedlung“                                                                  Faktum, dass in den Kernfragen des
gung“ für die Vertreibung war sogar        zu verlangen, „ab-                                                                  tschechisch-sudetendeutschen     Ver-
die Rede. Diese etwas optimistische        surd“. Man habe                                                                     hältnisses auch Vaclav Havel ein Ge-
Annahme stützte sich auf eine Passa-       auch nicht die ge-                                                                  fangener des alten Denkens geblieben
ge in Havels Unterredung mit seinem        ringste     Absicht,                                                                ist.
deutschen Gastgeber, die da lautete:       die      Geschichte                                                                 Foto: Ben Skála CC BY-SA 2.5
„Wir lehnen den Gedanken der Kol-          zurückzudrehen,
lektivschuld als moralisch nicht zu        „unsere vor langer
rechtfertigen ab. Falls sie gegenüber      Zeit legitim durch                                                                         Zeman punktet
den tschechoslowakischen Bürgern           das      Parlament
deutscher Nationalität angewandt           angenommenen
                                                                                                                                      mit „Volksnähe“
wurde, dann war das entschieden nicht      Rechtsakte…auf-                                                                      Der tschechische
richtig.“ Eine Entschuldigung im wört-     zuheben,       neue                                                                  St aatspräsident
lichen Sinne war das nicht. Havel selbst   Stürme im Bereich                                                                    Miloš Zeman ist
hat später betont, er habe sich „für       der Eigentumsverhältnisse ausbrechen      außenminister Joschka Fischer noch         zwar bei den Bür-
nichts“ entschuldigt, „übrigens auch       zu lassen und dadurch all den bösen       im Jahr 2000 als völkerrechtswidrig        gern seines Lan-
deshalb, weil ich dafür von nieman-        Geistern der Vergangenheit den Weg        bezeichnete. Kritiker in Deutschland       des nicht unum-
dem ein ausdrückliches Mandat hatte“.      zu ebnen“. Und weiter: „Unsere Repu-      und teilweise auch in Tschechien war-      stritten, aber das Urteil über den
Mit dieser Art Präzisierung reagierte      blik wird nie“ über eine Revision der     fen dem Präsidenten vor, er gehe von       Mann auf der Prager Burg fällt alles
er auf die Welle von Kritik und Unver-     Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs         seinen intellektuellen Ansprüchen an       in allem differenziert aus. Rund 56
ständnis in seinem Land. Über seine        „verhandeln“. Die Vertriebenen und        ein Leben in Wahrheit ab und biete         Prozent meinen, das signalisiert je-
Bereitschaft und Möglichkeiten, eine       ihre Nachfahren seien in Tschechien       stattdessen den Nationalisten zuhause      denfalls das Ergebnis einer Umfra-
einigermaßen gerechte Lösung der           willkommen – allerdings „nur als Gäs-     ein „populistisches Schneckenhaus“         ge des Meinungsforschungsinstituts
sudetendeutschen Frage anzustreben,        te, die die Gegenden ehren, in denen      an. „Seine anderswo so betonte Ab-         CVVM, dass Zeman sein Amt nicht
hat man sich lange Zeit Illusionen hin-    Generationen ihrer Vorfahren gelebt       neigung gegenüber Theorien von einer       würdevoll ausübe. Dennoch geben
gegeben. Der Dichter-Präsident war         haben.“ Wie man später erfuhr, war        Kollektivschuld war kaum zu bemer-         51 Prozent der Befragten an, dem
ein Meister des Wortes. Bei ihm klang      das die etwas entschärfte Version des     ken“, wunderte sich die „Frankfurter       Staatsoberhaupt zu vertrauen. Was
manches freundlicher, konzilianter als     Redetextes, in dem ursprünglich etwas     Allgemeine“. Ihr Fazit: „Dafür aber        auffällt: 59 Prozent schätzen seine
aus dem Munde seiner Nachfolger,           zynisch vorgeschlagen worden war, die     stand der Präsident noch nie den An-       „Volksnähe“. Im Vergleich zu seinen
aber auf Dauer konnte auch er nicht        Sudetendeutschen „als Touristen, als      sichten des Volkes so nah.“ Bei seinem     beiden Amtsvorgängern gilt Zeman
verbergen, dass in Prag der politische     Investoren“ willkommen zu heißen. Die     späteren Treffen mit Bundespräsident       als besonders volksnah. Das unter-
Wille zu einer Wiedergutmachung            Rede wurde im Fernsehen übertragen        Johannes Rau (SPD) blieb Havel „im         scheidet ihn von Vaclav Havel und
der Vertreibung fehlte und er auf die      und stieß auf ein riesiges Echo. Es war   Einklang mit dem Wortlaut der tsche-       Vaclav Klaus. Bei Havel betonten die
Stimmung an der Moldau Rücksicht           einer der seltenen Augenblicke, in de-    chisch-deutschen Erklärung“ bei der        Befragten vor allem dessen staats-
nehmen musste.                             nen selbst Vaclav Klaus den Präsiden-     Meinung, dass man die Zukunft „nicht       männische Auftritte im Ausland, bei
Ein Beispiel dafür lieferte Havel mit      ten öffentlich lobte. Havel hatte die     mit Fragen der Vergangenheit belasten      Klaus wiederum die Art und Weise
seiner Rede am 17. Feber 1995 in der       letzten Illusionen platzen lassen, dass   sollte“. Und am 24. April 1997 sagte er    der Amtsführung.
Karls-Universität, die bezeichnen-         die Beneš-Dekrete aufgehoben werden       während seines Besuchs in Berlin vor       Foto: Občanská demokratická strana, CC BY 2.0
der Weise mit „Die Tschechen und           könnten, die selbst der grüne Bundes-     den Mitgliedern von Bundestag und

            HÖCHTL „im Dienste der VÖLKERVERSTÄNDIGUNG:
          eine intensive Woche der Begegnungen in WASHINGTON“
„Heuer stand eine einwöchige Kon-                                                                                    ten brachten sehr viel an NEUEM und
taktreise nach Washington am Pro-                                                                                    natürlich viele neue Kontakte.
gramm, weil dort zu dieser Zeit im                                                                                   Höchtl hat dabei insgesamt VIER Re-
Feber weltweite Tagungen stattfinden,                                                                                den zu verschiedenen Themen gehal-
an denen bis zu 140 Nationen mit vie-                                                                                ten, Diskussionsbeiträge bei diversen
len Spitzenrepräsentanten teilnehmen.                                                                                PANEL-Gesprächen abgegeben und
Auch dieses Mal waren Staatsober-                                                                                    etliche bilaterale Begegnungen absol-
häupter, Ministerpräsidenten, Minis-                                                                                 viert. Höchtl vergaß auch bei verschie-
ter sowie religiöse und wirtschaftliche                                                                              denen seiner Beiträge nie, darauf hin-
Führungspersönlichkeiten vertreten.                                                                                  zuweisen, dass seine Eltern 1945 aus
Dies zu nützen, war auch heuer mein                                                                                  SÜDMÄHREN vertrieben worden
Bestreben“, berichtete der Präsident                                                                                 sind und diese Ungerechtigkeit ein
der „Österreichischen Gesellschaft für                                                                               wesentlicher Faktor war, dass er sich
Völkerverständigung“ Prof. Dr. Josef                                                                                 seit seiner frühesten Jugend politisch
HÖCHTL nach seiner Rückkehr.                                                                                         engagiert – „nur durch persönliches
Es war ein „fast non-stop Programm“,                                                                                 Engagement kann ich die Gesellschaft
besonders die EINZEL-Begegnungen           Höchtl mit OSZE-Präsident Tesereteli (Georgien) und eh. Ministerpräsident mitgestalten“- Fernstehen ist keine
mit hohen Vertretern aus rund 50 Staa-     Peterle (Slowenien)                                                       Lösung!
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
4                                                                       SUDETENPOST                                                    Folge 3 vom 5. März 2020

                         Das eiskalt geplante Nachkriegsverbrechen
                    Vor 75 Jahren wurde die Vertreibung der Sudetendeutschen in Gang gesetzt
Von Gernot Facius                         später englischen Politikern vortrug:      litik, sondern auch durch Mitwirkung       Priester Jan Šrámek (!) als Regie-
                                          die Liquidierung der sudetendeut-          der Westmächte zustande gekommen.          rungschef sollte die „ununterbrochene
Es sind erinnerungsschwere Tage und       schen „Verräter“ und die Vertreibung       Außerdem ließ sich auch das Ergebnis       Kontinuität des tschechoslowakischen
Wochen. Vor einem Dreivierteljahr-        der großen Mehrheit der Deutschen          der Mission des Briten Lord Runci-         Staates nach den Märzereignissen
hundert, im Nachkriegsfrühling 1945,      in Böhmen, Mähren und Schlesien.           man nicht unterschlagen, der sich von      1939“ (Errichtung des Protektorats)
begann die Umsetzung dessen, was          Ohne eine Politik der systematischen       Ende Juli bis Mitte September 1938 in      repräsentieren – so die Regierung der
Edvard Beneš und seine Londoner           Ausgrenzung hätten die „revolutio-         der Tschechoslowakei aufhielt und die      heutigen Tschechischen Republik. Völ-
Exilregierung schon mitten im Krieg       nären Garden“ nie so ungehindert von       Empfehlung abgab, die Sudetengebiete       kerrechtlich eine umstrittene Meinung.
angestrebt hatten: eine möglichst um-     Mai bis Juli 1945 Dörfer und Städte        an das Deutsche Reich abzutreten. Die      Denn zu dem genannten Zeitpunkt gab
fassende Vertreibung der Sudeten-         durchkämmen und Menschen aus dem           tschechoslowakische Verwaltung, so         es kein Territorium, das zu „regieren“
deutschen aus ihrer Heimat. 1942 ließ     Land jagen können.                         sein Befund, habe zwar keine „aktive       gewesen wäre. Präsident Beneš trat ja
Beneš den Sozialdemokraten Wenzel         Beneš‘ Londoner Ankündigungen              Unterdrückung“ der Deutschen ausge-        am 5. Oktober 1938, nur kurze Zeit
Jaksch und dessen Anhänger in der         und sein späteres brutales Vorgehen        übt, aber „so viel kleinliche Intoleranz   nach „München“ zurück. Somit war
britischen Hauptstadt spüren, dass für    widerlegen im Übrigen die wiederhol-       und Diskriminierung“ an den Tag ge-        das Konzept der ununterbrochenen
sie nach einem Sieg der Alliierten kein   ten Behauptungen des gegenwärtigen         legt, „dass sich die Unzufriedenheit der   Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt.
Platz in der Tschechoslowakei sein        Staatspräsidenten Miloš Zeman, dass        deutschen Bevölkerung unvermeidlich        Beneš wusste das, deshalb stellte er am
werde. Am 19. Mai 1945, zurückge-         es sich mitnichten um eine „kollekti-      zum Aufstand fortentwickeln musste“.       26. Juni 1940 im Rundfunk seine um-
kehrt aus dem Exil, erließ er die nach    ve Schuldzuweisung“ gehandelt habe.        Das hinderte den Exilpräsidenten nicht     strittene „Theorie der Rechtskontinu-
ihm benannten berüchtigten Dekrete.       Dabei ist die Faktenlage seit Langem       daran, am 6. August 1942 in einer          ität“ vor, die von den Alliierten aber
Prinzipiell alle „Personen deutscher      klar. Die Exilregierung verfolgte zwei     Rundfunkansprache „auf der juristi-        hingenommen wurde. Ihr Inhalt: Sämt-
oder madjarischer Nationalität“ wur-      Hauptziele: die Ungültigkeitserklä-        schen Kontinuität unserer Republik,        liche Rechtsakte auf dem Territorium
den als „staatlich unzuverlässig“ er-     rung des Münchener Abkommens               so wie sie vor München existierte“ zu      der Tschechoslowakei nach dem 30.
klärt. Rasch waren „wilde“, aber auch     von 1938 durch die Alliierten und          beharren.                                  September 1938 seien ungültig – auch
staatlich geduldete Vertreibungen im      die Genehmigung einer - als „Bevöl-        Und das war noch längst nicht alles.       seine Abdankung. Im Sommer 1942
Gang. Bereits am 5. Mai hatten Deut-      kerungsumsiedlung“ oder „Bevölke-          Mehr und mehr wandte er sich der           erklärten die Regierungen in London
sche in Prag „spontane“ tschechische      rungstransfer“ umschriebenen – Ver-        kommunistischen Sowjetunion zu.            und Paris das Münchener Abkommen
Gewalt zu spüren bekommen, auf die        treibung eines möglichst großen Teils      Am 12. Dezember 1943 schloss er            für nichtig. Der Exilpräsident konn-
Fälle von Lynchjustiz auf den Straßen     der Sudetendeutschen bei Kriegsende.       mit ihr einen „Freundschaftsvertrag“,      te sich bestätigt fühlen. Das Ende der
folgten Ermordungen im großen Stil.       Auf britischen Druck hin musste er         wurde somit zu einem Vasallen Jo-          Londoner Exilregierung, auch das ist
Das Historiker-Trio Emilia Hrabo-         zunächst noch mit Jaksch über eine         sef Stalins. Der Kreml sicherte der        wichtig für die weitere Beurteilung der
vec, Tomaš Stanek und Adrian von          Aufnahme sudetendeutscher Politi-          Tschechoslowakei die Beachtung der         Anlehnung an die Sowjetunion unter
Arburg hat in seinen Studien nach-        ker in den Exil-Staatsrat verhandeln.      Unabhängigkeit, der Souveränität und       Stalin, wurde beschlossen während der
gewiesen, dass die so genannte „wilde     Dabei widersetzte sich Jaksch den          der Nichteinmischung in die inneren        Verhandlungen in Moskau vom 22.
Vertreibung“ von oben initiiert und       Vertreibungsplänen am 23. Jänner           Angelegenheiten zu. Ein Hohn, wenn         bis 29. März 1945 zwischen der Beneš
gelenkt wurde und weniger, wie noch       1942 sogar öffentlich: „Das Ziel der       man daran denkt, wie die Stalinis-         -Führung und der Kommunistischen
heute oft behauptet, eine „spontane“      tschechischen Politik bleibt nach wie      ten später mit ihrem „Partner“ an der      Partei der Tschechoslowakei. Ihr Er-
Reaktion der Bevölkerung auf die Zu-      vor ein maximaler nationaler Macht-        Moldau umgegangen sind. Aber nicht         gebnis: eine neue Regierung der Natio-
mutungen während der Kriegsjahre          gewinn nach dem Kriege. Es wäre be-        nur das: Für die sowjetische Zustim-       nalen Front.
war. Die Vertreibung wurde mit Un-        quem für unsere Partner, wenn sich         mung zur Vertreibung von „nur“ zwei        Am 5. April 1945 trat das erste Kabi-
terstützung der Sowjetunion in Gang       dieser Prozess mit unserer förmlichen      Millionen Sudetendeutschen, so die         nett Fierlinger zusammen. Unter der
gesetzt, man wollte die Westmächte        Zustimmung vollziehen würde. Unse-         „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im        Verantwortung des ehemaligen tsche-
vor Potsdam vor vollendete Tatsa-         re Führung denkt nicht daran, diese        Jahr 2002, habe Beneš das Lieblings-       chischen Sozialdemokraten und spä-
chen stellen. Sie war kein aus dem        Zustimmung zu geben.“ Der deutsche         projekt der Londoner Planungsbü-           terem Mitglied des Politbüros der KP
Untergang des nationalsozialistischen     Sozialdemokrat misstraute Beneš – zu       rokratie seit 1940 hintertrieben: eine     begann die Phase der Enteignung und
Regimes geborenes (Zufalls-)Ereignis,     Recht, wie man heute weiß. Am 2. Juli      polnisch-tschechoslowakische Kon-          Vertreibung der Sudetendeutschen –
sondern ein von langer Hand vorbe-        1942, nach dem Attentat auf Reinhard       föderation als Schutz vor Deutschland      auf der Basis der Beneš -Dekrete. Wie
reiteter Akt. Der ehemalige deutsche      Heydrich und nach den „Vergeltungs-        und vor der Sowjetunion nach dem           hatte der Präsident im britischen Exil
Bundespräsident Joachim Gauck, man        maßnahmen“ an den Einwohnern des           Krieg. Am 1. Dezember 1942 war es          am 27. Oktober 1943 in einer an Tsche-
sollte ihm dafür dankbar sein, hat am     Dorfes Lidice – berichtete der britische   zu einem letzten Gespräch zwischen         chen und Slowaken gerichteten Rund-
20. Juni 2015 in seiner Rede zum ers-     Außenminister Anthony Eden dem             dem Exilpräsidenten und Wenzel             funkrede gesagt? Zitat: „In unserem
ten bundesweiten Gedenktag für die        Kriegskabinett in London über Pläne        Jaksch gekommen. Am Tag danach             Land wird das Ende des Krieges mit
Opfer von Flucht und Vertreibung zu       von Beneš, durch Gebietsabtretung          teilte Beneš dem Londoner Außen-           Blut geschrieben werden…Die gan-
Recht an die Umstände des von Prag        und „Transfer“ von „Kriegsverbre-          ministerium seine Auffassung vom           ze Nation wird sich an diesem Kampf
noch immer verniedlichend „Transfer“      chern“ sowie einer zusätzlichen Mil-       Selbstbestimmungsrecht für die Su-         beteiligen, es wird keinen Tschechoslo-
genannten Vorgangs erinnert. Gauck        lion Menschen die sudetendeutsche          detendeutschen mit: Es zerstöre „das       waken geben, der sich dieser Aufgabe
zitierte den jüdischen britischen Ver-    Minderheit „auf ungefähr eine Million      Recht auf Selbstbestimmung von zehn        entzieht, und kein Patriot wird es ver-
leger Victor Gollancz: „Die Deutschen     zu verringern“. Das britische Kriegs-      Millionen Tschechoslowaken“ und ma-        säumen, gerechte Rache für die Leiden
wurden vertrieben, aber nicht einfach     kabinett stimmte im Grundsatz der          che „die Existenz eines unabhängigen       der Nation zu nehmen.“ Am 3. Feber
mit einem Mangel an übertriebener         „Umsiedlung“ von Deutschen zu, ohne        tschechoslowakischen Staates unmög-        1944 gab der Mann, dem nach der
Rücksichtnahme, sondern mit dem           sich jedoch auf ein Schuldprinzip und      lich“. Und er ließ sich zu der Aussage     „Wende“ 1989 wieder Denkmäler er-
denkbar höchsten Maß an Brutalität.“      einen zahlenmäßigen Umfang festzu-         hinreißen, Jaksch und seine politi-        richtet wurden, die Parole für den „blu-
Die linksliberale Hamburger Wochen-       legen. Das entsprach nicht ganz den        schen Freunde müssten als „Landes-         tigen, unbarmherzigen Kampf “ gegen
zeitung „Die Zeit“, meist auf Distanz     Erwartungen der Exilregierung. Eben-       verräter“ betrachtet werden. Zitat FAZ:    die Deutschen aus. Und so kam es
zu den Vertriebenenverbänden, kam         so gab es einen Dissens in der Beur-       „So schaltete er die sudetendeutschen      schließlich auch. Es wurde nicht nach
ebenfalls nicht umhin anzumerken:         teilung von „München“. Eden vertrat        Exilpolitiker aus, obwohl sie frühere      individueller Schuld gefragt, die Ver-
Nicht erst der Beschluss der Welt-        am 5. August 1942 die Auffassung,          Gegner des Nationalsozialismus ge-         treibung war eine kollektive Bestra-
kriegssieger in Potsdam (August 1945)     das Abkommen sei nicht von Anfang          wesen waren. Sie hatten Beneš in Lon-      fung. Das einzusehen bereitet offenbar
zur „Überführung der deutschen Be-        an ungültig gewesen, sondern durch         don aber keinen Blankoscheck für die       noch heute, 75 Jahre danach, vielen
völkerung“ in „ordnungsgemäßer und        das Deutsche Reich 1939 vorsätzlich        geplante millionenfache Vertreibung        tschechischen Verantwortungsträgern
humaner Weise“ habe die Vertreibung       gebrochen worden. Er konnte ja gar         ihrer Landsleute ausstellen wollen.“       Schwierigkeiten. Das macht das sude-
ermöglicht: Staatspräsident Beneš habe    nicht anders argumentieren, war doch       Die Exilregierung in London mit Beneš      tendeutsch-tschechische Verhältnis so
schon vor dem Krieg geplant, was er       „München“ nicht nur durch Hitlers Po-      als Präsident und dem katholischen         kompliziert.
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
Folge 3 vom 5. März 2020                                                 SUDETENPOST                                                                             5

                                                 Tauziehen um die Tatra
                                      Im September 1939 kämpft die Slowakei gegen Polen
Im Morgengrauen des 1. September          len in die Zips ein, weichen jedoch vor                                             Warschau gekommen. Die slowakische
1939 stürmen Soldaten der von Ge-         den in die bisher ungarische Slowakei                                               Armee besteht in jenen Tagen aus drei
neral Anton Pulanich befehligten          einrückenden Tschechen am 7. De-                                                    Divisionen Infanterie zu je zwölftau-
slowakischen 1.Division in der Nähe       zember (Gefecht bei Käsmark) zurück.                                                send Mann, die Ausrüstung stammt
von Zakopane über die polnische           Zwischen Juni 1919 und Jänner 1920                                                  aus CSR-Beständen. Den Befehl führt
Grenze. Gemeinsam mit der deutschen       halten die Polen wiederum zwei Gebie-                                               General Ferdinand Catloš.
Wehrmacht, deren 17. Armee den            te westlich und östlich von Zakopane                                                Bereits am zweiten Tag des Feldzugs
Feind vom Süden her aufrollt. Hier, im    besetzt.                                                                            befreien die Slowaken alle bisher vom
Schatten der Hohen Tatra, holt sich das                                                                                       Mutterland abgetrennten Landstriche,
seit März 1939 unabhängige Land die-    Im Friedensvertrag von Trianon muß                                                    38 Soldaten fallen. Die Polen – sie ha-
jenigen Gebiete zurück, die sich War-   Ungarn ein kleines Gebiet an Polen                                                    ben andere Sorgen als die Tatra – leis-
schau elf Monate zuvor einverleibt hat. abtreten. Es handelt sich einerseits um                                               ten wenig Widerstand. In Berlin ist
Zur Abrundung nimmt die Preßburger      zwölf Ortschaften um Jablonka im                                                      man mit dem eher symbolischen Bei-
Regierung zusätzlich noch ein paar      Nordosten des Komitats Árva (poln.                                                    trag des kleinen Bündnispartners zu-
Gebirgsflecken unter ihre Fittiche.     Orawa). In der Gegend wohnen, wie            Jozef Tiso                               frieden, Adolf Hitler zeichnet Premier
                                        schon die ungarische Volkszählung von                                                 Tiso mit dem Orden vom Schwarzen
Was bewegt die slowakische Führung 1910 zeigt, praktisch nur Polen. Wobei            abtausch von 1924 abgetreten hat. Im     Adler aus.
unter Pater Jozef Tiso zu einem der- die Genauigkeit der Statistik täuscht,          Dreiländereck Polen-Slowakei-Protek-
artigen Vorgehen? Wer meint, das denn die Bevölkerung der ganzen Ge-                 torat annektiert Warschau drei strate- Auch Moskau honoriert die Teilnahme
Deutsche Reich nötige seinen kleinen gend ist höchst gemischt. Zudem spre-           gisch wichtige Flecken in der Nähe des am Krieg gegen die den Russen ver-
Schützling zu diesem Schritt, liegt chen viele Leute südlich der Tatra, die          Jablunkapasses.                          haßten Polen am 18. September mit
falsch. Vielmehr ist der Streit um die sich als Slowaken bezeichnen, dieselbe                                                 einem kleinen Dankeschön in Form
dünn besiedelte, jedoch landschaftlich Mundart wie die Góralen, also die pol-        Die Slowaken sind verbittert, betrach- der völkerrechtlichen Anerkennung.
wunderschöne Gegend rings der Ho- nischen Bewohner um Zakopane. Der                  ten sie doch die Polen als ihre slawi- Der sowjetische Gesandte Georgi Ma-
hen Tatra schon einige Jahrzehnte alt.  zweite Zugewinn Warschaus sind drei-         schen und katholischen Brüder. Auch ximowitsch Puschkin, entfernter Ver-
                                        zehn Dörfer um den Markt Nova Biala          aus dem Süden droht Ungemach: Bu- wandter des Dichters, ist ungeachtet
Um das Jahr 1900 eskaliert der juristi- im Nordwesten der Zips.                      dapest möchte das ganze Land schlu- ideologischer Gegensätze persona gra-
sche Streit zwischen Ungarn und dem                                                  cken oder zumindest die Beute entlang ta, in seiner Residenz – die der Kom-
cisleithanischen Königreich Galizien Polen ist damit nicht zufrieden, es for-        des Waagtales mit Polen aufteilen. So munist in bester bürgerlicher Manier
um einen winzigen Landstrich, der dert vor allem das gebirgige Terrain               bleibt Preßburg nach der Erklärung als offenes Haus führt – gibt sich die
ungefähr drei Kilometer nordwestlich bei Javorina. Prag lehnt ab. Nach lan-          der Unabhängigkeit nur eine Möglich- Hautevolee der Hauptstadt die Tür-
der höchsten Erhebung des Gebiets, gen Debatten kommt es am 12. März                 keit, nämlich sich unter den Schutz klinken in die Hand.
der 2.655 m hohen Franz-Josephs-Spit- 1924 durch einen Schiedsspruch des             des Deutschen Reiches zu stellen. Was
ze liegt. Auf heutigen Landkarten fin- Völkerbundes in Genf zu einem Ge-             nicht allzu schwer fällt, wirkt sich das Insgesamt entsenden 27 Staaten ihre
det man den Berg unter dem Namen bietstausch. Ein slowakischer Weiler                Abkommen von München auf die Slo- diplomatischen Vertreter in den jun-
Gerlachovský Štít, auf Deutsch: Gerls- in der Nähe von Jablonka gehört nun           waken nur minimal aus. Berlin erhält gen Staat, ein Umstand, der dem slo-
dorfer Spitze. Genauer gesagt geht es als Lipnica Wielka zu Polen, das da-           bloß die deutschen Ortschaften En- wakischen Selbstwertgefühl schmei-
um die Meeraugenspitze (poln. Rysy) für weiter im Süden die Flecken Suchá            gerau und Theben im Dunstkreis der chelt. Selbst Neutrale wie die betuliche
und dem darunter gelegenen Schwar- Hora und Hladovka räumt.                          Hauptstadt. Auf die Gemeinde Oberu- Schweiz und das vorsichtige Schweden
zen Teich. Obschon es sich um eine                                                   fer östlich der Preßburger Altstadt ver- stellen sich ein.
Meinungsverschiedenheit innerhalb Danach kehrt Ruhe ein, allerdings bloß             zichtet das Reich, obwohl dieses Dorf
der Doppelmonarchie handelt, bemü- scheinbar. Anfang Oktober 1938 holt               im Dezember 1918 von Deutschöster- Das Ringen um die Tatra findet am
hen die Kontrahenten ein internatio- Polen im Windschatten des Münche-               reich beansprucht wird. Dafür sichert 21. November 1939 seinen formellen
nales Schiedsgericht, das 1902 Galizien ner Abkommens nicht nur die Lands-           sich die Wehrmacht einen großzügig Abschluß. An diesem Tag proklamiert
recht gibt.                             leute im schlesischen Teschen heim ins       bemessenen Truppenübungsplatz bei in Preßburg der überaus populäre
                                        Reich, sondern besetzt darüber hinaus        Malatzka / Malacky am Abhang der Monsignore Tiso, mittlerweile Staats-
In den letzten Tagen des Ersten Welt- das immer schon begehrte Javorina              Kleinen Karpaten.                        präsident, die Wiedereingliederung
kriegs geht es dann so richtig los. Am westlich von Zakopane, desgleichen            Im September 1939 sieht Preßburg den der Gebiete an der Nordgrenze.
6. November 1918 marschieren die Po- die beiden Dörfer, die es im Gebiets-           Zeitpunkt für eine Revanche gegen                          Erich Körner-Lakatos

                   „Nur Bares ist Wahres“ im Haus der Heimat
Zu einer weiteren Veranstaltung im        Funktionären von den Landsmann-            von Edelmetallen und die Herstellung     Darüber hinaus werden Edelmetallron-
Rahmen der Serie „Forum Heimat“           schaften ebenfalls einige Ehrengäste im    von Münzen bekannt ist. Einige der be-   den und Umlaufmünzen an zahlreiche
lud VLÖ-Präsident Ing. Norbert Ka-        „Haus der Heimat“ begrüßen, darun-         liebtesten Anlagemünzen und eine be-     Länder auf der ganzen Welt geliefert -
peller gemeinsam mit                                         ter: Abteilungsleite-   eindruckende Vielfalt an Münzen und      eine der Hauptaufgaben ist jedoch die
seinen    Vorstandskol-                                      rin Gesandte Dr. Su-    Medaillen für Sammler werden dabei       Produktion von Umlaufmünzen für die
legen am Donnerstag,                                         sanne Bachfischer       von der Münze Österreich hergestellt.    Republik Österreich. Fotos: VLÖ
den 13. Feber 2020 in                                        vom BMEIA, Adolf
das „Haus der Heimat“                                        Wala (ehem. Präsi-
ein und freute sich dabei                                    dent der National-
besonders, Mag. Ger-                                         bank), Manfred Frey
hard Starsich, General-                                      (ehem. Vizepräsident
direktor der Münze Ös-                                       der Nationalbank)
terreich AG, begrüßen                                        sowie Dietmar F.
zu können, der einen                                         Spranz, (ehem. Ge-
Vortrag unter dem Titel                                      neraldirektor    der
„Nur Bares ist Wahres“                                       Münze Österreich).
hielt. Kapeller konnte                                       Im Zuge seines Vor-
dabei neben dem VLÖ-Ehrenpräsiden-        trages stellte Generaldirektor Starsich
ten Dipl.-Ing. Rudolf Reimann, eini-      die Münze Österreich AG vor, die welt-
gen Vorstandskollegen und weiteren        weit für die erstklassige Verarbeitung
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
6                                                                         SUDETENPOST                                                    Folge 3 vom 5. März 2020

     Einsichten, Absichten und Irrtümer tschechischer Politik vor München
                              Das Beispiel Kamil Krofta (*1876 Pilsen - †1945 Prag)
Der im Gegensatz zu dem Staats-                                                                                 tschechische      ab, da „Deutschböhmen“ kein lebens-
verderber Edvard Beneš weitgehend                                                                               Volk das „ei-     fähiges Gebilde sei. Alles sei auf Prag
unbekannt gebliebene Historiker                                                                                 gentlich histo-   ausgerichtet.
und zeitweilige Außenminister der                                                                               rische Volk“,     Mit einiger Überraschung liest man
Tschechoslowakei (1936- 1938), Kamil                                                                            die „führende     dann seinen Vorschlag, die Deutschen
Krofta, veröffentlichte 1937 im Prager                                                                          Nation“. Zwar     als „zweites Staatsvolk“ anzuerkennen.
Orbis-Verlag eine Broschüre mit dem                                                                             hätten      die   Die Voraussetzung dafür aber sieht er
Titel „Die Deutschen im tschechoslo-                                                                            Deutschen in      in der „aufrichtigen geistigen und sitt-
wakischen Staate“ in deutscher Spra-                                                                            der Geschich-     lichen Anhänglichkeit der Sudeten-
che.                                                                                                            te     „unserer   deutschen an unseren Staat“. Sie soll-
Es handelt sich um eine Mischung von                                                                            Länder eine       ten in diesem Staat auch ihren Staat,
richtigen Einsichten und verhängnis-                                                                            überaus     be-   „ihre dauernde Heimat, ihr Vaterland
vollen Irrtümern, die zu den Konflik-                                                                           deutende Rolle    sehen“, was auch allen Deutschen nut-
ten zwischen Sudetendeutschen und                                                                               gespielt“, wä-    zen würde.
Tschechen geführt haben.                                                                                        ren aber in der   Aber gerade diese Möglichkeit war
Dieser Publikation war schon 1932 eine                                                                          Vergangenheit     durch die Parole Benešs „Zerstört
in Berlin in deutscher Übersetzung er-                                                                          niemals     ein   Österreich“, seine nationalistische
schiene „Geschichte der Tschechoslo-                                                                            Element gewe-     Ideologie, die verfehlte und feindli-
wakei“ vorausgegangen.                                                                                          sen, welches      che Politik seit der Neugründung der
Die Darstellung inner-tschechischer                                                                             „die Richtung     Tschechoslowakei gegen die „deut-
Auseinandersetzung vermied er. Der          für nicht berechtigt. Deren Versuch ei-    seiner Geschichte bestimmt hätte“.         schen Landsleute“ längst verschüttet.
Mord an Herzog Wenzel durch seinen          ner Abspaltung „erwies sich als nicht      Für ihn sind die „deutschen Landsleu-      Dessen gegen die beiden deutschen
Bruder, Herzog Boleslaw oder auch           lebensfähig“, wobei er die militärische    te“ „zu einem großen Teil direkt Nach-     Staaten gerichtete Außenpolitik war
die Ermordung Johann Nepomuks               Besetzung der deutschen Gebiete als        kommen tschechischer Vorfahren“            grundfalsch. Zudem hatte er (im
durch den unfähigen König Wenzel            eine ziemlich nebensächliche und un-       und von daher sieht er aufgrund der        Verbund mit Masaryk). Österreich-
IV. bleiben unerwähnt.                      problematische Sache bezeichnet.           NS-Rassentheorien gar kein Interesse       Ungarn als Gegengewicht gegen das
Bei seiner Beurteilung Österreich–          Krofta gibt sich der Hoffnung hin,         des Deutschen Reiches an den Sude-         nur vorübergehend machtlose Deut-
Ungarns folgt er der Linie František        dass sich das Verhältnis der deutschen     tendeutschen.                              sche Reich zerstört und nichts aus der
Palackýs und sieht die Tschechen im         Staatsbürger zur Republik und zur          Die Ideen Bolzanos (Bildung einer          langen Geschichte der böhmischen
Ersten Weltkrieg in der Mehrzahl „mit       tschechoslowakischen Nation auf dem        böhmischen Nation) oder Emanuel            Länder gelernt.
dem Herzen auf der Seite der Gegner“,       Wege einer glücklichen Entwicklung         Radls (einheitliche Staatsnation) ge-      Die erste Tschechoslowakische Repub-
der Mittelmächte, nämlich Frank-            befindet.                                  schweige denn die Verschmelzung der        lik ist auch an fehlendem und falschem
reichs, Russlands, Serbiens und Eng-        Er krönt seine Geschichte mit der          Tschechen mit den Deutschen lehnt er       Geschichtsbewusstsein, gefährlichen
lands.                                      Feststellung, dass der Tschechoslowa-      ab und hält sie für „rundweg unmög-        Irrtümern radikaler Nationalisten,
Die Hinwendung zu den slawischen            kischen Republik von der nationalen        lich“ und postuliert: „Wir beharren auf    Mangel an Gerechtigkeit und politi-
Staaten sieht er durch eine „romanti-       Frage keine ernsthafte Gefahr drohe:       dem tschechoslowakischen National-         scher Blindheit zugrunde gegangen.
sche Brüderschaft“ begründet – dem          „… die Tschechoslowakische Repub-          charakter unseres Staates…“.               Eine „gerechte, demokratische Natio-
Panslawismus. Im Sinne der Ideen von        lik darf ruhig und hoffnungsvoll ihrer     Immerhin räumt er Fehler bei der Na-       nalitätenpolitik“ hätte 1918/1919 be-
Tomáš Masaryk und Edvard Beneš              glücklichen und ruhmreichen Zukunft        tionalitätenpolitik des Staates ein, un-   ginnen müssen und die Außenpolitik
interpretiert er die Abkehr von Öster-      entgegenschreiten“. (S. 162)               ter anderem bei der Berücksichtigung       durfte nicht auf Gegnerschaft oder
reich als eine Befreiung des „histori-      Auch 1937 ist Kamil Krofta nicht viel      in der Staatsverwaltung, bei der Steu-     Feindschaft zu den deutschen Nach-
schen Gebiets der böhmischen Krone“.        klüger geworden. Er hält an den künst-     eraufteilung oder der Sprachverwen-        barn mitten in Europa aufgebaut wer-
Alle Bestrebungen der Sudetendeut-          lichen Konstruktionen des Tschechos-       dung.                                      den.
schen in den Jahren 1918/1919 hält er       lowakismus fest. Für ihn bleibt das        Eine territoriale Autonomie lehnt er                            Rüdiger Goldmann

                             Städtewappen
Unter Tannowitz / Dolní Dunajovice          Tanne, somit ein redendes Siegelbild       in Znaky 155, Anm. 46, Abb. Taf. 9).       Pappel statt der Tanne, bietet das ova-
Land: Mähren                                hatte, Grundelement des neuen Wap-         Noch im selben Jahr wurde das Wap-         le, bis 1945 (?) geführte Siegel MARKT
Landkreis: Nikolsburg                       pens wurde: in Silber auf einem grünen     pen in dem neuen Typar, 30mm ᴓ,            UNTER TANNOWITZER GEMEIN-
Einwohner:                                  Hügel eine grüne Tanne, flankiert von      angebracht; Umschrift: *MARGT*-            DEVORSTAND, nach dem Gödel irr-
1910: 2690 / 2689                           je einem roten be-                                            VNTER*TANAWI-           tümlich ein rotes Feld mit silbernen
1930: 2778 / 2676                           zinnten Turm („Ra-                                            CZ*SIGL*1.5.8.0. Im     Türmen und einer Pappel dazwischen
1939: 2792                                  tenturm“) mit drei                                            Unterschied zu der      veröffentlichte (Znaky 122f., Anm.
1947: 1758                                  (2, 1) Fenstern (aus                                          Verleihung     wurde    154f., dort weitere Lit. und Berichtigun-
2019: 1704                                  dem Familienwap-                                              aber die Tanne als      gen).
                                            pen des Grafen                                                Laubbaum       darge-
Ein Falsum kennt den Ort schon 1173,        Thurn), der Hügel                                             stellt. Auf dem fol-    Dr. Karl Renner
tatsächlich ist Unter Tannowitz aber erst   belegt von einem                                              genden Typar, 24mm      *14. Dezember
1245 durch Marquart von Tannowitz           b r au n b e s t i e l t e n                                  ᴓ, DES MARCTS           1870 in Unter
nachweisbar. 1573 noch als Dorf ge-         silbernen Winzer-                                             VNDER TANAWI-           Tannowitz, †31.
nannt, erhob es Rudolf II. am 3.4.1580      sech.. Zwar wer-                                              TZ SIGIL.1626, das      Dezember 1950
auf die Bitte von Franz Gf und Frhr von     den der Hügel und                                             noch 1787 angewen-      in Wien, öster-
Thurn Valsassina und zum Kreuz, Herr        das      Winzersech                                           det wurde, ist außer-   reichischer Po-
auf Liepnitz, Pürschitz und Wostitz,        – manchmal als                                                dem das Winzersech,     litiker (SDAP,
zum Markte, dem er zwei Jahrmärk-           Sichel bezeichnet – nicht in dem Text      das zwar wieder auf dem im 19. Jh. ge-     SPÖ). Er war in
te genehmigte. Unmittelbar danach           ausdrücklich erwähnt, doch sind sie aus    brauchten Siegel, 30mm ᴓ, des U. TAN-      der Ersten und Zweiten Republik an
wurde dem Markte durch den Besitzer         der Zeichnung der Verleihungsurkunde       NOWITZER GRUNDBUCHAMT(s)                   führender Stelle tätig. (Bestandgeber:
ein Wappen verliehen, wobei das bis         ersichtlich (Orig. im Bezirksarchiv Ni-    erscheint, aber als Winzermesser und       Archiv der Universität Wien, Bildarchiv
dahin gebrauchte Dorfsiegel, das eine       kolsburg, Unter Tannowitz Nr. 1, zitiert   balkenweise. Eine letzte Version, eine     Signatur: 106.I.1803)
75 Jahre danach: Die alte Legende von der "spontanen" Wut
Folge 3 vom 5. März 2020                                                  SUDETENPOST                                                                               7

     Gedenkveranstaltung im Mandschurei-Museum von Achimura
In der Sudetenpost Folge 9 vom                                                                                                  Darstellung des inzwischen sehr vielfäl-
6.9.2018 S. 13 ff. haben wir von einem                                                                                          tigen Flüchtlingswesens in Deutsch-
Treffen mit japanischen Flüchtlingen                                                                                            land. Gegenstände der Berichte waren
berichtet, von deren Schicksal wir erst                                                                                         neben der Schilderung der Lage der
wenige Monate zuvor erstmals ver-                                                                                               Kriegsflüchtlinge 1945 ff. auch das Er-
nommen hatten. Ihre Notsituation und                                                                                            gehen der Spätaussiedler der 1970er,
deren politische Hintergründe haben                                                                                             80er Jahre und schließlich der heute
wir dort beschrieben. Mitglieder des                                                                                            Schutz suchenden Bevölkerung des Na-
Frauenverbandes im BdV empfingen                                                                                                hen Ostens und anderer Notgebiete.
im Herbst 2018 eine Delegation japani-                                                                                          Prof. Dr. Makoto Minami (Universität
scher Flüchtlinge zu einem ausgiebigen                                                                                          Nagasaki), der selber als Nachkomme
gemeinsamen Seminar, lernten sie ken-                                                                                           japanischer Siedler in den 1980er Jah-
nen und hielten seitdem Kontakt. Der                                                                                            ren aus China nach Japan übersiedelte,
in Aussicht genommene Gegenbesuch                                                                                               erläuterte die Geschichte und Gegen-
in Japan fand Ende Oktober 2019 statt.                                                                                          wart der japanischen Rückkehrer aus
Tagungsort war das mandschurische          Gemeinsames Bild vom Symposium mit Helga Engshuber (4. von rechts).                  Nordostchina. In Japan wurden die
Museum, das sehr gut von der Bevölke-                                                                                           Rückkehrer aus China in „Repatriierte“
rung angenommen wird. In den sechs-        Die Einwanderungs- und Siedlungspo-        zu bringen und neue Impulse für die       (kollektive Rückkehrer) und „Heim-
einhalb Jahren seines Bestehens haben      litik des imperialistischen japanischen    zukünftige Arbeit der Gedenkstätte zu     kehrer aus China“ (zurückgebliebe-
bereits 170.000 Interessierte seine Aus-   Kaiserreiches wurde nach Kriegsende        erlangen. Im Vorjahr hatte eine Delega-   ne Erwachsene und zurückgelassene
stellungen gesehen. Zweck des Muse-        nie zufriedenstellend zusammengefasst      tion der Gedenkstätte eine Europareise    Kinder) eingeteilt. Ein wesentlicher
ums sind die Aufbereitung der histo-       und aufgearbeitet. Die Geschichte der                                                Unterschied zur Situation in Deutsch-
rischen Ereignisse und die Weitergabe      japanischen Bevölkerung in der Mand-                                                 land besteht darin, dass die deutschen
der daraus entstandenen Erfahrungen        schurei, die einerseits zu Opfern der                                                Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler
an die nächste Generation.                 Kriegsgeschehnisse wurde, von einem                                                  als deutsche Staatsbürger anerkannt
                                           anderen Standpunkt jedoch auch als                                                   wurden, während eine Anerkennung
Der herzliche, von menschlicher Nähe       ausbeutende Kolonisatoren auf frem-                                                  der Rückkehrer in Japan schwieriger
geprägte Stil des Umgangs mit den ja-      der Erde zu bezeichnen sind, blieb nach                                              war. In seinem eigenen Fall wurde die
panischen Flüchtlingen und sonst In-       Ende des Krieges größtenteils uner-                                                  japanische Herkunft der Großmutter,
teressierten hat uns sehr bewegt. Über     zählt.                                                                               die nach dem Krieg in China zurück-
100 Personen besuchten das Symposi-        Die noch verbliebenen Betroffenen                                                    blieb, anerkannt, wonach er auch die
um, das aus Anlass unseres Besuches        werden Jahr für Jahr weniger an Zahl,                                                Staatsbürgerschaft beantragen konnte.
stattfand. Das Auditorium lauschte mit     deshalb erscheint es umso wichtiger, die                                             In Japan kam es auch nicht zu einer Or-
gleichbleibender Aufmerksamkeit. Wir       Geschichte festzuhalten und zu über-                                                 ganisierung der Rückkehrer in einem
umarmten die auch auf japanischer Sei-     liefern und sich sowohl dem Opfer- als                                               gemeinsamen Verband, so dass deren
te nur noch wenigen Zeitzeugen. Der        auch dem Täterstandpunkt zu stellen.       Herzlicher Kontakt mit den japani-        Stimme in der Politik und Gesellschaft
japanische Professor Kimura berich-        Mit dieser grundsätzlichen Haltung         schen Zeitzeugen.                         keine gesonderte Aufmerksamkeit er-
tet:                                       wurde diese Erinnerungsstätte gebaut.                                                hielt.
                                           Zwar befindet sich die Gedenkstätte auf    nach Deutschland und Polen unter-         Die Gemeinsamkeiten und Unterschie-
Im Jahre 2013 wurde im Dorf Achi-          dem Land fernab der großen Metropo-        nommen, bei der es zu ersten Begeg-       de, die im Symposium angesprochen
mura [sprich: Atschimura] in der Prä-      len, jedoch stellt es einen Schnittpunkt   nungen mit dem Frauenverband kam.         und diskutiert wurden, machten erneut
fektur Nagano in Zentraljapan ein          von Menschen, Quellensammlungen            Prof. Dr. Goro Christoph Kimura           die Bedeutung deutlich, die jeweiligen
privat geführtes Museum gegründet,         und Informationen dar, wodurch ein         (Sophia-Universität, Tokyo), dessen       Erfahrungen auszutauschen und in
das es sich zur Aufgabe gemacht hat,       Ort des Lernens und des Gedenkens          Großeltern 1945 die Heimat im heuti-      Verbindung zu bringen. Die Teilneh-
die Geschichte der japanischen Ein-        entstanden ist.                            gen Polen (Danzig und Posener Land)       menden waren sich einig, diesen Dia-
wanderung in der Mandschurei zu            Die Museumsleitung ist bemüht, diese       verlassen mussten, und der in einem für   log fortzusetzen.
beschreiben und festzuhalten, darüber      Aktivitäten mit kleinen, jedoch stetigen   Söhne der Japaner in der Mandschurei      So haben wir am Ende des Symposions
zu lernen und zugleich der Friedens-       Schritten fortzusetzen.                    gegründeten Studentenwohnheim in          die Frage, wie man fremden Menschen
förderung dienlich zu sein.                                                           Tokyo seine Studentenzeit verbrach-       in Frieden begegnen könne, mit folgen-
Im Nordosten Chinas gründete Japan         Am 19. Oktober 2019 fand in dieser         te, schilderte in seiner Einführung die   den Grundsätzen beantwortet:
1931 den Marionettenstaat „Mand-           Gedenkstätte ein Symposium statt mit       Geschichte der deutschen Flucht und
schukuo“ und aus staatspolitischen         dem Titel „Aus dem Dialog, aus der         Vertreibung sowie die Geschichte der         1. Beschäftigung mit fremden
Gründen wurden 270 000 Menschen            Geschichte für die Zukunft lernen: ja-     Aussiedler im historischen und europä-          Kulturen, vor allem Religionen
der agrarischen japanischen Landbe-        panische und deutsche Vertriebene,         ischen Kontext mit Bezug auf die japa-          und viel daraus lernen.
völkerung nach Mandschukuo gesandt,        Flüchtlinge und Aussiedler.“ Dieses        nischen Erfahrungen.                         2. Fremde Sprachen beherrschen,
um dort Landwirtschaft zu betreiben.       Symposium, das durch die Vermittlung       Die Ansprachen der deutschen Teil-              damit man mit den Menschen
Die Region mit der größten Zahl der        von Dr. Mariko Fuchs (wohnhaft in          nehmerinnen, Präsidentin und Vor-               reden und ihre Gedanken ver-
Auswanderer war die Präfektur Naga-        Düsseldorf) in Zusammenarbeit mit          standsmitglieder des Frauenverbandes            stehen kann.
no, die auf Grund der geographischen       dem Frauenverband im Bund der              im BdV, lagen in japanischer Überset-        3. Allen Menschen mit Achtung
Lage mitten in den Bergen eine schwä-      Vertriebenen stattfinden konnte, setz-     zung aus, so dass alle Teilnehmer des           und Respekt begegnen und sie
chere wirtschaftliche Grundlage hatte.     te sich das Ziel, die deutschen und ja-    Symposiums sie aufnehmen konnten.               in ihren Besonderheiten wert-
Die Umsiedlungsaktion wurde, unge-         panischen Erfahrungen in Beziehung         Diese Beiträge boten eine umfassende            schätzen.
achtet der schweren militärischen Si-                                                                                              4. Solche Achtung auch den Toten
tuation bis Mitte 1945 fortgesetzt. Mit                                                                                               und ihren Begräbnisstätten ent-
dem Einmarsch der russischen Trup-                                                                                                    gegenbringen. Viele Beobach-
pen am 9. August 1945 begann für diese                                                                                                tungen in unseren ehemaligen
Bevölkerung eine dramatische Flucht,                                                                                                  Siedlungsgebieten lassen erken-
die für viele in Massenselbstmord und                                                                                                 nen, dass die Versöhnung derer,
Gefangenenlager endete. Etwa 80 000                                                                                                   die ehemals ihre Heimat geteilt
Menschen verloren dabei ihr Leben.                                                                                                    haben, sich zu Kriegsende dann
Auch die japanische Restbevölkerung,                                                                                                  aber töteten und vertrieben, auf
die vor allem in Städten lebte, wurde in                                                                                              den Friedhöfen begann.
den Nachkriegsjahren nach Japan zu-
rückgesandt.                               Das Museum Achimura                                                                            Helga Engshuber, Düsseldorf
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