Aus Politik und Zeitgeschichte - 49/2006 4. Dezember 2006 - BPB
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 49/2006 ´ 4. Dezember 2006 China Xuewu Gu China als Akteur der Weltpolitik Bernhard Seliger Die neue politische Úkonomie Ostasiens und die Rolle Chinas Heinrich Kreft China ± Die soziale Kehrseite des Aufstiegs Thomas Heberer China ± Entwicklung zur Zivilgesellschaft? Eva Sternfeld Umweltsituation und Umweltpolitik in China Tang Shaocheng Taiwanpolitik der EU ± Beschrånkungen und Chancen Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial China war bis ins 16. Jahrhundert hinein die fortschrittlichste Zivilisation der Welt, ein Land, das çber die Meere herrschte und weltweiten Handel trieb. An diese Zeit scheint die Volksrepublik China anknçpfen zu wollen. Die Groûmacht ist auf dem Weg zur Supermacht: wirtschaftlich, politisch und militårisch. Chinas Wirtschaft boomt. Die von Deng Xiaoping eingeleitete und in den Folgejahren konsequent fortgefçhrte Reform- und Úffnungspolitik hat zu einem geradezu explodierenden Wirt- schaftswachstum gefçhrt. Doch der rasante Aufstieg hat eine Kehrseite. So sind neben enormen Fortschritten schwerwiegende Konsequenzen fçr die Sozialstruktur des Landes und seine Um- welt nicht zu çbersehen. Die Widersprçche sind groû, und sie betreffen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaûen: Es gibt Ansåtze einer Zivilgesellschaft neben dem Beharrungsver- mægen der Diktatur, makroækonomische Stabilitåt neben sozia- lem Chaos, irrwitzigen Reichtum neben bitterster Armut, Ent- wicklung neben gravierender Umweltverschmutzung und -zer- stærung. Die angehende Supermacht China ist wirtschaftliche Groûmacht und Entwicklungsland in einem. Die Blicke der westlichen Welt auf das riesige, seit 1949 kom- munistisch gefçhrte Land mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern sind besorgt und begehrlich zugleich: besorgt wegen der politi- schen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spielregeln, die westlichem Demokratie- und Menschenrechtsverståndnis bis- weilen zuwiderlaufen; begehrlich wegen des groûen chinesischen Absatzmarktes. Dabei wird leicht çbersehen, dass China långst nicht mehr nur ein groûer Markt, sondern ± wie sein wirtschaft- liches und strategisches Engagement in Afrika zeigt ± auch ein groûer globaler Konkurrent ist. Katharina Belwe
Xuewu Gu asien geprågt. Die 100 000 Mann der US- Streitkråfte, die in erster Linie in Japan und China als Akteur Sçdkorea stationiert sind, bilden den Aus- gangspunkt fçr jede chinesische Sicherheits- der Weltpolitik kalkulation. China muss sich damit abfinden, dass sein Kçstenumfeld durch eine auûerregio- nale Seemacht kontrolliert wird, die zugleich die einzige Supermacht der Welt darstellt. Chinas sicherheitspolitische Abhångigkeit D ie Volksrepublik China hat sich dank ihres ununterbrochenen Wirtschafts- wachstums von durchschnittlichen acht bis von den Vereinigten Staaten besteht auch darin, dass das Schicksal Taiwans, dessen Rçckfçhrung in den chinesischen Staat von neun Prozent seit Beginn der Reformen zu der Regierungsklasse in Beijing als das Kardi- einem regelrechten Powerhaus der Weltwirt- nalinteresse der chinesischen Nation des 21. schaft entwickelt. Seit 2004 rangiert das Reich Jahrhunderts identifiziert wird, in der Hand der Mitte als die drittgræûte Handelsnation von Washington liegt. Das Risiko, dass eine nur noch hinter den Vereinigten Staaten und Militårintervention auf Taiwan China in einen Deutschland, aber vor Japan, Frankreich, Ita- Krieg mit der Supermacht USA hineinreiûen lien und Groûbritannien. kænnte, måûigte bislang die chinesische Fçh- rung bei ihren Anstrengungen nach einer Wie- Die unmittelbare Konsequenz dieser wirt- dervereinigung mit der Inselrepublik. schaftlichen Erfolge ist ein neues China, das immer selbstbe- Jedoch ist sich die Volksrepublik China auch ihrer Position gegençber den USA be- Xuewu Gu wusster, souveråner wusst. Vor allem sieht sie sich als Ståndiges Dr. phil., geb. 1957; ordentlicher und aktiver versucht, Mitglied im UN-Sicherheitsrat auf gleicher Professor für Politikwissen- die Weltpolitik der Augenhæhe mit den USA. Mit seinem Veto- schaft und Inhaber des Lehr- Gegenwart mitzuge- recht kann Beijing Washingtons politische stuhls für Politik Ostasiens an stalten. Insbesondere Vorhaben in New York blockieren, auch der Ruhr-Universität Bochum, dort, wo ihre vitalen wenn dieses bislang nur selten eingesetzt wor- Universitätsstraûe 150, GB1/49; Interessen im Spiel den ist. Aber allein eine Vetodrohung reicht 44780 Bochum. sind, bemçht sich die manchmal schon aus, um die Amerikaner in xuewu.gu@rub.de Volksrepublik, sich Schwierigkeiten zu bringen. Der wegen man- http://www.rub.de/poa gut zu positionieren. Dies gilt sowohl fçr gelnder vælkerrechtlicher Legitimation kriti- ihr gelassenes Macht- sierte Irakkrieg und der Zwang zum Kompro- spiel mit der Supermacht USA als auch fçr ihr miss bei der Verabschiedung der internationa- strategisches Flirten mit den europåischen len Sanktionen gegen Sudan sind nur zwei Staaten. Aber auch die Vorstæûe zur Stabilisie- Beispiele dafçr, dass Washington bei der Ver- rung des regionalen Umfeldes im Asien-Pazi- folgung seiner Zielsetzungen in bestimmten fik-Raum, die Umwerbung von Russland und Konstellationen an Beijing nicht vorbeikom- der Vormarsch nach Afrika gehæren zu auûen- men kann. Auch die Umwerbung Chinas und sicherheitspolitischen Aktivitåten der Re- durch die Bush-Regierung beim Atomstreit gierung in Beijing (Peking), mit denen das chi- mit Iran und Nordkorea veranschaulicht das nesische Interesse gegençber anderen weltpo- Potenzial des chinesischen Einflusses auf die litischen Akteuren durchgesetzt werden soll. amerikanische Auûenpolitik. Neben dieser traditionellen Vetomacht hat Das gemåûigte Machtspiel mit den USA China auch moderne Einflussmæglichkeiten gegençber den USA entwickelt. So besteht fçr Das Verhåltnis zu den Vereinigten Staaten das Land heute die Mæglichkeit, den amerika- stellt fçr die chinesische Regierung die ¹Priori- nischen Finanzmarkt zu beeinflussen, wenn tåt innerhalb der Prioritåtenª (zhongzhong zhi auch nur in einem begrenzten Umfang. China zhong) der chinesischen Auûen- und Sicher- verfçgt heute mit mehr als 950 Milliarden US- heitspolitik dar. So ist vor allem die Sicher- Dollar çber die græûten Devisenreserven der heitslage der Volksrepublik China durch die Welt. 70 Prozent davon entfallen auf die Militårpråsenz der Vereinigten Staaten in Ost- amerikanische Wåhrung bzw. amerikanische APuZ 49/2006 3
Wertpapiere. Allein in die Staatsanleihen der Auch Pråsident Hu Jintao vermied jegli- Vereinigten Staaten hat die chinesische Regie- chen Eindruck von einem herausfordernden rung 250 Milliarden US-Dollar investiert, mit China, als er im April 2006 die Vereinigten der Konsequenz, dass die amerikanischen Staaten besuchte. Sichtlich entspannt, kçn- Staatsschulden praktisch von China mitfinan- digte er auf dem Galadinner, das der Grçnder ziert werden. 1 Die Perspektive, durch Redu- von Microsoft Bill Gates zu seinen Ehren zierung bzw. Erhæhung des Anteils der ameri- gab, einen entscheidenden Schritt zur Be- kanischen Wåhrung an den chinesischen kåmpfung der in China stark verbreiteten Devisenreserven die Abwertung bzw. Auf- Software-Piraterie an. 3 wertung des US-Dollars beschleunigen und damit das amerikanische Wirtschaftsleben be- einflussen zu kænnen, wird von den chinesi- Strategisches Flirten mit Europa schen Strategen zunehmend erkannt. Seit Jahren liebåugelt die chinesische Fçhrung Moderne ¹Hebelkraftª gegençber den mit der Europåischen Union (EU) als einem USA entwickelt sich auch aus der Verflech- ¹Strategischen Partnerª auf dem Weg zur tung der amerikanischen Volkswirtschaft mit Realisierung einer multipolaren Weltord- der chinesischen. Ein jçngerer Forschungsbe- nung. Unmittelbar nach der Veræffentlichung richt aus Oxford veranschaulicht, dass die des Strategiepapiers zur Europapolitik im Vereinigten Staaten mit Wachstumsrçckgang Jahre 2003 intensivierte die chinesische Re- und Inflationssteigerung rechnen mçssten, gierung ihre Bemçhungen um die Umsetzung wenn sie ihre Wirtschaftsbeziehungen zu ihrer strategischen Vorstellungen. Das Jahr China abbråchen. Hingegen werde das ameri- 2004 wurde zum ¹Europajahrª erklårt. Schon kanische Bruttoinlandsprodukt 2010 im Ver- im Januar flog Staatspråsident Hu Jintao nach gleich zu 2001 bei einer engen Wirtschaftsko- Paris, um mit seinem franzæsischen Amtskol- operation mit China um 0,7 Prozent hæher legen Jacques Chirac die bereits seit 1997 be- sein als ohne Geschåfte mit China und die stehende ¹Strategische Partnerschaftª zwi- Preise um 0,8 Prozent niedriger. Auch die schen China und Frankreich auszubauen. Im real verfçgbaren Einkommen der amerikani- Mai reiste Ministerpråsident Wen Jiabao in schen Haushalte sollen im Fall einer engen Begleitung von Auûenminister Li Zhaoxing Kooperation mit China zusåtzlich um rund und Handelsminister Bo Xilai nach Europa, 1 000 US-Dollar steigen. 2 um Deutschland, Belgien, Italien, Irland und Vor dem Hintergrund, dass die amerikani- Groûbritannien zu besuchen. In Berlin wurde sche Wirtschaftskraft fast fçnffach stårker als eine Deklaration mit dem Titel ¹Partnerschaft die chinesische ausfållt, neigt Beijing kaum in globaler Verantwortungª verabschiedet. In dazu, seine ¹wirtschaftliche Karteª als politi- Rom erhielt der chinesische Regierungschef sche Waffe einzusetzen. Im Gegenteil ± die vom damaligen italienischen Ministerpråsi- chinesische Fçhrung wird nicht mçde, den denten Silvio Berlusconi in Form einer ge- Aufstieg des Landes als eine friedliche Ent- meinsamen Erklårung die Zustimmung, ¹eine wicklung darzustellen und die Amerikaner langfristige, stabile, nachhaltige und strategi- auf die ¹win-winª Chancen zu verweisen. So sche Partnerschaftª zwischen China und Ita- schickte die chinesische Regierung im Mårz lien aufzubauen. Auch in London konnte 2006 eine hochrangige Delegation unter der Wen seinen britischen Amtskollegen Tony Leitung der stellvertretenden Ministerpråsi- Blair als ¹Strategischen Partnerª gewinnen. dentin Wu Yi mit dem Auftrag nach Amerika, In dieser gemeinsamen Erklårung verspra- groû angelegte Einkaufsgeschåfte in Hæhe chen beide Politiker, eine ¹umfassende strate- von 16,2 Milliarden US-Dollar abzuwickeln, gische Partnerschaftª zwischen China und um die dortigen Ressentiments çber die an- Groûbritannien zu errichten. dauernden Handelsdefizite mit China zu be- schwichtigen. 1 Vgl. Renmin Ribao (Volkszeitung ± Ûbersee- 3 Demzufolge werde auf chinesischen Computern der ausgabe) vom 25. August 2006. Lenovo-Gruppe das Betriebsystem Windows vor- 2 Vgl. Margot Schçller/Makbule Top, Ho Goes to installiert sein, um illegalen Raubkopiehåndlern keine Washington: Comments on the Development of U. S. ± Chance zu geben. Vgl. Carola Milbrodt, Hu Jintaos China Economic Relations, in: China aktuell, 3 (2006), Besuch in den USA ohne substanzielle Ergebnisse, in: S. 58. China aktuell, 3 (2006), S. 101 ±102. 4 APuZ 49/2006
Mit Ausnahme einer mit franzæsischen Ma- zu haben. Aus ihrer Reisediplomatie gegen- rinesoldaten durchgefçhrten Militårçbung im çber den auûereuropåischen Machtzentren Mårz 2004 beschrånkte sich die von der chine- wurde abgeleitet, dass auch die neue Bundes- sischen Seite angestrebte ¹Strategischen Part- regierung eine aktive Chinapolitik betreiben nerschaftª mit den Europåern noch auf das wolle. Beijing zeigt sich bereit, mit der Bun- Papier. Im substanziellen Bereich, in dem die desrepublik unter Merkel einen ¹strategi- chinesische Fçhrung konkrete und fassbare schen Dialogª zu fçhren, in der Hoffnung, Ergebnisse sehen wollte, konnte sie ihre Ziele das chinesisch-deutsche Verhåltnis zu einer nicht erreichen. Trotz intensiver Bemçhungen der stabilsten Beziehungen Chinas zu den der chinesischen Fçhrung und Diplomatie europåischen Staaten auszubauen. kann bislang in der EU keine Mehrheit fçr die Aufhebung des seit 1989 bestehenden Waffen- embargos gefunden werden. Auch in der Umwerbung von Russland Frage der Gewåhrung des Status einer Markt- wirtschaft, der China vor mæglichen Handels- Aus chinesischer Sicht ist Russlands Bedeu- einschrånkungen durch EU-Staaten schçtzen tung fçr China einmalig: Reich an Naturres- kænnte, wurde die chinesische Fçhrung von sourcen und eigenwillig auf der Bçhne der ihren ¹Strategischen Partnernª in Europa im Weltpolitik, kann das græûte Flåchenland der Stich gelassen. China kænne, so die europå- Welt Chinas Aufstiegprozess beschleunigen ische Begrçndung, erst als eine Marktwirt- oder verlangsamen, je nachdem, welche schaft anerkannt werden, wenn es seine Position die politischen Eliten in Moskau rechtsstaatlichen Mångel und seine zu hohe zu ihrem ostasiatischen Nachbar einnehmen. Staatsintervention in Wirtschaftsablåufe abge- Aus historischen Erfahrungen mit ihrem baut habe. måchtigen Nachbarn im Norden haben die Chinesen gelernt, dass das Land sich nur si- Offenbar aus Verårgerung çber das europå- cher fçhlen kann, wenn das Verhåltnis zu ische Verhalten, das aus chinesischer Sicht das Russland auf einem konfliktarmen Niveau so mçhsam in Gang gesetzte ¹Strategische gehalten wird. Ruhe und Stabilitåt im Norden Spielª verdorben hat, kçndigte die chinesi- sind die absolute Voraussetzung fçr Sicher- sche Regierung im Dezember 2004 an, den heit im Sçden und nicht umgekehrt. Diese Kauf von fçnf A 380 Airbus-Modellen im Einsicht fçhrte dazu, dass sich die chinesische Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar auf Eis zu Regierung unmittelbar nach dem Untergang legen. Ministerpråsient Wen, der in diesem der Sowjetunion intensiv bemçhte, Russland Jahr zum zweiten Mal nach Europa reiste, zu umwerben. um an dem EU-China-Gipfel in Den Haag im Dezember 2004 teilzunehmen, konnte Gegenwårtig strebt die chinesische Regie- seine Enttåuschung çber das schief gelaufene rung danach, die vorhandene strategische ¹Europajahrª nicht verbergen. Beim Treffen Partnerschaft zu vertiefen, die schon in der mit Chinesen aus Ûbersee nach dem Gipfel Regierungszeit von den Pråsidenten Boris Jel- kritisierte er offen das europåische Junktim zin und Jiang Zemin gegrçndet wurde. von Menschenrechtsfragen und Waffenem- Offensichtlich um das Potenzial zur Gegen- bargo und forderte die EU auf, das ¹Relikt machtbildung gegen das amerikanisch-japani- des Kalten Kriegesª endlich aufzugeben. sche Militårbçndnis in Ostasien zu veran- schaulichen, intensivierten Beijing und Mos- Die Abwahl von Gerhard Schræder im Sep- kau ihre Militårkooperation. Im Dezember tember 2005 wurde von der chinesischen 2004 reiste der russische Verteidigungsminis- Fçhrung mit Sorge beobachtet. Der Altbun- ter Sergeij Iwanow nach Beijing, um mit der deskanzler galt in China als realistisch den- chinesischen Fçhrung çber neue Vertråge fçr kender und pragmatisch handelnder Politiker. Waffenlieferungen an China zu verhandeln. Noch lange nach der Bildung der Groûen Gleichzeitig wurde ein groû angelegtes Mili- Koalition herrschte in China Ungewissheit tårmanæver von russischen und chinesischen darçber, ob und inwieweit die neue Bundes- Streitkråften vereinbart, das tatsåchlich im kanzlerin Angela Merkel die pragmatische Sommer 2005 in China stattfand. Chinapolitik der Regierung Schræder fortset- zen wçrde. Erst der Besuch Merkels im Mai Wie begrenzt diese strategische Partner- 2006 schien die chinesische Fçhrung beruhigt schaft ist, bekam die chinesische Fçhrung APuZ 49/2006 5
sehr bald zu spçren. Ende 2004 erteilte Pråsi- des Landes konzentrieren zu kænnen. Expli- dent Wladimir Putin dem von China favori- zit wird eine Regionalpolitik mit dem Ziel sierten Plan zum Aufbau einer Erdælpipeline verfolgt, eine komfortable und stærungsfreie von Russland direkt nach Daqing im chinesi- Umwelt fçr die inneren Reformen zu schaf- schen Nordosten eine Absage. Moskaus Ent- fen und diese stabil zu halten. In diesem Kon- scheidung, den von Japan favorisierten Plan text ist insbesondere Chinas Integrationspoli- fçr eine Erdælpipeline von Sibirien nach tik gegençber seinen Nachbarlåndern in Sçd- Nachodka am russischen Pazifik zu realisie- ostasien zu sehen. ren, zeigte, dass die russische Fçhrung nicht bereit war, das Anliegen ihres strategischen Bereits im November 2000 hatte China den Partners in Beijing dem russischen National- ASEAN-Mitgliedsstaaten vorgeschlagen, eine interesse çberzuordnen. Auch wenn Moskau gemeinsame Freihandelszone zu grçnden. Im mit seiner Entscheidung dem chinesischen November 2002 wurde von beiden Seiten ein Konkurrenten Japan nicht unbedingt einen Rahmenabkommen unterzeichnet, das vorsah, Gefallen tun wollte, offenbarte das Scheitern im Jahr 2010 die China-ASEAN-Freihandels- der chinesischen Pipelinediplomatie gegen- zone ins Leben zu rufen. Wenn alles nach Plan çber Russland doch die Brçchigkeit und laufen sollte, wird so im Jahre 2010 die welt- Schwåche der sino-russischen Partnerschaft. græûte Freihandelszone entstehen. Gemessen Beijing musste sich damit abfinden, dass an der Bevælkerungszahl wird sie die NAFTA Moskau nicht unbedingt auf der Seite Chinas (North American Free Trade Agreement) und steht, wenn fundamentale Interessen Russ- die Europåische Zollunion çbertreffen. Dass lands im Spiel sind. die Freihandelszone mit den ASEAN-Staaten fçr China in erster Linie ein politisches Projekt Seither hat die chinesische Regierung ihre darstellt, ist ein offenes Geheimnis, auch wenn Erwartungen zurçckgeschraubt; sie hofft auf die ækonomischen Vorteile mit Blick auf die eine Zusage fçr den Bau einer Abzweigung hochgradige Komplementaritåt der chinesi- der noch nicht fertig gestellten Pipeline in schen und sçdostasiatischen Wirtschaften nicht den russischen Fernen Osten. Allerdings zæ- zu çbersehen sind. Mit diesem Integrations- gert der russische Pråsident noch. Auch die projekt will Beijing vor allem die sçdostasiati- gçnstige Atmosphåre des ¹Russlands-Jahresª schen Staaten am Wirtschaftsboom Chinas be- in der Volksrepublik China, zu dessen Eræff- teiligen und sich damit als eine ¹benign powerª nung Putin im Mårz 2006 mit einer Delegati- pråsentieren. Von diesem Projekt erhofft man on von mehr als 1 000 hochrangigen Vertre- sich, dass die Zollunion dazu beitragen kænnte, tern aus Wirtschaft und Politik nach Beijing die Bedrohungsperzeption der sçdostasiati- gereist war, konnte die russische Regierung schen Lånder gegençber dem Reich der Mitte nicht zu diesem von den Chinesen dringend abzubauen und das Vertrauen in China zu ver- gewçnschten Schritt bewegen. stårken. Es hat den Anschein, dass Pråsident Putin Im Gegensatz zu seiner Sçdostasienpolitik den Einsatz seiner ¹Erdælkarteª nicht nur auf hat China offenbar erhebliche Schwierigkei- die westlichen Lånder beschrånken will. So- ten, die koreanische Halbinsel zu stabilisie- lange China sich nicht massiv um eine Kor- ren. In den letzten Jahren hat Beijing enorme rektur der bilateralen Handelsstruktur kçm- politische wie diplomatische Ressourcen in- mert, deren Dominanz durch Rohstofflie- vestiert, um den Konflikt zwischen den Ver- ferungen an China und durch primitiven einigten Staaten und der Demokratischen Grenzhandel das groûe Russland wie ein Ent- Volksrepublik von Korea çber den Weg di- wicklungsland erscheinen låsst, wird er seine plomatischer Verhandlungen beizulegen. Es ¹Úlkarteª als Druckmittel nicht leichtfertig war der chinesischen Regierung aber nur aus der Hand geben. mçhsam gelungen, vier Verhandlungsrunden fçr die Delegationen aus den USA, Nordko- rea, Sçdkorea, Russland, Japan sowie China Stabilisierung des regionalen Umfeldes herbeizufçhren. In Beijing herrscht Konsens darçber, dass Die Schwåche der chinesischen Ordnungs- China ein friedliches Umfeld im Asien-Pazi- macht lieû sich nicht çbersehen, als die Ver- fik-Raum benætigt, um sich auf den Aufbau handlungen Ende 2004 in eine Sackgasse ge- 6 APuZ 49/2006
rieten, die schlieûlich zum Austritt Nordko- lungsfåhigen, von amerikanischen Einflçssen reas aus den Gespråchen im Februar 2005 freien, aber von Russland mitgefçhrten Ord- fçhrte. Nur mit groûen Anstrengungen nungs- und Sicherheitsorgan fçr die zentral- konnte Beijing das nordkoreanische Regime asiatische Region zu entwickeln, schien zur Rçckkehr an den Verhandlungstisch Schritt fçr Schritt in Erfçllung zu gehen. Im çberreden. In der am 19. September 2005 ver- Mai 2003 wurde die SCO auf dem Gipfeltref- æffentlichten Gemeinsamen Erklårung ver- fen der Staats- und Regierungschefs der Mit- pflichtete sich Nordkorea zum Verzicht auf gliedsstaaten China, Russland, Kasachstan, Atomwaffen und die USA zur Unterlassung Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan in von Militårangriffen auf Nordkorea. Es ent- Moskau institutionalisiert. Ein Sekretariat stand der Eindruck, als ob es China gelungen mit dem Sitz in Beijing wurde errichtet. Als wåre, die Koreakrise abzuwenden. Fçhrer der Organisation erklårten sich China und Russland bereit, jeweils 24 Prozent des Allerdings zerschlug der nordkoreanische Budgets der SCO zu çbernehmen, wåhrend Atomtest am 9. Oktober 2006 alle Hoffnun- 21 Prozent auf Kasachstan, 15 auf Usbekis- gen auf eine baldige Læsung des Konfliktes. tan, 10 auf Kirgistan und 6 Prozent auf Tad- Pjængjang ignorierte einfach die chinesische schikistan entfallen sollten. Warnung im Vorfeld des Testes und setzte die chinesische Fçhrung erst 20 Minuten vor In jçngster Zeit zeigt Beijing auch groûes dem Test darçber in Kenntnis. Empært çber Interesse, seine Beziehungen zu Indien zu das grobe Verhalten seines Verbçndeten, ver- verbessern. Hæhepunkt dieser Annåherung urteilte Beijing in einer ungewæhnlich scharf war der Chinabesuch des damaligen indi- formulierten Erklårung den Atomtest als schen Ministerpråsidenten Atal Bahari Vaj- ¹rçcksichtslosª und ¹unakzeptabelª. Auch payee im Juni 2003. Fçr China waren die die Entscheidung der chinesischen Regierung, diplomatischen Errungenschaften offensicht- der von den USA und Japan eingebrachten lich: In der gemeinsamen Erklårung vom 23. UN-Resolution 1718 zum Waffenembargo Juni 2003, die durch die beiden Regierungs- gegen Nordkorea zuzustimmen, zeigte, dass chefs Wen und Vajpayee unterzeichnet die Grenze der chinesischen Geduld erreicht wurde, erkannte Indien Tibet als Teil des Ter- worden ist. ritoriums der Volksrepublik China an und verpflichtete sich, tibetische antichinesische Chinas Schwåche zeigt sich auch in seiner Proteste auf indischem Boden zu unterbin- Unfåhigkeit, die Amerikaner zur Akzeptanz den. Als Gegenleistung akzeptierte China die nordkoreanischer Bedingungen zu bewegen. Verwaltungsgewalt Indiens çber den Kænigs- Die US-Regierung schien nicht bereit, den staat Sikkim, der 1975 in die indische Union Preis im Sinne einer Normalisierung der di- eingegliedert wurde. Die chinesische Aner- plomatischen Beziehungen zu Nordkorea zu kennung erfolgte jedoch nicht durch die ge- zahlen, um Pjængjangs Atomprogramm zu meinsame Erklårung, sondern in Form einer stoppen. Es bleibt nach wie vor eine Heraus- Absichtserklårung zur gegenseitigen Verein- forderung fçr Beijing, einen gemeinsamen barung, den Grenzhandel auch fçr Sikkim zu Nenner zwischen dem chinesischen Wunsch æffnen. nach einem friedlichen Wandel in Nordkorea und dem amerikanischen Ziel eines Regime- Beijing schien bereit zu sein, Chinas Bezie- wechsels herzustellen. Eine dauerhafte Stabi- hungen zu seinem sçdasiatischen Groûnach- litåt auf der koreanischen Halbinsel ohne eine barn durch Vergangenheitsbewåltigung end- gegenseitige Anerkennung zwischen den bei- lich zu normalisieren. Das græûte Hindernis den Kontrahenten wird es nicht geben, auch fçr diese Aufgabe dçrfte die historisch çber- wenn Beijing nicht mçde wçrde, sich fçr die lieferte Grenzstreitigkeit sein, die Indien auch Ordnung in der Region einzusetzen. ståndig an die Demçtigung im chinesisch-in- dischen Grenzkrieg von 1962 erinnert. Die In Zentralasien konzentrierte sich die chi- gegenseitigen territorialen Ansprçche (China nesische Politik darauf, die im Jahre 2001 ge- mit 90 000 und Indien mit 38 000 Quadarat- grçndete Shanghai Cooperation Organizati- kilometern) konnten bislang noch nicht gere- on (SCO) ¹mit Leben zu erfçllenª. Chinas gelt werden. Die Verhandlungen dauern noch Vorstellung, die erste von Beijing initiierte in- an, und eine definitive Beilegung des Streits ternationale Organisation zu einem hand- scheint erst in Jahren mæglich zu werden. APuZ 49/2006 7
Wåhrend die Politik Chinas gegençber In- handels Chinas ausmacht. So werden auf fast dien grundsåtzlich durch Initiative und Opti- jedem afrikanischen Markt chinesische Kon- mismus geprågt ist, ist seine Japanpolitik sumgçter zum Verkauf angeboten. Das Aus- ohne Dynamik. Wegen seiner wiederholten maû der Durchsetzung der chinesischen Kon- Besuche des Yasukuni-Schreins, in dem die sumgçter in Afrika ist so groû, dass man Seelen der 14 A-Klasse Kriegsverbrecher durchaus von einer Verånderung ¹derª afri- ruhen, wurde der ehemalige japanische kanischen Lebensart sprechen kann. Ministerpråsident Koizumi in China als ¹un- erwçnschtª betrachtet. Beijing lehnte jegliche So haben etwa chinesische Plastiksandalen Begegnung mit ihm ab. Aus chinesischer Eingang in jedes afrikanische Dorf gefunden Sicht wurde die ¹politische Basisª der chine- und damit das alltågliche Erscheinungsbild sisch-japanischen Beziehungen durch die des Kontinents auffallend veråndert: Dass ¹unverantwortliche Handlungª des japani- afrikanische Frauen und Kinder sich keine schen Ministerpråsidenten und damit durch traditionellen Ledersandalen leisten kænnen die japanische Regierung massiv geschådigt. und daher barfuû gehen mçssen, gehært der Vergangenheit an. 4 Es mehrten sich in Beijing die Zeichen dafçr, dass die chinesische Fçhrung die Hoff- Chinas Griff nach Afrika im 21. Jahrhun- nung auf Koizumi bereits aufgegeben hatte, dert scheint das Ergebnis eines Zusammen- der im September 2006 sein Amt abgab. Star- spiels von drei Faktoren zu sein: dem spçrba- ke Signale wurden von Beijing nach Tokio an ren Rçckgang des westlichen Einflusses auf seinen Nachfolger gesandt, mit der Andeu- Afrika sçdlich der Sahara nach dem Ende des tung, dass die chinesische Regierung bereit Ost-West-Konfliktes; dem Scheitern des afri- sei, die Beziehungen unmittelbar zu normali- kanischen Modernisierungsprojektes, das sieren, wenn der neue Regierungschef Japans auch mit massiven Entwicklungshilfen aus auf den Besuch des Yasukuni-Schreins ver- den USA, Europa und Japan bis heute nicht zichten sollte. zum Erfolg gefçhrt werden konnte; und dem Aufstieg der Volksrepublik China zu einem Vormarsch nach Afrika der fçhrenden Industriestaaten. Eines der interessantesten Phånomene, die mit Das Reich der Mitte hat ein starkes Inte- dem Aufstieg Chinas einhergegangen sind, ist resse, den afrikanischen Kontinent nach chi- Chinas ¹Rçckkehrª nach Afrika. Die Wieder- nesischer Art und Weise zu industrialisieren entdeckung Afrikas fand in einer Zeit statt, in und zu modernisieren. Aber der Westen der die Einflçsse anderer Groûmåchte auf den scheint noch nicht dazu bereit, diese Fçh- Kontinent ståndig zurçckgingen. Diese Kons- rungsrolle den Chinesen zu çberlassen. Wel- tellation begçnstigte die Wahrnehmung Afri- che Parteien sich am Ende durchsetzen kæn- kas als ein strategisches Vakuum durch die chi- nen, wird wahrscheinlich von den Einstellun- nesische Fçhrung. Mit der Wiederentdeckung gen der Afrikaner selber abhången. China hat der weltpolitischen und wirtschaftlichen Be- im Augenblick einen guten Ausgangspunkt, deutung Afrikas entwickelte sich in Beijing muss aber einen Weg finden, um nicht nur das ein starkes Interesse, dem Kontinent mehr po- Wohlwollen der Afrikaner, sondern auch die litische, wirtschaftliche und diplomatische Zustimmung des Westens zu erreichen. Die- Ressourcen zu widmen. sen Weg zu finden, wird aber lange dauern. Inzwischen hat China fast alle traditionel- 4 Einwohner des westafrikanischen Inselstaats Kap len Handelspartner Afrikas çberholt. Nur ge- Verde beståtigen aus eigenen Erfahrungen die Verån- gençber den Vereinigten Staaten mit einem derungen ihres Lebensstandards durch das Eindringen Handelsvolumen von rund 60 Milliarden US der chinesischen Konsumgçter: ¹Jetzt kænnten es sich Dollar (2004) musste sich das Land mit einem alle Eltern leisten, ihren Kindern Weihnachtsgeschenke Handelsvolumen von 43 Milliarden US-Dol- zu kaufen.ª Heidi Ostbo Haugen/Jorgen Carling: Sie lar (noch) mit einem unter seiner Ambition wagen und gewinnen. Chinesische Håndler in Afrika, stehenden Platz begnçgen. Dessen ungeachtet in: Der Ûberblick, Zeitschrift fçr ækumenische Be- gegnung und internationale Zusammenarbeit, (2005), 4 wurde ganz Afrika bereits von chinesischen S. 21. Waren erobert, auch wenn der Handel mit Afrika nur zwei Prozent des Gesamtauûen- 8 APuZ 49/2006
Bernhard Seliger zu 200 Milliarden US-Dollar jåhrlich wird China in diesem Jahr wohl die Grenze von Die neue politi- 1 000 Milliarden US-Dollar bei den Devisen- reserven çberschreiten ± ein Weltrekord, der sche Úkonomie jedoch wegen des ungelæsten Problems der weiteren Entwicklung des Wechselkurses fçr den Yuan nicht nur Freude bei den chinesi- Ostasiens und die schen Behærden auslæst. Ein Viertel der aus- låndischen Direktinvestitionen in Entwick- lungslånder geht nach China, dem wichtigs- Rolle Chinas ten Zielland fçr auslåndische Investitionen neben den OECD-Staaten. Wåhrend die Erfolge, aber auch die unge- O ptimisten lernen Russisch, Pessimisten lernen Chinesischª hieû es in den Zei- ten des Kalten Krieges. Heute scheint dieser læsten Probleme Chinas ein Ergebnis der Entwicklung der letzten 25 Jahre sind, ist die jçngste Zeit nach der Asienkrise von 1997 nicht ganz ernst gemeinte Spruch aktueller und 1998 durch eine bemerkenswerte Ønde- denn je ± die Herausforderung, welche die rung gekennzeichnet: War China vorher, be- chinesische Wirtschaft fçr die entwickelten dingt durch die Konzentration auf die Ent- Volkswirtschaften in Europa und Amerika wicklung im Innern, im Wesentlichen auûen- darstellt, wird aller- politisch passiv ± und bedingt durch den orten diskutiert. Die Wunsch nach Mitgliedschaft in der Welthan- Bernhard Seliger delsgesellschaft WTO auûenwirtschaftspoli- Zunahme von Textil- Dr. sc.pol., geb. 1970; Repräsen- tisch åuûerst zurçckhaltend ±, so ånderte sich importen aus der tant der Hanns-Seidel-Stiftung dies in den vergangenen Jahren deutlich. Dies Volksrepublik China in Korea, Gastprofessor an der betrifft vor allem den Einfluss des Landes (im Folgenden: China), Seoul National University, 501, auf seine unmittelbaren Nachbarn. China hat die zu einer Quotenre- Soo Young Building, Hannam-1- sich hier vom passiven, wenn auch wohl- gelung fçr chinesische Dong,Yongsan-Gu, Seoul, wollenden Empfånger von Investitionen und Textilien fçhrten, hat Republik Korea. Entwicklungshilfe zum aktiven Teilnehmer ebenso dazu beigetra- seliger@hss.or.kr. an regionalen Entwicklungsprozessen gewan- gen, diese Herausfor- derung in das Bewusst- delt. Sowohl in Sçdostasien als auch in Nord- sein der Europåer zu rçcken, wie die Ûber- ostasien betreibt China nun zu seiner Interes- nahme europåischer Firmen durch neue senvertretung eine aktive Auûenwirtschafts- chinesische Mitbewerber und die Zunahme politik. Im Rennen um Freihandelszonen, zu des chinesischen Massentourismus. 1 dem auch Japan und andere Lånder der Re- gion wie Singapur oder Sçdkorea angetreten Dabei ist der Aufstieg Chinas zur wirt- sind, nimmt China inzwischen eine zentrale schaftlichen Groûmacht nicht neu. Er begann Stellung ein. Zu seinen traditionellen Anlie- mit den Reformen unter Deng Xiaoping gen ± etwa der Eindåmmung des amerikani- ab dem Jahr 1978. Nachdem China unter schen Einflusses in der Region ± kamen neue Mao Zedong und seinen Nachfolgern jahr- Interessen; vor allem die Sicherung von Roh- zehntelang von Armut und Hungersnæten stoffquellen, insbesondere Energie, ist wichti- in einer dysfunktionalen Zentralverwaltungs- ger geworden. Wåhrend die aktivere Rolle wirtschaft geprågt war, haben die marktwirt- Chinas in der internationalen Politik sowie in schaftlichen Reformen zunåchst in der Land- wirtschaft und dann auch in der Industrie zu 1 Zur Herausforderung, die China speziell fçr Europa einem rasanten Wachstum gefçhrt. Seitdem darstellt vgl. Markus Taube, Die VR China als auf- ist die chinesische Wirtschaft (das Bruttoin- strebende Macht in der Weltwirtschaft: Heraus- landsprodukt, BIP) jåhrlich um durchschnitt- forderungen an Europa, in: Politische Studien, 57 lich neun, die Industrie sogar um elf Prozent (2006) 408, S. 26 ±35. Zu den mæglichen Antworten auf diese Herausforderung vgl. Bernhard Seliger, (2006): gewachsen. Ein Ende dieses Booms ist noch Die chinesische und indische Herausforderung ± Va- nicht abzusehen; im Jahr 2006 wird wieder riationen zum alten Thema ¹Ordnungspolitik versus eine zweistellige Wachstumsrate erwartet. Protektionismusª, www.ordnungspolitisches-portal. Dank groûer Handelsçberschçsse von bis com/00_Index_Aktuelles.html. APuZ 49/2006 9
der Region im Prinzip begrçûenswert ist, gibt explizit gegen solche Aktivitåten, so dass die es auch problematische Entwicklungen, wie Beziehungen zu China auch nach den Ønde- den Neomerkantilismus und die Zusammen- rungen in Chinas Wirtschaftssystem zunåchst arbeit mit so genannten Schurkenstaaten im kçhl blieben. Territoriale Konflikte (um die Energiesektor, aber auch die Re-Interpretati- Spratly-Inseln und vor allem damit verbun- on der Geschichte als Grundlage fçr territo- dene Úl- und Gasvorkommen) erschwerten riale Forderungen, die sich aus der Situation die Beziehungen zu Vietnam, den Philippinen Chinas als Vielvælkerstaat ergeben. und Japan sowie Taiwan zusåtzlich. Diese Neuformulierung der Rolle Chinas Wåhrend der Asienkrise von 1997 und wirft fçr seine Nachbarn die Frage auf, wie 1998 bewahrheiteten sich Befçrchtungen, auch in Zukunft die wirtschaftliche Dynamik China werde dem Beispiel der sçdostasiati- Chinas als positiver Faktor fçr die regionale schen Lånder folgen und seine Wåhrung ab- Wirtschaftsentwicklung genutzt werden kann, werten, nicht. Dies håtte sicherlich zu einer ohne dass sich daraus eine politische Domi- neuen Runde kompetitiver Abwertungen ge- nanz ergibt. Im Folgenden soll diese Frage zu- fçhrt. Zwar blieb China gegençber regionalen nåchst fçr den sçdostasiatischen, dann fçr den Initiativen wie der Miyazawa-Initiative zur nordostasiatischen Raum untersucht werden. Grçndung eines Asian Monetary Fund skep- Abschlieûend wird die Mæglichkeit diskutiert, tisch, aber ein erster Schritt zur Akzeptanz durch umfassende Wirtschaftsintegration in einer regionalen Verantwortung war getan, der Region der Problematik der wuchernden bedingt durch den Willen der chinesischen bilateralen, asymmetrischen Freihandelszo- Bçrokratie, das Verhåltnis zu den sçdostasia- nen sowie des Neo-Merkantilismus wirksam tischen Nachbarn zu verbessern ± und die zu begegnen. Chancen fçr einen WTO-Beitritt Chinas zu erhæhen. 2 Chinas Rolle in der ækonomischen Nach der Asienkrise wurden die chinesi- Integration Sçdostasiens chen Wirtschaftsbeziehungen zu den sçdost- asiatischen Staaten deutlich enger. Dies war Die chinesischen Beziehungen zu Sçdostasien einerseits ein Ergebnis der gelungenen Trans- sind durch historische, politische, kulturelle formation Chinas. Die wirtschaftlich erfolg- sowie ækonomische Komplexitåt gekenn- reiche Kçstenregion brachte steigende Læhne zeichnet. Traditionell war China kulturell als und damit auch eine Verlagerung arbeitsin- Ursprungsland des Konfuzianismus, politisch tensiver Produktion mit sich. Diese erfolgte als Zentrum des asiatischen Kosmos sowie zumeist nicht innerhalb Chinas, da der wenig ækonomisch in Teilen Sçdostasiens dominie- entwickelte Westen des Landes keine guten rend. Chinesische Håndlernetzwerke spielten Voraussetzungen fçr stabile Produktionsbe- teilweise seit Jahrhunderten eine wichtige ziehungen ± etwa in Form ausreichender In- Rolle fçr den Handel in der Region, und in frastruktur ± bot, sondern in die angrenzen- den vergangenen Jahrzehnten waren diese ein den Lånder Sçdostasiens. Auch als Rohstoff- wichtiger Faktor fçr die Integration im lieferanten fçr Chinas boomende Wirtschaft Rahmen der Association of Southeast Asian gewannen die Lånder Sçdostasiens an Wich- Nations (ASEAN). Derzeit leben etwa 30 bis tigkeit. 40 Millionen ethnische Chinesen in den ASEAN-Staaten. Auch wenn ihr Anteil an Auch politisch wandelte sich das Verhåltnis der Bevælkerung oft nur gering ist, kontrol- Chinas zu den Nachbarn: Die territorialen lieren sie einen Groûteil des Auûenhandels Konflikte mit diesen (Spratly-Inseln) bleiben der ASEAN-Staaten. Wåhrend der Asien- zwar bestehen, aber wie die Nachbarn be- krise hat dies vor allem in Indonesien, zum mçhte sich China, diese nicht eskalieren zu Teil auch in Malaysia und Thailand, zu ethni- lassen. Das Land akzeptierte die ASEAN-Er- schen Konflikten gefçhrt. In den Zeiten des klårung von 1992 fçr eine friedliche Læsung Kalten Krieges war die Rolle Chinas in Sçd- ostasien durch die Rivalitåt mit den USA und 2 Vgl. Leong H. Liew, The Role of China's Bureau- die Unterstçtzung diverser kommunistischer cracy in its No-Devaluation Policy during the Asian Rebellengruppen gekennzeichnet. Die Grçn- Financial Crisis, Japanese Journal of Political Science, 4 dung der ASEAN im Jahr 1967 richtete sich (2003), S. 61 ±76. 10 APuZ 49/2006
des Konflikts in der sçdchinesischen See; im jedoch der institutionelle Rahmen fçr diese Jahr 2002 wurde diese durch eine gemeinsame Zusammenarbeit genauer festgelegt worden China-ASEAN-Erklårung zum Verhalten der wåre. Im Jahr 2003 schloss China mit den betroffenen Staaten im Konflikt ergånzt. Seit ASEAN-Staaten einen Freundschafts- und 2005 gibt es gemeinsame Forschungsprojekte Kooperationsvertrag, und im November 2004 Chinas mit Vietnam und den Philippinen zu wurde im Grundsatz die Errichtung einer den Erdælvorkommen in der Region, die in China-ASEAN-Freihandelszone (ACFTA) gemeinsamer Ausbeutung oder in der friedli- bis 2010 festgeschrieben. Dies war insofern chen Aufteilung der Vorkommen mçnden ein chinesischer Erfolg, als auch Japan und kænnten. Verschiedene Formen der Diploma- Sçdkorea stark an einem solchen Freihandels- tie, wie vor allem das ASEAN Regional abkommen interessiert waren. Die ASEAN- Forum als sicherheitspolitisches Forum, aber Staaten haben zunåchst die Bedenken gegen auch nichtoffizielle Kontakte, etwa im Rah- die chinesische Dominanz in einem solchen men der zweimal jåhrlich stattfindenden In- Bçndnis zurçckgestellt, allerdings auch den ternational Conference of Asian Political Weg fçr Freihandelsabkommen mit den ande- Parties, ermæglichten dies. Die Beziehungen ren nordostasiatischen Låndern und mit den Chinas zu Sçdostasien waren und sind von USA freigehalten. der Ungleichheit der Partner in Bezug auf Græûe sowie militårisches und wirtschaftli- Neben der Integration Chinas in regionale ches Gewicht gekennzeichnet, weshalb ver- und internationale Wirtschaftsråume spielt in trauensbildende Maûnahmen ein wichtiger Sçdostasien traditionell auch die subregionale Teil von Chinas Beziehungen zu den Nach- Integration eine groûe Rolle. Sie eræffnet die barn sind. Eine regelrechte Charmeoffensive Mæglichkeit, unter Umgehung politischer seit Ende der neunziger Jahre fçhrte zu ver- Konflikte zu pragmatischen Læsungen fçr stårkten kulturellen und politischen Kontak- grenzçberschreitende Wirtschaftskooperation ten mit der ASEAN. zu gelangen. Zunåchst war dies vor allem im Verhåltnis zu Taiwan ± in den Augen Chinas Die stårkere wirtschaftliche Verflechtung eine abtrçnnige Provinz ± und zu Hong mit Sçdostasien fçhrte auch zu einer aktive- Kong mit seinem kapitalistischen Wirt- ren Auûenwirtschaftspolitik Chinas in der schaftssystem wichtig: die beiden Hauptquel- Region. Die græûere Einbindung Chinas in len fçr Direktinvestitionen in den chinesi- die regionale Arbeitsteilung hatte einerseits schen Sonderwirtschaftszonen in den achtzi- eine græûere Interdependenz der beteiligten ger und neunziger Jahren. Volkswirtschaften zur Folge, was Chinas In- teresse an der wirtschaftlichen Stabilitåt sei- Aber auch im Verhåltnis zu Sçdostasien ner Nachbarn erhæhte. Andererseits stærten kam wegen der schon erwåhnten chinesi- dadurch bestehende Handelsschranken und schen Minderheiten und der starken chinesi- bçrokratische Hemmnisse mehr, so dass schen Repråsentanz gerade in den Grenzge- Chinas Interesse an regionalem Freihandel bieten, etwa in Burma, der subregionalen In- konstant wuchs. War die Mitgliedschaft in tegration eine besondere Rolle zu. Im Jahr der Asia Pacific Economic Cooperation 1992 wurde mit Unterstçtzung der Asian (APEC) eher ein Teil der Strategie der Ein- Development Bank der Mekong-Wirtschafts- bindung in den weltweiten Handel mit dem raum zwischen China, Myanmar, Laos, Thai- nun erreichten Ziel der WTO-Mitgliedschaft, land, Kambodscha und Vietnam begrçndet. so ist die regionale Kooperation eine deutli- Im Rahmen der Greater Mekong Subregion che Abkehr von dieser Strategie. Der APEC- konnten zwar nicht alle regionalen Konflikte Zusammenarbeit wird deutlich weniger Ge- ausgeråumt werden ± beispielsweise weigerte wicht beigemessen als der Zusammenarbeit in sich China, durch Beitritt zur Mekong River den neuen Kooperationsformen, vor allem Commission den Nachbarn am unteren Me- ¹ASEAN plus dreiª (China, Japan, Korea), kong Mitbestimmungsrechte çber seine die zum ersten Mal im November 2001 in Dammbauprojekte am Oberlauf des Flusses Brunei ein Gipfeltreffen abhielten und sich zu geben ±, aber es stellt doch ein neues seitdem jåhrlich treffen. Im Dezember 2005 Forum fçr die friedliche Zusammenarbeit im wurde auf dem Gipfeltreffen in Kuala Lum- Grenzraum dar. Dies ist gerade angesichts pur die Grçndung einer ostasiatischen Ge- der Dominanz chinesischer Håndler entlang meinschaft im Prinzip beschlossen, ohne dass der Grenze Chinas zu seinen sçdostasiati- APuZ 49/2006 11
schen Nachbarn eine wichtige zusåtzliche Chinas Rolle in der ækonomischen Form des Interessenausgleichs, der teilweise auch durch bilaterale Wirtschaftshilfen oder Integration Nordostasiens Militårhilfe wie im Falle Kambodschas funk- tioniert. Wåhrend sich schon die Zusammenarbeit der Staaten Sçdostasiens nicht einfach gestaltete, fehlten fçr die wirtschaftliche Integration Die Voraussetzungen fçr die ækonomische Nordostasiens çberhaupt alle Voraussetzun- Integration Sçdostasiens waren, verglichen gen: Japan war und ist aus historischen Grçn- mit denen in Westeuropa seit den fçnfziger den als Teil eines politischen Integrationskon- Jahren, wesentlich schlechter: Wåhrend sich zeptes nur schwer vorstellbar. Der Plan zur die westeuropåischen Integrationspartner Errichtung einer ¹Greater East Asia Co-Pro- durch relativ groûe wirtschaftliche Homoge- sperity Sphereª unter Fçhrung Japans im nitåt auszeichneten, war dies in Sçdostasien Zweiten Weltkrieg belastet zusammen mit nicht der Fall. In Westeuropa war in den fçnf- der wirtschaftlichen Stårke Japans bis heute ziger Jahren nur eine Region, nåmlich das die politischen Beziehungen zu den Staaten italienische Mezzogiorno (Sçditalien), nicht der Region. Diese historischen Altlasten wur- industrialisiert; demgegençber besteht Sçd- den durch die Besuche des ehemaligen Minis- ostasien seit den Anfången der ASEAN-Inte- terpråsidenten Junichiro Koizumi im Yakusu- gration aus Låndern mit vællig unterschiedli- ni-Schrein, die Zulassung von Geschichtsbç- chem Entwicklungsstand ± von den Handels- chern, welche die Rolle Japans vor dem zentren Singapur und Hong Kong bis hin zu Zweiten Weltkrieg relativ positiv bewerten, den groûen, kaum menschlich erschlossenen und den Streit mit Korea um die Dokdo (Ta- Gebieten Indonesiens und spåter, bei der Er- keshima)-Insel noch verschårft, so dass die weiterung um die ehemaligen indochinesi- Beziehungen Japans zu den beiden wichtigs- schen Staaten, um Gebiete, die zu den årms- ten Nachbarn in Nordostasien, China und ten Låndern weltweit gehærten. Sçdkorea, heute auf einem Tiefpunkt ange- langt sind. Ob die Wahl von Shinzo Abe zum Auch die politischen Systeme waren durch neuen Ministerpråsidenten etwas åndern groûe Heterogenitåt gekennzeichnet. Das wird, ist noch offen. Zwar hat Abe sich fçr Prinzip der Nichteinmischung in innere An- verbesserte Beziehungen zu den Nachbarn gelegenheiten, typisch fçr die ASEAN-Inte- ausgesprochen; seine Politik der Normalisie- gration, war eine Folge dieser Unterschiede. rung Japans, die unter anderem eine Ønde- Es ermæglichte spåter auch die Integration rung der pazifistischen Verfassung bringen Vietnams und die Akzeptierung Chinas soll, kænnte aber der Ausgangspunkt neuer mit ihren Einparteiensystemen. Eine weitere Kontroversen sein. Auch wenn die wirt- Folge war die besondere Bedeutung der in- schaftliche Stårke Japans noch immer ein formellen, subregionalen Integration. Verbin- wichtiger Faktor fçr die ækonomische Inte- dend waren in Sçdostasien die gemeinsame gration der Region ist, so hat doch die fçnf- Perzeption einer Bedrohung durch den Kom- zehnjåhrige Phase der Stagnation Japan als munismus sowie ± spåter ± die gemeinsamen ækonomisches Modell in Frage gestellt. Erfahrungen der wirtschaftlichen Entwick- lung, die Bedeutung japanischer Direktinves- China ist wegen des noch nicht vollzoge- titionen in den achtziger Jahren und die nen politischen Transformationsprozesses schon erwåhnten chinesischen Minderheiten. gleichermaûen als Teil eines politischen Inte- Natçrlich ist eine solche Konstellation nicht grationsprojektes mit den Demokratien Japan statisch, sondern verånderbar. Dementspre- und Sçdkorea kaum denkbar. Historisch war chend war auch die Schaffung einer sçdost- das Land Mittelpunkt des ostasiatischen Staa- asiatischen Identitåt (¹think ASEANª) eines tensystems, und diese Rolle wirkt ebenfalls li- der Ziele bei der Grçndung der ASEAN, das mitierend. Seitdem es mit dem so genannten bis heute verfolgt wird. Die Einbeziehung Nordostasienprojekt die Geschichte der um- Chinas in eine gemeinsame sçdostasiatische gebenden Region, insbesondere Nordkoreas, Identitåt, die eine Voraussetzung fçr den Er- als Teil der eigenen Geschichte (re-)interpre- folg auch wirtschaftlicher Integration dar- tiert, haben sich vor allem in Korea die Be- stellt, ist dementsprechend schwer, aber nicht fçrchtungen vor einer erneuten Dominanz unmæglich. Chinas verstårkt. Nach einer ¹honeymoonª- 12 APuZ 49/2006
Phase in den neunziger Jahren werden jetzt Westeuropas) entwickelten Integrationsmo- auch die starke Abhångigkeit von China als delle betrachtet, verlangen alle ein Mindest- Produktionsbasis und der chinesische Hunger maû an institutioneller Kooperation oder In- nach Rohstoffen und Energie in Korea skep- tegration. Beides wird durch die politische tischer betrachtet. Russland als letzter der Heterogenitåt erschwert, da institutionelle drei groûen nordostasiatischen Staaten ist Integration (etwa im Bereich des Wettbe- demgegençber an einer çber die wirtschaftli- werbsrechts) auch ein Mindestmaû an ver- che Integration hinausgehenden Kooperation gleichbaren politischen Institutionen (etwa nur sporadisch interessiert; sein Hauptinte- Rechtssicherheit) voraussetzt. resse liegt in Europa. Die russisch-chinesi- schen Beziehungen sind zwar politisch im Ungeachtet der genannten Probleme gibt Moment sehr eng, allerdings fçhrt der chine- es doch insbesondere seit der Asienkrise ver- sische Bevælkerungsdruck im Fernen Osten mehrt Initiativen zu einer engeren wirtschaft- Russlands zu Spannungen. Auch die fortdau- lichen Kooperation. Die Gipfeltreffen am ernde Teilung Koreas ist ein Hindernis fçr Rande der ¹ASEAN plus drei (China, Japan, die Integration Nordostasiens. 3 Nordkorea Korea)ª-Gipfel gehærten dazu, sie wurden al- ist zwar ein weithin isolierter Staat, behålt lerdings wegen der Kontroversen um Koizu- aber seine strategische Bedeutung fçr China mis Besuche des Yakusuni-Schreins vorerst als Bollwerk gegen die amerikanische Militår- eingefroren. Auf Ministerebene fanden in ver- pråsenz in Korea und auch als strategisches schiedenen Politikbereichen, vom IT-Bereich Faustpfand im Konflikt mit den USA um die bis hin zur Umwelt, ebenfalls Gespråche Zukunft Taiwans. Sçdkorea selber fçhlt sich statt. Ein erstes groûes Projekt zur subregio- als ¹Garnele zwischen Walenª, und misstraut nalen Integration ± die Entwicklung des beiden Nachbarn bzw. ihren Motiven fçr eine Tumen-Deltas zwischen China, Nordkorea engere Kooperation. Die Idee, als Katalysa- und Russland ± scheiterte allerdings. Demge- tor der wirtschaftlichen Integration eine Art gençber bewegte die zunehmende Angst vor ¹Zçnglein an der Waageª (balancer) in Nord- Isolierung vor allem Japan und Sçdkorea ostasien zu werden, wie Pråsident Roh Moo- dazu, mit einer Reihe von Staaten in Verhand- Hyun angeregt hat, wurde von beiden klar lungen zur Bildung von Freihandelszonen abgelehnt. Auch die starke Involvierung der einzutreten. Auch çber die Schaffung einer USA durch die enge Allianz mit Japan und japanisch-koreanischen Freihandelszone wird die ± wenn auch geschwåchte ± Allianz mit inzwischen verhandelt, allerdings stoûen die Sçdkorea erschweren eine engere politische Gespråchspartner dabei immer wieder an po- Kooperation: Von den beiden Staaten wird litische Grenzen. 5 Die Ausweitung dieser sie zwar zu Recht als unerlåsslich fçr die eige- Freihandelszone auf China wurde zwar dis- ne Sicherheit angesehen, in China aber mit kutiert, scheint aber derzeit politisch unmæg- Misstrauen betrachtet. lich zu sein. Dem Ausgleich der wirtschaftli- chen und politischen Interessen Chinas und Damit stehen der politischen Kooperation Japans kommt so eine zentrale Stellung fçr und Integration in Nordostasien viele Hin- die erfolgreiche Integration Nordostasiens, dernisse im Wege. 4 Dies hat Auswirkungen aber auch Sçdostasiens zu. China muss dabei auf die wirtschaftliche Integration. Wenn vier Probleme læsen, um seine neue Rolle aus- man die (håufig mit Bezug auf die Integration fçllen zu kænnen: Die Befçrchtungen vor einer chinesischen wirtschaftlichen Domi- nanz auszuråumen, die an die historische 3 Vgl. Bernhard Seliger, Sçdkorea und die wirtschaft- Rolle Chinas als Lehensherr umgebender Va- liche Integration Ostasiens ± wirtschaftliche und poli- sallenstaaten anknçpft, und die Neuinterpre- tische Herausforderungen, in: Patrick Kællner (Hrsg.), Korea Jahrbuch 2001, Institut fçr Asienkunde, Ham- tation der Geschichte der Reiche im frçheren burg 2001, S. 141±157. Grenzgebiet Nordostasiens, die besonders 4 Vgl. dazu ausfçhrlich ders., Economic Integration in Korea mit groûem Misstrauen erfçllt, gehæ- Northeast Asia: Preconditions and Possible Trajecto- ren zu den politischen Herausforderungen. ries, in: Global Economic Review, 31 (2002) 4, S. 17± 38, sowie zu den speziell auûenpolitischen Aspekten Ludger Kçhnhardt, Northeast Asia: Obstacles to Re- 5 Vgl. Bernhard Seliger, A Free Trade Area between gional Integration, in: TEA Study (2005) 13, Ruhr- Japan and Korea ± Economic Prospects and Cultural Universitåt Bochum, im Internet: http://www.ruhr- Problems, in: Journal of Pacific Asia, 12 (2005), S. 93± uni-bochum.de/oaw/poa/pdf/TEA%20S13.pdf. 129. APuZ 49/2006 13
Chinas Rolle als Preistreiber fçr Rohstoffe Erstens fçhrt eine Mischung groûer und kleiner Staa- und insbesondere Energie sowie seine Versu- ten in einem græûeren Integrationsgebiet zu einer Ent- che, durch Exklusivvertråge mit rohstoffrei- schårfung des Problems der mæglichen Dominanz chen Staaten seine Rohstoffbasis zu sichern eines Integrationspartners, Japans oder Chinas. Die (oft in Zusammenarbeit mit sogenannten Mæglichkeit eines chinesischen oder japanischen Son- Schurkenstaaten), zåhlen zu den wirtschaftli- derwegs, der zu Konflikten mit den Nachbarn fçhrt, chen Herausforderungen von Chinas Aufstieg wçrde dadurch erheblich verringert. Dabei hat sich in (¹Neo-Merkantilismusª). 6 Schlieûlich fçhrt Europa gezeigt, dass eine maûvolle Ûberrepråsentation das Rennen um Freihandelsvertråge in der Re- der kleineren Staaten als vertrauensbildende Maûnah- gion, um sich vor auûenpolitischer Isolation me erfolgreich sein kann. zu schçtzen, durch eine Vielzahl von Ausnah- meregelungen und Pråferenzzonen zu neuen Zweitens wçrde ein græûeres Integrationsgebiet auch Handelsschranken (¹spaghetti bowl effectª). 7 wirtschaftlich fçr alle beteiligten Staaten von Vorteil sein, da damit Verzerrungen in der Produktionsstruk- tur aufgrund von Handelspråferenzen eine kleinere Ausblick Rolle spielen. Die Schaffung eines gemeinsamen Wirt- schaftsraums kann dann auch positive Effekte fçr die Chinas Integration in die Weltwirtschaft politische Kooperation haben. 8 Allerdings scheinen sowie in die regionale Wirtschaft ist eine derzeit die politischen Hindernisse fçr eine umfassen- groûe Erfolgsgeschichte fçr das Land. Dabei de Integration noch zu hoch zu sein. Eine Alternative war China, auch bedingt durch militårische kænnte sein, zunåchst nur auf einem einzigen Feld von Schwåchen trotz der Græûe seiner Armee gemeinsamem Interesse die Integration zu beginnen, und durch innenpolitische Konflikte, stets zum Beispiel auf dem der Energiepolitik. 9 Allerdings bemçht, den friedliebenden Charakter seiner mçsste dieses Feld dann von den ungelæsten politi- wirtschaftlichen Expansion zu betonen. Diese schen Konflikten isoliert werden, weil es sonst, wie Konzentration auf Wirtschaftswachstum und jetzt etwa die nordostasiatischen Gipfeltreffen, zum -integration statt politischer Machtausçbung Spielball politischer (und håufig innenpolitisch moti- sollte durchaus auch in der Zukunft als ein vierter) Schachzçge wçrde. Motiv chinesischer Auûenwirtschaftspolitik ernst genommen werden. Dennoch haben Die Stellung Chinas im ostasiatischen Wirt- sich in den letzten Jahren vermehrt die oben schaftsraum der Zukunft bleibt eine offene diskutierten Konflikte ergeben, die Chinas Frage. Dabei spielen auch die Entwicklung Rolle als rein wirtschaftliche Macht weniger Sçdasiens, insbesondere Indiens, und die Frage glaubhaft erscheinen lassen. Insbesondere der der geographischen oder kulturellen Begren- trilaterale Wettbewerb mit Japan und den zung eines zukçnftigen Integrationsraumes USA ± um Rohstoffquellen und Energievor- (z. B. die Einbeziehung Australiens und Neu- kommen, um Freihandelsabkommen und seelands) eine wichtige Rolle. Diese Fragen las- auch um politischen Einfluss in der Region ± sen sich durch flexible institutionelle Gestal- ist dabei eine Quelle potenzieller Konflikte. tung, etwa in Form einer umfassenden Freihan- delszone und mæglicher engerer Kooperation Umfassende wirtschaftliche Integration in in anderen Gebieten ± etwa bei der Wåhrungs- Ostasien, beispielsweise im Rahmen von politik ± læsen. Die wichtigste Voraussetzung ASEAN plus drei (China, Japan, Korea), dafçr bleibt aber der politische Wille, wirt- weist einen Weg zur Entschårfung dieser schaftliche Zukunftsinteressen nicht durch his- Konflikte: torische Fragen und Prestigegehabe unnætig zu untergraben. Dies ist derzeit bei allen beteilig- ten Staaten nur bedingt gegeben. 6 Vgl. Heinrich Kreft, Neomerkantilistische Energie- Diplomatie. China auf der Suche nach neuen Ener- 8 Vgl. Bernhard Seliger, The Optimum Size of East giequellen, in: Internationale Politik, 61 (2006) 2, S. 50± Asian Economic Integration and the Role of Korea, in: 57. Korea and World Affairs, 30 (summer 2006) 2 , S. 238± 7 Vgl. Werner Pascha, Economic Integration in East 258. Asia and Europe ± A Comparison, in: Karl-Peter 9 Vgl. Peter Beck, Northeast Asia's Undercurrents of Schænfisch/Bernhard Seliger (Hrsg.), ASEAN plus Conflict, in: Asia Report, (2005) 108 (Seoul: Inter- three (China, Japan, Korea) ± towards an economic national Crisis Group). union in East Asia?, Seoul-Singapur: Hanns-Seidel- Stiftung, 2004, S. 39±60, hier S. 48. 14 APuZ 49/2006
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