Befreit die Gefangenen (von) der Migrationspolitik ! - Solidarité ...
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Carte blanche Befreit die Gefangenen (von) der Migrationspolitik ! Am 23. September 2012 drangen etwa zwan- zig Personen überraschend in das Areal des Bulletin Ausschaffungsgefängnisses Frambois ein. Sie solidarité sans frontières ketteten sich vor der Haftanstalt an und roll- ten auf dem Dach und um das Zentrum Nr. 3, Dezember 2012 Transparente aus. Rund hundert Demonst- rierende schlossen sich dieser symbolischen www.sosf.ch Besetzung an. Die Aktion war der Auftakt zum Manifest « Non aux prisons de la honte et aux renvois forcés » (Keine Gefängnisse der Schande und keine Zwangsausschaffungen). Nach den an der Urne und in den Verwal- tungen so erfolgreichen Verschärfungen wer- den immer breitere MigrantInnenkategorien immer unverfrorener ihrer juristischen, sozi- alen und materiellen Rechte beraubt. Dieser Arroganz muss etwas entgegengesetzt wer- den. Mit friedlichen Mitteln muss man sich Zugang verschaffen zu den Orten, wo inner- halb der schallgedämmten institutionellen Mauern Gewalt ausgeübt wird. « Der Kampf für die Rechte der MigrantInnen wird mehr und mehr an den Rand gedrängt.» Die Ausschaffungsgefängnisse, Flughäfen, Zwangsmassnahmen-Gerichte, Fremdenpo- Die Bilder dieser Ausgabe illustrieren die Besetzung des Ausschaffungsgefängnisses lizei-Büros, Empfangszentren, Zivilschutzan- in Frambois vom 23. September und zeigen lagen, Kasernen und Container in abgelege- zeichnenden des Manifests, wobei Vertreter Impressionen vom laufenden Referendum nen Alpentäler bilden das gut gespannte Innen der sozialen und Gesundheitsberufe gegen die Asylgesetzverschärfung. Netz der Unterdrückung. Man kann die Orte besonders stark vertreten sind. Die breite aber auch zurückerobern durch Widerstand, Abstützung ist wichtig angesichts der Kon- damit die Stimme der Solidarität erschallt sequenz, mit welcher die Politik ihre Aktivi- und diejenigen, die man zum Schweigen tät ausbaut um alle Akteure, seien sie staat- zwingt, wieder zu Wort kommen. Während lich oder nicht, gegenüber der allmächtigen der Besetzung der Zugangswege zu Frambois Fremdenpolizei zu schwächen. haben die Inhaftierten durch die Gitter hin- In Zukunft werden nur noch vom Bundes- durch ihr Leiden an den Haftbedingungen amt für Migration bestallte ÄrztInnen über und an der Trennung von ihren Familien den Gesundheitszustand von Asylbewerbe- « Lost in Seiten 2–3 bezeugt. Diese Stimmen wollen die Behörden rInnen befinden dürfen. Die Behörden nut- Schengenland » zum Verstummen bringen, denn sie zeigen zen auch, trotz Protest der FMH, die Dienste Europa von links unten (24) Menschen da, wo die Politik nur «Kriminelle» von Ärzten als Feigenblatt auf Sonderflügen. und « Renitente » sieht. Regelmässig schafft der Staat MigrantInnen Der Kampf für die Rechte der MigrantIn- gegen ärztliche Empfehlung aus, sogar aus Migrations- Seite 4 nen wird mehr und mehr an den Rand ge- staatlichen Spitälern. Darum ist es unab- partnerschaften drängt. So sind die Aktion vom 23. September dingbar, dass Personen, die mit MigrantIn- «Zuckerbrot und Peitsche» und das Manifest, bescheiden zwar, Beiträge nen in Notsituationen arbeiten, Mut / Zivil- zur Schaffung einer Bewegung aus der Zivil- courage beweisen indem sie Situationen, gesellschaft. Unter den «Besetzenden» von denen sie begegnen, anprangern, und nicht Frambois fanden sich Lehrpersonen und Hand bieten zum Verüben von Unrecht. Asylver- Seiten 5–8 Handwerker, Journalistinnen und Bauern, schärfungen : die nur zum Teil in Organisationen zur Un- Michael Rodriguez – Collectif « Non aux prisons Raus aus der Ohnmacht terstützung von MigrantInnen aktiv sind. de la honte et aux renvois forcés – Fermez Referendum und Initiative - Dossier Die gleiche Vielfalt zeigt sich bei den Unter- Frambois ! ». www.stop-dead.ch
Solidarité sans frontières 3 – 12 Die Geheimdienste mischen bei der Visumsvergabe mit Eine Gefahr für die innere Sicherheit Der Fall eines jungen Iraners wirft ein Schlaglicht auf das Schengener Konsultationsverfahren. Ein Schengen-Visum berechtigt zu einem laubt, sich bei der Visumsvergabe einzumi- wurden. Davon betroffen sind derzeit Aufenthalt von bis zu drei Monaten. Wer auf schen – und zwar auf ihre ganz eigene Weise, 29 Drittstaaten, darunter praktisch alle Staa- dem Konsulat eines Schengen-Staates ein nämlich unter dem Schlapphut der Geheim- ten des Maghreb und des Nahen Ostens (mit solches Kurz-Visum beantragt, den erwartet haltung. Die WOZ berichtete Ende August Ausnahme Israels) sowie weitere afrikani- ein Hindernislauf: Nachgewiesen werden dieses Jahres über den Fall eines jungen Ira- sche, asiatische und osteuropäische Länder. müssen die nötigen finanziellen Mittel für ners, dem die schweizerische Botschaft in Hinzu kommen drei Personengruppen : den Aufenthalt und die Rückreise, eine Kran- Teheran im Sommer 2009 ein Schengen-Vi- Flüchtlinge, Staatenlose und Palästinense- kenversicherung, Unterkunft, Gründe für sum verweigert hatte. Die Begründung – an- rInnen. Sie sind auf einer Liste verzeichnet, den Besuch und Ähnliches mehr. Definitiv die von der EU-Kommission geführt wird und kein Visum erhält, wer im Schengener Infor- die jeder Schengen-Staat nach eigenem Gut- « Welcher Schengen-Staat mationssystem (SIS) zur Einreiseverweige- dünken ergänzen lassen kann. Die Liste rung gespeichert ist. Das sind derzeit rund den Mann als Bedrohung selbst ist öffentlich. Und dann beginnt die 700 000 Personen. Klar ist : die meisten Vi- einstufte und warum, Geheimhaltung – nachzulesen in den « Wei- sumsgesuche werden abgelehnt, weil die wollten (und konnten sungen zur Visumserteilung » des BFM. Ge- Konsulate selbst oder die zuständigen Aus- angeblich) weder die heim bleiben soll nicht nur, welcher Schen- länderbehörden bei den AntragstellerInnen Botschaft noch das genstaat « im konkreten Fall Einspruch im ein « Migrationsrisiko » vermuten. Rahmen der Konsultation erhoben hat », Bundesamt für Migration Kaum bekannt war hingegen bisher das so sondern auch welcher den Drittstaat auf die genannte Konsultationsverfahren, das auch mitteilen. » Liste gesetzt hat. Die Betroffenen sollen also den Staatsschutz- und Geheimdiensten er- nicht einmal den kleinsten Hinweis darauf gekreuzt auf dem Schengen-einheitlichen erhalten, woher das Veto gegen ihre Reise Formular zur Visumsverweigerung – hatte nach Europa kommen könnte. gelautet : « Eine oder mehrere (Schengen-) Die Konsultation erfolgt über das « VISI- Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass Sie ON-Netz ». Das Konsulat, bei dem das Ge- eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die such eingereicht wird, übermittelt die Daten innere Sicherheit oder … die internationalen an die « zentrale Behörde » seines Staates, die Beziehungen eines oder mehrerer Mitglied- sie an die der interessierten anderen Schen- staaten darstellen.» Welcher Schengen-Staat genstaaten weiterleitet. Die wiederum legen den Mann als Bedrohung einstufte und wa- sie ihren Staatsschutzdiensten vor oder glei- rum, wollten (und konnten angeblich) weder chen sie mit deren Datenbanken ab. Sofern die Botschaft noch das Bundesamt für Mig- « Sicherheitsbedenken » geltend machen, darf ration mitteilen. Im März 2012 bestätigte das der Staat, bei dessen Konsulat der Antrag Bundesverwaltungsgericht sowohl die Vi- eingereicht wurde, kein Schengen-Visum sums- als auch die Auskunftsverweigerung : mehr ausstellen. Vergeben kann er allenfalls « Das Schengen-Recht sieht eine weitere Ori- noch ein humanitäres Visum, dessen Gültig- entierung der Betroffenen über die Ergebnis- keit jedoch auf sein eigenes Territorium be- se des Konsultationsverfahrens nicht vor », grenzt ist. Das geht jedoch auch nur dann, hiess es in dem Urteil. Faktisch hat der Mann wenn die betroffene Person entsprechende damit ein europaweites Einreiseverbot, ge- humanitäre Gründe geltend machen kann. gen das er sich nicht wehren kann. Ein Massengeschäft Geheim ist geheim Das Konsultationsverfahren ist mittlerweile Nach Artikel 22 des Visa-Kodex kann jeder auch Gegenstand zweier parlamentarischer Schengen-Staat verlangen, dass seiner « zen- Anfragen – von Balthasar Glättli (Grüne) im tralen Behörde » sämtliche Visumsgesuche Nationalrat und von Andrej Hunko (Die aus « spezifischen Drittländern » oder von Linke) im deutschen Bundestag. Die bereits « spezifischen Gruppen » zur Prüfung vorge- vorliegende Antwort der deutschen Bundes- legt werden, auch wenn sie bei den Konsula- regierung macht klar, dass das Konsultati- ten eines anderen Schengen-Staates gestellt onsverfahren ein Massengeschäft ist : In den 2
Europa von links unten (24) vergangenen fünf Jahren wurden die deut- schen Behörden zu über 5 Mio. Visumsgesu- chen « konsultiert », in 3 050 Fällen haben sie Flüchtlingsproteste in Deutschland Sicherheitsbedenken erhoben. Beteiligt wird das gesamte Spektrum des Staatsschutzes: von der Staatsschutzabteilung des Bundes- kriminalamts, über das Zollkriminalamt, Am 19. März 2012 begannen Flüchtlinge in ber besuchten die Flüchtlingsbeauftragte der das Bundesamt für Verfassungsschutz (In- Würzburg eine neue Ära des Protestes gegen Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), und landsgeheimdienst), der Bundesnachrichten- die unmenschlichen Lebensbedingungen und Berlins Integrationssenatorin, Dilek Kolat (SPD), dienst (Auslandsgeheimdienst) bis hin zum das miserable Asylrecht in Deutschland. In neun die Demonstranten. Der Hungerstreik wurde Militärischen Abschirmdienst. Städten in vier Bundesländern installierten sie daraufhin abgebrochen. Böhmer versprach, zusammen mit UnterstützerInnen Protestcamps dass sich die nächste Integrationsministerkon- Super-Schengenstaat Schweiz auf der Straße. Die Bewegung versteht sich als ferenz noch in diesem Jahr mit dem Thema Die Rolle der « zentralen Behörde » nimmt in « Bundesweiter Flüchtlingsstreik ». Ihre Ziele beschäftigen werde, und Kolat äußerte Ver- Deutschland derzeit das Aussenministerium sind ständnis für die Forderungen der Asylsuchen- wahr. Die Schweiz hat dagegen ein eigenes der sofortige Stopp aller Ausschaffungen den nach besseren Arbeits- und Lebensbedin- « VISION »-Büro eingerichtet, das zwar beim die Anerkennung aller Asylsuchenden als gungen. Dass die Regierungsvertreterinnen BFM angesiedelt, aber vom Rest des Amtes politische Flüchtlinge ihre Versprechungen einhalten, dürfte zu be- getrennt ist. Diese formale Trennung erlaubt die Schliessung aller Isolationslager und zweifeln sein. es dem BFM auch, seine Hände in Unschuld die Aufhebung der so genannten Residenz- zu waschen und zu behaupten, dass weder pflicht, also des Verbots, den zugewiesenen Die Flüchtlingsproteste in Deutschland zeigen die Konsulate noch das Amt selbst irgendet- Landkreis zu verlassen. eines : die Situation für Flüchtlinge in ganz was vom Ergebnis der Konsultation wüssten. Europa ist unannehmbar. Die Solidaritätskund- Vielleicht wird der Bundesrat in seiner Die kämpfenden und protestierenden Flücht- gebungen zum deutschen Flüchtlingsstreik noch ausstehenden Antwort auf Glättlis An- linge traten am 8. September von Würzburg überschritten dabei die Landesgrenzen. Dem frage erklären, wieso das BFM nichts über einen Marsch nach Berlin an. Auf dem über 600 Flüchtlingsprotest in Deutschland war im das Treiben eines ihm unterstellten Büros Kilometer weiten Weg hoben die Marschieren- Sommer dieses Jahres der Europäische Marsche wissen will. Und vielleicht wird er auch dar- den die Gesetze, gegen die sie protestieren, der Sans-Papiers und MigrantInnen vorausge- legen, warum die Schweiz sich Schengen- konkret durch zivilen Ungehorsam auf. Bewusst gangen, der die gleichen Ziele verfolgte (siehe treuer gebärdet als das Deutschland, das zu wurde während des Marsches die Residenz- Beitrag Sosf-Bulletin Nr.3). Internationale Zu- den Gründern des Schengen-Clubs gehört : pflicht öffentlich gebrochen und die Isolations- sammenarbeit findet nicht mehr nur auf be- Das deutsche Aussenministerium speist die lager für Flüchtlinge boykottiert. Weitere hördlicher Ebene und mit dem Ziel der Aus- Betroffenen zwar zunächst ebenfalls mit kämpfende Flüchtlinge schlossen sich auf dem schaffung und Ausgrenzung statt; es gibt sie dem Standardsatz auf dem Visumsverweige- Weg nach Berlin der Karawane an. Nach sechs auch – allerdings unter viel schwierigeren rungsformular ab und spekuliert darauf, Monaten öffentlichen Streiks und dem 28 Tage Bedingungen – auf der Seite der Flüchtlinge. dass sie sich nicht mehr rühren. Aber, so die währenden Protestmarsch kam die Karawane Der bundesweite Flüchtlingsstreik in Deutsch- deutsche Regierung in der Antwort auf Hun- schliesslich am 6. Oktober 2012 in Berlin an. land kann allerdings als Vorbild dienen. (Ca) kos Anfrage : « Im Rahmen eines Klagever- Seit diesem Tag besteht ein Flüchtlingscamp fahrens kann dem Antragsteller mitgeteilt vor dem Brandenburger Tor, das regelmässig Quelle : Refugee Tent Action werden, welche Behörde bzw. welcher Mit- in den Schlagzeilen der bundesweiten deutschen www.refugeetentaction.net gliedstaat Bedenken erhoben hat.» Bu Presse für Furore sorgt. Am 13. Oktober fand eine grosse Solidaritäts-Demonstration um das Camp statt. Danach traten einige der Flüchtlinge in den Hungerstreik. Am 1. Novem- 3
Solidarité sans frontières 3 – 12 Ungleiche Partnerschaften in Sachen Migration «Zuckerbrot und Peitsche» Das neue Instrument der zeigt sich aber, dass sowohl die wirtschaftli- straffällig werden, war die Schweiz gezwun- Schweizerischen Migrations chen Unterschiede wie auch die unterschied- gen zu handeln. Zur Beruhigung der Bevöl- aussenpolitik heisst lichen Interessen der jeweiligen Länder kerung und Politiker und insbesondere, da- « Migrationspartnerschaft ». schwierig in einer Partnerschaft unterzubrin- mit die abgewiesenen Asylsuchenden aus Über konkrete Inhalte und gen sind. Wünscht sich beispielsweise ein Tunesien rasch zurückgebracht werden kön- Auswirkungen gibt es aber Staat den Zugang zum schweizerischen Ar- nen, lag die Lösung auf der Hand : eine Mig- keine Informationen. beitsmarkt, so kann der nicht gewährt wer- rationspartnerschaft. Getreu nach dem Mot- den. Denn das schweizerische Ausländerge- to « Zuckerbrot und Peitsche ». Als setz verbietet einen regulären Zugang zum « Zuckerbrot » wird der reguläre Arbeits- Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige. marktzugang für junge Berufsleute sowie die Mit fünf Staaten ist die Schweiz derzeit solche Davon ausgenommen sind nur Hochqualifi- Finanzierung von Projekten und Program- Partnerschaften eingegangen : mit Bosnien zierte. Als Lösung bietet hier die Schweiz men und als « Peitsche » die Rückübernahme und Herzegowina (2009), Serbien (2009), Ko- der abgewiesenen tunesischen Asylsuchen- sovo (2010), Nigeria (2011) und die neuste den angeboten. Natürlich sind nicht nur die mit Tunesien im Juni dieses Jahres. Dieses freiwillig Rückkehrenden erfasst, sondern Instrument sei geschaffen worden, um auf neue Herausforderungen der Migration zu « Das einzige auch diejenigen, welche mit Zwangsmass- nahmen zurückgebracht werden. Inklusive reagieren. Nach offizieller Lesart geht es da- wirkliche Ziel einer Sonderflüge. rum, ein gerechtes Gleichgewicht der Inter- essen der Schweiz, ihrer Partnerländer und Migrationspartnerschaft Ein analoges Vorgehen fanden wir bereits im Falle Nigerias vor. Am 17. März 2010 ver- der MigrantInnen selbst zu suchen. ist es, die (zwangs- starb Joseph Ndukaku Chiakwa bei einem Inhalt einer Migrationspartnerschaft weise) Rückkehr Ausschaffungsversuch am Zürcher Flugha- fen. Knapp ein Jahr später unterschrieb die Der Inhalt der derzeit bestehenden Migrati- von abgewiesenen Schweiz mit Nigeria eine Migrationspartner- onspartnerschaften scheint diesen Interes- senausgleich zu bestätigen. Abkommen, wie Asylsuchenden schaft. So wurde gewährleistet, dass auch weiterhin Sonderflüge nach Nigeria durch- etwa die Rückübernahme von Personen, Er- abzusichern... » geführt werden. Selbstverständlich im Kon- leichterung von Visabestimmungen für be- text steigender Asylgesuche von nigeriani- stimmte Personengruppen und ein Kontin- schen Staatsangehörigen in der Schweiz. gent für junge Berufsleute, die jeweils im anderen Land ein Praktikum absolvieren jeweils ein Abkommen über den Austausch Transparenz ist ein Fremdwort möchten, sind der Regelfall. Als Dach der von jungen Berufsleuten an. Doch für diese Informationen seitens des Bundes bezüglich Migrationspartnerschaft wird jeweils ein Me- Abkommen erfolgt keine aktive Werbung – der Migrationspartnerschaften und deren morandum of Understanding unterzeichnet. jedenfalls nicht in der Schweiz. Oder wussten Ausgestaltung sind spärlich. So ist bis dato Der Inhalt ist aber grundsätzlich flexibel und Sie, dass Sie in Argentinien, Bulgarien, Ru- unklar, was für Projekte und Programme die soll die spezifischen Interessen der jeweiligen mänien, Ukraine und anderen Staaten, ein Schweiz im Rahmen von Migrationspartner- Partnerländer aufnehmen. Wesentliche Be- Praktikum absolvieren dürfen, sofern sie schaften finanziert. Auch gibt es keine Zah- standteile von Migrationspartnerschaften eine junge Berufsperson sind ? Vielmehr len darüber, wie viele junge Berufsleute tat- sind Projekte und Programme mit einem macht es den Anschein, dass diese Abkom- sächlich in der Schweiz ein Praktikum konkreten Bezug zur Migration. Dies kann men einen regulären Arbeitsmarktzugang absolvieren. beispielsweise in den Bereichen zur Förde- vorgaukeln. Dass dies in der Realität nicht Ingesamt ist das Instrument der Migrati- rung der freiwilligen Rückkehr und Reinteg- funktioniert, liegt auf der Hand. Die Unzu- onspartnerschaft mit Vorsicht zu geniessen. ration sein, die Stärkung von staatlichen friedenen sind dann aber nicht auf der Der öffentliche Druck, die Rückschaffung Strukturen im Herkunftsland bedeuten oder Schweizer Seite zu finden, sondern auf der abgewiesener Asylsuchender beschleunigt zu auch die Prävention der irregulären Migra- Seite des Migrationspartners. vollziehen, darf nicht darüber hinwegtäu- tion umfassen. schen, dass im Rahmen von Migrationspart- Die Hauptakteure in der Schweiz beim Ab- Steigende Asylgesuche führen zu nerschaften den Staaten Sand in die Augen schluss von Migrationspartnerschaften sind einer Migrationspartnerschaft gestreut wird. Und dieser Sand mag auf den das Bundesamt für Migration (BFM) und das Im Fall von Tunesien ist bemerkenswert, dass ersten Blick verlockend sein, aber in der Rea- Eidgenössische Departement für Auswärtige die Schweiz sehr schnell eine Migrationspart- lität stellt sich schnell die Frustration ein. Angelegenheiten (EDA). nerschaft abschloss, zumal die beiden Staa- Denn das einzige wirkliche Ziel ist es, die ten vor dem Anstieg der Asylgesuchszahlen (zwangsweise) Rückkehr von abgewiesenen Unterschiedliche Bedürfnisse nach dem Ende des alten Regimes keine en- Asylsuchenden abzusichern. und ungleiche Partner gen Beziehungen hatten. Durch die gestiege- Stefanie Kurt In einer Partnerschaft geht man von gleich- nen Asylgesuchszahlen und die mediale berechtigten Partnern aus. In der Realität Verbreitung, dass tunesische Asylsuchende 4
Referendum plus Raus aus der Ohnmacht Dossier 3 – 2012 « Die Schweiz für Flüchtlinge unattraktiver solidarité sans frontières machen » – das ist seit mittlerweile drei Jahr- zehnten die Standardfloskel der offiziellen dezember 2012 schweizerischen Asylpolitik. 1981 ist das Asylgesetz in seiner Originalfassung in Kraft REFERENDUM UND INITIATIVE getreten und seitdem folgt Revision auf Revi- sion. In seiner Herbstsession 2012 hat das Parlament die zehnte beschlossen, einmal mehr in Form von « dringlichen Massnah- men ». Im Dezember wird aller Voraussicht nach ein weiteres Paket, dieses Mal als « nor- males » Bundesgesetz, folgen. Und Simonetta Sommarugas Justiz- und Polizeidepartement hat womöglich schon für das nächste Jahr eine weitere umfassende Revision im Auge, mit der dann Bundeszentren und « beschleu- nigte » Verfahren eingeführt werden sollen. Begonnen hat die Diskussion um die aktu- elle Verschärfung schon, als die letzte noch nicht in Kraft getreten war. Im Herbst 2007 kündigte der damalige Bundesrat Christoph Blocher an, durch eine Gesetzesänderung da- für sorgen zu wollen, dass Kriegsdienstverwei- gerer und Deserteure grundsätzlich kein Asyl mehr erhalten. Blochers Nachfolgerinnen Eveline Widmer Schlumpf und Simonetta Sommaruga formulierten sein Vorhaben aus und ergänzten es um weitere Verschärfungen. Seitdem sich das Parlament mit den Vorlagen befasst, ist die asylpolitische Diskussion voll- ends zu einem Jekami der Repression ausge- artet. Dass die Eidgenössischen Räte nun Ver- folge erzielt, die oftmals andere für sich tivistInnen der Asylbewegung immer wieder schärfungen, die zum Teil seit fünf Jahren in pachteten. Und nicht zuletzt haben wir « un- einen Kater, von dem sie sich nur langsam der Diskussion sind, als « dringlich » verkau- sere Leute » auch auf der Strasse mobilisiert. erholten. Hinzu kommt, dass das Asylrecht fen, belegt deutlich, dass der Mehrheit des In wiederkehrenden Aktionen, Spontan- schon durch die vorangegangenen Revisio- Parlaments jedes Mittel recht ist, um auf Kos- kundgebungen und mit der Grossdemonst- nen zur Unkenntlichkeit entstellt ist. Sollten ten der Flüchtlinge reaktionäre und rassisti- ration am 23. Juni. wir also nun einen gesetzlichen Zustand sche Stimmung zu machen. Schwer getan haben wir uns jedoch mit der verteidigen, dessen Einführung wir 2006 mit Frage des Referendums, das in der « direkten dem letzten Referendum bekämpft hatten ? Widerstand – na klar ! Demokratie » der Schweiz die naheliegende Müsste es, statt bloss Nein zu den neusten Solidarité sans frontières hat sich von An- Antwort zu sein scheint. Über das Für und Verschärfungen zu sagen, nicht vielmehr fang an gegen diese Verschärfungen gestellt Wider eines Referendums stritten wir uns seit und hat von Beginn weg eines klar gemacht: Es gab und gibt keinen einzigen inhaltlichen der Vollversammlung im April im grösseren, davor im kleineren Rahmen. « Grund, weder die dringlichen Massnahmen, Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von guten noch die im Dezember folgende Revision gut- Gründen, die dagegen sprechen : Wir haben Dossier aus dem zuheissen. AnhängerInnen anderweitiger in den letzten Jahrzehnten regelmässig das Bulletin 3 – 2012 Interpretation sollten sich daran erinnern, Referendum ergriffen und es genauso regel- wer die Verschärfungen mit welcher Absicht mässig verloren. Trotz aller Anstrengungen Solidarité sans frontières ausgebrütet hat. Diese Erinnerung geht lei- kamen diejenigen, die sich an die Seite der Schwanengasse 9 der im Sumpf des permanenten Problemlö- Flüchtlinge stellten, nie über einen Stim- 3011 Bern sungsdrucks allzu oft verloren. Vor diesem menanteil von rund 30 Prozent hinaus. Die www.sosf.ch Hintergrund haben wir im Bulletin laufend Gegenseite – und das ist nicht nur die SVP – über den Stand der Debatte informiert. Wir konnte den Abstimmungskampf stets nut- sekretariat@sosf.ch haben mit einer breiten Koalition von asyl- zen, um ihre rassistischen Parolen mit viel Fon 031 311 07 70 bewegten Organisationen an den Vernehm- Geld herauszuposaunen. Die jeweiligen Ver- Fax 031 312 40 45 lassungen teilgenommen und versucht, in schärfungen erhielten durch das Ja des «Vol- die parlamentarische Debatte einzugreifen. kes» zusätzliche Legitimität. Die verlorenen PC 30-13574-6 Wir haben Lobbying betrieben und stille Er- Abstimmungen hinterliessen bei vielen Ak- 5
Solidarité sans frontières 3 – 12 Dossier 3 – 2012 Referendum und Initiative darum gehen, die eigenen Grundsätze und Ziele, die Grundrechte der Flüchtlinge und ImmigrantInnen, positiv zu formulieren ? Asylgesetzrevision #10: die dringlichen Massnahmen Ran an den Speck ! (Vorlage 3, vom Parlament Ende September beschlossen) An einem Koalitionstreffen im September hat Solidarité sans frontières deshalb vorge- Gegen die dringlichen Massnahmen wurde das Referendum ergriffen. Die Verschärfungen sind schlagen, eine entsprechende Initiative aus- seit dem 29. Sept. 2012 in Kraft und auf drei Jahre beschränkt, bei Annahme des Referendums zuarbeiten und zu lancieren. Dieser Vor- durch das «Volk» treten sie nach einem Jahr ausser Kraft. Die Inhalte sind: schlag war überfällig und fiel auf breite die Abschaffung des Botschaftsverfahrens Akzeptanz. Doch einer Mehrheit der Anwe- Wehrdienstverweigerung und Desertion sind neu ein Asylausschlussgrund senden war das nicht genug. Viele unserer «Renitente» Asylsuchende werden in besonderen Zentren untergebracht. Als «renitent» gilt, eigenen Mitglieder und SympathisantInnen, wer «den ordentlichen Betrieb eine Zentrums erheblich stört» (AsylG, Art. 26). regionale Gruppen, die sich immer als Teil der Freipass für den Bundesrat im Rahmen von «Testphasen». Dabei erhält der Bundesrat u.a. von Sosf verstanden, und vor allem viele jun- die Kompetenz, die Beschwerdefristen gegen materielle Entscheide von dreissig auf zehn ge Leute begeisterte die Idee der Initiative, sie Tage zu senken. forderten aber gleichzeitig das Referendum der Bund erhält ebenfalls die Kompetenz, Asylunterkünfte ohne Bewilligung der Kantone und gegen die aktuellen Verschärfungen. Für sie Gemeinden und für max. drei Jahre zu nutzen. geht es nicht in erster Linie darum, die Ab- stimmung zu gewinnen. Sie begreifen das Referendum als einen Akt des Widerstandes, den sie den Asylsuchenden schuldig sind. Zur Asylgesetzrevision Die dreiköpfige Hydra Und damit haben sie auch Recht. Neben den negativen Effekten eines Referendums bringt dasselbe auch immer positive : Es mobilisiert die Menschen, altgediente wie vor allem auch neue. Es rüttelt sie auf, es lässt sie aktiv werden. Und wenn die Niederlage manchmal Die Asylgesetzrevisionen Nummer zehn, elf haupt «jahrelange» Verfahren? Fakt ist, dass eine Katerstimmung hinterlässt, so kann sie und zwölf sind eng miteinander verflochten. hier von falschen Zahlen ausgegangen wird. genauso gut auch das Gegenteil bewirken: Und manch eine(r) verliert dabei den Über- Ein durchschnittliches Verfahren dauert Der aktuelle Generalsekretär von Sosf wäre blick. In den drei Kästen finden unsere Lese- heute nicht 1400 (wie die SVP behauptet), heute mit Sicherheit ein anderer, hätte es rInnen deshalb eine Auflistung der entspre- sondern 413 Tage (Quelle: www.factcheck. nicht das letzte Referendum gegeben. chenden Inhalte. Dass die drei Revisionen ch). Ein frappanter Unterschied. Wie drin- Solidarité sans frontières hat zwar be- darüber hinaus ineinander verzahnt sind, gend ist die Beschleunigung der Verfahren schlossen, ausnahmsweise nicht die Vorrei- macht den Umgang damit nicht einfacher. also tatsächlich? Dass zudem die meisten der terrolle bei diesem Referendum zu ergreifen. Manche behaupten, dass das Referendum beschleunigten Verfahren in negativen Ent- Diese Rolle haben die Jungen Grünen, das gegen die «dringlichen Massnahmen» die scheiden enden werden, ist ein offenes Ge- CEDRI, Stopexclusion und ungezählte Akti- Umsetzung des Rechtsschutzes der Vorlage 2 heimnis. Ein Blick nach Holland zeigt es. vistInnen von Genf bis St.Margrethen über- gefährde. Andere argumentieren, dass die Bundesrätin Sommarugas zwölfte Asylge- nommen. In einer erneuten Abstimmung hat Testphasen innerhalb der dringlichen Mass- setzrevision dürfte deshalb summa summa- Sosf jedoch entschieden, das Referendum nahmen die Grundlage für die so «dringend rum vor allem bewirken, dass mehr Leute in nach Kräften zu unterstützen. Gleichzeitig benötigten» Beschleunigungen lieferten und die Nothilfe und somit früher oder später in wollen wir dafür sorgen, dass der neu ent- deshalb so wichtig seien. Richtig oder falsch die Illegalität gedrängt werden. Dies ist im flammte Widerstand nicht nach einer mög- - Was ist dran an diesen verschiedenen Ar- Sinne der Rechtskonservativen – weshalb ih- licherweise anstrengenden Unterschriften- gumentationen? nen auch grosse Bundeszentren theoretisch sammlung zusammenbricht, so wie das in gefallen. der Vergangenheit der Fall war. Den Die Verfahrensbeschleunigung Schwung, den das Referendum immer auch Beschleunigen die Testphasen der Vorlage 3 Die Zentrumsfrage mit sich bringt, wollen wir gemeinsam mit die Verfahren? Die Antwort lautet: Nein. Die Die Etablierung von Bundeszentren analog allen, als Asyl- und Migrationsbewegung, in dringlichen Änderungen des Asylgesetzes dem Modell Holland basiere auf dem drin- das Anschlussprojekt mitnehmen. Aus die- beschleunigen gar nichts. Im Rahmen der genden Bedürfnis, die Verfahren zu be- sem Grunde setzen wir alles daran, mög- Pilotprojekte stehen vor allem die Beschwer- schleunigen. Mit dieser Begründung werden lichst rasch die von uns propagierte Initiati- defristen im Vordergrund. Gerade die Verkür- die Bundeszentren verkauft. Dies ist gefähr- ve auszuarbeiten. In den nächsten Jahren zung dieser Rechtsmittelfrist auf 10 Tage lich, weil es auf falschen Fakten beruht und kommt also eine Menge Arbeit auf uns alle bedeutet eine Verkürzung um 2/3 der ordent- die Dimension jenseits der Beschleunigung zu. Packen wir sie an! (Bu & Ca) lichen Frist und ist mit den Verfahrensgaran- ignoriert. Mittels der beiden Bestimmungen tien gemäss Art. 29 und 29a Bundesverfas- innerhalb der dringlichen Verschärfungen, sung unvereinbar. Diese Änderung, das dass Zentren für «renitente» benötigt würden heisst ein Gewinn von gerade mal maximal und die Kantone/Gemeinden zum Unterhalt 20 Tagen, wird nicht das Problem der jahre- von ordentlichen Zentren quasi genötigt wer- langen Verfahren – so die Begründung – lö- den können, wird die Grundlage für Bundes- 6 sen. Was die Frage aufdrängt: Gibt es über- zentren schleichend gelegt. Wozu führt diese
Verzahnung? Die rechtskonservativen Geg- Asylgesetzrevision #11: ner der kantonalen/kommunalen Zentren Nothilfe und Familienasyl (egal ob ordentliche oder für «renitente») re- plizieren die Atommülllager-Logik: Sie wol- (Vorlage 1, Verabschiedung voraussichtlich im Dezember) len zwar Zentren, aber sicher nicht vor der Haustür. Was sie wollen, formulieren sie in- Die Vorlage 1 umfasst alles, was bislang in den beiden Kammern beraten wurde und nicht für des deutlich: geschlossene Anstalten resp. dringlich erklärt wurde. Die Schlussabstimmung gegen diese Vorlage ist für Ende Wintersession Internierungslager. Möglichst abgelegen, 2012 zu erwarten, also am 13. Dezember. Die wichtigsten Inhalte sind: irgendwo in den Bergen der Schweizer Alpen. gesetzliche Festschreibung reduzierter Sozialhilfe für Asylsuchende im Vgl. zu SchweizerInnen Wenn man nun also aus linker Optik und als Nur noch Nothilfe für «renitente» Asylsuchende grundsätzliche GegnerIn von Zentren oder Ritzung des Familienasyls Lager FÜR die dringliche Vorlage und die Angriff auf die Rechte vorläufig aufgenommener Flüchtlinge, als da sind: Einschränkung der Zentren für «renitente» stimmt, so werden Reisefreiheit, mögliche Fristenverlängerung im Familiennachzug, Verschärfung der Härtefallre- aus den Bundeszentren von Frau Sommaru- gelung ga unweigerlich Internierungslager à la SVP. Verschärfung der Härtefallregelung für Asylsuchende Dies aus dem einfachen Grund, weil bei allen der «politische Maulkorb» Migrationsfragen in der Schweiz traditionell die faktische Abschaffung von Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen die politischen Kräfte rechts der «Mitte» Abschaffung der Nachfluchtgründe Oberwasser haben. Falls also jemand den das sogenannte Vorgespräch Bundeszentren zum politischen Durchbruch Einführung eines unentgeltlichen Rechtsschutzes verhelfen könnte, dann wären es die Rechts- weitere konservativen. Deshalb ist Apeasementpoli- tik in dieser Frage brandgefährlich: heute Zentren für «Renitente», morgen Internie- rungslager. Asylgesetzrevision #12: Der Rechtsschutz Bundeszentren und Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) be- Beschleunigung gründet ihre Ablehnung des aktuellen Refe- rendums mit einer «Trendwende im Asylbe- (Vorlage 2, demnächst in die Vernehmlassung) reich», die sie basierend auf dem angekündigten, umfangreichen Rechts- Die Vorlage 2 dreht sich um die eigentliche Beschleunigung der Verfahren und ist die Vorlage aus schutz erkennt. Solidarité sans frontières dem Hause Sommaruga. Sie geht in den nächsten Monaten in die Vernehmlassung und muss die kann diesen in der Vorlage 3 nicht finden. Er parlamentarische Debatte erst noch durchlaufen. Die wesentlichen Inhalt sind: begründet sich frühestens in der Vorlage 1, Unterbringung in Bundeszentren und beschleunigte Verfahren: Neustrukturierung des Asylbe- seine Umsetzung in der Vorlage 2 steht in den reichs durch die Schaffung von Verfahrenszentren des Bundes. Ziel ist es, 80 Prozent der Gesu- Sternen – wie schon seit Jahrzehnten. Ein kos- che in den Bundeszentren im Rahmen des «ordentlichen Verfahrens» innerhalb von lediglich 120 tenloser, ausgebauter Rechtsschutz für Asyl- Tagen abzuwickeln. Rund 20 Prozent der Gesuche sollen im «erweiterten Verfahren» behandelt suchende muss nicht nur finanziert werden. werden, das maximal ein Jahr dauern soll. In der maximalen Dauer beider Verfahren ist auch die Völlig unklar ist derzeit auch, wie dieser Beschwerdedauer enthalten. Schutz aussehen soll und ob er tatsächlich Ausgebauter Rechtsschutz: Den Asylsuchenden soll während des gesamten erstinstanzlichen unabhängig vom EJPD sein wird. Eine Aus- Asyl- und des Beschwerdeverfahrens ein umfassender und kostenloser Rechtsschutz gewährt gestaltung im Sinne der Asylsuchenden wird werden. nur schwer durchzusetzen sein. Auch hier «Rückkehrhilfe»: Nach einer Ablehnung des Asylgesuchs sollen die Betroffenen in den Bundes- gilt: Das politische Oberwasser liegt rechts zentren intensiv auf eine freiwillige Rückkehr vorbereitet werden. Nach Ablauf der Ausreisefrist, der Mitte. Millionen für den Rechtsschutz und wenn die Betroffenen bezüglich ihrer Rückkehr nicht mit den Behörden kooperieren, sollen auszugeben wird dort schwer durchzusetzen diese Personen von den Bundeszentren ausgeschlossen werden und keine Sozialhilfe mehr sein – nur unter schwersten Zugeständnissen. erhalten. Weshalb sich die Frage stellt: Was nützt ein Beschwerdeentscheide: Das EJPD soll mit dem Bundesverwaltungsgericht Vereinbarungen über ausgeklügelter Rechtsschutz auf Basis eines die «Priorisierung und die administrativen Abläufe» treffen können. Praktisch heisst das, dass zerfledderten Asylrechts? das Gericht sich an die Agenda des BFM anpassen soll. In seiner Stellungnahme und gegenüber Die dreiköpfige Hydra ist ein Untier aus der den Medien hat es dieses Ansinnen kategorisch abgelehnt. griechischen Mythologie. Schlägt man ihr einen Kopf ab, so wachsen drei andere nach. Besiegen kann man die Hydra nur, wenn man ihren Körper vernichtet. Ähnlich ver- hält es sich mit den drei Asylgesetzrevisio- nen: Möchte man etwas für die Betroffenen erreichen, so muss man die Revisionen als Körper betrachten und ihn als solchen be- kämpfen. Ansonsten hat man keine Chance. (Ca) 7
Solidarité sans frontières 3 – 12 Dossier 3 – 2012 Referendum und Initiative Raus aus der Ohnmacht Eine Initiative zur Stärkung der Grundrechte Die Lancierung einer Volksinitiative zur Stärkung der Grundrechte in der Schweiz drängt sich auf. Sosf nimmt das Projekt in Angriff. Das Referendum gegen die vom Parlament am 28. September 2012 angenommene und sofort in Kraft getretene Asylgesetz-Revision (AsylG) wurde nicht ohne Zögern und Debatten ergriffen. Verschie- dene Kollektive und Vereine, darunter auch Sosf, haben ihr Unbeha- gen zum Ausdruck gebracht in diesem Kampf, wo mit gezinkten Karten gespielt wird. Es geht nicht darum, die Änderungen, welche das AsylG seines Sinns entleeren, kleinzureden, ganz im Gegenteil: Ein Asylgesetz, das seinen Namen verdient, müsste Regeln aufstellen, die einen staatlichen Schutz vor Verfolgung und Elend gewährleisten, und nicht darauf abzielen, die Möglichkeiten, Asyl zu erhalten, mög- lichst zu verringern. Die Vorstandsmitglieder von Sosf stehen ein- stimmig und ohne Wenn und Aber hinter diesem Kampf, sowohl politisch wie auch vor Ort, wo MigrantInnen bereits die Konsequen- zen des Gesetzes erleiden. Trotzdem sind es nicht in erster Linie die letzten Verschärfungen, die es zu bekämpfen gilt, als viel mehr das ganze Gesetz. Das Asylgesetz wurde seit seinem Inkrafttreten 1981 immer weiter verschärft und bietet heute nur noch einer Minderheit von Exilierten Schutz, einer Mehrheit dagegen nichts als Not. Mit dem Referendum gehen wir «nur» gegen die letzten Verschär- fungen vor (oder genauer : gegen die ersten einer neuen Reihe von Verschärfungen, die man uns für die nächsten Monate in Ausicht stellt). Es ist notwendig, weiter zu gehen. schen. Die EinwohnerInnen diese Landes müssen garantierte Grund- Der Widerstand muss in erster Linie vor Ort stattfinden, wo Frauen, rechte haben, die die Bundesverfassung bis anhin nur ungenügend Männer und Kinder täglich mit den Folgen eines Gesetzes konfron- schützt. tiert sind, das unterdrückt und sie ihrer Menschlichkeit beraubt. Da- Mit dem Nachdenken über die legislativen Möglichkeiten will Sosf bei waren diese Menschen gekommen, um ein besseres Leben zu auch die sinnlosen Debatten überwinden, in die einzugreifen wir uns suchen, oder sie sind sogar zufällig hier (denken wir zum Beispiel an regelmässig angehalten fühlen. Wir verweigern uns einer Opposition die Kinder !). zwischen «SchweizerInnen» und «AusländerInnen», zwischen «Lega- Wir müssen präsenter werden, unsere Solidarität konkret unter len» und «Sans-papiers». Es ist Zeit, die Regeln des Diskurses zu än- Beweis stellen, je länger je mehr auch mit zivilem Ungehorsam. Die dern und administrative Kategorien über Bord zu werfen, die die Besetzung des Zugangs zum Zentrum von Frambois (Genf) z.B. (sie- Menschheit künstlich einteilen. Wir beginnen mit der Reflexion dar- he Carte Blanche), hat konkret gezeigt, dass wir Staatsgewalt ableh- über, wie die grundlegende Gleichheit so konkret wie möglich in die nen, die Menschen für das, was sie sind und nicht für das, was sie Verfassung aufgenommen werden könnte. Dieser Kampf betrifft alle, tun, einsperrt. Wir konnten uns mit Menschen solidarisieren, die nicht nur die AusländerInnen: Studierende, Pensionierte, Arbeitslose, meistens einsam und vergessen sind. Solche Aktionen müssen fort- Arbeitnehmende, Frauen, Männer, wir alle haben ein Interesse an geführt und ausgebaut werden. Aber anprangern reicht nicht! Wir, einer Stärkung der Grundrechte. Denn was man heute einer Bevölke- die wir in diesem Land (legal oder nicht) wohnen, müssen definieren, rungskategorie wegnimmt, kann man schon morgen leicht einer an- in welcher Welt wir leben wollen. Wir können uns dazu der politi- deren entziehen. schen Instrumente bedienen, ohne dabei zu vergessen, dass eine Die Ausarbeitung der Initiative ist am Laufen. Im Rahmen der Ko- Demokratie, die einem grossen Teil der Bevölkerung das Mitsprache- alitionstreffen, welche zum Referendumsbeschluss führten, wurde recht verweigert, Fragen aufwirft. eine solche Initiative stark begrüsst. Sie ist Teil eines ganzheitlichen Sosf arbeitet ab sofort an einer möglichen Volksinitiative zur Be- Plans, den Sosf verfolgt. Wir werden laufend über den Stand der Din- kräftigung und Stärkung der grundlegenden Gleichheit aller Men- ge informieren. Pauline Milani, Sosf 8
KURZ UND KLEIN werden. Das BFM jedoch ortet genau solchen rungszentren aufgebaut. Für 2012 ist laut und hat sich mit dem Schnellverfahren etwas der deutschen Bundesregierung ein « Auf- Schnellverfahren für Balkan- ausgedacht, was die ohnehin schon prekäre wuchs auf insgesamt 18 EU-Mitgliedstaa- Flüchtlinge Situation der Roma verschlimmert. In den ten » vorgesehen. Die BRD will ihr NCC im Kein Taschengeld ersten drei Wochen seit seiner Einführung wurden 159 dieser Schnellverfahren durchge- Präsidium der Bundespolizei (früher : Bun- desgrenzschutz) ansiedeln. Für die hochge- für Roma führt und 432 Personen reisten « freiwillig » rüstete Migrationsabwehr kooperiert die EU Seit dem 20. August entscheidet das Bundes- in ihr Herkunftsland zurück. Das BFM feiert auch mit Drittstaaten wie Mauretanien, amt für Migration (BFM) Asylgesuche aus Senegal, Kap Verde, Gambia, Guinea Bissau verfolgungssicheren europäischen Saaten, und Marokko. deren Staatsangehörige ohne Visum in die « Es ist hinlänglich Bis 2020 sollen für die Einrichtung, Auf- Schweiz einreisen können, innerhalb von bekannt, dass in den rüstung und Wartung der nationalen Koor- 48 Stunden. Im Rahmen dieses 48-Stunden- dinierungszentren und des Lagezentrums Verfahrens wurde weiter verfügt, dass die meisten osteuropäischen von Frontex nach vorsichtigen Schätzungen Betroffenen kein Reisegeld mehr erhalten und Staaten eine immer der EU-Kommission mindestens 338,7 Mil- dass gegen sie eine Einreisesperre verhängt lionen aufgewendet werden. Wenn sich der werden darf. Um es auszuformulieren: Das ausgeprägtere und EU-Rat für umfangreichere Optionen ent- Verfahren wurde für die Balkanstaaten ein- offene rassistische Hetze scheidet, könnten sich die Ausgaben sogar geführt. Und noch konkreter geht es dabei verdoppeln. In der Schätzung fehlen Kosten, um die Roma. Im Dunstkreis dieses Verfah- gegen Roma stattfindet.. » die die EU im Vorfeld in Forschungsprojekte rens gerieten Ende September das Asylzent- steckte – etwa für die Entwicklung automa- rum Eigenthal im Kt. Luzern und mit ihm das diese Ergebnisse als « Erfolg ». Doch Roma tisierter, unbemannter maritimer « Überwa- BFM in dine Schlagzeilen, als über die « Neue « reisen nicht aus », wie das BFM sich das vor- chungsplattformen », unbemannter Landro- Luzerner Zeitung » (NLZ) bekannt wurde, stellt. Sie zirkulieren im Niemandsland und boter oder für die Einbindung von Drohnen. dass den dort ansässigen Roma das ihnen landen auf der Strasse. Dort betteln sie – und Ebenfalls nicht im Kostenplan von EURO- zustehende Taschengeld verweigert wurde. dagegen wird immer heftiger vorgegangen SUR enthalten sind jene Projekte, die inner- Gaby Szöllösy, Chefin Information und Kom- (Bern, Genf, Zürich). Es ist ein zynischer und halb der GMES-Satellitenaufklärung finan- munikation des BFM, liess im Artikel verlau- kaltherziger « Erfolg » in einer kalten Zeit. (Ca) ziert werden. Matthias Monroy ten, dies sei « eine Massnahme, um die Roma zu einer möglichst raschen Ausreise zu bewe- Mit HighTec gegen Flüchtlinge Erneuerter Visumszwang und gen ». Solidarité sans frontières (Sosf) und die EU-Grenzüber Schnellverfahren Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) frag- ten daraufhin beim BFM schriftlich nach : wachungssystem Europa: Gemeinsam Wird hier eine Selektion anhand einer Zuge- Mit ihrem «Europäischen Grenzüberwa- gegen Roma hörigkeit zu einer ethnischen Gruppe vorge- chungssystem » EUROSUR will die EU ab Mit dem 48-Stunden-Verfahren und der nommen ? Die Antwort des BFM resp. von 2014 unerlaubte Grenzübertritte an Land Taschengeld-Verweigerung für Roma aus Frau Szöllösy, die drei Wochen auf sich war- und auf See erfassen. Eingebunden werden dem ehemaligen Jugoslawien nimmt die ten liess, verkündete, dass das BFM selbstver- darin satellitengestützte Positionsdaten, Schweiz erneut eine repressive Vorbildfunk- ständlich keine Massnahmen im Asylbereich etwa aus Schiffsortungssystemen und Fische- tion für Europa ein. Am 25. und 26. Oktober gegen spezifische ethnische Gruppen ergrei- reiüberwachungszentren, aber auch Daten 2012 tagten in Brüssel die Innen- und Jus- fe. Vielmehr richte sich diese Massnahme aus der Satellitenaufklärung, die im Rah- tizminister der EU sowie der « Gemischte gegen alle Angehörigen der betreffenden men des EU-Projekts « Global Monitoring of Ausschuss », an dem auch die nicht der EU Staaten. Das Antwortschreiben konstatiert Environment and Security » (GMES) gewon- angehörenden Schengen-Staaten (Norwe- indes auch, dass die Mehrheit der betroffenen nen werden. Hinzu kommen Radarstationen gen, Island, Schweiz, Liechtenstein) beteiligt Asylsuchenden Roma seien und Gaby Szöllö- sowie die Aufklärung aus der Luft mit Flug- sind. Auf der Tagesordnung standen unter sy betont explizit, dass sie die Journalistin der zeugen und Drohnen. Auch nachrichten- anderem die Folgen der Visumsbefreiung NLZ angemahnt habe, « nicht von Roma, dienstliche Erkenntnisse sollen beim Aufspü- für die Staaten des Westlichen Balkan. « Die sondern von Staatsangehörigen visumsbe- ren von Flüchtlingen helfen. Delegationen drückten ihre Besorgnis über freiter Länder » zu sprechen. Sosf findet : EUROSUR wird als « neues politisches In- die erhebliche Zunahme der meist unbe- « same shit, different name ». Es ist hinläng- strument » beworben : Die Grenzüberwa- gründeten Asylgesuche von Staatsangehö- lich bekannt, dass gerade Roma in den kalten chungsbehörden aller Mitgliedstaaten wer- rigen mehrerer Länder der Region aus und Monaten häufiger ein Asylgesuch in Westeu- den untereinander vernetzt und können unterstrichen die Notwendigkeit von Mass- ropa stellen. Es ist ebenfalls hinlänglich be- operative Informationen austauschen. Im nahmen zur Behebung der Situation », kannt, dass in den meisten osteuropäischen Mittelpunkt steht als Zentrale die EU-Grenz- heisst es in der Pressedokumentation. Die Staaten eine immer ausgeprägtere und offene schutzagentur Frontex in Warschau. Zu- MinisterInnen wollen nun, dass das EU- rassistische Hetze gegen Roma stattfindet. nächst startet EUROSUR an den Aussen- Parlament möglichst schnell den Änderun- Dies erklärt auch den markanten Anstieg von grenzen von sieben südlichen und östlichen gen des Visa-Regime der Union zustimmt, Asylgesuchen aus dem Balkan in den Mona- Mitgliedstaaten, die hierfür « Nationale die die Kommission bereits im Mai 2011 ten vor August 2012 (dem eigentlichen Grund Koordinierungszentren » (NCC) eingerichtet vorgelegt hatte. Einführen will man eine für das Schnellverfahren). Die Überlebens- haben. Seit November 2011 ist Frontex im « Schutzklausel », die die temporäre Wieder- strategie der Roma, im Schweizer Asylwesen « Pilotbetrieb » mit Frankreich, Italien und einführung des Visumszwangs ermöglichen vor dieser Hetze Schutz zu suchen, ist ver- Spanien sowie Finnland, Polen und der Slo- soll. Dies soll der Rat der Innenminister auf ständlich. Dass dabei auch ein warmes Bett wakei vernetzt. Auch Bulgarien, Estland, Vorschlag der Kommission jeweils beschlies- abfällt, darf nicht als Missbrauch ausgelegt Rumänien und Slowenien haben Koordinie- sen können, wenn ein « plötzlicher Anstieg » 9 »
Solidarité sans frontières 3 – 12 KURZ UND KLEIN » einigung ECOPOP mit über 120 000 beglau- bigten Unterschriften eingereicht. Damit Kann man ECOPOP die eigene Vergangen- heit vorwerfen ? Beschränkt. Dafür aber die kommt eine Vorlage vor das Volk, die die Gegenwart: die Beilage der Initiative in der der Asylgesuche oder der Zahl der sich ille- unsägliche Verquickung von Umwelt- und Zeitschrift « Schweizerzeit » von alt National- gal aufhältlichen Personen aus dem betref- Ausländerthematik macht. Kernanliegen der rat Ulrich Schlür fand dieses Jahr statt. Und fenden Staat verzeichnet wird. Initiative ist es, die jährliche Zuwanderung die Teilnahme von Hans Popp an der Presse- Bereits im Vorfeld der Ratstagung hatte der auf 0,2 Prozent der Bevölkerung zu beschrän- konferenz zur Initiativeeinreichung ebenso. deutsche Bundesinnemminister Hans-Peter ken. Umweltorganisationen wie nationale Eben jener Hans Popp pflichtete 2006 in ei- Friedrich « schärfere Regeln für Asylbewerber Parteien (ausser die Schweizer Demokraten) nem Leserbrief in der Weltwoche der im glei- aus Serbien und Mazedonien » gefordert. Die haben der Initiative bislang ihre Unterstüt- chen Jahr verstorbenen italienischen Star- beiden Staaten sollen nun zu « sicheren Her- zung versagt. Lokale Sektionen – sowohl der journalistin Oriana Fallaci bei, indem er vor kunftsstaaten » erklärt werden, die Flüchtlin- SVP als auch der Grünen – hätten sich aber «der muslimischen Invasion [Europas], mit ge will Friedrich mit «abgesenkten Barleis- an der Unterschriftensammlung beteiligt, ‹ Kindern und Booten statt mit Truppen und tung » abspeisen. Die Asylgesuche aus hiess es beim Initiativkomitee. Kanonen › wie früher » warnte. Eine illustre Serbien und Mazedonien, die zu 90 Prozent ECOPOP distanziert sich stets ausdrück- Gesellschaft also, die ECOPOP umgibt. Soli- von Roma und Ashkali gestellt werden, seien lich von fremdenfeindlichen und rassisti- darité sans frontières empfiehlt mit Nach- missbräuchlich und ein «Ausnutzen unseres schen Ansichten. Der schillernde Ursprung druck eine glasklare Ablehnung der Initiati- Systems». Die Verfahren sollten möglichst der Vereinigung, der immer wieder mit der- ve an der Urne. (Ca) schnell abgewickelt werden. Ein 48-Stunden- Verfahren wie in der Schweiz sei wegen der jenigen der «Nationalen Aktion» verwoben ist, lässt allerdings stark an der Ernsthaftig- » gesetzlichen Rekursfristen allerdings nicht keit dieser Distanzierung zweifeln. Ein Arti- möglich, beklagte der Minister. kel in der WOZ vom 14. April 2011 zeigt auf: impressum Erst kürzlich liess die Bundesregierung das Gegründet wurde ECOPOP 1971 als Schwei- offizielle Mahnmal für die während der Na- zerische Arbeitsgemeinschaft für Bevölke- Bulletin ziherrschaft ermordeten Sinti und Roma ein- rungsfragen (SAfB). Das war wenige Monate Solidarité sans frontières weihen. Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Ablehnung der Schwarzenbach- hatte dabei beteuert, es sei « eine deutsche Initiative. Kräftig bei der Ausarbeitung der erscheint viermal jährlich und europäische Aufgabe », sich für die Statuten mitgeholfen hat damals Valentin Auflage dieser Ausgabe: Rechte von Sinti und Roma einzusetzen, « wo Oehen, jahrelang Präsident der Nationalen 3100 deutsch / 650 französisch auch immer, innerhalb welcher Staatsgren- Aktion (NA) und bis 1979 auch SAfB-Vize- Beglaubigte Auflage WEMF: zen auch immer sie leben ». Noch Fragen ? präsident. In einer Mitgliederliste von 1973, 2875 deutsch / 568 französisch (Bu) die der WOZ vorliegt, finden sich auch weite- Gestaltung und Satz: Simone Kaspar de Pont re bekannte Rechtsaussen, so der NA-Natio- Druck und Versand: Spescha Luzzi, Ilanz Die schillernde Gefahr nalrat Walter Jaeger, in den dreissiger Jahre Redaktion: Heiner Busch (Bu), Moreno Casaso- ECOPOP-Initiative Frontist. Oder der Arzt Jean-Jacques Hegg, später NA-Nationalrat, ebenso Max Wahl, la (Ca), Gisela Grimm Übersetzungen: Olivier von Allmen eingereicht EDU-Mitbegründer, heute Holocaustleugner. Lektorat: Sosf Fotos: www.stop-dead.ch | Referendumskomi- Anfang November wurde die Initiative Mit dabei auch «Ruedi Keller stud.», der spä- tee Asylgesetz «Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung tere langjährige SD-Zentralpräsident. der natürlichen Lebensgrundlagen» der Ver- (Quelle: WOZ). Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 25. Januar 2013 ANZEIGE Wir behalten uns vor, LeserInnenbriefe zu kürzen Mitgliederbeitrag 2012 inkl. Abo: 70.– Verdienende / Fr. 100.– Paare / Fr. 30.– Nichtverdienende / 120.– Organisationen Abo: Einzelpersonen 30.– / Organisationen 50.– Satz Herausgeberin: Solidarité sans frontières, Schwanengasse 9 Gestaltung Druck 3011 Bern (Zusammenschluss AKS/BODS) Fon 031 311 07 70 Fax 031 312 40 45 sekretariat@sosf.ch www.sosf.ch PC-Konto 30-13574-6 städtlistrasse 18 • 7130 glion/ilanz tel. 081 925 20 44 • fax 081 925 30 63 www.spegru.ch • info@spegru.ch 10
Kurz und klein Kiosk » Fragen an eine globalisierte Welt Militärische Böcke als medizinische Fluchten, Fallen, Frontex Migration und Ethik Gärtner An Europas Grenze Sind Staaten moralisch dazu berechtigt, die Medizinische Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lam- Zuwanderung auf ihr Territorium nach eige- « Betreuung » von pedusa erzählen junge Tunesier von ihrer Flucht übers Mittelmeer und dokumentieren nem Ermessen zu beschränken? Ist das Recht auf Ausschluss ein legitimer Bestandteil der Ausschaffungen mit einer Einwegkamera die skandalösen nationalen Selbstbestimmung? Oder sollten Die OSEARA GmBH mit Sitz in Stans be- Zustände im Asyllager. Am Europäischen Staaten vielmehr einen moralischen An- zweckt laut Handelsregister nicht nur « die Gerichtshof für Menschenrechte in Strass- spruch auf globale Bewegungsfreiheit aner- Erbringung von Consulting- und Manage- burg gewinnen Flüchtlinge aus Eritrea und kennen? Über diese Fragen ist in den letzten mentdienstleistungen im medizinischen, Somalia einen wegweisenden Prozess. Die Jahren insbesondere im englischen Sprach- technischen und wirtschaftlichen Bereich », Menschenrechte sind künftig auch auf hoher raum eine philosophische Debatte in Gang sondern « überdies die Organisation der me- See einzuhalten. In Griechenland schildern gekommen. Der Band «Migration und Ethik» dizinischen Versorgung für verschiedene Opfer die Übergriffe der faschistischen Schlä- macht deren zentrale Positionen einem Anlässe und Ereignisse.» Bei diesen « Anläs- gergang « Goldene Morgendämmerung ». An deutschsprachigen Publikum zugänglich sen» handelt es sich aber keineswegs um der Grenze zur Türkei hat der Bau eines und führt die Diskussion kontrovers fort. « Käferfeste », sondern insbesondere um 11,5 Kilometer langen Zauns begonnen. Im Thematisiert wird dabei nicht nur, ob Staa- Zwangsausschaffungen. Seit dem Tod des Hauptsitz der europäischen Grenzschutz- ten Einwanderungswillige abweisen dürfen, Nigerianers Joseph Ndukaku Chiakwa im agentur « Frontex » in Warschau entwirft der sondern auch, ob niedergelassene Einwande- März 2010 bei einer Ausschaffung lässt das Exekutivdirektor die künftige Strategie: Die rer einen Anspruch auf die vollen Bürger- BFM seine Spezialflüge regelmässig von ei- Auslagerung der Migrationspolitik in Dritt- rechte haben und wozu wir gegenüber Wirt- nem Arzt und einem Sanitäter begleiten. staaten. Lampedusa, Strassburg, Griechen- schaf tsf lüchtlingen und irregulären Diese Arbeit will das Amt nun «outsourcen». land, Warschau. Kaspar Surber reiste an die MigrantInnen verpflichtet sind. Das Buch Laut « Tagesanzeiger » konnten sich bis Sep- Schauplätze, an denen die europäische Mig- thematisiert so wesentliche Stränge der mig- tember Firmen für diesen Auftrag bewerben. rationspolitik verhandelt wird. Im letzten rationsethischen Debatte und liefert eine Seit April und noch bis Ende des Jahres läuft Jahr hat diese Politik mehr als 2000 Todes- fundierte Auseinandersetzung mit Fragen, jedoch bereits ein « Pilotversuch », an dem als opfer gefordert. Entstanden ist eine Samm- die in einer globalisierten Welt stetig an Be- einzige private Partnerin die OSEARA GmbH lung von Recherchen und Stimmen : Zu Wort deutung gewinnen. Mit Beiträgen von Joseph teilnimmt. kommen Flüchtlinge, Polizisten, Politikerin- H. Carens, Andreas Cassee, Robin Celikates, Die Firma wurde im Februar 2012 offen- nen, Anwälte, Aktivistinnen, Fischer, Francis Cheneval, Anna Goppel, Carsten sichtlich im Hinblick auf den zu erwartenden Grenzwächter und auch einige Schweizer. Köllmann, Bernd Ladwig, Urs Marti, David Auftrag des Bundes gegründet. InhaberIn- Ein Buch aus der Gegenwart, dem arabi- Miller, Martino Mona, Johan Rochel, Peter nen sind Kathrin Esther Sieber, Adrian Busin- schen Frühling und der Wirtschaftskrise. Schaber, Stephan Schlothfeldt, Michael Wal- ger und Daniel Herschkowitz. Businger soll Ein Buch, das in der Migrationsdebatte den zer und Simone Zurbuchen. laut TA bereits vor Beginn des Pilotprojekts Horizont öffnet. Mit einem Ausblick von An- die Ausschaffungen betreut haben. Hersch- dreas Cassee und Bildern von Georg Gatsas Anna Goppel und Andreas Cassee (Hg.): kowitz war bis vor einem Jahr Berater der sowie Enrico Dagnino. Migration und Ethik. Münster (D): militärischen Sicherheit und ist Präsident der Mentis-Verlag, 2012, 308 S., Euro 29.80 « schweizwerischen Vereinigung für takti- Kaspar Surber: An Europas Grenze. sche Medizin », die eine « Plattform für aktive Fluchten, Fallen, Frontex. und ehemalige Angehörige von polizeilichen Zürich: Echtzeit Verlag, September 2012, und militärischen Sonderformationen sowie 176 S., CHF 29.00 taktisch geschulten Angehörigen des Ge- sundheitswesen » schaffen und eine « An- laufstelle für alle medizinischen Belange polizeilicher und militärischer Spezialeinhei- ten in der Schweiz » sein will. Noch im Juni ist der Oberstleutnant mit markigen Sprüchen hervorgetreten. An ei- nem Hearing der SP und des Vereins Ethik in der Medizin sagte er laut TA, «die Probanden des medizinischen Tests, mit dem eine Level- IV-Situation simuliert wird, seien ja auch nicht gestorben.» Mittlerweile schweigen so- wohl das BFM selbst als auch Herschkowitz. (Bu) 11
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