Befreit die Gefangenen (von) der Migrationspolitik ! - Solidarité ...

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Carte blanche

Befreit die
Gefangenen (von) der
Migrationspolitik !
Am 23. September 2012 drangen etwa zwan-
zig Personen überraschend in das Areal des                                                            Bulletin
Ausschaffungsgefängnisses Frambois ein. Sie                                                           solidarité sans frontières
ketteten sich vor der Haftanstalt an und roll-
ten auf dem Dach und um das Zentrum                                                                   Nr. 3, Dezember 2012
Transparente aus. Rund hundert Demonst-
rierende schlossen sich dieser symbolischen                                                           www.sosf.ch
Besetzung an. Die Aktion war der Auftakt
zum Manifest « Non aux prisons de la honte
et aux renvois forcés » (Keine Gefängnisse der
Schande und keine Zwangsausschaffungen).
   Nach den an der Urne und in den Verwal-
tungen so erfolgreichen Verschärfungen wer-
den immer breitere MigrantInnenkategorien
immer unverfrorener ihrer juristischen, sozi-
alen und materiellen Rechte beraubt. Dieser
Arroganz muss etwas entgegengesetzt wer-
den. Mit friedlichen Mitteln muss man sich
Zugang verschaffen zu den Orten, wo inner-
halb der schallgedämmten institutionellen
Mauern Gewalt ausgeübt wird.

« Der Kampf für die
Rechte der MigrantInnen
wird mehr und mehr
an den Rand gedrängt.»

   Die Ausschaffungsgefängnisse, Flughäfen,
Zwangsmassnahmen-Gerichte, Fremdenpo-                                                                  Die Bilder dieser Ausgabe illustrieren die
                                                                                                       Besetzung des Ausschaffungsgefängnisses
lizei-Büros, Empfangszentren, Zivilschutzan-
                                                                                                       in Frambois vom 23. September und zeigen
lagen, Kasernen und Container in abgelege-          zeichnenden des Manifests, wobei Vertreter­        Impressionen vom laufenden Referendum
nen Alpentäler bilden das gut gespannte             Innen der sozialen und Gesundheitsberufe           gegen die Asylgesetzverschärfung.
Netz der Unterdrückung. Man kann die Orte           besonders stark vertreten sind. Die breite
aber auch zurückerobern durch Widerstand,           Abstützung ist wichtig angesichts der Kon-
damit die Stimme der Solidarität erschallt          sequenz, mit welcher die Politik ihre Aktivi-
und diejenigen, die man zum Schweigen               tät ausbaut um alle Akteure, seien sie staat-
zwingt, wieder zu Wort kommen. Während              lich oder nicht, gegenüber der allmächtigen
der Besetzung der Zugangswege zu Frambois           Fremdenpolizei zu schwächen.
haben die Inhaftierten durch die Gitter hin-           In Zukunft werden nur noch vom Bundes-
durch ihr Leiden an den Haftbedingungen             amt für Migration bestallte ÄrztInnen über
und an der Trennung von ihren Familien              den Gesundheitszustand von Asylbewerbe-
                                                                                                       « Lost in 	Seiten 2–3
bezeugt. Diese Stimmen wollen die Behörden          rInnen befinden dürfen. Die Behörden nut-          Schengenland »
zum Verstummen bringen, denn sie zeigen             zen auch, trotz Protest der FMH, die Dienste       Europa von links unten (24)
Menschen da, wo die Politik nur «Kriminelle»        von Ärzten als Feigenblatt auf Sonderflügen.
und « Renitente » sieht.                            Regelmässig schafft der Staat MigrantInnen
   Der Kampf für die Rechte der MigrantIn-          gegen ärztliche Empfehlung aus, sogar aus          Migrations-	Seite 4
nen wird mehr und mehr an den Rand ge-              staatlichen Spitälern. Darum ist es unab-
                                                                                                       partnerschaften
drängt. So sind die Aktion vom 23. September        dingbar, dass Personen, die mit MigrantIn-
                                                                                                       «Zuckerbrot und Peitsche»
und das Manifest, bescheiden zwar, Beiträge         nen in Notsituationen arbeiten, Mut / Zivil-
zur Schaffung einer Bewegung aus der Zivil-         courage beweisen indem sie Situationen,
gesellschaft. Unter den «Besetzenden» von           denen sie begegnen, anprangern, und nicht
Frambois fanden sich Lehrpersonen und               Hand bieten zum Verüben von Unrecht.              Asylver-	Seiten 5–8
Handwerker, Journalistinnen und Bauern,                                                                schärfungen :
die nur zum Teil in Organisationen zur Un-          Michael Rodriguez – Collectif « Non aux prisons    Raus aus der Ohnmacht
terstützung von MigrantInnen aktiv sind.                de la honte et aux renvois forcés – Fermez
                                                                                                       Referendum und Initiative - Dossier
   Die gleiche Vielfalt zeigt sich bei den Unter-                  Frambois ! ». www.stop-dead.ch
Solidarité sans frontières 3 – 12

    Die Geheimdienste mischen bei der Visumsvergabe mit

    Eine Gefahr für die
    innere Sicherheit
    Der Fall eines jungen Iraners wirft ein Schlaglicht auf das
    Schengener Konsultationsverfahren.

    Ein Schengen-Visum berechtigt zu einem         laubt, sich bei der Visumsvergabe einzumi-      wurden. Davon betroffen sind derzeit
    Aufenthalt von bis zu drei Monaten. Wer auf    schen – und zwar auf ihre ganz eigene Weise,    29 Drittstaaten, darunter praktisch alle Staa-
    dem Konsulat eines Schengen-Staates ein        nämlich unter dem Schlapphut der Geheim-        ten des Maghreb und des Nahen Ostens (mit
    solches Kurz-Visum beantragt, den erwartet     haltung. Die WOZ berichtete Ende August         Ausnahme Israels) sowie weitere afrikani-
    ein Hindernislauf: Nachgewiesen werden         dieses Jahres über den Fall eines jungen Ira-   sche, asiatische und osteuropäische Länder.
    müssen die nötigen finanziellen Mittel für     ners, dem die schweizerische Botschaft in       Hinzu kommen drei Personengruppen :
    den Aufenthalt und die Rückreise, eine Kran-   Teheran im Sommer 2009 ein Schengen-Vi-         Flüchtlinge, Staatenlose und Palästinense-
    kenversicherung, Unterkunft, Gründe für        sum verweigert hatte. Die Begründung – an-      rInnen. Sie sind auf einer Liste verzeichnet,
    den Besuch und Ähnliches mehr. Definitiv                                                       die von der EU-Kommission geführt wird und
    kein Visum erhält, wer im Schengener Infor-                                                    die jeder Schengen-Staat nach eigenem Gut-
                                                   « Welcher Schengen-Staat
    mationssystem (SIS) zur Einreiseverweige-                                                      dünken ergänzen lassen kann. Die Liste
    rung gespeichert ist. Das sind derzeit rund
                                                   den Mann als Bedrohung                          selbst ist öffentlich. Und dann beginnt die
    700 000 Personen. Klar ist : die meisten Vi-   einstufte und warum,                            Geheimhaltung – nachzulesen in den « Wei-
    sumsgesuche werden abgelehnt, weil die         wollten (und konnten                            sungen zur Visumserteilung » des BFM. Ge-
    Konsulate selbst oder die zuständigen Aus-     angeblich) weder die                            heim bleiben soll nicht nur, welcher Schen-
    länderbehörden bei den AntragstellerInnen      Botschaft noch das                              genstaat « im konkreten Fall Einspruch im
    ein « Migrationsrisiko » vermuten.                                                             Rahmen der Konsultation erhoben hat »,
                                                   Bundesamt für Migration
      Kaum bekannt war hingegen bisher das so                                                      sondern auch welcher den Drittstaat auf die
    genannte Konsultationsverfahren, das auch
                                                   mitteilen. »                                    Liste gesetzt hat. Die Betroffenen sollen also
    den Staatsschutz- und Geheimdiensten er-                                                       nicht einmal den kleinsten Hinweis darauf
                                                   gekreuzt auf dem Schengen-einheitlichen         erhalten, woher das Veto gegen ihre Reise
                                                   Formular zur Visumsverweigerung – hatte         nach Europa kommen könnte.
                                                   gelautet : « Eine oder mehrere (Schengen-)         Die Konsultation erfolgt über das « VISI-
                                                   Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass Sie   ON-Netz ». Das Konsulat, bei dem das Ge-
                                                   eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die    such eingereicht wird, übermittelt die Daten
                                                   innere Sicherheit oder … die internationalen    an die « zentrale Behörde » seines Staates, die
                                                   Beziehungen eines oder mehrerer Mitglied-       sie an die der interessierten anderen Schen-
                                                   staaten darstellen.» Welcher Schengen-Staat     genstaaten weiterleitet. Die wiederum legen
                                                   den Mann als Bedrohung einstufte und wa-        sie ihren Staatsschutzdiensten vor oder glei-
                                                   rum, wollten (und konnten angeblich) weder      chen sie mit deren Datenbanken ab. Sofern
                                                   die Botschaft noch das Bundesamt für Mig-       « Sicherheitsbedenken » geltend machen, darf
                                                   ration mitteilen. Im März 2012 bestätigte das   der Staat, bei dessen Konsulat der Antrag
                                                   Bundesverwaltungsgericht sowohl die Vi-         eingereicht wurde, kein Schengen-Visum
                                                   sums- als auch die Auskunftsverweigerung :      mehr ausstellen. Vergeben kann er allenfalls
                                                   « Das Schengen-Recht sieht eine weitere Ori-    noch ein humanitäres Visum, dessen Gültig-
                                                   entierung der Betroffenen über die Ergebnis-    keit jedoch auf sein eigenes Territorium be-
                                                   se des Konsultationsverfahrens nicht vor »,     grenzt ist. Das geht jedoch auch nur dann,
                                                   hiess es in dem Urteil. Faktisch hat der Mann   wenn die betroffene Person entsprechende
                                                   damit ein europaweites Einreiseverbot, ge-      humanitäre Gründe geltend machen kann.
                                                   gen das er sich nicht wehren kann.
                                                                                                   Ein Massengeschäft
                                                   Geheim ist geheim                               Das Konsultationsverfahren ist mittlerweile
                                                   Nach Artikel 22 des Visa-Kodex kann jeder       auch Gegenstand zweier parlamentarischer
                                                   Schengen-Staat verlangen, dass seiner « zen-    Anfragen – von Balthasar Glättli (Grüne) im
                                                   tralen Behörde » sämtliche Visumsgesuche        Nationalrat und von Andrej Hunko (Die
                                                   aus « spezifischen Drittländern » oder von      Linke) im deutschen Bundestag. Die bereits
                                                   « spezifischen Gruppen » zur Prüfung vorge-     vorliegende Antwort der deutschen Bundes-
                                                   legt werden, auch wenn sie bei den Konsula-     regierung macht klar, dass das Konsultati-
                                                   ten eines anderen Schengen-Staates gestellt     onsverfahren ein Massengeschäft ist : In den
2
Europa von links unten (24)
vergangenen fünf Jahren wurden die deut-
schen Behörden zu über 5 Mio. Visumsgesu-
chen « konsultiert », in 3 050 Fällen haben sie    Flüchtlingsproteste
                                                   in Deutschland
Sicherheitsbedenken erhoben. Beteiligt wird
das gesamte Spektrum des Staatsschutzes:
von der Staatsschutzabteilung des Bundes-
kriminalamts, über das Zollkriminalamt,
                                                   Am 19. März 2012 begannen Flüchtlinge in           ber besuchten die Flüchtlingsbeauftragte der
das Bundesamt für Verfassungsschutz (In-
                                                   Würzburg eine neue Ära des Protestes gegen         Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), und
landsgeheimdienst), der Bundesnachrichten-
                                                   die unmenschlichen Lebensbedingungen und           Berlins Integrationssenatorin, Dilek Kolat (SPD),
dienst (Auslandsgeheimdienst) bis hin zum
                                                   das miserable Asylrecht in Deutschland. In neun    die Demonstranten. Der Hungerstreik wurde
Militärischen Abschirmdienst.
                                                   Städten in vier Bundesländern installierten sie    daraufhin abgebrochen. Böhmer versprach,
                                                   zusammen mit UnterstützerInnen Protestcamps        dass sich die nächste Integrationsministerkon-
Super-Schengenstaat Schweiz
                                                   auf der Straße. Die Bewegung versteht sich als     ferenz noch in diesem Jahr mit dem Thema
Die Rolle der « zentralen Behörde » nimmt in
                                                   « Bundesweiter Flüchtlingsstreik ». Ihre Ziele     beschäftigen werde, und Kolat äußerte Ver-
Deutschland derzeit das Aussenministerium
                                                   sind                                               ständnis für die Forderungen der Asylsuchen-
wahr. Die Schweiz hat dagegen ein eigenes
                                                    der sofortige Stopp aller Ausschaffungen         den nach besseren Arbeits- und Lebensbedin-
« VISION »-Büro eingerichtet, das zwar beim
                                                    die Anerkennung aller Asylsuchenden als          gungen. Dass die Regierungsvertreterinnen
BFM angesiedelt, aber vom Rest des Amtes
                                                      politische Flüchtlinge                          ihre Versprechungen einhalten, dürfte zu be-
getrennt ist. Diese formale Trennung erlaubt
                                                    die Schliessung aller Isolationslager und        zweifeln sein.
es dem BFM auch, seine Hände in Unschuld
                                                    die Aufhebung der so genannten Residenz-
zu waschen und zu behaupten, dass weder
                                                      pflicht, also des Verbots, den zugewiesenen     Die Flüchtlingsproteste in Deutschland zeigen
die Konsulate noch das Amt selbst irgendet-
                                                      Landkreis zu verlassen.                         eines : die Situation für Flüchtlinge in ganz
was vom Ergebnis der Konsultation wüssten.
                                                                                                      Europa ist unannehmbar. Die Solidaritätskund-
   Vielleicht wird der Bundesrat in seiner
                                                   Die kämpfenden und protestierenden Flücht-         gebungen zum deutschen Flüchtlingsstreik
noch ausstehenden Antwort auf Glättlis An-
                                                   linge traten am 8. September von Würzburg          überschritten dabei die Landesgrenzen. Dem
frage erklären, wieso das BFM nichts über
                                                   einen Marsch nach Berlin an. Auf dem über 600      Flüchtlingsprotest in Deutschland war im
das Treiben eines ihm unterstellten Büros
                                                   Kilometer weiten Weg hoben die Marschieren-        Sommer dieses Jahres der Europäische Marsche
wissen will. Und vielleicht wird er auch dar-
                                                   den die Gesetze, gegen die sie protestieren,       der Sans-Papiers und MigrantInnen vorausge-
legen, warum die Schweiz sich Schengen-
                                                   konkret durch zivilen Ungehorsam auf. Bewusst      gangen, der die gleichen Ziele verfolgte (siehe
treuer gebärdet als das Deutschland, das zu
                                                   wurde während des Marsches die Residenz-           Beitrag Sosf-Bulletin Nr.3). Internationale Zu-
den Gründern des Schengen-Clubs gehört :
                                                   pflicht öffentlich gebrochen und die Isolations-   sammenarbeit findet nicht mehr nur auf be-
Das deutsche Aussenministerium speist die
                                                   lager für Flüchtlinge boykottiert. Weitere         hördlicher Ebene und mit dem Ziel der Aus-
Betroffenen zwar zunächst ebenfalls mit
                                                   kämpfende Flüchtlinge schlossen sich auf dem       schaffung und Ausgrenzung statt; es gibt sie
dem Standardsatz auf dem Visumsverweige-
                                                   Weg nach Berlin der Karawane an. Nach sechs        auch – allerdings unter viel schwierigeren
rungsformular ab und spekuliert darauf,
                                                   Monaten öffentlichen Streiks und dem 28 Tage       Bedingungen – auf der Seite der Flüchtlinge.
dass sie sich nicht mehr rühren. Aber, so die
                                                   währenden Protestmarsch kam die Karawane           Der bundesweite Flüchtlingsstreik in Deutsch-
deutsche Regierung in der Antwort auf Hun-
                                                   schliesslich am 6. Oktober 2012 in Berlin an.      land kann allerdings als Vorbild dienen. (Ca)
kos Anfrage : « Im Rahmen eines Klagever-
                                                   Seit diesem Tag besteht ein Flüchtlingscamp
fahrens kann dem Antragsteller mitgeteilt
                                                   vor dem Brandenburger Tor, das regelmässig         Quelle : Refugee Tent Action
werden, welche Behörde bzw. welcher Mit-
                                                   in den Schlagzeilen der bundesweiten deutschen     www.refugeetentaction.net
gliedstaat Bedenken erhoben hat.»       Bu
                                                   Presse für Furore sorgt. Am 13. Oktober fand
                                                   eine grosse Solidaritäts-Demonstration um
                                                   das Camp statt. Danach traten einige der
                                                   Flüchtlinge in den Hungerstreik. Am 1. Novem-

                                                                                                                                                          3
Solidarité sans frontières 3 – 12

    Ungleiche Partnerschaften in Sachen Migration

    «Zuckerbrot und Peitsche»
    Das neue Instrument der                           zeigt sich aber, dass sowohl die wirtschaftli-   straffällig werden, war die Schweiz gezwun-
    Schweizerischen Migrations­                       chen Unterschiede wie auch die unterschied-      gen zu handeln. Zur Beruhigung der Bevöl-
    aussenpolitik heisst                              lichen Interessen der jeweiligen Länder          kerung und Politiker und insbesondere, da-
    « Migrationspartnerschaft ».                      schwierig in einer Partnerschaft unterzubrin-    mit die abgewiesenen Asylsuchenden aus
    Über konkrete Inhalte und                         gen sind. Wünscht sich beispielsweise ein        Tunesien rasch zurückgebracht werden kön-
    Auswirkungen gibt es aber                         Staat den Zugang zum schweizerischen Ar-         nen, lag die Lösung auf der Hand : eine Mig-
    keine Informationen.                              beitsmarkt, so kann der nicht gewährt wer-       rationspartnerschaft. Getreu nach dem Mot-
                                                      den. Denn das schweizerische Ausländerge-        to « Zuckerbrot und Peitsche ». Als
                                                      setz verbietet einen regulären Zugang zum        « Zuckerbrot » wird der reguläre Arbeits-
                                                      Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige.          marktzugang für junge Berufsleute sowie die
    Mit fünf Staaten ist die Schweiz derzeit solche   Davon ausgenommen sind nur Hochqualifi-          Finanzierung von Projekten und Program-
    Partnerschaften eingegangen : mit Bosnien         zierte. Als Lösung bietet hier die Schweiz       men und als « Peitsche » die Rückübernahme
    und Herzegowina (2009), Serbien (2009), Ko-                                                        der abgewiesenen tunesischen Asylsuchen-
    sovo (2010), Nigeria (2011) und die neuste                                                         den angeboten. Natürlich sind nicht nur die
    mit Tunesien im Juni dieses Jahres. Dieses                                                         freiwillig Rückkehrenden erfasst, sondern
    Instrument sei geschaffen worden, um auf
    neue Herausforderungen der Migration zu
                                                      « Das einzige                                    auch diejenigen, welche mit Zwangsmass-
                                                                                                       nahmen zurückgebracht werden. Inklusive
    reagieren. Nach offizieller Lesart geht es da-    wirkliche Ziel einer                             Sonderflüge.
    rum, ein gerechtes Gleichgewicht der Inter-
    essen der Schweiz, ihrer Partnerländer und
                                                      Migrationspartnerschaft                             Ein analoges Vorgehen fanden wir bereits
                                                                                                       im Falle Nigerias vor. Am 17. März 2010 ver-
    der MigrantInnen selbst zu suchen.                ist es, die (zwangs-                             starb Joseph Ndukaku Chiakwa bei einem

    Inhalt einer Migrationspartnerschaft
                                                      weise) Rückkehr                                  Ausschaffungsversuch am Zürcher Flugha-
                                                                                                       fen. Knapp ein Jahr später unterschrieb die
    Der Inhalt der derzeit bestehenden Migrati-       von abgewiesenen                                 Schweiz mit Nigeria eine Migrationspartner-
    onspartnerschaften scheint diesen Interes-
    senausgleich zu bestätigen. Abkommen, wie
                                                      Asylsuchenden                                    schaft. So wurde gewährleistet, dass auch
                                                                                                       weiterhin Sonderflüge nach Nigeria durch-
    etwa die Rückübernahme von Personen, Er-          abzusichern... »                                 geführt werden. Selbstverständlich im Kon-
    leichterung von Visabestimmungen für be-                                                           text steigender Asylgesuche von nigeriani-
    stimmte Personengruppen und ein Kontin-                                                            schen Staatsangehörigen in der Schweiz.
    gent für junge Berufsleute, die jeweils im
    anderen Land ein Praktikum absolvieren            jeweils ein Abkommen über den Austausch          Transparenz ist ein Fremdwort
    möchten, sind der Regelfall. Als Dach der         von jungen Berufsleuten an. Doch für diese       Informationen seitens des Bundes bezüglich
    Migrationspartnerschaft wird jeweils ein Me-      Abkommen erfolgt keine aktive Werbung –          der Migrationspartnerschaften und deren
    morandum of Understanding unterzeichnet.          jedenfalls nicht in der Schweiz. Oder wussten    Ausgestaltung sind spärlich. So ist bis dato
    Der Inhalt ist aber grundsätzlich flexibel und    Sie, dass Sie in Argentinien, Bulgarien, Ru-     unklar, was für Projekte und Programme die
    soll die spezifischen Interessen der jeweiligen   mänien, Ukraine und anderen Staaten, ein         Schweiz im Rahmen von Migrationspartner-
    Partnerländer aufnehmen. Wesentliche Be-          Praktikum absolvieren dürfen, sofern sie         schaften finanziert. Auch gibt es keine Zah-
    standteile von Migrationspartnerschaften          eine junge Berufsperson sind ? Vielmehr          len darüber, wie viele junge Berufsleute tat-
    sind Projekte und Programme mit einem             macht es den Anschein, dass diese Abkom-         sächlich in der Schweiz ein Praktikum
    konkreten Bezug zur Migration. Dies kann          men einen regulären Arbeitsmarktzugang           absolvieren.
    beispielsweise in den Bereichen zur Förde-        vorgaukeln. Dass dies in der Realität nicht         Ingesamt ist das Instrument der Migrati-
    rung der freiwilligen Rückkehr und Reinteg-       funktioniert, liegt auf der Hand. Die Unzu-      onspartnerschaft mit Vorsicht zu geniessen.
    ration sein, die Stärkung von staatlichen         friedenen sind dann aber nicht auf der           Der öffentliche Druck, die Rückschaffung
    Strukturen im Herkunftsland bedeuten oder         Schweizer Seite zu finden, sondern auf der       abgewiesener Asylsuchender beschleunigt zu
    auch die Prävention der irregulären Migra-        Seite des Migrationspartners.                    vollziehen, darf nicht darüber hinwegtäu-
    tion umfassen.                                                                                     schen, dass im Rahmen von Migrationspart-
       Die Hauptakteure in der Schweiz beim Ab-       Steigende Asylgesuche führen zu                  nerschaften den Staaten Sand in die Augen
    schluss von Migrationspartnerschaften sind        einer Migrationspartnerschaft                    gestreut wird. Und dieser Sand mag auf den
    das Bundesamt für Migration (BFM) und das         Im Fall von Tunesien ist bemerkenswert, dass     ersten Blick verlockend sein, aber in der Rea-
    Eidgenössische Departement für Auswärtige         die Schweiz sehr schnell eine Migrationspart-    lität stellt sich schnell die Frustration ein.
    Angelegenheiten (EDA).                            nerschaft abschloss, zumal die beiden Staa-      Denn das einzige wirkliche Ziel ist es, die
                                                      ten vor dem Anstieg der Asylgesuchszahlen        (zwangsweise) Rückkehr von abgewiesenen
    Unterschiedliche Bedürfnisse                      nach dem Ende des alten Regimes keine en-        Asylsuchenden abzusichern. 
    und ungleiche Partner                             gen Beziehungen hatten. Durch die gestiege-                                         Stefanie Kurt
    In einer Partnerschaft geht man von gleich-       nen Asylgesuchszahlen und die mediale
    berechtigten Partnern aus. In der Realität        Verbreitung, dass tunesische Asylsuchende

4
Referendum plus

Raus aus der
Ohnmacht
                                                                                                    Dossier 3 – 2012
« Die Schweiz für Flüchtlinge unattraktiver                                                         solidarité sans frontières
machen » – das ist seit mittlerweile drei Jahr-
zehnten die Standardfloskel der offiziellen                                                         dezember 2012
schweizerischen Asylpolitik. 1981 ist das
Asylgesetz in seiner Originalfassung in Kraft                                                       REFERENDUM UND INITIATIVE
getreten und seitdem folgt Revision auf Revi-
sion. In seiner Herbstsession 2012 hat das
Parlament die zehnte beschlossen, einmal
mehr in Form von « dringlichen Massnah-
men ». Im Dezember wird aller Voraussicht
nach ein weiteres Paket, dieses Mal als « nor-
males » Bundesgesetz, folgen. Und Simonetta
Sommarugas Justiz- und Polizeidepartement
hat womöglich schon für das nächste Jahr
eine weitere umfassende Revision im Auge,
mit der dann Bundeszentren und « beschleu-
nigte » Verfahren eingeführt werden sollen.
   Begonnen hat die Diskussion um die aktu-
elle Verschärfung schon, als die letzte noch
nicht in Kraft getreten war. Im Herbst 2007
kündigte der damalige Bundesrat Christoph
Blocher an, durch eine Gesetzesänderung da-
für sorgen zu wollen, dass Kriegsdienstverwei-
gerer und Deserteure grundsätzlich kein Asyl
mehr erhalten. Blochers Nachfolgerinnen
Eveline Widmer Schlumpf und Simonetta
Sommaruga formulierten sein Vorhaben aus
und ergänzten es um weitere Verschärfungen.
Seitdem sich das Parlament mit den Vorlagen
befasst, ist die asylpolitische Diskussion voll-
ends zu einem Jekami der Repression ausge-
artet. Dass die Eidgenössischen Räte nun Ver-      folge erzielt, die oftmals andere für sich       tivistInnen der Asylbewegung immer wieder
schärfungen, die zum Teil seit fünf Jahren in      pachteten. Und nicht zuletzt haben wir « un-     einen Kater, von dem sie sich nur langsam
der Diskussion sind, als « dringlich » verkau-     sere Leute » auch auf der Strasse mobilisiert.   erholten. Hinzu kommt, dass das Asylrecht
fen, belegt deutlich, dass der Mehrheit des        In wiederkehrenden Aktionen, Spontan-            schon durch die vorangegangenen Revisio-
Parlaments jedes Mittel recht ist, um auf Kos-     kundgebungen und mit der Grossdemonst-           nen zur Unkenntlichkeit entstellt ist. Sollten
ten der Flüchtlinge reaktionäre und rassisti-      ration am 23. Juni.                              wir also nun einen gesetzlichen Zustand
sche Stimmung zu machen.                             Schwer getan haben wir uns jedoch mit der      verteidigen, dessen Einführung wir 2006 mit
                                                   Frage des Referendums, das in der « direkten     dem letzten Referendum bekämpft hatten ?
Widerstand – na klar !                             Demokratie » der Schweiz die naheliegende        Müsste es, statt bloss Nein zu den neusten
Solidarité sans frontières hat sich von An-        Antwort zu sein scheint. Über das Für und        Verschärfungen zu sagen, nicht vielmehr
fang an gegen diese Verschärfungen gestellt        Wider eines Referendums stritten wir uns seit
und hat von Beginn weg eines klar gemacht:
Es gab und gibt keinen einzigen inhaltlichen
                                                   der Vollversammlung im April im grösseren,
                                                   davor im kleineren Rahmen.
                                                                                                                                               «
Grund, weder die dringlichen Massnahmen,             Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von guten
noch die im Dezember folgende Revision gut-        Gründen, die dagegen sprechen : Wir haben         Dossier aus dem
zuheissen. AnhängerInnen anderweitiger             in den letzten Jahrzehnten regelmässig das        Bulletin 3 – 2012
Interpretation sollten sich daran erinnern,        Referendum ergriffen und es genauso regel-
wer die Verschärfungen mit welcher Absicht         mässig verloren. Trotz aller Anstrengungen        Solidarité sans frontières
ausgebrütet hat. Diese Erinnerung geht lei-        kamen diejenigen, die sich an die Seite der       Schwanengasse 9
der im Sumpf des permanenten Problemlö-            Flüchtlinge stellten, nie über einen Stim-        3011 Bern
sungsdrucks allzu oft verloren. Vor diesem         menanteil von rund 30 Prozent hinaus. Die         www.sosf.ch
Hintergrund haben wir im Bulletin laufend          Gegenseite – und das ist nicht nur die SVP –
über den Stand der Debatte informiert. Wir         konnte den Abstimmungskampf stets nut-            sekretariat@sosf.ch
haben mit einer breiten Koalition von asyl-        zen, um ihre rassistischen Parolen mit viel       Fon 031 311 07 70
bewegten Organisationen an den Vernehm-            Geld herauszuposaunen. Die jeweiligen Ver-        Fax 031 312 40 45
lassungen teilgenommen und versucht, in            schärfungen erhielten durch das Ja des «Vol-
die parlamentarische Debatte einzugreifen.         kes» zusätzliche Legitimität. Die verlorenen      PC 30-13574-6
Wir haben Lobbying betrieben und stille Er-        Abstimmungen hinterliessen bei vielen Ak-                                                         5
Solidarité sans frontières 3 – 12
    Dossier 3 – 2012
    Referendum und Initiative

    darum gehen, die eigenen Grundsätze und
    Ziele, die Grundrechte der Flüchtlinge und
    ImmigrantInnen, positiv zu formulieren ?              Asylgesetzrevision #10:
                                                          die dringlichen Massnahmen
    Ran an den Speck !
                                                          (Vorlage 3, vom Parlament Ende September beschlossen)
    An einem Koalitionstreffen im September
    hat Solidarité sans frontières deshalb vorge-         Gegen die dringlichen Massnahmen wurde das Referendum ergriffen. Die Verschärfungen sind
    schlagen, eine entsprechende Initiative aus-          seit dem 29. Sept. 2012 in Kraft und auf drei Jahre beschränkt, bei Annahme des Referendums
    zuarbeiten und zu lancieren. Dieser Vor-              durch das «Volk» treten sie nach einem Jahr ausser Kraft. Die Inhalte sind:
    schlag war überfällig und fiel auf breite              die Abschaffung des Botschaftsverfahrens
    Akzeptanz. Doch einer Mehrheit der Anwe-               Wehrdienstverweigerung und Desertion sind neu ein Asylausschlussgrund
    senden war das nicht genug. Viele unserer              «Renitente» Asylsuchende werden in besonderen Zentren untergebracht. Als «renitent» gilt,
    eigenen Mitglieder und SympathisantInnen,                wer «den ordentlichen Betrieb eine Zentrums erheblich stört» (AsylG, Art. 26).
    regionale Gruppen, die sich immer als Teil             der Freipass für den Bundesrat im Rahmen von «Testphasen». Dabei erhält der Bundesrat u.a.
    von Sosf verstanden, und vor allem viele jun-            die Kompetenz, die Beschwerdefristen gegen materielle Entscheide von dreissig auf zehn
    ge Leute begeisterte die Idee der Initiative, sie        Tage zu senken.
    forderten aber gleichzeitig das Referendum             der Bund erhält ebenfalls die Kompetenz, Asylunterkünfte ohne Bewilligung der Kantone und
    gegen die aktuellen Verschärfungen. Für sie              Gemeinden und für max. drei Jahre zu nutzen.
    geht es nicht in erster Linie darum, die Ab-
    stimmung zu gewinnen. Sie begreifen das
    Referendum als einen Akt des Widerstandes,
    den sie den Asylsuchenden schuldig sind.            Zur Asylgesetzrevision

                                                        Die dreiköpfige Hydra
    Und damit haben sie auch Recht. Neben den
    negativen Effekten eines Referendums bringt
    dasselbe auch immer positive : Es mobilisiert
    die Menschen, altgediente wie vor allem
    auch neue. Es rüttelt sie auf, es lässt sie aktiv
    werden. Und wenn die Niederlage manchmal
                                                        Die Asylgesetzrevisionen Nummer zehn, elf        haupt «jahrelange» Verfahren? Fakt ist, dass
    eine Katerstimmung hinterlässt, so kann sie
                                                        und zwölf sind eng miteinander verflochten.      hier von falschen Zahlen ausgegangen wird.
    genauso gut auch das Gegenteil bewirken:
                                                        Und manch eine(r) verliert dabei den Über-       Ein durchschnittliches Verfahren dauert
    Der aktuelle Generalsekretär von Sosf wäre
                                                        blick. In den drei Kästen finden unsere Lese-    heute nicht 1400 (wie die SVP behauptet),
    heute mit Sicherheit ein anderer, hätte es
                                                        rInnen deshalb eine Auflistung der entspre-      sondern 413 Tage (Quelle: www.factcheck.
    nicht das letzte Referendum gegeben.
                                                        chenden Inhalte. Dass die drei Revisionen        ch). Ein frappanter Unterschied. Wie drin-
       Solidarité sans frontières hat zwar be-
                                                        darüber hinaus ineinander verzahnt sind,         gend ist die Beschleunigung der Verfahren
    schlossen, ausnahmsweise nicht die Vorrei-
                                                        macht den Umgang damit nicht einfacher.          also tatsächlich? Dass zudem die meisten der
    terrolle bei diesem Referendum zu ergreifen.
                                                        Manche behaupten, dass das Referendum            beschleunigten Verfahren in negativen Ent-
    Diese Rolle haben die Jungen Grünen, das
                                                        gegen die «dringlichen Massnahmen» die           scheiden enden werden, ist ein offenes Ge-
    CEDRI, Stopexclusion und ungezählte Akti-
                                                        Umsetzung des Rechtsschutzes der Vorlage 2       heimnis. Ein Blick nach Holland zeigt es.
    vistInnen von Genf bis St.Margrethen über-
                                                        gefährde. Andere argumentieren, dass die         Bundesrätin Sommarugas zwölfte Asylge-
    nommen. In einer erneuten Abstimmung hat
                                                        Testphasen innerhalb der dringlichen Mass-       setzrevision dürfte deshalb summa summa-
    Sosf jedoch entschieden, das Referendum
                                                        nahmen die Grundlage für die so «dringend        rum vor allem bewirken, dass mehr Leute in
    nach Kräften zu unterstützen. Gleichzeitig
                                                        benötigten» Beschleunigungen lieferten und       die Nothilfe und somit früher oder später in
    wollen wir dafür sorgen, dass der neu ent-
                                                        deshalb so wichtig seien. Richtig oder falsch    die Illegalität gedrängt werden. Dies ist im
    flammte Widerstand nicht nach einer mög-
                                                        - Was ist dran an diesen verschiedenen Ar-       Sinne der Rechtskonservativen – weshalb ih-
    licherweise anstrengenden Unterschriften-
                                                        gumentationen?                                   nen auch grosse Bundeszentren theoretisch
    sammlung zusammenbricht, so wie das in
                                                                                                         gefallen.
    der Vergangenheit der Fall war. Den
                                                        Die Verfahrensbeschleunigung
    Schwung, den das Referendum immer auch
                                                        Beschleunigen die Testphasen der Vorlage 3       Die Zentrumsfrage
    mit sich bringt, wollen wir gemeinsam mit
                                                        die Verfahren? Die Antwort lautet: Nein. Die     Die Etablierung von Bundeszentren analog
    allen, als Asyl- und Migrationsbewegung, in
                                                        dringlichen Änderungen des Asylgesetzes          dem Modell Holland basiere auf dem drin-
    das Anschlussprojekt mitnehmen. Aus die-
                                                        beschleunigen gar nichts. Im Rahmen der          genden Bedürfnis, die Verfahren zu be-
    sem Grunde setzen wir alles daran, mög-
                                                        Pilotprojekte stehen vor allem die Beschwer-     schleunigen. Mit dieser Begründung werden
    lichst rasch die von uns propagierte Initiati-
                                                        defristen im Vordergrund. Gerade die Verkür-     die Bundeszentren verkauft. Dies ist gefähr-
    ve auszuarbeiten. In den nächsten Jahren
                                                        zung dieser Rechtsmittelfrist auf 10 Tage        lich, weil es auf falschen Fakten beruht und
    kommt also eine Menge Arbeit auf uns alle
                                                        bedeutet eine Verkürzung um 2/3 der ordent-      die Dimension jenseits der Beschleunigung
    zu. Packen wir sie an!               (Bu & Ca)
                                                        lichen Frist und ist mit den Verfahrensgaran-    ignoriert. Mittels der beiden Bestimmungen
                                                        tien gemäss Art. 29 und 29a Bundesverfas-        innerhalb der dringlichen Verschärfungen,
                                                        sung unvereinbar. Diese Änderung, das            dass Zentren für «renitente» benötigt würden
                                                        heisst ein Gewinn von gerade mal maximal         und die Kantone/Gemeinden zum Unterhalt
                                                        20 Tagen, wird nicht das Problem der jahre-      von ordentlichen Zentren quasi genötigt wer-
                                                        langen Verfahren – so die Begründung – lö-       den können, wird die Grundlage für Bundes-
6                                                       sen. Was die Frage aufdrängt: Gibt es über-      zentren schleichend gelegt. Wozu führt diese
Verzahnung? Die rechtskonservativen Geg-
Asylgesetzrevision #11:                                                                                ner der kantonalen/kommunalen Zentren

Nothilfe und Familienasyl                                                                              (egal ob ordentliche oder für «renitente») re-
                                                                                                       plizieren die Atommülllager-Logik: Sie wol-
(Vorlage 1, Verabschiedung voraussichtlich im Dezember)                                                len zwar Zentren, aber sicher nicht vor der
                                                                                                       Haustür. Was sie wollen, formulieren sie in-
Die Vorlage 1 umfasst alles, was bislang in den beiden Kammern beraten wurde und nicht für             des deutlich: geschlossene Anstalten resp.
dringlich erklärt wurde. Die Schlussabstimmung gegen diese Vorlage ist für Ende Wintersession          Internierungslager. Möglichst abgelegen,
2012 zu erwarten, also am 13. Dezember. Die wichtigsten Inhalte sind:                                  irgendwo in den Bergen der Schweizer Alpen.
 gesetzliche Festschreibung reduzierter Sozialhilfe für Asylsuchende im Vgl. zu SchweizerInnen        Wenn man nun also aus linker Optik und als
 Nur noch Nothilfe für «renitente» Asylsuchende                                                       grundsätzliche GegnerIn von Zentren oder
 Ritzung des Familienasyls                                                                            Lager FÜR die dringliche Vorlage und die
 Angriff auf die Rechte vorläufig aufgenommener Flüchtlinge, als da sind: Einschränkung der           Zentren für «renitente» stimmt, so werden
   Reisefreiheit, mögliche Fristenverlängerung im Familiennachzug, Verschärfung der Härtefallre-       aus den Bundeszentren von Frau Sommaru-
   gelung                                                                                              ga unweigerlich Internierungslager à la SVP.
 Verschärfung der Härtefallregelung für Asylsuchende                                                  Dies aus dem einfachen Grund, weil bei allen
 der «politische Maulkorb»                                                                            Migrationsfragen in der Schweiz traditionell
 die faktische Abschaffung von Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen                                  die politischen Kräfte rechts der «Mitte»
 Abschaffung der Nachfluchtgründe                                                                     Oberwasser haben. Falls also jemand den
 das sogenannte Vorgespräch                                                                           Bundeszentren zum politischen Durchbruch
 Einführung eines unentgeltlichen Rechtsschutzes                                                      verhelfen könnte, dann wären es die Rechts-
 weitere                                                                                              konservativen. Deshalb ist Apeasementpoli-
                                                                                                       tik in dieser Frage brandgefährlich: heute
                                                                                                       Zentren für «Renitente», morgen Internie-
                                                                                                       rungslager.

Asylgesetzrevision #12:                                                                                Der Rechtsschutz
Bundeszentren und                                                                                      Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) be-

Beschleunigung                                                                                         gründet ihre Ablehnung des aktuellen Refe-
                                                                                                       rendums mit einer «Trendwende im Asylbe-
(Vorlage 2, demnächst in die Vernehmlassung)                                                           reich», die sie basierend auf dem
                                                                                                       angekündigten, umfangreichen Rechts-
Die Vorlage 2 dreht sich um die eigentliche Beschleunigung der Verfahren und ist die Vorlage aus       schutz erkennt. Solidarité sans frontières
dem Hause Sommaruga. Sie geht in den nächsten Monaten in die Vernehmlassung und muss die               kann diesen in der Vorlage 3 nicht finden. Er
parlamentarische Debatte erst noch durchlaufen. Die wesentlichen Inhalt sind:                          begründet sich frühestens in der Vorlage 1,
 Unterbringung in Bundeszentren und beschleunigte Verfahren: Neustrukturierung des Asylbe-            seine Umsetzung in der Vorlage 2 steht in den
   reichs durch die Schaffung von Verfahrenszentren des Bundes. Ziel ist es, 80 Prozent der Gesu-      Sternen – wie schon seit Jahrzehnten. Ein kos-
   che in den Bundeszentren im Rahmen des «ordentlichen Verfahrens» innerhalb von lediglich 120        tenloser, ausgebauter Rechtsschutz für Asyl-
   Tagen abzuwickeln. Rund 20 Prozent der Gesuche sollen im «erweiterten Verfahren» behandelt          suchende muss nicht nur finanziert werden.
   werden, das maximal ein Jahr dauern soll. In der maximalen Dauer beider Verfahren ist auch die      Völlig unklar ist derzeit auch, wie dieser
   Beschwerdedauer enthalten.                                                                          Schutz aussehen soll und ob er tatsächlich
 Ausgebauter Rechtsschutz: Den Asylsuchenden soll während des gesamten erstinstanzlichen              unabhängig vom EJPD sein wird. Eine Aus-
   Asyl- und des Beschwerdeverfahrens ein umfassender und kostenloser Rechtsschutz gewährt             gestaltung im Sinne der Asylsuchenden wird
   werden.                                                                                             nur schwer durchzusetzen sein. Auch hier
 «Rückkehrhilfe»: Nach einer Ablehnung des Asylgesuchs sollen die Betroffenen in den Bundes-          gilt: Das politische Oberwasser liegt rechts
   zentren intensiv auf eine freiwillige Rückkehr vorbereitet werden. Nach Ablauf der Ausreisefrist,   der Mitte. Millionen für den Rechtsschutz
   und wenn die Betroffenen bezüglich ihrer Rückkehr nicht mit den Behörden kooperieren, sollen        auszugeben wird dort schwer durchzusetzen
   diese Personen von den Bundeszentren ausgeschlossen werden und keine Sozialhilfe mehr               sein – nur unter schwersten Zugeständnissen.
   erhalten.                                                                                           Weshalb sich die Frage stellt: Was nützt ein
 Beschwerdeentscheide: Das EJPD soll mit dem Bundesverwaltungsgericht Vereinbarungen über             ausgeklügelter Rechtsschutz auf Basis eines
   die «Priorisierung und die administrativen Abläufe» treffen können. Praktisch heisst das, dass      zerfledderten Asylrechts?
   das Gericht sich an die Agenda des BFM anpassen soll. In seiner Stellungnahme und gegenüber           Die dreiköpfige Hydra ist ein Untier aus der
   den Medien hat es dieses Ansinnen kategorisch abgelehnt.                                            griechischen Mythologie. Schlägt man ihr
                                                                                                       einen Kopf ab, so wachsen drei andere nach.
                                                                                                       Besiegen kann man die Hydra nur, wenn
                                                                                                       man ihren Körper vernichtet. Ähnlich ver-
                                                                                                       hält es sich mit den drei Asylgesetzrevisio-
                                                                                                       nen: Möchte man etwas für die Betroffenen
                                                                                                       erreichen, so muss man die Revisionen als
                                                                                                       Körper betrachten und ihn als solchen be-
                                                                                                       kämpfen. Ansonsten hat man keine Chance.
                                                                                                                                               (Ca) 7
Solidarité sans frontières 3 – 12
    Dossier 3 – 2012
    Referendum und Initiative

    Raus aus der Ohnmacht

    Eine Initiative
    zur Stärkung der
    Grundrechte
    Die Lancierung einer Volksinitiative zur Stärkung
    der Grundrechte in der Schweiz drängt sich auf.
    Sosf nimmt das Projekt in Angriff.

    Das Referendum gegen die vom Parlament am 28. September 2012
    angenommene und sofort in Kraft getretene Asylgesetz-Revision
    (AsylG) wurde nicht ohne Zögern und Debatten ergriffen. Verschie-
    dene Kollektive und Vereine, darunter auch Sosf, haben ihr Unbeha-
    gen zum Ausdruck gebracht in diesem Kampf, wo mit gezinkten
    Karten gespielt wird. Es geht nicht darum, die Änderungen, welche
    das AsylG seines Sinns entleeren, kleinzureden, ganz im Gegenteil:
    Ein Asylgesetz, das seinen Namen verdient, müsste Regeln aufstellen,
    die einen staatlichen Schutz vor Verfolgung und Elend gewährleisten,
    und nicht darauf abzielen, die Möglichkeiten, Asyl zu erhalten, mög-
    lichst zu verringern. Die Vorstandsmitglieder von Sosf stehen ein-
    stimmig und ohne Wenn und Aber hinter diesem Kampf, sowohl
    politisch wie auch vor Ort, wo MigrantInnen bereits die Konsequen-
    zen des Gesetzes erleiden. Trotzdem sind es nicht in erster Linie die
    letzten Verschärfungen, die es zu bekämpfen gilt, als viel mehr das
    ganze Gesetz. Das Asylgesetz wurde seit seinem Inkrafttreten 1981
    immer weiter verschärft und bietet heute nur noch einer Minderheit
    von Exilierten Schutz, einer Mehrheit dagegen nichts als Not.
       Mit dem Referendum gehen wir «nur» gegen die letzten Verschär-
    fungen vor (oder genauer : gegen die ersten einer neuen Reihe von
    Verschärfungen, die man uns für die nächsten Monate in Ausicht
    stellt). Es ist notwendig, weiter zu gehen.                              schen. Die EinwohnerInnen diese Landes müssen garantierte Grund-
       Der Widerstand muss in erster Linie vor Ort stattfinden, wo Frauen,   rechte haben, die die Bundesverfassung bis anhin nur ungenügend
    Männer und Kinder täglich mit den Folgen eines Gesetzes konfron-         schützt.
    tiert sind, das unterdrückt und sie ihrer Menschlichkeit beraubt. Da-      Mit dem Nachdenken über die legislativen Möglichkeiten will Sosf
    bei waren diese Menschen gekommen, um ein besseres Leben zu              auch die sinnlosen Debatten überwinden, in die einzugreifen wir uns
    suchen, oder sie sind sogar zufällig hier (denken wir zum Beispiel an    regelmässig angehalten fühlen. Wir verweigern uns einer Opposition
    die Kinder !).                                                           zwischen «SchweizerInnen» und «AusländerInnen», zwischen «Lega-
       Wir müssen präsenter werden, unsere Solidarität konkret unter         len» und «Sans-papiers». Es ist Zeit, die Regeln des Diskurses zu än-
    Beweis stellen, je länger je mehr auch mit zivilem Ungehorsam. Die       dern und administrative Kategorien über Bord zu werfen, die die
    Besetzung des Zugangs zum Zentrum von Frambois (Genf) z.B. (sie-         Menschheit künstlich einteilen. Wir beginnen mit der Reflexion dar-
    he Carte Blanche), hat konkret gezeigt, dass wir Staatsgewalt ableh-     über, wie die grundlegende Gleichheit so konkret wie möglich in die
    nen, die Menschen für das, was sie sind und nicht für das, was sie       Verfassung aufgenommen werden könnte. Dieser Kampf betrifft alle,
    tun, einsperrt. Wir konnten uns mit Menschen solidarisieren, die         nicht nur die AusländerInnen: Studierende, Pensionierte, Arbeitslose,
    meistens einsam und vergessen sind. Solche Aktionen müssen fort-         Arbeitnehmende, Frauen, Männer, wir alle haben ein Interesse an
    geführt und ausgebaut werden. Aber anprangern reicht nicht! Wir,         einer Stärkung der Grundrechte. Denn was man heute einer Bevölke-
    die wir in diesem Land (legal oder nicht) wohnen, müssen definieren,     rungskategorie wegnimmt, kann man schon morgen leicht einer an-
    in welcher Welt wir leben wollen. Wir können uns dazu der politi-        deren entziehen.
    schen Instrumente bedienen, ohne dabei zu vergessen, dass eine             Die Ausarbeitung der Initiative ist am Laufen. Im Rahmen der Ko-
    Demokratie, die einem grossen Teil der Bevölkerung das Mitsprache-       alitionstreffen, welche zum Referendumsbeschluss führten, wurde
    recht verweigert, Fragen aufwirft.                                       eine solche Initiative stark begrüsst. Sie ist Teil eines ganzheitlichen
       Sosf arbeitet ab sofort an einer möglichen Volksinitiative zur Be-    Plans, den Sosf verfolgt. Wir werden laufend über den Stand der Din-
    kräftigung und Stärkung der grundlegenden Gleichheit aller Men-          ge informieren.                                      Pauline Milani, Sosf

8
KURZ UND KLEIN
                                                    werden. Das BFM jedoch ortet genau solchen           rungszentren aufgebaut. Für 2012 ist laut
                                                    und hat sich mit dem Schnellverfahren etwas          der deutschen Bundesregierung ein « Auf-
Schnellverfahren für Balkan-                        ausgedacht, was die ohnehin schon prekäre            wuchs auf insgesamt 18 EU-Mitgliedstaa-
Flüchtlinge                                         Situation der Roma verschlimmert. In den             ten » vorgesehen. Die BRD will ihr NCC im

Kein Taschengeld                                    ersten drei Wochen seit seiner Einführung
                                                    wurden 159 dieser Schnellverfahren durchge-
                                                                                                         Präsidium der Bundespolizei (früher : Bun-
                                                                                                         desgrenzschutz) ansiedeln. Für die hochge-
für Roma                                            führt und 432 Personen reisten « freiwillig »        rüstete Migrationsabwehr kooperiert die EU
Seit dem 20. August entscheidet das Bundes-         in ihr Herkunftsland zurück. Das BFM feiert          auch mit Drittstaaten wie Mauretanien,
amt für Migration (BFM) Asylgesuche aus                                                                  Senegal, Kap Verde, Gambia, Guinea Bissau
verfolgungssicheren europäischen Saaten,                                                                 und Marokko.
deren Staatsangehörige ohne Visum in die            « Es ist hinlänglich                                    Bis 2020 sollen für die Einrichtung, Auf-
Schweiz einreisen können, innerhalb von             bekannt, dass in den                                 rüstung und Wartung der nationalen Koor-
48 Stunden. Im Rahmen dieses 48-Stunden-                                                                 dinierungszentren und des Lagezentrums
Verfahrens wurde weiter verfügt, dass die           meisten osteuro­päischen                             von Frontex nach vorsichtigen Schätzungen
Betroffenen kein Reisegeld mehr erhalten und        Staaten eine immer                                   der EU-Kommission mindestens 338,7 Mil-
dass gegen sie eine Einreisesperre verhängt                                                              lionen aufgewendet werden. Wenn sich der
werden darf. Um es auszuformulieren: Das            ausgeprägtere und                                    EU-Rat für umfangreichere Optionen ent-
Verfahren wurde für die Balkanstaaten ein-          offene rassis­tische Hetze                           scheidet, könnten sich die Ausgaben sogar
geführt. Und noch konkreter geht es dabei                                                                verdoppeln. In der Schätzung fehlen Kosten,
um die Roma. Im Dunstkreis dieses Verfah-           gegen Roma stattfindet.. »                           die die EU im Vorfeld in Forschungsprojekte
rens gerieten Ende September das Asylzent-                                                               steckte – etwa für die Entwicklung automa-
rum Eigenthal im Kt. Luzern und mit ihm das         diese Ergebnisse als « Erfolg ». Doch Roma           tisierter, unbemannter maritimer « Überwa-
BFM in dine Schlagzeilen, als über die « Neue       « reisen nicht aus », wie das BFM sich das vor-      chungsplattformen », unbemannter Landro-
Luzerner Zeitung » (NLZ) bekannt wurde,             stellt. Sie zirkulieren im Niemandsland und          boter oder für die Einbindung von Drohnen.
dass den dort ansässigen Roma das ihnen             landen auf der Strasse. Dort betteln sie – und       Ebenfalls nicht im Kostenplan von EURO-
zustehende Taschengeld verweigert wurde.            dagegen wird immer heftiger vorgegangen              SUR enthalten sind jene Projekte, die inner-
Gaby Szöllösy, Chefin Information und Kom-          (Bern, Genf, Zürich). Es ist ein zynischer und       halb der GMES-Satellitenaufklärung finan-
munikation des BFM, liess im Artikel verlau-        kaltherziger « Erfolg » in einer kalten Zeit. (Ca)   ziert werden.                Matthias Monroy
ten, dies sei « eine Massnahme, um die Roma
zu einer möglichst raschen Ausreise zu bewe-        Mit HighTec gegen Flüchtlinge                        Erneuerter Visumszwang und
gen ». Solidarité sans frontières (Sosf) und die
                                                    EU-Grenz­über­                                       Schnellverfahren
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) frag-
ten daraufhin beim BFM schriftlich nach :           wachungs­system                                      Europa: Gemeinsam
Wird hier eine Selektion anhand einer Zuge-         Mit ihrem «Europäischen Grenzüberwa-                 gegen Roma
hörigkeit zu einer ethnischen Gruppe vorge-         chungssystem » EUROSUR will die EU ab                Mit dem 48-Stunden-Verfahren und der
nommen ? Die Antwort des BFM resp. von              2014 unerlaubte Grenzübertritte an Land              Taschengeld-Verweigerung für Roma aus
Frau Szöllösy, die drei Wochen auf sich war-        und auf See erfassen. Eingebunden werden             dem ehemaligen Jugoslawien nimmt die
ten liess, verkündete, dass das BFM selbstver-      darin satellitengestützte Positionsdaten,            Schweiz erneut eine repressive Vorbildfunk-
ständlich keine Massnahmen im Asylbereich           etwa aus Schiffsortungssystemen und Fische-          tion für Europa ein. Am 25. und 26. Oktober
gegen spezifische ethnische Gruppen ergrei-         reiüberwachungszentren, aber auch Daten              2012 tagten in Brüssel die Innen- und Jus-
fe. Vielmehr richte sich diese Massnahme            aus der Satellitenaufklärung, die im Rah-            tizminister der EU sowie der « Gemischte
gegen alle Angehörigen der betreffenden             men des EU-Projekts « Global Monitoring of           Ausschuss », an dem auch die nicht der EU
Staaten. Das Antwortschreiben konstatiert           Environment and Security » (GMES) gewon-             angehörenden Schengen-Staaten (Norwe-
indes auch, dass die Mehrheit der betroffenen       nen werden. Hinzu kommen Radarstationen              gen, Island, Schweiz, Liechtenstein) beteiligt
Asylsuchenden Roma seien und Gaby Szöllö-           sowie die Aufklärung aus der Luft mit Flug-          sind. Auf der Tagesordnung standen unter
sy betont explizit, dass sie die Journalistin der   zeugen und Drohnen. Auch nachrichten-                anderem die Folgen der Visumsbefreiung
NLZ angemahnt habe, « nicht von Roma,               dienstliche Erkenntnisse sollen beim Aufspü-         für die Staaten des Westlichen Balkan. « Die
sondern von Staatsangehörigen visumsbe-             ren von Flüchtlingen helfen.                         Delegationen drückten ihre Besorgnis über
freiter Länder » zu sprechen. Sosf findet :            EUROSUR wird als « neues politisches In-          die erhebliche Zunahme der meist unbe-
« same shit, different name ». Es ist hinläng-      strument » beworben : Die Grenzüberwa-               gründeten Asylgesuche von Staatsangehö-
lich bekannt, dass gerade Roma in den kalten        chungsbehörden aller Mitgliedstaaten wer-            rigen mehrerer Länder der Region aus und
Monaten häufiger ein Asylgesuch in Westeu-          den untereinander vernetzt und können                unterstrichen die Notwendigkeit von Mass-
ropa stellen. Es ist ebenfalls hinlänglich be-      operative Informationen austauschen. Im              nahmen zur Behebung der Situation »,
kannt, dass in den meisten osteuropäischen          Mittelpunkt steht als Zentrale die EU-Grenz-         heisst es in der Pressedokumentation. Die
Staaten eine immer ausgeprägtere und offene         schutzagentur Frontex in Warschau. Zu-               MinisterInnen wollen nun, dass das EU-
rassistische Hetze gegen Roma stattfindet.          nächst startet EUROSUR an den Aussen-                Parlament möglichst schnell den Änderun-
Dies erklärt auch den markanten Anstieg von         grenzen von sieben südlichen und östlichen           gen des Visa-Regime der Union zustimmt,
Asylgesuchen aus dem Balkan in den Mona-            Mitgliedstaaten, die hierfür « Nationale             die die Kommission bereits im Mai 2011
ten vor August 2012 (dem eigentlichen Grund         Koordinierungszentren » (NCC) eingerichtet           vorgelegt hatte. Einführen will man eine
für das Schnellverfahren). Die Überlebens-          haben. Seit November 2011 ist Frontex im             « Schutzklausel », die die temporäre Wieder-
strategie der Roma, im Schweizer Asylwesen          « Pilotbetrieb » mit Frankreich, Italien und         einführung des Visumszwangs ermöglichen
vor dieser Hetze Schutz zu suchen, ist ver-         Spanien sowie Finnland, Polen und der Slo-           soll. Dies soll der Rat der Innenminister auf
ständlich. Dass dabei auch ein warmes Bett          wakei vernetzt. Auch Bulgarien, Estland,             Vorschlag der Kommission jeweils beschlies-
abfällt, darf nicht als Missbrauch ausgelegt        Rumänien und Slowenien haben Koordinie-              sen können, wenn ein « plötzlicher Anstieg »     9
                                                                                                                                                     »
Solidarité sans frontières 3 – 12

     KURZ UND KLEIN

     »                                                einigung ECOPOP mit über 120 000 beglau-
                                                      bigten Unterschriften eingereicht. Damit
                                                                                                           Kann man ECOPOP die eigene Vergangen-
                                                                                                        heit vorwerfen ? Beschränkt. Dafür aber die
                                                      kommt eine Vorlage vor das Volk, die die          Gegenwart: die Beilage der Initiative in der
     der Asylgesuche oder der Zahl der sich ille-     unsägliche Verquickung von Umwelt- und            Zeitschrift « Schweizerzeit » von alt National-
     gal aufhältlichen Personen aus dem betref-       Ausländerthematik macht. Kernanliegen der         rat Ulrich Schlür fand dieses Jahr statt. Und
     fenden Staat verzeichnet wird.                   Initiative ist es, die jährliche Zuwanderung      die Teilnahme von Hans Popp an der Presse-
       Bereits im Vorfeld der Ratstagung hatte der    auf 0,2 Prozent der Bevölkerung zu beschrän-      konferenz zur Initiativeeinreichung ebenso.
     deutsche Bundesinnemminister Hans-Peter          ken. Umweltorganisationen wie nationale           Eben jener Hans Popp pflichtete 2006 in ei-
     Friedrich « schärfere Regeln für Asylbewerber    Parteien (ausser die Schweizer Demokraten)        nem Leserbrief in der Weltwoche der im glei-
     aus Serbien und Mazedonien » gefordert. Die      haben der Initiative bislang ihre Unterstüt-      chen Jahr verstorbenen italienischen Star-
     beiden Staaten sollen nun zu « sicheren Her-     zung versagt. Lokale Sektionen – sowohl der       journalistin Oriana Fallaci bei, indem er vor
     kunftsstaaten » erklärt werden, die Flüchtlin-   SVP als auch der Grünen – hätten sich aber        «der muslimischen Invasion [Europas], mit
     ge will Friedrich mit «abgesenkten Barleis-      an der Unterschriftensammlung beteiligt,          ‹ Kindern und Booten statt mit Truppen und
     tung » abspeisen. Die Asylgesuche aus            hiess es beim Initiativkomitee.                   Kanonen › wie früher » warnte. Eine illustre
     Serbien und Mazedonien, die zu 90 Prozent           ECOPOP distanziert sich stets ausdrück-        Gesellschaft also, die ECOPOP umgibt. Soli-
     von Roma und Ashkali gestellt werden, seien      lich von fremdenfeindlichen und rassisti-         darité sans frontières empfiehlt mit Nach-
     missbräuchlich und ein «Ausnutzen unseres        schen Ansichten. Der schillernde Ursprung         druck eine glasklare Ablehnung der Initiati-
     Systems». Die Verfahren sollten möglichst        der Vereinigung, der immer wieder mit der-        ve an der Urne.                           (Ca)
     schnell abgewickelt werden. Ein 48-Stunden-
     Verfahren wie in der Schweiz sei wegen der
                                                      jenigen der «Nationalen Aktion» verwoben
                                                      ist, lässt allerdings stark an der Ernsthaftig-
                                                                                                                                                             »
     gesetzlichen Rekursfristen allerdings nicht      keit dieser Distanzierung zweifeln. Ein Arti-
     möglich, beklagte der Minister.                  kel in der WOZ vom 14. April 2011 zeigt auf:
                                                                                                        impressum
       Erst kürzlich liess die Bundesregierung das    Gegründet wurde ECOPOP 1971 als Schwei-
     offizielle Mahnmal für die während der Na-       zerische Arbeitsgemeinschaft für Bevölke-          Bulletin
     ziherrschaft ermordeten Sinti und Roma ein-      rungsfragen (SAfB). Das war wenige Monate          Solidarité sans frontières
     weihen. Bundeskanzlerin Angela Merkel            nach der Ablehnung der Schwarzenbach-
     hatte dabei beteuert, es sei « eine deutsche     Initiative. Kräftig bei der Ausarbeitung der       erscheint viermal jährlich

     und europäische Aufgabe », sich für die          Statuten mitgeholfen hat damals Valentin
                                                                                                         Auflage dieser Ausgabe:
     Rechte von Sinti und Roma einzusetzen, « wo      Oehen, jahrelang Präsident der Nationalen          3100 deutsch / 650 französisch
     auch immer, innerhalb welcher Staatsgren-        Aktion (NA) und bis 1979 auch SAfB-Vize-           Beglaubigte Auflage WEMF:
     zen auch immer sie leben ». Noch Fragen ?        präsident. In einer Mitgliederliste von 1973,      2875 deutsch / 568 französisch
                                              (Bu)    die der WOZ vorliegt, finden sich auch weite-
                                                                                                         Gestaltung und Satz: Simone Kaspar de Pont
                                                      re bekannte Rechtsaussen, so der NA-Natio-
                                                                                                         Druck und Versand: Spescha Luzzi, Ilanz
     Die schillernde Gefahr                           nalrat Walter Jaeger, in den dreissiger Jahre      Redaktion: Heiner Busch (Bu), Moreno Casaso-

     ECOPOP-Initiative                                Frontist. Oder der Arzt Jean-Jacques Hegg,
                                                      später NA-Nationalrat, ebenso Max Wahl,
                                                                                                         la (Ca), Gisela Grimm
                                                                                                         Übersetzungen: Olivier von Allmen
     eingereicht                                      EDU-Mitbegründer, heute Holocaustleugner.          Lektorat: Sosf
                                                                                                         Fotos: www.stop-dead.ch | Referendumskomi-
     Anfang November wurde die Initiative             Mit dabei auch «Ruedi Keller stud.», der spä-
                                                                                                         tee Asylgesetz
     «Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung       tere langjährige SD-Zentralpräsident.
     der natürlichen Lebensgrundlagen» der Ver-       (Quelle: WOZ).
                                                                                                         Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe:
                                                                                                         25. Januar 2013
     ANZEIGE                                                                                             Wir behalten uns vor, LeserInnenbriefe zu
                                                                                                         kürzen

                                                                                                         Mitgliederbeitrag 2012 inkl. Abo:
                                                                                                         70.– Verdienende / Fr. 100.– Paare / Fr. 30.–
                                                                                                         Nichtverdienende
                                                                                                         / 120.– Organisationen
                                                                                                         Abo: Einzelpersonen 30.– / Organisationen
                                                                                                         50.–

         Satz
                                                                                                         Herausgeberin:
                                                                                                         Solidarité sans frontières,
                                                                                                         Schwanengasse 9

         Gestaltung
         Druck
                                                                                                         3011 Bern
                                                                                                         (Zusammenschluss AKS/BODS)
                                                                                                         Fon 031 311 07 70
                                                                                                         Fax 031 312 40 45
                                                                                                         sekretariat@sosf.ch
                                                                                                         www.sosf.ch
                                                                                                         PC-Konto 30-13574-6

                                                            städtlistrasse 18 • 7130 glion/ilanz
                                                           tel. 081 925 20 44		 • fax 081 925 30 63
                                                             www.spegru.ch • info@spegru.ch

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Kurz und klein                                    Kiosk

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                                                                                                   Fragen an eine globalisierte Welt

Militärische Böcke als medizinische               Fluchten, Fallen, Frontex
                                                                                                   Migration und Ethik
Gärtner
                                                  An Europas Grenze                                Sind Staaten moralisch dazu berechtigt, die
Medizinische                                      Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lam-       Zuwanderung auf ihr Territorium nach eige-

« Betreuung » von                                 pedusa erzählen junge Tunesier von ihrer
                                                  Flucht übers Mittelmeer und dokumentieren
                                                                                                   nem Ermessen zu beschränken? Ist das Recht
                                                                                                   auf Ausschluss ein legitimer Bestandteil der
Ausschaffungen                                    mit einer Einwegkamera die skandalösen           nationalen Selbstbestimmung? Oder sollten
Die OSEARA GmBH mit Sitz in Stans be-             Zustände im Asyllager. Am Europäischen           Staaten vielmehr einen moralischen An-
zweckt laut Handelsregister nicht nur « die       Gerichtshof für Menschenrechte in Strass-        spruch auf globale Bewegungsfreiheit aner-
Erbringung von Consulting- und Manage-            burg gewinnen Flüchtlinge aus Eritrea und        kennen? Über diese Fragen ist in den letzten
mentdienstleistungen im medizinischen,            Somalia einen wegweisenden Prozess. Die          Jahren insbesondere im englischen Sprach-
technischen und wirtschaftlichen Bereich »,       Menschenrechte sind künftig auch auf hoher       raum eine philosophische Debatte in Gang
sondern « überdies die Organisation der me-       See einzuhalten. In Griechenland schildern       gekommen. Der Band «Migration und Ethik»
dizinischen Versorgung für verschiedene           Opfer die Übergriffe der faschistischen Schlä-   macht deren zentrale Positionen einem
Anlässe und Ereignisse.» Bei diesen « Anläs-      gergang « Goldene Morgendämmerung ». An          deutschsprachigen Publikum zugänglich
sen» handelt es sich aber keineswegs um           der Grenze zur Türkei hat der Bau eines          und führt die Diskussion kontrovers fort.
« Käferfeste », sondern insbesondere um           11,5 Kilometer langen Zauns begonnen. Im         Thematisiert wird dabei nicht nur, ob Staa-
Zwangsausschaffungen. Seit dem Tod des            Hauptsitz der europäischen Grenzschutz-          ten Einwanderungswillige abweisen dürfen,
Nigerianers Joseph Ndukaku Chiakwa im             agentur « Frontex » in Warschau entwirft der     sondern auch, ob niedergelassene Einwande-
März 2010 bei einer Ausschaffung lässt das        Exekutivdirektor die künftige Strategie: Die     rer einen Anspruch auf die vollen Bürger-
BFM seine Spezialflüge regelmässig von ei-        Auslagerung der Migrationspolitik in Dritt-      rechte haben und wozu wir gegenüber Wirt-
nem Arzt und einem Sanitäter begleiten.           staaten. Lampedusa, Strassburg, Griechen-        schaf tsf lüchtlingen und irregulären
Diese Arbeit will das Amt nun «outsourcen».       land, Warschau. Kaspar Surber reiste an die      MigrantInnen verpflichtet sind. Das Buch
Laut « Tagesanzeiger » konnten sich bis Sep-      Schauplätze, an denen die europäische Mig-       thematisiert so wesentliche Stränge der mig-
tember Firmen für diesen Auftrag bewerben.        rationspolitik verhandelt wird. Im letzten       rationsethischen Debatte und liefert eine
Seit April und noch bis Ende des Jahres läuft     Jahr hat diese Politik mehr als 2000 Todes-      fundierte Auseinandersetzung mit Fragen,
jedoch bereits ein « Pilotversuch », an dem als   opfer gefordert. Entstanden ist eine Samm-       die in einer globalisierten Welt stetig an Be-
einzige private Partnerin die OSEARA GmbH         lung von Recherchen und Stimmen : Zu Wort        deutung gewinnen. Mit Beiträgen von Joseph
teilnimmt.                                        kommen Flüchtlinge, Polizisten, Politikerin-     H. Carens, Andreas Cassee, Robin Celikates,
   Die Firma wurde im Februar 2012 offen-         nen, Anwälte, Aktivistinnen, Fischer,            Francis Cheneval, Anna Goppel, Carsten
sichtlich im Hinblick auf den zu erwartenden      Grenzwächter und auch einige Schweizer.          Köllmann, Bernd Ladwig, Urs Marti, David
Auftrag des Bundes gegründet. InhaberIn-          Ein Buch aus der Gegenwart, dem arabi-           Miller, Martino Mona, Johan Rochel, Peter
nen sind Kathrin Esther Sieber, Adrian Busin-     schen Frühling und der Wirtschaftskrise.         Schaber, Stephan Schlothfeldt, Michael Wal-
ger und Daniel Herschkowitz. Businger soll        Ein Buch, das in der Migrationsdebatte den       zer und Simone Zurbuchen.
laut TA bereits vor Beginn des Pilotprojekts      Horizont öffnet. Mit einem Ausblick von An-
die Ausschaffungen betreut haben. Hersch-         dreas Cassee und Bildern von Georg Gatsas        Anna Goppel und Andreas Cassee (Hg.):
kowitz war bis vor einem Jahr Berater der         sowie Enrico Dagnino.                            Migration und Ethik. Münster (D):
militärischen Sicherheit und ist Präsident der                                                     Mentis-Verlag, 2012, 308 S., Euro 29.80
« schweizwerischen Vereinigung für takti-         Kaspar Surber: An Europas Grenze.                
sche Medizin », die eine « Plattform für aktive   Fluchten, Fallen, Frontex.
und ehemalige Angehörige von polizeilichen        Zürich: Echtzeit Verlag, September 2012,
und militärischen Sonderformationen sowie         176 S., CHF 29.00
taktisch geschulten Angehörigen des Ge-
sundheitswesen » schaffen und eine « An-
laufstelle für alle medizinischen Belange
polizeilicher und militärischer Spezialeinhei-
ten in der Schweiz » sein will.
   Noch im Juni ist der Oberstleutnant mit
markigen Sprüchen hervorgetreten. An ei-
nem Hearing der SP und des Vereins Ethik in
der Medizin sagte er laut TA, «die Probanden
des medizinischen Tests, mit dem eine Level-
IV-Situation simuliert wird, seien ja auch
nicht gestorben.» Mittlerweile schweigen so-
wohl das BFM selbst als auch Herschkowitz.
                                         (Bu)

                                                                                                                                                    11
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