Berufliche Vorsorge in der Krise - Die Gewerkschaft - VPOD
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Juni 2019 Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr Die Gewerkschaft Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste Berufliche Vorsorge in der Krise Zweite Säule: Entsolidarisierung und Individualisierung greifen um sich Wie geht es den öffentlichen Vorsorgeeinrichtungen?
Mit dem VPOD Krankenkassenprämien sparen Dank der Vereinbarung mit der Versicherte, welche bereits über eine die- Helsana-Gruppe profitieren VPOD-Mit- ser Marken der Helsana-Gruppe versichert glieder und ihre im gleichen Haushalt sind, können die bisherige Krankenversi- lebenden Familienangehörigen (Ehe- cherung neu in der Vereinbarung mit der partner/innen, Lebensgefährt/innen, gleichen Deckung weiterführen. Kinder sowie Eltern) von attraktiven Vergünstigungen und Vorteilen: Einzige Änderung neben der tieferen Prämie: Der VPOD ist für das Prämieninkasso zuständig. Vereinbarung für die Marken Versicherten ausserhalb der Helsana-Gruppe vermitteln wir gerne eine Beratung und/oder Offerte. Helsana und Progrès Kontakt und weitere Informationen: 15% Vergünstigung auf den meisten Zentralsekretariat VPOD Zusatzversicherungen dieser Marken Postfach 8279 8036 Zürich nicolas.wildi@vpod-ssp.ch Partnerschaft mit dem führenden Telefon 044 266 52 65 Schweizer Krankenversicherer Helsana_2017.indd 1 19.09.2017 11:19:12 Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation Fachtagung von VPOD und Solidarité sans frontières Die starke Gewerkschaft im Service public Deutsch und Französisch Samstag, 7. September 2019 8.30 bis 16.30 Uhr Campus Muristalden Bern Für alle Menschen in der Schweiz ist Bildung sowohl ein Grundrecht als auch ein Grundbedürfnis. Trotzdem bleibt vielen der Zugang versperrt. Obwohl gerade für Geflüchtete Bildung die Möglichkeit bietet, anzukommen und Fuss zu fassen, mangelt es an Angeboten und guten Rahmenbedin- gungen – Folgen mangelhafter öffentlicher Finanzierung. Anhand von Inputreferaten, Diskussionen und Workshops nehmen wir an der Tagung eine kritische Bestandesauf- nahme vor und diskutieren Beispiele guter Praxis. Gemein- sam erarbeiten wir Forderungen an die Politik. Ziel der Tagung ist es auch, zum Aufbau einer Lobby beizutragen. Informationen: www.vpod.ch/fachtagung-gefluechtete-bildung Tagungsbeitrag 100 Franken Anmeldung: online oder vpod@vpod-ssp.ch (für VPOD-Mitglieder 50 Franken) inkl. Essen und Trinken
Editorial und Inhalt | VPOD Themen des Monats 5 Ein Ja zur AHV Keine Überraschung: Versüsste Steuersenkungsvorlage STAF gutgeheissen 6–7 Frauenstreik 2019: Wenn Frau will . . . Was läuft in den VPOD-Branchen? 8 Besserer Übergang Christoph Schlatter ist Redaktor des VPOD-Magazins Bundesrat ergreift Massnahmen gegen die Probleme der älteren Arbeitnehmenden 9 Schweiz auf schwarzer Liste Ausgeixt 100-Jahr-Jubiläum der ILO wird gross gefeiert – Auf meiner Tastatur ist die X-Taste kaputt. Die Plastikkuppe hat sich aber von Peinlichkeit überschattet abgelöst, und obwohl Schorsch mit Leim helfend beisprang, liess sich das Ding nicht mehr befestigen. Seither sitzt das X lose; bei heftigem 11–16 Dossier: Krise der beruflichen Vorsorge Anschlag wird es gern durch die Gegend geschleudert, dann wird der Interview mit Urban Hodel, Geschäftsführer PK-Netz, Schreibfluss unterbrochen, weil man das Plättli auf dem Teppich su- über die Probleme der beruflichen Vorsorge chen muss. 5 Jahre nach der Verselbständigung: Die Situation der Ich darf mich aber nicht beklagen. Es ist ja nur das X. Der französi- öffentlich-rechtlichen Pensionskassen sche Schriftsteller Georges Perec hat einen ganzen Roman völlig ohne den Buchstaben E geschrieben! «La disparation», 300 Seiten. Gibt’s auch auf Deutsch, auch ohne E: als «Anton Voyls Fortgang», über- setzt von Eugen Helmlé. Fängt so an: «Kardinal, Rabbi und Admiral, als Führungstrio null und nichtig und darum völlig abhängig vom Rubriken Ami-Trust, tat durch Radionachricht und Plakatanschlag kund, dass Nahrungsnot und damit Tod aufs Volk zukommt.» 4 Gewerkschaftsnachrichten Kunst? Spielerei? Eine Art Sport wie Querfeldein oder Hürdenlauf, extra mit fiesen Erschwernissen? Die Tradition solcher Texte reicht 10 Aus den Regionen und Sektionen jedenfalls weit zurück. Im 18. Jahrhundert war’s eine Art Gesell- schaftsspiel, und Casanova schrieb angeblich (vermutlich nicht ohne 17 Sunil Mann: Knopfdruckgefühle (Teil 2) Hintergedanken) einer mit dem R-Laut hadernden Schauspielerin (Augen auf bei der Berufswahl) die Rolle um. Vielleicht die Julia, oh- 18 Wirtschaftslektion: Frauen liegen schon beim Start zurück ne Lerrrche: «Willst du schon gehn? Es ist die Nachtigall, und nicht die Schnepfe . . .» 19 Wettbewerb: Naturfreundin Wenn Franz Rittler schon 1813 den R-losen Roman «Die Zwillinge» zustande brachte («Die seligsten Empfindungen, welche gewöhnlich 20 VPOD aktuell edle Handlungen zu lohnen pflegen, begleiteten die guten Eheleute ins Schlafgemach, wo auch ihnen bald eine süsse Müdigkeit die Augen 21 Hier half der VPOD: Nacht- und Nebelaktion schloss.»), dann werden wir doch wohl noch ein VPOD-Magazin ohne X schaffen. Es geht ja hier nicht unentwegt um Marx und um Sex. Und 22 Solidar Suisse: Gegen Gewalt schliesslich sind auch sonst inzwischen allerhand Ausdrucksmöglich- keiten versperrt, weil politisch Überkorrekte am Werk sind. Bei LGBT- 23 Menschen im VPOD: Sabina Bättig, Stationsleiterin Innere QIAP+ einen Buchstaben unterschlagen? Ein Gendersternli zu wenig? Medizin/Palliative Care am Kantonsspital Olten Flüchtlinge statt Geflüchtete geschrieben? Den Othello geschwärzt, die Madame Butterfly auf asiatisch geschminkt? Dabei bewirken derartige Regeln viel eher Ausschluss als Inklusion: Sie trennen in Eingeweihte und Aussenstehende und markieren jene als Deppen*, die nicht schnell genug mitschneiden, wenn wieder et- was neu auf dem Index ist. Redaktion /Administration: Postfach 8279, 8036 Zürich Und warum hat’s jetzt das X erwischt auf meiner Tastatur? Ausge- Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53 rechnet diesen seltenen, um nicht zu sagen: diskriminierten Buchsta- Nr. 5, Juni 2019 ben? Ich weiss schon wieso: Das X dient in Kombination mit «Ctrl» E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch zum Ausschneiden von Elementen. Das scheine ich in der Pra_is häu- Erscheint 10-mal pro Jahr fig zu e_erzieren. Und mit ma_imaler Kraft. Juni 2019 3
VPOD | Gewerkschaftsnachrichten SBB: Schmutzzulage gerettet. Arbeitszeit: Deregulierung gebremst. 80-Stunden-Wochen möglich gemacht hätten, werden sistiert. Bereits früher wurde das Vorhaben auf Eis gelegt, die Arbeitszeiterfassung für einen Drittel der Beschäftigten abzuschaffen. Anhörungen und Studien, die jetzt folgen sollen, werden die gesundheitlichen Auswir- kungen einer solchen Entgrenzung deutlich machen. Der SGB fand das Vorhaben von Beginn weg unnötig: In der Schweiz wird bereits heute zu viel gearbeitet, und das Schweizer Arbeitsrecht ist sehr fle- xibel. | sgb (Foto: slt) PostAuto sagt Frankreich Adieu Die Syndicom begrüsst den Rückzug von PostAuto aus ihrem Toch- tergeschäft in Frankreich (die Post will ihre Tochter CarPostal France an die Kreolis S.A. verkaufen, eine Tochtergesellschaft der Staatsbahn SNCF). Erfreulich: Das Unternehmen wird so seiner sozialen Verant- wortung vor Ort gerecht und kann sich gleichzeitig wieder vermehrt auf sein Kerngeschäft konzentrieren: den Service public im Schweizer Markt. Hier stehe PostAuto nach wie vor in der Pflicht, die offenen Baustellen anzugehen und eine nachhaltige Personalpolitik zu garan- tieren. Aus Sicht der Gewerkschaft geht es jetzt darum, die betriebli- che Mitwirkung der Arbeitnehmenden zu konkretisieren und auszu- bauen, die einen unverzichtbaren Bestandteil einer funktionierenden Kontrollen bringen Verstösse ans Licht Sozialpartnerschaft darstellt. | syndicom Der Bericht zu den flankierenden Massnahmen zeigt: Wo kontrol- liert wird, werden Verstösse aufgedeckt. In jedem vierten Schweizer Schädliche Konzentration Betrieb und in jedem fünften Entsendebetrieb finden sich Verstösse, Eine in Aarau zentralisierte Mantelredaktion kostet bei CH Media häufig zu tiefe Löhne oder Scheinselbständigkeit. Die ausländischen weitere Stellen – ein Abbau von 200 insgesamt ist angekündigt. Jetzt Betriebe halten sich zu 83 Prozent an die Aufforderung, die Löhne an- wurden 5 Entlassungen und 20 Stellenstreichungen bekanntgegeben. zupassen, die Schweizer Betriebe nur zu 51 Prozent. Der SGB betont Die Konzentration – die Standorte Luzern und St. Gallen leiden be- die Bedeutung der Flankierenden für den Lohnschutz: «Müsste die sonders – geht aus Sicht der Syndicom auf Kosten der publizistischen Schweiz aufgrund des Rahmenabkommens die Zahl der Kontrollen Vielfalt. Die Gewerkschaft fordert weiterhin Einblick in den gesamten reduzieren, hätte das gravierende Auswirkungen.» | sgb Abbauplan. | syndicom/slt Temporär = prekär SBB: Schmutzzulage bleibt Der SGB beklagt, dass das Phänomen Temporärarbeit in der Schweiz Die SBB wollten den Beschäftigten der Zugreinigung die Arbeitser- beunruhigende Ausmasse angenommen hat: Seit 1995 hat sich der schwerniszulage – im Volksmund bekannt als «Schmutzzulage» – für Anteil dieser potenziell prekären Beschäftigungsform auf 2,6 Pro- das Reinigen von WCs und für das Ablaugen von Graffiti streichen. zent verfünffacht. Diese Zunahme ist besorgniserregend, obwohl seit Dank der Mobilisierung des betroffenen Personals, unterstützt durch 2012 ein GAV besteht. Temporäre sind gegenüber Festangestellten im die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, und dank der öffent- Nachteil: Sie verdienen oft weniger, haben ein höheres Unfallrisiko lichen Empörung konnte eine Lösung gefunden werden, jedenfalls und weniger Entwicklungsmöglichkeiten im Job. Auch SGB-Präsi- für das laufende Jahr. Der Arbeitgeber kann die Ansprüche offenbar dent Pierre-Yves Maillard will die Temporärarbeit eindämmen. | sgb aus technischen Gründen nicht mehr auf die einzelne Mitarbeiterin herunterbrechen. Daher wird 2019 bei den Zulagen auf die Vorjahre Deregulierung abgebremst abgestellt; alle bekommen so viel, wie sie im für sie besseren Jahr Die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) steht bei den 2017 oder 2018 an Zulagen erhalten haben. Für Neue gilt ein Durch- vorgesehenen Verschlechterungen des Arbeitnehmerschutzes auf die schnittswert. Wie die Zulage ab 2020 ausgerichtet wird, soll bis im Bremse: Pläne zur Deregulierung der Arbeitszeiten, welche etwa die September ausgehandelt sein. | slt (Foto: Keystone) 4 Juni 2019
Politik | VPOD Keine Überraschung: Versüsste Steuersenkungsvorlage STAF gutgeheissen Ein Ja zur AHV Der VPOD bedauert den Ausgang der Volksabstimmung über die STAF-Vorlage. Den Ausschlag zum Ja gab die Finanzspritze für die AHV. Der Kampf gegen kantonale Spar- und Abbaupakete geht weiter. | Text: VPOD (Foto: Gortincoiel/Photocase.de) «Es war die AHV, du Dummkopf»: So lässt Die Versüssung mit sich das Zweidrittel-Ja zur AHV-Steuervorlage AHV-Milliarden brachte die Steuer STAF erklären. Steuersenkungen, die noch senkungsvorlage vor einem Jahr Schiffbruch erlitten hatten, durch die wurden mit den 2 Milliarden mehrheitsfähig Volksabstimmung. versüsst und über die Hürde der Volksab- stimmung gelupft. Der VPOD war eine der massgebenden Kräfte des Referendums und hatte entscheidend zum Zustandekommen der Unterschriften beigetragen. Eine Armee von Goliaths Die Zustimmung an der Urne erklärt sich für den VPOD aus zwei Gründen. Das Ja-Lager umfasste nicht nur alle Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, sondern auch fast al- le politischen Parteien, dies unter aktivster Unterstützung durch den Bundesrat. Die Be- fürworterschaft konnte mindestens 100 Mal höhere Mittel für das Referendum einsetzen. Eine flächendeckende Ja-Kampagne mit un- zähligen Plakaten, Inseraten, Videobotschaf- verankert ist. Dies wiederum gibt dem VPOD Die STAF-Vorlage bringt für die AHV eine ten und Online-Werbung überzog das Land. Mut für den Kampf gegen die angekündigten längst fällige und fast unumstrittene Zusatz- Selten gab es in einer Abstimmungskampag- Verschlechterungen, die in der Neuauflage finanzierung. Auf der anderen Seite wer- ne ein ähnlich krasses Ungleichgewicht der der Altersreform zu erwarten sind, wie sie der den jetzt allerdings Milliardengeschenke an eingesetzten Mittel. Es war ein Kampf Davids Bundesrat im Herbst präsentieren will. Dort Grosskonzerne und Aktionärinnen und Akti- gegen eine Armee von Goliaths. ist unter anderem erneut eine Erhöhung des onäre verteilt. Die grosse Mehrheit der Bevöl- Zweiter und Hauptgrund war aber die Koppe- Frauenrentenalters vorgesehen. «Wir werden kerung bekommt nichts und kann sich auf lung mit der AHV-Finanzierung. Dass diese Verschlechterungen in der Altersvorsorge ent- neue Spar- und Abbaupakete gefasst machen. Verknüpfung so gut funktionieren konnte, schieden bekämpfen», sagt VPOD-Präsiden- Stefan Giger, VPOD-Generalsekretär, kündigt zeigt auf, wie fest die AHV in der Bevölkerung tin Katharina Prelicz-Huber. Widerstand an: «Der VPOD wird in den kom- menden Auseinandersetzungen die Leistun- gen des Service public und die Anstellungs- Wegweisende Entscheide bedingungen des Personals verteidigen.» Dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind ähnliche Kürzungsvorhaben in der Pipe- des Kantons Bern massive Kürzungen in der line. – Hoffnungsfroh stimmt, dass im Kanton Ein Ja zu Europa Sozialhilfe verworfen haben, ist aus VPOD-Sicht Solothurn eine kantonale Unternehmenssteuer- Erfreulich ist für den VPOD die sehr deutli- erfreulich. Es war befürchtet worden, dass ein reform verworfen wurde, die eine Senkung der che Zustimmung zum neuen Waffenrecht. eigentlicher Dammbruch stattfinden könnte, Sätze von 21 auf 13 Prozent und damit Steuer- Und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen wenn der erste Kanton sich von den SKOS-Richt- ausfälle in der Grössenordnung von 90 Millionen wird damit die Sicherheit im öffentlichen linien verabschiedet. Jetzt ist das Schlimmste Franken jährlich gebracht hätte. In Genf wurde Raum verbessert; davon profitieren auch die einstweilen verhindert (allerdings wurde der eine mit sozialen Wohltaten versüsste Senkung Beschäftigten im Service public, die Sozial- Volksvorschlag, der eine Erleichterung für älte- der Unternehmenssteuern dagegen gutgeheis- arbeiterin oder der Buschauffeur, die häufig re Sozialhilfebeziehende gebracht hätte, eben- sen. Das baselstädtische Stimmvolk entschied, mit Gewalt oder Gewaltdrohung konfrontiert falls abgelehnt). Ausruhen kann sich der VPOD die Steuern für Topverdienende anzuheben – sind. Und zweitens ist das Ja auch ein Votum nicht: In Kantonen wie Aargau und Baselland auch das entspricht der Politik des VPOD. | vpod für Europa, das klarste seit längerer Zeit. Juni 2019 5
VPOD | Frauenstreik Was läuft in den VPOD-Branchen? Wenn Frau will . . . Frauenstreik konkret: Was läuft am 14. Juni in den VPOD-Branchen? Und welche Ziele verfolgen die Aktivistinnen in ihrem Bereich? Versuch einer Übersicht . . . | Text: Natascha Wey, VPOD-Zentralsekretärin (Foto: Annette Boutellier) Sehr aktiv werden am 14. Juni der Kinderbe- bis Oberstufe wird an verschiedenen Orten Personal und bessere Betreuungsschlüssel. treuungs- und der Bildungsbereich sein: In gestreikt. Teilweise übernehmen männliche Auch in Basel und im Aargau werden ver- Bern etwa wollen die Betreuerinnen in meh- Lehrkräfte den Schulunterricht, oder Klassen schiedene Einrichtungen am Nachmittag reren Tagesschulen streiken, ihre Schichten werden zusammengelegt. Der VPOD Zürich ihre Tore schliessen, um auf die Unterfinan- werden von Männern aus anderen Tages- hat ein Streikpaket entworfen, das Streikko- zierung und die fehlende Wertschätzung im schulen übernommen. Diese Frauen haben mitee Bildung der Region Zürich ruft zur Bereich der Kinderbetreuung aufmerksam zu sich aufgrund des VPOD-Online-Aufrufs ge- Teilnahme am Streik auf und hat einen offe- machen. meldet und sich zu einer aktiven Gruppe zu- nen Brief an die Bildungsdirektion verfasst. Auch das Gesundheitswesen ist in Bewe- sammengeschlossen. Ihre Hauptforderung: gung. In mehreren Spitälern sind Protest- Lohntransparenz! Es soll erkennbar sein, wer Feierabend um 15.24 Uhr pausen geplant, Streikcafés werden eröffnet. wie eingestuft wird und wie die jährlichen Ähnlich argumentieren die Fachpersonen Einiges wird allerdings erst am Tag selber Lohnerhöhungen verteilt werden. Zudem aus den Zürcher Kitas und Horten, die sich kommuniziert. Sicher ist, dass die Frauen in stimmen die Löhne insgesamt nicht mit der zu einem grossen Treffen in der Bäckeranla- der Psychiatrie Münsingen streiken werden. Verantwortung überein, welche die Beschäf- ge versammeln werden. An vielen Orten in Dort übernehmen ebenfalls Männer ihre tigten in dieser Branche tragen. Es braucht Zürich werden am Nachmittag die Kitas und Schichten. Sie werden gut sichtbare Solidari- eine Aufwertung der Betreuungsarbeit. Dafür Horte geschlossen; für Kinder, welche nicht täts-Aufkleber tragen mit der Aufschrift «Ich gibt es auch in Basel und in Zürich Streiks früher abgeholt werden können, wird ein Mi- arbeite, damit meine Kollegin streiken kann». in der schulergänzenden Kinderbetreuung. nimaldienst aufrechterhalten. Um 15.24 Uhr Im Demenzzentrum Schönberg ist ein Aus- Natürlich ist auch dort überall dafür gesorgt, wird in der Bäckeranlage Zvieri gegessen. Die flug geplant – mitsamt den Patientinnen geht dass die Kinder nicht unbetreut bleiben. Betreuerinnen fordern eine bessere Finan- es zu einem Streiktreffpunkt. Bei den Lehrpersonen in Zürich ist eben- zierung durch die öffentliche Hand, bessere Der VPOD hat sich auch mit Briefen an die falls vieles in Bewegung. Von Primarschule Rahmen- und Arbeitsbedingungen für das Gesundheitsdirektionen und verschiedenen 6 Juni 2019
Frauenstreik | VPOD Spitalleitungen gewandt, um nachzufragen, sind Frühpensionierungsmöglichkeiten ab Hochschulmitarbeiterinnen, Verwaltungs- welche Gleichstellungsmassnahmen für die 60 ohne Rentenkürzung zu schaffen. angestellte, Lehrpersonen. Dabei geht auch besonders belasteten Berufe der Pflege und uns der Überblick fast ein wenig verloren . . . Betreuung geplant sind. Klar ist: Es braucht Schickt Bilder! Wir sind also selber sehr gespannt, was am mehr Wertschätzung, die sich durchaus auch Täglich erreichen uns weitere Mails mit Infos 14. Juni alles abgehen wird. Schickt uns auf in Geldwert ausdrücken muss. Es braucht ge- von Frauen, die in ihrem Betrieb eine Aktion jeden Fall eure Infos und Bilder, damit wir zielte Massnahmen für eine bessere Verein- oder einen Streik planen: Hebammenschü- daran teilnehmen und darüber online und im barkeit von Beruf und Familie. Ausserdem lerinnen, Spitexfrauen, Bibliothekarinnen, nächsten Magazin berichten können! Lohn, Zeit, Respekt: Auf zum Frauenstreik! Kanton Aargau 10.30 Uhr Kinderwagenumzug Weckruf (bringt vität en für alle, Aarau. 11 Uhr Rathaus Verkün- zum Bundesplatz (Treffpunkt Kissen). Ab 12 Uhr Reden. Ab 15 Uhr dung Manifest, bis 15.30 Uhr Bär*innengraben). 11 Uhr Lärm Streik*küche. 15.24 treffen die Frauen* Reden, Präsentationen, Bas- gegen Gewalt an Frauen* (Treff- Uhr Fairer Feier- aus Olten und Gren- teln, Streik*zmittag. 15.30 Uhr punkt Aarberggasse). 11–23 Uhr abend. chen ein. 15.24 Uhr Schlossplatz Sitzstreik, Glocken- Grosse Schanze Reden, Musik Auftakt mit Pfeifen, geläut. 17.15 Uhr Demoumzug und Poetry Slam. 15 Uhr Kleine Kanton Pfannendeckeln ab Schlossplatz, 18 Uhr Kundge- Schanze Picknick (selber mitbrin- Schaffhausen und dergleichen. bung, ab 19 Uhr Musik, Essen, gen). 15–17 Uhr Programm auf Schaff hausen. Ab Singen. 17.30 Uhr Trinken. dem Bundesplatz. 16 Uhr Heilig- 10.30 Uhr Fron- Kreuzackerplatz Ab Bad Zurzach. 11–15.30 Uhr geistkirche Frauen*kirchenstreik. wagplatz. 12 Uhr schlussrede. Streik*zmittag, Musik, Spiele, 17.30 Uhr Demo. 18.30 Uhr Rede Nella Ma- Manifest, Kinderbetreuung. Kundgebung. Weitere Aktionen rin (VPOD). 13 Uhr Rhybadi Kanton St.Gallen Baden. 7.30 Uhr Ref. Kirch- in den Quartieren. Equal-Pay-Schwumm (mit dem St. Gallen. 11 Uhr Marktgasse gemeindehaus Sonnengrüs- Kehrsatz. 10 Uhr Blumenhof Pussyhat das Mannehägli hi- Startaktion. 11–19 Uhr Zelt, Bar, se. 10 Uhr Sternmarsch aus Streik*treffpunkt. 13.30 Uhr Um- nunterschwimmen). 14 Uhr Essen, Programm. Ab 14.51 den Quartieren. 11 Uhr Stadt- zug durchs Dorf. Fronwagplatz T heater zum Marsch zum Marktplatz/Vadian- haus Übergabe Manifest. 12 Köniz. 9–11 Uhr Heitere Fahne Frauen*streiktag. 14.45 Uhr Rede platz. 15.24 Uhr Beginn Kundge- Uhr Ref. Kirchgemeindehaus Wabern Brunch, danach gemein- Doris Schüepp (VPOD). 15.15 Uhr bung. Streik*zmittag. sam nach Bern. 9–11.30 Uhr Lie- Rede Susi Stühlinger (AL, ehem. Brugg. 11.30–15 Uhr Neumarkt- befeldpark Streik*picknick. VPOD-Kolumnistin). 15.40 Uhr Kanton Thurgau platz und Odeon Männer kochen Langenthal. 11–15 Uhr Marktgasse Demo durch die Altstadt zum Frauenfeld. 12 Uhr vor Regie- Streik*suppe. Musik, Rede, Mani- Reden, Unterhaltung und Ver- Mosergarten, dort Info- und Ver- rungsgebäude Übergabe der festverlesung. pflegung, danach gemeinsam pflegungsstände, Spiele, Singen, Botschaften an Regierungsrat. Lenzburg. 11–14 Uhr Metzgplatz nach Bern. Austausch, Aktion. Marsch zum Bahnhof. 13.12 Uhr Streikzmittag, Spaziergang, Mu- Neuenegg. 6.45 Uhr Dorfplatz Abfahrt nach Weinfelden. sik, Aktivitäten. Trottoirkaffee. Tassen und Klapp- Kanton Schwyz Weinfelden. 13.30 Uhr Marktplatz Rheinfelden. 13.30–18 Uhr Markt- stühle mitbringen. Ibach. 16.30 Uhr Verenasaal Frau- Treffpunkt. 14.05 Abfahrt nach gasse und beim Rathaus Mani- Wohlen bei Bern. 14 Uhr Kipfer- enparlament und Übergabe For- St.Gallen. fest, Kaffeepause, Tanz, Film, haus Hinterkappelen Besamm- derungskatalog an Regierungsrat. Lesung (ohne Essen!). lung mit Apéro. 16 Uhr Postauto 17.30 Uhr Tischmesse mit kant. Kanton Wallis Rudolfstetten. 11–15.30 Uhr Pfar- zum Bundesplatz. Frauenorganisationen. 18 Uhr Brig. Programm folgt. reizentrum Streik*kafi. Glocken- Frauenbier und Abendessen. 19– geläut. Kanton Glarus 24 Uhr Frauen*fest mit Live-Acts. Kanton Zürich Wittnau. 11–14 Uhr Gemeinde- Glarus. 11 Uhr Volksgarten Mu- Schwyz. Ab 11 Uhr I de Fabrik Zürich. Ab 12 Uhr wird der Helve- haus Streik*zmittag, Wähen tei- sikalischer Empfang. 12 Uhr Streik*suppe. 13.15 Uhr «Em- tiaplatz bespielt und bestreikt. Ab len, Sitzstreik, offenes Mikrofon, Reden: Zita Küng u. a. 13.30 Uhr brace» (Film). Ab 15 Uhr Be- 15 Uhr Bühnenprogramm (Re- Diskussion Manifest. Übergabe der Forderungen an sammlung Hauptplatz. 15.30 Uhr den, Musik, Streik*lieder usw.). Wohlen. 10–16 Uhr Bleichi den Regierungsrat. Kundgebung. 15.45 Uhr Gemein- 16.30 Uhr Spaziergang zum Streik*zmittag, Reden u. v. m. samer Marsch nach Schwyz. Hauptbahnhof. 17 Uhr Haupt- Zof ingen. 11–15 Uhr Markthalle Kanton Graubünden bahnhof Demonstration zum Streikprogramm und Risotto. Chur. 10–20 Uhr Alexanderplatz Kanton Solothurn Helvetiaplatz. Ab 18 Uhr Helve- Verpflegung, Musik und Stras- Grenchen. 10–15 Uhr Märet tiaplatz Reden, Konzerte, Aktio- Kanton Basel-Stadt sentheater. 15.30 Uhr Kornplatz Frauen*streikstand. 14 Uhr Ab- nen. Basel. 11 Uhr dezentrale Aktio- Start Frauenpower-Marsch. 17 fahrt nach Solothurn. Stadelhoferplatz Gemeinsame nen. 15.24 Uhr Arbeitsniederle- Uhr Alexanderplatz Aktionsstun- Olten. Ab 11 Uhr Kirchgasse Pin- Aktion von Autorinnen und gung, Besammlung Theaterplatz. de. kes Risotto oder eigenes Picknick Buchhändlerinnen, Protestpause, 17 Uhr Demo ab Theaterplatz. Domat-Ems. 11.45 Uhr Sentupada (Geschirr mitbringen). Offenes Kurzlesungen, musikalische Akti- 19 Uhr Afterparty im Humbug. Frauen*zmittag auf dem Dorf- Mikrofon, Aktivitäten für alle. on «Der literarische Kanon». platz, anschliessend gemeinsam 13 Uhr Frauen*kraftlieder singen Klitoriswanderung ab Hardbrü- Kanton Bern nach Chur. mit Claudia Böni Glatz. 15.02 Uhr cke. Bern. 9 Uhr Innenstadt Stern- Abfahrt nach Solothurn. 8 Uhr Bucheggplatz Wir menst- marsch der Berner Kulturins- Kanton Luzern Solothurn. Ab 11 Uhr Kreuz ruieren auf das Patriarchat (Akti- titutionen. 9 Uhr Mittelstrasse Luzern. Ab 10 Uhr Besammlung ackerplatz Chaosbuffet (Essen on mit Kreide von aktivistin.ch) 43 Streik*zmorge. 9–14.30 Uhr auf dem Theaterplatz (liegt be- und Geschirr mitbringen). Sieb- Bundesplatz Aktion Weltentuch. quem, bringt Kissen). 11 Uhr druck, offenes Mikrofon, Akti- Alles aktuell unter www.14juni.ch Juni 2019 7
VPOD | Arbeitsmarkt Bundesrat ergreift Massnahmen gegen die Probleme der älteren Arbeitnehmenden Besserer Übergang Der SGB und der VPOD anerkennen: Wichtige Fortschritte für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat der Bundesrat jetzt auf den Weg gebracht. Ein Teil der Massnahmen ist aber zu zaghaft. | Text: SGB und VPOD (Foto: wichianduangsri/iStock) Von den neuen Massnahmen des Bundes- rates stösst namentlich die Überbrückungs- rente auf den Beifall der Gewerkschaften: Sie gibt älteren ausgesteuerten Arbeitslosen neu eine gewisse Sicherheit und verhin- dert deren Abgleiten in die Sozialhilfe. Und sie sorgt dafür, dass die Betroffenen nicht schon vor dem ordentlichen Rentenalter auf ihre Altersvorsorgeguthaben zurückgreifen müssen. Der SGB bedauert allerdings, dass diese Massnahme erst ab 60 und nicht bereits ab 58 Jahren gilt und dass der Bundesrat beim Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmen- de keine Verbesserungen vorschlägt. Immer- hin: Die Überbrückungsrente trägt dazu bei, dass weniger Menschen in der Sozialhilfe landen, die dort nicht hinpassen, weil für sie die Wiederintegration ins Erwerbsleben nur Eine Brücke – hier die goldene Brücke von Đà Nẵng, Vietnam – noch theoretischer Natur ist. will der Bundesrat älteren Beschäftigten bauen. Richtige Richtung von Aus- und Weiterbildungen, Impulspro- 2024 befristete Paket gehört in den Kontext Weitere Massnahmen im Bereich der Ver- gramm, Ausbau der RAV-Beratung, besserer der Stärkung des inländischen Arbeitskräf- mittlung und der Aus- und Weiterbildung Zugang zu Bildungs- und Beschäftigungs- tepotenzials und ist damit auch ein Stück gehen, wenn auch zu zaghaft, in die richtige massnahmen für Ausgesteuerte. Europapolitik. Die Massnahmen kosten rund Richtung, die auch von der VPOD-Verbands- Wie der Bundesrat bekanntgibt, lassen sich 300 Millionen Franken. Der SGB ergänzt kommission Sozialbereich skizziert wurde: die Massnahmen – mit Ausnahme der Über- sein Communiqué um die Feststellung, dass kostenlose Standortbestimmung, Potenzial- brückungsrente – ohne Gesetzesänderung das Rahmenabkommen trotz dieses sozialpo- analyse und Laufbahnberatung für Arbeit- realisieren (zur Überbrückungsleistung gibt litischen Entgegenkommens weiterhin abge- nehmende ab 40, konsequente Anrechnung es eine Vernehmlassung). Das gesamte, bis lehnt wird. Gutachten belegt: Arbeitsgesetz gilt auch im Privathaushalt Im Auftrag des VPOD hat der Basler Rechtspro- Seit Jahren kämpft der VPOD mit seinem Netz- sozialer Isolation führt. Tägliche verbindliche fessor Kurt Pärli die Frage nach der Anwend- werk Respekt für würdige Arbeitsbedingungen Ruhezeiten ohne Rufbereitschaft und eine faire barkeit des Arbeitsgesetzes auf Arbeitstätig- in der Betagtenbetreuung in Privathaushalten. Entlöhnung der Arbeits- und Präsenzzeiten sind keiten in Privathaushalten begutachtet. Sein 24-Stunden-Betreuung ist hochproblematisch, für würdige Arbeitsbedingungen elementar. Laut Fazit: Personalverleiher, die Arbeitnehmende weil sie die Betreuenden zeitlich und damit auch Kurt Pärli müssen sich Personalverleiher, die Ar- in Privathaushalte schicken, müssen sich an das körperlich und psychisch überbeansprucht. Typi- beitnehmende in Privathaushalte vermitteln, an Arbeitsgesetz halten. scherweise sind die Betreuerinnen – häufig aus das Arbeitsgesetz halten. Dies würde verbindli- Der Grossteil der Arbeitsverhältnisse in der Ostmittel- oder Osteuropa stammende Frauen – che Ruhe- und Höchstarbeitszeiten bedeuten. 24-Stunden-Betagtenbetreuung verletzt also mehrere Wochen lang rund um die Uhr für die Der VPOD ist erfreut, dass nun auch rechtlich be- das Arbeitsgesetz. Auch das Nachrichtenmaga- betagten Menschen im Einsatz. Während dieser stätigt wird, was er seit Jahren einfordert. Das zin «10 vor 10» berichtete jüngst über die ver- Zeit werden ihnen in der Regel lediglich 4 bis Gutachten hat Signalwirkung und bringt bessere breiteten Missstände. 5 Stunden Freizeit pro Woche gewährt, was zu Arbeitsbedingungen in Griffnähe! | vpod 8 Juni 2019
Arbeitsrecht | VPOD 100-Jahr-Jubiläum der ILO wird gross gefeiert – aber von Peinlichkeit überschattet Schweiz auf schwarzer Liste Die älteste UNO-Organisation, die ILO (International Labour Organisation) wird 100. Die Schweiz als Erstunterzeichnerin und Gaststaat feiert mit (siehe Kasten). Und gerät selber auf eine schwarze Liste mit Ländern wie Weissrussland und Sierra Leone. | Text: Luca Cirigliano, SGB-Zentralsekretär (Briefmarke: Schweizerische Post) 100 Jahre Völkerrecht für die Arbeitnehmen- zu ändern, weil die dortige wie Sierra Leone, Tadschikis- den: Die Internationale Arbeitsorganisation Bestimmung der ILO-Kon- tan und Weissrussland befin- ILO (oder IAO) feiert dieses Jahr Geburts- vention 98 nicht entspricht. det, ist aus der Sicht des SGB tag. Die Schweiz war bei der Gründung nach Die heute maximal möglichen eine Blamage. Bundesrat und dem Ersten Weltkrieg mit dabei. Und sie ist mickrigen 6 Monatslöhne an Parlament sind aufgefordert, Gaststaat, denn die ILO hat ihren Sitz in Genf Entschädigung reichen nicht nun rasch Abhilfe zu schaf- und ist dort die grösste UN-Arbeitgeberin der für einen effektiven Schutz fen. Die Vorlage des Bun- Stadt. Die Schweiz bewirbt sich dieses Jahr der Arbeitnehmenden aus. In desrats zu Whistleblowing um das Präsidium der Arbeitskonferenz, der Realität sind es oft nur 2 bringt, wie auch eine ILO- wo es um sehr viel gehen wird. Kurz: Die bis 3 Monatslöhne, die grösse- Vertreterin der Rechtskom- Schweiz engagiert sich stark im Rahmen des re Firmen aus der Portokasse mission des Nationalrats er- Jubiläums (siehe Kasten). zahlen können. Die ILO verlangte damals, die läuterte, keine Verbesserung, im Gegenteil. maximale Entschädigung auf 12 Monatslöh- Die Kommission nimmt diese Einschätzung Aus der Portokasse ne anzuheben und für extreme Fälle auch die ernst und will die Vorlage nun versenken, Umso wichtiger ist es, dass die Schweiz das Wiedereinstellung vorzusehen. was erfreulich ist. Völkerrecht, die Grundrechte, welche von der Nichts geschah. Jetzt, kurz vor dem Jubilä- Der Handlungsbedarf aber bleibt. Es darf ILO statuiert werden, auch umsetzt. Das ist um, ist die Schweiz auf die schwarze Liste nicht sein, dass die Schweiz von ihr ratifizier- bis heute nicht der Fall – im Gegenteil: Die mit den 40 bedenklichsten Fällen von Verlet- te Menschenrechte und ILO-Empfehlungen ILO hat die Schweiz bereits 2004 aufgefor- zungen der ILO-Konventionen gesetzt wor- jahrzehntelang ignoriert. Höchste Zeit für dert, den Schutz vor missbräuchlicher Kün- den. Dass die Schweiz auf diese Liste geraten Bundesrat und Parlament, über die Bücher digung in Art. 336a des Obligationenrechts ist, wo sie sich in Gesellschaft von Ländern zu gehen. Bäume und Briefmarken Mit einem feierlichen Akt im Beisein der Sozial- heiten der ILO in Auftrag gegeben worden ist. Uber, die ihr Businesss-Modell und ihre astro- partner hat die Schweiz im Mai der ILO ihr of- Deren Fazit: Es braucht mehr Rechte für Arbeit- nomischen Gewinnversprechen nur einhalten fizielles Jubiläumsgeschenk übergeben: einen nehmende und einen stärkeren Kampf gegen können, wenn sie Arbeitnehmende nicht ver- Platz mit Bäumen. Letztere symbolisieren den die digitale Schwarzarbeit. Arbeitgeber wie sichern, haben keine Zukunft. | sgb (Foto: sgb) Schutz, der in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung so wichtig ist wie eh und je. Am Feiern 100 Jahre ILO (von links): Luca Cirigliano (SGB), Alessandro Pelizzari (Gewerk- Festakt anwesend waren unter anderen auch schaftsbund Genf), Adrian Wüthrich (Travail Suisse), Antonio Guterres (UNO-General- sekretär), Pierre-Yves Maillard (SGB-Präsident), Guy Ryder (ILO-Generaldirektor). der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, der ILO-Generaldirektor Guy Ryder sowie der neue Präsident des SGB, Pierre-Yves Maillard. Die Schweiz schenkt aber nicht nur die Piazza, sondern auch eine Jubiläumsbriefmarke der Schweizerischen Post (Bild oben). Das Post- wertzeichen stellt den Tripartismus dar, also die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitgebern und staatlichen Organen bei der Gestaltung der Arbeitswelt. Um Tripartismus geht es auch in einer Studie, welche von der Schweiz und der Eidgenössi- schen Tripartiten Kommission für Angelegen- Juni 2019 9
VPOD | Aus den Regionen und Sektionen Von St. Gallen lernen? Elektronische Steuererklärung. Von Zürich lernen? Umkleidezeit ist Arbeitszeit. In Zürich wird Umkleidezeit Arbeitszeit . . . Die Forderung des VPOD, dass Umkleidezeit in den Spitälern end- lich als Arbeitszeit angerechnet wird, setzt sich zunehmend durch. Am Universitätsspital Zürich (USZ) hat der VPOD bisher für 100 An- gestellte Lohnforderungen für die letzten 5 Jahre erhoben. Das USZ hat derweil einen Vorschlag gemacht, wie eine Regelung ab 1. Januar 2019 aussehen könnte. Eine Mitgliederumfrage wird Aufschluss ge- ben, in welcher Form der VPOD darauf eintritt. Das Kantonsspital Winterthur dürfte seine Praxis mit dem USZ koordinieren. Weniger rasch geht es bei den Regionalspitälern Limmattal und Bülach, die sich vorerst taub stellen. Bei den Umkleidezeiten fällt häufig, zumal in weitläufigen Anlagen, auch die interne Wegzeit stark ins Gewicht, die bisher ebenfalls nicht angerechnet wurde. | vpod . . . in St. Gallen noch nicht In St. Gallen zeigt sich die Regierung nicht bereit, auf das Thema «Umkleidezeit ist Arbeitszeit» einzutreten, das von Kantonsrätin und VPOD-Kollegin Monika Simmler (SP) auf den Tisch gebracht wurde. Es sei «keine gelebte Praxis», begründet die Regierung ihre Antwort. Schaffhausen: Steuern nicht privat scannen Sie gibt damit offen zu, dass sie das Arbeitsgesetz eher als nette Emp- Auch im Kanton Schaffhausen soll man künftig die Steuererklärung fehlung denn als zwingende Bestimmung auffasst. Auch der Pflege- elektronisch abgeben können. Das ist Service public und gut so. We- verband SBK stärkt peinlicherweise der Arbeitgeberseite den Rücken: niger gut war die Idee, die Umsetzung mit gewinnorientierten Privat- Die Forderung sei kurzfristig und isoliert. Kurzfristig? Die St. Galler unternehmen zu planen. Das Scanning der Akten (das nötig ist, weil Spitäler sind seit 2002 dem Arbeitsgesetz unterstellt . . . Der VPOD viele Steuerpflichtige trotzdem noch Papier abgeben) war ausgeschrie- wird sich auch im Kanton St. Gallen für eine gesetzeskonforme Lö- ben worden, nachdem eine erste Einschätzung vom Aufbau eines kan- sung einsetzen. | vpod (Foto: Vladimir Zapletin/iStock) tonalen Scanningcenters abgeraten hatte. Der VPOD hat umgehend protestiert: Es handelt sich um eine hoheitliche und äusserst sensible Basel: Kein Fortschritt in Praktikumsfrage Aufgabe, die nicht in die Hände von Privaten gehört. Schon gar nicht In Basel gibt es zwar ein neues Kita-Gesetz, aber in der Frage der in die Hände einer Branche, aus der Temporäranstellungen und Ar- Praktikantinnen bleibt alles beim Alten. Einmal mehr zeigt sich, dass beit auf Abruf bekannt sind. Wenn Schaffhausen zu klein ist für ein der Ausbau der Tagesbetreuung von den bürgerlichen Parteien über- eigenes Zentrum, kann es sich mit einer grösseren Stadt oder einem all zulasten des Personals geplant wird. Die Unterfinanzierung der Kanton in der Nachbarschaft zusammentun. Mit seiner Warnung – Branche soll offenbar auch in Basel weiterhin durch unausgebildete auch davor, dass einmal Ausgelagertes dereinst nur schwer in die öf- und empörend schlecht entschädigte Praktikantinnen und Praktikan- fentliche Hand zurückgeführt werden kann – hatte der VPOD im Kan- ten aufgefangen werden, die mit der vagen Hoffnung auf eine Ausbil- tonsrat Erfolg. Dieser hat eine Denkpause verfügt und das Geschäft an dungsstelle ausgebeutet werden. | vpod die Kommission zurückgewiesen. | vpod (Foto: Ennio Leanza/Keystone) Waadt: Mehr Lohn im Gesundheitswesen gefordert Bundespersonal verlangt mehr Reallohn Im Kanton Waadt fordern fast 7000 Personen – das ist ein Drittel der Die Verhandlungsgemeinschaft Bundespersonal VGB, darin: der Beschäftigten – eine Anhebung der Löhne im Gesundheitsbereich. VPOD, hat sich mit Bundespräsident Ueli Maurer zu einer Ausspra- Kritisiert wird, auch vom VPOD, insbesondere die Situation in den che getroffen. Für 2020 fordert sie wenigstens 2 Prozent mehr Lohn Altersheimen und in den Regionalspitälern. «Ist es normal, dass eine für das Bundespersonal – und damit endlich wieder einmal ein Plus Pflegehelferin in einem Heim brutto nur 3748 Franken verdient – für beim Reallohn. Die ausgezeichnete Finanzlage des Bundes gibt dem einen Vollzeitjob?», fragt die Petition rhetorisch. Von den Tieflöhnen Bundesrat ausreichend Spielraum, den langjährigen problematischen sind überwiegend Frauen betroffen. Damit reiht sich der Aufruf auch Abwärtstrend jetzt endlich zu korrigieren. | vgb in die allgemeine Mobilisierung zum Frauenstreik ein. | slt 10 Juni 2019
Dossier: Krise der beruflichen Vorsorge Interview mit Urban Hodel, Geschäftsführer PK-Netz, über die aktuellen Probleme der beruflichen Vorsorge «Die zweite Säule nicht preisgeben» Höhere Beiträge, tiefere Renten: Die Pensionskassenwelt ist im Umbruch. Mit Urban Hodel, Geschäftsführer des gewerkschaftlichen PK-Netzes, erörtert das VPOD-Magazin Ursachen für und Strategien gegen die aktuelle Entwicklung. | Interview: Christoph Schlatter (Fotos: zVg und thomas-bethge/iStock) VPOD-Magazin: Die Renten aus der zweiten Urban Hodel (33), Säule sinken, gleichzeitig muss immer mehr Betriebs ökonom, war ursprünglich Zimmermann einbezahlt werden. Das macht Sorgen. und ist seit der Lehre aktiver Urban Hodel: Ein Desaster mit Ansage! Das Gewerkschafter. Seit 4 Jahren Kapitaldeckungsverfahren versinkt immer ist er Geschäftsführer des mehr in der Krise. Zu Recht setzen wir auf gewerkschaftlichen PK-Netzes. eine starke AHV. Trotzdem können wir die politischen Realitäten nicht ignorieren: Die mittleren Einkommen leben im Alter zur Hälfte aus der Pensionskasse. Hier stehen wir in der Verantwortung, die Interessen un- serer Mitglieder auch in der zweiten Säule zu verteidigen – jetzt mehr denn je. Schritt 1: Ursachenforschung. Als man die Pensionskassen erfand und als man 1985 das Obligatorium einführte, war mit Tiefzinsen, wie wir sie heute kennen, also mit dem Ausfall des «dritten Beitragszahlers», nicht zu rechnen. Die Tief- und Negativzinsen gehören zu den Massnahmen, mit denen die Nationalban- ken die Finanzkrise von 2008 zu bewältigen suchten. Aber es war zu keiner Zeit absehbar, dass der Zustand derart lange – nun schon mehr als ein Jahrzehnt – anhalten würde. Die Strategie ist aus der Optik der Geldpolitik nachvollziehbar. Aber sie hat inzwischen die Spätfolgen der Finanzkrise zahlen lassen Der stärkste Aufbau von Alterskapital findet berufliche Vorsorge in eine existenzielle Krise will. Da ist schon Zündstoff drin. im letzten Jahrzehnt vor der Pensionierung manövriert. Und ich glaube, dass die Politik Es gibt ja zwei Elemente, die die statt. Früher ging man davon aus, dass sich die Dramatik der Lage noch nicht in der gan- Rentenaussichten verdüstern. Der Aufbau das Kapital – Beiträge, Zins und Zinseszins zen Tragweite erkannt hat. des Alterskapitals verlangsamt sich. Und eingerechnet – in den letzten 10 Jahren ver- Die protestierenden Massen auf der die Umwandlungssätze sinken. Letzteres doppelt. Wenn aber statt 4 nur noch 1 Prozent Strasse sehe ich allerdings nicht. hat allerdings eher mit der steigenden Zins dazukommt, flacht sich der Zinseszins- Es zeichnet sich ab, dass Lebenserwartung zu tun effekt dramatisch ab. Bei der Pensionierung jene Generation, die in als mit dem schlechten ist also deutlich weniger Geld vorhanden. d e n n ä c h s t e n Ja h r e n «Dass die Beschäftigten Zinsertrag, oder? Und diese kleinere Summe wird dann auch in Pension gehen wird, allein für die Spätfolgen Die steigende Lebens- noch zu einem kleineren Umwandlungssatz deutlich tiefere Renten der Finanzkrise zahlen erwartung ist ein Fakt. in Rente verwandelt. Es schleckt es keine Geiss weg, dass derzeit bekommen wird, als ihr sollen, stösst zunehmend Aber die krasse Sen- über Jahre versprochen kung der Umwand- eine systemfremde Umverteilung in der worden sind. Sie werden auf Unverständnis.» lungssätze, wie wir sie zweiten Säule stattfindet: Heute Aktive es sich im Alter nicht heute erleben, ist nur zahlen für Rentnerinnen und Rentner, so gut gehen lassen können wie geplant. zu einem geringen Teil darauf zurückzufüh- statt ihr eigenes Kapital aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass es zunehmend auf ren, dass die Leute älter werden. In erster Ein grosser Teil dieser Umverteilung ist rein Unverständnis stossen wird, dass man die Linie ist sie dem unsicheren Anlageumfeld buchhalterisch und basiert auf sehr defensi- Arbeitnehmenden allein die Zeche für die geschuldet. Die Rechnung ist an sich einfach: ven Expertenannahmen. Ausserdem ist das Juni 2019 11
Dossier: Krise der beruflichen Vorsorge Bild, das derzeit in der Öffentlichkeit und den der Deutschschweiz längst erfolgt ist Das Bundesgericht hat klar gesagt, dass vari- Medien gezeichnet wird, schief. Die armen (und in der Westschweiz jetzt diskutiert able Renten nicht zulässig sind. Daher ver- Jungen würden die reichen Pensionierten wird), war ein Schritt in diese Richtung. suchen jetzt versicherungsnahe Kreise, die subventionieren? Falsch! Wirklich betroffen Absolut richtig. Das war, vor ungefähr 10, gesetzlichen Grundlagen zu verändern und sind die Arbeitnehmenden in den letzten 15 Jahren, die erste Welle der Individualisie- damit die letzten Garantien in der zweiten Jahren ihres Arbeitslebens, dann, wenn sie rung. Die ursprüngliche Sichtweise – zuerst Säule abzuschaffen. Als Hort dieser Idee gilt ein paar Hunderttausend Franken in der Pen- definiert man ein Leistungsziel, also eine das sogenannte Vorsorgeforum, ein Alther- sionskasse liegen haben. Wenn wir also von Ersatzquote, danach un- renclub aus Banken-, Umverteilung sprechen, dann läuft die von tersucht man, wie man Versicherungs- und Ar- den Älteren zu den Alten . . . dorthin gelangt – wird «In einer derart beitgebervertretern. Prä- Du beklagst aber ganz allgemein einen nur noch von wenigen individualisierten sident ist Toni Bortoluzzi Abbau von Solidarität in der zweiten Säule. Kassen gelebt. Heute Landschaft spielen die (SVP); er sitzt auch im Kadervertreter aus SVP, FDP und GLP ha- tut man vielerorts so, Initiativ-Komitee. Min- ben Lunte gerochen: Sie nutzen die Krise der als ob man vollkommen Solidaritäten nicht mehr.» destens ebenso gefähr- Tiefzinsphase für eine eigentliche Entsolida- machtlos den Wogen der lich sind die neuen Kon- risierungswelle. Sie wollen jetzt noch die letz- Kapitalmärkte ausgesetzt sei und keinerlei strukte, die immer grössere Teile der zweiten ten kollektiven Errungenschaften im System Instrumente zur Kurskorrektur besitze. Die Säule infiltrieren. Ich spreche von den bank- beseitigen. Sie wollen separate Vorsorgeplä- richtige Frage ist aber: Wer zahlt, wenn es und versicherungsnahen Sammelstiftungen. ne für die Spitzenverdienenden. Sie wollen so, wie’s geplant war, nicht reicht? Wer stopft Sie bieten kleinen und mittleren Unterneh- Wackelrenten fürs Volk, die vom Börsengang die Löcher? men extrem individualisierte Vorsorgepläne abhängig sind. Aus einer Sozialversicherung Derzeit debattiert wird die erwähnte an und versprechen ihnen das Blaue vom soll ein privates Sparkässeli werden, getreu Wackelrente, welche die Rentenhöhe Himmel. Das tun sie nicht aus Nächstenlie- dem Motto «Jeder für sich». von der Börse abhängig machen würde. be, sondern weil sie Geld verdienen wollen, Aber die Entwicklung von einer Dafür gibt es einen parlamentarischen und sie verdienen mehr, je individualisierter kollektiven zu einer individuellen Sicht Vorstoss des GLP-Nationalrats Thomas alles ist. Damit bekommen wir eine so klein- ist ja nicht neu. Schon der Wechsel vom Weibel. Zugleich werden Unterschriften teilige Landschaft, dass die Solidaritäten gar Leistungs- zum Beitragsprimat, der in für eine Volksinitiative gesammelt. nicht mehr spielen können. Wenn alle unter- Broker-Unwesen: Bundesrat will endlich eingreifen Der Bundesrat anerkennt, dass es bei der heu- (Risikoselektion) in der beruflichen Vorsorge se Prämien bemessen sich meistens nach dem tigen Entschädigung der Vermittlerinnen und noch verstärken.» Vertragsvolumen (Beschäftigtenzahl, versicher- Vermittler von Pensionskassen grosse Inter- Das PK-Netz begrüsst diese Stellungnahme und te Lohnsumme), und in vielen Fällen sind es essenkonflikte gibt. In seiner Antwort auf eine hält fest, dass Retrozessionen bei der priva- keine einmaligen Zahlungen: Oft erhalten die Interpellation von Nationalrat Mathias Reynard ten Vermögensverwaltung vom Bundesgericht Maklerinnen und Makler während der ganzen (SP, Wallis) schreibt er: «Im Gegensatz zu an- längst untersagt worden sind. Nur im Vorsor- Vertragsdauer jedes Jahr Geld – aus dem Ver- deren Versicherungsbranchen sind die in der gegeschäft läuft die Praxis munter weiter: Bro- mögen, das eigentlich den Versicherten gehört. beruflichen Vorsorge an Versicherungsmakler ker werden nicht etwa durch die Arbeitgeber Jahr für Jahr fliessen so rund 300 Millionen gezahlten Kommissionen tatsächlich problema- bezahlt, die sie beauftragen, sondern leben Franken aus dem System ab. tisch. Denn dadurch können auch Fehlanreize von Prämien, welche die Pensionskassen als Urban Hodel, PK-Netz-Geschäftsführer, betont: entstehen, die die bestehenden Verzerrungen Folge der Vertragsunterzeichnung zahlen. Die- «Unabhängig kann nur beraten, wer auf Hono- rarbasis entschädigt wird. Der heutige Basar, Aus der zweiten Säule werden wo Versicherte an den Meistbietenden verscha- jährlich 300 Millionen Franken chert werden, ist einer Sozialversicherung un- durch Broker abgezweigt. würdig.» Hodel fordert die Politik auf, rasch zu handeln. Anzupassen wäre namentlich Artikel 48k der BVV 2. Aus der Praxis kommt beispiels- weise der Vorschlag, volumenabhängigen Ent- schädigungen oder Kommissionen zulasten der Vorsorgeeinrichtungen allgemein zu verbieten, wenn ein Versicherungsmakler im Namen des Arbeitgebers handelt. Der Bundesrat scheint in diese Richtung gehen zu wollen. | vpod (Foto: Yurchello108/iStock) 12 Juni 2019
Dossier: Krise der beruflichen Vorsorge Immer individueller, immer weniger kollektiv: Der Charakter einer Sozialversicherung geht der zweiten Säule zunehmend verloren. schiedlich aufgestellt sind, unterschiedliche können. Die geldpolitische Grosswetterlage Um eine Umlagekomponente kommen wir Anlagestrategien gefahren, unterschiedliche können wir schwerlich beeinflussen. auch in der beruflichen Vorsorge nicht her- Risiken eingegangen sind, wird das kollektive Nirgends sind die Mitsprachemöglichkeiten um. Das gäbe uns auch die Chance, die Um- Prinzip unterminiert. grösser als in der beruflichen Vorsorge. Wir verteilung sozialpolitisch besser zu steuern. Kommt dazu, dass auch die Parität nicht mehr müssen sie nur nutzen – und so die Kontrol- Denn heute profitieren die hohen Einkom- richtig funktioniert. Und dass geldlüsterne le zurückgewinnen. Wir können den Mitglie- men auf der ganzen Linie. Broker werbend durch die Lande ziehen. dern in den Betrieben aufzeigen, dass sich Du hast es eingangs schon gesagt: Es werden masslos Gebühren und Gewinne kollektives Handeln lohnt, gerade hier. Wir Die Forderung nach einer Stärkung der abgezweigt. Und ja, die Versicherungsver- können und müssen in den Vorsorgekom- ersten Säule bleibt richtig. Viele mittler, die sogenannten Broker, «beraten» missionen Sozialpolitik betreiben und dort Beschäftigte, die auf ihrem Lohnausweis Arbeitgeber, die auf der Suche nach der rich- das fiese Prinzip «Wer hat, dem wird gege- die Abzüge für die AHV und die Abzüge für tigen Pensionskassenlösung sind. Dieses Pro- ben» durchkreuzen, et- die Pensionskasse sehen, blem ist schon lange bekannt; jetzt will der wa indem wir uns gegen würden lieber Bundesrat endlich intervenieren. die Diskriminierung von «Eine Umlagekomponente all dieses Geld per Aber es war halt von Anfang so angelegt, Teilzeitarbeit einsetzen. sofort in die AHV lässt sich in der zweiten dass die Privatassekuranz auf dieser Vielen Leuten ist gar stecken. Was sagen Pensionskassenparty mitmachen und nicht bewusst, dass wir Säule nicht vermeiden. wir ihnen? auch private Gewinne abzweigen darf. da auch auf der Ebene Aber sie bietet auch sozial- Die Stärkung der AHV Man ist davon ausgegangen, dass die paritäti- Betrieb kämpfen kön- politische Chancen.» ist und bleibt eine richti- sche Entscheidungsfindung hier ein Korrek- nen. Wir müssen uns ge Forderung, auch wenn tiv darstellt. Und den VPOD kann ich da auch auch schützend vor die die Bürgerlichen mehr- aus voller Brust loben: Er kämpft wie ein Lö- Pensionierten stellen und klarmachen: Nicht fach armierte Betonwände errichtet haben ge- we für eine starke Vertretung in der berufli- sie sind das Problem. Schuld an der Misere gen jeglichen Ausbau. Trotzdem dürfen wir chen Vorsorge. In anderen Branchen steht es sind vielmehr die Kapitalmärkte und die Poli- die zweite Säule nicht kampflos preisgeben. weniger gut. Oft besteht eine Scheinparität: tik. Letztere sucht ihre Lösungen noch immer Wir müssen dort unseren Einfluss nutzen, Es sitzen Personalchefs und andere Direkti- viel zu billig auf dem Rücken der Versicher- um den Pensionskassen ihren ursprüngli- onsmitglieder als angebliche Arbeitnehmer- ten. Dagegen müssen wir antreten. chen Charakter als Sozialversicherung zu- vertretungen in den Stiftungsräten. Konkreter? rückzugeben, und wir müssen neue soziale Damit sind wir jetzt bei der Frage, was Es sind auch unorthodoxe Massnahmen nö- Fortschritte einbauen. Das ist eine unserer wir Gewerkschaften denn überhaupt tun tig, damit sich das Rentenniveau stabilisiert. Kernaufgaben als Gewerkschaften. Juni 2019 13
Dossier: Krise der beruflichen Vorsorge 5 Jahre nach der Verselbständigung: Die Situation der öffentlich-rechtlichen Pensionskassen Unwirtliches Umfeld Die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen wurden mit ungenügender Kapitalausstattung in die Selbständigkeit entlassen. Dafür mit einigen Altlasten. | Text: Jorge Serra, VPOD-Zentralsekretär (Foto: tomazl/iStockphoto und Ahkka/Photocase.de) Seit 2014 gelten für die öffentlich-rechtlichen Deckungsgrad von lediglich 80 Prozent vor. nanzierung, weil das einfach zu teuer schien, Pensionskassen grundsätzlich die gleichen Seit 2014 gilt das neue Recht. und hoffte in der Folge auf ein Wunder an den Vorschriften und Auflagen wie für die privat- Was ist seither geschehen? Und wo stehen die Finanzmärkten. Damit begingen Bundesrat rechtlichen. Sie müssen bei Unterdeckung öffentlich-rechtlichen Kassen heute? Über 70 und Parlament die gleichen Fehler, die sie zu- Sanierungsmassnahmen ergreifen, und sie öffentlich-rechtliche Pensionskassen wurden vor den unselbständigen öffentlich-rechtlichen sind gezwungen, ihre Grundlagen (Um- in die Selbständigkeit entlassen, meistens Kassen vorgeworfen hatten, nämlich die Haus- wandlungssatz und technischer Zinssatz) an wurden Stiftungen gegründet. Diese werden aufgaben nicht zu machen und nur auf wohl- das aktuelle Zinsumfeld und die steigende seither paritätisch verwaltet, was ein Vorteil wollende Finanzmärkte zu hoffen. Lebenserwartung anzupassen. Das hört sich ist und die Sozialpartnerschaft stärkt. Zuvor einfach an, ist aber eine Herkulesaufgabe. waren, wegen der bestehenden Staatsgaran- Auch 100 Prozent reichen nicht Denn bis vor wenigen Jahren galt für die öf- tie und der Integration in die Verwaltung, die Fairerweise sei gesagt, dass viele Kantone und fentlich-rechtlichen Pensionskassen ein ganz politischen Behörden (meistens Exekutive) Gemeinden viel Geld in ihre Vorsorgewerke anderes Regime. abschliessend zuständig. Und diese hatten einschossen. Die BVK des Kantons Zürich bei der Verwaltung der Vorsorgemilliarden erhielt 2 Milliarden Franken, im Kanton So- 10 oder 40 Jahre Zeit? nicht nur das Wohl der Versicherten und der lothurn floss 1 Milliarde, der Kanton St. Gallen Bis Ende 2013 konnten öffentliche Kassen, Pensionierten im Auge. In den 1990er Jah- brachte 300 und die Stadt Winterthur 150 Mil- wenn ihr Deckungsgrad unter 100 Prozent ren, als es an der Börse nur aufwärts ging, lionen Franken auf. All diese Beträge wurden sank, anders als die privatrechtlichen auf Sa- griff so manche Exekutive in «ihre» prallge- im Verlauf des Jahres 2013 an Urnengängen nierungsmassnahmen verzichten. Grund: die füllte Pensionskasse, um ihre klamme Staats- mit teilweise deutlichem Mehr angenommen. sogenannte Perennität, also die Annahme, kasse zu sanieren. Ein unrühmliches Beispiel Mit diesen finanziellen Einmaleinlagen ka- dass die Verwaltung ewig bestehen werde und ist die BVK, die «Beitragsferien», also die Fi- men per 1. Januar 2014 viele – aber nicht al- die öffentliche Hand nicht in Konkurs gehen nanzierung der Beiträge durch die Kasse sel- le – Kassen auf einen Deckungsgrad von 100 könne. Die meisten öffentlich-rechtlichen ber statt durch Arbeitgeber- und Arbeitneh- Prozent. Was notabene ungenügend ist, weil Pensionskassen in der Westschweiz strebten merbeiträge, einführte – und diese Praxis viel eine Kasse – um genügende Risikofähigkeit zu deshalb gar keine volle Deckung an, während zu lange weiterführte, bis es der Kasse eben erlangen – auch noch über Wertschwankungs- ihre Pendants in der Deutschschweiz eigent- nicht mehr gut ging. reserven und damit über einen Deckungsgrad lich das Ziel der vollen Deckung verfolgten, von 110 bis 120 Prozent verfügen muss. aber situativ, etwa wenn’s an den Börsen ab- Ausbleibendes Wunder In der Folge wartete aber noch eine weitere wärts ging, auch darauf verzichteten, Sanie- Es gab noch andere kreative Ideen, so in nur schwer zu bewältigende Aufgabe auf die rungsmassnahmen zu ergreifen. St. Gallen die Verrechnung von völlig überhöh- finanziell knapp gehaltenen öffentlich-recht- Eine bürgerliche Motion aus dem Jahr 2003 ten Vermögensverwaltungskosten durch den lichen Pensionskassen: Sie mussten eine setzte diesem Spezialregime ein Ende. Die Kanton. Die Entpolitisierung der öffentlich- korrekte Bewertung der Verpflichtungen vor- aus diesem Vorstoss hervorgegangene BVG- rechtlichen Pensionskassen war also durch- nehmen. Was heisst das? Ein Beispiel: Auf- Revision vom 17. Dezember 2010 verlangte aus sinnvoll. Beim Übergang in die Selbstän- grund der anhaltend tiefen Zinsen und der nicht nur die Gleichbehandlung aller Kas- digkeit wurden aber auch Fehler begangen. nach wie vor steigenden Lebenserwartung sen, sondern auch die Verselbständigung der Korrekterweise hätten Bund, Kantone und braucht es für eine Rente von 30 000 Fran- bis anhin unselbständigen und innerhalb der Gemeinden gezwungen werden müssen, ihre ken im Alter 65 aktuell ein Kapital von rund Verwaltungen geführten Kassen. Das hiess jeweilige Kasse vor der Verselbständigung kor- 600 000 Franken. Bei vielen Kassen waren grundsätzlich, dass die öffentlich-rechtlichen rekt auszufinanzieren. Sie hätten sie auf das aber pro 30 000 Franken Rente nur 450 000 Pensionskassen ihre Unterdeckung innert 10 Niveau der privatrechtlichen Kassen stellen Franken vorhanden. Woher die fehlenden Jahren zu beheben hatten. Im Wissen, dass müssen, hatte man doch inskünftig die glei- 150 000 Franken nehmen, wenn man aus viele (vor allem die welschen) dazu nicht in chen Auflagen zu erfüllen. Und die Unterde- einer Unterdeckung kommt? Viele privat- der Lage waren, wurde die Möglichkeit ge- ckung, wo sie bestand, war nicht die Folge von rechtliche Kassen konnten diese auch für sie schaffen, das System der sogenannten Teil- Misswirtschaft, sondern – wie oben dargelegt notwendigen Massnahmen (Anpassung der kapitalisierung zu wählen. Dieses sieht lange – teilweise gewollt oder gar provoziert. Man Parameter wie Senkung Umwandlungssatz Übergangsfristen (40 Jahre) für einen Ziel- verzichtete aber auf diesen Zwang zur Ausfi- und technischer Zinssatz) besser bewältigen, 14 Juni 2019
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