Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
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CREDIT SUISSE Bulletin Seit 1895. Das älteste Bankmagazin der Welt. N° 4 / 2015 Mit Credit S Jugend uisse barome ter 2015 #juba1 5 Entscheiden Die Kunst, das Richtige zu tun
— Editorial — 2 3 1 4 Noch nie wurde so viel existiert An dieser Ausgabe haben mitgearbeitet: D 1 Clemens Bomsdorf er durchschnittliche US-Supermarkt führt heute 43 800 Ar- Der Journalist aus Köln hatte schon immer tikel, fünf Mal mehr als 1975. Und wer beim Grossverteiler ein Faible für Nordeuropa, das mit einem in der Schweiz etwas Alltägliches wie Salz einkaufen will, hat Ökonomiestudium in Stockholm zusätzlich 18 Produkte zur Auswahl. Ist die Migros geschlossen? Kein Problem: Bei befeuert wurde. Heute lebt der 39-Jährige in Amazon kann man rund um die Uhr eines von 213 (!) Salzen bestellen Kopenhagen und berichtet für verschiedene – alleine aus dem Himalaja-Gebiet. Noch keine Generation zuvor hatte Medien über Politik, Wirtschaft und Kultur aus Skandinavien – etwa für dieses Heft über so viel Auswahl wie wir. Nicht nur beim Einkauf, auch bei der Arbeit, das norwegische Ölwunder. Seite 36 in der Freizeit oder in der Liebe werden wir ständig aufgefordert (und manchmal auch gezwungen), zu vergleichen, zu bewerten, abzuwägen 2 Marcus Bleasdale und zu entscheiden. Die Konsequenzen unserer Auswahlen sind unter- Der vielfach preisgekrönte Fotograf mit iri- schiedlich, doch letztlich steuern sie unser Leben. Wie sagte Reformator schen Wurzeln hat für die Reportage von Martin Luther (1483 – 1546)? «Nur wer sich entscheidet, existiert.» Frei Clemens Bomsdorf seinen aktuellen Wohn- nach Luther könnte man heute sagen: «Noch nie wurde so viel existiert.» ort Oslo fotografiert und die besondere Stim- mung im «reichsten Land der Welt» eingefan- U nd auch die Wirtschaft hängt von unseren Entscheiden ab. gen. Bleasdale ist sonst oft in Krisenregionen unterwegs, arbeitet für Human Rights Watch Dieses Bulletin zeigt, welchen Prozess wir durchlaufen beim oder das Magazin «National Geographic». Autokauf (Seite 6). Wie man Geld anlegen sollte und warum Seite 36 wir das nicht befolgen (Seite 10). Und wie sich ein ganzes Volk, die Nor- weger, für die Sicherung der eigenen Zukunft entschieden hat (Seite 36). 3 Lucia Malär Die 36-jährige Bündnerin aus Trimmis ist E in weiterer Schwerpunkt dieser Ausgabe ist das Credit Suisse Assistenzprofessorin für Marketing an der Jugendbarometer (ab Seite 57). Bereits zum sechsten Mal haben Universität Bern und beantwortet die wich- wir 16- bis 25-Jährige in der Schweiz, den USA, Brasilien und tigsten Fragen zur Psychologie des Verkaufs: Singapur zu ihrer Lebenswelt befragt und in einem grossen Interview Welche Aktionen machen Sinn und wie viele Sorten Konfitüre sollte ein Supermarkt im analysiert Wirtschaftsminister Johann N. Schneider-Ammann die Angebot haben? Seite 30 Hauptresultate. Wie teilen nun die «Digital Natives» ihr Leben auf zwi- schen online und offline? Antwort: Der Globalisierung zum Trotz gibt 4 Claude Maurer es grosse regionale Unterschiede. Stimmt es, dass die Jugendlichen – ob Der Ökonom und ehemalige Spitzensportler ihrer vielen Wahlmöglichkeiten auch «Generation Maybe» genannt – leitet das Swiss Macroeconomic Research der entscheidungsfaul geworden sind? Antwort: Nein, ihr Verhalten ist äus- Credit Suisse. Sein Team erstellt Prognosen serst differenziert – im Sinne Luthers sind sie also überaus existent. und Analysen zur Schweizer Konjunktur und Geldpolitik. Hier macht Maurer eine Aus- Ihre Redaktion legeordnung: die wichtigen Entscheidungen, welche für die Schweiz anstehen. Seite 20 PS: Mit dieser Ausgabe führen wir eine Leserseite ein, auf der wir mit Ihnen in Austausch treten möchten (Seite 4). Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften zum Bulletin. Schreiben Sie uns an bulletin@abk.ch. Titelbild: Lebensmittel-Angebot in einem Rewe-Supermarkt in Berlin. Foto: Hannes Jung / Laif Bulletin N° 4 / 2015 — 1
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— Entscheiden — Die Kunst des Verkaufs – Seite 30 Inhalt 6 Weg zur besten Entscheidung 22 Investieren oder nicht? Sechs Strategien aus der Was KMU für den Erfolg Psychologie, um (fast) immer an Voraussetzungen brauchen. richtigzuliegen. 24 Antonio Damásio 10 «Intuition wird überschätzt» Der Neurowissenschafter Michael Mauboussin über Hirn und Gefühle. über Glück und Können beim Investieren. 30 Dieser Artikel ist gratis Marketing oder die Kunst des Verkaufs. 47 Kampf oder Flucht? 34 «Der Chef entscheidet» In der freien Wildbahn werden Armeechef André Blattmann laufend existenzielle über das Führen unter extremen Entscheidungen gefällt. Umständen. 50 So war es nicht gemeint 35 «Ich will, ich kann» Historische Ereignisse und ihre Emani Lewis ging als erste ungeplanten Folgen. 16 Konferenzzimmer in der Familie aufs College. Der Raum für grosse 52 «Die Angst verloren» Entscheidungen. 36 Öl stinkt nicht Futoshi Toba musste zwischen Wie Norwegen mit der Pflicht und Familie wählen. 20 Die Schweiz entscheidet Gründung eines Staatsfonds Bis 2017 werden wichtige vieles richtig gemacht hat. 55 Hätte ich doch … politische Weichen gestellt. Was die Lebenden von den Sterbenden lernen können. CREDIT SUISSE JUGENDBAROMETER 2015 2 Trends und Medien 3 Beruf, Finanzen #juba15 Wie oft informieren sich die Jugendlichen? Was sind die Top-Themen? Und schaut noch und Karriere Medienjobs sind beliebt, Männer sparen mehr als jemand TV? — Seite63 Frauen, Schulden sind nur wenig verbreitet. — Seite 68 1 Digitales Universum Wirtschaftsminister Was klickt und was nicht? Bundesrat Johann N. 4 Politik, Werte Die Rangordnung von Apps, Schneider-Ammann über seine und Gesellschaft Gadgets und Plattformen. — Online? Offline? und die heutige Jugend. — Droht der grosse Konflikt der Seite59 Die Harvard-Forscher Sandra Seite65 Generationen? — Seite70 Cortesi und Urs Gasser unter- suchen die «digitale Jugend». Sie warnen: Nicht alles ist, wie es scheint. — Seite62 Fotos: Jeff Brown; Holly Wales; Tassii / iStockphoto; Bertie Gregory / 2020Vision / Nature Picture Library Bulletin N° 4 / 2015 — 3
— Entscheiden — CREDIT SUISSE Bulletin Seit 1895. Das älteste Bankmagazin der Welt. N° 3 / 2015 Afrika Reaktionen Service Aufstieg eines Kontinents Bulletin «Afrika», 3/2015 Sprachrohr Magazin: exzellent Credit Suisse Lange, wohl zu lange, wurde Afrika vor Chapeau!, für dieses konzeptionell, Bulletin allem als Problemkontinent betrachtet. inhaltlich und optisch exzellent kostenlos Es gibt genügend Persönlichkeiten und gelungene Magazin. Aus meiner Sicht Organisationen auf diesem Kontinent, ist es das spannendste Bulletin bisher. abonnieren! welche konstruktiv, kreativ, selbstbe- Rolf-Peter Käter, München www.credit-suisse.com/bulletin wusst und eigenständig auf eine positive Zukunft hinarbeiten. Die vorliegende Ausgabe des Credit Suisse Bulletins ist Wir freuen uns über jeden Leserbrief. Die Redaktion behält sich vor, eine Auswahl direkt und indirekt auch ein Sprachrohr Korrektur des Zerrbildes zu treffen und Zuschriften zu redigieren. für dieses Afrika. Dieses Bulletin liefert einen wertvollen Schreiben Sie uns: Brigitte und Leon Eder, Häggenschwil Beitrag zur Korrektur des bei uns vorherrschenden Zerrbildes von Afrika E-Mail: bulletin@abk.ch und der vielen Vorurteile über diesen Adresse: Credit Suisse AG, Kontinent. Ich habe als Individual- Redaktion Bulletin, GCPA, 8070 Zürich Auf einem guten Pfad tourist in der Zeitspanne von 1972 bis Warum nur findet Derartiges kaum heute zehn afrikanische Länder zum Jetzt im App Store oder nur ungenügend Aufmerksamkeit Teil mehrmals bereist. Dabei bekam ich Die App News & Expertise, mit in unseren Medien, wie Zeitungen, Einblick in die afrikanische Kultur, dem Bulletin und weiteren aktuellen Internet, Fernsehen? Hat es vielleicht lernte interessante und liebenswerte Publikationen der Credit Suisse. mit Neid zu tun, weil wir in Europa Menschen kennen und erfreute in zahlreichen Belangen nicht mit mich an der grossartigen Natur. Auf- Folgen Sie uns! Afrika mithalten können? Oder etwa grund meiner Erfahrungen kann damit, dass wir von den hiesigen ich den in den Berichten gemachten www.twitter.com/creditsuisse Medien so gesehen werden, als wären Aussagen über die gesellschaftliche und www.facebook.com/creditsuisse wir vor wiegend an Unfällen und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas www.youtube.com/creditsuisse Verbrechen interessiert? Mir persönlich nur zustimmen. Insbesondere auch der www.flickr.com/creditsuisse tut es gut zu erfahren, dass es in Afrika Erwähnung der Stellung der Frauen im nicht nur Despoten, Korruption und Gesellschafts- und Wirtschaftsleben. Terror gibt. Die vorgestellten Entwick- Ich bin überzeugt, dass dieser Konti- Archiv Alle bisherigen Ausgaben des Bulletin lungen und Ist-Zustände im Bulletin nent bei allen noch herrschenden stehen in digitaler Form zur Verfügung: geben Hoffnung, dass sich dieser riesige Erschwernissen sein grosses Potenzial www.credit-suisse.com/bulletin Kontinent auf einem guten Pfad nutzen wird und damit eine erfolgreiche befindet und für seine Bevölkerung Zukunft vor sich hat. lebenswerten Raum mit Perspektiven Hansruedi Schnyder, Bellach auf Freiheit und Eigenverantwortung aufbereitet resp. zur Verfügung stellt. Peter Kestenholz, Greifensee Impressum: Herausgeberin: Credit Suisse AG, Projektverantwortung: Daniel Huber, Mandana Razavi, Inhaltskonzept, PERFORM ANCE Redaktion: Ammann, Brunner & Krobath AG (www.abk.ch), Gestaltungskonzept, Layout, Realisation: Crafft neutral Kommunikation AG (www.crafft.ch), Fotoredaktion: Studio Andreas Wellnitz, Berlin, Druckvorstufe: n c ag Drucksache No. 01-15-483612 – www.myclimate.org (www.ncag.ch), Druckerei: Stämpfli AG, Auflage: 110 000 © myclimate – The Climate Protection Partnership 4 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — Wie viel Teamgeist steckt in Engagement? Die Credit Suisse bleibt am Ball – auch bei ihrem Engagement für den Schweizer Fussball. Deshalb sind wir seit 1993 Hauptsponsor des Schweizerischen Fussballverbands und Partner aller U- und A-Nationalteams. Wir unterstützen damit sportliche Höchstleistungen auf allen Stufen. credit-suisse.com/sponsoring Bulletin N° 4 / 2015 — 5
— Entscheiden — r best e n heid un g z u E n t s c eg W r Angenommen, Sie möchten ein Auto kaufen, können sich De aber nicht entscheiden. Sechs Strategien aus der Psychologie, um trotzdem (fast) immer richtigzuliegen. Von Mikael Krogerus, Roman Tschäppeler und Jan Buchczik (Illustrationen) 6 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — (1) Rechercheprozess bewusst gestalten (5) Entscheiden Sie intuitiv (2) Auswahl limitieren ja (7) Sind Sie zufrieden mit ja Sind Sie bereit für die Hinterfragen Sie den Optionen? Entscheidung? die Entscheidung nicht mehr nein nein (3) Genügt Ihnen ja (6) Lassen Sie jemanden «gut genug»? für sich entscheiden nein (4) Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen 1 Bestimmen Sie eine Recherchestrategie. die verschiedenen Optionen abzuwägen, sodass wir womöglich Das Problem der Recherche: Wir wissen nie genug, aber schnell zu am Ende gar keine Entscheidung treffen. viel. Mit wenigen Klicks im Internet ist man heute auf dem So geht’s: Fragen Sie nicht: «Wie soll mein Traumauto sein?», fragen Wissensstand eines Autohändlers, und je mehr man weiss, desto Sie: «Wie soll es nicht sein?» Indem Sie das, was Sie nicht wollen oder sicherer fühlt man sich. Aber es gibt einen sogenannten Tipping brauchen, ausschliessen, reduzieren Sie gleichzeitig die Auswahl. Point der Informationsaufnahme: Irgendwann wissen wir zu viel. Man kann den Rest seines Lebens Autotests vergleichen – die Ver- 3 Senken Sie Ihre Erwartungen. wirrung wird nur grösser, sagt Psychologieprofessor Barry Schwartz. Suchen Sie nicht nach dem perfekten Auto. Suchen Sie nach So geht’s: Setzen Sie sich selbst Grenzen, z. B. eine Stunde Internet- einem Auto, das Ihre grundlegenden Bedürfnisse erfüllt. Selbst recherche, drei Freunde fragen, eine Zeitschrift lesen, zwei Auto- wenn «gut genug» objektiv gesehen nicht die beste Wahl ist, händler aufsuchen. kann sie einen doch glücklicher machen als gar kein Auto oder die endlose Suche danach. 2 Verkleinern Sie Ihre Auswahl. So geht’s: Statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welches das Wir glauben, je grösser die Auswahl, desto besser unser Ent- richtige Auto wäre, fragen Sie Ihre Freunde, ob sie mit ihrem Auto scheid. 1995 aber fand die Forscherin Sheena Iyengar heraus, zufrieden sind. Wenn das so ist, wird es auch für Sie gut genug sein, dass wir bei einer grossen Auswahl zu viel Zeit damit verbringen, sagt Barry Schwartz. Bulletin N° 4 / 2015 — 7
— Entscheiden — 4 Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen. 6 Lassen Sie jemand anderen entscheiden. Die meisten Entscheidungen sind weniger nachhaltig, als wir im Wir neigen zu der Auffassung, dass wir glücklicher sind, wenn Augenblick des Entscheidens meinen. wir die wichtigen Dinge selbst entscheiden. Das Gegenteil ist oft So geht’s: Verwenden Sie die 10-10-10-Methode von Bestseller- richtig: Simona Botti von der Cornell University hat in Experi- Autorin und Harvard-Top-fünf-Prozent-Absolventin Suzy Welch. menten gezeigt, dass wir bei eigenen Entscheidungen dem na- Fragen Sie sich mit Blick auf den Autokauf: Welche Auswirkungen genden Zweifel ausgesetzt sind, nicht die bestmögliche Variante hat meine Entscheidung in 10 Tagen? Welche Auswirkungen hat sie gewählt zu haben. Das fällt weg, wenn jemand anderes für uns in 10 Monaten? Welche Auswirkungen hat sie in 10 Jahren? Klingt entscheidet (bei gutem Entscheid werden Sie sich freuen, bei banal, hilft jedoch, den Blick für die langfristigen Konsequenzen schlechtem können Sie einem Dritten die Schuld geben). einer Wahl zu schärfen. So geht’s: Wenn Sie zwischen zwei ungefähr gleich teuren Autos stehen, lassen Sie den Verkäufer entscheiden. 5 Hören Sie auf Ihre innere Stimme. Eine ganze Reihe von Untersuchungen haben sich in den letzten 7 Vergessen Sie alle Entscheidungshilfen. Jahren mit der Intuition befasst. Zwei Ergebnisse: Offensicht- Kaufen Sie das Auto. Denn langfristig bedauern wir vor allem lich gibt es einen Teil in uns, der mehr weiss, als wir zu wissen jene Dinge, die wir nicht getan haben. glauben. Und: Wir akzeptieren eher Fehlentscheide, die wir un- bewusst getroffen haben, als jene, über die wir lange nachgedacht haben. Aber wie schaltet man die Ratio aus? So geht’s: Die niederländischen Forscher Ap Dijksterhuis und Zeger van Olden empfehlen einen simplen Autosuggestionsprozess, der das Hirn ablenkt: Denken Sie an Ihre Entscheidung. Rechnen Sie dann Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler sind Wissenschaftsautoren – von 50 in Dreierschritten rückwärts. Sobald Sie bei null sind, schrei- neben anderen Bestsellern hat sich ihr Buch «50 Erfolgsmodelle. ben Sie sofort auf, ohne zu sehr darüber nachzudenken, welches Auto Kleines Handbuch für strategische Entscheidungen» weltweit über eine Sie kaufen wollen. halbe Million Mal verkauft. Krogerus und Tschäppeler leben in Biel. 8 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — Unser Engagement. Weniger Jugend- arbeitslosigkeit. Mit der Initiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit engagiert sich die Credit Suisse in der Schweiz seit 2010 für die Zukunftschancen von Berufseinsteigern. Über 8300 junge Erwachsene haben durch unsere Partnerorganisationen und durch uns bereits Unterstützung erhalten. Seit 1. April 2015 werden die Angebote vom rechtlich selbstständigen Verein «Check Your Chance» mitgetragen und durch die Partnerorganisationen nachhaltig weitergeführt. credit-suisse.com/jugendarbeitslosigkeit Bulletin N° 4 / 2015 — 9
— Entscheiden — «Intuition wird völlig überschätzt» Was sollen wir mit unserem Geld tun? Aktiv bewirtschaften oder in Indexpapiere investieren? Ist Anlegen Glück oder Können? Und welche Entscheidungen sind wirklich wichtig? Michael Mauboussin weiss Rat. Von Simon Brunner (Interview) und Jeff Brown (Foto) 10 — Bulletin N° 4 / 2015
Michael Mauboussin, 51, ist Head of Global Financial Strategies der Credit Suisse, Buchautor und Kolumnist, Dozent an der Columbia Business School und Präsident des Santa Fe Institute, einer privaten, gemeinnützigen Forschungs- und Lehranstalt für interdisziplinäre Grundlagenforschung. Mauboussin lebt mit seiner Frau in Darien, Connecticut. Sie haben fünf Kinder. Bulletin N° 4 / 2015 — 11
— Entscheiden — Herr Mauboussin, sind wir Menschen überhaupt dazu geeignet, Geld anzulegen? «Man will Teil Im Nachhinein lässt sich das leicht sagen, aber eine vielzitierte Börsenregel lautet: Ich nenne es die traurigste Statistik des Investierens: In den letzten zehn Jahren der Gruppe sein. «Greife nie in ein fallendes Messer.» Fallende Kurse alleine reichen natürlich ist der amerikanische Aktienindex nicht, es kann sich schlicht um eine S & P 500 um 7,7 Prozent gestiegen, doch Das ist nicht Kurskorrektur handeln. Doch 2009 war der durchschnittliche Investor hat nur ziemlich offensichtlich, dass 5,3 Prozent Rendite erzielt. Diese Werte sind in allen Märkten der Welt ähnlich. immer positiv.» einige Firmen unterbewertet waren. Viele Beobachter schrieben das – ich Warum ist das so? Uns fehlt oftmals selbst auch. der emotional stabile Kiel, wir kaufen hoch und verkaufen tief. Wenn ich als privater Investor mein Vermögen aktiv verwalten will, wie soll Den allermeisten Investoren ist diese Gefahr ich also vorgehen? bewusst, trotzdem fällt es unglaublich Wenn Sie Ihr Geld selber managen schwer, sich anders zu verhalten. Warum? wollen, würde ich folgendermassen Wir wollen mehr vom Guten und weni- vorgehen. Erstens, analysieren Sie den ger vom Schlechten. Wenn wir sehen, Kurs einer Aktie: Was sind die Er- dass Menschen um uns herum viel Geld wartungen an die Zukunft? Was wird mit Aktien verdienen, wollen wir auch vom Umsatz, Betriebsgewinn und mitmachen. Doch Märkte funktionieren vom Investitionsbedarf in den nächsten oft entgegen der Intuition: Wenn sie Jahren erwartet? hochgehen, sinkt die zu erwartende Rendite, und wenn sie absinken, steigt die Und dann? erwartbare Rendite – wenn sich sonst Zweitens, finden Sie heraus, ob die Firma nichts ändert. Ein anderes, nur zu strategisch und finanziell eher besser menschliches Phänomen ist, dass man oder schlechter abschneiden wird, als Teil der Gruppe sein will. Das vermittelt erwartet wird. Drittens, kaufen oder uns ein Gefühl der Sicherheit. Aber im verkaufen Sie. Diese drei Schritte sind Investment-Kontext ist das nicht immer aufwendig. Um das richtig zu machen, positiv. Wie sagt Warren Buffett? «You muss man motiviert sein. Aber die want to be greedy when others are fearful Werkzeuge dazu stehen zur Verfügung. and fearful when others are greedy» («Man sollte gierig sein, wenn andere Welche Kennzahlen schauen Sie an, um die ängstlich sind, und ängstlich, wenn Aktien mit tiefen Erwartungen zu finden? andere gierig sind»). Das sagt sich leicht, Es gibt verschiedene: Ein tiefes Kurs- ist aber schwer umzusetzen. Buchwert- oder Kurs-Gewinn-Verhältnis sind gute Indikatoren. Mit solchen Was bedeutet das für Privatanleger? Aktien hat man historisch gesehen Für die Leute, die sich nicht lange damit zumindest längerfristig gute Chancen aufhalten wollen, was sie mit ihrem auf einen hohen Ertrag. Ersparten tun sollen, sind Indexpapiere eine gute Sache. Sie bilden einen ganzen Investiere ich mein Geld, trete ich gegen Markt oder eine ganze Industrie ab Millionen andere Investoren an, die und sollten breit diversifiziert sein. Alle ähnliche Überlegungen anstellen. anderen können sich darüber freuen, Dementsprechend reflektiert der Kurs dass Märkte nicht immer die Realität eines Wertpapiers die Meinung von widerspiegeln, vor allem in Extrem- unzähligen Menschen ... situationen nicht, und in diesen ... Was nicht heisst, dass sie stimmt! Situationen gibt es gute Gelegenheiten, Geld erfolgreich anzulegen. Ein Beispiel Ich kann es besser machen? war das erste Quartal 2009, als die Unter Umständen ja. Aber dazu muss ich Kurse runtergezogen wurden, weil die eben verstehen, welche Erwartungen in Investoren das Schlimmste befürchteten. ein Wertpapier eingepreist sind. Dann 12 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — kann ich abschätzen, ob der Markt zu Verstehen wir Sie richtig: Beim Investieren optimistisch oder zu pessimistisch ist. geht es darum, menschliche Impulse zu zähmen, die uns aber evolutionäre Vorteile Befolgen Sie eigentlich Ihre eigenen Regeln? gebracht haben – sonst hätten wir sie ja nicht? Ich habe ein breit diversifiziertes Genau – sie bringen uns beim Investieren Portfolio mit vielen «billigen» Fonds, also nicht weiter. Beispiel Optimismus: Die solchen mit tiefen Verwaltungsgebühren. Mehrheit der Unternehmer muss länger- Aktiv handle ich äusserst selten. fristig aufgeben. Ihre positive Grundhal- tung lässt sie dieses Faktum ausblenden, Wenn wir vor allem in Indexfonds und sonst würden sie wohl nie eine Firma langfristig anlegen sollen, dann brauchen gründen. Beim Investieren kann Optimis- wir doch keine Bank mehr? mus aber gefährlich sein, hier gibt es nichts Mit einer Bank zusammenzuarbeiten, auszublenden. Was ich sagen will: Unser lohnt sich für die meisten von uns: Geist ist nicht fürs Anlegen gemacht, das Wie finden Sie die richtigen Fonds? sollte uns bewusst sein. Dann können wir Wie stellen Sie die Diversifizierung damit umgehen. richtig ein? Und letztlich, wie kaufen und verkaufen Sie? Ich denke, die meisten Die Wirtschaftstheorie beschreibt den von uns – ich inklusive – haben weder Menschen als reinen Nutzenmaximierer – Zeit noch Lust, uns täglich um das zu Recht? Portfolio zu kümmern. Dann muss man Für eine normative Theorie passt dieses sich fragen, wer das für einen tun soll. Menschenbild: Wenn es darum geht, Ein Banker, dem man vertraut, kann wie wir uns verhalten sollten, macht es eine gute Lösung sein für diese sensitive Sinn, vom erwartbaren Nutzen einer Aufgabe. Handlung auszugehen. REINES REINES GLÜCK KÖNNEN Die Wichtigkeit von Glück und Können: «Was in deiner Macht ist, ist Können, was ausserhalb steht, ist Glück.» Illustration: Matt Chase Bulletin N° 4 / 2015 — 13
— Entscheiden — Und in der Realität? und das Können ist gleichmässig verteilt. Da entsprechen unsere Handlungen nicht In dieser Lage spielt das Glück eine grosse wirklich diesen Erwartungen. Ein Beispiel Rolle. ist unsere Aversion gegen Verluste. Die Menschen fürchten sich etwa doppelt so Was bedeutet das fürs Anlegen? stark davor, Geld zu verlieren, als dass sie Damit man dem Glück weniger aus- sich über Gewinne freuen. Aus evolutions- geliefert ist, sind Anlagedisziplin, theoretischer Sicht macht das Sinn: Ist Diversifizierung und der langfristige die Nahrungsmittelsituation prekär, hat Horizont sehr wichtig. jeder weitere Verlust katastrophale Folgen. Beim Anlegen kann das aber falsch Zumindest für Laien liegt zwischen Glück sein: Man hält ein Wertpapier zu lange, und Können noch die Intuition. Welche Rolle weil man die Verluste nicht realisieren hat sie? will, oder man verkauft einen Gewinner zu Das ist eine schwierige Sache. Ich persön- schnell. Ein anderes Beispiel ist der lich finde, Intuition ist völlig überschätzt. «Haushaltsgeld»-Effekt: Man geht ins Wenn man sich gut auskennt in einem Casino und bildet zwei Stapel Chips: Gebiet und dieses immer gleich und linear einen mit dem mitgebrachten, einen mit funktioniert, kann man die Intuition dem gewonnenen Geld. Man überprüft vielleicht brauchen. Beispiel Schach: ständig das «Haushaltsgeld» – doch für das Wenn man einen Grossmeister bittet, eine Spiel bringt das keinen Vorteil, da ist ein Spielsituation zu analysieren, kann er grosser Stapel einfach besser als ein kleiner. relativ schnell sagen, wer vorne liegt und was ein guter nächster Zug ist. Er oder sie Ihr jüngstes Buch handelt von Glück und hat Millionen von Situationen analysiert, Können. Was ist das eigentlich, Glück? das Brett ist immer gleich gross und die Mir gefällt die einfache Definition am Bewegungen der Figuren sind vorgegeben. besten: Was in deiner Macht ist, ist Ist das Umfeld aber instabil und nicht Können, was ausserhalb steht, ist Glück. linear – wie meist im Leben –, funktioniert Je nach Aufgabe hat Glück eine grössere sie gar nicht gut. oder weniger grosse Rolle. Wir haben die beiden Begriffe auf ein Kontinuum Viele grosse Ideen waren spontane gestellt, wo Glück links und Können Eingebungen! rechts steht [siehe Abbildung S. 13, Anm. Vielleicht gibt es tatsächlich den Typen, d. Red.]. Zu den Tätigkeiten links gehören der beim Duschen die 10-Milliarden- Lotto oder Roulette, rechts ist Schach Dollar-Idee hatte. Aber es gibt ungleich oder Basketball. Anlegen ist eher links. viel mehr Menschen, die bei der morgendlichen Pflege eine Idee hatten, Investieren ist Glückssache? und daraus wurde gar nichts. Die Zu einem grossen Teil, ja. Um das zu ver- meisten 10-Milliarden-Dollar-Ideen stehen, ist es wichtig, zwischen absolutem entstanden sicher nicht im Bad. und relativem Können zu unterscheiden. Beim Anlegen ist das absolute Fähigkeits- Kommen wir zum Sport, Ihrer zweiten niveau sehr hoch: Uns steht viel Rechen- Leidenschaft. Sie behaupten, beim Eishockey leistung zur Verfügung, wir besitzen sehr spiele das Glück eine weit grössere Rolle als viele Informationen und können auf beim Fussball. weit fortgeschrittene Investment-Theorien Bevor ich das erkläre: Ich bin grosser zurückgreifen. Schaut man sich das relative Können an, muss man konstatieren, dass «Jedermann Eishockey-Fan und spiele selber gern. Aber: Die Eishockey-Spieler berühren das zwischen den durchschnittlichen und den besten Investoren kein enormer Unter- kann heute Spielgerät, den Puck, viel weniger oft als die Fussballer den Ball. Die besten Spieler schied mehr besteht, jedermann kann heute fast wie ein Profi anlegen. Eine fast wie ein Profi haben weniger Eiszeit, sie fallen also weniger ins Gewicht als Fussballstars. Und solche Situation nennt man «Paradox des bei der nordamerikanischen Eishockey- Könnens»: Das Niveau ist sehr hoch anlegen.» Liga NHL liegen die Teams in der 14 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — Schlussrangliste näher beieinander als die Fussballmannschaften in der englischen «Ganz einfach, Ich denke an die Hochzeit oder den Kauf eines Hauses. Bei diesen Entscheiden Premier League. Es gibt also in der NHL investiere ich viel Zeit. Bei allen anderen auch ein «Paradox des Könnens». Bei ich mache das, rate ich: Ja nicht zu fest in die Details einer Fussball-Weltmeisterschaft ist es gehen. allerdings anders, dort gibt es viel weniger Partien – da wird das Glück wichtiger. was meine Frau Sie haben fünf Kinder. Eine bewusste Sie haben auch die Karrieren von grossen sagt.» Entscheidung? Okay, Sie haben mich erwischt: Das war Tennisspielern analysiert - holt Roger eine grosse Entscheidung, die wir nicht Federer einen weiteren Grand-Slam-Titel? bis ins letzte Detail durchdachten. Ich bin klar der Meinung, Federer sei der Wir wollten immer viele Kinder, doch beste Tennisspieler aller Zeiten, dazu meine Frau war bei den letzten zwei gibt es genügend Daten. 17 Grand-Slam- bis drei enthusiastischer als ich. Titel etwa sind eine unglaubliche Zahl. Aus verschiedenen Gründen glaube ich Zuletzt: Wie viel Glück hatten Sie im Leben? nicht, dass ein anderer Mensch das je Sehr viel. Ich traf viele Menschen, die erreichen wird. Noch mit 30 Jahren mich stark unterstützten. Für meine erste gewann Roger Wimbledon – ein Turnier Arbeitsstelle musste ich sieben Bewer- auf einer schnellen Unterlage. Und trotz bungsgespräche führen. Die Mehrzahl der allem: Ich sage Nein, es ist sehr unwahr- Interviewer sprach sich gegen mich aus, scheinlich, dass ein weiterer Grand-Slam- doch mit dem ranghöchsten hatte ich über Titel hinzukommt. Football gesprochen. Ich hatte entdeckt, dass auf seinem Abfalleimer das Wappen Warum? seines Teams klebte, und sprach ihn darauf Er ist nun 34-jährig. Das Problem mit an. Er überstimmte alle. dem Alter ist, dass das ganze System etwas langsamer wird. Die Hand-Augen- Ist das wirklich Glück? Sie hätten sich Koordination, die Muskeln usw. Auf vermutlich auch anderswo durchgesetzt. diesem Niveau macht das einen grossen Bei der Arbeit braucht es beides, Glück Unterschied, speziell im Tennis, wo und Fähigkeiten. Ich hätte wohl in den das Können eine grosse Rolle spielt. Es meisten Szenarien eine einigermassen gute wird ihm nicht mehr reichen. Karriere hingelegt, aber vielleicht wäre sie nicht dermassen gut herausgekommen. Sie sind eine Art professioneller Entscheider. Wie gehen Sie eigentlich im Alltag vor? Wie Wo würden Sie sich denn selber auf dem wählen Sie die Feriendestination aus, das Glück-Fähigkeiten-Kontinuum einordnen? Restaurant, das Hemd am Morgen? Bitte fragen Sie das nicht – ich fürchte Ganz einfach, ich mache immer, was mich vor der Antwort. meine Frau mir sagt. Scherz beiseite, es hilft unglaublich, wenn man Entschei- dungen nach ihren möglichen Konse- quenzen priorisiert. Im Café will ich nicht Stunden damit vergeuden, mich zwischen einem «Frappuccino Caramel Cocoa Cluster» und einem «Cotton Candy» zu entscheiden. Ich nehme einen, schmeckt er nicht, nehme ich das nächste Mal den anderen. Sogar der Entscheid, welches Auto ich kaufe, ist auf unser Leben gesehen wohl nicht wirklich wichtig. Sieht man es so an, gibt es im ganzen Leben nur eine Handvoll wirklich wichtiger Weggabelungen. Bulletin N° 4 / 2015 — 15
— Entscheiden — Herzlich willkommen zur Sitzung Pro Woche verbringen die Menschen durchschnittlich 5,6 Stunden in Meetings und 69 Prozent beurteilen diese als unproduktiv*. Trotzdem: In der modernen Businesswelt entscheidet nicht mehr einer alleine, sondern die Gruppe. Vier Beispiele aus der ganzen Welt. «Wenn wir abschweifen, ist das auch nicht schlimm.» SINGAPUR: SANF TER WIDERSPRUCH schlimm, das sehen wir als teambildende Massnahme an. «Jeder Mitarbeiter besucht die wöchentliche Sitzung und erzählt Unser Konferenztisch ist speziell – wir essen, arbeiten, sitzen über den Fortschritt in seinen Projekten. Offene Fragen werden und feiern hier. Dieser einfache Tisch hat alles mitgemacht, zwischen dem jeweiligen Projektleiter, seinen Mitarbeitern und was wir als Firma seit 1997 erlebt haben.» dem Creative Director gelöst – im gegenseitigen Einverständnis. Andie Ngoh, 39, General Manager (im Bild: Vierte von rechts) Jemandem zu widersprechen geht nur, wenn man seine Argu- mente belegen kann – so verletzt man niemanden. Es geht dann WER: Work (Designagentur) nicht um eine Ablehnung der Person als solcher, sondern um die WO: Singapur Sache – die beste Idee gewinnt. Unsere Meetings folgen WAS: wöchentliches Statusmeeting keiner starren Ordnung, die einzige Bedingung ist, dass sich DAUER: 1,5 Stunden jeder einbringt. Wir sind meist sehr zielstrebig, doch wenn wir TEILNEHMER: 11 abschweifen und die Sitzung länger dauert, ist das auch nicht WANN: Mittwoch, 10 Uhr * laut einer Studie von Microsoft mit 38 000 Teilnehmern in 200 Ländern (2005) 16 — Bulletin N° 4 / 2015 Foto: Wee Khim
— Entscheiden — SCHWEIZ: SAUBERE PLANUNG Der Gebrauch von Handy oder Laptop für Gespräche, SMS, «An diesem Meeting besprechen wir die Details der nächsten E-Mails ist zu unterlassen. Dies funktioniert sehr gut, unsere Werbeaktion und entscheiden über die entsprechenden Mass- Meetings sind effizient.» nahmen zur Umsetzung an der Front. Der Stichentscheid Susan Gantenbein, 47, Chief Operations Officer, Stv. CEO, Mitinhaberin liegt beim jeweiligen Projektverantwortlichen, in diesem Fall beim Chief Communications Officer. Hier sind wir uns einig, WER: Gaia (Bio-Supermarkt) die Machbarkeit steht klar im Zentrum. Wir pflegen eine sehr WO: Pfäffikon SZ strukturierte Sitzungskultur: Die Meetings werden sauber WAS: wöchentliches Operations-Meeting geplant, es gibt immer eine elektronische Einladung mit einer DAUER: 30 Minuten Agenda, die ist inhaltlich und zeitlich verbindlich. Alle Teilneh- TEILNEHMER: 3 (1 entschuldigt) menden erscheinen pünktlich und vorbereitet. Die Massnahmen WANN: Montag, 11 Uhr und Beschlüsse werden in einem kurzen Protokoll festgehalten. «Der Gebrauch von Handy oder Laptop für Gespräche, SMS, E-Mails ist zu unterlassen.» Gaia ist eine Portfoliogesellschaft der SVC – AG für KMU Risikokapital (eine Tochtergesellschaft der Credit Suisse AG). Foto: Christian Grund Bulletin N° 4 / 2015 — 17
— Entscheiden — DEU TSCHLAND: IM WANDEL losere Kultur schon länger selbstverständlich, nun stellen wir «Hier besprechen wir konkrete Timings, Deliverables und auch fest, dass der Umgang mit Kunden und die interne Kultur Verantwortliche für einzelne Projekte und Workstreams. Wie wir bei Kunden lockerer wird. Einige sind erleichtert, wenn sie entscheiden? Eigentlich einigen wir uns immer in der Diskus- merken, dass man sich nicht mit «Herr Vorstandsvorsitzender …» sion. Im Zweifelsfall setzt sich derjenige durch, der für das Thema anreden muss, sondern einfach mit «Hey, Sacha, wie geht’s?». verantwortlich ist; er oder sie hat meist auch einen höheren Max Orgeldinger, 26, Consultant (im Bild: Dritter von links) Redeanteil. Hierarchien sind nicht besonders sichtbar, Führungs- kräfte stehen generell in der Verantwortung, dem Team bei WER: TLGG (Internetagentur) Unsicherheit mit klaren Ansagen beizustehen. Meetings werden WO: Berlin vorangekündigt, per E-Mail-Einladung, oder sie werden spontan WAS: Besprechung des Consult-Teams einberufen, per Chat oder mündlich. Regeln brauchen wir keine, DAUER: so lange wie nötig, so kurz wie möglich das geht über den gesunden Menschenverstand. Ich denke, in TEILNEHMER: 5 Deutschland ist ein grundsätzlicher Wandel zu beobachten: In WANN: Mittwoch, 14.30 Uhr kleineren Unternehmen und kreativen Industrien ist eine form- «Hierarchien sind nicht besonders sichtbar.» 18 — Bulletin N° 4 / 2015 Foto: Hendrik Schneider
— Entscheiden — «Wird keine Lösung gefunden, vertagen wir den Entscheid.» USA: GU T GEBRÜLLT WER: Ranquist (Immobilien-Entwicklung) «Wir besprechen den Projektfortschritt gemeinsam mit den WO: Chicago Mitarbeitern der Generalunternehmung. Sie berichten, was WAS: wöchentliches Projektmeeting auf der Baustelle passiert und welche Probleme aufgekommen DAUER: 90 Minuten sind. Dann beschliessen wir, was zu tun ist. Das geht so: Der TEILNEHMER: 6 Projektleiter schlägt eine Lösung vor und die zwei Partner WANN: Mittwoch, 10 Uhr entscheiden. Wird in kurzer Zeit keine Lösung gefunden und ist das Problem nicht zeitkritisch, vertagen wir es. Von uns Amerikanern hat man das Bild, dass wir sehr konfrontativ sind – wer am lautesten brüllt, gewinnt. Nun ja, ich muss sagen, das kommt schon vor.» John Pawlicki, 43, Projektleiter und stellvertretender CEO (im Bild: ganz links) Foto: Peter Hoffman Bulletin N° 4 / 2015 — 19
— Entscheiden — m us s eiz sic hw h Sc en e ts Di ch eid en Frankenstärke, Zuwanderung, Energiestrategie, Unternehmenssteuern: Die Schweiz muss in den nächsten Jahren wichtige Weichen stellen. Wie kann das Erfolgsmodell gerettet werden? Ein Kommentar. Von Claude Maurer Wer der Meinung ist, die wirtschaftliche Umsetzung der Masseneinwanderungsini- lesaufgaben. Die Vernehmlassung zum Ent- Unsicherheit in der Schweiz sei derzeit un- tiative aus. Bis dahin muss gemäss Bundes- wurf der Bundesrats ist bereits kontrovers vergleichlich hoch, der sollte noch etwas verfassung die Zuwanderung mit jährlichen verlaufen, und die Diskussion dürfte nach warten. Bald könnten die Turbulenzen Höchstzahlen und Kontingenten gesteuert den Parlaments- und den Bundesrats- noch grösser werden. Nichts weniger als die werden, so jedenfalls steht es geschrieben. wahlen Ende 2015 noch an Intensität zu- Beziehung der Eidgenossenschaft zu ihrem nehmen, weil sich keine Partei an diesem wichtigsten Handelspartner, der Euro- Die EU hat andere Probleme heissen Thema bis dahin die Finger ver- päischen Union (EU), steht auf dem Spiel. Die Einigung auf ein Kontingentierungs- brennen will. Und sollte ein mehrheits- Am 9. Februar 2017 läuft die Frist zur system ist dabei nur eine von zwei Herku- fähiges Kontingentierungssystem gefunden 20 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden — werden, wäre erst der innenpolitische Teil Prozent aller Umfrageteilnehmer bewerten Ausländische Gewinne von Statusgesell- erledigt. mindestens eines der Abkommen als posi- schaften müssten einerseits zum ordentli- Noch schwieriger ist der zweite, der tiv oder sehr positiv. chen Satz versteuert werden. Konkurrenz- aussenpolitische Part: Laut EU verletzen Der Wert, den stabile Beziehungen standorte wie Irland, die Niederlande und Kontingente das geltende Personenfreizü- mit Europa haben, ergibt sich allein schon Singapur müssen andererseits im Rahmen gigkeitsabkommen, was wiederum ange- angesichts der Bedeutung der EU für die des OECD-Programms BEPS («Base sichts der «Guillotine-Klausel» und der Schweizer Exportwirtschaft. Aus deren Erosion and Profit Shifting») ebenfalls ihre impliziten Verknüpfung alle bilateralen Sicht besteht die Welt nämlich vor allem Steuermodelle für solche Gesellschaften Verträge gefährden könnte. Dass die Union aus den (EU-)Nachbarländern: Güter im abschaffen, was die Wettbewerbssituation ihre Meinung in dieser Frage ändert, ist bis Wert von rund 110 Milliarden Franken der Schweiz stärkt. 2017 eher unwahrscheinlich: Ihre mittler- wurden im vergangenen Jahr in die EU ver- Zentrale Fragestellungen der Unter- weile 28 Staaten müssen sich um diverse kauft. Dies entspricht mehr als der Hälfte nehmenssteuerreform III sind jedoch um- Krisenherde kümmern und ausserdem in- aller Warenexporterlöse. Allein das deut- stritten, die Betroffenheit der Kantone ist ternen Abschottungstendenzen entgegen- sche Bundesland Baden-Württemberg im- unterschiedlich gross, was eine innenpoliti- treten. Da hat die Gewährung neuer Aus- portiert mehr Schweizer Waren als China sche Einigung erschwert. Noch ist die nahmen für die Schweiz kaum Priorität. und Hongkong zusammen. Baden-Würt- Reform nicht beschlossen, und ein Refe- Und die Wahrscheinlichkeit, dass die temberg und Bayern, die beiden an die rendum bleibt wahrscheinlich. Dieses Schweiz ein EU-konformes Kontingent- Schweiz grenzenden Bundesländer, sind würde voraussichtlich im Jahre 2017 statt- system findet, ist eher gering. Sicher bleibt gemeinsam beinahe gleich bedeutend wie finden – ein weiterer wichtiger politischer also bloss die Unsicherheit. die USA. Grundsatzentscheid. Ausländische Unternehmen wollen Unsicherheit ist ungesund ausserdem Sicherheit, wenn sie hier inves- Die Rentenversprechen sind zu hoch Das wahrscheinlichste Szenario: 2017 wird tieren und Arbeitsplätze schaffen. Für Di- 2017 ist aber auch das Jahr, in dem das die Schweiz moderate Zuwanderungs- Bankgeheimnis für zahlreiche ausländische quoten einführen und damit die bilateralen Kunden an Umfang verliert. Der auto- Verträge verletzen. Aber weder die Schweiz matische Informationsaustausch (AIA) noch die EU werden diese Verträge kündi- Baden-Württemberg zwischen der Schweiz und allen EU-Staaten gen. Die EU könnte jedoch die Schweiz importiert mehr wird gemäss Vertrag 2017 in Kraft treten. mit Massnahmen punktuell mit ihrem Un- Der Umbau des Finanzsystems dürfte damit mut über die Vertragsverletzung konfron- Schweizer Waren als entscheidend vorankommen. Auch im Ka- tieren, etwa bei der Umsetzung der Mehr- China und Hongkong. lender der eidgenössischen Finanzverwal- wertsteuer- oder der Zolldeklaration. Eine tung nimmt das Jahr 2017 eine prominente stabile Zusammenarbeit sieht anders aus. Rolle ein: Laut dem aktuellen Bericht zum Unsicherheit aber ist ungesund für Voranschlag muss im Legislaturfinanzplan Investitionen: Mittels Regressionsanalyse rektinvestitionen sind wirtschaftliche Stabi- 2017–2019 ein Sparprogramm von rund ei- lässt sich zeigen, dass ein signifikanter lität im Gastland und Marktgrösse zwei ner Milliarde Franken aufgelegt werden, Zusammenhang zwischen politischer Un- entscheidende Kriterien. Das zeigt eine Ana- um die Bedingungen der Schuldenbremse sicherheit und dem Investitionsverhalten lyse von 245 bilateralen Investitionsströ- zu erfüllen. Im Jahr 2017 wird also noch besteht. Die Bedeutung der bilateralen Ver- men zwischen 19 OECD-Ländern sowie ein wichtiger Standortfaktor der Schweiz träge selbst lässt sich zwar nicht leicht in China und Brasilien über den Zeitraum von geprüft: die soliden Staatsfinanzen. Franken und Rappen quantifizieren, dafür 1991 bis 2012. Des Weiteren zeigt die Ana- In einer weiteren wichtigen Frage der sind das Vertragswerk und die Wirtschaft lyse, dass kulturelle Nähe, beispielsweise Zukunft – der demografischen Entwick- an sich zu vielschichtig. aufgrund einer gemeinsamen Landesspra- lung und der Sicherung der Altersvorsorge Umfragen bei Unternehmen deuten che, Direktinvestitionen anzieht. – ist hingegen 2017 nichts Entscheidendes aber darauf hin, dass ein Wegfall der Der wichtigste Faktor von Direktin- zu erwarten. Der Leidensdruck war bisher Verträge oder ein vertragsloser Zustand vestitionen sind aber die Steuern, insbeson- dank dem soliden Wirtschafts- und Bevöl- deutlich nachteilig wären. Die Mitglieds- dere der Unterschied in der Besteuerung kerungswachstum und der robusten Ent- unternehmen von Economiesuisse bei- von Unternehmen im Heim- und Gast- wicklung der Finanzmärkte zu wenig gross, spielsweise stufen die Bedeutung der Ver- land. Bislang war das Steuersystem ein und dies dürfte noch ein paar Jahre so träge als gross ein. Sieben der acht Trumpf der Schweiz im internationalen bleiben. Entsprechend klein ist der Wille Teilabkommen, zu denen die Firmen be- Standortwettbewerb. Die Unternehmens- zu Reformen: Während Standorttrümpfe fragt wurden, werden von mindestens je- steuerreform III beziehungsweise die vor- wie die wirtschaftliche Öffnung (mit Aus- dem dritten Unternehmen als positiv oder ausgehenden neuen internationalen Stan- nahme der Masseneinwanderungsinitiative sehr positiv beurteilt, und sogar rund 90 dards schaffen aber eine neue Ausgangslage: wurden sechs der sieben Vorlagen zum Bulletin N° 4 / 2015 — 21
— Entscheiden — bilateralen Weg in den letzten zehn Jah- ren angenommen) oder der liberale Ar- beitsmarkt (Ablehnung eines nationalen Investieren Mindestlohns und der sechsten Ferien- woche) sowie selbst Steuerreformen im oder nicht investieren? Volk meist starken Rückhalt geniessen, werden Reformen der Altersvorsorge re- Regulierung, wirtschaftliche und politische Unsicherheit gelmässig abgelehnt. Fakt ist aber: Die sowie Fachkräftemangel sind für Schweizer KMU Schweiz (über-)altert und die heutigen Rentenversprechen sind zu hoch. Investitionshemmnisse. Welche Voraussetzungen braucht es also für den zukünftigen Erfolg? Es droht ein Scherbenhaufen Weniger dringlich, aber ebenso wichtig Von Emilie Gachet sind Themen wie «Raumplanung» und «Regulierung». Wegen der grossen Kom- plexität sind hier aber ebenfalls keine Fortschritte bis 2017 zu erwarten. Glei- ches gilt für die Energieversorgung und die vom Bundesrat angestrebte Energie- wende. Die bisherige Strategie des Bun- des greift in vielerlei Hinsicht zu kurz. Marktmechanismen und Auslandsver- flechtung werden genauso ignoriert wie der nach wie vor steigende Stromkonsum. Es droht ein Scherbenhaufen. Ob ein sinnvolles Lenkungssystem das heutige Fördersystem ablösen wird, dürfte jedoch erst sehr viel später als im Jahr 2017 ent- schieden werden. Der starke Franken ist vielleicht die aktuellste, aber längst nicht die einzige Herausforderung für die Schweiz. Das wachsende Bewusstsein für das eine grosse Problem von heute könnte aber Heutige Investitionen legen die Basis für das Wachstum von morgen – oder für grosse Abschreiber. auch helfen, über die anderen, kommen- den Probleme nachzudenken. Die Schweiz ist dank klugen Ent- scheiden in der Vergangenheit ein Er- Ein Wort macht seit Jahresbeginn in der neue Qualitätsmaschine «made in Switzer- folgsmodell, das es für die Zukunft zu Schweizer Wirtschaftspresse die Runde: land» wirklich brauchen. Oder sollten sie sichern gilt. Es bestehen also gewisse «Unsicherheit». Mit der Aufhebung des ein günstigeres Modell aus einem anderen Hoffnungen, dass im Jahre 2017 die rich- Euro-Mindestkurses am 15. Januar 2015 Land wählen? Oder am Ende einfach ab- tigen Entscheide getroffen werden. und der darauffolgenden massiven Fran- warten, bis mehr Klarheit herrscht? kenaufwertung sind die wirtschaftlichen Der langfristige Erfolg eines Unter- Perspektiven nicht nur in der exportieren- nehmens hängt von solchen Entscheiden den Industrie, sondern auch bei vielen Zu- ab. Heutige Investitionen legen die Basis lieferern, Händlern oder im Tourismus un- für künftiges Wachstum – oder, falls die sicherer geworden. Für Investitionen ist Investition nicht rentiert, für grosse Ab- Unsicherheit aber bekanntlich Gift. schreiber. In der vierten Ausgabe der Credit Investitionsentscheide hängen zu- Suisse Studienreihe «Erfolgsfaktoren für nächst von Erwartungen ab. Erscheint Schweizer KMU» wurde auf Basis einer ihnen die künftige Entwicklung der Auf- Umfrage die Investitionstätigkeit kleiner und tragseingänge zu ungewiss, überlegen sich mittlerer Unternehmen untersucht. Knapp Claude Maurer leitet das Swiss Macroeconomic die Besitzer einer kleinen Industriefirma 1000 KMU wurden gefragt, warum wich- Research der Credit Suisse. zweimal, dreimal oder viermal, ob sie die tige Investitionen nicht getätigt wurden. 22 — Bulletin N° 4 / 2015 Foto: Olivier Maire / Keystone
— Entscheiden — Wirtschaftliche und politische Unsicherheit Abb. 1: Investitionshemmnisse stellt für KMU tatsächlich ein wichtiges Hindernisse für wichtige Investitionsprojekte der KMU in der Periode 2009–2014 Quelle: Credit Suisse KMU-Umfrage 2015 Investitionshemmnis dar – nicht erst seit Anteil der Antworten in Prozent dem 15. Januar 2015. Über ein Viertel der Investitionshemmnis: sehr grosses keines Umfrageteilnehmer gab an, dass Unsicher- heit in den Jahren 2009 bis 2014 wichtige Gesetze/Vorschriften Investitionsprojekte ihres Unternehmens Wirtschaftliche/politische Unsicherheit stark behinderte (vgl. Abb. 1). Im Vergleich Fehlendes Know-how/Fachkräftemangel zur Phase des Investitionsbooms von 2004 Ungenügende Nachfrage bis 2008 hat Unsicherheit zudem als Nicht zustande gekommene Bankfinanzierung Hemmnis noch an Bedeutung gewonnen. Nicht zustande gekommene anderwärtige Finanzierung 0% 50% 100% Schädliche Gesetze Die globale Finanzkrise, die Eurokrise, der starke Franken und eine Reihe umstrittener politischer Vorstösse wie beispielsweise die Abb. 2: Investitionsgründe Annahme der Masseneinwanderungsinitia- Investitionstätigkeit der KMU in der Periode 2009–2014 tive sorgten und sorgen für ein raueres Inves- Quelle: Credit Suisse KMU-Umfrage 2015 Anteil der Antworten in Prozent titionsklima in der Schweiz. Auch politische Investitionsgründe: sehr wichtig unwichtig Regulierung wirkt investitionshemmend: Bei knapp einem Drittel der befragten KMU Ersatz Infrastruktur/techn. Wandel beeinträchtigten Gesetze und Vorschriften Steigerung der Produktivität/Effizienz Investitionspläne stark. Mit 36 Prozent ist Vorgehen gegen Wettbewerbsdruck dieser Anteil im Handel und in der Bau- Vorgehen gegen Fachkräftemangel branche am höchsten. Im Bau dürften sich Expansion die Verschärfung der Regulierung im 0% 50% 100% Hypothekarbereich, die Revision des Raum- planungsgesetzes oder die Annahme der Zweitwohnungsinitiative negativ auf die Investitionstätigkeit ausgewirkt haben. Der Fachkräftemangel war in den letzten Jahren für über einen Viertel der (z. B. Automatisierung der Produktion). Im Unternehmen die beiden ersten Voraus- KMU ein Bremsklotz. Auch wenn jedes Zuge der Frankenstärke werden solche In- setzungen selbst beeinflussen können, ist einzelne Hemmnis jeweils nur von einer vestitionen wichtig, da sie zu Kostensen- die Stabilität unter anderem eine Folge Minderheit der KMU genannt wird, ist die kungen und somit zur Wiederherstellung guter Politik. Kurz: Um die Erfolgschancen Wirkung der aufgeführten Ereignisse in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit für Schweizer KMU nicht zu mindern, darf der Summe nicht zu unterschätzen: beitragen. die regulatorische Belastung nicht weiter Insgesamt konnten drei von fünf KMU ansteigen. wesentliche Investitionen von 2009 bis Was ist das Erfolgsrezept? 2014 nicht wie gewünscht tätigen, weil sie Insgesamt gaben sich in der Umfrage entweder durch ungenügende Nachfrage, 23 Prozent der KMU sowohl mit ihren In- durch Unsicherheit, Regulierung, Fach- vestitionen als auch mit dem Umsatz und kräftemangel oder – eher selten – durch der Marge der letzten sechs Jahre zufrieden. fehlende Finanzierung behindert wurden. Was ist ihr Erfolgsrezept? Gemäss der Dennoch investierten 90 Prozent der Analyse haben diese KMU stärker in die KMU zwischen 2009 und 2014. Im Durch- Mitarbeiterausbildung sowie Forschung schnitt wurden pro Jahr 10 Prozent des und Entwicklung investiert als andere. Umsatzes investiert. Zunächst ging es um Ausserdem wurde ihre Investitionstätigkeit den Ersatz veralteter Infrastruktur bezie- weniger durch politische oder wirtschaftli- hungsweise darum, mit dem technologi- che Unsicherheit behindert. schen Wandel Schritt zu halten (vgl. Was lässt sich daraus schliessen? Abb. 2). Aber auch Massnahmen zur Effi- Gute, qualifizierte Angestellte, Innovation zienz- und Produktivitätssteigerung sind und Stabilität sind für Schweizer KMU Emilie Gachet arbeitet beim Swiss Industry wichtig, insbesondere bei Industrie-KMU Grundlagen für den Erfolg. Während die Research der Credit Suisse. Bulletin N° 4 / 2015 — 23
«Beim Entscheiden arbeiten Körper und Geist perfekt zusammen.» «Man muss bei Entscheidungen einen sehr hohen Grad an Fehlern akzeptieren.» «Oft verlasse ich mich auf die Intuition.» «Menschen, die keine Empfindungen mehr haben, brauchen Stunden, um zwischen einem schwarzen und einem blauen Kugelschreiber zu entscheiden.» 24 — Bulletin N° 4 / 2015 20115
«In vielen Entscheidungs- situationen ist die emotionale Komponente entscheidend.» n c ke it t e r ie Tü tigke af d h s ch lärt Wic olle n k R i sse io er s, die rale i w s n t e e uro ama stsei e zen eit b e r N io D wus d di genh D ton Be un an ew ) An seres fühle Verg . (In t e r vi un r Ge nen ngen Krobath e de r eig eidu ichael ) de tsch unner, Mer (Foto En r n B Tu im o el rn na on S atha V dN un «Ich versuche, die natürlichen Vorlieben aus der Gleichung zu subtrahieren und einen bewussten Entscheid zu treffen.» Bulletin N° 4 / 2015 — 25
— Entscheiden — rungsgedächtnis ab, und zu jedem Ereignis verstecken, fürchten sollen. Wäre uns das markieren wir, ob es positiv oder negativ Bild neu, müssten wir erst mühsam alle war – das sind die somatischen Marker. Möglichkeiten durchdenken und hätten Dieses Erfahrungsgedächtnis hilft uns bei kaum Gelegenheit, richtig zu handeln. der Entscheidungsfindung. Die somati- schen Marker, die wir abgespeichert Überschätzt die Menschheit die Vernunft? haben, sind also ein automatisches System Historisch sah man das logische Denken H err Damasio, Sie haben sich eben für Mineralwasser zur schnellen Bewertung von Optionen. Sie wirken oft unbewusst als eine Art Alarm und unterstützen das Denken. Sie lassen Alternativen als günstig oder als eine zivilisatorische Errungenschaft an. Wir dachten: Je mehr Wissen, je mehr Logik, desto besser werden unsere Entscheide. Man wollte vom Affektiven entschieden, warum? gefährlich erscheinen, je nach individueller wegkommen, es wurde als primitiv Viele Entscheide im Leben treffen wir, Erfahrung. angesehen. Aber das ist falsch! Es gibt weil wir sie treffen müssen. Einige können nichts Primitives an Gefühlen. Im sehr wichtig sein für das Überleben. Ein konkretes Beispiel? Gegenteil, sie können extrem komplex Vielleicht habe ich eben Wasser bestellt, Sie sind alleine im Wald und hören ein sein. Und sie haben eine wichtige um den Wasserhaushalt in meinem Körper Geräusch. Durch die Bäume nehmen Sie Funktion bei unseren Entscheidungen: in Ordnung zu bringen. die Umrisse eines riesigen Mannes wahr. Sie sind nötig, um aus den vielen Bei Stress schüttet der Mensch Adrenalin Möglichkeiten schnell eine Auswahl Was geschieht bei einer Entscheidung? und Cortisol aus. Ihr Blutdruck steigt, zu treffen. Emotionen stellen somit Jede Entscheidung ist ein Auswahlprozess. die Atmung wird schneller, die Blutgefässe kein Hindernis dar. Sie unterstützen die Zwei Sachen kommen dabei zum Tragen: in der Haut ziehen sich zusammen. In Vernunft und sind ein integraler Wir haben zeit unseres Lebens ein Sekundenbruchteilen ändert sich der Teil von ihr. gewisses Mass an Wissen angesammelt Zustand mehrerer innerer Organe und der über mögliche Optionen: Ohne sie Muskulatur. Wir bemerken die Ver- anzuschauen, weiss ich ungefähr, welche änderung in unserem Körper – ein Gefühl Sachen hier auf der Getränkekarte stehen. entsteht. Wir reagieren. Unser Unter- «W Wir dac chte en: Je mehr Und dann gibt es den relativen Wert dieser bewusstsein hat Erfahrung mit Angst und Wis ssen,, des sto be esserr Optionen. Diese richtig abzuschätzen, ist verleitet uns zu einer Reaktion, die zu schwierig und hängt stark mit unseren unseren Erfahrungen passt: Wir flüchten unseree Entsscheide e. Gefühlen zusammen. oder wir bleiben stehen [siehe auch das Aber da as istt fals sch!» Kartenbeispiel rechts unten, Anm. d. Red.]. Dann entscheiden wir schlussendlich mit dem Bauch? Wir bleiben stehen? Es ist ein komplexes Zusammenspiel von Ja, der Mensch hat im Laufe der Evolution Sie erklären das Menschenbild des streng Fakten und Emotionen. Mein For- gelernt, dass es richtig sein kann, reglos zu rational handelnden Homo oeconomicus schungsbeitrag besteht darin, dass ich die bleiben, weil er damit der Aufmerksamkeit also für tot? grosse Bedeutung der emotionalen Kom- eines Angreifers entgeht. Dann wird Nein, nein, jetzt legen Sie mir Worte in ponente zur Unterstützung des rationalen die Atmung flach und der Puls wird den Mund. Nicht für tot, aber für zu eng. Denkens beweisen konnte. In vielen langsamer. Wenn wir aber flüchten, was in Es gibt neben der rationalen Nutzen- Entscheidungssituationen ist die emotio- diesem speziellen Fall vielleicht sinnvoller maximierung viele andere Faktoren, nale Komponente entscheidend, vor allem wäre, steigt der Puls, die Beine werden welche unsere Entscheidungen mit beein- wenn man unter Unsicherheit entscheiden besser durchblutet, weil wir für die Flucht flussen, etwa den Affekt, das soziale muss. Meistens entscheidet man sich nicht gutversorgte Muskeln brauchen. Körper Umfeld und besonders die kulturelle zum ersten Mal und unsere Reaktion auf und Geist arbeiten in beiden Szenarien Identität. Zu dieser gehören die Herkunft, vergangene Entscheide ist abgespeichert: perfekt zusammen. die persönliche Geschichte, die Genera- Welches Mineralwasser trank ich letztes tion, zu der man gehört, und so weiter. Mal? War es gut oder nicht? Empfand ich Emotionen helfen, schnell zu entscheiden? es als angenehm oder nicht? Wir können nur so schnell richtig reagie- Treffen wir ohne Emotionen nicht bessere ren, weil die Emotionen Träger unserer Entscheidungen? Im Zentrum Ihrer Theorie stehen sogenannte Erfahrungen sind. Wir sehen ein Bild und Im Gegenteil. Nehmen Sie als Beispiel somatische Marker – was machen die? erkennen darin ein bekanntes Muster: Uns den Patienten, den wir «E» nennen wollen. Ich glaube, wir speichern die meisten ist beigebracht worden, dass wir uns vor Er war ein erfolgreicher Anwalt, ver- Ereignisse in einem sachlichen Erfah- riesigen Männern, die sich in Gebüschen heiratet, hatte eine blühende Zukunft vor 26 — Bulletin N° 4 / 2015
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