Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse

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Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
CREDIT SUISSE

                                                           Bulletin
Seit 1895. Das älteste Bankmagazin der Welt. N° 4 / 2015

                                                                                                    Mit
                                                                                                Credit S
                                                                                             Jugend     uisse
                                                                                                   barome
                                                                                                            ter
                                                                                                  2015
                                                                                                #juba1
                                                                                                       5

                                                             Entscheiden
                                                            Die Kunst, das Richtige zu tun
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
OYSTER PERPETUAL DAY-DATE

                            bucherer.com
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Editorial —

               2                  3

  1                                        4
                                                 Noch nie wurde so
                                                 viel existiert
An dieser Ausgabe haben mitgearbeitet:

                                                 D
1 Clemens Bomsdorf                                          er durchschnittliche US-Supermarkt führt heute 43 800 Ar-
Der Journalist aus Köln hatte schon immer                   tikel, fünf Mal mehr als 1975. Und wer beim Grossverteiler
ein Faible für Nordeuropa, das mit einem                    in der Schweiz etwas Alltägliches wie Salz einkaufen will, hat
Ökonomiestudium in Stockholm zusätzlich          18 Produkte zur Auswahl. Ist die Migros geschlossen? Kein Problem: Bei
befeuert wurde. Heute lebt der 39-Jährige in
                                                 Amazon kann man rund um die Uhr eines von 213 (!) Salzen bestellen
Kopenhagen und berichtet für verschiedene
                                                 – alleine aus dem Himalaja-Gebiet. Noch keine Generation zuvor hatte
Medien über Politik, Wirtschaft und Kultur
aus Skandinavien – etwa für dieses Heft über     so viel Auswahl wie wir. Nicht nur beim Einkauf, auch bei der Arbeit,
das norwegische Ölwunder. Seite 36               in der Freizeit oder in der Liebe werden wir ständig aufgefordert (und
                                                 manchmal auch gezwungen), zu vergleichen, zu bewerten, abzuwägen
2 Marcus Bleasdale                               und zu entscheiden. Die Konsequenzen unserer Auswahlen sind unter-
Der vielfach preisgekrönte Fotograf mit iri-     schiedlich, doch letztlich steuern sie unser Leben. Wie sagte Reformator
schen Wurzeln hat für die Reportage von          Martin Luther (1483 – 1546)? «Nur wer sich entscheidet, existiert.» Frei
Clemens Bomsdorf seinen aktuellen Wohn-          nach Luther könnte man heute sagen: «Noch nie wurde so viel existiert.»
ort Oslo fotografiert und die besondere Stim-
mung im «reichsten Land der Welt» eingefan-

                                                 U
                                                          nd auch die Wirtschaft hängt von unseren Entscheiden ab.
gen. Bleasdale ist sonst oft in Krisenregionen
unterwegs, arbeitet für Human Rights Watch                Dieses Bulletin zeigt, welchen Prozess wir durchlaufen beim
oder das Magazin «National Geographic».                   Autokauf (Seite 6). Wie man Geld anlegen sollte und warum
Seite 36                                         wir das nicht befolgen (Seite 10). Und wie sich ein ganzes Volk, die Nor-
                                                 weger, für die Sicherung der eigenen Zukunft entschieden hat (Seite 36).
3 Lucia Malär
Die 36-jährige Bündnerin aus Trimmis ist

                                                 E
                                                          in weiterer Schwerpunkt dieser Ausgabe ist das Credit Suisse
Assistenzprofessorin für Marketing an der                 Jugendbarometer (ab Seite 57). Bereits zum sechsten Mal haben
Universität Bern und beantwortet die wich-                wir 16- bis 25-Jährige in der Schweiz, den USA, Brasilien und
tigsten Fragen zur Psychologie des Verkaufs:
                                                 Singapur zu ihrer Lebenswelt befragt und in einem grossen Interview
Welche Aktionen machen Sinn und wie viele
Sorten Konfitüre sollte ein Supermarkt im        analysiert Wirtschaftsminister Johann N. Schneider-Ammann die
Angebot haben? Seite 30                          Hauptresultate. Wie teilen nun die «Digital Natives» ihr Leben auf zwi-
                                                 schen online und offline? Antwort: Der Globalisierung zum Trotz gibt
4 Claude Maurer                                  es grosse regionale Unterschiede. Stimmt es, dass die Jugendlichen – ob
Der Ökonom und ehemalige Spitzensportler         ihrer vielen Wahlmöglichkeiten auch «Generation Maybe» genannt –
leitet das Swiss Macroeconomic Research der      entscheidungsfaul geworden sind? Antwort: Nein, ihr Verhalten ist äus-
Credit Suisse. Sein Team erstellt Prognosen      serst differenziert – im Sinne Luthers sind sie also überaus existent.
und Analysen zur Schweizer Konjunktur und
Geldpolitik. Hier macht Maurer eine Aus-
                                                 Ihre Redaktion
legeordnung: die wichtigen Entscheidungen,
welche für die Schweiz anstehen. Seite 20        PS: Mit dieser Ausgabe führen wir eine Leserseite ein, auf der wir mit
                                                 Ihnen in Austausch treten möchten (Seite 4). Wir freuen uns auf
                                                 Ihre Zuschriften zum Bulletin. Schreiben Sie uns an bulletin@abk.ch.
Titelbild: Lebensmittel-Angebot in einem
Rewe-Supermarkt in Berlin.
Foto: Hannes Jung / Laif

                                                                                                             Bulletin N° 4 / 2015 — 1
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
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Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

                                 Die Kunst
                                 des Verkaufs –
                                 Seite 30

                                                                                                              Inhalt

6              Weg zur besten Entscheidung                                          22              Investieren oder nicht?
               Sechs Strategien aus der                                                             Was KMU für den Erfolg
               Psychologie, um (fast) immer                                                         an Voraussetzungen brauchen.
               richtigzuliegen.
                                                                                    24              Antonio Damásio
10             «Intuition wird überschätzt»                                                         Der Neurowissenschafter
               Michael Mauboussin                                                                   über Hirn und Gefühle.
               über Glück und Können beim
               Investieren.                                                         30              Dieser Artikel ist gratis
                                                                                                    Marketing oder die Kunst
                                                                                                    des Verkaufs.
                                                                                                                                                47        Kampf oder Flucht?
                                                                                    34              «Der Chef entscheidet»                                In der freien Wildbahn werden
                                                                                                    Armeechef André Blattmann                             laufend existenzielle
                                                                                                    über das Führen unter extremen                        Entscheidungen gefällt.
                                                                                                    Umständen.
                                                                                                                                                50        So war es nicht gemeint
                                                                                    35              «Ich will, ich kann»                                  Historische Ereignisse und ihre
                                                                                                    Emani Lewis ging als erste                            ungeplanten Folgen.
16             Konferenzzimmer                                                                      in der Familie aufs College.
               Der Raum für grosse                                                                                                              52        «Die Angst verloren»
               Entscheidungen.                                                      36              Öl stinkt nicht                                       Futoshi Toba musste zwischen
                                                                                                    Wie Norwegen mit der                                  Pflicht und Familie wählen.
20             Die Schweiz entscheidet                                                              Gründung eines Staatsfonds
               Bis 2017 werden wichtige                                                             vieles richtig gemacht hat.                 55        Hätte ich doch …
               politische Weichen gestellt.                                                                                                               Was die Lebenden von den
                                                                                                                                                          Sterbenden lernen können.

              CREDIT SUISSE
          JUGENDBAROMETER 2015
                                                                                                                       2   Trends und Medien                3   Beruf, Finanzen

    #juba15                                                                                                                Wie oft informieren sich die
                                                                                                                           Jugendlichen? Was sind die
                                                                                                                           Top-Themen? Und schaut noch
                                                                                                                                                                und Karriere
                                                                                                                                                                Medienjobs sind beliebt,
                                                                                                                                                                Männer sparen mehr als
                                                                                                                           jemand TV? — Seite63                Frauen, Schulden sind nur
                                                                                                                                                                wenig verbreitet. — Seite 68
    1    Digitales Universum                                                                                           Wirtschaftsminister
         Was klickt und was nicht?                                                                                         Bundesrat Johann N.              4   Politik, Werte
         Die Rangordnung von Apps,                                                                                     Schneider-Ammann über seine              und Gesellschaft
         Gadgets und Plattformen. —                               Online? Offline?                                       und die heutige Jugend. —              Droht der grosse Konflikt der
         Seite59                                                 Die Harvard-Forscher Sandra                                     Seite65                      Generationen? — Seite70
                                                                  Cortesi und Urs Gasser unter-
                                                                  suchen die «digitale Jugend».
                                                                  Sie warnen: Nicht alles ist, wie
                                                                  es scheint. — Seite62

Fotos: Jeff Brown; Holly Wales; Tassii / iStockphoto; Bertie Gregory / 2020Vision / Nature Picture Library                                                                 Bulletin N° 4 / 2015 — 3
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

                                                                  CREDIT SUISSE

                                                            Bulletin
 Seit 1895. Das älteste Bankmagazin der Welt. N° 3 / 2015

                                                                   Afrika
                                                                                          Reaktionen                                                             Service
                                                              Aufstieg eines Kontinents
                                                                                          Bulletin «Afrika», 3/2015

Sprachrohr                                                                                                            Magazin: exzellent                                             Credit Suisse
Lange, wohl zu lange, wurde Afrika vor                                                                                Chapeau!, für dieses konzeptionell,                            Bulletin
allem als Problemkontinent betrachtet.                                                                                inhaltlich und optisch exzellent
                                                                                                                                                                                     kostenlos
Es gibt genügend Persönlichkeiten und                                                                                 gelungene Magazin. Aus meiner Sicht
Organisationen auf diesem Kontinent,                                                                                  ist es das spannendste Bulletin bisher.                        abonnieren!
welche konstruktiv, kreativ, selbstbe-                                                                                Rolf-Peter Käter, München                     www.credit-suisse.com/bulletin
wusst und eigenständig auf eine positive
Zukunft hinarbeiten. Die vorliegende
Ausgabe des Credit Suisse Bulletins ist                                                                                                                          Wir freuen uns über jeden Leserbrief.
                                                                                                                                                                 Die Redaktion behält sich vor, eine Auswahl
direkt und indirekt auch ein Sprachrohr                                                                               Korrektur des Zerrbildes
                                                                                                                                                                 zu treffen und Zuschriften zu redigieren.
für dieses Afrika.                                                                                                    Dieses Bulletin liefert einen wertvollen   Schreiben Sie uns:
Brigitte und Leon Eder, Häggenschwil                                                                                  Beitrag zur Korrektur des bei uns
                                                                                                                      vorherrschenden Zerrbildes von Afrika      E-Mail: bulletin@abk.ch
                                                                                                                      und der vielen Vorurteile über diesen      Adresse: Credit Suisse AG,
                                                                                                                      Kontinent. Ich habe als Individual-        Redaktion Bulletin, GCPA, 8070 Zürich
Auf einem guten Pfad                                                                                                  tourist in der Zeitspanne von 1972 bis
Warum nur findet Derartiges kaum                                                                                      heute zehn afrikanische Länder zum
                                                                                                                                                                 Jetzt im App Store
oder nur ungenügend Aufmerksamkeit                                                                                    Teil mehrmals bereist. Dabei bekam ich     Die App News & Expertise, mit
in unseren Medien, wie Zeitungen,                                                                                     Einblick in die afrikanische Kultur,       dem Bulletin und weiteren aktuellen
Internet, Fernsehen? Hat es vielleicht                                                                                lernte interessante und liebenswerte       Publikationen der Credit Suisse.
mit Neid zu tun, weil wir in Europa                                                                                   Menschen kennen und erfreute
in zahlreichen Belangen nicht mit                                                                                     mich an der grossartigen Natur. Auf-
                                                                                                                                                                 Folgen Sie uns!
Afrika mithalten können? Oder etwa                                                                                    grund meiner Erfahrungen kann
damit, dass wir von den hiesigen                                                                                      ich den in den Berichten gemachten             www.twitter.com/creditsuisse
Medien so gesehen werden, als wären                                                                                   Aussagen über die gesellschaftliche und        www.facebook.com/creditsuisse
wir vor wiegend an Unfällen und                                                                                       wirtschaftliche Entwicklung Afrikas            www.youtube.com/creditsuisse
Verbrechen interessiert? Mir persönlich                                                                               nur zustimmen. Insbesondere auch der           www.flickr.com/creditsuisse
tut es gut zu erfahren, dass es in Afrika                                                                             Erwähnung der Stellung der Frauen im
nicht nur Despoten, Korruption und                                                                                    Gesellschafts- und Wirtschaftsleben.
Terror gibt. Die vorgestellten Entwick-                                                                               Ich bin überzeugt, dass dieser Konti-      Archiv
                                                                                                                                                                 Alle bisherigen Ausgaben des Bulletin
lungen und Ist-Zustände im Bulletin                                                                                   nent bei allen noch herrschenden
                                                                                                                                                                 stehen in digitaler Form zur Verfügung:
geben Hoffnung, dass sich dieser riesige                                                                              Erschwernissen sein grosses Potenzial      www.credit-suisse.com/bulletin
Kontinent auf einem guten Pfad                                                                                        nutzen wird und damit eine erfolgreiche
befindet und für seine Bevölkerung                                                                                    Zukunft vor sich hat.
lebenswerten Raum mit Perspektiven                                                                                    Hansruedi Schnyder, Bellach
auf Freiheit und Eigenverantwortung
aufbereitet resp. zur Verfügung stellt.
Peter Kestenholz, Greifensee

Impressum: Herausgeberin: Credit Suisse AG, Projektverantwortung: Daniel Huber, Mandana Razavi, Inhaltskonzept,                                                                                                     PERFORM ANCE

Redaktion: Ammann, Brunner & Krobath AG (www.abk.ch), Gestaltungskonzept, Layout, Realisation: Crafft
                                                                                                                                                                                                                           neutral
Kommunikation AG (www.crafft.ch), Fotoredaktion: Studio Andreas Wellnitz, Berlin, Druckvorstufe: n c ag                                                                                                                 Drucksache
                                                                                                                                                                                           No. 01-15-483612 – www.myclimate.org
(www.ncag.ch), Druckerei: Stämpfli AG, Auflage: 110 000                                                                                                                                    © myclimate – The Climate Protection Partnership

4 — Bulletin N° 4 / 2015
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

Wie viel Teamgeist
steckt in
Engagement?

Die Credit Suisse bleibt am Ball – auch bei ihrem Engagement für den Schweizer Fussball.
Deshalb sind wir seit 1993 Hauptsponsor des Schweizerischen Fussballverbands und Partner aller
U- und A-Nationalteams. Wir unterstützen damit sportliche Höchstleistungen auf allen Stufen.

credit-suisse.com/sponsoring

                                                                                                 Bulletin N° 4 / 2015 — 5
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

                                  r best e n           heid un g
                              z u            E n t s c
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                            Angenommen, Sie möchten ein Auto kaufen, können sich
De

                            aber nicht entscheiden. Sechs Strategien aus der Psychologie,
                            um trotzdem (fast) immer richtigzuliegen.
                            Von Mikael Krogerus, Roman Tschäppeler und Jan Buchczik (Illustrationen)

 6 — Bulletin N° 4 / 2015
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

               (1) Rechercheprozess
                 bewusst gestalten

                                                                     (5) Entscheiden Sie
                                                                            intuitiv
                     (2) Auswahl
                       limitieren

                                                                                  ja

                                                                                                                      (7)
               Sind Sie zufrieden mit            ja                 Sind Sie bereit für die                   Hinterfragen Sie
                  den Optionen?                                        Entscheidung?                          die Entscheidung
                                                                                                                  nicht mehr

                              nein                                                nein

                  (3) Genügt Ihnen               ja
                                                                  (6) Lassen Sie jemanden
                    «gut genug»?                                    für sich entscheiden

                              nein

               (4) Haben Sie keine
             Angst vor Konsequenzen

1 Bestimmen Sie eine Recherchestrategie.                                 die verschiedenen Optionen abzuwägen, sodass wir womöglich
Das Problem der Recherche: Wir wissen nie genug, aber schnell zu         am Ende gar keine Entscheidung treffen.
viel. Mit wenigen Klicks im Internet ist man heute auf dem               So geht’s: Fragen Sie nicht: «Wie soll mein Traumauto sein?», fragen
Wissensstand eines Autohändlers, und je mehr man weiss, desto            Sie: «Wie soll es nicht sein?» Indem Sie das, was Sie nicht wollen oder
sicherer fühlt man sich. Aber es gibt einen sogenannten Tipping          brauchen, ausschliessen, reduzieren Sie gleichzeitig die Auswahl.
Point der Informationsaufnahme: Irgendwann wissen wir zu viel.
Man kann den Rest seines Lebens Autotests vergleichen – die Ver-         3 Senken Sie Ihre Erwartungen.
wirrung wird nur grösser, sagt Psychologieprofessor Barry Schwartz.      Suchen Sie nicht nach dem perfekten Auto. Suchen Sie nach
So geht’s: Setzen Sie sich selbst Grenzen, z. B. eine Stunde Internet-   einem Auto, das Ihre grundlegenden Bedürfnisse erfüllt. Selbst
recherche, drei Freunde fragen, eine Zeitschrift lesen, zwei Auto-       wenn «gut genug» objektiv gesehen nicht die beste Wahl ist,
händler aufsuchen.                                                       kann sie einen doch glücklicher machen als gar kein Auto oder
                                                                         die endlose Suche danach.
2 Verkleinern Sie Ihre Auswahl.                                          So geht’s: Statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welches das
Wir glauben, je grösser die Auswahl, desto besser unser Ent-             richtige Auto wäre, fragen Sie Ihre Freunde, ob sie mit ihrem Auto
scheid. 1995 aber fand die Forscherin Sheena Iyengar heraus,             zufrieden sind. Wenn das so ist, wird es auch für Sie gut genug sein,
dass wir bei einer grossen Auswahl zu viel Zeit damit verbringen,        sagt Barry Schwartz.

                                                                                                                           Bulletin N° 4 / 2015 — 7
Bulletin - Entscheiden - Jugendbarometer 2015 - Credit Suisse
— Entscheiden —

4 Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen.                                6 Lassen Sie jemand anderen entscheiden.
Die meisten Entscheidungen sind weniger nachhaltig, als wir im           Wir neigen zu der Auffassung, dass wir glücklicher sind, wenn
Augenblick des Entscheidens meinen.                                      wir die wichtigen Dinge selbst entscheiden. Das Gegenteil ist oft
So geht’s: Verwenden Sie die 10-10-10-Methode von Bestseller-            richtig: Simona Botti von der Cornell University hat in Experi-
Autorin und Harvard-Top-fünf-Prozent-Absolventin Suzy Welch.             menten gezeigt, dass wir bei eigenen Entscheidungen dem na-
Fragen Sie sich mit Blick auf den Autokauf: Welche Auswirkungen          genden Zweifel ausgesetzt sind, nicht die bestmögliche Variante
hat meine Entscheidung in 10 Tagen? Welche Auswirkungen hat sie          gewählt zu haben. Das fällt weg, wenn jemand anderes für uns
in 10 Monaten? Welche Auswirkungen hat sie in 10 Jahren? Klingt          entscheidet (bei gutem Entscheid werden Sie sich freuen, bei
banal, hilft jedoch, den Blick für die langfristigen Konsequenzen        schlechtem können Sie einem Dritten die Schuld geben).
einer Wahl zu schärfen.                                                  So geht’s: Wenn Sie zwischen zwei ungefähr gleich teuren Autos
                                                                         stehen, lassen Sie den Verkäufer entscheiden.
5 Hören Sie auf Ihre innere Stimme.
Eine ganze Reihe von Untersuchungen haben sich in den letzten            7 Vergessen Sie alle Entscheidungshilfen.
Jahren mit der Intuition befasst. Zwei Ergebnisse: Offensicht-           Kaufen Sie das Auto. Denn langfristig bedauern wir vor allem
lich gibt es einen Teil in uns, der mehr weiss, als wir zu wissen        jene Dinge, die wir nicht getan haben.
glauben. Und: Wir akzeptieren eher Fehlentscheide, die wir un-
bewusst getroffen haben, als jene, über die wir lange nachgedacht
haben. Aber wie schaltet man die Ratio aus?
So geht’s: Die niederländischen Forscher Ap Dijksterhuis und Zeger
van Olden empfehlen einen simplen Autosuggestionsprozess, der das
Hirn ablenkt: Denken Sie an Ihre Entscheidung. Rechnen Sie dann
                                                                         Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler sind Wissenschaftsautoren –
von 50 in Dreierschritten rückwärts. Sobald Sie bei null sind, schrei-   neben anderen Bestsellern hat sich ihr Buch «50 Erfolgsmodelle.
ben Sie sofort auf, ohne zu sehr darüber nachzudenken, welches Auto      Kleines Handbuch für strategische Entscheidungen» weltweit über eine
Sie kaufen wollen.                                                       halbe Million Mal verkauft. Krogerus und Tschäppeler leben in Biel.

8 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden —

Unser Engagement.
Weniger Jugend-
arbeitslosigkeit.

Mit der Initiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit engagiert sich die Credit Suisse in der Schweiz
seit 2010 für die Zukunftschancen von Berufseinsteigern. Über 8300 junge Erwachsene haben durch unsere
Partnerorganisationen und durch uns bereits Unterstützung erhalten. Seit 1. April 2015 werden die Angebote
vom rechtlich selbstständigen Verein «Check Your Chance» mitgetragen und durch die Partnerorganisationen
nachhaltig weitergeführt.
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                                                                                                               Bulletin N° 4 / 2015 — 9
— Entscheiden —

                      «Intuition
                         wird
                        völlig
                     überschätzt»

Was sollen wir mit unserem Geld tun?
Aktiv bewirtschaften oder in
Indexpapiere investieren? Ist Anlegen
Glück oder Können? Und welche
Entscheidungen sind wirklich wichtig?
Michael Mauboussin weiss Rat.
Von Simon Brunner (Interview) und Jeff Brown (Foto)

10 — Bulletin N° 4 / 2015
Michael Mauboussin, 51, ist
    Head of Global Financial
  Strategies der Credit Suisse,
   Buchautor und Kolumnist,
     Dozent an der Columbia
Business School und Präsident
  des Santa Fe Institute, einer
     privaten, gemeinnützigen
 Forschungs- und Lehranstalt
           für interdisziplinäre
        Grundlagenforschung.
   Mauboussin lebt mit seiner
 Frau in Darien, Connecticut.
        Sie haben fünf Kinder.

      Bulletin N° 4 / 2015 — 11
— Entscheiden —

Herr Mauboussin, sind wir Menschen
überhaupt dazu geeignet, Geld anzulegen?
                                                 «Man will Teil       Im Nachhinein lässt sich das leicht sagen,
                                                                      aber eine vielzitierte Börsenregel lautet:
Ich nenne es die traurigste Statistik des
Investierens: In den letzten zehn Jahren       der Gruppe sein.       «Greife nie in ein fallendes Messer.»
                                                                      Fallende Kurse alleine reichen natürlich
ist der amerikanische Aktienindex                                     nicht, es kann sich schlicht um eine
S & P 500 um 7,7 Prozent gestiegen, doch          Das ist nicht       Kurskorrektur handeln. Doch 2009 war
der durchschnittliche Investor hat nur                                ziemlich offensichtlich, dass
5,3 Prozent Rendite erzielt. Diese Werte
sind in allen Märkten der Welt ähnlich.
                                                immer positiv.»       einige Firmen unterbewertet waren.
                                                                      Viele Beobachter schrieben das – ich
Warum ist das so? Uns fehlt oftmals                                   selbst auch.
der emotional stabile Kiel, wir kaufen
hoch und verkaufen tief.                                              Wenn ich als privater Investor mein
                                                                      Vermögen aktiv verwalten will, wie soll
Den allermeisten Investoren ist diese Gefahr                          ich also vorgehen?
bewusst, trotzdem fällt es unglaublich                                Wenn Sie Ihr Geld selber managen
schwer, sich anders zu verhalten. Warum?                              wollen, würde ich folgendermassen
Wir wollen mehr vom Guten und weni-                                   vorgehen. Erstens, analysieren Sie den
ger vom Schlechten. Wenn wir sehen,                                   Kurs einer Aktie: Was sind die Er-
dass Menschen um uns herum viel Geld                                  wartungen an die Zukunft? Was wird
mit Aktien verdienen, wollen wir auch                                 vom Umsatz, Betriebsgewinn und
mitmachen. Doch Märkte funktionieren                                  vom Investitionsbedarf in den nächsten
oft entgegen der Intuition: Wenn sie                                  Jahren erwartet?
hochgehen, sinkt die zu erwartende
Rendite, und wenn sie absinken, steigt die                            Und dann?
erwartbare Rendite – wenn sich sonst                                  Zweitens, finden Sie heraus, ob die Firma
nichts ändert. Ein anderes, nur zu                                    strategisch und finanziell eher besser
menschliches Phänomen ist, dass man                                   oder schlechter abschneiden wird, als
Teil der Gruppe sein will. Das vermittelt                             erwartet wird. Drittens, kaufen oder
uns ein Gefühl der Sicherheit. Aber im                                verkaufen Sie. Diese drei Schritte sind
Investment-Kontext ist das nicht immer                                aufwendig. Um das richtig zu machen,
positiv. Wie sagt Warren Buffett? «You                                muss man motiviert sein. Aber die
want to be greedy when others are fearful                             Werkzeuge dazu stehen zur Verfügung.
and fearful when others are greedy»
(«Man sollte gierig sein, wenn andere                                 Welche Kennzahlen schauen Sie an, um die
ängstlich sind, und ängstlich, wenn                                   Aktien mit tiefen Erwartungen zu finden?
andere gierig sind»). Das sagt sich leicht,                           Es gibt verschiedene: Ein tiefes Kurs-
ist aber schwer umzusetzen.                                           Buchwert- oder Kurs-Gewinn-Verhältnis
                                                                      sind gute Indikatoren. Mit solchen
Was bedeutet das für Privatanleger?                                   Aktien hat man historisch gesehen
Für die Leute, die sich nicht lange damit                             zumindest längerfristig gute Chancen
aufhalten wollen, was sie mit ihrem                                   auf einen hohen Ertrag.
Ersparten tun sollen, sind Indexpapiere
eine gute Sache. Sie bilden einen ganzen                              Investiere ich mein Geld, trete ich gegen
Markt oder eine ganze Industrie ab                                    Millionen andere Investoren an, die
und sollten breit diversifiziert sein. Alle                           ähnliche Überlegungen anstellen.
anderen können sich darüber freuen,                                   Dementsprechend reflektiert der Kurs
dass Märkte nicht immer die Realität                                  eines Wertpapiers die Meinung von
widerspiegeln, vor allem in Extrem-                                   unzähligen Menschen ...
situationen nicht, und in diesen                                      ... Was nicht heisst, dass sie stimmt!
Situationen gibt es gute Gelegenheiten,
Geld erfolgreich anzulegen. Ein Beispiel                              Ich kann es besser machen?
war das erste Quartal 2009, als die                                   Unter Umständen ja. Aber dazu muss ich
Kurse runtergezogen wurden, weil die                                  eben verstehen, welche Erwartungen in
Investoren das Schlimmste befürchteten.                               ein Wertpapier eingepreist sind. Dann

12 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden —

kann ich abschätzen, ob der Markt zu                                                                        Verstehen wir Sie richtig: Beim Investieren
optimistisch oder zu pessimistisch ist.                                                                     geht es darum, menschliche Impulse zu
                                                                                                            zähmen, die uns aber evolutionäre Vorteile
Befolgen Sie eigentlich Ihre eigenen Regeln?                                                                gebracht haben – sonst hätten wir sie ja nicht?
Ich habe ein breit diversifiziertes                                                                         Genau – sie bringen uns beim Investieren
Portfolio mit vielen «billigen» Fonds, also                                                                 nicht weiter. Beispiel Optimismus: Die
solchen mit tiefen Verwaltungsgebühren.                                                                     Mehrheit der Unternehmer muss länger-
Aktiv handle ich äusserst selten.                                                                           fristig aufgeben. Ihre positive Grundhal-
                                                                                                            tung lässt sie dieses Faktum ausblenden,
Wenn wir vor allem in Indexfonds und                                                                        sonst würden sie wohl nie eine Firma
langfristig anlegen sollen, dann brauchen                                                                   gründen. Beim Investieren kann Optimis-
wir doch keine Bank mehr?                                                                                   mus aber gefährlich sein, hier gibt es nichts
Mit einer Bank zusammenzuarbeiten,                                                                          auszublenden. Was ich sagen will: Unser
lohnt sich für die meisten von uns:                                                                         Geist ist nicht fürs Anlegen gemacht, das
Wie finden Sie die richtigen Fonds?                                                                         sollte uns bewusst sein. Dann können wir
Wie stellen Sie die Diversifizierung                                                                        damit umgehen.
richtig ein? Und letztlich, wie kaufen
und verkaufen Sie? Ich denke, die meisten                                                                   Die Wirtschaftstheorie beschreibt den
von uns – ich inklusive – haben weder                                                                       Menschen als reinen Nutzenmaximierer –
Zeit noch Lust, uns täglich um das                                                                          zu Recht?
Portfolio zu kümmern. Dann muss man                                                                         Für eine normative Theorie passt dieses
sich fragen, wer das für einen tun soll.                                                                    Menschenbild: Wenn es darum geht,
Ein Banker, dem man vertraut, kann                                                                          wie wir uns verhalten sollten, macht es
eine gute Lösung sein für diese sensitive                                                                   Sinn, vom erwartbaren Nutzen einer
Aufgabe.                                                                                                    Handlung auszugehen.

     REINES                                                                                                                                    REINES
     GLÜCK                                                                                                                                    KÖNNEN

Die Wichtigkeit von Glück und Können: «Was in deiner Macht ist, ist Können, was ausserhalb steht, ist Glück.»

Illustration: Matt Chase                                                                                                             Bulletin N° 4 / 2015 — 13
— Entscheiden —

Und in der Realität?                                                    und das Können ist gleichmässig verteilt.
Da entsprechen unsere Handlungen nicht                                  In dieser Lage spielt das Glück eine grosse
wirklich diesen Erwartungen. Ein Beispiel                               Rolle.
ist unsere Aversion gegen Verluste. Die
Menschen fürchten sich etwa doppelt so                                  Was bedeutet das fürs Anlegen?
stark davor, Geld zu verlieren, als dass sie                            Damit man dem Glück weniger aus-
sich über Gewinne freuen. Aus evolutions-                               geliefert ist, sind Anlagedisziplin,
theoretischer Sicht macht das Sinn: Ist                                 Diversifizierung und der langfristige
die Nahrungsmittelsituation prekär, hat                                 Horizont sehr wichtig.
jeder weitere Verlust katastrophale Folgen.
Beim Anlegen kann das aber falsch                                       Zumindest für Laien liegt zwischen Glück
sein: Man hält ein Wertpapier zu lange,                                 und Können noch die Intuition. Welche Rolle
weil man die Verluste nicht realisieren                                 hat sie?
will, oder man verkauft einen Gewinner zu                               Das ist eine schwierige Sache. Ich persön-
schnell. Ein anderes Beispiel ist der                                   lich finde, Intuition ist völlig überschätzt.
«Haushaltsgeld»-Effekt: Man geht ins                                    Wenn man sich gut auskennt in einem
Casino und bildet zwei Stapel Chips:                                    Gebiet und dieses immer gleich und linear
einen mit dem mitgebrachten, einen mit                                  funktioniert, kann man die Intuition
dem gewonnenen Geld. Man überprüft                                      vielleicht brauchen. Beispiel Schach:
ständig das «Haushaltsgeld» – doch für das                              Wenn man einen Grossmeister bittet, eine
Spiel bringt das keinen Vorteil, da ist ein                             Spielsituation zu analysieren, kann er
grosser Stapel einfach besser als ein kleiner.                          relativ schnell sagen, wer vorne liegt und
                                                                        was ein guter nächster Zug ist. Er oder sie
Ihr jüngstes Buch handelt von Glück und                                 hat Millionen von Situationen analysiert,
Können. Was ist das eigentlich, Glück?                                  das Brett ist immer gleich gross und die
Mir gefällt die einfache Definition am                                  Bewegungen der Figuren sind vorgegeben.
besten: Was in deiner Macht ist, ist                                    Ist das Umfeld aber instabil und nicht
Können, was ausserhalb steht, ist Glück.                                linear – wie meist im Leben –, funktioniert
Je nach Aufgabe hat Glück eine grössere                                 sie gar nicht gut.
oder weniger grosse Rolle. Wir haben
die beiden Begriffe auf ein Kontinuum                                   Viele grosse Ideen waren spontane
gestellt, wo Glück links und Können                                     Eingebungen!
rechts steht [siehe Abbildung S. 13, Anm.                               Vielleicht gibt es tatsächlich den Typen,
d. Red.]. Zu den Tätigkeiten links gehören                              der beim Duschen die 10-Milliarden-
Lotto oder Roulette, rechts ist Schach                                  Dollar-Idee hatte. Aber es gibt ungleich
oder Basketball. Anlegen ist eher links.                                viel mehr Menschen, die bei der
                                                                        morgendlichen Pflege eine Idee hatten,
Investieren ist Glückssache?                                            und daraus wurde gar nichts. Die
Zu einem grossen Teil, ja. Um das zu ver-                               meisten 10-Milliarden-Dollar-Ideen
stehen, ist es wichtig, zwischen absolutem                              entstanden sicher nicht im Bad.
und relativem Können zu unterscheiden.
Beim Anlegen ist das absolute Fähigkeits-                               Kommen wir zum Sport, Ihrer zweiten
niveau sehr hoch: Uns steht viel Rechen-                                Leidenschaft. Sie behaupten, beim Eishockey
leistung zur Verfügung, wir besitzen sehr                               spiele das Glück eine weit grössere Rolle als
viele Informationen und können auf                                      beim Fussball.
weit fortgeschrittene Investment-Theorien                               Bevor ich das erkläre: Ich bin grosser
zurückgreifen. Schaut man sich das relative
Können an, muss man konstatieren, dass
                                                    «Jedermann          Eishockey-Fan und spiele selber gern.
                                                                        Aber: Die Eishockey-Spieler berühren das
zwischen den durchschnittlichen und den
besten Investoren kein enormer Unter-
                                                    kann heute          Spielgerät, den Puck, viel weniger oft als
                                                                        die Fussballer den Ball. Die besten Spieler
schied mehr besteht, jedermann kann
heute fast wie ein Profi anlegen. Eine           fast wie ein Profi     haben weniger Eiszeit, sie fallen also
                                                                        weniger ins Gewicht als Fussballstars. Und
solche Situation nennt man «Paradox des                                 bei der nordamerikanischen Eishockey-
Könnens»: Das Niveau ist sehr hoch                   anlegen.»          Liga NHL liegen die Teams in der

14 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden —

Schlussrangliste näher beieinander als die
Fussballmannschaften in der englischen           «Ganz einfach,        Ich denke an die Hochzeit oder den Kauf
                                                                       eines Hauses. Bei diesen Entscheiden
Premier League. Es gibt also in der NHL                                investiere ich viel Zeit. Bei allen anderen
auch ein «Paradox des Könnens». Bei              ich mache das,        rate ich: Ja nicht zu fest in die Details
einer Fussball-Weltmeisterschaft ist es                                gehen.
allerdings anders, dort gibt es viel weniger
Partien – da wird das Glück wichtiger.
                                                 was meine Frau        Sie haben fünf Kinder. Eine bewusste

Sie haben auch die Karrieren von grossen
                                                     sagt.»            Entscheidung?
                                                                       Okay, Sie haben mich erwischt: Das war
Tennisspielern analysiert - holt Roger                                 eine grosse Entscheidung, die wir nicht
Federer einen weiteren Grand-Slam-Titel?                               bis ins letzte Detail durchdachten.
Ich bin klar der Meinung, Federer sei der                              Wir wollten immer viele Kinder, doch
beste Tennisspieler aller Zeiten, dazu                                 meine Frau war bei den letzten zwei
gibt es genügend Daten. 17 Grand-Slam-                                 bis drei enthusiastischer als ich.
Titel etwa sind eine unglaubliche Zahl.
Aus verschiedenen Gründen glaube ich                                   Zuletzt: Wie viel Glück hatten Sie im Leben?
nicht, dass ein anderer Mensch das je                                  Sehr viel. Ich traf viele Menschen, die
erreichen wird. Noch mit 30 Jahren                                     mich stark unterstützten. Für meine erste
gewann Roger Wimbledon – ein Turnier                                   Arbeitsstelle musste ich sieben Bewer-
auf einer schnellen Unterlage. Und trotz                               bungsgespräche führen. Die Mehrzahl der
allem: Ich sage Nein, es ist sehr unwahr-                              Interviewer sprach sich gegen mich aus,
scheinlich, dass ein weiterer Grand-Slam-                              doch mit dem ranghöchsten hatte ich über
Titel hinzukommt.                                                      Football gesprochen. Ich hatte entdeckt,
                                                                       dass auf seinem Abfalleimer das Wappen
Warum?                                                                 seines Teams klebte, und sprach ihn darauf
Er ist nun 34-jährig. Das Problem mit                                  an. Er überstimmte alle.
dem Alter ist, dass das ganze System etwas
langsamer wird. Die Hand-Augen-                                        Ist das wirklich Glück? Sie hätten sich
Koordination, die Muskeln usw. Auf                                     vermutlich auch anderswo durchgesetzt.
diesem Niveau macht das einen grossen                                  Bei der Arbeit braucht es beides, Glück
Unterschied, speziell im Tennis, wo                                    und Fähigkeiten. Ich hätte wohl in den
das Können eine grosse Rolle spielt. Es                                meisten Szenarien eine einigermassen gute
wird ihm nicht mehr reichen.                                           Karriere hingelegt, aber vielleicht wäre
                                                                       sie nicht dermassen gut herausgekommen.
Sie sind eine Art professioneller Entscheider.
Wie gehen Sie eigentlich im Alltag vor? Wie                            Wo würden Sie sich denn selber auf dem
wählen Sie die Feriendestination aus, das                              Glück-Fähigkeiten-Kontinuum einordnen?
Restaurant, das Hemd am Morgen?                                        Bitte fragen Sie das nicht – ich fürchte
Ganz einfach, ich mache immer, was                                     mich vor der Antwort.
meine Frau mir sagt. Scherz beiseite,
es hilft unglaublich, wenn man Entschei-
dungen nach ihren möglichen Konse-
quenzen priorisiert. Im Café will ich nicht
Stunden damit vergeuden, mich zwischen
einem «Frappuccino Caramel Cocoa
Cluster» und einem «Cotton Candy» zu
entscheiden. Ich nehme einen, schmeckt er
nicht, nehme ich das nächste Mal den
anderen. Sogar der Entscheid, welches
Auto ich kaufe, ist auf unser Leben
gesehen wohl nicht wirklich wichtig. Sieht
man es so an, gibt es im ganzen Leben
nur eine Handvoll wirklich wichtiger
Weggabelungen.

                                                                                              Bulletin N° 4 / 2015 — 15
— Entscheiden —

Herzlich willkommen zur Sitzung
Pro Woche verbringen die Menschen durchschnittlich 5,6 Stunden in Meetings
und 69 Prozent beurteilen diese als unproduktiv*. Trotzdem: In der modernen
Businesswelt entscheidet nicht mehr einer alleine, sondern die Gruppe.
Vier Beispiele aus der ganzen Welt.

«Wenn wir abschweifen, ist das auch nicht schlimm.»

SINGAPUR: SANF TER WIDERSPRUCH                                                   schlimm, das sehen wir als teambildende Massnahme an.
«Jeder Mitarbeiter besucht die wöchentliche Sitzung und erzählt                  Unser Konferenztisch ist speziell – wir essen, arbeiten, sitzen
über den Fortschritt in seinen Projekten. Offene Fragen werden                   und feiern hier. Dieser einfache Tisch hat alles mitgemacht,
zwischen dem jeweiligen Projektleiter, seinen Mitarbeitern und                   was wir als Firma seit 1997 erlebt haben.»
dem Creative Director gelöst – im gegenseitigen Einverständnis.                  Andie Ngoh, 39, General Manager (im Bild: Vierte von rechts)
Jemandem zu widersprechen geht nur, wenn man seine Argu-
mente belegen kann – so verletzt man niemanden. Es geht dann                     WER: Work (Designagentur)
nicht um eine Ablehnung der Person als solcher, sondern um die                   WO: Singapur
Sache – die beste Idee gewinnt. Unsere Meetings folgen                           WAS: wöchentliches Statusmeeting
keiner starren Ordnung, die einzige Bedingung ist, dass sich                     DAUER: 1,5 Stunden
jeder einbringt. Wir sind meist sehr zielstrebig, doch wenn wir                  TEILNEHMER: 11
abschweifen und die Sitzung länger dauert, ist das auch nicht                    WANN: Mittwoch, 10 Uhr

* laut einer Studie von Microsoft mit 38 000 Teilnehmern in 200 Ländern (2005)

16 — Bulletin N° 4 / 2015                                                                                                                       Foto: Wee Khim
— Entscheiden —

SCHWEIZ: SAUBERE PLANUNG                                                      Der Gebrauch von Handy oder Laptop für Gespräche, SMS,
«An diesem Meeting besprechen wir die Details der nächsten                    E-Mails ist zu unterlassen. Dies funktioniert sehr gut, unsere
Werbeaktion und entscheiden über die entsprechenden Mass-                     Meetings sind effizient.»
nahmen zur Umsetzung an der Front. Der Stichentscheid                         Susan Gantenbein, 47, Chief Operations Officer, Stv. CEO, Mitinhaberin
liegt beim jeweiligen Projektverantwortlichen, in diesem Fall
beim Chief Communications Officer. Hier sind wir uns einig,                   WER: Gaia (Bio-Supermarkt)
die Machbarkeit steht klar im Zentrum. Wir pflegen eine sehr                  WO: Pfäffikon SZ
strukturierte Sitzungskultur: Die Meetings werden sauber                      WAS: wöchentliches Operations-Meeting
geplant, es gibt immer eine elektronische Einladung mit einer                 DAUER: 30 Minuten
Agenda, die ist inhaltlich und zeitlich verbindlich. Alle Teilneh-            TEILNEHMER: 3 (1 entschuldigt)
menden erscheinen pünktlich und vorbereitet. Die Massnahmen                   WANN: Montag, 11 Uhr
und Beschlüsse werden in einem kurzen Protokoll festgehalten.

«Der Gebrauch von Handy oder Laptop für Gespräche, SMS, E-Mails ist zu unterlassen.»

Gaia ist eine Portfoliogesellschaft der SVC – AG für KMU Risikokapital
(eine Tochtergesellschaft der Credit Suisse AG).

Foto: Christian Grund                                                                                                             Bulletin N° 4 / 2015 — 17
— Entscheiden —

DEU TSCHLAND: IM WANDEL                                               losere Kultur schon länger selbstverständlich, nun stellen wir
«Hier besprechen wir konkrete Timings, Deliverables und               auch fest, dass der Umgang mit Kunden und die interne Kultur
Verantwortliche für einzelne Projekte und Workstreams. Wie wir        bei Kunden lockerer wird. Einige sind erleichtert, wenn sie
entscheiden? Eigentlich einigen wir uns immer in der Diskus-          merken, dass man sich nicht mit «Herr Vorstandsvorsitzender …»
sion. Im Zweifelsfall setzt sich derjenige durch, der für das Thema   anreden muss, sondern einfach mit «Hey, Sacha, wie geht’s?».
verantwortlich ist; er oder sie hat meist auch einen höheren          Max Orgeldinger, 26, Consultant (im Bild: Dritter von links)
Redeanteil. Hierarchien sind nicht besonders sichtbar, Führungs-
kräfte stehen generell in der Verantwortung, dem Team bei             WER: TLGG (Internetagentur)
Unsicherheit mit klaren Ansagen beizustehen. Meetings werden          WO: Berlin
vorangekündigt, per E-Mail-Einladung, oder sie werden spontan         WAS: Besprechung des Consult-Teams
einberufen, per Chat oder mündlich. Regeln brauchen wir keine,        DAUER: so lange wie nötig, so kurz wie möglich
das geht über den gesunden Menschenverstand. Ich denke, in            TEILNEHMER: 5
Deutschland ist ein grundsätzlicher Wandel zu beobachten: In          WANN: Mittwoch, 14.30 Uhr
kleineren Unternehmen und kreativen Industrien ist eine form-

«Hierarchien sind nicht besonders sichtbar.»

18 — Bulletin N° 4 / 2015                                                                                                            Foto: Hendrik Schneider
— Entscheiden —

«Wird keine Lösung gefunden, vertagen wir den Entscheid.»

USA: GU T GEBRÜLLT                                                                 WER: Ranquist (Immobilien-Entwicklung)
«Wir besprechen den Projektfortschritt gemeinsam mit den                           WO: Chicago
Mitarbeitern der Generalunternehmung. Sie berichten, was                           WAS: wöchentliches Projektmeeting
auf der Baustelle passiert und welche Probleme aufgekommen                         DAUER: 90 Minuten
sind. Dann beschliessen wir, was zu tun ist. Das geht so: Der                      TEILNEHMER: 6
Projektleiter schlägt eine Lösung vor und die zwei Partner                         WANN: Mittwoch, 10 Uhr
entscheiden. Wird in kurzer Zeit keine Lösung gefunden und
ist das Problem nicht zeitkritisch, vertagen wir es. Von uns
Amerikanern hat man das Bild, dass wir sehr konfrontativ sind
– wer am lautesten brüllt, gewinnt. Nun ja, ich muss sagen,
das kommt schon vor.»
John Pawlicki, 43, Projektleiter und stellvertretender CEO (im Bild: ganz links)

Foto: Peter Hoffman                                                                                                         Bulletin N° 4 / 2015 — 19
— Entscheiden —

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   Frankenstärke, Zuwanderung, Energiestrategie, Unternehmenssteuern:
    Die Schweiz muss in den nächsten Jahren wichtige Weichen stellen.
      Wie kann das Erfolgsmodell gerettet werden? Ein Kommentar.
                                                           Von Claude Maurer

Wer der Meinung ist, die wirtschaftliche      Umsetzung der Masseneinwanderungsini-         lesaufgaben. Die Vernehmlassung zum Ent-
Unsicherheit in der Schweiz sei derzeit un-   tiative aus. Bis dahin muss gemäss Bundes-    wurf der Bundesrats ist bereits kontrovers
vergleichlich hoch, der sollte noch etwas     verfassung die Zuwanderung mit jährlichen     verlaufen, und die Diskussion dürfte nach
warten. Bald könnten die Turbulenzen          Höchstzahlen und Kontingenten gesteuert       den Parlaments- und den Bundesrats-
noch grösser werden. Nichts weniger als die   werden, so jedenfalls steht es geschrieben.   wahlen Ende 2015 noch an Intensität zu-
Beziehung der Eidgenossenschaft zu ihrem                                                    nehmen, weil sich keine Partei an diesem
wichtigsten Handelspartner, der Euro-         Die EU hat andere Probleme                    heissen Thema bis dahin die Finger ver-
päischen Union (EU), steht auf dem Spiel.     Die Einigung auf ein Kontingentierungs-       brennen will. Und sollte ein mehrheits-
Am 9. Februar 2017 läuft die Frist zur        system ist dabei nur eine von zwei Herku-     fähiges Kontingentierungssystem gefunden

20 — Bulletin N° 4 / 2015
— Entscheiden —

werden, wäre erst der innenpolitische Teil      Prozent aller Umfrageteilnehmer bewerten        Ausländische Gewinne von Statusgesell-
erledigt.                                       mindestens eines der Abkommen als posi-         schaften müssten einerseits zum ordentli-
      Noch schwieriger ist der zweite, der      tiv oder sehr positiv.                          chen Satz versteuert werden. Konkurrenz-
aussenpolitische Part: Laut EU verletzen              Der Wert, den stabile Beziehungen         standorte wie Irland, die Niederlande und
Kontingente das geltende Personenfreizü-        mit Europa haben, ergibt sich allein schon      Singapur müssen andererseits im Rahmen
gigkeitsabkommen, was wiederum ange-            angesichts der Bedeutung der EU für die         des OECD-Programms BEPS («Base
sichts der «Guillotine-Klausel» und der         Schweizer Exportwirtschaft. Aus deren           Erosion and Profit Shifting») ebenfalls ihre
impliziten Verknüpfung alle bilateralen         Sicht besteht die Welt nämlich vor allem        Steuermodelle für solche Gesellschaften
Verträge gefährden könnte. Dass die Union       aus den (EU-)Nachbarländern: Güter im           abschaffen, was die Wettbewerbssituation
ihre Meinung in dieser Frage ändert, ist bis    Wert von rund 110 Milliarden Franken            der Schweiz stärkt.
2017 eher unwahrscheinlich: Ihre mittler-       wurden im vergangenen Jahr in die EU ver-              Zentrale Fragestellungen der Unter-
weile 28 Staaten müssen sich um diverse         kauft. Dies entspricht mehr als der Hälfte      nehmenssteuerreform III sind jedoch um-
Krisenherde kümmern und ausserdem in-           aller Warenexporterlöse. Allein das deut-       stritten, die Betroffenheit der Kantone ist
ternen Abschottungstendenzen entgegen-          sche Bundesland Baden-Württemberg im-           unterschiedlich gross, was eine innenpoliti-
treten. Da hat die Gewährung neuer Aus-         portiert mehr Schweizer Waren als China         sche Einigung erschwert. Noch ist die
nahmen für die Schweiz kaum Priorität.          und Hongkong zusammen. Baden-Würt-              Reform nicht beschlossen, und ein Refe-
Und die Wahrscheinlichkeit, dass die            temberg und Bayern, die beiden an die           rendum bleibt wahrscheinlich. Dieses
Schweiz ein EU-konformes Kontingent-            Schweiz grenzenden Bundesländer, sind           würde voraussichtlich im Jahre 2017 statt-
system findet, ist eher gering. Sicher bleibt   gemeinsam beinahe gleich bedeutend wie          finden – ein weiterer wichtiger politischer
also bloss die Unsicherheit.                    die USA.                                        Grundsatzentscheid.
                                                      Ausländische Unternehmen wollen
Unsicherheit ist ungesund                       ausserdem Sicherheit, wenn sie hier inves-      Die Rentenversprechen sind zu hoch
Das wahrscheinlichste Szenario: 2017 wird       tieren und Arbeitsplätze schaffen. Für Di-      2017 ist aber auch das Jahr, in dem das
die Schweiz moderate Zuwanderungs-                                                              Bankgeheimnis für zahlreiche ausländische
quoten einführen und damit die bilateralen                                                      Kunden an Umfang verliert. Der auto-
Verträge verletzen. Aber weder die Schweiz                                                      matische Informationsaustausch (AIA)
noch die EU werden diese Verträge kündi-
                                                   Baden-Württemberg                            zwischen der Schweiz und allen EU-Staaten
gen. Die EU könnte jedoch die Schweiz                 importiert mehr                           wird gemäss Vertrag 2017 in Kraft treten.
mit Massnahmen punktuell mit ihrem Un-                                                          Der Umbau des Finanzsystems dürfte damit
mut über die Vertragsverletzung konfron-
                                                    Schweizer Waren als                         entscheidend vorankommen. Auch im Ka-
tieren, etwa bei der Umsetzung der Mehr-           China und Hongkong.                          lender der eidgenössischen Finanzverwal-
wertsteuer- oder der Zolldeklaration. Eine                                                      tung nimmt das Jahr 2017 eine prominente
stabile Zusammenarbeit sieht anders aus.                                                        Rolle ein: Laut dem aktuellen Bericht zum
      Unsicherheit aber ist ungesund für                                                        Voranschlag muss im Legislaturfinanzplan
Investitionen: Mittels Regressionsanalyse       rektinvestitionen sind wirtschaftliche Stabi-   2017–2019 ein Sparprogramm von rund ei-
lässt sich zeigen, dass ein signifikanter       lität im Gastland und Marktgrösse zwei          ner Milliarde Franken aufgelegt werden,
Zusammenhang zwischen politischer Un-           entscheidende Kriterien. Das zeigt eine Ana-    um die Bedingungen der Schuldenbremse
sicherheit und dem Investitionsverhalten        lyse von 245 bilateralen Investitionsströ-      zu erfüllen. Im Jahr 2017 wird also noch
besteht. Die Bedeutung der bilateralen Ver-     men zwischen 19 OECD-Ländern sowie              ein wichtiger Standortfaktor der Schweiz
träge selbst lässt sich zwar nicht leicht in    China und Brasilien über den Zeitraum von       geprüft: die soliden Staatsfinanzen.
Franken und Rappen quantifizieren, dafür        1991 bis 2012. Des Weiteren zeigt die Ana-             In einer weiteren wichtigen Frage der
sind das Vertragswerk und die Wirtschaft        lyse, dass kulturelle Nähe, beispielsweise      Zukunft – der demografischen Entwick-
an sich zu vielschichtig.                       aufgrund einer gemeinsamen Landesspra-          lung und der Sicherung der Altersvorsorge
      Umfragen bei Unternehmen deuten           che, Direktinvestitionen anzieht.               – ist hingegen 2017 nichts Entscheidendes
aber darauf hin, dass ein Wegfall der                  Der wichtigste Faktor von Direktin-      zu erwarten. Der Leidensdruck war bisher
Verträge oder ein vertragsloser Zustand         vestitionen sind aber die Steuern, insbeson-    dank dem soliden Wirtschafts- und Bevöl-
deutlich nachteilig wären. Die Mitglieds-       dere der Unterschied in der Besteuerung         kerungswachstum und der robusten Ent-
unternehmen von Economiesuisse bei-             von Unternehmen im Heim- und Gast-              wicklung der Finanzmärkte zu wenig gross,
spielsweise stufen die Bedeutung der Ver-       land. Bislang war das Steuersystem ein          und dies dürfte noch ein paar Jahre so
träge als gross ein. Sieben der acht            Trumpf der Schweiz im internationalen           bleiben. Entsprechend klein ist der Wille
Teilabkommen, zu denen die Firmen be-           Standortwettbewerb. Die Unternehmens-           zu Reformen: Während Standorttrümpfe
fragt wurden, werden von mindestens je-         steuerreform III beziehungsweise die vor-       wie die wirtschaftliche Öffnung (mit Aus-
dem dritten Unternehmen als positiv oder        ausgehenden neuen internationalen Stan-         nahme der Masseneinwanderungsinitiative
sehr positiv beurteilt, und sogar rund 90       dards schaffen aber eine neue Ausgangslage:     wurden sechs der sieben Vorlagen zum

                                                                                                                       Bulletin N° 4 / 2015 — 21
— Entscheiden —

bilateralen Weg in den letzten zehn Jah-
ren angenommen) oder der liberale Ar-
beitsmarkt (Ablehnung eines nationalen
                                               Investieren
Mindestlohns und der sechsten Ferien-
woche) sowie selbst Steuerreformen im
                                               oder nicht investieren?
Volk meist starken Rückhalt geniessen,
werden Reformen der Altersvorsorge re-         Regulierung, wirtschaftliche und politische Unsicherheit
gelmässig abgelehnt. Fakt ist aber: Die        sowie Fachkräftemangel sind für Schweizer KMU
Schweiz (über-)altert und die heutigen
Rentenversprechen sind zu hoch.                Investitionshemmnisse. Welche Voraussetzungen braucht
                                               es also für den zukünftigen Erfolg?
Es droht ein Scherbenhaufen
Weniger dringlich, aber ebenso wichtig         Von Emilie Gachet
sind Themen wie «Raumplanung» und
«Regulierung». Wegen der grossen Kom-
plexität sind hier aber ebenfalls keine
Fortschritte bis 2017 zu erwarten. Glei-
ches gilt für die Energieversorgung und
die vom Bundesrat angestrebte Energie-
wende. Die bisherige Strategie des Bun-
des greift in vielerlei Hinsicht zu kurz.
Marktmechanismen und Auslandsver-
flechtung werden genauso ignoriert wie
der nach wie vor steigende Stromkonsum.
Es droht ein Scherbenhaufen. Ob ein
sinnvolles Lenkungssystem das heutige
Fördersystem ablösen wird, dürfte jedoch
erst sehr viel später als im Jahr 2017 ent-
schieden werden.
       Der starke Franken ist vielleicht die
aktuellste, aber längst nicht die einzige
Herausforderung für die Schweiz. Das
wachsende Bewusstsein für das eine
grosse Problem von heute könnte aber           Heutige Investitionen legen die Basis für das Wachstum von morgen – oder für grosse Abschreiber.
auch helfen, über die anderen, kommen-
den Probleme nachzudenken.
       Die Schweiz ist dank klugen Ent-
scheiden in der Vergangenheit ein Er-          Ein Wort macht seit Jahresbeginn in der               neue Qualitätsmaschine «made in Switzer-
folgsmodell, das es für die Zukunft zu         Schweizer Wirtschaftspresse die Runde:                land» wirklich brauchen. Oder sollten sie
sichern gilt. Es bestehen also gewisse         «Unsicherheit». Mit der Aufhebung des                 ein günstigeres Modell aus einem anderen
Hoffnungen, dass im Jahre 2017 die rich-       Euro-Mindestkurses am 15. Januar 2015                 Land wählen? Oder am Ende einfach ab-
tigen Entscheide getroffen werden.             und der darauffolgenden massiven Fran-                warten, bis mehr Klarheit herrscht?
                                               kenaufwertung sind die wirtschaftlichen                     Der langfristige Erfolg eines Unter-
                                               Perspektiven nicht nur in der exportieren-            nehmens hängt von solchen Entscheiden
                                               den Industrie, sondern auch bei vielen Zu-            ab. Heutige Investitionen legen die Basis
                                               lieferern, Händlern oder im Tourismus un-             für künftiges Wachstum – oder, falls die
                                               sicherer geworden. Für Investitionen ist              Investition nicht rentiert, für grosse Ab-
                                               Unsicherheit aber bekanntlich Gift.                   schreiber. In der vierten Ausgabe der Credit
                                                      Investitionsentscheide hängen zu-              Suisse Studienreihe «Erfolgsfaktoren für
                                               nächst von Erwartungen ab. Erscheint                  Schweizer KMU» wurde auf Basis einer
                                               ihnen die künftige Entwicklung der Auf-               Umfrage die Investitionstätigkeit kleiner und
                                               tragseingänge zu ungewiss, überlegen sich             mittlerer Unternehmen untersucht. Knapp
Claude Maurer leitet das Swiss Macroeconomic   die Besitzer einer kleinen Industriefirma             1000 KMU wurden gefragt, warum wich-
Research der Credit Suisse.                    zweimal, dreimal oder viermal, ob sie die             tige Investitionen nicht getätigt wurden.

22 — Bulletin N° 4 / 2015                                                                                                         Foto: Olivier Maire / Keystone
— Entscheiden —

Wirtschaftliche und politische Unsicherheit      Abb. 1: Investitionshemmnisse
stellt für KMU tatsächlich ein wichtiges         Hindernisse für wichtige Investitionsprojekte der KMU in der Periode 2009–2014

                                                                                                                                                                    Quelle: Credit Suisse KMU-Umfrage 2015
Investitionshemmnis dar – nicht erst seit        Anteil der Antworten in Prozent
dem 15. Januar 2015. Über ein Viertel der
                                                                                                  Investitionshemmnis: sehr grosses               keines
Umfrageteilnehmer gab an, dass Unsicher-
heit in den Jahren 2009 bis 2014 wichtige                                 Gesetze/Vorschriften

Investitionsprojekte ihres Unternehmens                 Wirtschaftliche/politische Unsicherheit
stark behinderte (vgl. Abb. 1). Im Vergleich           Fehlendes Know-how/Fachkräftemangel
zur Phase des Investitionsbooms von 2004                               Ungenügende Nachfrage
bis 2008 hat Unsicherheit zudem als
                                                  Nicht zustande gekommene Bankfinanzierung
Hemmnis noch an Bedeutung gewonnen.
                                                                    Nicht zustande gekommene
                                                                     anderwärtige Finanzierung
                                                                                                   0%                                50%                     100%
Schädliche Gesetze
Die globale Finanzkrise, die Eurokrise, der
starke Franken und eine Reihe umstrittener
politischer Vorstösse wie beispielsweise die     Abb. 2: Investitionsgründe
Annahme der Masseneinwanderungsinitia-           Investitionstätigkeit der KMU in der Periode 2009–2014
tive sorgten und sorgen für ein raueres Inves-

                                                                                                                                                                    Quelle: Credit Suisse KMU-Umfrage 2015
                                                 Anteil der Antworten in Prozent
titionsklima in der Schweiz. Auch politische
                                                                                                  Investitionsgründe: sehr wichtig             unwichtig
Regulierung wirkt investitionshemmend:
Bei knapp einem Drittel der befragten KMU                    Ersatz Infrastruktur/techn. Wandel

beeinträchtigten Gesetze und Vorschriften                 Steigerung der Produktivität/Effizienz

Investitionspläne stark. Mit 36 Prozent ist                 Vorgehen gegen Wettbewerbsdruck
dieser Anteil im Handel und in der Bau-                      Vorgehen gegen Fachkräftemangel
branche am höchsten. Im Bau dürften sich                                            Expansion
die Verschärfung der Regulierung im
                                                                                                   0%                                50%                     100%
Hypothekarbereich, die Revision des Raum-
planungsgesetzes oder die Annahme der
Zweitwohnungsinitiative negativ auf die
Investitionstätigkeit ausgewirkt haben.
       Der Fachkräftemangel war in den
letzten Jahren für über einen Viertel der        (z. B. Automatisierung der Produktion). Im                     Unternehmen die beiden ersten Voraus-
KMU ein Bremsklotz. Auch wenn jedes              Zuge der Frankenstärke werden solche In-                       setzungen selbst beeinflussen können, ist
einzelne Hemmnis jeweils nur von einer           vestitionen wichtig, da sie zu Kostensen-                      die Stabilität unter anderem eine Folge
Minderheit der KMU genannt wird, ist die         kungen und somit zur Wiederherstellung                         guter Politik. Kurz: Um die Erfolgschancen
Wirkung der aufgeführten Ereignisse in           der internationalen Wettbewerbsfähigkeit                       für Schweizer KMU nicht zu mindern, darf
der Summe nicht zu unterschätzen:                beitragen.                                                     die regulatorische Belastung nicht weiter
Insgesamt konnten drei von fünf KMU                                                                             ansteigen.
wesentliche Investitionen von 2009 bis           Was ist das Erfolgsrezept?
2014 nicht wie gewünscht tätigen, weil sie       Insgesamt gaben sich in der Umfrage
entweder durch ungenügende Nachfrage,            23 Prozent der KMU sowohl mit ihren In-
durch Unsicherheit, Regulierung, Fach-           vestitionen als auch mit dem Umsatz und
kräftemangel oder – eher selten – durch          der Marge der letzten sechs Jahre zufrieden.
fehlende Finanzierung behindert wurden.          Was ist ihr Erfolgsrezept? Gemäss der
       Dennoch investierten 90 Prozent der       Analyse haben diese KMU stärker in die
KMU zwischen 2009 und 2014. Im Durch-            Mitarbeiterausbildung sowie Forschung
schnitt wurden pro Jahr 10 Prozent des           und Entwicklung investiert als andere.
Umsatzes investiert. Zunächst ging es um         Ausserdem wurde ihre Investitionstätigkeit
den Ersatz veralteter Infrastruktur bezie-       weniger durch politische oder wirtschaftli-
hungsweise darum, mit dem technologi-            che Unsicherheit behindert.
schen Wandel Schritt zu halten (vgl.                    Was lässt sich daraus schliessen?
Abb. 2). Aber auch Massnahmen zur Effi-          Gute, qualifizierte Angestellte, Innovation
zienz- und Produktivitätssteigerung sind         und Stabilität sind für Schweizer KMU                          Emilie Gachet arbeitet beim Swiss Industry
wichtig, insbesondere bei Industrie-KMU          Grundlagen für den Erfolg. Während die                         Research der Credit Suisse.

                                                                                                                                           Bulletin N° 4 / 2015 — 23


     «Beim
  Entscheiden
    arbeiten
Körper und Geist
     perfekt
  zusammen.»

                                                      «Man muss bei
                                                     Entscheidungen
                                                     einen sehr hohen
                                                     Grad an Fehlern
                                                       akzeptieren.»

                                  «Oft
                               verlasse
                             ich mich auf
                             die Intuition.»

                                                      «Menschen, die
                                                    keine Empfindungen
                                                  mehr haben, brauchen
                                               Stunden, um zwischen einem
                                                   schwarzen und einem
                                                 blauen Kugelschreiber zu
                                                       entscheiden.»

24 — Bulletin N° 4 / 2015
                     20115
«In vielen
Entscheidungs-
 situationen ist
die emotionale
 Komponente
entscheidend.»

                                                                  n
                                                           c ke it
                                               t e r ie Tü tigke
                                            af         d   h
                                      s ch lärt Wic olle
                                     n         k              R
                                i sse io er s, die rale i
                               w      s         n        t      e
                          e uro ama stsei e zen eit b
                    e r N io D wus d di genh
                   D ton Be un an                                        ew
                                                                           )
                    An seres fühle Verg .                    (In
                                                                 t e r vi

                        un r Ge nen ngen Krobath
                                    e
                          de r eig eidu ichael )
                             de tsch unner, Mer (Foto
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                                         n B Tu
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                                              na
                                     on S atha
                                    V
                                         dN
                                      un

                            «Ich versuche, die
                           natürlichen Vorlieben
                           aus der Gleichung zu
                          subtrahieren und einen
                           bewussten Entscheid
                                zu treffen.»

                                                         Bulletin N° 4 / 2015 — 25
— Entscheiden —

                                               rungsgedächtnis ab, und zu jedem Ereignis       verstecken, fürchten sollen. Wäre uns das
                                               markieren wir, ob es positiv oder negativ       Bild neu, müssten wir erst mühsam alle
                                               war – das sind die somatischen Marker.          Möglichkeiten durchdenken und hätten
                                               Dieses Erfahrungsgedächtnis hilft uns bei       kaum Gelegenheit, richtig zu handeln.
                                               der Entscheidungsfindung. Die somati-
                                               schen Marker, die wir abgespeichert             Überschätzt die Menschheit die Vernunft?
                                               haben, sind also ein automatisches System       Historisch sah man das logische Denken

H                err Damasio, Sie haben sich
                eben für Mineralwasser
                                               zur schnellen Bewertung von Optionen.
                                               Sie wirken oft unbewusst als eine Art
                                               Alarm und unterstützen das Denken. Sie
                                               lassen Alternativen als günstig oder
                                                                                               als eine zivilisatorische Errungenschaft
                                                                                               an. Wir dachten: Je mehr Wissen,
                                                                                               je mehr Logik, desto besser werden unsere
                                                                                               Entscheide. Man wollte vom Affektiven
              entschieden, warum?              gefährlich erscheinen, je nach individueller    wegkommen, es wurde als primitiv
Viele Entscheide im Leben treffen wir,         Erfahrung.                                      angesehen. Aber das ist falsch! Es gibt
weil wir sie treffen müssen. Einige können                                                     nichts Primitives an Gefühlen. Im
sehr wichtig sein für das Überleben.           Ein konkretes Beispiel?                         Gegenteil, sie können extrem komplex
Vielleicht habe ich eben Wasser bestellt,      Sie sind alleine im Wald und hören ein          sein. Und sie haben eine wichtige
um den Wasserhaushalt in meinem Körper         Geräusch. Durch die Bäume nehmen Sie            Funktion bei unseren Entscheidungen:
in Ordnung zu bringen.                         die Umrisse eines riesigen Mannes wahr.         Sie sind nötig, um aus den vielen
                                               Bei Stress schüttet der Mensch Adrenalin        Möglichkeiten schnell eine Auswahl
Was geschieht bei einer Entscheidung?          und Cortisol aus. Ihr Blutdruck steigt,         zu treffen. Emotionen stellen somit
Jede Entscheidung ist ein Auswahlprozess.      die Atmung wird schneller, die Blutgefässe      kein Hindernis dar. Sie unterstützen die
Zwei Sachen kommen dabei zum Tragen:           in der Haut ziehen sich zusammen. In            Vernunft und sind ein integraler
Wir haben zeit unseres Lebens ein              Sekundenbruchteilen ändert sich der             Teil von ihr.
gewisses Mass an Wissen angesammelt            Zustand mehrerer innerer Organe und der
über mögliche Optionen: Ohne sie               Muskulatur. Wir bemerken die Ver-
anzuschauen, weiss ich ungefähr, welche        änderung in unserem Körper – ein Gefühl
Sachen hier auf der Getränkekarte stehen.      entsteht. Wir reagieren. Unser Unter-             «W
                                                                                                  Wir dac
                                                                                                        chte
                                                                                                           en: Je mehr
Und dann gibt es den relativen Wert dieser     bewusstsein hat Erfahrung mit Angst und           Wis
                                                                                                   ssen,, des
                                                                                                            sto be esserr
Optionen. Diese richtig abzuschätzen, ist      verleitet uns zu einer Reaktion, die zu
schwierig und hängt stark mit unseren          unseren Erfahrungen passt: Wir flüchten            unseree Entsscheide e.
Gefühlen zusammen.                             oder wir bleiben stehen [siehe auch das            Aber da
                                                                                                        as istt fals
                                                                                                                   sch!»
                                               Kartenbeispiel rechts unten, Anm. d. Red.].
Dann entscheiden wir schlussendlich
mit dem Bauch?                                 Wir bleiben stehen?
Es ist ein komplexes Zusammenspiel von         Ja, der Mensch hat im Laufe der Evolution       Sie erklären das Menschenbild des streng
Fakten und Emotionen. Mein For-                gelernt, dass es richtig sein kann, reglos zu   rational handelnden Homo oeconomicus
schungsbeitrag besteht darin, dass ich die     bleiben, weil er damit der Aufmerksamkeit       also für tot?
grosse Bedeutung der emotionalen Kom-          eines Angreifers entgeht. Dann wird             Nein, nein, jetzt legen Sie mir Worte in
ponente zur Unterstützung des rationalen       die Atmung flach und der Puls wird              den Mund. Nicht für tot, aber für zu eng.
Denkens beweisen konnte. In vielen             langsamer. Wenn wir aber flüchten, was in       Es gibt neben der rationalen Nutzen-
Entscheidungssituationen ist die emotio-       diesem speziellen Fall vielleicht sinnvoller    maximierung viele andere Faktoren,
nale Komponente entscheidend, vor allem        wäre, steigt der Puls, die Beine werden         welche unsere Entscheidungen mit beein-
wenn man unter Unsicherheit entscheiden        besser durchblutet, weil wir für die Flucht     flussen, etwa den Affekt, das soziale
muss. Meistens entscheidet man sich nicht      gutversorgte Muskeln brauchen. Körper           Umfeld und besonders die kulturelle
zum ersten Mal und unsere Reaktion auf         und Geist arbeiten in beiden Szenarien          Identität. Zu dieser gehören die Herkunft,
vergangene Entscheide ist abgespeichert:       perfekt zusammen.                               die persönliche Geschichte, die Genera-
Welches Mineralwasser trank ich letztes                                                        tion, zu der man gehört, und so weiter.
Mal? War es gut oder nicht? Empfand ich        Emotionen helfen, schnell zu entscheiden?
es als angenehm oder nicht?                    Wir können nur so schnell richtig reagie-       Treffen wir ohne Emotionen nicht bessere
                                               ren, weil die Emotionen Träger unserer          Entscheidungen?
Im Zentrum Ihrer Theorie stehen sogenannte     Erfahrungen sind. Wir sehen ein Bild und        Im Gegenteil. Nehmen Sie als Beispiel
somatische Marker – was machen die?            erkennen darin ein bekanntes Muster: Uns        den Patienten, den wir «E» nennen wollen.
Ich glaube, wir speichern die meisten          ist beigebracht worden, dass wir uns vor        Er war ein erfolgreicher Anwalt, ver-
Ereignisse in einem sachlichen Erfah-          riesigen Männern, die sich in Gebüschen         heiratet, hatte eine blühende Zukunft vor

26 — Bulletin N° 4 / 2015
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