NEUER CAMPUS IN OBERSCHLEISSHEIM WÄCHST - TIERÄRZTLICHE FAKULTÄT - LMU MÜNCHEN
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nr. 2 • 2019 zeitschrift der ludwig-maximilians-universität münchen Tierärztliche Fakultät Neuer Campus in OberschleiSSheim wächst
Ein Stipendium – Deutschlandstipendium an der LMU München viele Gesichter Daniel Meierhofer, Zahnmedizin Ich engagiere mich für Minderheiten wie Straßenkinder oder Flüchtlinge. Am meisten Freude bereitet mir aber der Einsatz als Spre- cher für queere Studierende an der LMU. Ich Polina Larina, weiß aus eigener Erfahrung, welche Probleme Interkulturelle Kommunikation ein Outing mit sich bringen kann. Nach dem Tod meines Vaters lernte ich viel, um es von Usbekistan in die große, weite Welt zu schaffen. In München kann ich meinen Gideon Arnold, Traum jetzt verwirklichen: lernen und lehren. Jura Wenn ich für immer an der Uni bleiben dürfte, Nach meiner Ausbildung zum Wirtschaftsme- würde ich das sofort tun. diator habe ich neben meinem Studium einen Verein gegründet. Darin engagieren sich jetzt Juristen aus ganz Deutschland, um mittellosen Caroline Schambeck, Menschen durch Mediation bei der außerge- Geowissenschaft richtlichen Streitschlichtung zu helfen. Neben dem Studium Geld zu verdienen ist wegen meiner Mukoviszidose-Erkrankung unmöglich. Durch das Deutschlandstipendi- um habe ich bald trotzdem meinen Master in der Tasche. Das ist ein kleiner Sieg im Kampf gegen die unheilbare Krankheit. Sybille Veit, Medizin Sinksar Ghebremedhin, Ein Baby während des Studiums bekommen? Medieninformatik Das hat bei mir funktioniert – dank des Meine Eltern mussten selbst vor dem Krieg Deutschlandstipendiums. Jetzt helfe ich als fliehen. Daher unterstütze ich mit meinem Fachschaftsgruppenleiterin anderen Stu- Verein »Students4Refugees« Flüchtlinge dabei, dierenden mit Kind beim Organisieren des ein Studium beginnen oder fortsetzen zu Studienalltags. können – vier haben bereits ihren Abschluss geschafft. Ich möchte ein Stipendium stiften www.lmu.de/deutschlandstipendium Verantwortung übernehmen, Vielfalt fördern: Unterstützen jetzt auch Sie besonders engagierte und talentierte Studierende mit 150 Euro im Monat. Zum Dank verdoppelt der Bund Ihre steuerlich absetzbare Spende.
Editorial 1 1 Wendeltreppe im Biozentrum Martinsried MUM • NR. 2 • 2019 EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, früh aufstehen und viel lernen: Tiermedizin ist kein einfaches Studienfach. Und trotzdem sehen es die rund 2.000 Studierenden an der LMU als ihre Berufung. Was treibt die jungen Menschen an? In der Titelgeschichte schauen wir hinter die Kulissen des facettenreichen Studiums. Im Titelinterview spricht der Dekan der Tierärztlichen Fakultät, Professor Reinhard Straubinger, über den Umzug der renommierten Tiermedizin der LMU vom Standort am Englischen Garten nach Oberschleißheim. Dort entsteht ein in Europa einzigartiger Campus für die Fakultät. Das bedeutet viel zusätzliche Arbeit für alle Beteiligten. Viel Arbeit haben auch Studierende der Politikwissenschaft hinter sich. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes der regionalen Vertretung der EU-Kommission mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) haben sie mit Kommilitonen thematisch nahestehender Fächer Lösungsvorschläge für die Herausforderungen der EU erarbeitet. Sie wollten nicht länger „Eigentlich müsste man mal…“ sagen, sondern Probleme aktiv angehen. Die Chance, dass die Vorschläge auch ihren Adressaten finden, stehen nicht schlecht. Viel Kraft benötigt es auch, den globalen Temperaturanstieg noch zu bremsen. Jeden Frei- tag versuchen Schüler und Studierende unter dem Motto „Fridays for Future“ den älteren Generationen klarzumachen, dass es nicht einen Tag länger so weitergehen kann. Das neue „Lehrernetzwerk Klimawandel“ will sie beim Kampf gegen die Erderwärmung unterstützen und Lehrkräfte für das Thema sensibilisieren. Ein Kraftakt ist auch die Sanierung und Modernisierung des Deutschen Museums. Historiker Helmuth Trischler leitet dessen Bereich Forschung und wirkt parallel als Professor für Neuere und Neueste Geschichte sowie Technikgeschichte an der LMU. Im Interview gibt er Einblick in 30 Jahre Arbeit am Deutschen Museum und verrät seine Lieblingsstücke. Zu viel Belastung war für manche Studierende das Studium in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik. Dort sind die Abbrecherquoten an deutschen Hochschulen besonders hoch. Beim Verbundprojekt „ReSt@MINT“ der LMU und des Bay- erischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung wird erforscht, wie das künftig verhindert werden kann. Viel Spaß beim Lesen, Ihre MUM-Redaktion
MUM • NR.2 • 2019 ■ news 3 meldungen ■ titel Tierärztliche Fakultät 6 Neuer Campus in OberschleiSSheim wächst Sag Zum Abschied leise "Muh" ■ essay für eine Kultur des Hinschauens 10 „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen“ 6 Tierärztliche Fakultät Neuer Campus in OberschleiSSheim wächst ■ profile Inhalt Studentisches CAP-EU-Projekt 14 Zukunftsideen für die 27 LMU-Mitarbeiter Ehsan Ghafoory 2 16 Deutschlands berühmtester Pförtner MUM • NR. 2 • 2019 Kooperation LMU-Cambridge 18 Forschung ohne Grenzen Forscher ergründen Resilienz und Studienerfolg in den MINT-Fächern 22 „Aus Rückschlägen lernen ist gar nicht so leicht“ Förderung für die Byzantinistik 24 Ein GroSSreich erleben 14 Serie: LMU macht Schule Neues Lehrernetzwerk Klimawandel Studentisches CAP-EU-Projekt Zukunftsideen für die 27 28 Physics for Future 20 Jahre Lebensmut 30 Mit Krebs leben ■ Alumni Helmuth Trischler forscht 24 am Deutschen Museum und an der LMU Förderung für die Byzantinistik 36 Zwischen Umwelt und Raumfahrt Ein GroSSreich erleben ■ menschen 38 neuberufen 41 preise & ehrungen 44 Verstorben ■ service 30 47 tipps & terminE 20 Jahre Lebensmut Mit Krebs leben ■ impressum
NEWS Young Academy of Europe gründet Niederlassung an der LMU Im Februar wurde der deutsche Ableger der sammeln und Spenden erhalten, um so auch Young Academy of Europe (YAE) offiziell an hierzulande als Community und positive Kraft der LMU gegründet. Den Vorsitz hat Professor die Wissenschaftspolitik mitzugestalten. Donald B. Dingwell, Inhaber des Lehrstuhls für Mineralogie und Petrologie an der Fakultät für Konkret setzt sich die YAE etwa für eine europä- Geowissenschaften. ische Wissenschaftsagenda ein, fordert eine evi- denzbasierte Politik auf Basis wissenschaftlicher Die YAE wurde 2012 in Brüssel gegründet. Sie Fakten und nicht von Gruppeninteressen und entstand auf Initiative herausragender junger Machtkalkül. Auch möchte die YAE junge Wissen- news Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die schaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigen, sich für den wissenschaftlichen Austausch stark ihre Forschungsergebnisse einer breiten Öffent- machen und sich aktiv in die Wissenschaftspoli- lichkeit in Europa zu kommunizieren, insbeson- tik einbringen möchten. dere, wenn sich die wissenschaftlichen Fragen- stellungen mit Themen befassen, die sich auf die 53 Mit dem Status als gemeinnütziger Verein kann Gesellschaft, die Lebensqualität und den Lebens- • 2019 die YAE nun auch in Deutschland Fördermittel standard auswirken. ■ cg 2 Wir suchen Dich in München! Du bist ein talentierter Absolvent (m/w) aus einem der Studiengänge Mathematik, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften oder Informatik? Nutze Deine Chance auf einen Karriereeinstieg bei einem weltweit führenden Unternehmen in den Bereichen Advisory, Broking und Solutions mit flachen Hierarchien und kooperativer Unternehmenskultur! Wusstest du, dass Willis Towers Watson der älteste Versicherungsmakler der Welt ist? Wir waren beispielsweise der Broker für die Titanic, den Moon Buggy aus der Apollo Mission und die Hindenburg. Interessiert? Erfahre mehr über uns und unsere Karrieremöglichkeiten auf www.willistowerswatson.com.
NEWS Fachbibliothek Philologicum: Abschluss eines Leuchtturmprojekts in der geisteswissen- schaftlichen Bibliothekslandschaft Zum Wintersemester 2019/20 wird in der Ludwigstraße 25 mit dem Philolo- gicum die größte und modernste Fachbibliothek der LMU eröffnet. Bislang erfolgt die bibliothekarische Versorgung der Fakultät für Sprach- und Litera- turwissenschaften in insgesamt zehn Instituts- und Fachbibliotheken, die auf sechs Liegenschaften der LMU verteilt sind. Im Philologicum werden diese Bibliotheken sowie die philologischen Bestände der Lehrbuchsammlung nun unter einem gemeinsamen Dach vereint. Doch nicht nur das: Neben einer umfassenden Literaturversorgung für die Sprach- und Literaturwissenschaf- ten bietet die neue Fachbibliothek auch über 740 Arbeitsmöglichkeiten. Ein- zelarbeitsplätze sowie zahlreiche Gruppen- und Sonderarbeitsräume bilden ein exzellentes, an sieben Tagen in der Woche und auch in den Abend- und Nachtstunden geöffnetes Lern- und Arbeitsumfeld. News Bis es soweit ist und die Fachbibliothek für die Nutzerinnen und Nutzer ihre Tore öffnet, gibt es noch viel zu tun. Von Anfang Juli bis Mitte September 2019 werden die beteiligten philologischen Bibliotheken in das neue Gebäu- de einziehen. Damit einher gehen notwendigerweise Einschränkungen im 4 Benutzungsbetrieb und Schließungen der Bibliotheken. ■ ub • 2019 Die Zugänglichkeit der philologischen Buchbestände wird daher zwi- schen dem 01.07.2019 und der Eröffnung des Philologicums zu Beginn des Wintersemesters stark eingeschränkt beziehungsweise größtenteils nicht gegeben sein. MUM • NR. 2 Aktuelle Informationen zur Fachbibliothek Philologicum, insbesonde- re auch zu alternativen Zugängen zu philologischer Literatur während der Bibliotheksumzüge und Schließungen, finden Sie ab Juni auf der Website der Universitätsbibliothek unter: www.ub.uni-muenchen.de Studierendenausweis: 1.000 LMUcards ausgestellt Klick macht es – und eine weitere LMUcard tet. Ab April soll die Zahl der Freischaltungen ploppt aus dem Drucker. Noch eine Unter- dann noch deutlich erhöht werden. Wer die schrift, und schon hält Moyan seinen neuen Mail im Postfach hat, kann den Studentenaus- multifunktionalen Studentenausweis in der weis ganz einfach online beantragen und an- Hand. Es ist die Nummer 1000. So viele schließend sofort abholen.“ Um eine reibungs- LMUcards haben die studentischen Mitar- lose Ausstellung zu gewährleisten, empfiehlt beiter am IT-Servicedesk bereits ausgestellt. Loechel, dennoch den Status des Kartenan- „Im Minutentakt kommen hier Studierende trags vor der Abholung zu prüfen. Den Status vorbei und holen sich ihre Karte ab“, erzählt können Studierende jederzeit online einsehen. Sema. Sie sitzt an einem der Ausgabeschal- ter. „Es geht alles ganz schnell. In wenigen Mit ein paar Kinderkrankheiten hat die LMU- Augenblicken ist man auch schon fertig. card noch zu kämpfen: „Es gibt ein paar kleine- Man braucht nur einen Ausweis und den re Probleme beim Foto-Upload, zum Beispiel Papier-Studentenausweis für das Sommer- über den Browser Safari. Wir haben aber eine semester 2019.“ Fotoecke eingerichtet, damit wir im Zweifel das Bild vor Ort machen können.“ Und eine 1 Moyan zeigt stolz seine LMUCard Der Weg zur LMUcard hat drei Stationen: Bitte hat Alexander Loechel noch an alle künf- Freischaltung, Online-Beantragung und tigen LMUcard-Besitzer: „Es wäre toll, wenn Abholung. „Damit nicht alle Studierenden die beantragten LMUcards innerhalb von fünf auf einmal zur Abholung kommen und wir Werktagen abgeholt werden könnten. So kön- Schlangen bis zum Odeonsplatz haben, geben wir die LMUcard in Wellen nen wir schneller mehr Studierende für die Be- heraus“, erklärt Alexander Loechel der zuständige Projektleiter vom IT-De- antragung freischalten, damit bald jeder eine zernat der LMU. „Seit Februar haben wir etwa 5000 Studenten freigeschal- LMUcard hat.“ ■ ps
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thema Tiermedizin zieht nach OberschleiSSheim 6 Sag zum Abschied leise MUH MUM • NR. 2 • 2019 In die Medien schaffen es meist nur die Waschbären mit Herzschrittmacher oder die adipösen Haustiere. Wie facettenreich und fordernd das Studium und die Arbeit der Tiermedizinerinnen und Tiermediziner ist, darüber gibt es oft zu wenig Einblicke. Dabei stecken hinter den Kulissen vor allem Men- schen, denen man ihre Berufung anmerkt. Fünf Uhr morgens ist das Licht in den Ställen des Bauernhofs noch gedimmt. Die ersten Studierenden haben ihre Gummistiefel und Schmutzoveralls schon angezogen und beginnen ihre Arbeit: Kühe melken, ausmisten, füttern. Es gilt, etwa 300 Rinder, davon 130 Milchkühe, Kälber und knapp 900 Schweine in- klusive Ferkel zu versorgen, und die Aufgaben sind gut verteilt. Es ist nicht irgendein Bauernhof, es ist der Unibauernhof der LMU, das sogenannte Lehr- und Versuchsgut. Die Studierenden absolvieren gerade ihr landwirtschaftliches Pflichtpraktikum. „Ein starker Fokus bei der Ausbildung der Tiermedizin sind Nutztiere“, erklärt Thomas Göbel, Studiendekan der Tierärztlichen Fakultät. „Es ist wichtig, das von Anfang an zu vermitteln und ich kann sagen, dass die Studierenden dieses Praktikum lieben.“ Im Studium um fünf Uhr aufstehen ist sicher für die meisten eine Horrorvor- stellung. Nicht aber für Angelina, die jetzt im vierten Semester studiert und das Praktikum schon gemacht hat. Lachend erinnert sie sich an das Wiegen der Kälber. „Ich bin ein Stadtkind. Und für uns hat das erst einmal süß geklungen, Kälber zu wiegen, und so haben wir es uns dann auch vorgestellt. Aber ein Kalb wiegt schon 100 Kilogramm, und die wenigsten von ihnen hatten an dem Tag Lust zum Wiegen. Wir sind jedenfalls echt ins Schwitzen gekommen und waren froh, danach zum Ausmisten zu dürfen.“ Angelina kommt ursprünglich aus Moskau und hat dort schon Tiermedizin studiert. „Allein in Moskau gibt es fünf Hochschulen für ein Tiermedizinstudium, so viele wie in ganz Deutschland. Der Praxisanteil ist an der LMU allerdings viel höher als woanders. Ich bin sehr glücklich, hier zu studieren“, erzählt Angelina. „Tiermedizin ist eine Berufung“ Angelina studiert eines der schwersten Fächer. Vor allem in den ersten Semestern heißt es lernen, ler- nen, lernen: Anatomie, Chemie, Physik, Biologie, Tierschutz, Tierhaltung und vieles mehr. In einer Pause schreibt sie auf Instagram: „Ich habe den ganzen Samstag im Labor verbracht, um DNA zu isolieren und PCR-Diagnostik zu machen. Aber anstatt mich danach zu entspannen, lerne ich weiter. Jede Woche lernen ohne Wochenenden, jede Woche Examen, um ein paar glückliche Momente mit diesen wunder- vollen Lebewesen zu verbringen? Ja, ich liebe es.“ Göbel ist dieser Enthusiasmus nicht fremd. „Es ist immer dieselbe Geschichte, die ich im Lebenslauf lese: Seit ich sechs bin, möchte ich Tierärztin werden.
Tiermedizin ist eine Berufung, für die meisten gibt es keinen Plan B.“ thema Das trifft auch auf Laura zu, die ihren Stu- dienabschluss gemacht hat und jetzt ein Trainingsprogramm für Absolventen an der Medizinischen Kleintierklinik absolviert. Damit kann sie sich weiterqualifizieren. Im Gegensatz zu Angelina, der es die großen Tiere angetan haben, sind es bei Laura vor allem Hunde. 7 „Ich möchte mit den Tieren ‚reden‘ können. Und ich kann mit Klein- MUM • NR. 2 • 2019 tieren gut umgehen.“ An den Anfang ihres Studiums erinnert sie sich noch gut: „Man wird schon ins kalte Wasser geworfen. Schon in meiner zweiten Woche musste ich im Präparationskurs ein Hun- debein bearbeiten.“ Dennoch gehört Anatomie zu den Bereichen, die ihr am meisten Spaß gemacht haben. Richtig spannend, erzählt sie, wird es ab dem 5. Semester, wenn die Vorlesungen und Kurse spezieller werden und jeder Studierende die sechs Kliniken im Ro- tationsprinzip durchläuft. „Wir hatten da zum Beispiel einen Milch- kurs und einen Käsereikurs. Es gibt kein tierisches Lebensmittel, das nicht von einem Tierarzt geprüft wird. Am Ende des Käsereikurses haben wir diesen mit Rotwein verköstigt.“ Laura hat jede Sekunde, die sie erzählt, ein Lächeln im Gesicht. Dennoch, das betont sie immer wieder, sei Tiermedizin ein „inten- sives Studium, bei dem man mit Herz und Seele dabei sein muss“. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn Tiermedizin ist eine Hochleistungsmedizin. „Wir benutzen die gleichen Verfahren und 7 1 Hilfsmittel wie in einem Krankenhaus. Wir arbeiten hier nach den Kühe füttern und melken, Schweine versorgen oder Ställe ausmisten: Das höchsten Standards und führen komplizierteste Operationen durch, Studium der Tiermedizin ist in jeder Hinsicht harte Arbeit. in allen nur erdenklichen Größenordnungen – vom kleinsten Fisch bis zum Elefanten“, sagt Göbel. Und das spiegelt sich natürlich auch in der breiten Ausbildung wider. Wie stark die Tiermedizin an der LMU ist, zeigt das jüngste QS-Fächerranking. Weltweit ist die Tier- medizin der LMU in den Top 25, in Deutschland mit großem Abstand Kollegen und Studierenden der École Nationale Vétérinaire de Tou- auf Platz eins. Damit das so bleiben kann, muss auch die Infrastruk- louse, das Tragen der Talare beim Abschluss oder die Tradition, tur stimmen. Und da ist gerade eine große Veränderung im Gan- dass die Studierenden in niedrigeren Semestern den Absolventen ge. Die Süddeutsche Zeitung sprach gar von einer „Jahrhundert- einen Doktorhut basteln. Und natürlich werden alle, die am histo- entscheidung“ der Fakultät, ganz nach Oberschleißheim zu ziehen. risch gewachsenen Standort am Englischen Garten studiert, gelehrt und geforscht haben, auch ein wenig wehmütig zurückblicken. Min- Tradition wird Moderne – ein Campus entsteht destens die 15 Minuten Baden im Eisbach zwischen den Vorlesun- Bisher gibt es in Oberschleißheim ein hübsches Schloss, den ältes- gen wird Angelina vermissen. Und Laura? „Es war wie ein eigenes ten noch aktiven Flugplatz Deutschlands und eine Kaderschmiede kleines Dorf am Englischen Garten“, erzählt sie. „Ich habe aber die des FC Bayern. Und mittelfristig zieht dort die gesamte Tierärztliche Abschlussprüfung schon im neuen Hörsaal in Oberschleißheim ge- Fakultät der LMU auf „einen in Europa einzigartigen Campus“ – so macht und muss sagen, die Einrichtungen sind schon toll.“ Genau der Dekan der Fakultät, Reinhard Straubinger (siehe Interview auf das wird den neuen Campus ausmachen: tolle neue Einrichtungen, Seite 8). von der Bibliothek bis zum Skills Labor für Studierende über die Kliniken bis hin zu modernster Infrastruktur für Wissenschaftlerin- Dabei hat die Tiermedizin gerade in der Innenstadt, in Schwabing, nen und Wissenschaftler. Und sicher wird bis dahin auch die Nah- ihren Nukleus – das war die 1790 gegründete Tierarzneischule. Die verkehrsverbindung gut sein – damit die etwa 1.600 Studenten, 300 Fakultät selbst feierte 2014 ihr 100-jähriges Bestehen. Sie pflegt Doktoranden und 450 Mitarbeiter im Campus Oberschleißheim ein ihre Traditionen, sei es das jährliche Grillfest mit den französischen neues Zuhause für ihre Tiermedizin finden. ■ ski
Interview zum Campus OberschleiSSheim „Ein in Europa einzigartiger Campus“ Die Tiermedizin der LMU ist weltweit renommiert. Ihr Standort am Englischen Garten ist aus dem Nukleus der „Thier-Arzney-Schule“ seit über 200 Jahren historisch, aber nicht mehr den neuesten Entwicklungen in Forschung und Lehre gewachsen. In Ober- schleißheim entsteht deshalb ein in Europa einzigartiger Campus für die Tierärztliche Fakultät. Die MUM sprach mit Dekan Reinhard Straubinger über Entwicklungen und thema Herausforderungen. 6 MUM: Herr Professor Straubinger, ein kurzer Blick zurück: Die Straubinger: Ich sehe das als sehr positive Entwicklung, die wir da MUM • NR. 2 • 2019 Tierärztliche Fakultät kann auf eine lange Tradition zurückbli- durchlaufen. Weil wir einen Campus gestalten werden, der aus mei- cken – auch auf dem Campus am Englischen Garten. Werden Sie ner Sicht einmalig sein wird in Europa – von der Fläche, von der den vermissen? Konzeption und von der Ansammlung der verschiedensten wichti- Prof. Dr. Reinhard Straubinger: Die Gebäude und die Lage haben gen veterinärmedizinischen Einrichtungen her – angefangen bei der natürlichen schon ihren Charme – das ist sicher etwas, was wir Fakultät selbst, über das Lehr- und Versuchsgut, das direkt nebenan vermissen werden. Wie zum Beispiel das Eingangstor der Fakultät, ist, bis hin zum Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicher- das aber bestehen bleibt. Andererseits haben wir nun die Chance, heit. So eine Konstellation werden Sie in Europa selten oder gar zum ersten Mal die gesamte Fakultät auf einem Campus zu vereinen. nicht finden. Wir waren bisher auf bis zu vier Standorte verteilt. MUM: Die Tiermedizin der LMU ist international renommiert und MUM: Ein kurzer Ausblick nach vorne: Wie sehen Sie die Ent- wird weltweit in den Top 25 gerankt. Was sind Gründe dafür? wicklung des neuen Campus Oberschleißheim? Straubinger: Wir haben großartige Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler, die stark vernetzt zusammenarbeiten. Nicht nur in- nerhalb der Tiermedizin, sondern auch über Fächergrenzen hin- weg – etwa mit den Humanmedizinern und den Biologen. Das ist attraktiv und schlägt sich in der Reputation nieder. Aber auch die Forschungsbedingungen sind sehr gut, wenngleich die räumlichen Gegebenheiten in Schwabing in den letzten Jahren ein Schwach- punkt waren und derzeit noch sind. Aber der Ausbau in Oberschleiß- heim wird das wesentlich verbessern, zumal unsere Forscherinnen und Forscher in den Prozess stark eingebunden sind. MUM: Sie sprechen von der Leistung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Gibt es Beispiele für besonders starke For- schungsfelder? Straubinger: Die Bereiche Public Health, Lebensmittelhygiene, In- fektionskrankheiten, insbesondere die Zoonosen sowie Einzeltier- medizin und Bestandsbetreuung spielen große Rollen für unseren Berufsstand – um nur einige Bereiche zu nennen. Viele unserer Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler haben weltweit einen ausge- zeichneten Ruf. Zum Beispiel Professor Gerd Sutter, der führend in der Entwicklung der viralen Vektor-Impfstoffe ist. Oder Professor Eckhard Wolf – weltweit einer unserer besten Reproduktionsmedi- ziner. Auch die Arbeiten von Professor Joris Peters auf dem Gebiet der Paläoanatomie gehören zur Weltspitze. Des Weiteren denke ich an den Kollegen Professor Markus Meißner, unser Parasitologe, der mit seinen Mitarbeitern in sehr renommierteren Zeitschriften seine Ergebnisse veröffentlicht. Natürlich denke ich auch an die herausragenden Tiermediziner aus unseren Kliniken, ob nun aus der Kleintierklinik, die zum Beispiel herausragende Innere Medizin oder Chirurgie anbieten oder Professor Rüdiger Korbel, der die Klinik für
Vögel und Reptilien leitet und auf dem Gebiet der Augenkrankheiten der Vögel weltweit führend ist. Wenn ein Jagdvogel eines Scheichs, der ein Vermögen wert sein kann, krank wird, dann kommt dieser schon mal nach Oberschleißheim. Ich könnte noch mehr Namen und Fachgebiete nennen. MUM: Die Vogelklinik war die erste Einrichtung am Campus Oberschleißheim, mittelfristig wird die gesamte Fakultät dort sein. Was sind die Vorteile für die Forschung? Straubinger: Zunächst der direkte Kontakt und wissenschaftliche Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen; die Möglichkeit, ohne lange Wege aktuelle Themen und Hot Topics aus der Tiermedizin Campusentwicklung 2019: zu diskutieren und anzupacken. Wichtig ist zudem, Core-Facilities Nano-institut, Philologicum, Pferdeklinik zu bilden – zum Beispiel mit Geräten für bildgebende Verfahren, für moderne molekulare Methoden oder für aufwendige, hochauf- Der Umzug der Tiermedizin nach Oberschleißheim ist in vollem lösende Mikroskopie. Das ist hier am Englischen Garten baulich Gange: Jüngst wurden der neue Hörsaal und die Cafeteria auf nicht mehr möglich. Durch die neue Infrastruktur sind wir sehr gut dem Campus eingeweiht, schon geht es weiter. Im Sommer wird vorbereitet für Forschungsverbünde und auch für Partner, die nicht Richtfest gefeiert für das Gebäude, in das die zwei Lehrstühle für unbedingt von der Universität kommen müssen. Die Forschung kann Mikrobiologie einziehen werden, und der Bau der neuen Pferde- thema sich noch stärker vernetzen. Für mich ist klar: Durch den Campus klinik läuft auf Hochtouren. 2020 soll auch sie fertig sein. werden wir ideal aufgestellt sein in Forschung, Lehre und Service. Das ist aber nur ein Teil der Anstrengungen, den Zuschnitt der MUM: Stichwort Lehre. Wie profitieren die rund 1.600 angehen- vier wichtigen Standorte der LMU neu zu gestalten und weiter den Tiermedizinerinnen und -mediziner, die dann dort ihre Aus- auszubauen. So ist mit dem Nano-Institut auch der erste Bau des bildung absolvieren, vom Campus Oberschleißheim? künftigen Physik-Campus fertiggestellt, der mit den Jahren am 9 Straubinger: Auch hier sind es erst mal die ganz kurzen Wege. Die Englischen Garten entstehen wird. Der Neubau an der Königinstra- MUM • NR. 2 • 2019 Studierenden müssen im Moment teilweise einmal pro Tag von hier ße wird im Juni 2019 offiziell eröffnet. Dort forschen LMU-Physiker nach Oberschleißheim rund 30 Kilometer fahren, und die öffentliche an den Grundlagen unter anderem von effizienten Systemen der Verbindung ist noch nicht optimal. Nach dem Umzug haben sie dann Energiekonversion. Als nächstes soll das sogenannten Forumsge- alles an einem Ort. Und natürlich profitieren sie von modernsten bäude gebaut werden, das etwa auch ein Schülerlabor beherbergt. Einrichtungen für die Lehre: neue Hörsäle mit der Möglichkeit, die Anatomie der Tiere zu demonstrieren, ein zentrales Skills Lab, wo sie Und zu Beginn des nächsten Wintersemesters öffnet mit dem an Modellen üben können; eine neue, geräumige Bibliothek mit ent- Philologicum die neue Bibliothek für die Sprach- und Literatur- sprechenden Arbeitsmöglichkeiten und Seminarräume; auch nicht wissenschaften. Direkt an der Ludwigstraße, in Nachbarschaft zur zu unterschätzen ist die campusnahe Cafeteria. Und letztendlich zentralen Universitätsbibliothek der LMU und zur Bayerischen dann eine Mensa in Reichweite – all das ist für die Studierenden Staatsbibliothek, werden erstmals alle philologischen Fächer der ein Riesengewinn. LMU einen gemeinsamen und besonders gestalteten Ort zum Lernen, Forschen und Austausch haben. MUM: Und zum Jetzt: dem Status quo des neuen Campus. Wie muss man sich die Arbeit im Hintergrund vorstellen? ■ In Kürze wird im Instagram-Account der LMU ein Rund- Straubinger: Das heißt zunächst einmal, dass sehr viele Leute im gang über den neuen Campus in Oberschleißheim zu sehen Hintergrund zusammenarbeiten. Was am Anfang leicht unterschätzt sein: www.instagram.com/LMU.muenchen wird, ist die Komplexität, alles nach Oberschleißheim zu verlegen. Die Lehrstühle wissen natürlich genau, was sie brauchen und wel- che Ansprüche sie haben. Aber es gibt viele Bereiche aus Lehre und Forschung, bei denen man auf ganz besondere Anforderungen achten muss – zum Beispiel im Falle der Hörsäle, Seminarräume bliothek. Von der Planung her gesehen wird die neue Bibliothek ein- oder den genannten Core-Facilities. Diese Planungen sind komplexe malig. Modern mit großen Räumen, in denen man auch diskutieren Prozesse, die aus meiner Sicht die Fakultät noch mehr zusammen- kann, ohne die anderen Lernenden und Besucher zu stören. Viele schweißen. Menschen sind am Entwicklungsprozess beteiligt, die aus verschie- denen Bereichen Erfahrung mitbringen, mitdenken, mitarbeiten und MUM: Bedeutet aber auch zusätzliche Arbeit? das derzeit immer noch tun. Nicht zu vergessen die Studierenden, Straubinger: Natürlich. Wir müssen viel planen, in Jour fixes zusam- die stark eingebunden sind. Vor allem bei der Planung der Hörsäle menarbeiten und Betriebskonzepte erstellen. Und wir haben natür- und der Bibliothek haben wir eng mit der Fachschaft zusammenge- lich nicht nur einen alltäglichen Laborflächenbedarf. Zum Beispiel arbeitet und deren Wünsche angehört und berücksichtigt. gibt es gerade bei den Lehrstühlen für Pathologie und Anatomie ganz besondere Anforderungen. Die Anatomie muss so ausgelegt MUM: Der Vizepräsident für den Bereich Studium, Martin Wir- sein, dass man im Lehrbetrieb große Flächen hat, damit die Studie- sing, sagte letztens: „So langsam entsteht Campusatmosphäre.“ renden im Studium Tierkörper präparieren können und der Anato- Spüren Sie das? mieunterricht praktisch ist. Manche Bereiche müssen zudem von Straubinger: Also wenn ich in Oberschleißheim vor Ort bin und das der Statik so konzipiert sein, dass auch mal sechs bis acht Tonnen jetzt sehe – die neuen Bauprojekte, den bereits fertigen Hörsaal und bewegt werden können – etwa wenn ein Elefant zur Untersuchung die Cafeteria, in der die Studierenden sitzen –, fühlt es sich schon angeliefert wird. Letzte Woche zum Beispiel hatten wir in der Pa- langsam nach einem Campus an, und ich kann mir ganz gut vor- thologie ein Nashorn zur Untersuchung. stellen, wie das mal wird. Vor Kurzem waren Kollegen aus anderen Etwas sehr Positives ist die Zusammenarbeit so vieler unterschiedli- tierärztlichen Fakultäten zu Besuch, die waren höchst erstaunt. Die cher Stellen. Sei es das Studentenwerk mit der Planung von Cafeteria Kinnlade ging runter, als sie sahen, wie das, was bisher Pläne und und Mensa, die Gemeinde Oberschleißheim oder die Universitätsbi- Träume waren, Wirklichkeit wird. ■ Interview: ski/cdr
E S Sa y für eine Kultur des Hinschauens „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen“ Im vergangenen Februar hielt Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, essay die Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung in der Großen Aula der LMU. Seine Rede in gekürzter Form 10 M U M • N R. 2 • 2 0 1 9 Das Krebsgeschwür einer freien Gesellschaft, der Antisemitismus, zeigt in diesen Ta- gen wieder seine Fratze. In Paris wurde der Philosoph Alain Finkielkraut antisemitisch beschimpft. In Quatzenhaim im Elsass ist ein jüdischer Friedhof in besonders infamer Weise geschändet worden. Im Land der Freiheit, der Gleichheit und Brüderlichkeit sind antisemitische Übergriffe signifikant angestiegen – wie leider in vielen Ländern in Europa. „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Dem evangelischen Theo- logen Dietrich Bonhoeffer werden diese dramatischen Worte aus dem Jahr 1938 zuge- sprochen. Einen eindeutigen Quellenbeleg für dieses Zitat haben wir nicht. Bonhoeffers Ausspruch bringt aber seine Haltung auf den Punkt. Und seine Haltung muss die unsere sein: „Bis hierher und nicht weiter.“ Anstand und Zivilcourage. In dieser Haltung stimmt der spätere Widerstandskämpfer mit den Mitgliedern der Weißen Rose vollkommen überein. 1 Dr. Ludwig Spaenle ist Beauftragter Fast wären sie sich persönlich begegnet. Hans Scholl und Alexander Schmorell waren der Bayerischen Staatsregierung für im November 1942 vom Dienst in einem Feldlazarett in Russland zurückgekehrt, wo Jüdisches Leben und gegen Antise- ihnen die Grausamkeit der Kriegsführung schmerzlich bewusst geworden war. Bereits mitismus, für Erinnerungsarbeit und zuvor hatten sie die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose geschrieben. Nach der geschichtliches Erbe. Rückkehr bereiteten sie ein fünftes Flugblatt vor und versuchten, ihr konspiratives Er war zuvor Bayerischer Staatsmi- Netzwerk weiter auszubauen. nister für Unterricht und Kultus, Wis- senschaft, Forschung und Kunst. In diesem Rahmen trafen sie in Chemnitz und München den Regisseur Falk Harnack. Sein Vetter war Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer und Hans Scholl sollten sich am 25. Februar 1943 in Berlin treffen – doch dazu kam es nicht mehr. Während Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar vor 76 Jahren im Berliner Sportpalast vor einem fanatischen Publikum den „totalen Krieg“ ausrief, wurden in München Mitglieder der Weißen Rose verhört. Wenige Tage später fand ein Verfahren des Volksgerichtshofs statt, an dessen Ende der Justizmord an Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst stand. In einem zweiten Verfahren im April 1943 wurden Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber zum Tod verurteilt und danach hingerichtet. Viele weitere Unterstützer wurden, teils bis kurz vor Kriegs- ende 1945, verfolgt, eingesperrt und ebenfalls hingerichtet. Was hat diese Menschen dazu bewogen, sich gegen ein totalitäres Regime zu stellen, genau hinzuschauen und der eigenen Wahrnehmung, der Empfindung von allgegen- wärtiger Ungerechtigkeit und Lüge, kurz: dem eigenen Gewissen mehr zu vertrauen als der staatlichen Propaganda? Was hat sie letztlich geführt, aus dem Gesehenen und Erlebten auch Konsequenzen zu ziehen, mit den geringen Mitteln des passiven Wider- stands und unter bewusster Inkaufnahme des eigenen Todes?
essay 11 M U M • N R. 2 • 2 0 1 9 Zu Recht hat die Historikerin Miriam Gebhardt darauf verwiesen, dass antisemitischer Sprache und Tat scheint schwächer zu werden. Ge- „die Mitglieder der Weißen Rose aus dem Gesamtbild des deutschen sellschaftliche Hemmschwellen sinken. Ein Ausweis ist die Zahl anti- Widerstands herausragten“. Sie gehörten keiner der unterdrückten semitischer Straftaten, die von 2017 bis 2018 deutlich zugenommen Parteien wie Sozialdemokraten und Kommunisten an. Sie waren kei- hat. So hat die Polizei in Deutschland 2018 bundesweit 1.646 antise- ne Berufsoffiziere wie die Mitglieder des militärischen Widerstands. mitische Taten registriert, fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die Sie begründeten, so Miriam Gebhardt, „ihren Widerstand mit nichts Zahl der gegen Juden gerichteten Gewalttaten ist nach Polizeianga- weiter als mit ihrer persönlichen Einsicht in das Unrecht der natio- ben von 2017auf 2018 von 37 auf 62 angestiegen. nalsozialistischen Diktatur. Sie haben als Privatmenschen gehandelt. Ihr einziges Kapital war ihre innere Autonomie.“ „Nirwana des Internets“ Woher kommt diese Entwicklung? Antisemitismus ist so alt wie das Besonders bemerkenswert scheint mir, dass die Mitglieder der Wei- Judentum selbst. Seit dem Jahr 70 nach Christus war das Judentum ßen Rose frühzeitig auf die Verfolgung und Ermordung jüdischer die wohl prominenteste Minderheit auf diesem Erdball. Und das Ju- Menschen hingewiesen haben. „Hier sehen wir das fürchterlichste dentum sah sich immer der Notwendigkeit ausgesetzt, sich in Mehr- Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich heitsgesellschaften einzubringen und dabei ein Stück weit seine kein ähnliches in der ganzen Men- Identität zu bewahren. Das stieß schengeschichte an die Seite stellen immer wieder auf Ablehnung, auf kann“, heißt es im zweiten Flugblatt. „Hier sehen wir das fürchterlichste Erklärungsbedarf, auf Missver- Und ebenso klar ist die Schlussfolge- ständnisse. rung: „Jetzt, da man sie [die Natio- Verbrechen an der Würde des Menschen, nalsozialisten] erkannt hat, muss es Damit geht in unseren Tagen eine die einzige und höchste, ja heilige Verrohung von Teilen der Gesell- ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches Pflicht eines jeden Deutschen sein, schaft einher, die sich auch auf an- diese Bestien zu vertilgen!“ tisemitische Einstellungen, Aussa- in der ganzen Menschengeschichte an die gen und Handlungen bezieht. Die Anstand und Mut zum Gründe sind vielfältig: Die Globa- Widerstand Seite stellen kann.“ lisierung, das Nachlassen sozia- Die Mitglieder der Weißen Rose sind ler Bindungen mögen dabei eine nach allen gängigen Maßstäben das, Rolle spielen. Im „Nirwana des was man ein Vorbild nennen kann. Welche anderen Voraussetzungen Internets“ lassen sich Ressentiments und Hass mühelos und schran- für ihr Tun fänden sie im Hier und Heute vor? Eine demokratische kenlos verbreiten. Tatsachen werden nach Bedarf und Interessenla- Gesellschaft mit unveräußerlichen Grundrechten ihrer Bürger, ein ge verdreht, Nachrichten manipuliert und verfälscht. Und jetzt der wohlhabendes Land, das zum Zielort für Menschen aus aller Welt entscheidende Punkt: Aus Ideen und Ansichten werden Worte, aus geworden ist. Ein Land, in dem Meinungsvielfalt und Meinungsfrei- Worten leider rasch Handlungen. Deshalb bedarf es einer Kultur des heit herrschen, ein Land, in dem der Staat sogar einen Beitrag leistet, Hinschauens, eines klaren „nicht weiter“, eines „wir widerstehen“. dass die Menschen ihren Glauben aktiv leben dürfen. Für uns alle erschreckend ist das Erstarken rechtsgerichteter, popu- Antisemitismus erreicht neue Dimension listischer Parteien und Bewegungen. Mich trifft es als Politiker und Umso erschreckender ist es, dass in unserem Staat der Antisemitis- als Historiker besonders hart, dass der gesellschaftliche Konsens des mus uns immer noch seine hässliche Fratze zeigt. Mit Bestürzung „Nie wieder“ in Teilen der Gesellschaft anscheinend zur Disposition registrieren wir ganz aktuell verbale und physische Gewalt gegen steht. Wer das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in der jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das lange Zeit gültige Tabu Mitte unserer Hauptstadt als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet,
wer die zwölf Jahre nationalsozialistischer Gewaltherrschaft als „Vo- stellen – und da passt der Begriff einmal – ein Commitment unseres gelschiss in der deutschen Geschichte“ (beides Zitate) abtut, der zeigt Staates und unserer Gesellschaft dar. deutlich, an welche geistige Haltung hier angeschlossen wird. Dazu gehört auch der gespenstisch anmutende Aufmarsch im Zusammen- Wir erhalten viele positive Reaktionen. Im Gespräch etwa mit den hang mit den Vorfällen in Chemnitz im vergangenen Sommer. Eine israelitischen Kultusgemeinden in Bayern wurde mir sehr deutlich dreistere missbräuchliche Inanspruchnahme der Weißen Rose ist mir gemacht, dass ein solcher Ansprechpartner bisher gefehlt hat. Wenn persönlich noch nie begegnet. Hier geht es um bewusst kalkulierte antisemitische Vorfälle in der Öffentlichkeit bekannt wurden, dann Tabubrüche, auch wenn diese danach scheinbar relativiert werden. kam man über die tagesaktuelle Erregung hinaus oftmals zu der Selbst die Relativierung ist Teil einer Strategie, um die Grenzen für Aussage: „Das ist eure Sache.“ Es ist nicht ihre Sache. Es ist unsere Aussagen und Handlungen sukzessive zu verschieben. Sache, wenn in der Mitte unserer Gesellschaft Menschen aufgrund essay ihres Glaubens in ihrer Unversehrtheit angegangen werden. Doch auch in der Maske der Israel-Kritik treten antisemitische Auffas- Ein umfassendes Gesamtkonzept gegen sungen deutlich zutage – nicht zuletzt im linksextremen Feld. Kritik an jeder Regierung auf der Welt ist legitim und möglich. Doch esAntisemitismus 10 findet sich kein Land der Welt, dessen Eigenname als Kompositum In einer offenen Gesellschaft mit freier Berichterstattung ziehen anti- mit dem Wort „Kritik“, also „Israelkritik“, im Duden verzeichnet wäre semitische Vorfälle zu Recht Protest und Verurteilung nach sich. Das M U M • N R. 2 • 2 0 1 9 – außer eben beim Staat Israel. Phänomen des Antisemitismus ist so aber nicht wirkungsvoll zu be- kämpfen. Dies gilt umso mehr, als Aktueller denn je sehen wir uns in Deutschland leider keinen Einzel- Deutschland, auch in Bayern, mit Es geht auch darum, das Bewusstsein fall darstellt. In ganz Europa zeigen islamistisch begründetem Antisemi- sich verstärkt antisemitische Ten- tismus konfrontiert – Vorfälle wie in dafür zu schärfen, dass jüdisches Leben denzen, teils gefördert von auto- Berlin haben bundesweit für Schlag- ritären, nationalistischen Parteien zeilen gesorgt. Es bedarf auch hier und häufig verbunden mit Motiven einer Kultur des Hinschauens. Es ist seit Jahrhunderten unser Land prägt. von Fremdenfeindlichkeit. schlimm genug, wenn der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Schus- Im Dezember hat die Menschen- ter, einmal davor gewarnt hat, die Kippa in der Öffentlichkeit zu tra- rechtsagentur der Europäischen Union dazu eine europaweite Studie gen. Dies kann nicht sein. vorgelegt: Über 80 Prozent der befragten Jüdinnen und Juden waren – in unterschiedlichen Formen – mit Antisemitismus konfrontiert. Jeder Eine zusätzliche Herausforderung besteht aus dem Zuzug zehntau- Vierte hat bereits über Auswanderung nachgedacht. sender Muslime in den vergangenen Jahren. Viele Menschen kamen zu uns ins Land, denen von Jugend an Israel als Feindesland präsen- Angesichts dieser Situation brauchen wir ein Gesamtkonzept, das tiert wurde. uns aus der Reaktion in die Aktion bringt, das antisemitische Ein- stellungen langfristig und nachhaltig bekämpft und antisemitische Wachsamkeit ist gefragt – Beauftragte für Taten verhindert. jüdisches Leben und gegen Antisemitismus Angesichts dieser komplexen Situation sind wir alle zu intellektu- Konkrete Vorhaben – Meldestelle, Jugendwerk eller Wachsamkeit und Gegenwehr aufgefordert. Und zwar auf der und Digitalisierung von Archiven Grundlage eines Menschenbildes, das auf den Werten der christlich- Ein erster wichtiger Schritt liegt in der Einrichtung einer niedrig- jüdisch-abendländischen Vorbildern und der Aufklärung ruht. schwelligen Meldestelle für antisemitische Vorfälle, die dank der Un- terstützung des Bayerischen Sozialministeriums und des Bayerischen Die Einrichtung eines Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Jugendrings nun erfolgt. Jüdische wie nicht-jüdische Betroffene und auch von Beauftragten in anderen Ländern und auf Bundesebene, die Zeugen werden die Möglichkeit erhalten, Vorfälle von Beschimp- sich mit diesem Thema beschäftigen, setzt hier ein wichtiges Zeichen. fungen bis hin zu physischen Übergriffen zu melden – ohne große Wichtig ist aber auch, dass nun voransteht, für was die Beauftragung Hürden, bei möglichst weitgehender Wahrung der Anonymität. Ge- steht: nämlich für jüdisches Leben in der Mitte unserer Gesellschaft, schultes Personal wird entsprechend beraten und dann im Einzelfall gegen Antisemitismus, und für die Erinnerung an das, was in deut- mit den Sicherheitsbehörden in Kontakt treten. Damit können wir schem Namen geschah. Das ist der Auftrag, der mir gegeben ist. Es Menschen, die unter solchen Vorfällen leiden, ein Stück weit Hilfe geht bei diesem Ringen um eine Kultur des Hinschauens um nichts anbieten. weniger als um die Bewahrung der Menschenwürde im Alltag. Als zentrales Projekt habe ich die gesamtgesellschaftliche Durchdrin- Dass es diese Beauftragten heute gibt, löst ein zwiespältiges Gefühl gung mit einem proaktiven Dialog zum Thema „Antisemitismus“ an- aus: Ich hätte mir selbst in meiner politischen Arbeit vor zehn Jahren gestoßen. Ziel ist eine Präventionsstrategie zur Sensibilisierung aller nicht vorstellen können, dass solche Funktionen einmal dringend ge- politischen und gesellschaftlichen Gruppen. Ich will allen politischen braucht werden. Mir ist bewusst, dass diese Aufgabe sehr groß ist, Entscheidungsträgern die Annahme einer Antisemitismus-Definition man im Prinzip sisyphusartig unterwegs ist. Aber diese Beauftragten der IHRA empfehlen. Die IHRA, die International Holocaust Remem-
brance Alliance, ist ein Expertengremium mit Vertretern aus 31 Wir geben Bayern sein jüdisches Gesicht wieder, wenn dieser Weg Staaten, das 2016 eine knappe Arbeitsdefinition von Antisemitismus gegangen werden sollte. entwickelt hat. Sie ist mittlerweile von neun Staaten und Gebietskör- perschaften in Europa angenommen worden, auch vom Deutschen Wir müssen auch das Bild des Staates Israel in seiner ganzen Dif- Bundestag. Mein Ziel ist es, dass auch die Bayerische Staatsregierung ferenziertheit deutlicher machen. Und was kann dazu besser bei- und der Landtag sich diese Definition zu eigen machen, aus der prak- tragen als das gegenseitige Kennenlernen. Deswegen habe ich den tische Konsequenzen erwachsen können. Vorschlag unterbreitet, ein bayerisch-israelisches Jugendwerk zu schaffen, das aufbauen kann auf Jahrzehnte von Austauscharbeit Darüber hinaus empfehle ich die Diskussion und die Annahme dieser unterschiedlichster Einrichtungen und Personen. Ich habe selbst in Definition aber auch allen kommunalen Spitzenverbänden, allen Insti- meiner früheren Funktion einen Rahmenvertrag zwischen dem Frei- essay tutionen aus Wirtschaft, Politik, Kirchen, Gesellschaft, Sport und Kul- staat Bayern und dem Staat Israel schaffen können, der sich genau tur. Auch der LMU und den anderen bayerischen Hochschulen werde mit diesen Fragen der Erinnerungsarbeit, des historischen Lernens, ich dies vorschlagen. Wir brauchen eine breite öffentliche Diskussion des Austauschs beschäftigt. und Bewusstseinsschärfung darüber, wie Antisemitismus wirkt und wie er sich wirkungsvoll bekämpfen lässt. Diese Strategie hat sowohl Im schulischen Bereich setze ich mich für eine stärkere Vermittlung 11 national wie auch auf europäischer Ebene sowie im Dialog mit dem des Nahostkonflikts ein, vor allem aber eben auch für die Vermittlung M U M • N R. 2 • 2 0 1 9 US-Beauftragten gegen Antisemitismus Interesse gefunden. eines differenzierten, faktengetreuen Bildes des Staates Israel. Das ist 70 Jahre nach der Staatsgründung immer noch notwendig, ja neu Doch es ist mir wichtig, den Kampf nicht nur gegen etwas zu führen, notwendig. sondern auch Positives zu benennen, Kenntnis davon zu geben, da- für zu werben. Es war ein Wunsch der jüdischen Community, dass Als letzten Punkt meiner Agenda will ich das demokratische Bayern wir für jüdisches Leben, für Erinnerungsarbeit und in Bayern auch stärker in den Blickpunkt rücken. Vor gut 100 Jahren wurde der Frei- für geschichtliches Erbe und seine Tradierung eintreten. Der Einsatz staat Bayern gegründet, vor rund 70 Jahren traten die bayerische Ver- für jüdisches Leben basiert auf dem Grundgedanken, dass eigene fassung und das Grundgesetz in Kraft. Doch viele Persönlichkeiten, Erfahrungen und eigenes Wissen gute Mittel gegen Vorurteile und die daran beteiligt waren, werden öffentlich kaum wahrgenommen. Hass sind. Es ist mir ein Anliegen, dass dieser Spruch „Wenn dir hier Die Bedeutung demokratischer Strukturen, die Wichtigkeit von Prin- etwas nicht passt, dann geh in deine Heimat Israel!“ nicht mehr fällt. zipien wie Föderalismus und Subsidiarität, müssen in allen Bereichen wieder stärkere Beachtung finden. Es geht auch darum, das Bewusst- sein dafür zu schärfen, dass jüdi- Der Einsatz für jüdisches Leben basiert Auch hier kann man sich auf die sches Leben seit Jahrhunderten un- Weiße Rose berufen. Es ist immer ser Land prägt. Wir werden im Jahr auf dem Grundgedanken, dass eigene eine Herausforderung, historische 2021 besondere Gelegenheit haben, Persönlichkeiten mit heutigen Maß- daran zu erinnern. Anlass ist ein De- stäben zu messen und sie gleichsam kret Kaiser Konstantins aus dem Jahr Erfahrungen und eigenes Wissen gute für aktuelle Zwecke in Dienst zu neh- 321 nach Christus, das als frühester men. Das fünfte Flugblatt der Wei- Beleg einer jüdischen Gemeinde in Mittel gegen Vorurteile und Hass sind. ßen Rose schließt aber mit Forde- Köln gilt. Für Bayern kann man viel- rungen ab, die wir alle übernehmen leicht sagen, dass im Land südlich dürfen und sollen: des Limes mit dem Kommen der Römer auch jüdisches Leben be- „Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein… Freiheit gonnen hat. In unserer Stadt war es Abraham der Municher im 13. der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers Jahrhundert. Seit Jahrhunderten prägen Jüdinnen und Juden dieses vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grund- Land und unser historisches Erbe. Diese Tatsache werden wir 2021 lagen des neuen Europa.“ mit einem breit angelegten Reigen von Veranstaltungen würdigen. Im Jahr der Europa-Wahl steht es uns allen gut an, auf diese Worte Dazu habe ich ein besonderes Projekt vorgeschlagen. In der Reichs- zu hören. pogromnacht kam von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssi- cherheitshauptamtes, die Anordnung, die Archive der später zerstör- Summa ten jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland sicherzustellen und Nur mit einer engagierten Kultur des Hinschauens – wie sie die Weiße zu sammeln. Diesem Auftrag wurde Folge geleistet. Die Archivalien Rose praktiziert hat – werden wir heute unserer Verantwortung für haben den Krieg überlebt und sind Anfang der 1950er-Jahre an den Jüdinnen und Juden in unserem Land gerecht. Denn unter vielfältigen jungen Staat Israel überstellt worden. Ich war selbst in Jerusalem und Gestalten und unterschiedlichen Motiven kommt der Antisemitismus konnte in den Central Archives for the History of the Jewish People wieder zum Vorschein. Ja, er war immer da. Wir sind also gefordert, deren Reichtum kennenlernen. Mein Vorschlag geht dahin, dass die uns an die Seite von Jüdinnen und Juden zu stellen. Archivalien dieser mehr als 300 ehemaligen jüdischen Gemeinden in Bayern digitalisiert werden und über die Staatlichen Archive Bayerns einsehbar werden – für die Wissenschaft und für alle Interessierten.
Profile 14 MUM • NR. 2 • 2019 Studentisches CAP-EU-Projekt Zukunftsideen für die 27 Im Rahmen eines Kooperationsprojektes der regionalen Vertretung der EU-Kommission mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) haben Studierende der Politikwis- senschaft und thematisch anschlussfähiger Fächer Lösungsvorschläge für die Herausforde- rungen der EU erarbeitet. Die Chance, dass die Vorschläge auch ihren Adressaten finden, stehen nicht schlecht. Professor Werner Weidenfeld zählt auf, wie viele „Begrüßungsküsschen“ ihm der Noch-Chef der EU-Kom- mission Jean-Claude Juncker beim letzten Treffen in Brüssel verabreicht hat: insgesamt 9. Eine Geste der Herzlichkeit, die im Umgang vieler EU-Staaten miteinander nicht mehr vorhanden ist – die Rückbesinnung auf die Nation ist Programm, nur allein scheint man stark zu sein. Und im Mai ist Europawahl. Da will die EU-Administration natürlich viele Europäer zum Urnengang motivie- ren. Denn eine gute Wahlbeteiligung wäre ein starkes Signal für den Staatenverbund nach dem Brexit-Desas- ter und angesichts zahlreicher Herausforderungen in der Sozial-, Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik. Vor allem die sinkende Akzeptanz der EU ist ein Problem. Treffend heißt es im Weißbuch dazu: „Und dennoch ist die Union für viele Europäer entweder viel zu weit weg .... Andere bezweifeln, dass ihnen Europa etwas bringt und fragen sich, wie Europa ihren Lebensstandard verbessern kann.“ Das Weißbuch ist ein 2017 von Jean-Claude Juncker angestoßenes Projekt, mit dem die zukünftige Entwicklung der Union aus Sicht ihrer Bürger eingeschätzt werden soll; sie sollen ihre Vorschläge, Wünsche und Hoffnungen artikulieren – mehr Bürgernähe ist ein Ziel des Projekts. Gerade junge Menschen mit wissenschaftlichem Background sind dabei eine attraktive Zielgruppe. Die Mün- chener Vertretung der EU-Kommission nutzte ihre guten Kontakte zum CAP, um gemeinsam Studierende zu motivieren, ihre ganz eigenen Lösungsvorschläge zu verschiedenen Themen zu artikulieren. Mit Begeis- terung machten sich im vergangenen Semester zwölf Studentinnen und Studenten verschiedener Fächer und verschiedener bayerischer Universitäten an die Arbeit. Im Februar wurden die Ergebnisse präsentiert und anschließend mit Landtagspolitikern diskutiert. „Das Schöne war, dass wir uns die Themen selbst
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