Bulletin - Gottardo - Freie Sicht - Credit Suisse
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CREDIT SUISSE Bulletin Seit 1895. Das älteste Bankmagazin der Welt. N° 2 / 2016 Freie Sicht . . . 075360D Gottardo Vom schweizerischen Mythos zum längsten Tunnel der Welt
. . . aufs Mittelmeer * * Ab Dezember 2016 ist der Weg in den Süden etwa eine halbe Stunde kürzer, ab 2020 etwa eine ganze Stunde.
Hauptpartner Unser Beitrag für eine bessere Zukunft: Innovationen, die grossen Ideen zum Durchbruch verhelfen. Es ist der längste Eisenbahntunnel der Welt: Über 57 Kilometer führt das Jahrhundertbauwerk tief unter dem Gotthardmassiv hindurch. Pro Tag werden ab Dezember 2016 bis zu 260 Güter- und 65 Passagierzüge durch den Tunnel verkehren – bis zu 2300 Meter Gebirge über sich und bis zu 250 km/h schnell. Dafür ist der neue Basistunnel auf eine perfekte Infrastruktur und zuverlässige Belüftung angewiesen. ABB trug dazu innovative Energietechnik und Steuerung für das stärkste Ventilationssystem der Welt bei – und setzt damit eine Erfolgsgeschichte fort.
— Editorial — Der Geist des Aufbruchs – damals und heute D er Gotthard steht für universelle Rekorde. Der erste Eisenbahntunnel war bei seiner Eröffnung 1882 der längste Tunnel der Welt. Auch der neue Gotthard-Basistunnel, der am 1. Juni dieses Jahres eröffnet wird, ist mit 57 Kilometern der heute längste Tunnel der Welt. Der Gotthard steht zudem für die visionäre Kraft der Schweiz. Also für etwas, was man unserem Land bisweilen abspricht. Die Schweiz, so hört man immer wieder, sei angeblich zu grossen Würfen weder fähig noch willens. Der Gotthard beweist das Gegenteil – damals wie heute. Der erste Gotthard-Eisenbahntunnel, der wesentlich auf die Tatkraft, den Pioniergeist und den Mut von Alfred Escher zurückging, war «Ausdruck einer dynamischen, offenen und zukunftsgerichteten Schweiz», wie der Historiker Joseph Jung bilanziert (Seite 21). Da Escher auch Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt – der heutigen Credit Suisse – war, sind wir stolz darauf, die Eröffnung des Jahrhundertbauwerks Gotthard-Basistunnel als Hauptpartner zu unterstützen. M it dem Gotthard-Projekt ist die Schweiz damals über sich hinaus- gewachsen – und heute ist es ebenso. Peter Jedelhauser, der Projektleiter des Gotthard-Basistunnels, beschreibt im Gespräch genau diesen Geist des Aufbruchs, der in unserem Land auch heute noch herrscht: «Gemeinsam sagten wir: ‹Ja, das machen wir!› » (Seite 14). Welchen Nutzen die neue Bahnlinie der Schweiz bringt, hat das Economic Research der Credit Suisse in einer gross angelegten Studie eruiert (Seite 26). Der Gotthard steht für Superlative, für Mythen, für Visionen. Aber er steht noch für etwas anderes, das vielleicht weniger spektakulär ist, aber dafür umso wichtiger: für helvetische Tugenden wie Beharrungsvermögen, Pragmatismus, Genauigkeit und Verlässlichkeit. So hatte der Gotthard- Basistunnel beim Durchstich eine Abweichung von 0,00014 Prozent. Kaum etwas veranschaulicht die Stärken unseres Landes besser als diese Präzision. B einahe hätte ich die berühmteste Schweizer Tugend vergessen: die Pünktlichkeit. Auf diese wird man ja im Ausland immer wieder angesprochen (was uns stets ein wenig verlegen macht). Pünktlichkeit? Überpünktlichkeit! Der Gotthard-Basistunnel wird ein Jahr früher in Betrieb genommen als geplant … Wie soll man das nur im Ausland erklären? Ich wünsche Ihnen eine anregende und erkenntnisreiche Lektüre! Thomas Gottstein, CEO Swiss Universal Bank, Credit Suisse AG Titelbild: AlpTransit Gotthard AG; Foto: Rainer Wolfensberger Bulletin N° 2 / 2016 — 1
Hauptpartner Partenaire principal Partner principale Main Partner © AlpTransit Gotthard AG Die Uhr der alten Dame 1952 in Betrieb genommen, transportierten die 120 Loks Tausende von Menschen und Edelstahlgehäuse individuell nummeriert. Kratzfestes Saphirglas. Präzises Schweizer Tonnen von Gütern durch die Schweiz. «Ae 6/6» heisst sie offiziell, «Gotthardlok» Quarzuhrwerk mit Sekundenstopp (stop2go) wie das Original am Bahnhof. Geschenk- wurde sie wegen ihres Einsatzgebietes von den Lokführern genannt. Die alte Dame verpackung mit Zertifikat und Informationen. 2 Jahre internationale Garantie. Erhältlich wird den neuen Gotthardtunnel nicht mehr durchfahren, jedoch als exklusive Uhr für Fr. 750.- bei «Gottardo2016» die ganze Welt bereisen. Exakt 2016 Lünetten wurden aus Original www.shop.mondaine.com Ae 6/6 Führerstandstüren gestanzt und verwandeln jedes Modell in ein Unikat. Weiterhin gute Reise! Bestellschein Vor-/Name: Nummerierung anhand Bestelleingang zugeordnet. Keine Wunschnummer möglich. Strasse/Nr.: PLZ/Ort: Gottardo2016 Menge 1. 2. 1. A9500.30363.G.SET Beige 750.– E-Mail: 2. A9500.30363.H.SET Braun 750.– Tel. Nr.: Gottardo Nord Sud Menge Unterschrift: 3. 4. 3. A669.30305GOT.SET 30 mm 260.– (solange Vorrat) Coupon bitte vollständig ausfüllen und einsenden an: 4. A627.30303GOT.SET 40 mm 260.– Diese Bestellung ist verbindlich. Mondaine Watch Ltd. www.shop.mondaine.com Etzelstrasse 27 8808 Pfäffikon Schweiz Telefon +41 (0)58 666 88 00
— Gottardo — Inhalt 4 Der Tunnel und ich 14 «Zwei Gleise, viel Beton» 38 Aus dem Innern Neun Menschen erzählen, SBB-Projektleiter Peter Sechs Unternehmer über die wie der Gotthard ihr Leben Jedelhauser hat für fast alles besonderen Herausforderungen verändert. fast immer einen Plan. beim Tunnelbau. 12 Schneller, länger, besser 43 Der Heilige und der Teufel Ein Jahrhundertbau in Wie der Gotthard Zahlen und Fakten. zu seinem Namen kam. 44 Im Granitschoss der Helvetia Von Dürrenmatt bis Dobelli: der Gotthard und die Literatur. 20 Helvetisches Weltwunder 50 Gotthard ist überall Wie die moderne Schweiz dank Eine Reise in Bildern zu Alfred Escher gebaut wurde. den Gotthards dieser Welt. 24 Wer soll das bezahlen? 52 Tiere im Untergrund Finanzierungssorgen bei der In der Tierwelt bieten Tunnel ersten Gotthardbahn. Schutz vor Feinden und der harschen Umwelt. ECONOMIC RESEARCH 26 EINLEITUNG Am Gotthard werden die Uhren neu gestellt. 28 ÖFFENTLICHER VERKEHR Die Schweiz rückt zusammen. 30 ENTWICKLUNGSGEBIET 56 Anschluss an die Welt ALTDORF: Wiederholt Wie beeinflussen sich sich die Geschichte? Infrastrukturbauten und 35 ENTWICKLUNGSGEBIET Wirtschaftswachstum? 66 31 IMMOBILIENMARKT BELLINZONA: ein neues Tor Wohnen in Bellinzona, ins Tessin. Aussteigen, bitte arbeiten in Lugano. Zwischen der Deutschschweiz 36 TOURISMUS und dem Tessin. 68 32 GÜTERVERKEHR Ein Tag an der Sonne und wie U-Bahn für den Handel. das Tessin sich näherkommt. Leserbriefe/ und Impressum a chen ahrt f Mitm Durch 70 34 TUNNELBAU 37 ARBEITSMARKT nel- ! Tun i n nen Die Schweizer Paradedisziplin Ganz neue Optionen: Quiz gew und ihr Nutzen. flexible Arbeit und die Neat. Gotthard-Wissen: sieben Fragen aus Granit. Illustration: Anna Dunn; Fotos: Janosch Abel; PCW / fotolia; Stefan Meyers / Okapia Bulletin N° 2 / 2016 — 3
— Gottardo — Der Tunnel und ich Natürlich ist man mit der Neat schneller im anderen Landesteil. Aber das ist nicht alles: Die einen nutzen das einsickernde Bergwasser, um Fische zu züchten, andere gehen öfters Fallschirm springen. Neun Gattungen der Gotthardbenutzer über ihre neuen Vorteile und Pläne. Von Simon Brunner (Text) und Patricia von Ah (Fotos) 4 — Bulletin N° 2 / 2016
— Gottardo — WEINBAUER Davide Ghidossi, 33, prämierter Weinbauer und Önologe, Giubiasco (TI) «Mein Grossvater arbeitete bei der SBB. Ich erinnere mich, wie wir mit ihm von Bellinzona nach Flüelen fuhren: Ich war fasziniert von der Kirche von Wassen, die man drei Mal sieht, wenn sich der Zug durchs Tal hochschlängelt. Die neue Linie geht unter Wassen durch. Sie ist sehr wichtig, gerade für das Kleingewerbe und die KMU im Tessin, die auf eine pünktliche und schnelle Verbindung zu ihren Kunden in der Deutschschweiz angewiesen sind.» Bulletin N° 2 / 2016 — 5
— Gottardo — STUDENTIN Nathalie Boissonnat, 30, studiert Public Management und Politik in Lugano und Bern, Giubiasco (TI) «Der Gotthardtunnel war schon immer Teil meines Lebens: Im Autotunnel lernte ich die Verkehrsschilder lesen. Ich wollte immer wissen, wie lange es noch dauert. Da brachten mir meine Eltern bei, die Tafeln mit den POLITIKER Kilometerangaben zu deuten. Fabio Regazzi, 53, Nationalrat Heute lebe ich in Bern und reise (CVP) und Unternehmer, ungefähr alle zwei Wochen Gordola (TI) nach Hause. Ich bin eine grosse Anhängerin des öffentlichen «Ich muss zwei bis drei Mal pro Verkehrs – ich wünschte mir, Monat durch den Gotthard. Wenn er würde auch im Tessin ich ins Bundeshaus gehe, ist es höhere Priorität geniessen.» bequemer mit dem Zug, da kann ich während der Fahrt arbeiten. Der Gotthardtunnel ist ein Symbol des nationalen Zusammenhaltes, ein Verbindungselement zwischen den verschiedenen Regionen der Schweiz. Mit dem neuen Tunnel wird unser Land zusammenrücken. Aber auch im Tessin selber wird sich viel tun: Ich kann dann von Gordola aus in rund 20 Minuten in Lugano sein. Heute dauert das doppelt so lange.» 6 — Bulletin N° 2 / 2016
— Gottardo — UNTERNEHMER Richard L. Beeler, 64, Geschäftsführer Basis57, Adligenswil (LU) «Der neue Tunnel bewirkt eine Drainage des Gebirges. Basis57 will das einsickernde Bergwasser sammeln und nutzen, um Fische zu züchten: Zander und Egli, aber auch seltene einheimische Sorten wie Quappen. Das quellfrische Bergwasser ist etwa 15 Grad warm und wird zur Mast von 1200 Tonnen Fisch pro Jahr genutzt. Seit Sommer 2015 leben erste Fische in einer Laboranlage in Erstfeld, wo wir das Wachstum und den Futterbedarf prüfen und die Technik perfektionieren. Ziel ist es, ab 2018 auf einer Parzelle beim Nordportal das Mastgebäude zu bauen und ab 2020 die Gourmet- fische vom Gotthard auszuliefern.» Bulletin N° 2 / 2016 — 7
— Gottardo — FALLSCHIRM- SPRINGERIN Barbara Gloor, 52, Betriebswirtschafterin, Aristau (AG) «Seit ich 2012 begonnen habe, Fallschirm zu springen, ist das Tessin zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich freue mich immer auf das andere Licht auf der Südseite der Alpen; sobald ich aus dem Tunnel fahre, beginnen für mich Ferien, auch wenn es nur für einen Tag ist. Die unbedingte Konzentration auf jeden einzelnen Sprung erlaubt es mir, total abzuschalten und den Alltag hinter mir zu lassen. Die Tage im Para Centro in Locarno haben einen hohen Erholungswert für mich. Zudem ist die Aussicht während des Steigfluges sowie im Freifall und am geöffneten Schirm wohl eine der schönsten der Welt. Ich freue mich, dass ich demnächst schneller da bin.» 8 — Bulletin N° 2 / 2016
— Gottardo — FAN Remo Kölliker, 39, Sozialpädagoge, Zürich «Seit ich ein Bub war, unterstütze ich den HC Lugano – meine Eltern sind Tessiner. Zurzeit schaffe ich es pro Saison zu ungefähr einer Handvoll Spiele ins Stadion. Leider muss ich das Auto nehmen, denn es wird immer sehr knapp, nach dem Abpfiff den letzten Zug zu erwischen. Ich hoffe, dass mit den kürzeren Reisezeiten auch die Abfahrtszeiten nach hinten angepasst werden.» Bulletin N° 2 / 2016 — 9
— Gottardo — BAUARBEITER René Kempf, 47, Heiz- und Sanitärinstallateur, Erstfeld (UR) «Seit 2002 arbeite ich mit Unterbrüchen am Tunnel, die Baustelle liegt direkt vor unserer Haustüre. Die Neat war dreizehn Jahre lang mein tägliches Leben, mit dem fertigen Tunnel werde ich aber nicht mehr so viel zu tun haben – ich bin nicht so der Zugfahrer-Typ.» 10 — Bulletin N° 2 / 2016
— Gottardo — LOGISTIKER Markus Müller, 50, Logistikleiter bei Papyrus, einem Papiergross- händler, Turgi (AG) «Die Bahnwagen werden heute um 21.30 Uhr in Dintikon (AG) abgeholt und um 6.00 Uhr im Tessin angeliefert. Eine frühere Anlieferung brächte einen gewissen Vorteil für unseren Distributionspartner im Tessin, sie könnten die Sendungen FERIENHAUS- früher ausliefern. Wichtiger als BESITZERIN der Zeitvorteil ist für uns aber Irene Durrer, 49, Arztgehilfin, die Zuverlässigkeit. Es kam in Immensee (SZ) der Vergangenheit öfters zu Unterbrüchen. Unsere Kunden «Ich fahre sicher ein Mal pro Monat sind auf eine zeitlich planbare ins Tessin: zu unserem Rustico Zustellung angewiesen. Fehlt das im Maggiatal eher mit dem Auto; Papier in einer Druckerei, stehen zu Verwandten im Locarnese mit dort schnell einmal die Maschinen dem Zug. Ich hoffe, dass der neue still und den Angestellten geht Zugtunnel auch die Situation auf die Arbeit aus. Wir erhoffen uns der Strasse verbessert und mehr also vom neuen Gotthardtunnel Lastwagen verladen werden. eine zuverlässigere Verbindung Die Zeitersparnis ist für uns nicht ins Tessin.» so zentral, am allerliebsten fahren wir sowieso über die Passstrasse und geniessen die Landschaft – so langsam wie möglich.» Bulletin N° 2 / 2016 — 11
— Gottardo — Schneller, PASSAGIERE PRO TAG – Heute fahren täglich rund 9000 Personen mit der SBB länger, durch den Gotthard. Bis 2025 dürfte sich die Zahl der Reisenden dank der Verdich- besser tung und Beschleunigung des Angebotes mehr als verdop- peln, bereits 2020 rechnet die SBB mit mindestens 15 000 Der Gotthard-Basistunnel Reisenden pro Tag. (GBT) ist ein Jahrhundertwerk. GÜTER PRO TAG – Vorteil Die Zahlen und Fakten. Güterverkehr: Neu werden Illustrationen: Anna Dunn, Inhalt: Simon Brunner 260 Güterzüge pro Tag den Basistunnel durchqueren (Scheiteltunnel heute: 160), und diese können schwerer und länger sein als heute. Quelle: sbb.ch REISEZEIT 1830 1830 BASEL–LUGANO STRASSE (GÜTER) STRASSE (POST) Eröffnung der Die Postkutschen-Strecke war perfekt organisiert, mit vielen Fahrstrasse über den Stationen für den Pferdewechsel, sodass mit relativ hohen Pass um 1830. Tempi fast ohne Unterbrechung gefahren werden konnte. VOR 1830 SAUMWEG 1882 2015 BAHN AUTO Eröffnung des Auto und Zug sind Gotthardtunnels. heute etwa gleich schnell. 2020 BAHN 2015 Mit Ceneritunnel BAHN und Axensanierung. Immer stärkere und schnellere Lokomotiven verkürzen die 2016 Reisezeit. BAHN mit GBT. 14 TAGE 6 TAGE 49 h 13,5 h 4 h 06 3 h 59 ~3 h 30 ~3 h 00 Quelle: «Auf die Schienen, fertig, los!» (Verkehrshaus Luzern/Christian Scheidegger), sbb.ch, google.ch/maps 12 — Bulletin N° 2 / 2016
— Gottardo — WAS HAT DAS GEKOSTET? Der Gotthard-Basistunnel kostet Die gesamte Neat, mit dem inklusive Teuerung, MwSt. Lötschberg-, Gotthard- und Ceneri- und Bauzinsen 12,2 Mrd. Franken. Basistunnel, kostet 23 Mrd. Franken. AUSGEHOBENES MATERIAL – 28,2 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial wurden abgetragen. Ein grosser Teil des Gesteinsausbruchs kam in Form von Beton wieder in den Berg. Das restliche Material diente unter anderem der Gestaltung des Geländes oder der Auf- schüttung von Dämmen. Im Urnersee entstanden drei Naturschutz- und drei Badeinseln. Quelle: Gottardo 2016 Quelle: Gottardo 2016 DIE FÜNF LÄNGSTEN TUNNEL DER WELT GOTTHARD- BASISTUNNEL, 57,0 KM SCHWEIZ, 2016, KOSTEN: 12,2 MRD. SEIKANTUNNEL, 53,9 KM JAPAN, 1988, KOSTEN: 4,3 MRD. EUROTUNNEL, 50,5 KM GROSSBRITANNIEN / FRANKREICH, 1994, KOSTEN: 16,1 MRD. LÖTSCHBERG-BASISTUNNEL, 34,6 KM SCHWEIZ, 2006, KOSTEN: 4,3 MRD. GUADARRAMATUNNEL, 28,4 KM SPANIEN, 2007, KOSTEN: 1,34 MRD. Quelle: BLS, «Der Spiegel», railway-technology.com, Today’s railways Europe Bulletin N° 2 / 2016 — 13
— Gottardo — «ZWEI GLEISE, VIEL BETON UND JEDE MENGE TECHNOLOGIE» Mineure mit der Tunnelbohrmaschine «Heidi» nach dem Durchstich des letzten Abschnitts des Gotthard-Basistunnels bei Sedrun am 23. März 2011. 14 — Bulletin N° 2 / 2016 Foto: Martin Rütschi / Keystone
— Gottardo — Der Gotthard-Basistunnel ist mehr als ein Wunder des Tiefbaus. Mit der Rekordröhre wird im Dezember 2016 das Schweizer Bahnnetz neu erfunden. Alle Fäden laufen in einem Büro in Luzern zusammen. Dort sitzt der Projektleiter der SBB, Peter Jedelhauser, und überlegt sich: «Wo kann das nächste Problem auftreten? Welche Lösung habe ich?» Von Simon Brunner Herr Jedelhauser, Sie konnten bereits jene Abweichung beim Durchschlag. Ist das Fahrt erleben, auf welche die ganze Schweiz gleich einem Weltwunder? Ich weiss es ungeduldig wartet: Wie fühlt es sich an, nicht. Aber sicher eine Meisterleistung, durch den längsten Zugtunnel der Welt zu die Freude und Stolz bereitet. fahren? Ich muss Sie enttäuschen: Die zwanzig Durch die USA ging ein Ruck bei der ersten Minuten, die ich während einer Testfahrt Mondlandung, das kollektive russische erlebte, fühlten sich nicht viel anders an Selbstvertrauen wurde gestärkt mit dem als die fünfzehn Minuten durch den Start der Sputnik-Rakete. Ist der GBT ein heutigen Gotthardtunnel. Der grösste vergleichbarer Moment für die Schweiz? Unterschied ist, dass sich das Gefühl von Der Basistunnel ist zweifelsohne ein Italianità schneller einstellt. Von Erstfeld Jahrhundertbauwerk, zu dessen Realisie- nach Biasca braucht man heute 74 Minuten. rung Schweizer Qualitäten wesentlich Ab Dezember 2016 werden es noch etwas beigetragen haben: Pioniergeist, Innova- mehr als 20 Minuten sein. tionskraft, Präzision und der Wille, etwas durchzuziehen. Gemeinsam sagten wir: Und wie ist das Fahrgefühl? «Ja, das machen wir.» Es war eine demokra- Die Fahrt dauert 5 Minuten länger als tische Entscheidung, gestützt durch meh- heute – das merken Sie nicht. Aber der rere Volksentscheide [Siehe Geschichte Zug ist schneller, etwa 200 km/h. Heute des GBT Seite 19, Anm. d. Red.]. fahren wir im Scheiteltunnel 125 km/h. Was war der grösste Moment für Sie? Spürt man dieses Tempo? Es gibt zwei. Zum einen war da der Im Gegenteil, die Ruhe ist frappant. Durchbruch in der Weströhre mit der Die Gleislage ist fantastisch, man gleitet riesigen Bohrmaschine – da kamen grosse regelrecht dahin. Gefühle auf. Nie vergessen werde ich auch den ersten Tunneldurchmarsch von Bodio Der erste Gotthardtunnel wurde bei der nach Erstfeld, lange bevor die Gleise Eröffnung der Bahn 1882 als «helvetisches verlegt waren. Wir brauchten über acht Weltwunder» bezeichnet. Internationale Stunden – die ganze Dimension des Kommentatoren verglichen ihn mit Projekts wurde mir da erst richtig bewusst. dem Bau der altägyptischen Pyramiden. Ist der Gotthard-Basistunnel (GBT) Abgesehen vom Zeitgewinn: eine ähnliche Meisterleistung? Welche Effekte hat dieser Tunnel? Die AlpTransit Gotthard AG (ATG) hat Der GBT ist weit mehr als zwei Gleise, die Flachbahn durch den Gotthard viel Beton und jede Menge Technologie: gebaut, den längsten Tunnel der Welt, Das Tessin rückt näher an die Deutsch- 57 Kilometer lang. Mit 0,00014 Prozent schweiz, es wird ein grosser Beitrag Bulletin N° 2 / 2016 — 15
— Gottardo — zur Verlagerung des Verkehrs von der Und letztlich hat uns die ganze Fahrplan- Strasse auf die Schiene geleistet, und wir planung stark gefordert, vor allem im werden in der Welt positiv wahrgenommen. Kontext der vielen Baustellen. Aber von Jede Steuerzahlerin, jeder Steuerzahler alledem einmal abgesehen, ist der GBT darf sagen, er oder sie habe einen ein ganz normaler Tunnel (lacht). Beitrag zu diesem Werk geleistet. Eines der grossen Themen ist die Sicherheit. Und welche Bedeutung hat der GBT Die Sicherheit war eines der wichtigsten für das europäische Transportsystem? Planungskriterien überhaupt. So haben Der GBT entlastet auch Autobahnen im wir zum Beispiel zwei getrennte Röhren Ausland, darum baut beispielsweise und zwei Nothaltestellen. Darf ich ehrlich Deutschland die Hochrheinstrecke aus. sein? Ich fahre viel lieber durch den neuen Dass Sie vom Hamburger Nordseehafen Basistunnel als durch den alten Scheitel- nach Gallarate Zeit sparen, ist das eine. tunnel. Das andere ist die höhere Kapazität, man kann längere Züge fahren und mit einem Warum? ZUR PERSON höheren Profil als bisher. Es sind also Lassen Sie uns folgenden Fall annehmen: Peter Jedelhauser, 57, ist Gesamtleiter effiziente, staufreie und umweltfreundliche Der Zug bleibt stecken. Das kann der Projektorganisation Nord-Süd- Lösungen für die Logistikbedürfnisse passieren. Alle 325 Meter führt einer der Achse Gotthard (PONS). Er war über unserer Cargo-Kunden möglich. Auch im 178 Querschläge in die Gegenröhre, wo zwanzig Jahre in der Energiewirtschaft tätig und baute rund um die Welt innerschweizerischen Güterverkehr ein anderer Zug die Passagiere aufnehmen Wasserkraft- und Bewässerungs- eröffnen sich neue Möglichkeiten. So kann. Im Idealfall stoppt der Zug nach anlagen. Der studierte ETH-Ingenieur können wir zum Beispiel erstmals im einem Ereignis in einer Notfallhaltestelle, (Eisenbahntechnik) arbeitet seit Nachtsprung das Tessin mit der wo grosszügige Fluchtstollen wegführen elf Jahren bei der SBB. Westschweiz verbinden. Man gibt einen und die Passagiere in Sicherheit gebracht Container am Abend im Tessin auf und werden. Im alten Scheiteltunnel ist das am Morgen ist er in der Romandie. Umsteigen fast unmöglich. Das Bauwerk von 1882 hätte man zum Teil ergänzen Die grössten Vorteile des Tunnels liegen im können, aber man würde es nie auf das Transport von Gütern, nicht von Passagieren? Niveau des Basistunnels bringen. Plakativ könnte man sagen: Die neue Gotthardbahn ist eine Güterbahn mit Kann man sagen, die 57 Kilometer durch grossem Nutzen für den Personenverkehr. den neuen Tunnel sind die sichersten der Schweiz? Aus Sicht des Ingenieurs: Wie unterscheidet Das würde ich sofort unterschreiben. sich der GBT von anderen Tunneln in der Schweiz? Apropos Sicherheit: Sie benutzen den Begriff Der GBT besteht aus vielen komplexen des «kranken Zuges». Was ist das? Systemen. Das Beherrschen dieser Ein Zug, der nicht in den Tunnel darf. DIE PROJEKTORGANISATION Systeme ist mindestens ebenso herausfor- Zum Beispiel ein Zug, an dem sich die Die Projektorganisation Nord-Süd- dernd, wie sie zu bauen. Tunnelsystem, Bremse nicht löst. Ein Zug, auf dem bei Achse Gotthard (PONS) ist ein SBB-Konzernprojekt und besteht Entwässerungssystem, Lüftungssysteme, einem geladenen Lastwagen eine Plane aus neun Teilprojekten. PONS ist Sicherungsanlagen, Steuerungen, Tunnel- lose ist. Ein Zug, an dem ein Tankwagen verantwortlich für die Inbetriebnahmen leittechnik: Alles zusammen muss so von Flüssigkeit verliert. Ein Zug, auf dem des Gotthard- und des Ceneri-Basis- unserem Personal gehandhabt werden, die Antenne eines Lastwagens hin und tunnels sowie des 4-Meter-Korridors. dass jederzeit ein sicherer, zuverlässiger her flattert. Eine Lok, deren Strom- und pünktlicher Bahnbetrieb möglich ist. abnehmer nicht perfekt ist. Ein Zug, der asymmetrisch beladen ist. Oder Gilt das Neu-Denken auch für den Unterhalt? ein Zug, der brennt. Absolut. Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Strecke Zürich–Olten unterhalten, die Und alle diese «Krankheiten» diagnostizieren etwa gleich lang ist, Sie haben aber nur Sie, bevor der Zug in den Tunnel fährt? von zwei Seiten her Zugang. Der Ja. Auf den Tunnelzufahrten im Norden Standard-SBB-Prozess greift da nicht. und Süden sind Systeme installiert, die 16 — Bulletin N° 2 / 2016 Foto: Janosch Abel; Grafik: © SBB CFF FFS
— Gottardo — Peter Jedelhauser über den Gotthard-Basistunnel (Bild): «Wir haben die Planung etwas anders aufgezogen.» das fahrende Rollmaterial untersuchen. Nachweis nicht erbringen können? Was Falle waren es neun. Dabei haben wir Diese Zugkontrolleinrichtungen entdecken tun wir, wenn wir Schwierigkeiten bei ganz bewusst nicht bei der Technik be- die beschriebenen Defekte, bevor sie im einer Baubewilligung erkennen? Was gonnen, sondern beim Kunden. Was muss Tunnel grösseren Schaden anrichten mache ich dann? Was ist die Rückfall- ich machen, damit er zufrieden ist? können. «Kranke Züge» werden gestoppt. ebene? Aber auch: Wann muss ich sie Damit er bekommt, wofür er bezahlt hat? auslösen? Weil wir uns diese Fragen ständig gestellt und überall Alternativen Ihre Antwort? ausgearbeitet haben, bin ich relativ ruhig. Es braucht zuerst einen guten Fahrplan «Jeder Steuerzahler darf Klar kann etwas passieren, aber ich denke, für den Bahnverkehr entlang der gesamten sagen, er habe einen Beitrag wir sind vorbereitet. Nord-Süd-Achse im Fern-, Regional- und Güterverkehr. Damit ich diesen umsetzen zu diesem Werk geleistet.» Sie sind der SBB-Projektleiter für die kann, muss ich die Zulaufstrecken Inbetriebnahme des Jahrhundertbauwerks – ausbauen, denn die Kapazität des GBT doch das ganze Projekt passt hier in Ihrem bringt nur etwas, wenn auch die Ein paar Monate vor der Inbetriebnahme: kleinen Luzerner Büro auf ein Poster und Zulaufstrecken den Mehrverkehr Erwachen Sie zuweilen in der Nacht mit sieht aus wie die Planung für eine etwas bewältigen können. Als Nächstes brauche dem Gedanken: «Habe ich etwas Wichtiges grössere Weihnachtsfeier. Wie ist das möglich? ich Strom, also muss ich Unterwerke vergessen?» Das ist das Gesamtbild oder unser bauen. Dann brauche ich Rollmaterial – Wir haben die Planung etwas anders Cockpit, das muss übersichtlich sein. bestehendes und neues. Ich brauche aufgezogen als bei anderen vergleichbaren Insgesamt sind für das, was Sie hier sehen, Personal für den Personen- und für Projekten. Wir sind von den Risiken zirka 1600 Meilensteine hinterlegt. den Güterverkehr. Und schliesslich müssen ausgegangen: Was wäre, wenn etwas schief- nach der Eröffnung auch der Betrieb läuft? Oder, wie man heute sagt: «What Wie lassen sich so viele Meilensteine ab- und Erhalt gewährleistet sein. Für all das if ?» So kamen wir zu vielen wertvollen arbeiten, ohne dass man im Chaos versinkt? müssen wir unser Personal, rund Überlegungen und Erkenntnissen. Was, Indem man klar zugewiesene Arbeits- 2900 Angestellte, sowie 1000 Externe wenn wir bei einem Rollmaterialtyp einen pakete und Bereiche definiert, in unserem entsprechend ausbilden. Foto: Gerry Amstutz Bulletin N° 2 / 2016 — 17
— Gottardo — Haben Sie alle 1600 Meilensteine im Kopf ? ren? Diese integrierte Sicht ist für mich weil wir schon vorgängig an die Alterna- Nein, vielleicht 30 Prozent – viel eine zentrale Erfolgskomponente. tiven gedacht hatten. Wir konnten in wichtiger als die akademisch korrekte solchen schwierigen Situationen meist auf Planung ist der Umgang damit. Für jedes Es ist für den Einzelnen aber nicht einfach einen Plan B zurückgreifen. Arbeitspaket auf dem Poster gibt es einen einzugestehen, dass etwas falsch läuft. Verantwortlichen im Projekt. Jedem kann Das ist eine Frage der Kultur! Zwei Rund um die Welt sind die grossen passieren, dass er oder sie einen Meilen- Grundwerte halte ich dabei für besonders Infrastrukturprojekte notorisch in Verzug stein und somit einen Termin nicht wichtig: Transparenz – auch wenn sie weh- oder werden gar nicht fertiggestellt. Der einhalten kann. Wichtig ist dann die tut. Aber nach meiner Erfahrung tut es GBT hingegen geht ein Jahr früher in mehr weh, wenn ein Fehler später zu Tage Betrieb als geplant – wie war das möglich? tritt. Und Verlässlichkeit. Beides hat unter Die ATG, die den Tunnel baute, hat dem Strich sehr gut funktioniert. Da muss 2010 bei einer Abstimmung und Bereini- «Wir waren also ich meinen Mitarbeitern einen riesigen gung der Bau- und Montageprogramme ehrgeizig, aber nicht Dank aussprechen. für den GBT die Möglichkeit erkannt, den Tunnel ein Jahr früher als geplant in unbesonnen.» Ging auch mal etwas schief ? Betrieb zu nehmen. Grundsätzlich war Oh ja! Wir hatten immer mal wieder das natürlich eine sehr gute Nachricht, für Schwierigkeiten, beispielsweise mit die SBB bedeutete das jedoch eine grosse Frage: Welche Auswirkungen hat das auf Baubewilligungen, mit technologischen Herausforderung. Denn wir hatten nur meinen Kollegen und dessen Arbeits- Entwicklungen oder mit der Ablieferung noch fünf statt sechs Jahre Zeit, um unsere paket? Und wie können wir allfällige von neuem Rollmaterial. Heikle Momente, Aufgaben zu bewältigen. De facto waren Auswirkungen beherrschen und reduzie- aber wir standen nie völlig hilflos am Berg, unsere gesamten Zeitreserven weg. Kontrollraum für den Gotthard-Basistunnel in Pollegio. 18 — Bulletin N° 2 / 2016 Foto: Alexandra Wey / Keystone
— Gottardo — GESCHICHTE DES GBT Sie waren wütend? dafür eingeplant hatten. Und drittens Eine halbe Ewigkeit liegt zwischen der Zuerst sah ich viele Risiken und stellten sowohl die ATG als auch wir bei ersten Skizze und der feierlichen Eröffnung Probleme. Doch eines Tages sagte der der SBB Teams zusammen, die jederzeit des Gotthard-Basistunnels. Kollege von der ATG zu mir: «Das ist entscheidungsfähig waren und konstruktiv deine grosse Chance, Vollgas zu geben.» zusammenarbeiteten. 1940 Er hatte recht. Ist die Zeit knapp, 1947 Ingenieur Carl Eduard Gruner diskutiert man viel weniger über unnötige Haben Sie bei diesem Projekt etwas fürs skizziert die visionäre Idee eines Details zum falschen Zeitpunkt. Man Privatleben gelernt? Gotthard-Basistunnels. sucht einfache, pragmatische Lösungen Das Privatleben ist vielleicht einer der und zieht sie gemeinsam und fokussiert wenigen Orte, wo es nicht immer «What 1963 durch. So wird man auch sehr effizient. if ?» und Optionen braucht. Aber meinen 1950 Der Bund evaluiert verschiedene Kindern konnte ich schon etwas mit- Bahntunnelvarianten. Man kann sich auch Ziele setzen, die zu geben, indem ich sie fragte: «Was tut ihr, hoch sind. Und beim GBT geht es notabene wenn euer Plan nicht aufgeht?» 1971 um ein 12-Milliarden-Franken-Projekt. Die SBB wird mit der Ausarbeitung Klar, Mut ist das eine, Leichtsinn das Sie sind der Chef eines der grössten der Gotthard-Basislinie Erstfeld–Biasca beauftragt. andere. 2011 fällten wir folgenden Projekte der Schweiz. Sind Sie in der 1960 Entscheid: Wir setzen gemeinsam alles Freizeit verplant oder eher unstrukturiert? daran, im Dezember 2016 den fahrplan- Dazwischen gibt es doch noch etwas 1992 Das Schweizer Volk sagt Ja mässigen Betrieb aufzunehmen Wir anderes: Ich bin spontan. Wenn meine zur «Neuen Eisenbahn-Alpen- fixierten aber auch einen Point of Return, Tochter, die bei SWISS arbeitet, transversale» (Neat) und zum Bau von neuen Basistunneln am bei dem wir zwei Jahre vorher noch einmal fragt: «Kommst du morgen mit nach Lötschberg, Gotthard und Ceneri. gemeinsam über die Bücher gehen und New York?», und ich es irgendwie 1970 aufgrund der Entwicklungen und Risiken einrichten kann, dann fliege ich mit. definitiv entscheiden konnten, ob es 1993 Erste Sondierbohrungen in wirklich Dezember 2016 sein würde. Wir Schliefen Sie oft schlecht wegen dem Projekt? der Piora-Mulde liefern Hinweise waren also ehrgeizig, aber nicht unbesonnen. Ja, am Anfang oft. zur geotechnisch günstigsten Linienführung. Trotzdem, kaum irgendwo auf der Welt Weil es schwierig war, sich abzugrenzen? 1980 werden solche Giga-Projekte ein Jahr Dieses Wort versuche ich zu vermeiden. 1994 früher dem Betrieb übergeben. Warum in Das Denken in Schnittmengen ist Die «Alpen-Initiative» wird in einer Volksabstimmung angenommen der Schweiz? effizienter als das Denken in separaten und der Alpenschutz in der Bundes- Drei Gründe: Wir mussten nie über die Einheiten. Wenn sich zwei abgrenzen, verfassung verankert. politische Legitimation diskutieren. Das ist die Chance enorm hoch, dass 1995 Projekt wurde mitgetragen von der etwas zwischen Tisch und Bank fällt. 1990 Der Bundesrat genehmigt die Bevölkerung, jeder wusste, das ist ein Linienführung zwischen Erstfeld demokratisch gefällter Mehrheits- Wie haben Sie verhindert, dass Sie die und Bodio und die offene Strecke Bodio–Giustizia. beschluss. Wir trafen rundum auf eine Mammutaufgabe auffrisst? positive Grundhaltung. Man hätte uns mit Es ist eine Illusion, dass man nach Hause 1999 Einsprachen das Leben viel schwerer kommt, den Schalter umlegt und in Im November erfolgt machen können. Diesen Rückhalt gibt es Gedanken weg ist. Wenn man eine solche der Tunnelanstich am GBT. 2000 viel weniger, wenn Privatunternehmen Aufgabe machen darf, ist es zentral, dass 2010 oder Regierungen ohne breite Basis in der man ein grosses Feu sacré hat. Eine innere Am Gotthard-Basistunnel findet der Hauptdurchschlag zwischen Sedrun Bevölkerung ein Projekt beschliessen. Begeisterung. Und ich habe das ausser- und Faido statt. Ausserdem ist es ein Eisenbahnprojekt, gewöhnliche Glück, dass sich meine dazu haben die Schweizerinnen und Familie für das interessiert, was ich hier Schweizer eine besonders grosse Affinität. mache. Abschalten hingegen, das musste 2016 2010 Am 1. Juni wird der GBT eröffnet, ich lernen. Ich glaube, ich kann es heute im Dezember geht er in Betrieb. Zweitens? besser als früher. 2020 Zweitens hatten wir mit dem Bundesamt Die Nord-Süd-Achse ist nach für Verkehr eine Genehmigungs- und der Inbetriebnahme des Ceneri- Basistunnels und des 4-Meter- Verfügungsbehörde, die sehr speditiv Korridors voll leistungsfähig. arbeitete. Nicht eine Baubewilligung oder 2020 -genehmigung brauchte mehr Zeit, als wir Bulletin N° 2 / 2016 — 19
Alfred Escher (1819–1882): Der Gotthard-Visionär fuhr zeitlebens nie durch den Tunnel, der auch dank ihm gebaut wurde. 20 — Bulletin N° 2 / 2016 Illustration: Gregory Gilbert-Lodge; Foto: Noë Flum / 13 Photo
— Gottardo — Das helvetische Weltwunder Wie die Schweiz von einem Land, das den Anschluss verloren hatte, zu einem modernen Staat wurde: die Geschichte der Gotthardbahn, in der ein gewisser Alfred Escher die Rolle seines Lebens spielte. Von Joseph Jung Kein Bauwerk hat die Schweiz tiefgreifen- derts die Infrastruktur eines modernen der verändert als die Gotthardbahn, die am Staates. 1. Juni 1882 dem Verkehr übergeben wurde. Wie beängstigend diese Defizite in Sie ist Ausdruck einer dynamischen, of- 1882 der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wa- fenen und zukunftsgerichteten Schweiz; GOTTHARDBAHN ren, erkannte der Zürcher Alfred Escher. in ihr kulminierten Kühnheit, Wagemut, Am 1. Juni 1882 wurde die In einer seiner ersten Reden im National- Pioniergeist und visionäres Denken. Der Gotthardbahn dem Verkehr rat wies er auf diese dramatische Situation Kanton Tessin wurde auf dem Schienen- übergeben. Sie war als hin. Von allen Seiten würden sich die weg endlich mit der nördlichen Schweiz Lebensader für die Schweizer Schienenwege immer mehr der Schweiz verbunden und erhielt dadurch existen- Exportwirtschaft primär nähern, während diese bisher tatenlos zu- international ausgerichtet und zielle Impulse. Als Lebensader für die geschaut habe. Die Schweiz drohe umfah- eröffnete wirtschaftliche und Schweizer Exportwirtschaft war die Gott- kulturelle Beziehungen zwischen ren zu werden und das traurige Bild einer hardbahn primär international ausgerich- Italien, Deutschland europäischen Einsiedelei darzubieten. tet. Sie eröffnete zunächst den wirtschaftli- und der Schweiz. Tatsächlich gab es damals in der Schweiz chen und kulturellen Beziehungen zwischen lediglich einen Schienenweg von 23 Kilo- Italien, Deutschland und der Schweiz neue metern Länge – die Strecke Zürich– Dimensionen. Doch ihre Bedeutung ist feierlichkeiten mit Pomp und Spektakel Baden, die sogenannte Spanisch-Brötli- grossräumiger. inszenierte und der Welt eine grossartige Bahn. Eschers Auftritt war der Auftakt zu Show bieten wollte? einem grossartigen Schauspiel, das den Infrastruktur braucht das Land Geht man drei Jahrzehnte hinter die Titel «Der Aufbruch zur modernen Mit der Durchbrechung der Alpen wurde Eröffnung der Gotthardbahn zurück, finden Schweiz» trug und in dem Escher die die Gotthardbahn zu einer Weltbahn, die wir uns in einer ganz anderen Schweiz Rolle seines Lebens spielte, als Visionär, den Norden Europas via das Scharnier wieder, in einem Land, das in massgeben- Pionier, Politiker und Wirtschaftsführer. Schweiz mit dem Suezkanal und dem den Bereichen den Anschluss an die in- Im Kontext der komplexen eisen- Orient verband. Wen mag es da über- dustrialisierten Staaten verloren hatte. Der bahnpolitischen Herausforderungen nach raschen, dass die Schweiz die Eröffnungs- Schweiz fehlte bis Mitte des 19. Jahrhun- der Bundesstaatsgründung von 1848 Foto: Verkehrshaus Luzern / Keystone Bulletin N° 2 / 2016 — 21
— Gottardo — mussten die eidgenössischen Parlamenta- Eisenbahngesellschaften gegründet, deren Führung der Nordostbahn (1853), einer rier die alles übergreifende Frage beant- Ziel es war, schnellstmöglich zu bauen – der grössten Eisenbahngesellschaften, worten, ob die Eisenbahnen durch den schneller als die Konkurrenz und auf dem lässt in Zürich den neuen Hauptbahnhof Staat oder durch Private erbaut und betrie- bestmöglichen Trassee mit wenig Brücken (1865 –71) bauen und macht die Stadt an ben werden sollten. Damit zusammenhän- und Tunneln. Man kann sich fragen, ob es der Limmat zum Verkehrsknotenpunkt. gend galt es, die Linienführung festzulegen zum Wohl der Sache gewesen wäre, wenn Das ungeheure Tempo, mit dem in und die Prioritäten im Ablauf der Bauar- die 1852 festgeschriebene faktische Omni- den 1850/60er Jahren in der Schweiz die beiten zu setzen. Escher erkannte deutlich, potenz der privaten Eisenbahngesellschaf- Eisenbahnlinien errichtet wurden, und die welche Gefahren und Chancen die in Bern ten, die durch die Konzessionskompetenz unglaubliche Dynamik, mit welcher der anstehenden politischen Entscheide für der Kantone nur unwesentlich tangiert Eisenbahnbau die industrielle Entwick- den Kanton Zürich bargen. Und er hegte wurde, auf Gesetzesebene wenigstens lung beschleunigte und die Volkswirtschaft die Befürchtung, dass die östliche Schweiz etwas eingedämmt und der Betrieb zum als Stiefkind behandelt würde, sollte das Nutzen der Reisenden und des Güter- Eisenbahnprojekt vom Bund übernom- transports vereinheitlicht worden wäre. men werden. Doch solche Diskussionen zielen am Kern der Sache vorbei. Es ging damals – Was ist Staatsaufgabe? Mitte des 19. Jahrhunderts – um nichts Zum Kristallisationspunkt der politischen anderes als um die für die Schweiz existen- Diskussion in der Eisenbahnfrage entwi- zielle Frage, wie der Eisenbahnbau ckelte sich die Frage der Finanzierbarkeit. schnellstmöglich realisiert werden konnte. Dieser Aspekt erfuhr zusätzliche Spreng- Man stelle sich vor, wie sich das Eisen- kraft, als zunächst mit dem Eisenbahn- bahnwesen unter bundesstaatlicher Bau- projekt auch die eidgenössische Univer- herrschaft entwickelt hätte. In der Bundes- sität zur Debatte stand. Deshalb musste kasse fehlten damals schlicht die Mittel, sich das eidgenössische Parlament erst um neben dem Aufbau der Schweizer grundsätzlich darüber klar werden, welche Armee zusätzliche Infrastrukturprojekte die Aufgaben des Staates waren und was substanziell zu finanzieren. Und mit dem sinnvollerweise in den Kompetenzbereich wenigen, das man den Eisenbahnen hätte 1854 der Privatwirtschaft gehörte. zuführen können, wäre die Erschliessung ETH ZÜRICH Geradezu beängstigend erschien des Mittellandes ein Jahrzehnte dauerndes Weil in der Schweiz keine den Parlamentariern die Vorstellung, mit Projekt geworden. Wenig erfreulich ist Ausbildungsstätte für Ingenieure, der Eisenbahn und der Universität zwei auch eine andere Perspektive: Man braucht Techniker, Mathematiker und Grossprojekte gleichzeitig finanzieren zu kein Hellseher zu sein, um sich vorzustellen, Geologen existierte, die im Zuge müssen. In dieser Situation gelang es wie sehr sich die Herren Parlamentarier in des Bahnbooms gefragt waren, kam es 1854 zur Gründung des Escher, die beiden Vorlagen zu entkoppeln. Bern über die Prioritäten der zu bauenden Eidgenössischen Polytechnikums, Und entgegen dem Willen der nationalrät- Strecken in die Haare geraten wären. der heutigen ETH Zürich. Alfred lichen Kommission gewann er die Mehr- Escher gehörte bis zu seinem Tod heit der beiden eidgenössischen Räte für Verkehrsland Schweiz ununterbrochen dem Führungs- ein Gesetz, das Bau und Betrieb der Eisen- Doch zum Glück blieb dieses Schreckens- gremium der Hochschule an. bahnen der Privatwirtschaft überliess. Die szenario «historia eventualis». Die Fakten Folge war, dass der Bund im Eisenbahn- sprechen eine eindeutige Sprache. Durch gesetz faktisch ausgeschlossen blieb und den Entscheid vom Sommer 1852 wurde über keine rechtliche Handhabe verfügte. der eidgenössische Eisenbahnbau rich- Er hatte nicht einmal ein Aufsichts- tiggehend entfesselt. Die Schweiz erlebte recht über die Eisenbahngesellschaften einen Eisenbahnboom, wie er in keinem und konnte bloss aufgrund militärpoliti- anderen europäischen Land festgestellt belebte, bestätigen die Richtigkeit der von scher Überlegungen über Linienführungen werden kann. Eisenbahngesellschaften Escher bezogenen Position auch aus der entscheiden. schossen wie Pilze aus dem Boden. Und Rückschau. An dieser grundsätzlichen Diese Abstimmung im Sommer nicht einmal zehn Jahre später ist das Einschätzung ändern alle finanziellen 1852 war ein Jahrhundertentscheid, der die Mittelland erschlossen, sind die Schienen Turbulenzen, in welche die Eisenbahn- wirtschaftliche und gesellschaftspolitische vom Bodensee bis zum Genfersee ver- gesellschaften in der Folge gerieten, ebenso Entwicklung der Schweiz fundamental be- legt. Alfred Escher selbst – Regierungs- wenig wie die zahlreichen Übernahme- einflussen sollte. Denn kaum war die Sache rat, Grossrat, Nationalrat und vieles mehr kämpfe oder die Tatsache, dass die meis- entschieden, wurden überall im Land private – übernimmt zusätzlich die operative ten Gesellschaften später in ausländische 22 — Bulletin N° 2 / 2016 Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf unbekannt / Ans_02467/CCBY-SA 4.0
— Gottardo — Abhängigkeit gerieten und schliesslich zu Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse, ein den Splügen bis zum Simplon. In dieser Beginn des 20. Jahrhunderts verstaatlicht Jahr später die Schweizerische Lebensver- Situation stellte sich Alfred Escher hin- wurden. Die Schweiz hatte nach der Mitte sicherungs- und Rentenanstalt, die heutige ter das Gotthardprojekt und wurde 1871 des 19. Jahrhunderts ihren Rückstand ge- Swiss Life. Mit der Kreditanstalt befrie- Präsident der Gotthardbahn-Gesellschaft. genüber dem benachbarten Ausland dank digte Escher vorerst die finanziellen Für die Umsetzung dieses gigantischen privaten Gesellschaften in kürzester Zeit Bedürfnisse seiner Nordostbahn. Darüber Vorhabens warf Escher seine gesamte aufgeholt. Der private Schienenverkehr war hinaus wurde die Kreditanstalt zum Motor wirtschaftspolitische Macht in die Waag- faktisch von einem Jahr aufs andere in der der Schweizer Wirtschaft. Sie stellte schale. Er kümmerte sich um Budget und Lage, die für den Binnenmarkt benötigten privaten Unternehmen Risikokapital zur Finanzierung, verhandelte mit schweize- Transportkapazitäten bereitzustellen. Verfügung, half bei Firmengründungen rischen, deutschen und italienischen Ent- und engagierte sich ebenso bei öffentlichen scheidungsträgern und war bestrebt, die fä- Werk- und Finanzplatz Schweiz Einrichtungen, etwa beim Strassenbau. higsten Leute für das Projekt zu gewinnen. Doch nicht nur aus der eisenbahnpolitischen Und mit der Kreditanstalt machte Escher Dazu gehörte der Genfer Louis Favre, der Perspektive entpuppte sich der Entscheid Zürich zum Schweizer Finanzplatz. den Auftrag für den Bau des 15 Kilometer von 1852 als Glücksfall, drohte doch die langen Tunnels erhielt. Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts auch Der Weg in den Süden In der zeitgenössischen Euphorie in anderen Bereichen aufs Abstellgleis zu In den 1860er Jahren drohte die Schweiz wurde die Gotthardbahn als helvetisches geraten. Der Eisenbahnboom verlangte ein weiteres Mal den Anschluss an die Weltwunder bezeichnet, das die Reisenden Fachkräfte, die den Anforderungen der europäische Entwicklung zu verpassen. der Belle Epoque durch «the world’s most Eisenbahnunternehmen gewachsen waren. Denn noch immer fehlte eine Nord-Süd- picturesque route» am Gotthard in Begeis- Die Linienführung suchte nach der besten Verbindung durch die Alpen. Bereits wur- terung versetzte. Selbst im 21. Jahrhundert topografischen Lösung, Bahnhöfe muss- den in Frankreich und Österreich Alpen- erstaunen die konzeptionelle Genialität, ten gebaut, Brücken gespannt und Tunnel bahnen gebaut. Verschiedene Varianten die vorausschauende Grosszügigkeit und geplant werden. einer Alpentransversale wurden zwar dis- die technischen Leistungen und Qualitäten, In der Schweiz existierte jedoch kutiert, konnten sich aber nicht durchset- mit denen die Gotthardbahn geplant und keine Ausbildungsstätte für Ingenieure zen. Projekte gab es vom Lukmanier über realisiert wurde, immer noch. und Techniker, Mathematiker und Geo- Zwischen Airolo und Göschenen logen. Und so kam es 1854 zur Gründung entstand die grösste Baustelle der Welt. des Eidgenössischen Polytechnikums, der Tausende von Arbeitskräften strömten aus heutigen ETH Zürich. Auch hier ist die dem Ausland herbei; die meisten von ih- Handschrift Eschers unverkennbar. Bis zu nen stammten aus Italien. Bleibt die Gott- seinem Tod gehört Escher ununterbrochen hardbahn als grandioses Gesamtkunstwerk dem Führungsgremium des Polytechnikums bis heute unbestritten, so sind die teils an. Diese Hochschule stellte den Wissens- haarsträubenden hygienischen Zustände, transfer von der Theorie in die Praxis sicher. in denen die Arbeiter in privaten Unter- Die mehrheitlich aus dem Ausland stam- künften oder in Kasernen des Favre’schen menden Dozenten leisteten wichtige Pio- Unternehmens hausten, notorisch. Dazu nierarbeiten auf wissenschaftlichem Ge- kamen extreme Bedingungen bei der Ar- biet. Mit dem Polytechnikum wird, beit im Tunnel selbst. Viele Tunnelarbeiter vereinfacht gesagt, der Grundstein für den litten unter Krankheiten und wurden von Forschungsplatz Schweiz gelegt. Seuchen befallen. Mehr als 300 Menschen Der Kapitalbedarf stellte die Eisen- verloren während der Bauarbeiten ihr bahnunternehmen aber auch vor grosse Leben. Dazu kamen die erkrankten und finanzielle Herausforderungen. Da es in 1856 verunfallten Arbeiter, die nach der Rück- der Schweiz noch keine Geschäftsbanken KREDITANSTALT kehr in ihre Heimat starben. gab, musste das Kapital andernorts beschafft werden. Doch die ausländischen Kredit- ZÜRICH Der tragische Fall des Helden … geber und Investoren wollten die Entwick- Um den Kapitalbedarf der Ausgerechnet das Gotthardprojekt, mit lung der schweizerischen Eisenbahnunter- Eisenbahngesellschaften zu dem Escher Weltgeschichte schrieb, ge- decken, gründete Escher 1856 nehmen mitbestimmen, selbst in Fragen riet ihm persönlich zur grössten Niederla- die Schweizerische Kreditanstalt, der Linienführung. Diese Einflussnahme die heutige Credit Suisse. ge und zur schmerzlichsten Enttäuschung war nicht nach Eschers Gusto. Die Schweiz 1857 folgte die Schweizerische seines Lebens. Denn 1878 musste er we- brauche eine eigene Finanzinfrastruktur! Lebensversicherungs- und gen letztlich unbedeutender Kostenüber- So gründete er 1856 die Schweizerische Rentenanstalt (Swiss Life). schreitungen beim Bau zurücktreten. Foto: Wikimedia Commons Bulletin N° 2 / 2016 — 23
— Gottardo — Wer soll das bezahlen? Beim Bau von 1882 spielten hiesige öffentliche Gelder Es war nicht mehr seine Zeit. Die Schweiz hatte sich gewandelt, die direkte Demo- kaum eine Rolle. Der neue Basistunnel hingegen wird kratie (1874) vermittelte eine neue Iden- nur mit Steuern und Abgaben finanziert. tität. «Wir werden immer weniger», sagte Alfred Escher zu einem Freund. Die Pioniere der Gründergeneration waren alt An der internationalen Gotthardkonfe- dem Gotthardgranit. Die Missstimmung geworden, viele bereits gestorben. Escher renz 1869 in Bern wurden die Kosten zwischen Direktorium und dem Ober- erschien zusehends als Relikt einer längst für den Bau der Gotthardstrecke auf ingenieur wurde in Form böser Fehden vergangenen Zeit. 187 Mio. Franken veranschlagt (ent- auch öffentlich ausgetragen: Verunglimp- Beim Gotthardunternehmen Persona spricht einem heutigen Wert von rund fungen und Schmähschriften, denen sich non grata geworden, wurde er 1880 bei den 1,5 Mrd. Franken). Rund ein Drittel Escher ausgesetzt sah. Die Kostenfrage Feierlichkeiten anlässlich des Durchstichs war für den Tunnel von Göschenen führte letztlich zu seinem erzwungenen mit keinem Wort erwähnt. Zwei Jahre spä- nach Airolo vorgesehen, zwei Drittel Rücktritt als Direktionspräsident der ter, zu den grossen Jubelfestivitäten zur Er- für die übrigen Streckenabschnitte von Gotthardbahn-Gesellschaft (1878). Be- öffnung der Gotthardbahn in Luzern, wur- Immensee bis Chiasso. Von diesen Ge- vor er jedoch sein Demissionsschreiben de er zunächst nicht eingeladen – im samtkosten sollten 102 Mio. auf dem unterzeichnete, fühlte er sich verpflich- Unterschied zu den rund 360 italienischen internationalen Finanzmarkt beschafft tet, die komplexe Problematik der Mehr- und 100 deutschen Nobilitäten und Hono- werden, während 85 Mio. von den drei kosten zu entschärfen und eine Restruk- ratioren und den rund 400 Schweizer Gäs- Staaten Deutschland (20 Mio.), Italien turierung durchzuführen. ten. Kurzfristig erhielt er dann doch noch (45 Mio.) und der Schweiz (20 Mio.) Es gelang ihm, die Mehrkosten auf das Einladungsschreiben des Bundespräsi- als Subventionen garantiert wurden. An 40 Mio. Franken zu senken. Davon denten. Doch Escher war bereits schwer- den Zahlungen, zu denen sich die Eid- konnte er 12 Mio. Franken in harten krank und konnte nicht nach Luzern rei- genossenschaft verpflichtet hatte, betei- Verhandlungen auf den internationalen sen. Somit blieb ihm erspart, miterleben zu ligten sich 15 Kantone und 3 Städte. Auf Finanzmärkten beschaffen. Weitere je müssen, dass sein Name weder vom Bun- diese Weise kamen nur 13 Mio. Franken 10 Mio. übernahmen Deutschland und despräsidenten noch von einem anderen zusammen. Es brauchte die privaten Italien. Die Schweiz verpflichtete sich auf Redner genannt wurde. Durch den Tunnel Eisenbahngesellschaften Nordostbahn eine Summe von 8 Mio. Franken (Staats- ist er zeitlebens nie gefahren. Hat Alfred und Centralbahn, die mit 7 Mio. Franken vertrag von 1878), die wiederum auf ein- Escher den Dank des Vaterlandes auch einen Drittel der von der Schweiz garan- zelne Kantone und die beiden grossen nicht erhalten, so werden heute seine Initi- tierten Summe übernahmen – zusätzlich privaten Eisenbahngesellschaften aufge- ativen, Vorstösse und Projektionen, sein zu den je 9 Mio. Investitionskapital, das teilt werden sollten, was indes nicht rea- Engagement zum Wohle der Schweiz ganz die beiden Gesellschaften bereits zur listisch war. In dieser Situation beantrag- anders gesehen. Denn wie kein anderer hat Verfügung gestellt hatten. te der Bundesrat dem Parlament eine er die Entwicklung der modernen Schweiz Der prozentuale Anteil der öffent- Subvention von 6,5 Mio. Franken. Nach angestossen. lichen Gelder aus der Schweiz an den emotionalen und für Escher demütigen- Kosten betrug noch knapp 7 Prozent, den Debatten wurde ein Subventionsbe- wobei zu sagen ist, dass der Bund in trag von 4,5 Mio. Franken beschlossen. dieser Phase mit keinem Rappen betei- So war letztlich auch die Eidgenossen- ligt war. Dem gegenüber standen die von schaft an der 1882 eingeweihten helveti- Alfred Escher geführten Unternehmen schen Weltbahn engagiert, wenn auch nur Kreditanstalt und Nordostbahn, die durch die Übernahme von lediglich rund mehr als 11 Prozent der Kosten trugen. 2 Prozent der Kosten. Die Neue Eisenbahn-Alpentrans- Zu hohe Kosten versale (Neat) dagegen wird ganz von Nach 1875 geriet die Gotthardbahn- der öffentlichen Hand getragen, also mit Gesellschaft in eine Finanzkrise. Der Steuern und Abgaben finanziert. Laut Joseph Jung ist Historiker, Publizist und Geschäftsführer der Alfred-Escher-Stiftung. Kostenvoranschlag für den Bau war 1869 offiziellen Angaben kostet die Neat in- Von ihm stammen grundlegende Arbeiten zu tief angesetzt worden. Die Gründe klusive Lötschberg-, Gotthard- und Ce- zur Schweizer Wirtschafts- und Kulturgeschichte waren vielfältig: höhere Kosten aufgrund neri-Basistunnel gut 23 Mrd. Franken. des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Mit falscher technischer Berechnungen, hö- Das Geld stammt aus dem «FinöV- seiner Biografie von Alfred Escher erzielte er einen Bestseller: «Alfred Escher. Aufstieg, here Lohn- und Materialkosten, Was- Fonds» aus Schwer verkehrsabgabe LSVA Macht, Tragik». sereinbrüche im Stollen und auf den (60 Prozent), Mineralölsteuer (10 Pro- www.briefedition.alfred-escher.ch Zufahrtsstrecken und überhaupt feh- zent) und Mehrwertsteuer (30 Prozent). www.alfred-escher.ch lende Erfahrungswerte im Umgang mit Text: Joseph Jung 24 — Bulletin N° 2 / 2016
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