DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | SOMMER 2022
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INHALT Inhalt 2 Inhalt | Impressum 3 Vorwort Herbert Wölger 3 Freiwilliger Druckkostenbeitrag 4 Totes Holz – Lebendige Wildnis 8 Artportrait 11 Buchvorstellungen 12 Die Seite der Landesforste 14 Baumportrait 16 Mensch und Natur 18 Mikrofotografie 22 Umweltfotografie 26 Wildnis? Welche Wildnis? 28 Veranstaltungen 30 Angebote 32 Gesäuse Partner 37 Forschungsplattform Eisenwurzen 38 (Un-)Ordnung in der Natur 39 NP´s Austria 40 Forschern über die Schulter schauen 42 Jugendbeirat 43 Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal 44 Weltweit einzigartig – Endemiten 45 Gut beobachtet 46 Freiwilliges Umweltjahr 47 Junior Ranger 48 Ranger Worldwide 52 Tourismusverband Gesäuse Impressum 54 Stift Admont 55 Gseiserl Im Gseis Nr. 38, Sommer 2022 Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich: Nationalpark Gesäuse GmbH Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2 Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18 E-Mail: office@nationalpark-gesaeuse.at Internet: www.nationalpark-gesaeuse.at Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwor- tung der jeweiligen Autoren. Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des Herausgebers. Layout: fuernholzer design-photography-werbung, St. Gallen Druck: Printkompensiert gedruckt in der Medienfabrik Graz Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher übli- chen Begriffe wie Nationalpark Ranger, Besucher etc. gleichberechtigt weib- lich wie männlich zu verstehen. Titelseite: Alpenblumen, Fotograf: Jürgen Hofmann Seite 2: Waldwildnis, Fotograf: Jürgen Hofmann Rückseite: Ostalpen Nelke Dianthus alpinus, Fotograf: Jürgen Hofmann ISSN-Nummer: 1993 – 8926 (Printausgabe) / 1993 – 9485 (Webausgabe) 2 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
VORWORT Plädoyer gegen die Ängstlichkeit Hier lesen Sie ein Vorwort, das ich bereits 2019 verfasst habe. 2020 überschlugen sich dann die Ereignisse und es schien mir nicht mehr passend, um abgedruckt zu werden. Jetzt, zwei Jahre später, stolpere ich wieder über dieses (unveröffentlichte) Vorwort und – es scheint mir jetzt mehr als passend. Also, voilà: Es geht uns gut? Ja, es geht uns wirklich haupt wird alles zu gefährlich, zu unhygie- gut! Maßstab ist nicht das göttliche Paradies nisch, fast lebensbedrohend. Freilich, es ist (oder irgendein anderes). Maßstab ist die uns noch nie so gut gegangen wie gerade Herbert Wölger, Nationalparkdirektor Geschichte der Menschheit, unser Zusam- jetzt. Trotzdem sehen wir fortgesetzt unsere Bild: Stefan Leitner menleben, unser Überleben und wie einfach Gesundheit bedroht, unsere Physis und Psy- oder schwierig sich das gestaltet. che, unser Wertesystem und unsere Kultur. „Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ihre Dynamik und ihr Ganzes. In der Natur Es geht uns also gut und doch scheinen sich das Selbstverständnis der Gesellschaft ist das Individuum ein Nichts! Was wir brau- wir in einer Epoche der Angst zu leben. Me- geändert hat. Wir begreifen uns weniger als chen ist ein gesundes Verhältnis zwischen dien haben Erfolg, wenn sie angstschürende Eroberer denn als Schutzbedürftige“, kon- Individualismus und Kollektivismus. Die Schlagzeilen bringen. Politische Parteien ha- statierte Tillmann Prüfer im Zeitmagazin. „kulturtechnischen“ Werkzeuge haben wir ben Erfolg, wenn sie an Ängste appellieren. entwickelt. Nicht nur Technik erleichtert den Sind wir am Weg zu einem Europa der Angst- Vielleicht ist es der hohe Wert, den wir der Alltag, die Erfahrung des Zusammenlebens hasen? Was macht uns so ängstlich? Unser individuellen Befindlichkeit zuschreiben? Die aus mehreren Jahrhunderten sind in unse- hohes Lebensniveau und die Angst es zu ver- individuelle Befindlichkeit geht uns über das ren Bibliotheken gespeichert. Warum also so lieren? Eine meinungsmachende Elite, falls gesellschaftliche Wohl. Damit wird der Teller- viel Ängstlichkeit? es die überhaupt gibt? Zuviel Freizeit und rand zum Horizont und jeder Suppendunst Muße mit der wir nicht umgehen können? zur potentiellen Störung meines Ichs. Das Finden Sie nicht auch, dass diese 2019 hat etwas Kindliches an sich, Zeit uns daran verfassten Zeilen aktueller denn je sind? Die Ängste sitzen tief. Jedes unserer Gü- zu erinnern, dass wir Erwachsene sind. ter muss gegen Verlust oder Beschädigung versichert sein. In den Nahrungsmitteln Wie so oft lohnt ein Blick auf die Natur. Herbert Wölger vermuten wir schädliche Substanzen. Über- Was die Natur so stark macht ist ihre Vielfalt, Nationalparkdirektor Freiwilliger Druckkostenbeitrag Wir bedanken uns bei allen Leserinnen und Lesern, die einen Druckkostenbeitrag leisten! Dadurch kann Im Gseis auch weiterhin in gewohnter Qualität erscheinen. Diesmal senden wir es neben der erweiterten Nationalparkregion auch an die Haushalte von Radmer, Selz- thal, Lassing, Gaishorn, Hohentauern, Windischgarsten, Rosenau und Laussa. Und natürlich an unsere treuen Abonnenten. Wenn Sie unser Magazin zum ersten Mal in Händen halten und auch weiterhin beziehen möchten, reicht eine Nachricht mit dem Betreff – Im Gseis Bestellung – an k.lattacher@ nationalpark-gesaeuse.at Bitte überweisen Sie Ihren freiwilligen Druckkostenbeitrag an: Nationalpark Gesäuse IBAN: AT31 3800 1010 0009 1900 BIC: RZSTAT2G001 Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 3
Tot oder lebendig? Waldwildnis aus Sicht der Kleinsten Wilder Wald erwünscht! Abgestorbenes Holz ist das Lebenselixier unzähliger großer und kleiner Waldbewohner. Diese wertvollen Totholzstrukturen im Hartelsgraben beherbergen im Laufe ihres Zerfalls hunderte Tierarten. SANDRA AURENHAMMER Aus der knubbligen Borke eines dicken, kronenlosen Buchenstammes sprießen bun- te Fruchtkörper von Zunderschwämmen. Am Boden bedecken Moospölster zerfallene, rot und weiß gewordene Moderhölzer, aus denen frische, grüne Farne sprießen. In den steilen Hängen darüber thronen Kiefern und Fich- ten scheinbar am blanken Fels in schmalen Nischen. Sie führen ihr unberührtes Dasein unter extremen Bedingungen, ohne dabei ihr wahres Alter zu verraten. Aufgrund der un- wirtlichen Verhältnisse wachsen sie nur sehr langsam und sind im Vergleich zu ihren Ver- wandten aus dem Tal meist recht schmäch- tig. Hier hat der Wald Platz für Bäume in allen Facetten: stramme Stämme und verworrene verkorkste, alte Persönlichkeiten und gerade erst gekeimte, stehende und liegende, kräfti- Unberührt blieb der Wald vorrangig in den außerordentlich schwierig bringbaren Lagen. Die steilen ge und kränkelnde, lebende und tote. Dieses Kiefernwälder des Nationalparks haben aus naturkundlicher Sicht sehr viel zu bieten. Baumgreise Bild zeigt uns Waldwildnis vom Feinsten, wie führen dort ihr uriges Dasein unter extremen Bedingungen, ohne ihr wahres Alter zu verraten. sie in den urigen Bergwäldern des Gesäuses dort und da zu finden ist. Felsformationen und Wasserläufen den kar- landschaftlichen Schönheit als Naturjuwel. Folgen Sie mir in den Hartelsgraben – ein gen und der Witterung schutzlos ausgelie- Der vielschichtige Schluchtwald ist heute Graben mit besonderem Charakter, der viele ferten Biotopen der steilen Felswände direkt einer der wenigen größeren Laubholzstand- naturräumliche Eigenarten des Nationalparks gegenüber. Seit langen Jahren ein Magnet orte im Gesäuse und damit etwas ganz Be- vereint. Hier stehen feucht-kühle, üppig grü- für Wanderer und naturkundlich forschen- sonderes. Sein Anblick lässt uns tief durchat- ne Schluchtwaldabschnitte mit imposanten de Geister, gilt der Hartelsgraben ob seiner men und Energie auftanken. Seine natürliche 4 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
WALDWILDNIS / WALDÖKOLOGIE Der Schluchtwald im Hartelsgraben ist heute einer der wenigen Waldbewohner haben sich bestens an die unterschiedlichen Stadien der Laubholzstandorte im Gesäuse und damit etwas ganz Besonderes. Waldentwicklung angepasst und hängen von allen der darin vorkommenden Der „wilde Wald“ im Graben hat jedoch eine relativ junge Strukturen ab. Wichtiger Bestandteil sind auch die Baumpilze. Geschichte. Die Wälder des Gesäuses beginnen ihre natürliche Rhythmik des Werdens und Etwa die Hälfte aller waldbewohnenden Käferarten Mitteleuropas ist an Vergehens zu entwickeln. Naturwälder und naturnahe Wälder sind im Totholz gebunden. An diesem Nadelholzstamm im Haindlkar sind Vergleich zu Wirtschaftswäldern erheblich komplexer und ökologisch stabiler. Ausbohrlöcher von Bockkäfern sichtbar, die ihr Leben als Larve im Sie kommen besser mit schwankenden Umweltbedingungen zurecht. Holz verbracht haben. Schönheit ist selbstverständlich – und doch in Naturwäldern einen hohen Anteil an der der Geschichte des Gesäuses also nur in wieder nicht. Der „wilde Wald“ im Graben gesamten Biomasse hat, jedoch „verarbeitet“ den außerordentlich schwierig erreichbaren hat tatsächlich eine relativ junge Geschich- werden. Läuft in einem Wald also alles rund, Lagen erhalten. Dazu zählen vor allem die te. Über mehrere Jahrhunderte wurde der so gibt es eine große Lebensgemeinschaft, steilen Kiefernwälder der Felshänge. Lässt Hartelsgraben teils intensiv zur Holzkohlege- die sich eben um den Abbau dieses Tothol- man die Dimension einer solchen Wand auf winnung genutzt. Ihn durchzieht die älteste zes kümmert. Dazu zählen allen voran die sich wirken, so kommt man eindeutig zum Forststraße der Steiermark und erinnert an Schluss – nur die Gämsen trauten sich dort- Kleinsten unter uns: Pilze und Käfer, Fliegen, eine Zeit, in der dieser Naturraum primär von Bienen und Wespen, Ameisen, Schmetterlin- hin! Nach dem zweiten Hinschauen müssen wirtschaftlichen Interessen geprägt wurde. ge, Säugetiere und Vögel. Zahlreiche Arten wir jedoch zugeben, dass diese Wälder aus Damals hatte die Schlucht wohl kaum etwas dieser Tiergruppen haben sich auf ein Leben naturkundlicher Sicht sehr viel zu bieten von dem Zauber, der uns heute in seinen im und am abgestorbenen Holz spezialisiert. haben. Meist beherbergen gerade die entle- Bann zieht. Im Laufe der letzten Jahrzehn- Sie ernähren sich von Holz, bearbeiten es gensten Flecken die größten Besonderheiten. te gelang es dem Wald, sein wildes Gesicht mechanisch und chemisch, nisten darin, boh- Wie kommt das? Lässt man Wälder im besten Stück für Stück zurück zu gewinnen. Das tut ren ihr Leben lang als Larve durch abgestor- Fall über Jahrhunderte in Ruhe, so entfalten sowohl uns Menschen, als auch vielen ande- bene Stämme, transportieren symbiotische sie ihre eigene Rhythmik des Werdens und ren Lebewesen in diesem Ökosystem wohl. Pilze, die das Holz für sie nahrhaft machen Vergehens. Man spricht dann von der na- und den Zerfall vorantreiben und nutzen ab- türlichen Sukzession, der Walddynamik, die Wie man sich vorstellen kann, ist Holz der gestorbenes Holz als Behausung. Totholz ist Prozesse wie Wachstum, Reife, Zerfall und zentrale Baustein eines Waldökosystems. ihre Lebensgrundlage. Aus diesem Grunde Verjüngung eines Waldes regelt. Kaum zu Abseits seiner genialen, von uns Menschen glauben, doch das passiert von ganz alleine sollte es eher „Leb-Holz“, anstatt Totholz hei- hochgeschätzten Funktion als nachwach- ßen. Etwa die Hälfte aller waldbewohnenden und kommt seit rund 300 Millionen Jahren, sender Rohstoff, hat Holz also eine Reihe Käferarten Mitteleuropas ist beispielsweise ohne menschliches Zutun aus. Im Laufe der wichtiger natürlicher Aufgaben, die in einem an Totholz gebunden. Der begehrte Rohstoff Evolution haben sich die Waldbewohner auf gesunden Wald durch nichts ersetzt werden stellt somit das Zentrum des Lebensnetzes diesen natürlichen Rhythmus eingestellt. Sie können. Abgestorbenes Holz schützt den großer und kleiner Waldbewohner dar. Auch haben sich bestens an die unterschiedlichen Waldboden, speichert Wasser und CO2, liefert wenn uns dieses Zugeständnis schwerfällt: Stadien der Waldentwicklung angepasst und Nährstoffe und reguliert das Waldmikroklima. Ein gesunder Wald braucht sein Holz selbst. brauchen die ganze Palette der darin vor- Um all diese Prozesse am Laufen zu halten, kommenden Strukturen. Das sind z.B. Saft- muss die anfallende Menge an Totholz, die Wirklich unberührter Wald blieb im Laufe flüsse an vitalen Bäumen, gut strukturierte Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 5
WALDWILDNIS / WALDÖKOLOGIE Der Alpenbock (Rosalia alpina) ist eine Zeigerart für die Standortdynamik Ereignisse wie Lawinen, Windwürfe und Schneebrüche sind Teil der eines Waldes. Als naturschutzfachliche Flaggschiffart repräsentiert er eine natürlichen Dynamik eines gesunden Waldökosystems. Sie schaffen Lebensgemeinschaft, die auf den konstanten Nachschub von hier im Hartelsgraben neuen Lebensraum, speziell für die absterbendem Holz angewiesen ist. totholzbesiedelnde Fauna. Baumkronen, große Baumhöhlen, stehende, ben ihre eigene Geschichte und öffnen uns blau-schwarzen, bis zu 3 cm großen Tiere abgestorbene Bäume sowie liegende, großdi- damit ein Tor in einen scheinbar unsichtba- sind ausgesprochen tagaktiv und fliegen erst mensionierte Stämme, Holzpilze und Moder- ren Mikrokosmos. bei gutem Wetter zur warmen Zeit des Tages. holz. Jede einzelne Totholznische beherbergt Dieses Urwaldrelikt ist Zeiger für die Stand- ihre ganz spezielle Lebensgemeinschaft. Erst unlängst gelang nach über 60 Jahren ortdynamik eines Waldes. Die Art besiedelt Wirkt der Mensch nun maßgeblich auf diese die Wiederentdeckung des seltenen Flach- nur frisch abgestorbene Laubholzstämme Rhythmik ein, indem er Bäume nicht mehr alt käfers Peltis grossa für die Steiermark. Der und profitiert von Ereignissen wie Lawinen, werden lässt, in Kalamitäten eingreift und bis zu 2 cm große Käfer gilt als wichtigste Windwürfen und Schneebrüchen. Aus wald- Totholz aus dem Wald entfernt, so wirft das Charakterart heimischer subalpiner Urwald- ökologischer Sicht könnte man sagen: Wo es vor allem die sensiblen Waldbewohner ge- reliktstandorte und wurde erstmals an der Alpenböcke gibt, da sind Katastrophen nicht hörig aus dem Takt. Viele Totholzbesiedler Schagermauer entdeckt. Mittlerweile ken- weit. Nichtsdestoweniger ist es dem Alpen- stehen daher heute auf der Roten Liste der nen wir einige weitere Fundpunkte dieser Art bock als naturschutzfachliche Flaggschiffart gefährdeten Arten. im Nationalpark. Wie viele Totholzbewohner, gelungen, sich ein äußerst populäres Image ist auch dieser Käfer ein Pilzfresser. Seine zu verschaffen. Heute ziert der gefährdete Die langjährigen Auswirkungen der groß- abgeplattete Körperform ermöglicht es ihm, Käfer Postkarten, Briefmarken, Kleidung und flächigen, intensiven Form der Waldbewirt- sich unter der losen Borke abgestorbener Logos und steht für die Rückkehr der Wildnis schaftung haben dazu geführt, dass beson- Bäume fortzubewegen. Zu den „Lieblings- in unsere Buchenwälder. ders anspruchsvolle Totholzbesiedler heute plätzen“ dieser wärmeliebenden Art zählen am Rande des Aussterbens stehen oder gar besonnte Baumruinen – das sind mächtige, Genau wie alle anderen komplexen und aus unseren heimischen Wäldern ver- abgestorbene, aber noch stehende Bäume. teils noch unvollständig verstandenen Pro- schwunden sind. Letzte Überbleibsel ihrer Im Gegensatz zu liegenden Stämmen bieten zesse einer natürlichen Walddynamik, müs- einst ausgedehnten Populationen konnten sonnenexponierte Baumruinen vom Boden sen auch Kalamitäten ihren Platz in unseren bis heute vielfach nur in äußerst naturna- bis an das obere Ende ihres Stammes ein Naturwäldern haben. Die jungen Wälder des hen Wäldern überdauern. Hier ist die Rede ausgeprägtes Temperatur- und Feuchtig- Nationalparks stehen nun am Anfang der von den sogenannten „Urwaldreliktarten“, keitsgefälle, das eine Vielzahl unterschiedli- Entwicklung ihrer eigenen Rhythmik und den Speziellen unter den Spezialisten. Für cher Besiedler zufrieden stellen kann. Schon werden im Laufe der kommenden Jahrzehn- ihre mehrjährige Entwicklung benötigen in ihrem Leben als alte „Baumpersönlichkei- te hinsichtlich ihrer Totholzfauna mit Gewiss- sie meist sehr großdimensionierte Totholz- ten“ beherbergen solche Baumindividuen ein heit noch für viele Überraschungen sorgen strukturen, die in wirtschaftlich genutzten hochkarätiges Gefolge aus naturschutzfach- können. So unterschiedlich die Geschichten Wäldern Mangelware sind. Ihr Lebensraum lich wertvollen Arten, denen sie in vielen klei- der einzelnen darin vorkommenden Urwald- beschränkt sich aktuell inselartig auf Be- nen Nischen Lebensraum bieten. Wagen wir reliktarten auch sind, so vermittelt uns ihr stände mit starkem Naturwaldcharakter und nun einen Blick in die steilen und unberührten Auftreten in den Bergwäldern des Gesäuses langer Habitattradition. Ihr Vorkommen gilt Kiefernwälder der Felshänge. Der Gamsbock doch immer dieselbe frohe Botschaft: Der als Zeichen einer guten Waldgesundheit. Die ist nicht der einzige Bock, der dort zu Hause Wandel zur Wildnis ist im Gange. Rückkehr von Reliktarten in unsere Wälder ist. Er teilt den Urwald mit dem Zottenbock ist somit hoch erwünscht und sorgt sowohl (Tragosoma depsarium), einem Käfer, dessen in der Öffentlichkeit als auch in der Fachwelt Name tatsächlich auf den Ziegenbock zu- für positive Schlagzeilen. Im Gesäuse konn- rückgeht. Das Wort Tragosoma setzt sich aus ten bislang acht Urwaldreliktkäfer entdeckt den griechischen Wörtern tragos (für Ziegen- werden. Historische Nachweise stammen bock) und soma (für Körper) zusammen und vom Rindenschröter (Ceruchus chrysomeli- beschreibt sein ziegenähnliches Aussehen. nus), dem Harzporling-Düsterkäfer (Myceto- Die optische Beschreibung dieses gefährde- ÖKOTEAM - Institut für Tierökologie und ma suturale) sowie dem Düsterkäfer Dircaea ten Urwaldkäfers ist in den Augen einer In- Naturraumplanung OG australis und dem Bockkäfer Nivellia sangui- sektenkundlerin etwas weit hergeholt, aber Institute for Animal Ecology and nosa. Aktuell konnten der Schnellkäfer La- immerhin eine gute Geschichte. Die seltene Landscape Planning con lepidopterus, der Flachkäfer Peltis gros- Art ist nachtaktiv und verbirgt sich tagsüber Bergmanngasse 22, 8010 Graz sa sowie der Alpenbock (Rosalia alpina) und unter der losen Borke dicker Nadelholzstäm- www.oekoteam.at der Zottenbock (Tragosoma depsarium) aus me. Ganz anders steht es um den sonnen- dem Gesäuse gemeldet werden. Sie alle ha- liebenden Alpenbock (Rosalia alpina). Die Bilder: Sandra Aurenhammer / ÖKOTEAM 6 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
WALDWILDNIS / WALDÖKOLOGIE Rotföhren schaffen es, die dynamischen Felslebensräume des Haindlkars Baumruinen, wie diese im Hartelsgraben, sind mächtige, abgestorbene, aber zurück zu erobern. Aufgrund der hageren Verhältnisse wachsen sie nur noch stehende Bäume, die meist von einem hochkarätigen Gefolge aus sehr langsam und sind im Vergleich zu Altersgenossen recht schmächtig. naturschutzfachlich wertvollen Arten begleitet werden. Sie bieten ihren Besiedlern in vielen kleinen Nischen einen Lebensraum. Nach über 60 Jahren gelang die Wiederentdeckung des seltenen Flachkäfers Der seltene Zottenbock (Tragosoma depsarium) ist nachtaktiv und Peltis grossa (rechts) für die Steiermark, der erstmals an der Schagermauer verbirgt sich tagsüber unter der losen Borke dicker Nadelholzstämme. gefunden wurde. Der bis zu 2 cm große Käfer gilt als wichtigste Charakterart Die Brust des Käfers ist dicht zottig, bräunlich-gelb behaart. heimischer subalpiner Urwaldreliktstandorte. Er kommt gemeinsam mit dem ebenfalls seltenen Rotrandigen Flachkäfer (Ostoma ferruginea) (links) vor. (Un-)Ordnung in der Natur ist die Lebensgrundlage heimischer Die Bergwälder des Gesäuses werden im Laufe der kommenden Jahrzehnte Artenvielfalt – nicht nur im Wald. Dieser totholzreiche Bestand Waldgeschichte hinsichtlich ihrer Totholzfauna mit Gewissheit noch für auf der Eggeralm zeigt, dass der Wandel zur Wildnis im Gange ist. viele Überraschungen sorgen können. Schon heute lehren sie uns: Der Wald braucht sein Holz selbst. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 7
ARTPORTRAIT Der edle Marder auf dem Baum ALEXANDER MARINGER Baummarder leben bevorzugt im ge- schlossenen Wald und haben ein so breites Nahrungsspektrum, dass man sie bereits als „Allesfresser“ bezeichnen kann. Uns Menschen begegnen sie eher selten, da sie anders als Steinmarder die Nähe zu Sied- lungen meiden. Die beiden eng verwand- ten Arten voneinander zu unterscheiden ist dabei schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheint. Das Fell der Baummarder ist kastanien- braun, der Schwanz buschig behaart. Im Winterfell wirkt es besonders dicht und sei- dig, mit gelblich durchscheinender Unterwol- le. Der Baummarder zeigt so eine Anpassung an die kühleren Lebensräume, die er besie- delt. Beim Baummarder umfasst ein gelbli- cher Kehlfleck Hals und Brust und schließt dieser Spanne liegen auch die Körpermaße der Nahrung eher einen geringen Anteil aus. zumeist zu den Vorderfüßen hin rund, nicht des Steinmarders, der im Durchschnitt aber Baummarder-Weibchen scheinen auf Beute gegabelt, ab. Dieses Muster ist bei jedem etwas schwerer ist und einen längeren Kör- mit geringem Gewicht spezialisiert zu sein. Tier anders und lässt, ähnlich wie beim Fell- per hat. Das mag daran liegen, dass sie mit gerin- muster der Luchse, eine Unterscheidung gerem Eigengewicht in höheren Stockwer- einzelner Individuen zu. Dieser „Kehlfleck“ Wo treibt sich der Baummarder ken der Bäume jagen und gleichzeitig diese oder „Brustlatz“ ist in Form und Farbe aber herum? Beute zu ihren Jungen in das Nest tragen so variabel, dass er – entgegen verbreite- müssen. Je nach Saison und Verfügbarkeit ter Meinung – kein geeignetes Unterschei- Baummarder haben ihren Lebensmittel- werden zudem Früchte, Beeren und Nüsse dungsmerkmal zum Steinmarder, mit dem es punkt im geschlossenen Wald. Alte Baum- gefressen. Insekten, vor allem Laufkäfer und häufig zu Verwechslungen kommt, darstellt. bestände und hoher Kronenschlussgrad sind Amphibien, ergänzen im Jahresverlauf das Sichere Unterscheidungsmerkmale sind le- für sie essentiell. Sie kommen in der gesam- Nahrungsspektrum. Als eine der wenigen diglich eine schmälere Schädelform und die ten Steiermark vor und sind vom Auwald in Arten fressen Baummarder auch Spitzmäuse. Form des dritten nach außen eingebuchteten den Niederungen bis in den Lärchen-Zirben- Backenzahns (P3) und einer fehlenden Rille wald im Gebirge zu finden. Dort reichen ihre Im Wald nutzen Baummarder den Kronen- am oberen Backenzahn (M1), die man frei- Vorkommen bis an die Waldgrenze. raum sowie den Waldboden für ausgedehnte lich nur am toten Tier feststellen kann. Der Jagdzüge. Die Streifgebiete sind beachtlich Nasenspiegel ist dunkel – bei Steinmardern Baummarder sind Nahrungsgeneralisten, groß und können mehrere Quadratkilometer ist er rosa – was sich jedoch in freier Natur die vom Junghasen abwärts alles fressen, umfassen. Baummarder werden meist als nicht immer sofort erkennen lässt. Die vor dem sie habhaft werden. Die Konzentra- überwiegend nachtaktiv beschrieben. Tat- allem im Winterfell stark behaarten Sohlen tion auf Waldlebensräume bestimmt aber sächlich folgt ihre Tagesaktivität der verfüg- hinterlassen beim Baummarder ein verwisch- auch ihr Nahrungsspektrum. So finden sich baren Beute und trachtet danach, Fressfein- tes Spurenbild. In der Praxis ist aber auch bei Beuteanalysen vermehrt Rötelmäuse, den so gut es geht aus dem Weg zu gehen. das an den 3 bis 4 cm großen Trittsiegeln nur Wald- und Gelbhalsmäuse. Vögel, bis zur Mäuse etwa sind nachtaktiv, um ihren zahl- schwer festzumachen. Hier ist ebenso eine Größe von Eulen, werden nachts in ihren reichen Feinden auszuweichen. Somit sind Unterscheidung zu Steinmarderspuren bei- Nestern überrascht und auch deren Gelege auch Baummarder gezwungen, sie nachts zu nahe unmöglich. Bei Baummardern liegt das gefressen. Baummarder können dabei ge- jagen. In Zeiten reifer Früchte können sie es Gewicht zwischen 0,8 und 2,2 Kilogramm. schickt Eier tragen, ohne sie zu zerbrechen. sich dagegen leisten, auch tagsüber unter- Die Kopf-Rumpf-Länge variiert zwischen 36 Für Eichhörnchen gilt der Baummarder als wegs zu sein. und 56 cm. Die Schwanzlänge beträgt 17 bis Hauptfeind. Erfolgreich vom Baummarder Baummarder sind Einzelgänger, wobei 28 cm. Männchen (Rüden) sind üblicherwei- überwältigt werden die flinken Tiere aber sich die Reviere der Männchen mit den se schwerer als Weibchen (Fähen). Innerhalb meist nur in ihrem Kobel und machen in Revieren mehrerer Weibchen überlappen. 8 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
ARTPORTRAIT Baummarder sind geschickte Kletterer, die in den Baumkronen auf Jagd gehen. Bild: Barbara Baach Als „Allesfresser“ erweitert der Baummarder seine Kost auch mit Früchten, Beeren und Nüssen und Insekten. Bild: Herfried Marek Bild: Barbara Baach Weit über dem Boden bieten Astlöcher einen sicheren Ort zur Aufzucht der Jungen. Bild: Reinhard Thaller Konkurrenten werden dabei mit Duftmar- einen idealen Baummarderlebensraum bie- „Blutrausch“ einschlafen. Nachvollziehbar kierungen, die aus zwei unterschiedlichen tet, trifft man auch hier wesentlich häufiger ist, dass das natürliche Jagdverhalten eines Drüsen abgesetzt werden, vertrieben. Direk- auf Steinmarder, die vor allem im Siedlungs- Marders nicht zu dem Überangebot passt te Auseinandersetzungen können heftig und raum der Menschen gut zurechtkommen. Sie und so auch den Räuber selbst völlig über- lautstark ausfallen. Wie bei einigen anderen bevorzugen warme und trockene Lebensräu- fordert. Mardern auch, erfolgt die Paarung bereits me, was den urbanen Raum ideal erscheinen zwischen Juni und August. Es kommt dann lässt. Steinmarder oder „Hausmarder“ sind Betrachtet man die Biologie der beiden aber zu einer verzögerten Implantation der es, die Dachböden, alte oder verlassene Arten, so sind Baummarder dem Stein- befruchteten Eier (Keimruhe), um die Setz- Gebäude besiedeln und dabei in der Stadt marder sehr ähnlich und diesem wahr- zeit in das günstigere Frühjahr zu verschie- sogar Innenhöfe, Garagen und Keller be- scheinlich leicht unterlegen. Aufgrund des ben. Mitte März und April werden zwei bis wohnen. Als Tagesversteck reicht ihnen der direkten Konkurrenzverhältnisses und der vier, selten fünf, Junge geboren. Die Jungtie- Motorraum eines Fahrzeugs oder ein Haufen großen Streifgebiete sind Baummarder auch re werden fünf bis sieben Wochen von der Gerümpel. Der Steinmarder teilt das gleiche in Waldlebensräumen weit weniger häufig Mutter gesäugt. Mit dem Durchbruch der Nahrungsspektrum wie der Baummarder anzutreffen als Steinmarder. Dort, wo beide ersten Zähne bringt das Muttertier Nahrung und ist bei der Nutzung der Nahrungsquel- Arten räumlich aufeinandertreffen, scheinen in das Nest. Droht eine Gefahr oder kommt len ebenso flexibel. In der Stadt stehen auch sie sich durch eine zeitliche Differenzierung es zu regelmäßigen Störungen, wechselt das Abfälle auf seinem Speiseplan und können aus dem Weg zu gehen. Steinmarderpopu- Weibchen das Quartier, indem es die Jung- einen beträchtlichen Teil energiereicher lationen in ganz Westeuropa befinden sich tiere einzeln wegträgt. Dieser Ortswechsel Nahrung liefern. Die Beuteverfügbarkeit seit den 1960er Jahren im Aufschwung. Die ist aber energieraubend und birgt ebenfalls bestimmt auch hier die Reviergröße, die in zunehmende Urbanisierung und die erfolgrei- Risiken. Die Jungen werden von der Mutter städtischen Gebieten manchmal nur einen che Anpassung des Steinmarders an diese, auf die Jagd mitgenommen und lernen über- halben Quadratkilometer und weniger aus- von Menschen geprägten Lebensräume, ging lebensnotwendige Fertigkeiten. Die Abwan- macht. damit wahrscheinlich zu Lasten der Baum- derung aus dem Revier erfolgt mit dem Be- marderpopulationen. Anhaltspunkte dazu ginn der neuen Paarungssaison, manchmal Steinmarder haben einen schlechten Ruf liefern aber nur die Zahlen der Jägerschaft, als Räuber von Kleinvieh und als Nieder- bleiben die Jungtiere aber auch bis zum kom- die Abschüsse und aufgefundenes Fallwild menden Frühjahr. Nach eineinhalb Jahren wildjäger. Wenn man es einem Marder er- (zumeist Verkehrsopfer), abbilden. Wissen- werden die Jungtiere geschlechtsreif. möglicht, in Hühner-, Kaninchenställe oder schaftliche Bestandesschätzungen, auch Taubenschläge einzudringen, reißt er mehr flächige Fährtenkartierungen, Fang-Wie- Die Konkurrenz Beute, als er nutzen kann. Alte Schilderun- derfang-Untersuchungen oder statistische gen sprechen davon, dass Steinmarder alle Rückberechnungen, fehlen für die Steier- Auch wenn die waldreiche Obersteiermark Tiere in einer Behausung töten und dann im mark sowie für ganz Österreich. Aus Untersu- Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 9
ARTPORTRAIT Baum- und Steinmarder kommen beide im Nationalpark Gesäuse vor. Auch im Fotofallenbild zeigen sich die Schwierigkeiten bei der Artbestimmung. (Hier ein Baummarder mit rundlich gelbem Die weiße „Latzhose“ und der rosa Nasenspiegel sind eher typisch Brustlatz und dunklem Nasenspiegel.) für Steinmarder. Hier ein Jungtier. Bild: Wilfried Rieder Bild: Nationalpark Gesäuse Ehemaliges Wappen der Gemeinde Weng im Gesäuse mit „schreitendem silbernen Marder“. Entwurf: Heinrich Purkarthofer Ein gelblicher, rund abschließender Kehlfleck und ein dunkler Nasenspiegel kennzeichnet den Baummarder. Zuverlässig sind diese Merkmale aber nicht. Bild: Barbara Baach chungen besenderter Tiere weiß man, dass niger geeigneten Lebensräumen trifft man als Zins abzuliefern. Die Aufzeichnungen die großen Streifgebiete auch eine Chance vor allem junge (auch wandernde) Individu- unterscheiden dabei die beiden Marderarten für Baummarderpopulationen sind. Sie sind en, die aus Kerngebieten verdrängt wurden. nicht. Bis zur Gemeindezusammenlegung so in der Lage, rasch neue Lebensräume zu In ihrem natürlichen Lebensraum können 2015 führte Weng im Gesäuse einen „schrei- besiedeln, solange diese durch Korridoren Baummarder ein Lebensalter von zehn bis tenden silbernen Marder“ im Gemeindewap- miteinander verbunden werden. 15 Jahren erreichen. pen und drückte damit aus, dass bereits Früher konnte mit der Jagd und dem Han- seit dem 12. Jahrhundert Marderbälge an Jäger und Gejagte del von Baummarderpelz guter Gewinn er- das Stift Admont abgeliefert wurden. Noch zielt werden. Das dichte Fell war für Mäntel, Ende des 18. Jahrhunderts bezahlte das Stift Die natürlichen Feinde der Baummar- Fellmützen und Hüte begehrt. Auch Pinsel Spital am Pyhrn seinen Jägern 45 Kreuzer der sind Greifvögel, wie etwa der Uhu, und wurden aus Marderhaar gefertigt. Heute Schussgeld für einen Baummarder, soviel Füchse. In der Kulturlandschaft sind Le- noch gibt es hochwertige Rotmarderpinsel wie etwa für eine Gämse oder einen Auer- bensraumverlust und -zerschneidung als für die Aquarellmalerei. Unter „Rotmarder“ hahn. Hauptursachen für die geringe Präsenz von versteht man dabei keine Art im biologi- Baummardern zu nennen. Dort steigt auch schen Sinne, sondern sie bezieht sich auf die Anfang des 20. Jahrhunderts wurden alle aufgrund der fehlenden Versteckmöglich- rötlich wirkenden Pinselhaare, die von ver- Marderarten als „Schädlinge“ betrachtet, keiten das Risiko, von Feinden gestellt zu schiedenen Marderarten stammen können. mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln werden. Wenn Baummarder den geschlos- Im Spätmittelalter waren Marderbälge verfolgt und nicht mehr regulär gejagt. Heu- senen Wald verlassen müssen, bewegen sie eine wichtige Einnahmequelle des Stiftes Ad- te wird der Baummarder in der Steiermark sich entlang von ähnlichen Strukturen und mont. Für das Recht der niederen Jagd hat- ganzjährig bejagt, die intensive Verfolgung überqueren ungern große Freiflächen. In we- ten Bauern zum Beispiel einen Marderbalg gehört aber der Vergangenheit an. 10 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
BUCHVORSTELLUNG Fotografieren im Nationalpark Gesäuse MARTIN HARTMANN Im Sommer 2022 erscheint ein kleiner mit Vorschlägen für die besten Monate und Fotoreiseführer, der allen interessierten Tageszeiten zum Fotografieren, sowie Wan- Naturfotograf:innen eine wertvolle Hilfe zu derentfernung, allenfalls zu bewältigendem den schönsten Motiven im Nationalpark Höhenunterschied und Hinweise auf eine Gesäuse bietet. Das Buch ist in fünf Haupt- eventuell benötigte Spezialausrüstung. Der kapitel unterteilt, die den wichtigsten leichtAbschnitt „Saisonale Highlights“ ist ein mo- erreichbaren Gebieten des Nationalpark Ge- natlicher Führer zu den besten Fotomöglich- säuse entsprechen, darunter uralte Wälder, keiten während des Jahresablaufs. Ergän- verwunschene Schluchten und dramatische zend dazu findet man im Anhang Tabellen Felslandschaften. mit Sonnenaufgangs- und Sonnenunter- gangszeiten, sowie eine Liste der Vollmond- Für Motive in ausreichender Vielfalt sorgt Der Umfang beschränkt sich auf Gebiete, daten. der Nationalpark Gesäuse – nun liegt es an die leicht zu Fuß zu erkunden sind, sowie auf einem selbst, diese auch entsprechend ein- einige Plätze, die zwar längere Wanderungen Um dabei zu helfen, die persönliche Tech- zufangen… Gut Licht! erfordern, aber zu schön sind, um sie auszu- nik und den eigenen Blick zu verbessern, lassen. Zu Beginn findet sich eine schema- sind in weiteren Kapiteln des Handbuchs Erhältlich ab Sommer 2022 im Shop des tische Karte, welche die in den folgenden auch Fotografie-Tipps von ausgewiesenen Nationalpark Gesäuse bzw. bei Freytag & Texten beschriebenen Orte zeigt. Für jeden Expert:innen der Natur- und Landschafts- Berndt und im gut sortierten Buchhandel. davon gibt es eine detaillierte Beschreibung fotografie enthalten. Schriften des Nationalpark Gesäuse Band 16 ALEXANDER MARINGER Setzen wir uns einer unkontrollierbaren den vergangenen 20 Jahren, die Erfahrungen Gefahr aus, wenn wir aufhören, die Land- aus anderen Gebieten wie etwa dem Schwei- schaft rund um uns zu beherrschen? Oder zerischen Nationalpark und die Expertise ös- sichern wir unser eigenes Überleben, wenn terreichischer Wissenschaftler:innen zeigen, wir unseren Blickwinkel verändern und der was das Gesäuse auf dem Weg zur Wildnis Natur mehr Raum geben? Die natürliche Dy- noch erwarten könnte. namik ist die Basis des vielfältigen Lebens in der unberührten Landschaft. Wir nehmen sie (Un-)Ordnung in der Natur – Band 16 der oft als Katastrophen wahr, dabei sind Muren, „Schriften des Nationalpark Gesäuse“ – ist Lawinen, Stürme, Hochwässer und Feuer ab sofort zum Preis von 24,90 Euro zzgl. Ver- Katalysatoren für wertvolle Naturflächen. sandkosten in unserem Nationalparkshop online oder direkt vor Ort erhältlich: Mit Hilfe vieler hochkarätiger Beiträge wird in diesem neuen Buch das National- www.nationalpark-gesaeuse.at/ park-Kernthema „Wildnis“ beleuchtet. Die nationalpark-erleben/shop/ Entwicklung des Nationalpark Gesäuse in Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 11
Die Seite des Waldes Sonnenlicht und Wasser – die beiden Lebenselemente am himmlischen Höllboden; Bild: Ernst Kren ANDREAS HOLZINGER Wer das obige Foto näher betrachtet, Erziehung beginnt auch im Wald August – so richtige auf Trab hält. Oben- wundert sich vielleicht, dass diese kleine im Kindesalter drein noch mit einem poetischen Namen, er, Verebnung im Hartelsgraben – unmittel- der „Buchdrucker“, weil das Fraßbild seiner bar am Fuße des Sulzkar-Wasserfalles – Die wenigen lenkenden waldbaulichen Larven aussieht wie ein aufgeschlagenes den Namen „Höllboden“ trägt, obwohl Eingriffe in der Managementzone beginnen Buch. Im Biotopschutzwald, also in der Kern- hier für Flora und Fauna fast himmlisch in der Kinder- und Jugendphase der Bäume zone des Nationalpark geduldet, wird er in paradiesische Zustände herrschen: und haben Mischungsregelung zu Gunsten der Managementzone, im Grenzbereich zu Die Sonnenstrahlen begünstigen einen der Laubhölzer Buche, Ahorn, Esche und unseren Nachbarn konsequent kontrolliert bunten Blumenteppich an Frühjahrsgeo- Eberesche, aber auch der Nadelhölzer Lär- und bekämpft – entweder durch Entrindung phyten – Himmelschlüssel, Buschwindrös- che und Tanne zum Ziel. Gleichzeitig genie- oder Fällung und Abtransport des befallenen chen und Leberblümchen auf der feuch- ßen die verbleibenden Bäume auf der Fläche Holzes. ten Wiese, der alte Bergahorn bekommt den größeren Standraum und das anregende wegen des Schmelzwassers zwar kalte Sonnenlicht zur Photosynthese und Produk- Das größte Tier im Nationalpark – der Füße, breitet dennoch sein junges Blatt- tion der gesunden Terpene. Wald als Wohl- Rothirsch grün in die warme Maiensonne. Ein fühloase und Gesundbrunnen! neues Jahr in den Naturwäldern des Ge- Mangels störungsfreier Überwinterungs- säuses, endlich wieder saftiges Grün für Ein ständig treuer Begleiter – der räume außerhalb des Nationalpark wird Hase, Reh, Gams und Rotwild. Und so Buchdrucker! Rotwild im Winter noch an zwei Fütterungs- ganz ohne Zutun des Menschen öffnet die standorten betreut. Besonders interessant Lärche ihre Nadelbüschel mit bis zu 60 Besonders auf sonnenbeschienenen Süd- für Altersbestimmung (Zeitreihen), Gesund- Nadeln pro Trieb und platziert geschickt hängen und trockenen Standorten fühlt er heitszustand und Entwicklung sind die jähr- dazwischen die purpurroten Zäpfchen – sich wohl – ist natürlich nicht die einzige lich abgeworfenen Geweihe der Hirsche. Sie gleichsam als bunter Brückenschlag für Käferart im Gesäuse – wohl aber diejenige, werden gesammelt, dokumentiert und dann die nächste Generation. die meine Förster – zumindest von Mai bis wieder in den Kreislauf der Natur eingebracht. 12 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
LANDESFORSTE Rotwild bei der Fütterung – ein Buntes Farbenspiel der Lärche Hirsch hat bereits „abgeworfen“ Bild: Ernst Kren Bild: Christian Fürnholzer Mehr Standraum bedeutet mehr Licht Bestandeserziehung beginnt im Jugendalter und Vitalität für den Einzelbaum Bild: Steiermärkische Landesforste Bild: Steiermärkische Landesforste Ein „Fangbaum“ zur Kontrolle des Fichtenborkenkäfers Harte Technik für weiche Oberflächen Bild: Steiermärkische Landesforste Bild: Steiermärkische Landesforste Wichtige und wertvolle Infrastruktur – Frisches Quellwasser auf zum Wandern und Verweilen der Niederscheibenalm Bild: Ernst Kren Ständig benützte Forststraßen – wie auch die Hochscheiben-Mountainbiketour – brau- chen auch ständige Pflege, damit sie gefahr- los benutzt werden können – ein regelmäßig wiederkehrender, aber zweckdienlicher Auf- wand – genauso wie die Instandhaltung un- serer Kraftplätze für Besucher, insbesondere unsere Almen! Also: Die Tische sind gedeckt – frischwärts ins neue Wanderjahr! Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 13
BAUMPORTRAIT Baum des Jahres 2022 Die Gemeine Waldkiefer (Pinus silvestris) ANDREAS HOLZINGER Es ist gut gepflegte Tradition, dass jedes Anspruchslos, ausdauernd, aber Besondere Eigenschaften mit Jahr in Zusammenarbeit des Bundesmi- Hauptsache Sonne und Licht! besonderer Bedeutung nisteriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (das sich sehr wohl auch Als eine von ca. 90 Kiefernarten zwischen Die Kiefer erreicht ein durchschnittliches um die Forstwirtschaft kümmert) mit dem Polarkreis und Äquator bedeckte die ausge- Alter von ca. 200 bis 300 Jahren, bildet auf Kuratorium Wald eine bedeutende oder prägte Lichtbaumart nach der letzten Eiszeit besseren Böden eine Pfahlwurzel aus und auch gefährdete Baumart zum „Baum gemeinsam mit der Birke riesige Landstriche ist damit sehr gut für den Solitärstand ge- des Jahres“ gekürt wird, um deren Bedeu- in Europa, wurde aber später durch konkur- eignet. Ihr Holz ist weich und leicht und hat tung und auch die ihrer Waldgesellschaf- renzkräftigere Gehölze auf ärmere Standorte den höchsten Harzgehalt aller heimischen ten stärker ins Bewusstsein der Öffent- verdrängt. So entwickelte sich ihre Stärke Nadelhölzer. Ihre Zapfen galten im Altertum lichkeit zu bringen. Damit gleichzeitig der bescheidenen Ansprüche und erklärt aufgrund ihres Samenreichtums als Sinnbild auch Verständnis für den Wald in seinen sich so ihr Ausweichen auf Spezialstandorte für Fruchtbarkeit und Wohlstand. vielfältigen ökonomischen, ökologischen unterschiedlicher Höhenstufen. und gesellschaftlichen Bedeutungen für Mit dem Gesäuse auf Jahrhunderte uns Menschen schärfen – wir erkennen So kann sie auf seichtgründigen, nähr- befreundet darin die Parallele zu den drei Säulen stoffarmen Dolomitstandorten wie im Gofer der Nachhaltigkeit! Neben den Haupt- gedeihen, zwängt sich in Felsritzen oder Die Extremstandorte im Nationalpark sind baumarten Tanne (2015), Eiche (2016) thront auf windzerzausten Kuppen, von wo scheints wie geschaffen für Einzelgänger, Pi- und Pappel (2018) waren es zwischen- sie wie spielerisch überlegen ins Tal schaut. oniere und Extremisten (sh. auch Im Gseis, durch eher waldbauliche Besonderheiten Herbst 2021). Und da es immer wieder Ero- wie der Wacholder (2017) und die Hop- Verträgt aber auch Staunässe und boden- sionsprozesse, Überlagerung von Schutt fenbuche (2019). Mit Erle (2020) und saure Verhältnisse am Rande von kleineren mit Initialstadien, seichtgründige Dolomit- Linde (2021) spannt sich nun der Bogen Moorinseln, wo sie sich mit der Birke gerne standorte, Wind- und Wetterextreme geben wieder zu den Hauptvertretern – auch vergesellschaftet. Als „Steinständer“ erfüllt wird, sollte gerade auf diesen Standorten im Gesäuse – zur Gemeinen Waldkiefer – sie eine wichtige Funktion zur Verhinderung die Waldkiefer gemeinsam mit ihrer kleinen auch Rotföhre (wegen der rötlichen Borke von Bodenabtrag und Erosion. Schwester, der Latsche, ihre Stärke und Ein- und Äste im oberen Kronendrittel) oder zigartigkeit beweisen können – solange nur Weißkiefer (weißes Splintholz) – einem ausreichend Sonne scheint! echten Gesäusepionier! 14 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
BAUMPORTRAIT „In guter Gesellschaft“ am Rande einer Feuchtfläche Bild: Ernst Kren Schon seit ca. 12 Jahren auf diesem sonnigen Platz! – die Kiefer Bild: Ernst Kren Charakter- und Pionierbaumart Orangene Färbung der Überlegene Aussicht im Gesäuse: Die Weißkiefer Krone und Äste ins tiefe Ennstal Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren Genügsam auf seichtgründigem Dolomit – „Steinständer“ verhindern aber mit bester Aussicht! – die Kiefer Bodenabtrag und Erosion Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 15
MENSCH UND NATUR erhoben. Neben den verschiedenen Phasen seines literarischen Schaffens, widmete er große Teile seines Lebens den Naturwissen- schaften. Goethit, ein Eisenerz 1777 wurde Goethe Vorsitzender einer neu gegründeten Bergwerkskommission. Er hatte dabei den Silber- und Kupferbergbau zu überwachen und beschäftigte sich fort- an intensiv mit Gesteinen. Johann Wolfgang von Goethe publizierte 100 Artikel zum The- ma Geologie und sammelte 17.800 Mine- ralienstücke. 1806 benannte man ihm zu Ehren „Goethit“. Das auch als Nadeleisen- erz bezeichnete schwarzbraune Mineral wurde damals noch zur Eisengewinnung ein- gesetzt. Goethe beschäftigte sich intensiv mit Granite, unternahm aber auch Reisen, um die Alpen zu erkunden. Dabei schrieb er während einer Alpenüberquerung einige Zeilen, die wir auch in den Ennstaler Alpen gut nachvollziehen können: „Ich habe schon gesagt daß ich bisher die Kalck Alpen durch- wandert habe. Sie haben ein graues Ausse- Ölgemälde 1828 hen und schöne unregelmäßige Formen ob Bild: Joseph Karl Stieler sich der Fels gleich auch in Lager und Bänke abteilt. Aber weil auch geschwungene Lager Vorkommen und der Fels überhaupt ungleich verwittert; so sehen die Gipfel seltsam aus.“ Geprägt durch die vorherrschende Lehrmei- Goethes Name in der nung verstand er die Entstehungsgeschich- te der Erdkruste noch nicht in vollem Um- fang. Doch bereits 1829 notierte er eine Eiszeit-Theorie, während der Begriff „Eiszeit“ Naturwissenschaft erst 1833 in Gebrauch kam und sich als Er- klärungsmodell für Gletscherphänomene durchsetzte. Knochenharte Fakten ALEXANDER MARINGER Auch ein Knochen ist nach Goethe be- nannt: Der Zwischenkieferknochen oder os Johann Wolfgang von Goethe wurde als deutschsprachiger Dichter berühmt. Seine intermaxillare. Während der Goetheknochen Werke sind in der Literatur fest verankert und werden gerne gelesen und zitiert. bei vielen Säugetieren durch eine Knochen- Weniger bekannt ist, dass sich Goethe auch als Naturforscher einen Namen machte. naht getrennt vom Oberkiefer sichtbar bleibt, Obwohl seine Beiträge Anerkennung verdienen, konnte er damit nicht die Begeiste- verschmilzt er beim Menschen vor der Ge- rungsstürme auslösen, wie er es mit seiner Literatur schaffte. burt mit diesem, was auch durch die ver- kürzte Gesichtsregion bedingt ist. Der Medi- ziner Peter Camper hatte nach dem Sezieren Johann Wolfgang Goethe wurde 1749 in eines Orang-Utans diesen Knochen gefun- Frankfurt am Main geboren. Als Sohn einer den und nachdem er ihn beim Menschen Leidenschaft angesehenen bürgerlichen Familie genoss nicht finden konnte postuliert: Der Mensch er seine Ausbildung zuhause und studierte unterscheide sich grundsätzlich von den für Natur danach Rechtswissenschaften in Leipzig Affen, weil der Mensch keinen Zwischen- und Straßburg. Schon in jungen Jahren wur- kieferknochen habe. Goethe jedoch fand Sie beeinflussen unser Denken, sie de er durch seine Dichtkunst in ganz Europa ihn bei einem menschlichen Embryoschädel prägen unsere Sicht der Dinge und bekannt. Im November 1775 kam Goethe und schrieb begeistert 1784: „Ich habe ge- sie inspirieren uns bis heute. Eine nach Weimar, wo man sich bemühte, ein funden weder Gold noch Silber, aber ... das Spurensuche durch die Jahrhunderte kulturelles Zentrum aufzubauen. os intermaxillare beim Menschen.“ Später fördert klingende Namen zutage. Die- konnte er diesen Knochen auch bei einem se Menschen haben die Schönheit in Er wurde zu einem der engsten Berater Indischen Elefanten – dem Goethe-Elefant, der Natur für sich entdeckt und ihre von Herzog Carl August von Sachsen-Wei- heute ausgestellt in Kassel – finden, übersah Begeisterung in berühmt gewordenen mar-Eisenach, bekleidete hohe Beamten- aber, dass bei Schimpansen dieser Knochen Werken hinterlassen. stellen und wurde 1882 in den Adelsstand ebenfalls verwächst. Der Zwischenkiefer- 16 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
MENSCH UND NATUR Elefantenschädel. Kupferstich nach Goethe von Johann David Schubert. Bild: J.D. Schubert Blättrig-nadeliger Goethit Die Goethe-Pflanze. Bild: Rob Lavinsky Bild: Francisco Manuel Blanco knochen ist schlichtweg kein gutes Merkmal zungsorgane einer Pflanze gipfelt 1798 im wurde die Temperatur gemessen und wei- um Menschen von anderen Säugetieren ab- schwermütigen Gedicht „Metamorphose der tere Aufzeichnungen durchwegs von Laien zugrenzen. Pflanzen“ die in Friedrich Schillers Musen-Al- getätigt. Doch die einen litten an unzuläng- manach abgedruckt ist und als Lehrgedicht lichen Messinstrumenten, die anderen ver- Ein ganzes Leben in Farben und Liebesgedicht gleichzeitig erscheint. nachlässigten durch Hunger, Krankheit oder andere Widrigkeiten ihren Dienst. Einem As- Ein Thema seiner Zeit war die Farbenlehre, 1817 erweckte eine Pflanze die Aufmerk- sistenten versagten die Augen, sodass er die mit der sich auch Johann Wolfgang von Goethe samkeit Goethes. Eine Art der Gattung Ka- Temperaturskala nicht mehr genau ablesen ausführlicher beschäftigte, als mit jedem an- lanchoe wurde aus Madagaskar importiert konnte, der andere war zu spät, weil er den deren Thema. Er selbst war davon überzeugt, und später auch im botanischen Garten Glockenschlag der Wartburg bei ungünsti- dass seine Erkenntnisse dazu bedeutender des Schloss Belvedere in Weimar angebaut. gem Wind nicht hören konnte. Auch Goethes wären, als seine Dichtkunst. Anfang des 19. Diese Pflanze kann sich über Brutknospen eigenes „Wasser-Thermometer“ war für har- Jahrhunderts wurde Infrarot und Ultraviolett vermehren, was Goethe zu dem Gedicht te Fakten nicht geschaffen. Man fand dieses nachgewiesen und der Wellencharakter von mit oben genanntem Titel inspirierte: Was Barometer, vermutlich holländischer Her- Licht belegt. In der 1810 publizierten Schrift erst still gekeimt in Sachsen, Soll am Maine kunft, in seinem Schlafzimmer und verkauft zur Farbenlehre versuchte Goethe allerdings freudig machen; Flach auf guten Grund gelegt, es heute als „Goethe-Glas“, obwohl das Prin- Isaac Newton zu widerlegen und konnte sich Merke, wie es Wurzel schlägt! […] Die heute zip der Messvorrichtung bereits viel älter ist. damit in der Wissenschaft nicht durchsetzen. botanisch als Kalanchoe pinnata bezeichne- Goethe selbst war vom Erfolg seines Wetter- Daran änderten auch die ausgezeichneten te Heilpflanze wird mittlerweile weltweit ge- dienstes nicht überzeugt und hielt den Her- Illustrationen seiner aufwändigen Experimen- züchtet und trägt auch den Namen Goethe- zog über die Ergebnisse oder gar statistische te nichts. Pflanze. Zusammenhänge der Wetterereignisse weit- gehend im Dunkeln. „Mit einem Blatt Wetterkapriolen Bryophyllum calycinum“ Es wäre nicht Goethe, würde sich nicht in Unsere heutigen Prognosen des Welt- jeder Beschreibung der naturwissenschaftli- Die botanische Leidenschaft des Dichters klimas gehen auf präzise Wetteraufzeich- chen Erkenntnisse auch die Poesie verber- kommt 1790 in der Monografie „Versuch die nungen zurück, die etwa in Österreich im gen, für die er bekannt ist. Ebenso zeigt sich Metamorphose der Pflanzen zu erklären“ zu 18. Jahrhundert begannen und fortwährend in den literarischen Werken sein Naturver- Tage. Obwohl das Werk von seinen Zeitge- verfeinert und letztlich auch automatisiert ständnis. Goethe selbst bereute es nie, sei- nossen wenig beachtet wurde, gilt Goethe wurden. Noch lang vor der Gründung des ne Zeit in die Naturwissenschaften investiert damit heute als Mitbegründer der verglei- Deutschen Wetterdienstes versuchte Her- zu haben. Er hatte sich ein umfassendes Ver- chenden Morphologie. Er beschreibt die Ent- zog Carl August in seinem Einflussgebiet ein ständnis der Natur erworben, profitierte vom wicklung einer Pflanze vom Keimling an und Messnetz aufzubauen. Er beauftragte dazu Austausch mit wissenschaftlichen Größen formuliert seine Gedanken zur Metamorpho- seinen Geheimrat Goethe, der sich bereits seiner Zeit und fand seinen eigenen Zugang se der Pflanzenteile. Dabei konzentrierte er zur Jahrhundertwende mit dem Wetter be- zum naturwissenschaftlichen Experimentie- sich vor allem auf die Blüte mit Griffeln und schäftigte, und 1820 neun Messstellen in ren – manchmal sogar als Goetheanismus Staubgefäßen. Die Schilderung der Fortpflan- Betrieb nehmen ließ. Um 8, 14 und 20 Uhr bezeichnet. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Sommer 2022 17
Schöpfung – Bilder: Oliver Dum Von der Faszination einer verborgenen Welt OLIVER DUM & GERHARD ZIMMERT Hier kann der Mensch lernen, sich wieder zu Tapfer haben sie das einige Wochen durch- fokussieren und dabei sich auf die kleinen gehalten. Doch es musste eine andere Lö- Dinge zu konzentrieren. Dafür bietet sich die sung her. Unser Keller ist Gott sei Dank aus Die Faszination der Mikrofotografie liegt Makrofotografie an. massivem Beton gebaut und so eroberte ich im Sehen von Dingen, die mit dem blo- mir den Kellerraum, der keine Fenster, nur ßen Auge nicht sichtbar sind. Zwei aus- Irgendwann habe ich mir eine Kamera zu- eine Tür hat. Der Medienbunker wurde ge- gewiesene Experten dieser speziellen Auf- gelegt und mich mit meinen Klienten auf die boren. nahmetechnik lassen uns dabei ein wenig Lauer gelegt um ein gutes Foto zu ergattern. über ihre Schulter blicken und nehmen Eins meiner ersten „Bienenfotos“ hat mein Ich sog alles Wissen über Makrofotografie uns mit auf eine Reise in eine faszinieren- Klient gemacht. Ein Wahnsinnsmoment. Ich was ich finden konnte aus dem Internet in de Wunderwelt der Natur! weiß noch genau, wie er gestrahlt hat, als er mich auf. Kein Plastikteil im Badezimmer war das Foto auf der Kamera angeschaut hat. Im- mehr sicher davor als „Lichttunnel“ verbaut mer wieder gelangen mir gute Fotos. Doch zu werden. Haben mich die Kosten für Ma- Oliver Dum – Unbekannte Welten ich wollte näher ran. kroanlagen doch echt vom Hocker gehauen entdecken – eine Reise in die Makro/ und erschienen sie mir für mich bei meinem Mikrowelt der Insekten & Spinnen 1-100X Nach dem Einkaufen kam ich vor der Gehalt unerschwinglich. Musste auch anders Haustür mit meinem Nachbarn (Doktor der gehen. Und wenn ich mal ein Ziel habe, ver- Als Pädagoge habe ich über 10 Jahre zwei Biologie) ins Gespräch. Wir unterhielten uns folge ich es, bis es erreicht ist. Auch wenn autistische Menschen betreut. Die Behinde- über Makroaufnahmen in der Biologie. Ir- meine Frau dann leider damit leben muss, rungen waren so ausgeprägt, dass sie nicht gendwann sagte er, ich habe da noch so ein mal keinen Deo Deckel mehr zu haben. Und in einer Gemeinschaft leben konnten und den altes DDR-Mikroskop, das könnte ich Dir für ich habe es geschafft. Ich habe meine ersten ganzen Tag über einzeln betreut worden sind. einen guten Preis verkaufen, wenn Du willst. Lichtanlagen sozusagen aus Müll gebaut. In dieser Zeit habe ich die Natur für mich als Natürlich wollte ich! Arbeitsfeld entdeckt. Stundenlang haben Die ersten Fotos entstanden. Es war un- wir unsere Zeit in der Natur verbracht. Die Zum Leidwesen meiner Familie baute ich glaublich faszinierend zu sehen, wie die In- Natur hat heilende Kräfte und kann so eine mein erstes Setting auf dem Küchentisch sekten von so nahem aussehen. Wie wunder- Menge Medikamente sparen. Ich entwickel- auf. Wir wohnen in einem 50er Jahre Haus. schön und puschelig eine Spinne aussieht, te mit der Zeit ein Konzept, um die Natur für Jeder Schritt eine Schwingung. Das will man vor der sich doch so viele Leute ekeln. meine Arbeit zu nutzen. Ein Bereich neben natürlich nicht bei Makro-Aufnahmen. Also psychomotorischen und kognitiven Angebo- hieß es: der Papa startet eine Aufnahme. Die Bei meinen Postings in den sozialen Me- ten in der Natur bildet dabei die Fotografie. nächsten 2 Stunden bleibt ihr wo ihr seid. dien kommen auch immer wieder genau 18 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
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