Die Haut der Erde - magazin - Robin Wood
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Leben heißt handeln 2.95 € · ISSN 1437-7543 · Nr. 124/1.2015 magazin Marktcheck: Die Haut GESETZ GEGEN ILLEGALE HOLZ PRODUKTE IM TEST der Erde Erfolg: PALMÖL 2015 ist das UN-Jahr MUSS JETZT GEKENNZEICHNET des Bodens WERDEN Atomtransporte: AUCH VOR IHRER HAUSTÜR? 2 0 1 2 4 Machen Sie mit und 197484 302952 gewinnen Sie Freikarten für den Film: Die Reise zum sichersten Ort der Erde, Seite 39! 4
inhalt verkehr 6 Berlin: Mit dem Taxi nach Paris... 7 Nachtzug statt Nachtflug 8 Neues von der Berliner Stadtautobahn 100 merk-würdiges 9 Himmel nochmal! 9 Atomtransporte: Auch vor deiner Haustür? nachspiele 10 ROBIN WOOD-Aktivistin bekommt Recht im Palmöl-Prozess Seite 6 Foto: Nick Jaussi Seite 12 tatorte Keine Atomtransporte durch Hamburg! 12 Jülich, Bonn: Atomtransporte stoppen, wir stellen uns quer 15 energie AKW Grohnde sofort abschalten! 16 Foto: Daniel Schöngart Seite 18 titel 18 Die Haut der Erde: 2015 ist Internationales Jahr des Bodens 22 Hans Herren: „Was steht dem Schutz des Bodens im Weg?“ Foto: Sina Schröder/UBA 2 Nr. 124/1.15
inhalt tropenwald 26 Wilmar, Raubbau und Vertreibung in Uganda 31 Erfolg der Umweltbewegung: Palmöl in Lebensmitteln muss jetzt gekennzeichnet werden 32 Tina Lutz: Neue Tropenwaldreferentin Seite 26 Foto: Jonathan Happ und Katja Becker wald Seite 34 ROBIN WOOD-Marktcheck: Gesetz gegen 34 illegale Holzprodukte im Test bücher Götterwohnungen 37 Film: Viel Gutes erwartet uns 38 Film: Die Reise zum sichersten Ort der Erde 39 Bodenatlas 2015 40 Krimi: Gefahr ohne Schatten 40 Das Ende der Ozeane 41 Foto: Thünen-Institut für Holzforschung Seite 42 perspektiven 42 Nein zu TTIP und CETA! internes 33 Jugendseite: Mein Handeln wirkt 39 Impressum 44 Fördererforum: Himmel, Bäume, Wind & Bilder Foto: DieAusloeser.net Nr. 124/1.15 3
editorial „Wir haben es satt!“: Die ROBIN WOOD- Magazinredaktion de- monstrierte in Berlin ge- gen Massentierhaltung und für eine ökologische Landwirtschaft, die die Foto: Pia Genz Böden schont Liebe Leserinnen und Leser! Die Magazin-Redaktion hat die konventionelle Landwirtschaft dieses Magazin erscheint, mit Aktionen die Unterschriften an satt und demonstrierte am 17. Januar 2015 mit 50.000 die politisch Verantwortlichen übergeben. Darüber werden wir Menschen in Berlin gegen Tierfabriken, Gentechnik und TTIP. Ihnen in der nächsten Magazin-Ausgabe berichten, die Mitte Warum ökologische Landwirtschaft so wichtig für den Schutz Mai erscheint. des Klimas und unserer Böden ist, erfahren Sie im Titel dieser Ausgabe ab Seite 18. Und warum Umweltbewegte Widerstand Noch ein paar wichtige Worte in eigener Sache: Obwohl wir gegen das Handels- und Investitionsabkommen TTIP leisten mit unseren Aktionen und Kampagnen 2014 bei Politik und müssen, lesen Sie auf Seite 42 und 43. Konzernen wieder erfolgreich Druck machen konnten, war das vergangene Jahr für ROBIN WOOD finanziell schwierig. Dass es sich lohnt aktiv zu werden, zeigt dieser Erfolg der Um- Wir sind nur ein kleiner Verein und zusätzliche Ausgaben für weltbewegung: Ab dem 14. Dezember 2014 muss Palmöl als notwendige Vereins-Software und unumgängliche Repara- Inhaltsstoff von Lebensmitteln auf der Verpackung deklariert turen an unserer Geschäftsstelle in Bremen waren für uns werden. Ab Seite 26 zeigt Ihnen unsere neue Tropenwaldre- nicht einfach zu stemmen. Wir bekommen keine staatlichen ferentin, Tina Lutz, die weltweite Zerstörung für Palmöl und Mittel und sind ausschließlich auf Ihre Spenden angewiesen. berichtet über die neue Kennzeichnungspflicht. Und Sie selbst Damit wir politisch unabhängig und weiter so schlagkräftig können aktiv werden und einen Brief an die Lebensmittelpro- wie bisher bleiben, möchte ich Sie herzlich bitten uns mit einer duzenten schicken (mehr dazu auch auf unserer Homepage Spende zu unterstützen. Alle, die mitmachen, können sich unter www.robinwood.de/palmöl/musterbrief). über eines unserer digitalen Bilderbücher freuen (siehe S. 47 und 48). Herzlichen Dank! Unsere Magazin-LeserInnen und Menschen im Netz sind bereits aktiv geworden und haben unsere Kampagnen gegen Bleiben Sie uns gewogen, Atomtransporte und für mehr Klimaschutz durch weniger Flug- für die Redaktion verkehr mit Ihren Unterschriften unterstützt. Herzlichen Dank Ihre an Alle, die mitgemacht haben! ROBIN WOOD wird, wenn 4 Nr. 124/1.15
tatorte Foto: Nick Jaussi 11. Dezember 2014: „Rettet die Nachtzüge“, forderten die Aktiven von ROBIN WOOD am Berliner Hauptbahnhof Nr. 124/1.15 5
verkehr Lieber kleine Gärten als großspurige Hauptstadt-Regenten Neues von der Berliner Stadtautobahn 100 Anfang Dezember wurden in Berlin er- türlich nicht immer ein Stück weiter an das neut Kleingärten für die Verlängerung der Ende der Autobahn verschieben. Deswegen Stadtautobahn 100 zerstört. In Alt-Treptow brauchen wir den Weiterbau bis zum nahmen Vertreter des Senats den Pächter_in- Pankower Autobahnzubringer.“ Er scheint nen per vorzeitiger Besitzeinweisung ihre dieser Logik selbst nicht zu trauen und Gärten ab. Viele Menschen aus dem Stadtteil schiebt hinterher: „Das halte ich für ver- und Berliner ROBIN WOODler_innen setzen nünftig.“ Die Verlängerung der A 100 von sich für den Erhalt des Stadtgrüns ein. Nach Neukölln bis Friedrichshain in zwei Bauab- einem Lichterfest erklärten sie in Abspra- schnitten von insgesamt sechs Kilometern che mit den Pächter_innen die Gärten für Länge soll zusammen mehr als eine Milliarde besetzt. Am frühen Abend des 1. Dezember Euro kosten. Das ist ein Vielfaches vom räumte die Polizei das Gelände. Auch die Kostenrekord im deutschen Straßenbau. Es den Gärten gegenüber liegenden Wohn- übertrifft den Kilometerpreis des bisher teu- häuser Beermannstraße 20-22 sollen dem ersten Neubauprojektes, der geplanten A 44 Autobahnbau geopfert werden. Nur noch von Kassel nach Eisenach, um das Fünffache. zehn Mietparteien halten dem Druck stand, Der von Geisel vorgeschlagene Weiterbau ihre Zwangsräumung ist für den 16. Februar bis Pankow wäre noch mal acht Kilometer – 2015 beantragt. zu Berliner Preisen anderthalb Milliarden Euro Federführend ist die Senatsverwaltung mehr. für Stadtentwicklung und Umwelt, die bis Verkehrspolitisch ist die A 100 ein Dinosaurier. Dezember vom Wowereit-Vertrauten und Berliner_innen leben längst vor, dass weniger –Nachfolger als Regierendem Bürgermei- Autoverkehr ihnen mehr Mobilität in der ster, Michael Müller, SPD, geleitet wurde. Stadt bringt. Nur noch jede_r Dritte hat ein Als Bausenator hat Müller den bisherigen Auto. Damit liegt Berlin bundesweit an der Aus Protest gegen die unsinnige Lichtenhagener Bürgermeister Andreas Spitze. Das Durchschnittstempo auf Berlins Verlängerung der A 100 in Berlin Geisel benannt. Geisel hat erkannt, dass die Straßen beträgt 25 Stundenkilometer (Quelle: und um ihr Stadtgrün zu erhalten, Verlängerung der A 100 den Bürger_innen ADAC). Entschleunigung statt Schnellfahr- besetzten viele Menschen aus dem in Neukölln, Treptow und Friedrichshain eine trassen bringt weniger Stau und Stopp and betroffenen Stadtteil, unterstützt Blechlawine bescheren wird. Daraus zieht Go, Lärm, Dreck und schwere Unfälle. Und von ROBIN WOOD-Aktiven, die er jedoch nicht den Schluss, das Projekt zu lässt Platz für kleine Gärten statt großspuriger Kleingärten, die für die Autobahn stoppen, sondern fordert mehr vom Fal- Betonpisten. zerstört werden schen. Er erklärt: „Wir können den Stau na- Monika Lege, Hamburg Fotos: Grodotzki/visual.rebellion 8 Nr. 124/1.15
wald Kein Raubbau für Palmöl: ROBIN WOOD-Aktion vor der Palmöl-Raffinerie des Wilmar-Konzerns in Brake, 17.9.2012 Fotos: Grodotzki/visual-rebellion Vermummte Spezialein- heiten der Polizei sind angerückt, um die UmweltschützerInnen zu räumen 10 Nr. 124/1.15
nachspiele Sieg für die Demonstrationsfreiheit: ROBIN WOOD-Aktivistin bekommt Recht im Palmöl-Prozess Der Freispruch für die ROBIN WOOD-Aktivistin, die sich im Das zeigt einmal mehr: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt – September 2012 an der Demonstration vor der Palmöl-Raf- und wird zu Unrecht abgestraft. Strafbefehle, die Umwelt- und finerie des Wilmar-Konzerns in Brake (Wesermarsch) betei- MenschenrechtsaktivistInnen nach Protestaktionen bekommen, ligt hatte, ist jetzt rechtskräftig. Das Landgericht Oldenburg halten einer gerichtlichen Prüfung häufig nicht stand. Doch nur bestätigte im Dezember 2014 das Urteil aus der ersten Instanz. wer fristgerecht dagegen Widerspruch einlegt und vor Gericht Die Staatsanwaltschaft ist mit ihrer Berufung gescheitert. Das zieht, verhindert, dass sie rechtskräftig werden. ist ein großartiger Erfolg für die AktivistInnen und alle, die sie solidarisch unterstützt haben! Ute Bertrand ist Pressesprecherin von ROBIN WOOD und hat den Prozess in Brake verfolgt. Die Aktivistin hatte gemeinsam mit rund 30 anderen auf Kontakt: ute.bertrand@robinwood.de den Zufahrten der Raffinerie in Brake mit Transparenten, Dreibeinen und Betonpyramiden demonstriert. Der Protest richtete sich gegen den Kahlschlag von Tropenwäldern, gegen Landraub und Klimaschäden, für die Wilmar als Besitzer riesiger Ölpalmen-Monokulturen und weltweit größter Palmöl- Händler verantwortlich ist. Anschließend hatten acht Aktivi- stInnen Strafbefehle bekommen. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten Mitarbeiter einer für Wilmar tätigen Firma durch ihre Kundgebung für mehrere Stunden daran gehindert, das Betriebsgelände zu verlassen. Gegen die Strafbefehle wehrten sie sich mit einem Widerspruch. Über einen dieser Widersprüche verhandelte das Amtsgericht Brake ausführlich am 30. Oktober 2013 und am 8. Oktober 2014. Das Ergebnis: Freispruch! Die Staatsanwaltschaft wollte dies jedoch nicht hinnehmen, legte Berufung ein und kassierte jetzt eine Niederlage vor dem Landgericht Oldenburg. Grundrechtsschutz auch für Ankettaktionen Das Landgericht stärkt in der ausführlichen Begründung seines Beschlusses die Demonstrationsfreiheit. Es stellt klar, dass die Aktion in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt und damit unter Artikel 8 des Grundgesetzes. Der Aktionsort, die Palmöl-Raffinerie, habe einen direkten Bezug zum Demons- trationsinhalt gehabt. Ziel der uneigennützigen Aktion sei es gewesen, auf existentielle Umwelt- und Menschenrechtsfragen aufmerksam zu machen. Beeinträchtigungen im konkreten Einzelfall müssten gegenüber dem Demonstrationszweck zurücktreten. Die Berufung durch die Staatsanwaltschaft sei „offensichtlich unbegründet“ und „unzulässig“. Foto: ROBIN WOOD/Bertrand Die beiden Anwälte der AktivistInnen, Martin Lemke und Ben Bartholdy, werden nun beantragen, dass auch alle übrigen Am Prozesstag vor dem Amtsgericht Brake: Solidarität mit den noch anhängigen Verfahren eingestellt werden. ROBIN WOOD-AktivistInnen Nr. 124/1.15 11
tatorte Keine Atomtransporte durch Hamburg! ROBIN WOOD hat im Herbst 2014 gemeinsam mit Hamburger Anti-Atom-Gruppen die Kampagne „Atomtransporte durch Hamburg stoppen“ gestartet. Im November konnten AktivistInnen spektakulär für acht Stunden einen Uranzug stoppen. Atomtransporte sind auch auf dem Bord. Er trieb auf eine Bohrinsel zu, so stoppen“ gestartet. Sie fordert vom Wasser eine gefährliche Sache. In den dass das britische Militär mit Hubschrau- Hamburger Senat, den Hamburger Ha- vergangenen Jahren sind mehrfach bern über 50 Arbeiter von der Bohrinsel fen für Atomtransporte zu sperren und Atomfrachter außer Kontrolle geraten. evakuieren musste. den städtischen Hafenbetrieben (HHLA) So rammte in der Nacht vom 17. auf den Ein wichtiger Knoten im Netz des und Reedereien (Hapag-Lloyd) den Um- 18. Oktober 2013 der 100 Meter lange, weltweiten Uranhandels ist die Firma schlag zu verbieten. Außerdem fordert mit radioaktivem Material beladene C. Steinweg in Hamburg. Über ihr Ter- die Kampagne die sofortige Schließung russische Frachter „Mikhail Lomonosov“ minal wurden im letzten Jahr fast zehn aller Atomanlagen, einschließlich der vor Rügen die 15 Meter lange Segelyacht Prozent des weltweiten Uranerzkonzen- Urananreicherungsanlage Gronau in „Mohican Too“, die daraufhin mit Mast- trats umgeschlagen (siehe Kasten, Sei- NRW und der Brennelementefabrik bruch und Motorschaden von einem te 14). Im Hamburger Hafen brannte im Lingen in Niedersachsen. Beide Anlagen Seenotkreuzer in den Hafen von Glowe/ Mai 2013 ein mit radioaktivem Material sind Ziel vieler Atomtransporte, die über Rügen geschleppt werden musste. Der beladener Frachter, nur mit Glück kam es den Hamburger Hafen laufen. Atomfrachter setzte noch in der Nacht zu keiner Katastrophe. Zum Auftakt der Kampagne empfing seine Fahrt fort, um im Hamburger Ha- das Bündnis am 25. Oktober 2014 die fen seine radioaktive Fracht zu entladen. Kampagne vor Bürgerschaftswahl BesucherInnen der Hanseboot-Messe mit Anfang Oktober 2014 geriet der einem neun Meter langen Boot, das mit dänische Frachter „Parida“ bei einem Deshalb hat ROBIN WOOD etwa vier Atomfässern beladen war. Die Aktivi- Brand auf der Nordsee außer Kontrolle. Monate vor der Hamburger Bürger- stInnen warnten auf Flugblättern vor den Der Frachter war auf dem Weg nach schaftswahl gemeinsam mit anderen Gefahren durch Atomtransporte und Antwerpen und hatte Atommüll vom Anti-Atom Organisationen die Kampa- forderten deren Ende. schottischen Atomkomplex Dounreay an gne „Atomtransporte durch Hamburg Acht Stunden Pause für Uran-Zug! Foto: ROBIN WOOD Am Montagabend, den 10. Novem- ber 2014, ging es weiter. Eine ROBIN WOOD-Aktion stoppte einen Zug mit 15 Containern Uranerzkonzentrat. Gerade erst hatte der Zug mit der strahlenden Fracht das Gelände der Umschlagfirma C. Steinweg verlassen, als er schon wieder anhalten musste. Normalerweise steht der Zug hier nur einen kurzen Mo- ment, bis die Ampel umschaltet. Doch diesmal fuhr der Zug nicht sofort weiter, denn etwa zwölf ROBIN WOOD-Ak- tivistInnen demonstrierten am Boden und in der Luft gegen den Transport. Zwei AktivistInnen hingen mit Transpa- renten in einem quer über die Schienen gespannten Seil. Und auch am Boden spannten AktivistInnen ein Transparent: Ein mit Atomfässern beladenes Boot vor der „Hanseboot“ sollte die Messebesu- „Auf Schiene, auf Straße, im Hafen cherInnen für die Kampagne gegen Atomtransporte durch den Hamburger Hafen und Meer – Atomtransporte stoppen, mobilisieren, die ROBIN WOOD gemeinsam mit dem Hamburger Anti-Atom-Büro, wir stellen uns quer!“ Die Polizei war der Anti-Atom-Gruppe Sand, X1000malquer Hamburg und der Gruppe Junepa zwar schnell vor Ort, aber lange ratlos. am 25. Oktober 2014 startete Nach zwei Stunden nahm sie zunächst 12 Nr. 124/1.15
tatorte einmal die AktivistInnen am Boden in Gewahrsam. Dann wurde die Diesel-Lok als Kletterhilfe verwendet, nachdem ihre 15 Waggons mit radioaktivem Material abgekoppelt worden waren. Von ihr aus versuchten drei Polizisten die Transpa- rente herunter zu zerren. Bei einem Transparent gelang ihr dies, das andere sicherte die Kletterin Eichhörnchen. Wie sie die AktivistInnen sicher von den Bäumen holen könnte, wusste die Polizei nach wie vor nicht. Sandsäcke und Turnmatrazen aus einer nahen Turnhalle wurden auf den Schienen gestapelt, falls die AktivistInnen bei der Räumung abstürzen würden. Schließlich musste die Feuerwehr der Polizei erläutern wie diese die AktivistInnen sicher herunter holen könne. Die Polizei holte den Anwei- sungen der Feuerwehr folgend nach fast acht Stunden die KlettererInnen von den Bäumen, so dass der Zug seine Fahrt ge- gen 1 Uhr nachts zum Rangierbahnhof Hamburg Süd fortsetzte. Die Klettere- Foto: Daniel Schöngart rInnen wurden um vier Uhr morgens aus dem Gewahrsam entlassen, ihre Stopp für den Atomzug am 44. Jahrestag der Beinahe-Atomkatastrophe Boden-KollegInnen waren kurz vorher bei Hamburg-Maschen ebenfalls freigelassen worden. Zahlreiche bundesweite Zeitungen berichteten, das fuhr ein Schnellgüterzug auf der Fahrt bürgermeister Scholz und sammelten Hamburg Journal brachte einen Fernseh- von Hamburg-Altona nach Fulda bei Unterschriften. Auch Bundestagsvizeprä- bericht zur Aktion. Ashausen ein geschlossenes Signal und sidentin Claudia Roth unterschrieb die raste mit einer Geschwindigkeit von ROBIN WOOD-Postkarte für den Stopp Grenzüberschreitende 100 km/h über zwei Weichen, die nur aller Atomtransporte durch Hamburg. Anti-Atom-Zusammenarbeit mit Tempo 40 befahren werden durften. Leider haben die Hamburger Grünen Alle elf Waggons entgleisten, rissen diese Forderung nicht vollständig in Derweil fuhr der Zug über Maschen, auf einer Strecke von 200 Metern die ihr Wahlprogramm aufgenommen. Sie Osnabrück und Münster nach Köln, Schwellen heraus und beschädigten die wollen lediglich, dass Umschlagbetriebe wo ihn AtomkraftgegnerInnen am 13. Oberleitung. Der Schaden betrug eine eine Selbstverpflichtung zu Kernbrenn- November beobachteten und filmten. halbe Million D-Mark. Zwei Behälter stoff-Transporten eingehen. Dies betrifft Inzwischen transportierte der Zug 26 mit angereichertem Uranhexafluorid jedoch nur mehrere hundert Tonnen Container mit Uranerzkonzentrat. Woher wurden aus einem entgleisten Waggon im Jahr und lässt die fast 5.000 Tonnen die zusätzlichen Container stammten, geschleudert. Das Technische Hilfswerk Uranerzkonzentrat außen vor, die im Ham- ist nicht bekannt. Am 14. November (THW) wurde alarmiert. Da nicht sofort burger Hafen umgeschlagen werden. morgens erreichte der Transport Narbon- festgestellt werden konnte, ob die Behäl- ROBIN WOOD macht weiter Druck, damit ne-Malvési (siehe Seite 14) in Frankreich. ter durch den Sturz beschädigt waren, alle Transporte verboten werden. Inner- Er wurde von einem Polizeihubschrauber wurde zunächst ABC-Alarm ausgelöst. halb weniger Wochen sind über tausend und der Bereitschaftspolizei begleitet. Glücklicherweise waren die Behälter Protest-Postkarten und Online-Unter- Seinen Weg begleitete die französische jedoch dicht geblieben. Alle Fernzüge schriften bei ROBIN WOOD eingetroffen, Anti-Atom-Organisation „Sortir du wurden umgeleitet. Für die Aufräum- die wir an den Oberbürgermeister Scholz nucléaire“ mit Öffentlichkeitsarbeit und arbeiten wurden 50 Arbeiter und zwei übergeben werden. Vielen Dank an alle, aktiver Beobachtung. Diese grenzüber- Kräne benötigt. die sich daran beteiligt haben! schreitende Anti-Atom-Zusammenarbeit macht die Polizei sichtlich nervös. Protest auf Parteitagen Tobias Darge, ROBIN WOOD-Energie- referent, energie@robinwood.de Die Hamburger Aktion fand auf den ROBIN WOOD-AktivistInnen machten Tel.: 040 380892-21 Tag genau 44 Jahre nach einem Fast- auch bei den Parteitagen von SPD und Atomunglück bei Hamburg-Maschen Grünen Druck. Sie verteilten Flyer, unter Mehr Infos auch unter: statt: Am 10. November 1970 über- anderem an den Hamburger SPD-Ober- www.atomtransporte-hamburg-stoppen.de Nr. 124/1.15 13
tatorte Stationen der weltweiten Uranproduktion Hamburg: Die Hamburger Firma C. Steinweg hat von August wandelt. Dafür sind hoch giftige, ätzende Chemikalien wie 2013 bis August 2014 fast fünftausend Tonnen Uranerzkon- Salpetersäure, gasförmiges Ammoniak und Flusssäure nötig. zentrat in ihrem Terminal umgeschlagen. Das entspricht fast Anschließend wird das UF4 zu einer weiteren AREVA-Anlage zehn Prozent der weltweiten Uranförderung. Von Januar bis nach Tricastin/Pierrelatte transportiert, um dort in Uranhexaflu- August 2014 kamen 52 Prozent des in Hamburg umgeschla- orid (UF6) verwandelt und schließlich angereichert zu werden. genen Uranerzes über St. Petersburg aus Ländern der Ge- Bei der Verarbeitung und Umwandlung des Urans entstehen meinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), etwa Russland und große Mengen flüssigen und halb flüssigen, giftigen, schwach Kasachstan. Weitere 38 Prozent des Uranerzes wurden aus strahlenden Abfalls, der seit über 60 Jahren kontinuierlich in elf Namibia eingeschifft. Die restlichen zehn Prozent stammten je große Abklingbecken geleitet wird. Die Becken erstrecken sich zur Hälfte aus Brasilien und den USA. heute in Malvési unter freiem Himmel über ca. 30 Hektar. In der Anlage ereignen sich immer wieder ernsthafte Zwischen- Kasachstan: In Kasachstan liegen die meisten Uranminen fälle, die eine Kontamination der Umgebung zur Folge haben. in Sandsteinformationen. Das Uran wird mit einer Art Fra- Beispielhaft dafür ist der Bruch des Damms eines Abklingbe- cking-Methode gefördert: Beim In-Situ-Leaching-Verfahren ckens im Jahr 2004, bei dem 30.000 m3 uranhaltiger Schlamm werden große Mengen Schwefelsäure in den Untergrund ge- ausliefen, bevor eine Sperre gebaut wurde, um Schlimmeres zu spritzt, um das Uran zu lösen. Nach einigen Monaten wird die verhindern. Lösung aus dem Untergrund wieder abgesaugt und das darin Zudem leiden viele ehemalige Arbeiter der Anlage an Krank- enthaltene Uran verarbeitet. Das Verfahren beeinträchtigt das heiten, die durch Strahlung hervorgerufen werden, etwa Grundwasser, die Langzeitfolgen sind ungewiss. Lungenkrebs oder chronische myeloische Leukämie (CML). Kasachstan hat seine Uranfördermenge von 5.279 Tonnen im Ob AREVA-Mitarbeiter oder Arbeiter von Subunternehmen: Jahr 2006 auf 22.574 Tonnen im Jahr 2013 vervierfacht. Es hat Es gibt keine Statistik, aber die Anzahl der Erkrankungen fällt damit seinen Weltmarktanteil von 28 auf 38 Prozent erhöht auf. Selbst der Werksarzt und der Pförtner der Anlage sind an und ist weltweit der wichtigste Uranproduzent. Leukämie gestorben. Unbekannt ist auch die Anzahl an Erkran- kungen in der Bevölkerung rund um die Anlage, auch dazu Frankreich: In Narbonne-Malvési liegt eine Uranfabrik, die in gibt es keine Statistik. der atomaren Kette vom Rohstoff zum Brennstoff (und zum Obwohl AREVA nach der Fukushima-Katastrophe 2011 Japan Atommüll) eine Schlüsselrolle spielt. Dort fängt die Atomspi- als großen Abnehmer verloren hat, wird die Anlage derzeit er- rale auf europäischer Ebene an: 26 Prozent des weltweiten weitert. 2013 wurden 12.454 Tonnen UF4 verarbeitet. Die Pro- Uranrohstoffes wird in Malvési verarbeitet. Das Uranerzkon- duktionskapazität soll nun auf 21.000 Tonnen pro Jahr erhöht zentrat stammt aus Uranminen der ganzen Welt: u.a. Kanada, werden. Die dafür notwendigen Bauarbeiten haben begonnen. Niger, Namibia, Usbekistan, Kasachstan. Die letzten franzö- Die Erweiterung wird noch mehr Transporte quer durch Europa sischen Uranminen wurden um das Jahr 2000 geschlossen. zur Folge haben. Gründe genug, die Atomtransporte schon bei Das Uran stammt also zu 100 Prozent aus dem Ausland. Das ihrer Abfahrt aus Hamburg zu stoppen! Uranerzkonzentrat (auch „Yellow Cake“, U3O8) wird chemisch Eichhörnchen behandelt und schließlich in Urantetrafluorid (UF4) umge- http://blog.eichhoernchen.fr/tag/Malvesi 14 Nr. 124/1.15
tatorte Jülich und Bonn: Atomtransporte stoppen, wir stellen uns quer! 19. November 2014: Früh aufstehen und los geht’s, denn lich. Auch hier kletterten Aktivisten von ROBIN WOOD schnell heute tagt der Aufsichtsrat des Jülicher Forschungszentrums. in die Bäume und spannten Banner auf. Wir wollten zusam- In Jülich pünktlich angekommen steigen wir aus und suchen men darauf aufmerksam machen, welchen Gefahren uns die uns geeignete Bäume zum Klettern. Schnell fündig geworden Atomindustrie aussetzt und dass sie sich der Verantwortung springen die Kletterer schon auf die Bäume und hängen die stellen soll, anstatt das Gefahrengut zu verschieben. Denn Banner auf. Ein Autofahrer schreit erzürnt zu den Kletterern immerhin hatte das Forschungszentrum Jülich jahrzehntelang herauf, „Müsst ihr nicht zur Arbeit?“ Aus dem Baum schallt es Zeit, um eine sichere Lösung zu finden, sogar genug Zeit, um zurück: „Das ist unsere Arbeit“. Denn in der Tat, sich für die ein neues Zwischenlager zu bauen. Umwelt einzusetzen ist mit viel Arbeit verbunden. Auch am Boden spannen wir ein Transparent: „Auf Schiene, auf Straße, Den Aufsichtsrat bekamen wir leider nicht zu sehen, dafür in Hafen und Meer – Atomtransporte stoppen, wir stellen uns aber die Konsequenzen unserer friedlichen Kletteraktion zu quer“. ROBIN WOOD wurde hier gemeinsam mit den lokalen spüren. Als die AktivistInnen die Bäume nach zwei Stunden Anti-Atom-Gruppen wie Attac Inde-Rur und Schacht Konrad verließen, mussten sie ihre Personalien an die Polizei weiter- aktiv. geben und müssen jetzt mit möglichen juristischen Konse- quenzen rechnen. Bis zum Jahr 1988, als die Arbeitsgemeinschaft Versuchs Auf dem Heimweg im Zug guckten einige von uns verträumt reaktor GmbH (AVR) geschlossen wurde, diente das Jülicher aus dem Fenster, andere sprachen noch über die Gescheh- Forschungszentrum dem benachbarten Hochtemperatur- nisse des Tages. Es war ein gutes Gefühl, sich für die Erde reaktor AVR bei der Technologieentwicklung. Nun hat das einzusetzen, sie vor der Ausbeutung und vor der Rücksichts- Forschungszentrum die Aufgabe der verantwortungsvollen losigkeit der Atomenergie schützen zu wollen. Entsorgung für die Brennelemente von der AVR übernommen und zu bewältigen. Die selbst gesetzte „oberste Priorität“ des Anna Schütze, Bremen, hat ihr fünfmonatiges Forschungszentrum ist dabei „der Schutz der Mitarbeiter, der Praxissemester in der ROBIN WOOD- Bevölkerung und der Umwelt“. Geschäftsstelle absolviert ROBIN WOOD bezweifelt, dass der Schutz dabei Beachtung findet. Das Forschungszentrum Jülich plant 152 Castorbe- hälter mit hochradioaktivem Atommüll zu einem noch nicht Protest vor dem Forschungszentrum Jülich: Hier wird geplant, bekannten deutschen Hafen zu fahren und danach aufgeteilt den hochradioaktiven Müll in die USA zu verschiffen auf 9 transatlantische Transporte mit jeweils 16 Castoren in die USA zu verschiffen. Von dort sollen sie per Bahn zur „Wieder- aufarbeitung“ im militärischen Atomkomplex Savannah River Site gebracht werden. Diese gefährlichen Transporte können allerdings nicht vor November 2016 beginnen, denn der Castor-Kran von Jülich muss noch saniert werden. Das Jülicher Forschungszentrum verstößt damit gegen den eigenen Forschungsauftrag Atommüll sicher zu lagern. Denn die Tanks, in denen die hochradioaktive Atomsuppe auf der Anlage in Savannah River Site gelagert werden soll, stammen aus den fünfziger Jahren und altern bedenklich. Auch gibt es in den USA kein Endlager, so dass von einer sicheren Lagerung keine Rede sein kann. Da das Forschungszentrum Jülich leider vergessen hatte den Ort der Aufsichtsratssitzung auf ihrer Homepage von Jülich auf Bonn zu ändern, fuhren wir spontan weiter nach Bonn. In Bonn angekommen begrüßten uns AktivistInnen von Umwelt- schutzorganisationen wie dem BUND und ausgestrahlt. herz- Fotos: ROBIN WOOD Nr. 124/1.15 15
energie Foto: Malte Dörge/PubliXviewinG Protest gegen das Atomkraftwerk Grohnde: Risse im Stahl? Der Meiler muss sofort abgeschaltet werden! AKW Grohnde sofort abschalten! Am 3. Dezember 2014 veranstaltete das Niedersächsische Umweltministerium in Hameln eine Siche- rungskonferenz zu Alterung und Ermüdungsverhalten von Komponenten in Atomkraftwerken. Nach dem beschlossenen Atomausstieg setzte sich das Ministerium die Überprüfung aller noch mit Rest- laufzeiten versehenen Atomkraftwerke auf die Agenda. Im AKW Grohnde wurden Federbrüche an Drosselkörpern festgestellt, deshalb sollte mit Betreibern, Verbänden und Bürgerinitiativen über die Ursachen, Auswirkungen und Konsequenzen kritisch diskutiert werden. ROBIN WOOD fordert die sofortige Stilllegung des AKW Grohnde wegen des rissanfälligen Stahls! Die beim Sicherheitsbehälter verwendete Ein Rückblick in die Geschichte zeigt, zugelassen werden sollen. Bei einer Stahlsorte WstE 51 wird noch nicht ein- dass bereits im August 1976 der Stahl höheren Festigkeit kann es zu Problemen mal den Anforderungen des TÜV-Wei- von der Reaktorsicherheitskommission bei der Verarbeitung kommen, die zu sungsbeschlusses von 1977 gerecht! Die außerordentlich negativ bewertet wurde. Versprödungen und anderen Mängeln, im RWE-Vortrag geforderte Verwendung Sogar der AKW-Befürworter Profes- und in Folge dessen zu Schadensfällen „optimierter Werkstoffe“ ist dort nicht sor Karl Kussmaul, damaliger Direktor führen. Der Wert von WstE 51 liegt mit erfolgt, obwohl bereits acht Jahre vor der Staatlichen Materialprüfanstalt an 510 Newton/mm2 deutlich über dem Inbetriebnahme des AKW ein besser der Universität Stuttgart, sprach von Grenzwert. geeigneter Werkstoff existierte. Bundes- „offensichtlich negativen Erfahrungen“, weit ist die Stahlsorte WstE 51 außer in die man mit WstE 51 in Kraftwerksbau- Auch im Bundesinnenministerium fragte Grohnde nur noch im AKW Grafenrhein- teilen gemacht habe. Deshalb erging man 1976 besorgt die interne Rechts- feld im Einsatz. Während Grafenrhein- 1977 der Weisungsbeschluss Nr. 18 der abteilung an. Der Sicherheitsbehälter feld jedoch 2015 abgeschaltet wird, soll TÜV-Leitstelle Kerntechnik, nachdem in Grohnde war wenige Monate zuvor Grohnde noch acht Jahre bis Ende 2022 Werkstoffe mit einer höheren Festig- genehmigt worden. Der Grafenrhein- weiterlaufen. keit als 360 Newton/mm² nicht mehr felder Sicherheitsbehälter war bereits 16 Nr. 124/1.15
energie gebaut, für Grohnde waren die Bleche Sehr alte Stahlsorte für den Reak- abhängig von der Kunst und Sorgfalt der fertig gestellt, mit der Montage aber tordruckbehälter in Grohnde Verarbeitung zu geringerer Rissbildung noch nicht begonnen worden. Auf der neige. Trotz all dieser Bedenken aus 114. Sitzung der Reaktorsicherheitskom- Auch beim Reaktordruckbehälter, dem dem Bundesinnenministerium sah die mission (RSK) wurden Bedenken gegen Herzstück eines jeden Reaktors, wurde niedersächsische Genehmigungsbehörde den verwendeten Stahl laut. Möglich- beim Bau eine sehr alte Stahlsorte, 22 im März 1976 „keine Gründe, die vorge- keiten, die Teilerrichtungsgenehmigung NiMoCr 37, verwendet. Im Dezember sehene Verwendung des Werkstoffes zu zu widerrufen, wurden ausgelotet. Eine 1975 fand im Bundesinnenministerium versagen.“ nachträgliche Sicherheitsauflage zu ein „Krisengespräch zur Vorratsfertigung verordnen, wäre nach dem Atomgesetz von Reaktordruckbehältern“ statt. Dort Der Sicherheitsbehälter des AKW entschädigungsfrei möglich gewesen, bekundete der damalige Bundesinnen Grohnde wurde einer Druckprobe unter- wenn eine erhebliche Gefährdung Dritter minister Maihofer Bedenken gegenüber zogen. Der Prüfdruck wurde innerhalb gegeben ist. Die Entscheidung darüber der Tendenz der Energieversorgungs von 62 Stunden mit Kompressoren überließ das Innenministerium der RSK. unternehmen, sich für Druckwasserreak- aufgebaut. Aber bei einem Störfall baut toren auf diese alte Stahlsorte zurück- sich der gleiche Druck innerhalb von Diese Entscheidung kommentierte der zuziehen. Es bestanden Zweifel an der 17 Sekunden auf, was ein viel stärkerer ehemalige TÜV-Prüfer und Schweiß- langfristigen Haltbarkeit von Druckbehäl- Druckstoß ist. Noch 2012 behauptete fachingenieur Richard Höhne 1982 tern aus diesem Material. Sachverstän- das Niedersächsische Umweltministerium so: „Die RSK folgert richtig, dass die dige bestätigten darüber hinaus, dass die auf eine Anfrage der Linken, dass der Sicherheit vor allem durch die Konstruk- Probleme des 22 NiMoCr 37 vor allem in Druckstoß gleich groß sei. Wer Natur- tion und Auslegung erreicht werden seiner schwierigen Schweißbarkeit, der gesetze so verleugnet, fällt hinter die muss. Mangelnde Zähigkeit kann nicht Ausbildung von Grobkornzonen und der Aufklärung zurück; dann kann man auch durch Prüfumfang kompensiert werden. damit verbundenen Neigung zu Unter- sagen: „Atomkraft ist sicher und die Nach dieser realistischen Einschätzung plattierungs- und Nebennahtrissen lie- Erde ist eine Scheibe!“. der Sachlage folgen dann allerdings die gen, die nur mit großem Fertigungs- und bekannten Konzessionen, die den Wert Kontrollaufwand zu vermeiden sind. Sie Tobias Darge ist Energiereferent von des gesamten deutschen Gutachtertums empfahlen daher, z.B. auf den Werkstoff ROBIN WOOD in Hamburg in Frage stellen. Die Stellungnahmen der 20 MnMoNi 55 auszuweichen, da er un- energie@robinwood.de RSK und der Unterausschüsse zeigen, dass dem Drängen der Industrie nach WstE 51 nur unwillig gefolgt wurde. Die Behälter entsprechen auch nicht annähernd dem neuesten Stand der Technik, nicht den heutigen KTA-Regeln und gewährleisten keine bestmögliche Sicherheit.“ 1981 argumentierte der TÜV Hannover in einer Stellungnahme, dass beim AKW Grohnde eine Sondergüte der beanstan- deten Stahlsorte zum Einsatz gekommen sei. Richard Höhne stellte allerdings im Auftrag der Stadt Hameln 1982 fest, dass der als „Sonderstahl“ deklarierte Werkstoff hinsichtlich seiner Zähigkeit kein Sonderstahl sei. Schon beim Bau des AKW Grohnde in den 70er Jahren war den Verantwort- lichen klar, dass minderwertige Materi- alien zum Einsatz gekommen waren – ohne Konsequenzen! Jetzt soll das AKW noch weitere acht Jahre am Netz bleiben Foto: I. und M. Mund Nr. 124/1.15 17
titel Die Haut der Erde 2015 ist das Internationale Jahr des Bodens Foto: Birgit H/pixelio.de 18 Nr. 124/1.15
titel Als Dreck unter unseren Schuhen, als Staub in der Luft oder beim Umgraben im Garten bekommen wir den innigsten Kontakt zu der neben Luft und Wasser wichtigsten Ressource auf unserem Planten – dem Boden. Dass dieser „Dreck“ Basis unserer Landwirtschaft ist, wissen die meisten Kinder, dass er eine zentrale Rolle beim Klimaschutz spielt, wissen dagegen wenige Menschen. Vielleicht richtet sich ja im neuen Jahr der Blick der Öffentlichkeit und der politisch Verantwortlichen auf diese Lebens- grundlage, denn 2015 wurde zum Internationalen Jahr des Bodens ausgerufen. Böden sind die Grundlage für unsere Ernährung. 90 Prozent Landwirtschaft sägt eigenen Ast ab unserer Nahrungsmittel hängen direkt oder indirekt von gesunden Böden ab. Die ungebremste Versiegelung und der Die sogenannte fachgerechte Landwirtschaft führt dazu, weltweite Raubbau am Boden, macht die Ressource immer dass die Ackerböden monotone Substrate werden, denen knapper. Nur 12 Prozent der Erdoberfläche sind landwirtschaft- das tausendfache winzige Leben fehlt, das den Boden locker lich nutzbar, mit abnehmender Tendenz. Laut IASS (Potsdamer hält, belüftet und über die Zersetzung Nährstoffe für alle zur Institute for Advanced Sustainably Studies) stehen jedem Verfügung stellt. Der Ackerboden wird mit kräftigen Gülle- Menschen weltweit nur noch 0,22 Hektar fruchtbaren Bodens oder Kunstdüngergaben überschwemmt, damit Jahr für Jahr zur Verfügung, 1960 war es rechnerisch noch die doppelte die gleichen Monokulturen auf ihnen wachsen könnten. Zum Menge. Schutz vor angepassten „Schädlingen“ werden dazu immer Auch in Deutschland werden auf fruchtbarer Erde immer noch höhere Dosen an Pflanzenschutzmitteln ausgebracht. viel zu viele Straßen, Häuser und Gewerbegebiete gebaut. Eine intensive Landwirtschaft, wie sie in Deutschland auf 93,8 Der Anteil dieser sogenannten Siedlungs- und Verkehrsflä- Prozent der genutzten Fläche üblich ist, zerstört die natürlichen chen liegt bei 13,6 Prozent der Landesfläche, etwa die Hälfte Böden und damit ihre eigene Basis. Äcker werden zulasten von davon sind versiegelt, das heißt bebaut, betoniert, asphaltiert, Niedermooren oder Grünland ausgeweitet. Wird auf diesen gepflastert oder anderweitig befestigt. Damit gehen wichtige Flächen dann in riesigen Monokulturen Energie-Mais ange- Bodenfunktionen, vor allem die Wasserdurchlässigkeit und die baut, ist das pervertierter Klimaschutz. Durch den Umbruch Bodenfruchtbarkeit, verloren. Jedes Jahr nimmt die Bodenver- wird mehr Kohlendioxid freigesetzt, als sich nachher durch siegelung zu – im Jahr 2011 um rund 100 Quadratkilometer. Pflanzensprit oder Biogas einsparen lässt. Im Nordwesten Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, die neue Fläche für Deutschlands hat die Massentierhaltung mit ihrer Güllewirt- Bebauung und Verkehr von 130 Hektar pro Tag im Jahr 2000 schaft auf den Moorböden eine lohnende Landwirtschaft erst auf 30 Hektar pro Tag im Jahr 2020 zu reduzieren. Dieses möglich gemacht: Mit allen negativen Folgen für die empfind- „30-Hektar-Ziel“ wurde 2002 in die deutsche Nachhaltigkeits- lichen Moorböden und das Klima. strategie aufgenommen, nachdem es im Jahr 1998 erstmals von der damaligen Bundesministerin für Umwelt, Angela Mer- Wenn der Acker wegfliegt oder -schwimmt kel, formuliert worden war. Doch Deutschland ist meilenweit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Der Trend zu mehr Jedes Jahr verringern sich die Bodenflächen weltweit um etwa und mehr Versiegelung ist ungebrochen. 10 Millionen Hektar. Der Hauptgrund: Erosion. Ein Viertel der weltweiten Bodenfläche enthält heute schon deutlich weniger Millionenfaches Leben Humus und Nährstoffe als vor 25 Jahren oder lässt sich nicht mehr als Ackerland nutzen. Der Nordosten der Bundesrepu- Unsere Böden stecken voller Leben. In einem Teelöffel Boden lassen sich allein eine Million Bakterien, 120.000 Pilze und 25.000 Algen finden – alle mikroskopisch klein. Diese Kleinst lebewesen erfüllen wichtige Funktionen im Stoffkreislauf. Im Zusammenspiel mit den Bodentieren, wie Fadenwürmer, Regenwürmer, Milben, Asseln, Springschwänze und Insekten- larven verarbeiten sie Pflanzenreste zu stabilem Dauerhumus. Unter einem Quadratmeter Boden leben Hunderttausende bis Millionen dieser Bodenlebewesen. Hochgerechnet auf einen Hektar ergibt das circa 15 Tonnen Lebendgewicht im durchwurzelbaren Bodenraum – das entspricht dem Gewicht von etwa 20 Kühen. WissenschaftlerInnen schätzen, dass min- destens ein Viertel aller Arten im Boden leben. Böden sind die größten Kohlenstoffspeicher der Erde und spielen eine zentrale Rolle beim Freisetzen oder Fixieren klima- Foto: Rüdiger Knappe/pixelio.de relevanter Gase wie Methan und Kohlendioxid. Mit 4.000 Milli- arden Tonnen speichert der Boden weltweit mehr Kohlenstoff, Im Boden leben deutlich mehr Lebewesen als Atmosphäre und Wälder zusammen. als auf dem Boden Nr. 124/1.15 19
titel Umsteuern in der Landwirtschaft Foto: Brinkopp-Rode/pixelio.de Doch gerade in der Landwirtschaft gibt es Möglichkeiten umzusteuern. So ist nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Bäu- erliche Landwirtschaft die ganzjährige Bedeckung der Böden wichtig und machbar. Nach der jeweiligen Hauptkultur müssten geeignete Zwischenfrüchte angebaut werden und Pflanzenreste stehen bleiben. Eine ausgewogene Fruchtfolge sei nötig und nicht nur Mais, Mais, Mais. Geradezu verheerend ist es, wenn in erosionsgefährdeten Gebieten Grünland umgebrochen wird. Denn Grünland bremst besonders gut den Abfluss des Wassers. Erosion: Hauptgrund für den Verlust von fruchtbarem Boden Ökologen der TU München kamen 2012 zu dem Schluss, dass je mehr Pflanzenarten auf einer Wiese wachsen, umso blik kämpft vor allem im Frühjahr mit gigantischen Sand- und mehr Biomasse wird dort produziert und desto fruchtbarer Staubstürmen. So kam es am 08. April 2011 auf der A19 in wird auch der Boden. „Es kommt auf jede einzelne Pflanzen- Mecklenburg zur Katastrophe, als etwa 80 Fahrzeuge inein art an. Überflüssige Arten gibt es nicht“, so der Studienleiter anderrasten. Plötzliche Staubvernebelung von den Äckern Nico Eisenhauer. Für Mähwiesen hieße das etwa: Je größer die hatten den FahrerInnen komplett die Sicht genommen. Auf Artenvielfalt desto mehr Ertrag würden sie abwerfen. Auch die den Ackerflächen rechts und links der Autobahn war fehlende Vielfalt in Grünstreifen rund um die Felder hätten direkt für den Bodenbedeckung im Frühling eine Ursache für die Katastro- Acker Vorteile: Mit jeder zusätzlichen Pflanzenart steigt auch die phe. Der Maisanbau auf riesigen Schlägen ist hier vor allem Diversität der Räuber, die z.B. die Zahl der Blattläuse reduzieren. verantwortlich. Gerade wenn der Mais gesät wird, ziehen die schweren Frühjahrsstürme auf. Öl und Schwermetalle erst in den Boden Starkregen im Sommer 2014 ließ in vielen Mittelgebirgen in und dann ins Grundwasser Deutschland die Ackerböden wegschwimmen. Die Bundes- anstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover Nicht nur der Eintrag von Gülle belastet unsere Böden, auch warnte: Etwa ein Drittel der deutschen Ackerfläche, vor allem der massenhafte Einsatz von Pestiziden vergiftet sie. Dabei sind in Hanglagen, sei durch Erosion infolge extremen Nieder- Böden besonders wichtig für sauberes Grundwasser, aus dem schlags gefährdet. Dabei wirkt auch hier der Maisanbau beson- Dreiviertel unseres Trinkwassers gewonnen wird. Ein Hektar Bo- ders negativ: Zur typischen Starkregenzeit im Frühsommer den kann durchschnittlich 1.300 Kubikmeter Grundwasser pro sind die Maispflanzen noch viel zu klein und stehen zu weit Jahr bilden, die voranschreitende Bodendegradation wirkt sich auseinander, um den Abfluss des Wassers bremsen zu können. dabei extrem negativ auf die Qualität des Grundwassers aus. Nichtsdestotrotz nimmt auch in Hanglagen der Maisanbau So wurden im vergangenen Jahr 14 von insgesamt 123 Grund- weiter zu. Das kommt uns alle teuer zu stehen: Nicholas Stern, wasserkörpern in Niedersachsen ein schlechter Zustand nach der frühere Chefökonom der Weltbank, hat im Stern-Report der Wasserrahmenrichtlinie bescheinigt. Ob die Funde von den Verlust von Ackerboden durch Erosion auf 70 Dollar pro Cadmium im niedersächsischen Grundwasser ebenfalls mit den Kopf und Jahr berechnet. ausgebrachten Pestiziden zusammenhängen, wird noch unter- 300 Jahre für einen Zentimeter Weltweit geht der Boden meist unmerklich verloren. Drei Kräfte sind vor allem dafür verantwortlich: Zum einen die Boden degradation, die bedeutet, dass Nährstoffe verlorengehen, dass es zu Versauerung, Entkalkung und der Verschlechterung der Bodenstruktur kommt. Zum Zweiten die Bodendesertifikation, die Verwüstung durch Übernutzung und zum Dritten die Bo- denversiegelung. Hinter all diesen Vorgängen steckt direkt oder indirekt der Mensch in seinem Bestreben sich den Naturkörper Boden entsprechend verfügbar zu machen. Böden bilden und entwickeln sich über lange Zeiträume, viele Faktoren spielen dabei zusammen. Die wichtigsten natürlichen Einflussfaktoren sind das Gestein, das Klima, Pflanzen und Tiere, die Form und Neigung des Geländes und das Wasserangebot. Von großer Bedeutung sind die Entwicklungszeit und die Intensität der Bodennutzung durch den Menschen, die in den letzten Jahrhunderten zu erheblichen Bodenveränderungen geführt hat. Die eigentliche Entstehung von Boden geschieht durch die Verwitterung von Gestein und die weitere Zerkleinerung mine- ralischer Bodenpartikel. Die Prozesse können je nach Stärke der Einflussfaktoren unterschiedlich schnell ablaufen. Boden ist aber mehr als ein Gemenge mineralischer Partikel mit unterschiedlicher Größe. Boden ist vor allem ein Gemisch aus zersetzter organischer Substanz, dem Humus, und den mineralischen Bestandteilen durchsetzt mit Wasser und Luft sowie einer Vielzahl pflanzlicher und tierischer Lebewesen. Bis dieses Gemisch in der gewohnten Qualität und notwendigen Mächtigkeit entsteht, braucht es viel Zeit. Die Entwicklung einer 1-Zentimeter dicken, humosen Bodenschicht kann zwischen 100 und 300 Jahren dauern – jedoch bei einem einzigen starken Gewitterregen durch Erosion verloren gehen. (UBA, 2013) 20 Nr. 124/1.15
titel sucht. Und die nächste Zeitbombe tickt schon unüberhörbar: Hektar an Großinvestoren verpachtet wurde, häufig zum Nach- Nach mehreren Zeitungsberichten wurden in Niedersachsen in teil der ländlichen Bevölkerung. den vergangenen Jahrzehnten ölhaltige Bohrschlämme einfach in die Landschaft verkippt und zugedeckt. Wann diese Schad- Den Blick auf den Boden lenken stoffe im Grundwasser ankommen, ist nur eine Frage der Zeit. Auf einer Tagung 2012 in Osnabrück zum Thema „Neue Wege Und was tut die Politik für den Schutz des Bodens? im Bodenschutz“ überlegten die WissenschafterInnen intensiv, wie sie die zentrale Bedeutung des Bodens am besten in die Vor der Europawahl 2014 beschlossen EU-PolitikerInnen ein öffentliche Wahrnehmung rücken könnten: Der Lebensraum europaweites Gesetz zum Schutz des Bodens erstmal auf die Boden sei faszinierend, aber auch sehr komplex. Es gäbe leider lange Bank, aber auf jeden Fall auf die Zeit nach der Wahl zu kein Patentrezept, keine schnellen Lösungen, um bei den schieben. In vielen Ländern der EU gab es Widerstand gegen Menschen ein Bewusstsein für die Bedeutung des Bodens zu das geplante Gesetzesvorhaben, die nationalen Parlamente schaffen, bedauerten die WissenschaftlerInnen. Sie wünschen wollten nicht auf ihre Kompetenz in dieser Sache verzichten. sich für die Zukunft leidenschaftliche Fürsprecher zu gewinnen: Auch von der Bundesregierung wird die EU-Bodenrahmenricht- an Schulen, über Exkursionen oder Kunstprojekte. linie seit Jahren blockiert: Mit dem Argument, dass in Deutsch- land die Böden durch das Bundesbodengesetz ausreichend Quellen und mehr Infos: geschützt wären. Doch nur 9 von 27 Staaten verfügen über - www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft solche Gesetze, so dass eine europäische Regelung dringend - Auf dem Boden der Tatsachen, Holdinghausen, taz, 20.12.12 notwendig ist. Außerdem ernähren wir uns von Böden aus - www.bgr.bund.de der ganzen Welt: Fast Zweidrittel der Fläche, insgesamt 330 Das Bild unten ist die Titelseite des Reiseführers „Die Böden Millionen Hektar, die wir in Europa für Nahrungs- und Futter- Deutschlands“, der zum Internationalen Jahr des Bodens vom mittel, Energierohstoffe oder Holz benötigen, liegen in China, Umweltbundesamt neu aufgelegt wurde und zu vielen, span- Russland, Brasilien und Argentinien. Fruchtbare Böden sind nenden Ausflügen zum Thema einlädt. weltweit zu einer begehrten Ware geworden, die nur noch zu horrenden Preise gekauft oder gepachtet werden können. Die Christiane Weitzel, Bremen, UN geht davon aus, dass eine Fläche von ca. 100 Millionen magazin@robinwood.de, Tel.: 0421 59828-90 Den Blick auf den Boden lenken: Vor allem die PolitikerInnen der EU haben hier dringenden Handlungsbedarf Foto: Sina Schröder/UBA Nr. 124/1.15 21
titel „Was steht dem Schutz des Bodens im Weg?“ Bodenschutz kann den Klimawandel abmildern. Doch eine profitorientierte Landwirtschaft laugt vieler- orts die Böden aus und verschlimmert die Bodendegradation. Der Agronom Hans Herren erwartet von der Politik keine Lösungen, da diese zu sehr mit Privatinteressen verflochten sei. ? klimaretter.info: Warum sind fruchtbare Böden für ? Am 5. Dezember, dem Weltbodentag, haben Sie in Berlin vor das Klima wichtig? Experten und Entscheidungsträgern im Bundesumweltministe- rium gesprochen. Was kann eine solche Konferenz überhaupt ! Hans Herren: Fruchtbare Böden mindern den Klimawandel, für den Bodenschutz leisten? weil sie viel Kohlenstoff aufnehmen und ihn auch für lange Zeit speichern. Das setzt aber voraus, dass die Böden nach ! Es ist immer wichtig, die Leute zusammenzubringen und Biolandbau-Methoden bebaut und nicht gepflügt werden. Das über Wissenschaft und Politik zu diskutieren. Wir wissen, wie heißt auch längere und diverse Fruchtfolgen, die es ermög- Bodenschutz aussehen sollte. Wir kennen die Probleme und lichen, organische Substanz aufzubauen und in den Boden auch die Lösungen. Doch wir müssen uns fragen, was der Um- einzufügen. setzung im Wege steht. Beim Bodenschutz sind das vor allem die Privatinteressen und die Konsumenten, die nicht bereit ? Böden speichern Kohlenstoff, aber erst 2015 rufen die sind, einen angemessenen Preis zu zahlen. Vereinten Nationen das „Internationale Jahr des Bodens“ aus. Wurden Böden zu lange vernachlässigt? ? Was ist das Problem mit dem Privatsektor? ! Ja, das ist ein bisschen spät. Aber es ist nie zu spät, um etwas ! Die Privatinteressen gehen nicht in dieselbe Richtung wie die Gutes zu tun. Vor allem nach dem internationalen Jahr der Klein- gesellschaftlichen Interessen. Bei den Böden geht es darum, bauern und Familienbauern passt das ganz schön zusammen. immer mehr auf weniger Böden zu produzieren. Das heißt, man muss mehr Düngemittel und Chemie einsetzen und man braucht auch mehr Wasser. Und das geht alles in die falsche Direkt in die Luft: Konventionelle Landwirtschaft schützt den Richtung. Boden nicht und trägt zum Klimawandel bei Foto: Daniel Stricker/pixelio.de 22 Nr. 124/1.15
titel zahlen müssten, mitsamt der Kosten durch soziale, ökologische und wirtschaftliche Schäden, dann würde das Fleisch viel teurer werden. Wenn in allen Produkte die Kosten enthalten wären, dann würde der Raubbau automatisch aufhören. Ich bin sicher, wenn es nicht über das Portemonnaie passiert, dann funktioniert der Umbau der Landwirtschaft nicht. ? Lassen sich Bodenschutz und Landwirtschaft überhaupt vereinbaren? ! Ja! Bodenschutz funktioniert mit einer angepassten Landwirt- schaft. Mit Prinzipien der Agrarökologie oder des Biolandbaus kommt man zu einem guten Boden. Bei jedem Zyklus wird mit Foto: Thomas Max Müller/pixelio.de Fruchtfolgen die Bodenfruchtbarkeit aufgebaut. Außerdem Die KonsumentInnen haben die Macht den Ökolandbau zu müssen wir auch anders – diverser – essen. Wir können nicht stärken, der die Böden schützt nur Mais, Kartoffeln oder ein bisschen Weizen produzieren. Wir müssen endlich aufwachen. Die Tiere müssen aus den Fa- Einerseits soll billiger produziert werden, weil die Konsumenten briken geholt und wieder auf den Bauernhof gebracht werden. billige Nahrung haben und wenig bezahlen wollen. Auf der anderen Seite entstehen die externen Kosten, die dann auf die Über eine angepasste, nachhaltige Landwirtschaft lassen sich Gesellschaft verteilt werden müssen. Aber die Industrie wird die Böden automatisch restaurieren und die ganze Boden- größer und größer und streicht immer höhere Profite ein. Der degradation beenden. Das geht nicht über Nacht. Aber in große Elefant im Zimmer ist immer der Privatsektor, der so viel Afrika haben wir gezeigt, dass schon in drei bis fünf Jahren mit Gewinn wie möglich herausholen will. nachhaltiger Landwirtschaft die Qualität der Böden verbessert werden kann. ? Dann muss sich die Politik stärker für Bodenschutz einsetzen, um die Gewinnorientierung auf Kosten der Böden Sandra Kirchner, klimaretter.info zu begrenzen? ! Wir müssen einen ganzheitlichen Ansatz für den Boden fin- den, weil so vieles mit dem Boden zusammenhängt. Aber die Politik ist zu sehr vom Privatsektor beeinflusst, da muss es eine Entkopplung geben. Das ist unbedingt notwendig. Es braucht Leute, die nicht nur bis zur nächsten Wahl sehen. In vier oder fünf Jahren erreicht man nichts, wir müssen viel weiter nach vorne schauen. Vielleicht kann das über die Konsumenten erreicht werden. Denn sie entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben. ? Sie vertrauen auf die Macht der Konsumenten, die sich im Supermarkt für billiges Fleisch statt für Biofleisch vom Bauern aus der Region entscheiden? ! Die Leute kennen nicht die Konsequenzen von billiger Nah- rung. Sie wissen nicht, dass die Böden zerstört werden, wenn man immer mehr rausholt als man reinbringt. Sie wissen nicht, was das mit der eigenen Gesundheit und der Umwelt zu tun Foto: Lisa Vanovitch/wikimedia.org hat. Deshalb muss man mehr über die Auswirkungen infor- mieren. Man muss in die Schulen gehen. Aber auch die Eltern Der Agronom Hans R. Herren promovierte über biologische müssen informiert werden. Sie müssen verstehen, was das Schädlingsbekämpfung. In Afrika gelang es dem Schweizer, die Problem mit dem billigen und schlechten Essen ist. grassierende Maniok-Schmierlaus mit Wespen und Marien- käfern erfolgreich zu bekämpfen – Herren erhielt 1995 dafür ? Dann reicht es, die Verbraucher aufzuklären, um die Böden den Welternährungspreis. Mit dem Preisgeld gründete er die langfristig zu erhalten? Stiftung Biovision zur Verbreitung und Entwicklung ökolo- gischer Anbaumethoden in Afrika. Als Ko-Vorsitzender und ! Nicht ausschließlich. Aber der einzige Punkt, über den man Mitautor des Weltagrarberichts forderte er eine Abkehr vom mit den Konsumenten in Kontakt kommt, ist der Preis. Wenn industriellen Weg. 2013 erhielten Herren und seine Stiftung wir die wahren Preise für Fleisch aus Brasilien oder Argentinien den alternativen Nobelpreis. Nr. 124/1.15 23
wald 13 Jahre im dritt Ein Bilderbuch für Foto: Andy Wright, iLCP, supporting Sierra Club BC‘s No Tanker Campaign Für Menschen, die unsere Kampagnen und Aktionen noch nicht so gut kennen wie unsere Aktiven, unser Team und unsere Förderinnen und Förderer 24 Nr. 124/1.15
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